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Einfluss des Medienwandels auf die politische Öffentlichkeit

„Ein demokratisches System nimmt im ganzen Schaden, wenn die Infrastruktur der Öffentlichkeit die Aufmerksamkeit der Bürger nicht mehr auf die relevanten und entscheidungsbedürftigen Themen lenken und die Ausbildung konkurrierender öffentlicher, und das heißt qualitativ gefilterter Meinungen nicht mehr gewährleisten kann“. (Habermas 2021, S. 504)

Öffentlichkeit ermöglicht Bürger:innen gesellschaftlich relevante Themen gemeinsam wahrzunehmen, über gesellschaftliche Angelegenheiten zu reflektieren und an politischen Entscheidungen teilzuhaben. Sie kann als eine von Medien konstituierte kommunikative Infrastruktur angesehen werden. Mittels Medien können Interessen vor- und in den politischen Prozess eingebracht werden. Die Vermittlungsstruktur der modernen Gesellschaft war lange Zeit allein durch publizistische Medien geprägt. Mit dem Aufkommen neuer analoger und zeitlich linearer (Rundfunk-)Medien veränderte sich jeweils die öffentliche Kommunikation, aber sie wurde weiterhin vom Journalismus bestimmt. Nun sind neben die publizistischen Medien digitale Plattformen als neue Intermediäre getreten, die mit ihrer Vermittlungslogik auf Strukturen und Prozesse der Öffentlichkeit einwirken – mit weitreichenden Folgen.

Unabhängig von der Medientechnologie ist es für jede Form von Demokratie konstitutiv, dass der Zugang zur Öffentlichkeit allen offen steht, dass relevante Themen öffentlich sicht- und nachvollziehbar diskutiert werden. Gelingt dies nicht, weil die Aufmerksamkeit auf gesellschaftlich wenig relevante Themen gelenkt oder die öffentliche Debatte nur noch von einer Minderheit wahrgenommen wird, schadet das der demokratischen Verfasstheit (vgl. Habermas 2021, S. 504).

Dabei wird Öffentlichkeit als gemeinsam wahrgenommener und geteilter Themen-, Wissens- und Meinungshaushalt mittels Medien hergestellt, ist aber keine klar definierte Institution, sie ist auch keine ausgestaltbare Organisation, sie konstituiert und vollzieht sich in medial organisierten kommunikativen Prozessen. Im modernen, sozial differenzierten demokratischen Nationalstaat wurde Öffentlichkeit politisch und rechtlich mittels Medienpolitik ausgestaltet. Für die Presse existiert eine Marktordnung: Durch den freien Wettbewerb sollen gesellschaftliche Vielfalt und Pluralität entstehen. Der öffentliche Rundfunk hingegen wurde institutionell und programmlich auf gesellschaftliche Pluralitäts-, Vielfalts- und Ausgewogenheitsziele verpflichtet. Medien und Journalismus haben allgemeinen rechtlichen Anforderungen zu genügen: Sie nehmen eine öffentliche Aufgabe für die Gesamtgesellschaft wahr, sind der Wahrheit verpflichtet und müssen Informationen prüfen. Medienübergreifend hat sich eine publizistische Professionskultur mit eigenen Normen und Regeln etabliert, die die öffentliche Kommunikation maßgeblich bestimmt.

Plattformen als neue Intermediäre sind den publizistischen Medien zwar einerseits vergleichbar, da sie die Bereitstellung öffentlich relevanter Informationen durch Dritte ermöglichen. Andererseits erheben sie keinen Anspruch auf Themen- oder Meinungsvielfalt und wollen keine allgemeine Öffentlichkeit herstellen – sie agieren für den Erfolg ihres Geschäftsmodells, nicht für die Gesellschaft. Plattformen adressieren nicht an das Publikum, kontextualisieren nicht und wählen nicht aus, ermöglichen aufgrund ihrer Aufmerksamkeitslogik aber problematische Kommunikation – beispielsweise Hassrede oder Propaganda. Zahlreiche Wissenschaftler:innen postulieren ihre Besorgnis über die intransparente algorithmische Aufmerksamkeitslenkung auf den digitalen Plattformen und befürchten den abnehmenden Einbezug aller in gemeinsame gesellschaftliche Debatten. Die fehlende Trennung von öffentlichen und privaten Themen, die fehlende Kenntnis über Auswahl- und Bereitstellungskriterien von Mitteilungen auf Plattformen oder der Einsatz von Bots sind weitere Anlässe für Kritik (z. B. Dolata und Schrape 2022; Eisenegger et al. 2021; Saurwein et al. 2022; Seeliger und Sevignani 2021).

