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Die Vertiefung der Globalisierung und das Fortschreiten der „Belt and Road Initiative“ haben zu einer immer enger werdenden Kommunikation zwischen China und anderen Ländern geführt. Der Bedarf an mehr und besserem Verständnis für das Ausland hat in China stark zugenommen. Mit den neuen Medien sind neue Kommunikationsplattformen entstanden, die zahlreichen ausländischen Vloggern die Möglichkeit bieten, die eigene und die chinesische Kultur im Internet vorzustellen. Diese als „foreign internet celebrities“ bezeichneten Vlogger berichten auf Plattformen wie TikTok, Weibo und Bilibili über ihr Leben im Ausland oder ihre Erfahrungen in China und ziehen damit viele Follower an, die in der chinesischen Internetsprache als „Fans“ bezeichnet werden.

Die vorliegende Studie konzentriert sich auf die interkulturellen Interaktionen zwischen chinesischen und deutschen Internetnutzern und Vloggern auf Bilibili. Hierbei handelt es sich um ein Portal, dessen Nutzer hauptsächlich jüngere Menschen sind. Bei der am 26. Juni 2009 gegründeten Plattform Bilibili handelt es sich um eine bekannte chinesische Video-Website mit Screen Bullets, die die japanische Anime-Website niconico nachahmt. Anfangs wurden auf der Website Videos gezeigt, es ließen sich ACG-Werke (anime, comics, games) schaffen und teilen. Derzeit umfasst Bilibili mehr als 7000 Nutzerkreise multikultureller Gemeinschaften. Damit stellt die Plattform die größte trendige kulturelle Unterhaltungsgemeinschaft für junge Menschen in China dar. Daten Ende 2020 zeigten, dass über 86 % der monatlich aktiven Nutzer von Bilibili unter 35 Jahre alt sind. Im Jahr 2021 lag das Durchschnittsalter der Nutzer bei 21 Jahren, wobei die meisten neuen Nutzer in ihren 20ern sind. (Huoshaoyun shuju 2021) Angaben von Bilibili zufolge hatte die Plattform Mitte 2021 223 Mio. aktive Nutzer (Wang und Feng 2021). Für junge Menschen bietet sich auf dieser Plattform die Möglichkeit zu einem einzigartigen interkulturellen Austausch, der auch für eine große Zahl ausländischer Teilnehmer verlockend ist.

Videos auf Bilibili mit Bezug zu Deutschland und zum kulturellen Austausch zwischen Deutschland und China sind bei jungen Chinesen beliebt. Die chinesischen und deutschen Vlogger berichten über Dinge wie ihr persönliches Leben, das Erlernen der deutschen Sprache, den kulturellen Austausch und vieles mehr. Dadurch werden das Wissen und das Verständnis der jungen Chinesen über Deutschland vertieft. Im Allgemeinen erhalten deutsche Vlogger größere Aufmerksamkeit. Wie die hier vorgelegte Studie zeigt, können die Vlogger zahlreiche Diskussionen und Interaktionen auslösen. Das liegt daran, dass sie Deutsche sind, die in China oder Deutschland leben, als Einzelperson Konten auf Bilibili eröffnet haben und dort über ihre täglichen Erfahrungen und Gefühle berichten. Mit den Nutzern interagieren sie auf ganz verschiedene Art und Weise. Die meisten deutschen Vlogger verfügen über einen interkulturellen Hintergrund und haben nicht nur Erfahrungen mit dem Leben in Deutschland, sondern verfügen auch über kulturelle Erfahrungen in China. Viele ihrer Videos werden gleichzeitig auch auf ausländischen Plattformen wie Youtube verbreitet. Das ist sinnvoll, denn auf diese Weise erhalten mehr deutsche und chinesische Internetnutzer einen Zugang zu den Inhalten.

Die hier ausgewertete Studie verfolgte das Ziel, durch die Beobachtung der Interaktion zwischen deutschen Vloggern und jungen chinesischen Nutzern auf Bilibili folgende Fragen zu beantworten: Welche Merkmale stehen im Vordergrund, wenn deutsche Vlogger über chinesische und deutsche Kultur berichten? Welche Rolle spielen diese Merkmale? Welche Kommentare geben die chinesischen Nutzer dazu ab und was für ein Kulturbewusstsein spiegelt sich in diesen Kommentaren?

1 Forschungsstand

Auf der Grundlage der Entwicklung der Internettechnologie und mit dem Aufkommen der sozialen Online-Medien seit dem Beginn des neuen Jahrhunderts hat sich der chinesisch-deutsche Kulturaustausch von Offline- auf Online-Medien ausgeweitet. Zwischen 2011 und 2012 eröffneten viele deutsche Einrichtungen wie die Deutsche Botschaft in China, das Goethe-Institut China und der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) in China Weibo- und WeChat-Konten für den Online-Austausch.

Gleichzeitig wurde mit dem rasanten Ausbau des Deutschunterrichts für junge Menschen der kulturelle Austausch zwischen Deutschland und China ausgeweitet. Laut der Untersuchung „Deutsch als Fremdsprache weltweit 2020“ hat sich in den fünf Jahren zwischen 2015 und 2020 die Zahl der Deutschlerner an Schulen und Hochschulen sowie in der Erwachsenenbildung in China fast verdoppelt. Vor allem an Grund- und weiterführenden Schulen hat die Zahl der Deutschlerner deutlich zugenommen. (Auswärtiges Amt 2020)

