1 Die Fragestellung

Man kann Fragen der digitalen Medien, des Maschinenlernens und der Künstlichen Intelligenz nicht diskutieren, ohne irgendwann auf die Frage zu stoßen, welchen Grad von Autonomie und Intelligenz die Maschinen bereits erreicht haben. Man kann die Veränderung kommunikativer Dynamiken in Organisation und Gesellschaft nicht diskutieren, ohne irgendwann auf die Frage zu stoßen, ob die Maschinen ein bloßes, wenn auch dynamisches Werkzeug dieser Kommunikation sind oder sich mit eigenen Intentionen, einem eigenen Gedächtnis und eigenen Relevanzen an dieser Kommunikation beteiligen. Müssen wir damit rechnen, dass mit elektronischen Medien und digitalen Apparaten Intelligenzen entstehen, die die menschliche Gesellschaft beobachten und mit ihr zu interagieren versuchen oder auch nur eigene Absichten verfolgen, um ihr Überleben auf diesem gefährdeten Planeten zu sichern (Bostrom 2016; Lovelock 2020)?

Der folgende Beitrag kann diese Fragen nicht beantworten. Er beschränkt sich darauf, ein Kriterium anzugeben, das es erlaubt, die Entwicklung im Auge zu behalten. Dieses Kriterium unterscheidet zwischen einer trivialen und einer nicht-trivialen Technik. Intelligente Maschinen müssten gemäß diesem Kriterium auf einer nicht-trivialen Technik beruhen. Es ist jedoch die These der folgenden Überlegungen, dass elektronische Medien und digitale Apparate und Programme bis auf Weiteres in einem präzisen Sinne als trivial anzusehen sind. Der Eindruck der Nicht-Trivialität, der zuweilen entsteht, verdankt sich nicht der Technik selbst, sondern ihrer Einbettung in eine nicht-triviale Gesellschaft. Der Beitrag plädiert dafür, den Referenzrahmen der Beobachtung und Diskussion neuer Technologien um den Faktor der Gesellschaft zu erweitern.

2 Triviale versus nicht-triviale Maschinen

Heinz von Foerster hat im Anschluss an die Automatentheorie vorgeschlagen, zwischen trivialen und nicht-trivialen Maschinen zu unterscheiden (von Foerster 1993, S. 245 ff.; vgl. Gill 1962, S. 7 f.). Die nicht-triviale Maschine unterscheidet sich darin von der trivialen Maschine, dass sie neben einer Transformationsfunktion, y = F (x), auch über eine Zustandsfunktion, Z (x, z), verfügen, so dass y = F (x, z) und z = Z (x, z). Die Maschine reagiert nicht mehr „trivial“ mit immer demselben Output y auf einen Input x, sondern sie fragt zusätzlich ihren inneren Zustand, z, ab und reagiert in Abhängigkeit von diesem Zustand „nicht-trivial“ im Sinne von undurchschaubar und unvorhersehbar. Die Abfrage des inneren Zustands unterbricht die Eins-zu-Eins-Übersetzung eines Inputs in einen Output. Ist die triviale Maschine dank ihrer Transformationsfunktion synthetisch determiniert, analytisch determinierbar und historisch unabhängig, so ist die nicht-triviale Maschine dank der zusätzlichen Zustandsfunktion nach wie vor synthetisch determiniert, aber nicht mehr analytisch determinierbar und dank ihrer historischen Abhängigkeit von sich selbst in ihrem Verhalten unvorhersehbar.

Die Attraktivität dieser Unterscheidung liegt darin, dass man die Bedingung angeben kann, unter der eine Maschine beginnt, ein komplexes Verhalten an den Tag zu legen. „Komplex“ soll hier heißen, dass eine zusätzliche Unterscheidung ins Spiel kommt, die weder dem Beobachter noch dem System zur Verfügung steht. Die Abhängigkeit der Maschine von sich selbst macht ihr Verhalten unvorhersehbar. Sie kann sich und ihre Beobachter überraschen, indem sie ihren eigenen Zustand als zusätzliche Variable der Bestimmung ihres Verhaltens ins Spiel bringt. Heinz von Foerster hat Wert darauf gelegt, zu unterstreichen, dass dies auch umgekehrt gilt. Streicht man die Abhängigkeit einer Maschine von ihrem eigenen Zustand (einmal abgesehen vom Zustand funktionsfähig/nicht-funktionsfähig), wird sie in Abhängigkeit von ihrer Transformationsfunktion trivial. Weite Bereiche des Sozialverhaltens, angefangen beim Schulunterricht, kann man als mehr oder minder erfolgreiche Versuche der Trivialisierung nicht-trivialer Maschinen (in diesem Fall: Menschen) beschreiben. Wir lernen in dem Maße, erwartungsgemäß zu funktionieren, in dem wir lernen, unsere eigenen Zustände unter Kontrolle zu halten beziehungsweise, besser noch, in den Dienst eines möglichst reibungslosen Funktionierens der Transformationsfunktion zu stellen.