Der aktuelle Medienwandel beeinflusst die öffentliche Themen- und Meinungsvielfalt, den Zugang und die Nutzung von Informationen und damit den Meinungsbildungsprozess. Ein wachsender Teil der öffentlichen Kommunikation findet nun auf den global agierenden privaten Plattformen statt.

Der erfolgreiche Zutritt dieser neuen Akteure in den Medienmarkt hat zu einer Hybridisierung (Chadwick 2017) des Mediensystems geführt: Medien und Plattformen ermöglichen jetzt gleichermaßen die Bereitstellung von Themen und Meinungen, aber nach jeweils anderen Regeln und mit unterschiedlichen Öffentlichkeitsansprüchen. Dies tangiert die ökonomischen und legitimatorischen Grundlagen der publizistischen Medien, mit Folgen für die gesamtgesellschaftliche Kommunikationsordnung und die Öffentlichkeit.

Relevanz der Medien in der Demokratie

Medienvermittelte Kommunikation ist eine wichtige Voraussetzung für Demokratie. Demokratietheoretisch hat sich die Unterscheidung nach repräsentativen, deliberativen und partizipativen Ansätzen etabliert, die je unterschiedliche Ansprüche an Medien stellen.

  • Aus Sicht der repräsentativen Demokratie müssen Medien über relevante politische Entwicklungen berichten, damit die Bürger:innen politische Diskussionen zumindest mitverfolgen und die Meinungsbildung sowie getroffene Entscheidungen nachvollziehen können. Auf die Entscheidungen Einfluss nehmen können sie indirekt über einflussreiche Akteure oder über Meinungsumfragen, die von Entscheidungsträger:innen zur Kenntnis genommen werden. Anhand der Berichterstattung können sich Bürger:innen ein Bild von der Arbeit der gewählten Repräsentant:innen machen, auf das sie künftige Wahlentscheide stützen können. Kritisiert wird an diesem Medienverständnis, dass die Berichterstattung elitenorientiert ist und Minderheiten oft vernachlässigt werden. Medienberichterstattung ist hier ein top-down-Vermittlungsprozess in dem ein Dialog zwischen Bürger:innen und Politik fehlt.

  • Das deliberative Demokratieverständnis legt den Fokus auf den Meinungsfindungsprozess. Bürger:innen sollen an den Diskussionen teilnehmen und wichtige rationale Argumente in den Prozess einbringen. Medien sollen in diesem Demokratieverständnis den Austausch rationaler Argumente ermöglichen und objektiv berichten. Kritiker:innen dieses Ansatzes halten den Anspruch an die Rationalität für zu hoch, weil dadurch Diskussionen als uninteressant, als zu „trocken“ wahrgenommen werden (Min 2018, S. 4) und deshalb zu wenig Aufmerksamkeit erhalten.

  • Partizipative Demokratieansätze betonen den Einbezug der Bürger:innen in Diskussionen und Entscheidungsprozesse und postulieren den aktiven Austausch mit Entscheidungsträger:innen. Intermediäre wie die Plattformen ermöglichen nun neue Formen der medienvermittelten Partizipation, so dass auch Personen, denen der traditionelle Journalismus bisher kein Podium bot, die Öffentlichkeit über ihre Anliegen informieren und aktiv in den öffentlichen Diskurs eingreifen können.