Für die jungen Menschen der sog. „Generation Z“Footnote 1 sind die sozialen Online-Plattformen auch ein wichtiges Instrument für kulturellen Austausch und Weiterbildung. Aus diesem Grund konzentriert sich die Interaktion zwischen China und Deutschland für sie immer mehr auf Online-Plattformen für soziale Medien wie Bilibili. Obwohl in der Vergangenheit einige Studien aus einer Makroperspektive die Bedeutung der Akteure im deutsch-chinesischen Kulturaustausch hervorgehoben und die Bedeutung verschiedener sozialer Plattformen und vielfältiger Kommunikationsmethoden betont haben, wurde der konkreten empirischen Untersuchung der deutsch-chinesischen interkulturellen Kommunikation in den neuen Medien bisher nur wenig Aufmerksamkeit gewidmet. Insbesondere fehlt es an aktuelleren Untersuchungen zur kulturellen Interaktion zwischen China und Deutschland unter den jungen Menschen. Unter den Studien, die sich mit ausländischen Vloggern in China beschäftigen, finden sich nur wenige, die die deutschen Vlogger als Ausgangspunkt für eine Untersuchung im Kontext der neuen Medien nehmen. Die vorliegende Studie, in der diese Vlogger als „ausländische Internet-Berühmtheiten“ bezeichnet werden, verwendet ein funktionalistisches Forschungsparadigma, das die Konzepte der internationalen Kommunikation, des nationalen Images und der kulturübergreifenden Kommunikation miteinander kombiniert. Besonderer Wert wird dabei vor allem auf die Art und Weise der Kommunikation und den Einfluss der Vlogger gelegt, um deren Rolle bei der chinesischen und ausländischen kulturellen Kommunikation zu erläutern. Wie Zhu Hua betonte, sollten die Medien das Kommunikationspotenzial von Ausländern in China nutzen, um Chinas Stimme zu verbreiten und sein Image zu fördern (Zhu 2015). Du Guodong wies darauf hin, dass „foreign internet celebrities“ die Kluft zwischen China und dem Ausland überbrückt haben und dass „der kluge Einsatz dieser über China informierten Meinungsführer dazu beitragen kann, eine Gruppe von ,ausländischen Stimmen‘ ,,,ausländischen Autoren‘ und ,ausländischen Köpfen‘ heranzubilden, die in kritischen Momenten für China eintreten und ggfs. ihre Stimme erheben.“ (Du 2019) Nach einer Analyse der Eigenschaften der Vlogger und der Inhalte ihrer Videos betont Wang Guohua ihre wichtige Rolle für die „Konstruktion eines China-Bildes aus der Perspektive des ,Anderen‘, die Diskussion zwischenstaatlicher Themen und die Vermittlung der chinesischen Kultur“. (Wang et al. 2018)

Ausländische Vlogger posten Videos meist auf verschiedenen Plattformen. In Studien wird daher i. d. R. nicht nach einzelnen Plattformen unterschieden. Vielmehr wird meist ein bekannter ausländischer Vlogger als Beispiel herangezogen, um an seinem Beispiel eine Inhalts- und Textanalyse zu bestimmten Videoinhalten durchzuführen. Zheng Erjin wählte in seiner Masterarbeit beispielsweise fünf ausländische Internet-Berühmtheiten aus fünf Ländern aus, die mehr als 70 Mio. Aufrufe erreicht hatten. Dabei wurde u. a. festgestellt, dass die Inhalte der Kurzvideos der Vlogger sich durch einen China-Bezug sowie ihre Vielfalt und Objektivität auszeichneten. (Zheng 2019) Cai Yuyun untersucht ebenfalls am Beispiel der „Waiguoren yanjiu xiehui“ die narrative Strategie und den Rahmen ihrer professionellen Videos und macht klar, dass die Präsentation positiver Geschichten über China den psychologischen Bedürfnissen der chinesischen Nutzer entsprechen. (Cai 2018) Weitere Studien setzen sich mit Fragen der Ideologie und der Identitätspolitik auseinander.Footnote 2

Die vorhandenen Studien bieten einen Überblick über die ausländischen Vlogger und stellen einen Rahmen für Überlegungen zu den Inhalten ihrer Videos dar. Da die Popularität dieser Vlogger weiter im Anstieg begriffen ist, bisherige Studien jedoch weitgehend deskriptiv arbeiten, bedarf die Erfassung der Bedeutung ausländischer Vlogger und der neuen Funktionen der Medienplattform Bilibili für die interkulturelle Kommunikation einer weiteren Untersuchung.

2 Theoretischer Rahmen

Auf der Grundlage bestehender Forschungen zielt diese Studie darauf ab, die Interaktion zwischen deutschen Vloggern und jungen Chinesen auf Bilibili aus der Perspektive der interkulturellen Kommunikation zu betrachten und Merkmale des deutsch-chinesischen Kulturaustauschs im Zeitalter der neuen Medien aufzuzeigen.

Interkulturelle Kommunikation ist ein interdisziplinäres Wissenschaftsfeld, das sich mit den Einflüssen von Kultur auf die Kommunikation (und umgekehrt von Kommunikation auf Kultur) befasst, insbesondere auf den Kommunikationsprozess und seine Regeln, wenn Kultur staatliche, regionale und individuelle Grenzen überschreitet. Sie bietet auch eine Forschungsperspektive auf Beziehungen zwischen unterschiedlichen Kulturen und zeigt den Prozess des Entstehens von neuem Wissen aufgrund des Verständnisses verschiedener Kulturen füreinander, ihrer Zusammenarbeit und Koexistenz und des gemeinsam erreichten Wissensstands. (Jiang 2016)