Eine nicht-triviale Technik ist dementsprechend eine Technik, deren Beschreibung neben einer nach wie vor gültigen Transformationsfunktion auch mit einer Zustandsfunktion rechnen müsste. Triviale Techniken operieren in einem kausal kontrollierbaren Wenn/Dann-Modus, nicht-triviale Techniken zusätzlich in einem Zustandsmodus, der sachlich, zeitlich und nicht zuletzt sozial (zur „Interaktion“ siehe Hornbæk und Oulasvirta 2017) in vielfachen Resonanzbeziehungen steht. Versuche, „intelligente“ Techniken zu entwickeln, könnte man als Versuche beschreiben, Maschinen zu bauen, die nicht nur über Transformations-, sondern auch über Zustandsfunktionen verfügen, so dass ihr Unterschied zu ihrer Umwelt einen Unterschied machen kann, der ihr Verhalten zusätzlich zu ihrer Fähigkeit, Input zu verarbeiten und Output zu produzieren, informiert. Meine Vermutung war, dass die Suche nach intelligenten Maschinen als eine Suche nach Möglichkeiten des Einbaus von Zustandsfunktionen verstanden und beschrieben werden kann.

Inzwischen habe ich jedoch den Eindruck, dass ein Versuch, den Begriff einer nicht-trivialen Technik auszuarbeiten, wenig mit aktuellen Technikentwicklungen zu tun hätte. In einem Bericht über extreme Risiken der Zukunft kann man lesen: „Today’s AI systems, powerful as they are at recognising patterns, are worrying only to the extent that people use them in worrying ways; in themselves they are no more dangerous, or sentient, than stamp collections.” Allerdings lautet der unmittelbar folgende Satz: „That may change. Most in the field seem to think that one day AIs will be to give humans a real run for their money” (The Economist 2020, S. 16). Die Vision technisch realisierter Zustandsfunktionen ist allenfalls philosophisch und literarisch interessant. Die praktische Entwicklung konnektiver, algorithmisch gesteuerter Technologien spielt sich jedoch nach wie vor im Bereich einer trivialen Technik ab. Es geht um zunehmend komplizierte Verschaltungen und Verrechnungen von Datenbanken, Algorithmen und Plattformen der sensorischen, motorischen und rechnerischen Datenverarbeitung, aber nirgendwo, wenn mein Eindruck nicht täuscht, um Komplexität im Sinne der Verrechnung von Unverfügbarkeit. Wir haben es mit einer trivialen Technik im Sinne determinierter Wenn/Dann-Verschaltungen zu tun. Komplex ist nicht diese Technik, sondern ihre komplexe Einbettung in Operationen sozialer, psychischer, neuronaler und organischer Systeme.

3 Technik als Medium einer komplexen Gesellschaft

Wenn dieser Eindruck einer technischen Entwicklung diesseits der Schwelle zur Nicht-Trivialität stimmt, fragt sich, woher der Eindruck einer dennoch wachsenden Komplexität dieser Technik stammt. Ich habe die Antwort schon angedeutet. Die Komplexität einer Technik erklärt sich aus ihrer Verwendung, nicht aus ihrer Konstruktion. Das bedeutet nicht, dass ich für einen instrumentellen Technikbegriff plädiere. Technik ist Form im Medium alternativer Möglichkeiten; sie prägt selbst, dass und wie sie verwendet wird (Rammert 1989, 1998; Halfmann 1996, 2003; Schulz-Schaeffer 2000; Weyer 2008). Mit Vilém Flusser (1983) könnte man sagen, dass sie ihre eigene Verwendung anregt, um herauszufinden/herausfinden zu lassen, was sie kann. Umso wichtiger jedoch ist es, die Systemreferenzen herauszustellen, denen sowohl der Zugriff auf Formen der Technik als auch die Beobachtung alternativer Möglichkeiten zugrechnet werden kann.