Der Öffentlichkeitswandel geht sowohl mit einem Wandel der Medien als auch einem sich wandelnden Demokratieverständnis einher, das einen vermehrten Einbezug der Bürger:innen fordert. Publizistische Medien sind vor allem auf die Bedürfnisse der repräsentativen (Massen-) Demokratie ausgerichtet. Sie bevorzugen korporative und kollektive politische Akteure als Berichterstattungsobjekte und beziehen sich vor allem auf deren Vermittlungsanliegen. Verbunden mit einem entsprechenden gesellschaftlichen Wertewandel bildete sich in den 1960er-Jahren ein stärker deliberatives Demokratieverständnis aus, wobei auch hier der Fokus auf den Themen und Meinungen repräsentativer Akteure oder der Eliten lag. Als weitere Folge des Wertewandels verloren die traditionellen journalistischen Auswahl- und Darstellungsweisen der publizistischen Medien jedoch immer mehr an gesamtgesellschaftlicher Akzeptanz, ein Verlust, welcher sich im Kontext der Etablierung der Plattformen aktuell nochmals verschärft.

Plattformen ermöglichen neue, alternative Formen der Partizipation und des Austauschs und wirken mittelbar an der Herstellung von Öffentlichkeit mit – mit einem paradoxen Effekt: Sie erhöhen für Einzelne, Gruppen oder Organisationen die kommunikativen Teilnahmemöglichkeiten, die Möglichkeiten zur Artikulation. Zugleich tragen sie aber nicht zur Selektion und Bündelung (Aggregation) oder zur systematischen Einordnung und Bewertung des gestiegenen kommunikativen Inputs bei. Sie stärken somit zwar die Inputmöglichkeiten, was demokratisch positiv gewertet werden kann, erhöhen dadurch aber auch die kommunikative Komplexität auf Seiten der für die Informationsverarbeitung zuständigen Institutionen (Throughput) und auf Seiten des Publikums, welches die Informationen aufnehmen soll (Outcome): Die Nutzer:innen müssen sich in einer hochkomplexen Medienlandschaft mit zahlreichen Angeboten unterschiedlichster Qualität („high choice media environment“) selbst zurechtfinden (van Aelst et al. 2017). Die Meinungs- und Themenüberschüsse der Plattformen schwächen sogar die gesamtgesellschaftlichen Teilhabeoptionen, weil es an Ressourcen und Möglichkeiten fehlt, die gestiegene Komplexität kontinuierlich zu erfassen. Zur Bewältigung dieses Überschusses an Kommunikation setzen Plattformen zudem Algorithmen ein oder bedienen sich personalisierter Distributionsweisen. Sie lenken damit Aufmerksamkeit und beeinflussen die Nutzung – allerdings nicht nach dem Prinzip der gesellschaftlichen Relevanz, sondern entsprechend der Intentionen der die Plattformen finanzierenden ökonomischen Akteure und dem bisherigen Beteiligungs- und Nutzungsverhalten ihrer Nutzer:innen. Durch ausgewiesene Trend-Themen oder Nutzungsempfehlungen wird die Aufmerksamkeit auf Populäres und Abweichendes gelenkt, was auch Journalist:innen in ihrer Öffentlichkeitswahrnehmung beeinflusst (Muhle 2022).

Normativ und funktional ist Demokratie aber auf offene und gleiche kommunikative Zugangs-, Informations- und Nutzungsmöglichkeiten angewiesen. Dass Meinungen wie Themen mittels Plattformen nun von allen bereitgestellt werden können, scheint den Ansprüchen eines partizipativen Demokratieverständnisses besser zu entsprechen. Allerdings entstehen neue Herausforderungen für die Demokratie: Wie lässt sich die Vielzahl an Meinungen aggregieren? Welche Relevanz kann welchen Informationen zuerkannt werden? Wie lässt sich verhindern, dass sich zahlreiche Öffentlichkeiten konkurrenzieren? Erhalten gesellschaftsrelevante Themen noch genügend Aufmerksamkeit?