In aktuellen Studien zur interkulturellen Kommunikation ist die Rolle der neuen Medien bzw. der neuen Technologien notwendigerweise ein Thema. Insbesondere die „zufällige“ Popularität von Li Ziqi im Jahr 2019 auf sozialen Online-Plattformen im Ausland stieß zahlreiche Diskussionen über (inter)kulturelle Kommunikation und die technischen Merkmale von Online-Plattformen an. Dabei lautet die primäre Forschungsfrage, wie die Kommunikationstechnologie die Prozesse und die Theorie der interkulturellen Kommunikation zwischen Menschen mit unterschiedlichem kulturellem Hintergrund beeinflusst. Robert Shuter hebt in dem Zusammenhang gleichzeitig drei zentrale Forschungsbereiche hervor: Wie beeinflusst Kultur die Nutzung der neuen Medien beim Verhalten in der sozialen Interaktion; wie verändern die neuen Medien die Kultur; wie wirken die neuen Medien sich auf bestehende Theorien der interkulturellen Kommunikation aus. (Chang und Li 2021) Laut Chen Guo-Ming umfasst dieses neu entstehende Forschungsfeld drei Dimensionen: den Einfluss nationaler und ethnischer Kulturen auf die Entwicklung der neuen Medien, den Einfluss der neuen Medien auf kulturelle und soziale Identitäten und den Einfluss der neuen Medien (insbesondere der sozialen Medien) auf verschiedene Aspekte der Interkulturalität. (Chen 2012) Xiao Jun blickt auf die Entwicklung der Theorien der interkulturellen Kommunikation bei den neuen Medien zurück und konzentriert sich dabei auf folgende Themen: die sich vom Nationalstaat zur Netzwerkgesellschaft verschiebenden Grenzen der interkulturellen Kommunikation, die Heterogenität und Vielfalt des Subjekts sowie des Objekts in der interkulturellen Kommunikation, die Art und Weise von Kommunikation innerhalb der Medienkonvergenz, nämlich das Teilen, Interagieren und Erneuern, und die Bedeutung der kulturellen Wahrnehmung als digitale Renaissance während der Kommunikation. (Xiao 2018) Diese Diskussionen liefern wichtige Anstöße für die weitere Forschung zur interkulturellen Kommunikation im Zeitalter der neuen Medien.

Kulturelle Unterschiede in der interkulturellen Kommunikation und nationale Identität sind zwei weitere wichtige Konzepte für die Analyse in der vorliegenden Studie. In der Praxis der interkulturellen Kommunikation hat die Beschäftigung mit kulturellen Unterschieden eine lange Tradition. Vor allem wird Geert Hofstedes Theorie der Kulturdimensionen oft herangezogen, um östliche und westliche Kulturen miteinander zu vergleichen und einander gegenüberzustellen. Um kulturelle Unterschiede zu verstehen, schlägt Hofstede weitere kulturelle Werte vor wie Machtdistanz, Männlichkeit oder Weiblichkeit, Unsicherheitsvermeidung und lang- und kurzfristige Lebensorientierungen. (Martin und Nakayama 2019) In der vorliegenden Studie wird versucht, die Darstellung der chinesischen und deutschen Kultur in den Videoinhalten der deutschen Vlogger auf diejenigen Dimensionen der Kultur hin zu untersuchen, die häufig durch traditionelle kulturelle Unterschiede geprägt werden.

Aus der Perspektive der interkulturellen Kommunikation existieren verschiedene kulturelle Gemeinschaften. Ihre Mitglieder interagieren mit der Außenwelt auf der Grundlage dieser Identität. Eine bestimmte Identität angenommen zu haben bedeutet, eine bestimmte Rolle und einen bestimmten Verhaltenskodex akzeptiert zu haben, der das eigene Verhalten leitet und prägt. Nationale Identität ist gekennzeichnet durch eine konstruierte, kollektive Identität, die auf gemeinsamen kulturellen und politischen Elementen beruht und die geistige und emotionale Zugehörigkeit der Mitglieder der ethnischen Gemeinschaft widerspiegelt. (Sun 2015) Das Verständnis zur nationalen Identität muss auch in der Zusammenschau mit dem Nationalismus gesehen werden, um die Ansprüche und den Einfluss des Nationalismus als politische Kraft und die damit verbundenen Konnotationen von Sprache, Emotionen und Symbolen zu berücksichtigen. Das Konzept der nationalen Identität stellt für die Untersuchung der kulturellen Wahrnehmung der deutschen Vlogger durch junge Chinesen auf Bilibili einen wichtigen analytischen Rahmen dar.

3 Forschungsmethoden

Die in diesem Artikel untersuchten deutschen Vlogger sind Deutsche, die Originalvideos mit Bezug zur deutschen Kultur auf Bilibili posten und die durch Text oder Sprache mit den Nutzern interagieren. So ist die einzige Deutsche unter den 100 Top-Vloggern des Jahres 2020 auf Bilibili – mit mehr als sechs Millionen Abonnenten – „Pamela Reif“. Ihre Videos sind indes professionelle Fitnessvideos, die meist direkt von ihrem Youtube-Kanal auf Bilibili gepostet werden. Da sie kein Chinesisch spricht und nicht mit den Nutzern interagiert, wird sie in dieser Untersuchung nicht berücksichtigt.

Es gibt keine offiziellen Daten über die Anzahl der deutschen Vlogger auf Bilibili, ebenso fehlen Daten über die Rangfolge der deutschen Vlogger nach der Anzahl ihrer Follower. Durch eine Suche nach Videos auf Bilibili und die Berücksichtigung anderer Social-Media-Plattformen wie Zhihu und Weibo wurden für die vorliegende Studie elf deutsche Vlogger mit einer großen Anzahl von Followern auf Bilibili gefunden. Aufgrund ihrer Fan-Aktivitäten, der Relevanz ihrer Inhalte und der Häufigkeit der Aktualisierungen wurden die folgenden fünf Vlogger repräsentativ näher untersucht: Afu Thomas, Deutscher Leo Leboshuo (德国人Leo乐柏说), Deutscher Tao Yuanming (德国陶渊明)Footnote 3, Hey_Tobi und Baohu Yeboluo (保护野菠萝).

Wir nehmen eine Inhaltsanalyse und eine Textanalyse der Videos dieser fünf Vlogger vor, um die inhaltlichen Merkmale der interkulturellen Kommunikation deutscher Vlogger zu untersuchen (Tab. 1).

Tab. 1 Details zu deutschen Vloggern.