Technik, so die These der folgenden Überlegungen, ist nicht technisch, sondern gesellschaftlich komplex. Sie ist technisch kompliziert im Sinne einer unübersichtlichen Vielzahl zusammengesetzter Bestandteile, bleibt jedoch nicht nur synthetisch, sondern auch analytisch determinierbar. Man braucht Zeit, einem komplizierten Mechanismus auf die Spur zu kommen, aber es ist möglich. Gesellschaftlich komplex hingegen ist Technik dann, wenn sie nicht nur unübersichtlich, sondern unverfügbar ist. Man hat es mit einer Black Box zu tun, die man im Hinblick darauf, ob sie sich auf gewünschte oder nicht-gewünschte Weise verhält, „kontrollieren“, aber nicht „verstehen“ kann (Ashby 1958, S. 97): Man kann sie kontrollieren, indem man die eigene Interaktion mit ihr auf bewährte Parameter beschränkt, man kann sie jedoch nicht verstehen im Sinne einer Auslotung ihres Verhaltensspektrums und der Motive ihrer eigenen Auswahl möglichen Verhaltens aus diesem Spektrum. Diese Unverfügbarkeit ist dafür verantwortlich, dass es attraktiv sein kann, einer Technik eine eigene Zustandsfunktion zuzuschreiben. Das liegt umso näher, je leichter es fällt, Erfahrungen aus der Kommunikation mit Menschen auf Erfahrungen im Umgang mit Maschinen, Apparaten und Prozessen zu übertragen und das Gegenüber zu anthropomorphisieren.

Soziologisch hilft das nicht weiter. Ich will versuchen, den Eindruck der Unverfügbarkeit der Technik, mit der wir es zu tun haben, nicht auf die Existenz von Zustandsfunktionen, sondern auf gesellschaftliche Verwicklungen zuzuschreiben. „Technology is messy and complex“, wie Thomas P. Hughes (2004, S. 1) schreibt, beziehungsweise grundsätzlich mehrdeutig („equivoque“), wie Karl E. Weick (1990) unterstreicht. Dies ist nicht etwa deswegen der Fall, weil sie ihren Status einer „funktionierenden Simplifikation“ (Luhmann 1997, S. 517 ff.) verloren hätte, sondern weil sie gleichzeitig für verschiedene Systeme verschiedene Funktionen der Vereinfachung erfüllt, die untereinander nicht synchronisiert sind. Sie sind untereinander nicht nur nicht synchronisiert, sondern sie operieren verdeckt durch ihre verschiedenen Verwendungsformen, so dass der Eindruck einer undurchschaubaren Komplexität entsteht. Die Komplexität ist jedoch jene der Systeme und ihres Verhältnisses zueinander, nicht jene der Technologien.

Im Übrigen verwende ich hier und im Folgenden die Begriffe „Technik“ und „Technologie“ synonym, obwohl es Sinn macht, eine eher mechanisch verstandene Technik von elektronisch gesteuerten Technologien zu unterscheiden. Aber darauf kommt es mir hier nicht an. Es gibt Unterscheidungen, die unter einem bestimmten Gesichtspunkt sortieren, was sich unter einem anderen Gesichtspunkt dann doch als vergleichbar erweist. Der im Folgenden verfolgte Gesichtspunkt ist die Einbettung von Techniken und Technologien in selbstreferentielle Systeme verschiedener Art. Der Unterschied zwischen Mechanik und Elektronik spielt dabei eine nicht nur untergeordnete Rolle, sondern man wird darüber hinaus annehmen können, dass die jüngsten Entwicklungen im Bereich elektronischer Technologien auf strukturelle Eigenheiten dieser Einbettung aufmerksam machen, die auch für mechanische Techniken gilt.