Media Matters: Medien und die Konstitution von Öffentlichkeit

Historisch hat sich das publizistische Mediensystem im Zuge des sozialen Wandels der Gesellschaft und aufgrund neuer Technologien und steigender Ressourcen (bspw. durch Werbeeinnahmen) ausdifferenziert (Gattungen) und ausgedehnt (Anbieter, Angebotsmenge). Es entwickelte sich dabei aber pfadabhängig aufgrund der journalistischen Berufskultur und medienpolitischer und rechtlicher Maßnahmen. Zwar differenzierte sich die Institution Journalismus aus und es entstanden immer mehr fachjournalistische Leistungsrollen (Ressorts), aber auch für Special Interest und Fachmedien gelten journalistische Regeln. Das differenzierte Mediensystem blieb somit vom Journalismus geprägt, es erweiterte jedoch die Formen der gesellschaftlichen Beobachtung, des spezialisierten Austauschs und die Formen der Beteiligung (Teilöffentlichkeiten entstanden, z. B. solche für soziale, politische, ökonomische oder Freizeitinteressen, vgl. Donges und Jarren 2019). Alle Journalist:innen stehen in wechselseitigen Beobachtungs- und Austauschbeziehungen und dies auf dem Informationsanbieter-, Medien- wie dem Mediennutzer:innenmarkt. Medien streben die Steigerung von Reichweite und Relevanz an, sie beziehen sich aufeinander, initiieren anhaltende kommunikative Prozesse. Themen und Meinungen diffundieren zwischen Medien, es werden wechselseitige Bezüge hergestellt („Inter-Media-Agenda-Setting“).

Im historischen Prozess konstituierte sich ein institutionelles Feld mit gemeinsamen publizistischen Normen und Regeln, das ein hohes Maß an Erwartbarkeit und an Vergemeinschaftung garantiert (Kiefer 2010). Die Öffentlichkeit der publizistischen Medien, von Luhmann (1995) als die „Realität der Massenmedien“ bezeichnet, begründet das Verständnis der Gesellschaft als „Mediengesellschaft“ (Imhof 2011) – weil die Medien maßgeblich für die gesellschaftliche Wirklichkeitskonstruktion wurden und sind. Die gemeinsam geteilte Öffentlichkeit an Themen und Meinungen ist eine Bedingung für die demokratische Teilhabe und Teilnahme an politischen Prozessen. Diese Prozesse sollen sich auf Fakten einer gemeinsam geteilten sozialen Wirklichkeit (Wissen) und auf dem Streit der Meinungen im Kontext der Bearbeitung von Problemen in der Politik abstützen. Der Bezug auf Fakten, deren Verknüpfung mit begründeten Meinungen und der Einbezug aller Gesellschaftsmitglieder in diese Prozesse sind wesentliche Voraussetzungen für die Legitimität politischer Entscheidungen und ihrer Institutionen (die sich je nach Demokratieverständnis in ihrer Ausprägung unterscheiden, siehe oben). Themen, Fakten, Meinungen, Akteure, Institutionen und Prozesse werden mittels der Medien sichtbar – neben gesellschaftlich geteilten und umstrittenen Vorstellungen macht ihre anhaltende Publikationstätigkeit zugleich Beziehungs- und somit Einfluss- und Machtstrukturen öffentlich (vgl. Neuberger 2015, S. 23; Jarren 2021). Die sozialen Selektions-, Einbezugs- und Konstruktionsleistungen der Medien sind allerdings von ihrer gesellschaftlichen Reichweite und Akzeptanz abhängig. Sie haben nur so lange und in dem Maße Bestand, wie „die Realität der Massenmedien als nicht hinterfragte, gemeinsame Welt erhalten bleibt“ (Hasse und Wehner 1997, S. 58).

Mit dem Markteintritt von Plattformen haben die publizistischen Medien das Selektions-, Thematisierungs- und Deutungsmonopol verloren und ihre zentrale Öffentlichkeitsposition eingebüßt. Plattformen repräsentieren allerdings ebenfalls nicht die öffentliche Meinung, sie publizieren Metriken (Follower:innen, Posts) und erwecken damit den Anschein von öffentlicher Relevanz (Muhle 2022), auch weil diese Daten in den Medien Beachtung finden (Fürst 2021). Zudem hat sich mit den Plattformen das öffentlich verfügbare Angebot an Meinungen, Themen und Mitteilungen aller Art vervielfacht, die Zuspielung der Beiträge an einzelne Nutzer:innen erfolgt jedoch intransparent.