Ein hohes Maß an Interaktivität ist ein wichtiges Merkmal der sich auf soziale Medien stützenden interkulturellen Kommunikation. Screen Bullets und Kommentare stellen auf Bilibili eine wichtige Art der Interaktion zwischen Vloggern und Nutzern sowie zwischen den Nutzern untereinander dar. Ursprünglich handelt es sich bei „Screen Bullets“ um einen militärischen Begriff. Heute bezieht er sich hauptsächlich auf eine Form der Interaktion, bei der Internetnutzer beim Ansehen der Videoseiten ihren eigenen Kommentar in Echtzeit senden. In den letzten Jahren wählte Bilibili auf der Grundlage von Screen Bullets-Daten ein „Screen Bullet des Jahres“ – ein Element der Bilibili-Kultur. Aus einer großen Anzahl von Videos werden in dieser Studie für jeden Vlogger die beiden Videos mit den meisten Aufrufen eingehender analysiert. Es wird eine Textanalyse der Screen Bullets und Kommentare dieser zehn Videos durchgeführt, um die Merkmale der Interaktion zwischen Nutzern und Vloggern zu untersuchen und zu ermitteln, wie die Nutzer die kulturellen Unterschiede zwischen China und Deutschland wahrnehmen (Tab. 2).

Tab. 2 Die beiden Top-Videos von fünf Vloggern.

4 Forschungsergebnisse

4.1 Merkmale der Videos deutscher Vlogger

In der vorliegenden Studie werden die Inhalte der Videos deutscher Vlogger in sechs Hauptkategorien unterteilt: Chinesische Kultur/chinesisches Leben/Wissen: Einführung in die Kultur, Erfahrung und Bewertung in Bezug auf China; deutsche Kultur/deutsches Leben/Wissen: Einführung in die Kultur, Erfahrung und Bewertung in Bezug auf Deutschland; Essen: chinesische und deutsche Erfahrungen und Vorstellungen mit Bezug auf das Essen; chinesisch-deutscher/westlicher Vergleich: Vergleich von chinesischer und deutscher oder chinesischer und ausländischer Kultur; Wissensaustausch: Themen wie z. B. Einführung in aktuelle Angelegenheiten, Kommentare zu Ereignissen, Zuständen und Verhaltensweisen und Fragen der Nutzer, die sich nicht auf Deutschland beziehen; andere: persönliches Leben des Vloggers, Stimmungen und andere Inhalte ohne Bezug auf chinesische und deutsche Kultur.

Bei den fünf Vloggern handelt es sich durchweg um ganz normale Deutsche, die mit Chinesen bzw. Chinesinnen verheiratet sind. Afu Thomas und Deutscher Leo Leboshuo leben in China. Die anderen drei leben in Deutschland, ihre deutsche Identität ist an ihrem Namen oder an den Titeln ihrer Videos deutlich erkennbar. Sie alle sprechen fließend Chinesisch und nehmen ihr Leben in Deutschland oder China mit der Kamera auf, wobei sie großen Wert auf persönliche Eigenheiten legen. Sie führen die chinesischen Follower bewusst in die deutsche Gesellschaft und Kultur ein, teilen aber auch Erfahrungen mit, die sie als Deutsche in China gemacht haben. Die Vlogger sprechen über ihre Ansichten zu verschiedenen Dingen in China, ein großer Teil der Videos beschäftigt sich mit dem chinesischen Essen, es gibt einführende Bemerkungen und Erfahrungsberichte. Bei der Behandlung kultureller Unterschiede zwischen China und Deutschland werden diese in der Regel eher unterhaltsam dargestellt, ohne die tieferen kulturellen Elemente dahinter zu analysieren. Auf das politische System wird kaum eingegangen (Tab. 3).

Tab. 3 Kategorien der Videoinhalte

Jeder Vlogger konzentriert sich mit großem persönlichem Engagement auf eine bestimmte Art von Inhalten und versucht, sich in unterschiedlichen Formen zu äußern. Einige konzentrieren sich auf die Erfahrung, als Deutscher in China zu leben, so z. B. „Afu Thomas“. Andere behandeln das gesellschaftliche Leben in Deutschland, dazu gehören etwa „Deutscher Leo Leboshuo“, „Baohu Yeboluo“ und „Hey_Tobi“. Wieder andere wie z. B. „Deutscher Tao Yuanming“ konzentrieren sich auf Lebensmittel. Afu Thomas nennt sich selbst „Afu“ und „Schwiegersohn in Shanghai“. In seinen frühen Videos nannte er sich „a fat foreigner“, imitierte die chinesische Vloggerin Papi Jiang und spielte in einem Video mehrere Rollen. Dabei bediente er sich des Mandarin und des Dialekts von Shanghai und erzählte von seinem täglichen Leben als ein eingeheirateter Schwiegersohn. Über seine Erfahrungen in China hat Afu auch ein Buch in deutscher und chinesischer Sprache veröffentlicht, das den Titel trägt Und täglich grüßt der Tigervater: Als deutscher Schwiegersohn in China. (Derksen 2019) Baohu Yeboluo ist Deutsche, hat einen chinesischen Ehemann und ist seit 2020 auf der Plattform Bilibili vertreten. Zu ihren fünf meistgesehenen Videos gehören beispielsweise Quick Q&A zu Themen wie Bildung, Einkommen, Verkehrsregeln und Mutterschaftsurlaub in Deutschland, eine Einführung in die deutsche Politik zur Corona-Pandemie sowie eine Diskussion über den Brexit. Die angeführten Beispiele dieser Vloggerin zeichnen sich durch ein hohes Maß an Fachwissen aus.