Mein Ausgangspunkt ist die Beschreibung des „Cyberspace“ als eine „manipulierbare digitale Punktmenge“ (Thiedeke 2004, S. 15). Udo Thiedeke macht mit dieser Formulierung darauf aufmerksam, dass die Welt mit der Einführung elektronischer Medien eine Zweitfassung erhält, in der analog vorliegende Merkmale eine Adresse, eine Nachbarschaft und eine Zustandsbeschreibung als entweder vorliegend oder nicht-vorliegend (0/1) erhalten (vgl. auch Flusser 1985). Die Komplexität beginnt bereits damit, dass diese Zweitfassung in einem ungeklärten Verhältnis zu anderen und früheren „Verdopplungen“ der Gesellschaft steht. Die Sprache, so Luhmann (1997, S. 112 f.), stellt der Ja-Fassung der Welt eine Nein-Fassung gegenüber. Die Kunst stellt der wirklichen Wirklichkeit eine fiktionale Wirklichkeit gegenüber. Und jedes Funktionssystem, ja jede Organisation und jede Interaktion, ganz zu schweigen von den Imaginationen psychischer Systeme, den Erregungen neuronaler Systeme und den Innervationen organischer Systeme, konstruieren sich ihre eigene Welt, die sie erst in dem Maße als Rekonstruktionen erfahren, als sie auf die Differenz anderer Konstruktionen aufmerksam werden. Der digitale Raum steht orthogonal nicht nur zur analogen Welt, sondern auch zur politischen, wirtschaftlichen, wissenschaftlichen, religiösen und künstlerischen Welt, zur Welt jeden Unternehmens, jeder Behörde, jeder Kirche, jeden Theaters, jeder Universität und Schule, zur Welt der Konversation, des Gesprächs, des Streits und der Begegnung, sowie zu den Ideen und Vorstellungen eines Bewusstseins, den Vorhersagen eines Gehirns und den Wahrnehmungen eines Organismus.

4 Der Datenraum

Aus dieser Beobachtung ist eine wichtige Konsequenz zu ziehen. Der digitale Raum bildet nicht ab, sondern er bildet neu. Die Technik der neuen Technologien konstruiert die Welt als einen Datenraum, in dem jeder Sachverhalt binär als entweder vorliegend oder nicht-vorliegend codiert wird und die Qualität dieses Sachverhalts erst in dem Moment wieder sichtbar wird, in dem er an einer analogen Schnittstelle dargestellt wird. In diesem Datenraum wird alles zur Information, der Sachverhalt ebenso wie das Programm und die Nutzer:in. Das ist die eigentlich revolutionäre Entwicklung. Nicht nur gibt es nichts, was nicht digital angesteuert, abgetastet, verrechnet und mit weiteren Daten abgeglichen werden kann, sondern selbst diese digitalen Prozesse, ihre Initiierung und Verwertung, ihre Listung, Ordnung und Veränderung, ihre Korrelation und Vektorisierung sind Daten, die ausgewertet werden wollen (Süssenguth 2015; Houben und Prietl 2018; Mämecke et. al. 2018; Häußling 2020). Der Datenraum wird zur „Infrastruktur“ einer Gesellschaft (Easterling 2015), die sich nicht mehr sicher sein kann, worin ihre Strukturen bestehen.

Dieser Datenraum ist jedoch alles andere als homogen. So sehr digitale Daten nichts anderes sind als Impulse, die entweder vorliegen oder nicht, so wenig lässt dies darauf schließen, dass alle Daten mit allen Daten verrechnet werden können. Selbst der Umstand, dass man damit rechnen kann, immer wieder neue „Muster“ zu entdecken (Nassehi 2019), berechtigt nicht zur Erwartung, dass gleichsam alles einem Muster genügt. Im Gegenteil. Der Cyberspace hat Raum für jeden Cyborg (Haraway 1991), wird aber nicht selbst zum Cyborg. Die Welt fällt in diesem Datenraum auseinander in die Differenz der im besten Sinne des Wortes hermeneutischen Zugriffe auf sie. Dass jeder dieser Zugriffe weitere Daten produziert, schließt sich an keiner Stelle zu einem Panorama. Viel eher trifft Michel Serres‘ (1981) Bild von parasitären Relationen zu, die an jedem denkbaren Punkt ansetzen können und selbst wiederum Punkte definieren, an denen weitere parasitäre Relationen ansetzen können. Nicht alle, aber viele dieser Relationen haben ein Interesse daran, unentdeckt zu bleiben. Das macht sie für weitere Beobachter umso interessanter, die ihrerseits Daten produzieren, die ausgewertet werden können.

