Zusammenfassung
Die derzeitige organisatorische und technische Modernisierung der Betriebe erfordert zwangsläufig auch eine der Mitbestimmung. Darin sind sich Unternehmensleitungen, Wissenschaft, Arbeitnehmerverbände und Gewerkschaften einig. Geht es um die Richtung der Veränderung, werden jedoch entgegengesetzte Positionen vertreten: Die einen wollen Zuständigkeit und Rechte von Betriebsräten erweitern, andere wollen sie begrenzen. Mitbestimmung müsse gerade in digitalen Zeiten ausgebaut werden, so die einen; sie drohe den digitalen Wandel der Betriebe zu verzögern, sagen die anderen. Meiner Einschätzung nach gibt es tatsächlich erheblichen Modernisierungsbedarf. Der Hintergrund: Mitbestimmung hat heute andere Aufgaben zu bewältigen als noch vor 20 Jahren. Damals waren Unternehmen viel weniger dynamisch, Veränderungen waren eher vorhersehbar und auf bestimmte Themen und Bereiche begrenzt. In den Unternehmen dominierten damals Arbeitsteilung, ein hierarchiebetonter Führungsstil; demokratische Umgangsformen waren selten. Mitbestimmung hatte sich in diesen Rahmen eingepasst. Entsprechend war sie nicht an Prozessen ausgerichtet, sondern geprägt von starken Mitbestimmungsrechten in einzelnen zu gestaltenden Themenfeldern. Diese Form von Mitbestimmung war tendenziell reaktiv, autokratisch repräsentativ und das Element der direkten Demokratie war schwach. Unter den damaligen Bedingungen war diese traditionelle Mitbestimmung professionell und leistungsfähig. In Zeiten von Digitalisierung, des Umbaus von Wertschöpfungsketten und des Einzugs agiler Arbeits- und Führungsmethoden stößt sie jedoch an ihre Grenzen. Die Konsequenz: Mitbestimmung selbst muss heute agiler werden. Konkret: Sie muss sich in ihrer Arbeit prozessual organisieren, sie muss Prozesse gestalten können, sie muss sich in der Projektarbeit bewähren, und sie muss der betrieblichen Öffentlichkeit attraktive Formen der Information, der Beteiligung und der direkten Demokratie anbieten. Da Mitbestimmung viel mehr ist als allein das Handeln der Betriebsräte, liegt der Fokus ihrer Modernisierung in der Neugestaltung der Interaktion zwischen Management, Betriebsrat und Beschäftigten. Es geht im Kern also um eine andere Mitbestimmungskultur.
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Gerst, D. (2020). Mitbestimmung in digitalen und agilen Betrieben – das Modell einer prozessualen partnerschaftlichen Konfliktkultur. In: Bader, V., Kaiser, S. (eds) Arbeit in der Data Society. Zukunftsfähige Unternehmensführung in Forschung und Praxis. Springer Gabler, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-32276-2_3
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