In vielen der Videos geht es um das Essen. Eine wichtige Rolle spielen dabei die unterschiedlichen kulturellen Erfahrungen, die man beim Essen macht. Die Kommentare der Vlogger zum chinesischen Essen lösen immer wieder lebhafte Diskussionen aus. Die Bedeutung des Essens als Mittel des kulturellen Austauschs wird seit der Ausstrahlung der chinesischen Fernsehserie A Bite of China immer wieder erwähnt, auch Bilibili ist da keine Ausnahme. Viele berühmte ausländische Vlogger wie z. B. „Ich bin Jerry Guo“ wurden dank zahlreicher Videos über chinesisches Essen auf Bilibili recht beliebt. Die Essensvideos von deutschen Vloggern bieten im Wesentlichen eine deutsche Perspektive. Während man die Speisen sieht, werden Fragen des Essens und des kulturellen Austauschs thematisiert wie z. B. Essenserlebnisse (insbesondere für Deutsche, die verschiedene Geschmacksrichtungen der chinesischen Küche probieren möchten), das Kochen und Besuche von Restaurants. In dem Video mit dem Titel „Deutscher Schwiegervater hatte früher ein Problem mit Schweinefüßen, jetzt isst er Schweinefüße in Sojasauce geschmort, das schmeckt so gut!“ schildert „Deutscher Tao Yuanming“ die Erfahrungen einer Frau aus Sichuan beim Essen mit deutschen Schwiegereltern. Die lustigen Kommentare der deutschen Schwiegereltern über chinesisches Essen sind die Höhepunkte des Videos. So heißt es z. B. „Deutscher Schwiegervater isst zum ersten Mal gewürztes Hähnchen mit Chilisauce, sein Mund ist taub, aber er will es weiter essen: Warum brennt es mir im Mund?“ oder „Der deutsche Schwiegervater isst chinesische Chili-Sticks; es ist scharf, teuflisch scharf; kann er das aushalten?“. Die dazu abgegebenen Kommentare sind überwiegend positiv.

Erfahrungen aus dem Alltag in China sind ein weiterer wichtiger Inhalt der Videos. Viele der Vlogger haben in China gelebt oder sind dorthin gereist. Aus der Perspektive eines Dritten werfen sie einen frischen Blick auf das chinesische Alltagsleben. Das meistgespielte Video von Afu Thomas („Ich gebe dem Fahrer 20.000 RMB Trinkgeld und bitte ihn, mich in seine Heimatstadt zu bringen“) wurde beispielsweise mehr als drei Millionen Male aufgerufen. In diesem Video nimmt Afu zufällig ein Taxi und folgt dem Fahrer Zhou auf seiner 700 km langen Fahrt zurück in seine Heimatstadt, wobei Afu Zeuge des Wiedersehens des Fahrers mit seiner Familie wird. Während der Fahrt unterhält er sich mit Zhou und erfährt dabei viel über das Leben eines Taxifahrers. Gezeigt wird der Alltag eines normalen chinesischen Fahrers, über den auch viele Chinesen möglicherweise wenig wissen. Deutscher Leo Leboshuo nennt sich Lebo, seine Frau kommt aus Qingdao, und seine Videos zeigen oft Reisen und den Alltag in China. In dem Video „Entdeckung eines Deutschen: Woher kommt das Gemüse in Pekings kleinen Gemüsemärkten?“ folgt Lebo einem Kumpel vom Gemüsemarkt um ein Uhr morgens auf den Gemüsegroßmarkt auf der Pekinger Dayang-Straße, um Gemüse zu kaufen und die Verkäufer über den Gemüsegroßmarkt zu befragen. Kauf, Verkauf und Interaktion mit Menschen auf dem Markt werden von Lebo in seinem Video umfassend dargestellt.

Als Deutsche müssen die Vlogger auch die deutsche Kultur und das Leben in Deutschland behandeln. In den Videos über Deutschland geht es meist um Bildung, das tägliche Leben der Menschen und andere alltägliche Dinge. Tobi kommt aus Deutschland, ist mit einer Chinesin verheiratet und lebt überwiegend in Deutschland. In seinem Account „Hey_Tobi“ stellt er das tägliche Leben in Deutschland vor, so z. B. in seinem Video „Die Armen in Deutschland bekommen jeden Tag 100 RMB. Was können sie im billigsten Supermarkt in Deutschland dafür kaufen?“. Um ein ähnliches Thema geht es in dem Video „Wird Angeln in Deutschland mit 400.000 € bestraft?“ von „Deutscher Leo Leboshuo“. Dargestellt werden auch immer wieder Situationen in Deutschland im Zusammenhang mit aktuellen gesellschaftlichen Themen in China. So drehte Tobi zu Beginn der Corona-Pandemie Tobi mehrere sachkundige Videos, die sich mit falschen Vorstellungen über China und Chinas Umgang mit der Pandemie befassten. In dem Video „Tränen! Hinter den verkauften deutschen Masken stehen Herzen, die sich um China sorgen. Liebe kennt keine Grenzen.“ brachte Tobi seine Unterstützung für China aus deutscher Sicht zum Ausdruck. Als die Themen „Tangping“ (Ablehnung des gesellschaftlichen Drucks zu immer mehr Arbeit) und „996“ (Arbeiten von neun Uhr morgens bis neun Uhr abends an sechs Tagen die Woche) heftige Diskussionen in China auslösten, drehte Deutscher Leo Leboshuo das Video „Ist Tangping ablehnen dasselbe wie 996 annehmen? Nein! Die Möglichkeiten von Deutschen, Tangping zu vermeiden.“

Während Diskussionen über den Alltag häufig sind, erwähnen die Vlogger kaum jemals das politische System oder allgemeine politische Themen. Beim Vergleich zwischen chinesischer und deutscher/westlicher Kultur gehen sie vorwiegend von einer allgemeineren und nicht eurozentristischen Perspektive aus. Gegenüber neuen sozialen Phänomenen nehmen sie eine neutrale Haltung ein. In ihren Berichten zeigen sich die Vlogger China gegenüber sehr aufgeschlossen und bringen eine positive Einstellung zum Ausdruck. Sie verunglimpfen ihr eigenes Land dabei ebenso wenig, sondern stellen vielmehr die beiden Kulturen mit ihren Unterschieden gleichberechtigt nebeneinander und vermitteln geschickt einen Hintergrund, vor dem kulturelle Unterschiede leicht verstanden werden können. Dies gilt z. B. für das Video „Warum ist es für eine chinesische Frau umso schwieriger, einen Mann zu finden, je besser sie ausgebildet ist? In Deutschland ist das anders, warum?“ von Deutscher Leo Leboshuo. Ebenso ist es in dem Video „Chinesische Buffets in Deutschland und China, der Unterschied ist tatsächlich so groß!“ von Afu Thomas und in Hey_Tobis „20 % der positiven Patienten in Deutschland werden zu wandelnden Erregern? Ein Vergleich der Ausnahmen in China und Deutschland.“. Politische Diskussionen sind meist geschichtsbezogen und kommen ohne Bezugnahme auf ideologische Fragen aus. In Baohu Yeboluos Video „Deutsche Erinnerungen: Meine Großmutter kommt aus dem Sudetenland. Heute reden wir über den Zweiten Weltkrieg“ stellt er die persönlichen Erinnerungen seiner Großmutter dar und spart aktuelle politische Themen aus.