Mit den Plattformen hat sich das mediale Vermittlungssystem, siehe oben, hybridisiert (Chadwick 2017): Es existieren nun verschiedene mediale Selektions-, Bereitstellungs- und Nutzungsregeln nebeneinander – die der Medien und die der unterschiedlichen Plattformen. Eine Folge ist, dass die kollektiv geteilte institutionelle Regelkenntnis zur medialen Vermittlung schwindet. Öffentlichkeit erscheint unübersichtlicher, widersprüchlicher und konfliktiver. Es kommt zu Kontroversen, was wo öffentlich publiziert werden darf. Zudem stehen unterschiedliche Wirklichkeitskonstruktionen nebeneinander: So wird die Berichterstattung der publizistischen Medien kritisiert („Elitemedien“), angegriffen („Lügenpresse“) oder sogar abgelehnt („Systemmedien“). Die Ordnung der publizistischen Medien wird in Frage gestellt, ihre Legitimität partiell bestritten.

Störungen der Kommunikationsordnung nehmen zu: Hate Speech, Fake News oder Propaganda, die über Plattformen verbreitet werden, erhalten Aufmerksamkeit, beeinflussen die gesamte mediale Agenda und die gesellschaftliche Diskurskultur. Die Phänomene werden aber nur dann zu einem allgemeinen Thema, wenn sie in der Berichterstattung der publizistischen Medien vorkommen. Weniger offenkundig und unmittelbar sichtbar sind jene Störungen, die die Wissensordnung betreffen: Auf Plattformen werden Fakten ohne Prüfung verbreitet. Auch die bei Medien übliche Unterscheidung zwischen Kommentar und Bericht oder die Trennung zwischen Redaktion und Werbung findet auf Plattformen kaum Beachtung. Und eine Ordnung für Beiträge, beispielsweise nach Gattungen oder Genres, kennen Plattformen ebenfalls nicht. Die Beliebigkeit der Plattformkommunikation vergrößert das bestehende Qualitätsproblem in der öffentlichen Kommunikation.

Darüber hinaus wird die bestehende Medienordnung von der Plattformkommunikation in elementarer Weise gestört, weil Plattformen keine öffentliche Aufgabe wahrnehmen wollen und sich nicht auf eindeutige Auswahl- und Bereitstellungsregeln verpflichten lassen – und weil sie keine allgemeine Öffentlichkeit anstreben. Sie entziehen sich wechselseitigen Austausch- und Bewertungsprozessen. Plattformen haben keine Redaktion, keine dauerhaften Publikumsstrukturen, keine Abonnent:innen, sie haben Nutzer:innen. Sie behaupten zwar Dienstleister ihrer Nutzer:innen zu sein, denen sie Informations- und Kommunikationsmöglichkeiten gewähren, verwerten aber deren Inhalte und die erhobenen Nutzungsdaten für ihre ökonomischen Zwecke. Tatsächlich agieren sie als Dienstleister für jene (werbetreibenden) Akteure, die sie bezahlen. Deshalb nehmen Plattformen Zufälligkeit und Beliebigkeiten von Meinungen oder Mitteilungen nicht nur in Kauf, sondern fördern diese, weil es für Traffic (Klicks) sorgt und sich ökonomisch auszahlt. Die traditionellen Medien erleiden in diesem Wettbewerb Reichweitenverluste im Publikums- und Werbemarkt. Der ökonomische Druck ist inzwischen so groß, dass aufseiten der klassischen Medien Anpassungsstrategien an die Plattformlogik verfolgt werden, beispielsweise bei der Online-Bereitstellung von Informationen (Aufmerksamkeitslogik). Diese Marktentwicklung hat einen Anstieg der Medienkonzentration, die Reduktion der Medienvielfalt und eine sinkende Anzahl fest angestellter Journalist:innen zur Folge. Die Öffentlichkeitsrelevanz publizistischer Medien schwindet.