Daten sind Beobachtungen für Beobachter. Technik interveniert mehrfach und durchweg trivial, wenn auch anspruchsvoll in Material und Apparatur und kompliziert in Verschaltung und Vernetzung. Analoge Signale müssen aufgefangen und gefiltert werden. Sie müssen in digitale Signale umgewandelt werden (A/D-Wandlung), die gelistet, tabelliert, verrechnet und gespeichert werden. Schließlich müssen wiederum analoge Signale ausgegeben werden, für die entsprechende Schnittstellen eingerichtet und an den passenden Stellen zugänglich gemacht werden (D/A-Wandlung). Jedes Datum ist nicht nur das Produkt von Bereitstellung, Strukturierung, Distribution, Visualisierung und Steuerung, sondern es ist an jeder Stelle dieses Prozesses ein anderes Datum, das mehr oder minder gut verstanden ist, rechnerisch modifiziert und für weitere und andere Prozesse genutzt werden kann (Flyverbom und Madsen 2015; 2018; Häußling et al. 2017; siehe auch Mützel et al. 2018; Passoth und Wehner 2018; Fischer et al. 2020). Die Einheit des Datums ist eine Chimäre. Daten sind Voraussetzung, Gegenstand und Produkt technischer Prozesse. Sie sind in der Abhängigkeit von ihrem Zugriff auf Sachverhalte, ihrer Konditionierung und Modifikation durch weitere Daten und ihrer Bereitstellung differentiell konstituiert.

Aber diese Daten konstituieren sich nicht selbst. Wenn Technik zuweilen als ein „reflexives“ Medium verstanden wird (Lindemann 2014, S. 196 f.; Meißner 2017, 2018), so liegt das nicht daran, dass die Daten reflektieren, in welchen Zusammenhängen sie eine Rolle spielen. Sondern es liegt daran, dass die Beobachterperspektiven, aus denen Daten jeweils zu Daten werden, im Datenraum damit rechnen, dass Daten aus anderen Perspektiven bereitgestellt wurden und aus weiteren Perspektiven anders gelesen und verrechnet werden können. Reflexiv sind nicht die Daten, sondern die Beobachterperspektiven. Umso wichtiger ist es, die Begriffe sowohl der Technik als auch des Datums an dieser Stelle scharf zu stellen. Wenn Gregory Bateson in seiner immer wieder zitierten Aussage eine Information als einen Unterschied definiert, der einen Unterschied macht (Bateson 1981, S. 582), ist dies nicht nur ein Hinweis auf Claude E. Shannons Definition der Information als Selektion einer Nachricht aus einem Raum weiterer möglicher Nachrichten (Shannon und Weaver 1963, S. 31), sondern zugleich ein Hinweis auf einer Beobachterposition, für die der Unterschied einen Unterschied macht. Kein Zeichen, so Charles Sanders Peirce (1983, S. 64 ff.), ohne einen Interpretanten. Der Unterschied, so Bateson (1981, S. 582), „kann einen Unterschied ausmachen, weil die Nervenbahnen, auf denen er reist und kontinuierlich transformiert wird, ihrerseits mit Energie versorgt werden. Die Nervenbahnen sind darauf vorbereitet, erregt zu werden.“ In einem verallgemeinerten Begriff der Information sind diese „Nervenbahnen“ nicht mehr nur die eines Organismus, sondern auch die eines Beobachters, der sozial, mental oder auch technisch konstituiert ist: eine Kommunikation, ein Bewusstsein oder ein Apparat. Auf die Erregbarkeit kommt es an. Ein Apparat ist trivial erregbar. Er bewegt sich im „event loop“ (Coy 2008) des Wartens auf passende Ereignisse. Kommunikation und Bewusstsein sind nicht-trivial erregbar. Sie konditionieren, ob und wie sie erregt werden, durch ihre eigenen Zustände. Aber auch sie bewegen sich in einem event loop, einer Ereignisschleife, die in ihrem Fall jede Beobachtung mit Selbstbeobachtung verrechnet, und umgekehrt.

Ein allgemeiner Begriff des Datums sollte dieser Differenz der Beobachterperspektiven Rechnung tragen. Information ist immer beobachterspezifisch, in Daten jedoch wird berücksichtigt, dass die scheinbar selben Daten für andere Beobachter andere Unterschiede machen (Kallinikos 2006, S. 103 f.). Daraus wiederum lässt sich ein allgemeiner Begriff der Technik ableiten, der auf Simplifikation im Kontext von Fungibilität abstellt. Technik produziert trivialerweise Daten, die je nach der Beobachterposition, die auf sie zugreift, nicht-trivial weiterverarbeitet werden. Im Datum selbst, wenn man so will, findet der Switch von der trivialen Produktion zur nicht-trivialen Interpretation statt. Alles andere wäre weder eine Information noch ein Datum, sondern ein Signal, das kausal verknüpft wird.