4.2 Interaktionen zwischen deutschen Vloggern und Bilibili-Nutzern

Wie sich aus der großen Zahl von Kommentaren und Screen Bullets ergibt, sind die Interaktionen zwischen deutschen Vloggern und Bilibili-Nutzern durchweg aktiv und positiv geprägt. Unter dem von den zehn gewählten Videos am häufigsten aufgerufenen Video „Ich gebe dem Fahrer 20.000 RMB Trinkgeld und bitte ihn, mich in seine Heimatstadt zu bringen“ stehen über 10.000 Kommentare. Das am wenigsten häufig aufgerufene Video „Quick Q&A: Lernen die deutschen Schüler die Geschichte des Ersten und des Zweiten Weltkriegs? Wie viel verdient Angela Merkel monatlich?“ hat immerhin noch mehr als 2000 Kommentare. Inhaltlich handelt es sich bei den Interaktionen meist um einen sachlichen kulturellen Austausch, Konfrontationen und abfällige Äußerungen kommen selten vor. Die Nutzer drücken ihre Neugier und Wissbegierde über die deutsche Kultur aus und unterrichten die Vlogger gern über vergleichbare Merkmale der chinesischen Kultur und persönliche Lebenserfahrungen. Sie sind meist aufgeschlossen gegenüber kulturellen Unterschieden und objektiv in ihrer Bewertung, erkennen den Wert der deutschen Kultur an und schätzen sie. Die Mehrheit der Nutzer äußert sich den deutschen Vloggern gegenüber freundlich und erkennt ihre Rolle als kulturelle Brücke zwischen Deutschland und China an. Einige sprechen sogar von „internationalen Freunden“.

Auf der inhaltlichen Ebene sind die Kommentare und Screen Bullets sehr vielfältig. Die Nutzer posten unmittelbar ihre Gedanken und Gefühle zu dem, was sie sehen, und tauschen sie wie Freunde untereinander aus. Insbesondere die Screen Bullets wirken noch viel direkter. In ihnen teilen die Nutzer den Vloggern ein Gefühl mit oder tauschen sich auch wie in einem Chat über die Inhalte des Videos aus, indem sie als Reaktion auf eine Äußerung oder das Verhalten eines Protagonisten im Video oft einfache Screen Bullets wie „er lacht gerade“, „hahahahahahaha“, „aaaaaaaaaa“ senden. In dem Video von „Deutscher Tao Yuanming“, „Deutscher Schwiegervater hatte früher ein Problem mit Schweinefüßen; jetzt isst er Schweinefüße in Sojasauce geschmort, das schmeckt so gut!“ sind die Screen Bullets sehr improvisiert und vielfältig. Jedes Detail im Video ist eine Quelle der Inspiration für die Absender der Screen Bullets. Einige Screen Bullets teilen dem Vlogger mit, wie die Schweineohren noch besser schmecken können. Andere loben die deutschen Schwiegereltern für ihre Reaktion, wieder andere empfehlen andere chinesische Gerichte. Schließlich gibt es noch unterschiedliche Meinungen und Kommentare wie „Ach, Sie können schon gut mit Stäbchen umgehen!“, „Kein Bier?“, „Will Schweinekopf essen“, „Die deutsche Schwiegereltern möchten von früh bis spät Chinesisch essen.“

In den Kommentaren ist der von den Nutzern ausgedrückte Inhalt etwas umfassender und reichhaltiger, zwei Arten von Inhalten stehen dabei im Vordergrund: zum einen der Austausch von persönlichen Gefühlen und Erfahrungen und zum anderen der Austausch von Wissen. Einerseits sind die Inhalte der Videos meist alltagsbezogen. Sie betreffen z. B. Erfahrungen in China und deutsche gesellschaftliche Kultur, was bei den Nutzern so gut ankommt, dass sie auch gern bereit sind, ihre Meinung über die Inhalte der Videos zu teilen. So sagt Fahrer Zhou in dem oben genannten Video „Ich gebe dem Fahrer 20.000 RMB Trinkgeld und bitte ihn, mich in seine Heimatstadt zu bringen“, er sei wegen seiner Arbeit lange nicht nach Hause zurückgekommen. Zhous Familie war gastfreundlich, das Kind war ein bisschen schüchtern und nahm das Geschenk von Afu (eine Schultasche) nur zögernd an. Ein Nutzer mit ähnlichen Erfahrungen kommentierte: Ich war als Kind auch von meinen Eltern getrennt und sehr introvertiert.

In einem Kommentar steht: „Als Afu dem Kind eine Schultasche schenkte, wollte es das Geschenk gern annehmen, fragte aber seinen Vater, ob es dies dürfe oder nicht. Es war erst sieben Jahre alt! Das Kind verhielt sich wie ich als ich klein war. Ich hoffe, dass es der Familie von Zhou in Zukunft immer besser geht und dass der Sohn in guten Verhältnissen aufwachsen wird… Afu, großartig!“ Ein Nutzer, der ebenso wie der Fahrer Zhou aus Jiangxi kommt, sagt: „Plötzlich muss ich weinen. Ich bin auch aus Jiangxi, und im nächsten Semester bin ich im Abschlussjahr. Seit Februar, schon über ein halbes Jahr, bin ich nicht mehr nach Hause zurückgefahren, weil ich gerade die Aufnahmeprüfung für das Masterstudium vorbereite. In der zweiten Hälfte des Jahres fahre ich vielleicht auch nicht. Ich vermisse meine Familie, beim Anblick des Videos kommen mir die Tränen.“

Interaktionen sind bei Videos über das Essen besonders ausgeprägt. Dort teilen die Nutzer mit Begeisterung ihre Koch- und Essenserfahrungen mit den Vloggern und vergleichen dabei chinesisches und westliches Essen. So z. B. in dem Video „Ein deutscher Kumpel wirbt so sehr für das chinesische Grillen, dass die Deutschen nicht nur nach dem Rezept fragen, sondern auch Chinesisch lernen möchten.“. In den Kommentaren erzählen viele Nutzer ausführlich vom chinesischen Grillen oder vergleichen die verschiedenen BBQ-Saucen miteinander.