Öffentlichkeit – eine (medien-) politische Gestaltungsaufgabe

Der Medienwandel beeinflusst die Struktur der Öffentlichkeit und damit auch jene politischen Prozesse, die für die Konstitution der Demokratie relevant sind. Sarcinelli (2020) hat auf die Gestaltungsbedürftigkeit von Öffentlichkeit hingewiesen. Deren Strukturen werden durch die Hybridisierung des Mediensystems komplexer, eine große Anzahl Teil- und Suböffentlichkeiten existieren nebeneinander, der Gesamtinklusionsgrad sinkt. Die Selektions- und Darstellungsprogramme der Medien verändern sich. Viele der Medien- und Kommunikationsregeln sind nicht mehr gesellschaftsweit bekannt. Laien und professionelle Vermittler:innen agieren auf den Plattformen, ohne dass die Absender:innen immer erkennbar sein müssen. Die Artikulationsmöglichkeiten steigen, die Chancen zur nachvollziehbaren Kontextualisierung, Aggregation und Bewertung von Interessenanmeldungen hingegen nicht. Metakommunikative und auf Inklusion angelegte Medienleistungen, von Journalist:innen als unabhängigen Dritten erbracht, werden allein aufgrund der Mengen- und Komplexitätszunahme in der öffentlichen Kommunikation, der zunehmenden Konflikte bezüglich der Relevanz von Themen oder der Richtigkeit von Aussagen und Meinungen schwieriger. Zudem bedarf es allgemein bekannter und genutzter Medien, damit viele Gesellschaftsmitglieder an diesen medialen Kritik- und Bewertungsprozessen Anteil haben können. Medienrepertoires werden jedoch vielfältiger und sind ungleich sozial verteilt. Ältere Nutzer:innen bevorzugen weiterhin traditionelle Medien, während die jüngeren Nachrichten vor allem via Plattformen rezipieren. Das hat Auswirkungen auf die Themenauswahl sowie die Tiefe, in der Inhalte rezipiert werden. Eine institutionelle kommunikative Sozialintegration wäre jedoch nötig, um wechselseitig Ungleichheitsrelationen und Gerechtigkeitsprobleme zu erkennen und diese dann (politisch) diskutieren zu können.

Der Hybridisierungsprozess im Vermittlungssystem birgt vor allem die Gefahr einer zunehmenden De-Institutionalisierung und somit Schwächung publizistischer Medien bezogen auf ihre Reichweite und ihre gesellschaftliche Akzeptanz als themen- und meinungsübergreifend agierende, inklusive öffentliche Institution. Ihre Outcome-Legitimität wird durch diese Abnahme der Bedeutung für ihr Publikum in Frage gestellt. Die Plattformen wiederum ermöglichen zwar vielfältige und auch neue Formen der Artikulation wie zum Beispiel Influencing, sodass von einer hohen Input-Legitimität gesprochen werden kann. Bezogen auf Selektion, Kontextualisierung und Bewertung bleiben ihre Leistungen allerdings sehr eingeschränkt. Und die rein numerischen Formen an Aggregation und Repräsentation wie Likes, Follower:innen oder Views, die zumeist auf nicht transparent erhobenen Daten basieren, aber dennoch Eingang in die Medienberichterstattung finden, sind auch aus demokratiepolitischen Gründen problematisch: Eine hohe Anzahl Klicks suggeriert, dass ein Thema relevant ist – die Klicks beruhen jedoch auf einem spontanen, oberflächlichen Verhalten, nicht auf einer Auseinandersetzung mit dem Thema. Zudem beziehen sie sich nur auf die Gruppe der jeweils Beteiligten, die auf diese Weise eine Öffentlichkeitsresonanz erzielen können (Fürst 2021).