5 Zur Soziologie der Technik

Eine Soziologie der Daten und der Technik kommt demnach mit vier Begriffen aus: Form, Medium, System und Netzwerk:Footnote 1

  • Jedes Datum hat eine Form im Sinne von Spencer-Brown (1969/1997), indem es eine oder mehrere Unterscheidungen trifft, die einschließen, was sie einschließen, und ausschließen, was sie ausschließen. Die Beobachtung der Form des Datums ermöglicht es anderen Beobachtern, durch eine Verschiebung der getroffenen Unterscheidungen andere Aspekte ein- und auszuschließen.

  • Zugleich wird das Datum damit medialisiert im Sinne von Fritz Heider (2005), das heißt die feste Kopplung seiner Unterscheidungen wird aufgelöst in eine lose Kopplung derselben und möglicherweise weiterer Unterscheidungen, die in einer variierten Interpretation neu zu einer festen Kopplung kombiniert werden.

  • Jedes Datum ist unter Berücksichtigung einer Systemreferenz zu analysieren („action frame of reference“, im Sinne von Parsons 1951, S. 6), die angibt, welches System mit welchen materiellen Zugriffen, motivationalen und institutionellen Strukturen und kulturellen Ressourcen sich durch die Selektion und Interpretation des Datums ausdifferenziert und reproduziert.

  • Die Systemreferenz wiederum wird durch eine Netzwerkperspektive ergänzt (White 1992), die angibt, welche Identität das Datum im Kontext von Kontrollbeziehungen annimmt, die sich jederzeit ändern können.

Das Datum erhält aus der Perspektive dieser Begrifflichkeit eine mehrwertige Struktur (Günther 1976), die auf ihre Akzeptions- und Rejektionswerte hin gelesen werden kann, das heißt die das Datum in einem Gewebe von Verweisungen erschließt, in dem Voraussetzungen und Konsequenzen ebenso nahegelegt wie unerwünschte Bezüge abgelehnt werden. Datenwissenschaftler sind Leute, die „transjunktionale Operationen“ (Günther) identifizieren und vornehmen können, denen gemäß Daten, die in einem Kontext gewonnen wurden, in einem anderen Kontext lesbar werden.

Analog kann man mit dem Begriff der Technik verfahren. Die Technik ist nicht nur ein Medium der Gestaltung technischer Möglichkeiten, sondern hat jeweils auch eine spezifische Form durch die physischen und rechnerischen Unterscheidungen, die sie verwendet:

  • Der Medienbegriff macht darauf aufmerksam, dass eine Technik, vom Hammer bis zum Algorithmus, in den Augen eines Beobachters immer nur eine Variante im Kontext alternativer Möglichkeiten ist.

  • Umso genauer muss dann jedoch ihre jeweilige Form untersucht werden, um herausfinden zu können, welche Unterscheidungen zugunsten welcher Alternativen variiert werden können.

  • Selbstverständlich setzt auch dies die Angabe einer Systemreferenz voraus. Eine Technik ist immer nur für jemanden oder etwas eine Technik. Kommunikation muss ebenso ihren Weg zu ihr finden wie ein Bewusstsein und ein Organismus. Das Smartphone ist deswegen zur paradigmatischen Innovation der Gegenwart geworden, weil es Systemreferenzen wie den Organismus mit seinen haptischen Zugriffen, das Gehirn mit seiner spezifischen Geschwindigkeit der Verarbeitung multimedialer Eindrücke, das Bewusstsein mit seiner Faszinierbarkeit durch chaotisch geordnete Irritation und die Kommunikation mit ihrem Sinn für den unendlichen Verweisungsreichtum von Sinn ebenso momenthaft und flüchtig wie zuverlässig und wiederholbar zu synchronisieren versteht (vgl. auch Baecker, 2018).

  • Und nicht zuletzt ist die Netzwerkperspektive aufschlussreich, um jede Technik in Mechanismen und Strukturen der Kontrolle von Identitäten einbetten zu können, die ihre Dynamik nicht aus instrumenteller und kausaler Eindeutigkeit, sondern aus der Ungewissheit bezieht, wie lange welche Eindeutigkeit für wen aufrechterhalten werden kann.