Andererseits gibt es in den Berichten von deutschen Vloggern viele gesellschaftliche Themen, die unter den Nutzern intellektuelle Diskussionen und Interaktion über das Interesse am deutschen Leben oder an deutscher Kultur auslösen. In dem Video „Die Armen in Deutschland bekommen jeden Tag 100 RMB. Was können sie im billigsten Supermarkt in Deutschland dafür kaufen?“ erklärt Tobi, dass die Armen, die in Deutschland nicht arbeiten und Sozialhilfe in Höhe von 13 € täglich (das entspricht 100 RMB) erhalten. Er zeigt, was sie mit diesen 100 RMB im billigsten Supermarkt (Aldi) kaufen können. Die im Video dargestellten relativ günstigen Preise lösten unter den Nutzern eine rege Diskussion darüber und über den sozialen Wohlstand in China und Deutschland aus. Dabei kamen sehr unterschiedliche Haltungen zum Ausdruck. Manche bewunderten das deutsche Wohlfahrtssystem: „Die 13 € sind für Lebensmittel für Arbeitslose, der Staat bezahlt die Miete ohne Heizung. Man kann sagen, dass es in Deutschland nicht einfach ist, viel Geld zu verdienen, aber in Sachen Wohlstand sind die Deutschen viel weiter als wir.“ Manche wendeten sich aber auch gegen den Vlogger: „Ich bin seit fast sieben Jahren in Deutschland, es ist schon 2020, und wir Chinesen werden immer noch von dir verarscht? Niemand geht in den Supermarkt und kauft nur Kartoffeln und Brot. (…) Und die Waren in den deutschen Supermärkten sind nicht so schmackhaft wie in China.“ Manche gaben auch eine nüchterne Stellungnahme ab: „Es ist verständlich, dass die Lebenshaltungskosten umso niedriger und die Grundnahrungsmittel umso billiger sind, je besser ein Land entwickelt ist. Selbst innerhalb eines Landes unterscheidet sich die Kaufkraft von einem Ort zum anderen.“ Im Kommentarbereich diskutierten die Nutzer auch untereinander und führten weitere Details und persönliche Erfahrungen an, um ihren Standpunkt zu untermauern.

Die Meinungen in den Kommentaren sind nicht einheitlich, doch findet der interaktive Diskurs der Nutzer im Kommentarbereich in recht gemäßigter Form statt. Es gibt keine einseitigen extremen Äußerungen, sondern stets verschiedene Stimmen, die unterschiedliche Meinungen vertreten. Die meisten stehen den kulturellen Unterschieden zwischen China und Deutschland offen gegenüber und vergleichen sie nicht ohne Selbstbewusstsein. Einerseits sind sie auf vieles in China stolz, andererseits loben sie Deutschland für seinen hohen Entwicklungsstand. Dies ist z. B. in den oben erwähnten Videorezensionen zur Gastronomie und zum Sozialwesen zu erkennen. Nehmen wir etwa das Video „Deutsche Umzugskartons können fast 20 Jahre halten. Wie ist es mit chinesischen Kartons?“ Darin stellt Leboshuo die Langlebigkeit von Kartons aus deutscher Produktion vor und stellt sie chinesischen Kartons gegenüber, die nicht für eine lange Lebensdauer ausgelegt sind. Aufgrund dieses Vergleichs, der auch im Titel enthalten ist, löste das Video viele Kommentare darüber aus, was besser oder schlechter sei. Einige Nutzer lobten das deutsche Design als „präzise deutsche Handwerkskunst“: „Ich denke, es ist machbar, vor allem vor dem Hintergrund von zunehmenden Anforderungen an den Umweltschutz durch diese Art von Kartons Kosten für die Verwendung von Klebeband zu reduzieren“. Einige wiesen auch darauf hin, dass die deutsche Machart der Kartons für China nicht praktisch sei, da es „in Süd-China feucht und regnerisch ist. Pappkartons können einfach nicht zehn Jahre schimmelfrei bleiben, in der Regel sind daher Kunststoff-Boxen oder Kästen aus anderen Materialien besser“. Ein Nutzer kommentierte sehr instruktiv aus technischer Sicht: „Im Allgemeinen ist die Qualität des Zellstoffs, der für die Herstellung von Wellpappschachteln in China verwendet wird, nicht so gut wie die im Ausland, denn dort wird in der Produktion mehr Frischholz-Zellstoff verwendet. In China verwenden wir hauptsächlich recycelten Altpapier-Zellstoff. Durch Verwendung mehrschichtiger Wellpappe lässt sich eine gute Qualität erreichen. Recyceltes Altpapier kann als Rohstoff verwendet werden. Dessen Kosten sind sehr niedrig, das Verfahren ist umweltfreundlich.“ Einige Kommentare zeigen Ablehnung: „Troll-Video mit Troll-Schlagzeilen und Troll-Kommentaren. (…) Und deutsche hochwertige Pappschachteln mit Einwegkartons in China vergleichen, ist das interessant? Warum vergleichst du nicht elektronische Geräte miteinander?“ Doch gibt es auch Antworten auf solche Stimmen: „Wenn ich ein Video anklicke, möchte ich einfach etwas lernen, möchte sehen, welche guten Dinge es wert sind, verwendet zu werden. Es schadet nicht, sich zu informieren. Ich brauche kein Video, das beweist, wie groß und stark China ist. Wenn es im Ausland etwas gibt, das besser ist als in China, dann möchte ich darüber mehr erfahren. Auf das Lob von Ausländern zu warten ist, ehrlich gesagt, der Bürger eines großen Landes nicht würdig.“