Throughput- und Outcome-Prozesse sind in Demokratien rechtlich geregelt und erfolgen in definierten institutionellen Kompetenzen. So sind zum Beispiel Parlamentsdebatten öffentlich, so dass der Gesetzgebungsprozess nachvollzogen werden kann oder die Öffentlichkeitsarbeit der Verwaltung ist rechtlich geregelt, um rein persuasive Kommunikation einzuschränken. Auf Plattformen sind Mitteilungen und Meinungen der beteiligten Akteure jedoch zumeist Selbstaussagen, die keiner weiteren Prüfung unterliegen und erst durch Dritte kontextualisiert werden. Das können beispielsweise Partei- oder NGO-Vertreter:innen sein, doch diese agieren feld-, bereichs- oder nur fallspezifisch – und zumeist im eigenen Interesse. Vermittlung aber bedarf des Dritten (Beck und Donges 2021). Journalist:innen und Medien hingegen handeln als Dritte und bezogen auf einen öffentlichen Auftrag. Sie machen auf Themen aufmerksam und definieren Relevanzen, ihre Aufmerksamkeitssteuerung basiert auf einer anderen Logik als derjenigen, die als Beteiligte oder Betroffene agieren. Die Bereitschaft und Fähigkeit, eine allgemeine Öffentlichkeit herzustellen, setzt spezifische Institutionen und Organisationen sowie professionelle Rollenträger:innen voraus. Und diese müssen gesamtgesellschaftliche Akzeptanz finden, um Zahlungs- bzw. Nutzungsbereitschaft auszulösen. Dazu bedarf es informierter und medienkompetenter Bürger:innen.

Die Ausgestaltung der gewünschten demokratischen Form von Öffentlichkeit ist eine nationalstaatliche und demokratiepolitische Aufgabe von zentraler Bedeutung. Die von der EU beschlossenen Gesetze für digitale Märkte (DMA) und digitale Dienste (DSA) regeln den Wettbewerb und die Gefahrenabwehr, beispielsweise um Manipulationen durch die Verbreitung von Mis- und Desinformationen auf Plattformen zu verhindern. Aber die institutionelle (Aus-) Gestaltung der Medienordnung im demokratiepolitischen Sinne kann nur auf Stufe der Nationalstaaten erfolgen. Deren demokratische Verfasstheit ist von der Struktur der Öffentlichkeit und damit von den Medien wesentlich abhängig. Zwischen der politischen Ordnung, der Öffentlichkeit und der Medienordnung besteht ein Interdependenzverhältnis. Dem institutionellen Arrangement der Medien kommt damit eine besondere Bedeutung zu. Plattformen beinhalten – wie gezeigt – Input-Chancen, aber auch Selektions-, Vermittlungs- und Diskursrisiken; sie betreffen insbesondere Auffindbarkeit, Zuordenbarkeit von Mitteilungen, Kontextualisierung, allgemeine Beobachtbarkeit. Eine zukünftige Medienordnung sollte den funktionalen Besonderheiten bzw. Stärken der jeweiligen Medien Rechnung tragen. Dazu ist das Gesamtsystem der Medien in den Blick zu nehmen und bezogen auf seinen Beitrag zur Herstellung einer vielfältigen und auf Inklusion angelegten Öffentlichkeit zu regulieren (Institutionenmix).

Eine auf Interessensvermittlung ausgelegte Öffentlichkeit ist kein Ideal (…), sondern in pluralistischen Gesellschaften eine Existenzvoraussetzung jeder Demokratie, die diesen Namen noch verdient. Denn je heterogener die sozialen Lebenslagen, die kulturellen Lebensformen und die individuellen Lebensstile einer Gesellschaft sind, umso mehr muss das Fehlen eines a fortiori bestehenden Hintergrundkonsenses durch die Gemeinschaft der öffentlichen Meinungs- und Willensbildung wettgemacht werden“ (Habermas 2021, S. 481). Dies zu leisten, muss Aufgabe aller Medien sein. Entsprechend ist eine Medienordnung zu gestalten, zu der nun auch Plattformen gehören. Auch sie haben der öffentlichen Sache zu dienen.