Gängige soziologische Interessen lassen sich in diese Begrifflichkeit einbetten und durch sie ordnen. Die Verfügung über Technik verleiht Macht und der mangelnde Zugriff auf Techniken, die man dennoch verwenden muss, macht ohnmächtig. Die Verfügung über Technik begründet Ungleichheit, wenn diese Verfügung regeln kann, dass die Gewinne aus ihr einseitig anfallen. Mit der Entwicklung von Formen behördlicher, unternehmerischer, kirchlicher, schulischer, universitärer, medizinischer, massenmedialer und sonstiger Überwachung muss befürchtet werden, dass man gezwungen werden kann, Techniken zu benutzen, die Daten produzieren, deren Verwendung man nicht kontrollieren kann. Und nicht zuletzt ist das Design der Technik ein soziologisches Thema, wenn man beobachten kann, dass Kompliziertheit benutzt werden kann, um den Eindruck von Komplexität zu erzeugen, und dieser Eindruck dazu verführt, die Technik für einen Sozialpartner, einen Bewusstseinsgegenstand und einen Gehirntrainer zu halten, denen nicht-triviale Kompetenzen zugetraut werden. Denn dann verliert die Nutzung dieser Technik ihre Autonomie und wird zum Spielball jener, die dieses Design in der Hand haben.

Aber diese und weitere soziologischen Interessen setzen voraus, dass man die differentielle Struktur der Daten und die Beobachterperspektiven der Technik rekonstruiert und der Versuchung widersteht, Daten und Technik als solche für bedrohlich zu halten. Selbst wenn es darum geht, ein gefährliches Potential zu analysieren, wie es etwa angesichts einer möglichen „Singularität“ der Entwicklung künstlicher Intelligenz der Fall ist (Bostrom 2016), stellt sich nicht nur die Frage, wie gering oder groß die entsprechende technische Wahrscheinlichkeit dieser Entwicklung ist, sondern auch die Frage, wie sich eine komplexe Gesellschaft zu dieser Möglichkeit verhält. Nur zu Letzterem kann die Soziologie etwas beitragen.

6 Im Medium der Technik

Nicht die Technik, sondern die Gesellschaft, die sie entwickelt, geschehen lässt und einsetzt, ist nicht-trivial. Wenn es darum geht, ein Verständnis der technologischen Zivilisation zu gewinnen (Klagenfurt 1995), ist dies der Ausgangspunkt. Die Technik steht der Gesellschaft nicht gegenüber, sondern deckt auf, wie diese sich ausdifferenziert und reproduziert. Ohne Bezug auf Organismus, Psyche und Kommunikation gibt es keine Technik, so sehr diese, die Technik, auch an materielle Sachverhalte bis zur Vernetzung und Verschaltung elektronischer Impulse gebunden ist. Aus diesen Bezügen gewinnt die Technik ihre Mehrdeutigkeit. Ihnen verdankt sie, dass zwar von technischen Systemen die Rede sein kann, diesen jedoch die Selbstreferenz und Autopoiesis bestritten werden kann. Die Technik ist „Ge-stell“ nicht in dem Sinne, dass diese vor die Gesellschaft und unser Bewusstsein gestellt wäre, sondern in dem Sinne, dass die Gesellschaft und unser Bewusstsein in sie gestellt sind (Heidegger 1954). Es geht um die Verwirklichung von Gesellschaft und Bewusstsein im Medium der Technik. Die Technik steht uns nicht fremd gegenüber, sondern wir verwirklichen und erfinden uns in ihr.

Unzureichend ist hier allerdings die Rede von einem Wir. Denn dessen Position ist nicht auszumachen. Es ist ein verteiltes Wir, in dem subjektive Vorstellungen und objektive Strukturen laufend die Plätz tauschen. Die Technik ist eine Struktur in der Ausdifferenzierung und Reproduktion organischer, sozialer und psychischer Systeme. Letztere stellen ersterer die „Nervenbahnen“ zur Verfügung, auf denen die technisch präparierten Unterschiede einen Unterschied machen können. Am Design der Technik erkennt man die Systeme, die auf sie zugreifen und sich in ihr entwerfen. Nur das ist ein soziologisch interessanter Begriff.