Beleidigende Kommentare gibt es fast nicht, die meisten sind sachlich. Auch Kritik und Lob für China und Deutschland sind ausgewogen verteilt, die Kommentare enthalten nur selten blinde Wertschätzung für Deutschland oder den Westen. Chinesischer Nationalstolz ist in den Kommentaren deutlich erkennbar. Die meisten Nutzer sind gegenüber den deutschen Vloggern aufgeschlossen und halten sie offenbar für aufrichtig. Um ihre Zuneigung zu den deutschen Vloggern zum Ausdruck bringen, gaben einige Nutzer auch Kommentare ab wie: „Engstirnige Nationalisten, die solch edle Taten des Internationalismus nicht verstehen können“. „Lang lebe die große Solidarität der Völker der Welt!“.

5 Schlussbetrachtung

Der deutsch-chinesische Kulturaustausch in den sozialen Medien wird von Menschen dominiert. Dieser interkulturelle Austausch, der von deutschen Vloggern praktiziert wird, folgt dem deutschen Fokus auf chinesisches Leben und chinesische Kultur, wie er sich seit den 1980er Jahren u. a. in Reiseberichten manifestiert hat, und er nimmt dabei neue Züge an. (Kuang 2019)

Dabei geht es erstens um einen emotionalisierten Ausdruck des kulturellen Austauschs. Die deutschen Vlogger sind keine kulturellen Berühmtheiten, sondern ganz normale Menschen wie die Mehrheit der Bilibili-Nutzer. Ihre Videos sind persönlich, ihre Erzählungen über die chinesische und deutsche Kultur beruhen auf Erfahrungen aus dem täglichen Leben. Sie sind unterhaltsam, und die Vlogger interagieren oft durch Fragen und Antworten oder Interviews mit den Nutzern. Sie haben chinesische Partner und heben in ihren Videos gern ihre Verbundenheit mit China hervor, insbesondere ihre Gefühle als Schwiegersöhne oder -töchter von chinesischen Schwiegereltern. Dies tun sie oft mit der Darstellung von Gesprächen im Familienkreis und auf der Grundlage einer natürlich empfundenen Freundschaft China gegenüber. In den interaktiven Kommentaren teilen viele Nutzer im Wege freundschaftlicher Kommunikation auch gern ihre Erfahrungen mit. Die Unmittelbarkeit der Screen Bullets ermöglicht es den Nutzern, jederzeit ihre Gefühle auszudrücken und interkulturelle Kommunikation in einem entspannten Chat-Stil zu erleben.

Zweitens geht es um die Darstellung kultureller Unterschiede auf humorvolle Weise. Durch die Interaktion ist der Vergleich zwischen chinesischer und deutscher Kultur lustig und unterhaltsam. Viele Videos konzentrieren sich einerseits auf andersartige Erfahrungen mit dem Essen. Die Vlogger präsentieren dieses andersartige und ungewohnte Essenserlebnis oft mit übertriebener Mimik und lustigem Verhalten. Beispiele hierfür sind das Video „Chinesische Buffets in Deutschland und China, der Unterschied ist tatsächlich so groß!“ von Afu und das Video „Warum ist es für eine chinesische Frau umso schwieriger, einen Mann zu finden, je besser sie ausgebildet ist? In Deutschland ist das anders, warum?“ von Leboshuo. Diese Vergleiche kultureller Unterschiede befassen sich weniger mit der in herkömmlichen Vergleichen verwendeten Dimension der Werte und erfolgen selten aus einer westlich geprägten Perspektive. Sie sind in ihrer Herangehensweise an neue soziale Phänomene des täglichen Lebens sachlicher und neutraler.

Drittens geht es um eine kulturelle Wahrnehmung auf der Grundlage der Gleichberechtigung. In den meisten Interaktionen lassen beide Seiten eine Identifikation mit ihrer eigenen nationalen Kultur erkennen und bringen gleichzeitig Respekt für die andere Kultur zum Ausdruck. In ihren Videos sind die deutschen Vlogger gegenüber China freundlich und positiv, doch machen sie Deutschland auch nicht etwa schlecht, um den chinesischen Nutzern zu gefallen. Sie stellen die chinesische und die deutsche Kultur gleichberechtigt und selbstbewusst dar, vermitteln einiges intellektuelles Hintergrundwissen über die Lebensweisen beider Seiten und legen eine Lebensauffassung zugrunde, die beiden Seiten ihre Eigenheiten zugesteht. Dementsprechend ist die Mehrheit der Nutzer, was das Leben und die Entwicklung in China angeht, trotz gelegentlicher Kontroversen aufgeschlossen und zuversichtlich, sie sind offen für ein Lob für Deutschlands Stärken. Zugleich eint sie ein starkes Gefühl des Nationalstolzes. Der kulturelle Austausch zwischen beiden Seiten erheischt weder eine Selbstbestätigung durch die jeweils andere Seite noch stellt er eine „aufgeklärte“ Haltung, um die andere Seite mit der eigenen zu vergleichen, in den Mittelpunkt.

Da die Nutzer auf Bilibili noch immer ganz überwiegend junge Chinesen sind, konzentriert sich die vorliegende Studie nur auf die kulturellen Interaktionen zwischen deutschen Vloggern und chinesischen Nutzern und untersucht auf dieser Grundlage den deutsch-chinesischen Kulturaustausch. Es ist bedauerlich, bislang nicht mehr darüber zu wissen, ob und wie das deutsche Publikum die interkulturelle Kommunikation dieser deutschen Vlogger wahrnimmt. Derzeit haben einige der Vlogger ihre Videos auch auf YouTube gepostet und damit für Deutsche und internationale Nutzer zugänglicher gemacht. Die Resonanz hierauf ist jedoch noch gering und müsste in weiteren Studien untersucht werden.

Die korrespondierende Autorin (KA) ist Zhaoying Xu

Aus dem Chinesischen von Junyi Song