Dieses Kapitel beschreibt die Weiterentwicklung des in Abschnitt 4.4 beschriebenen theoriebasierten Entwurfs des ersten Zyklus der Intervention. Hierbei werden weniger kleine Modifikationen der dort genannten Einzelmaßnahmen dargestellt, sondern im Wesentlichen zwei größere Veränderungen: Zum einen wurde modifiziert, welche Strategien bereits vor der Bearbeitung der Hausaufgaben zur Verfügung gestellt wurden (beschrieben in Abschnitt 6.1), zum anderen wurde ein auf die Universitätsmathematik zugeschnittenes Lernstrategietraining ergänzt (siehe Abschnitt 6.2). Die vorgenommenen Veränderungen haben sich aus Lehrerfahrungen, die der Autor in der Rolle eines Übungsgruppenleiters gesammelt hat, systematischen Rückmeldungen der anderen beteiligten Tutoren, sowie der in Kapitel 5 beschriebenen qualitativen Erhebung ergebenFootnote 1. In Abschnitt  werden einige Überlegungen zur Organisationsform der Präsenzübung in Abgrenzung zur Hausübung präsentiert und in Abschnitt 6.4 wird die Intervention zusammengefasst und reflektiert.

6.1 Bereitstellen von Strategien

Wie bereits in Abschnitt 4.4 angesprochen wurde, ist die Vorgabe von Heurismen seitens der Tutoren kritisch zu sehen. Zusätzlich zu den in Abschnitt 2.4.5 beschriebenen theoretischen Überlegungen hat sich dies auch in der Durchführung der Übungen gezeigt, bei denen die Studierenden zurückmeldeten, dass sie mit manchen der in Abschnitt 4.4 benannten Strategien nichts anfangen können. Nach genauerer Nachfrage berichteten sie, dass sie sich unter Ähnlichkeiten suchen und Variieren der Aufgabe auch am Ende des ersten Zyklus nicht viel vorstellen konnten. Diese Heurismen wurden zu Beginn des Semesters anhand von Beispielen eingeführt, sind aber bei der Bearbeitung der Hausaufgaben eher selten zum Tragen gekommen. Sicherlich ist bei größerem zeitlichem Aufwand ein Einüben denkbar, im vorliegenden Fall hat die Vorgabe aber eher zu Verwirrung geführt, als zu helfen. Darüber hinaus haben die qualitativen Aufgabenbeobachtungen bereits zu dem ZeitpunktFootnote 2 ergeben, dass die Aufforderung, nach Ähnlichkeiten zu suchen, die Aufmerksamkeit zu sehr auf die Vorlesungsunterlagen richtet, in denen sehr viele Informationen stehen, die für die Aufgabe nicht relevant sind. Das kann gerade Studierende, die die fachlichen Inhalte noch nicht gut verstanden haben, ablenken (vgl. Abschnitt 5.5.3). Es wurde beobachtet, dass diese sich eher auf oberflächliche Merkmale konzentrieren. Ein Student hat sich für den Beweis des Quetschlemmas sehr auf Äquivalenzrelationen konzentriert, weil die Transitivität der Beschreibung der mittleren Folge ähnelt.

Als Reaktion darauf wurde zunächst komplett auf das Bereitstellen von Strategien verzichtet, die nicht in der Zusammenfassungsphase als hilfreiche Strategien gesammelt wurden. Allerdings ist in der Folge einigen Tutoren unabhängig von einander aufgefallen, dass gerade zu Beginn des Semesters mehrere Studierende bei der Benennung von Schwierigkeiten in der Diskussionsphase Äußerungen wie: „Ich weiß gar nicht, wie ich anfangen soll“ tätigten. Um dem Abhilfe zu schaffen, wurde entschieden, in den ersten Semesterwochen auf diese Problematik einzugehen. Gemeinsam mit den Studierenden wurden Ideen gesammelt, wie man sich einem unbekannten Problem nähern kann, wenn man auf Anhieb keine Idee hat. Die hierbei auftretenden Strategien entsprechen im Wesentlichen den in Abschnitt 2.4.5 beschriebenen heuristischen Hilfsmitteln (z. B.. Begriffe klären, Voraussetzung und Behauptung systematisch festhalten, Darstellungswechsel etc.) sowie dem Betrachten von Beispielen, also solchen Heurismen, die in der Phase Understanding the Problem zum Tragen kommen. Einen guten Eindruck, wie die daraus resultierenden Tipps ausgesehen haben, vermittelt die Handreichung Hilfe zur Bearbeitung von Übungsblättern (Teil 2) in Anhang B, in der auch auf andere, bereits in Abschnitt 4.4 angesprochene Aspekte eingegangen wird. An dieser Stelle stellt sich die Frage, ob diese Art der expliziten Vermittlung ausgewählter Strategien nicht dem Prinzip des entdeckenden Lernens widerspricht. Wie aber in Abschnitt 2.4.1 diskutiert, ist selbstständiges Bearbeiten von Problemen nur dann sinnvoll, wenn eine Chance auf Erfolg besteht. Da die Studierenden hier aber schon Schwierigkeiten angemeldet haben, scheint diese Chance nicht bei allen gegeben zu sein. Eine Hilfestellung beim Verstehen der Aufgabe scheint angebracht zu sein. Darüber hinaus gelten die heuristischen Hilfsmittel als vergleichsweise leicht vermittelbar (vgl. König, 1992) und deren Nutzen ist schnell einzusehen (Bruder & Collet, 2011). Außerdem bergen diese weniger als andere Heurismen die Gefahr, dass sie zu sehr ablenken oder in eine falsche Richtung führen. So ist beispielsweise das Klären aller Begriffe fast immer notwendig zum Lösen eines Problems, und die Entscheidung, ob eine Skizze hilfreich sein könnte oder nicht, ist in der Regel schnell getroffen. Letzteres gilt auch für andere Darstellungswechsel und das Betrachten von Beispielen. Als Konsequenz daraus wurden zu Beginn des Semesters diese heuristischen Hilfsmittel vorgestellt. Darüber hinaus gab es weiterhin eine gemeinsame Vorbereitungsphase, in der die Tutoren beim Verstehen des Problems Hilfestellungen gaben (vgl. Abschnitt 4.4), die im Sinne des Fading Out (vgl. Abschnitt 2.4.3) im Laufe des Semesters zugunsten größerer Eigenaktivität der Studierenden abgebaut wurden. Die Erfahrung der späteren Zyklen zeigt, dass die Studierenden mit diesen Hilfestellungen gut umgehen konnten: Es wurden deutlich weniger Schwierigkeiten beim Einstieg in ein Problem genannt und am Ende des Semesters gaben die Studierenden an, dass sie mit den vorgegebenen Heuristischen Hilfsmitteln gut zurecht kamen. Die Wichtigkeit dieser Hilfsmittel im Problemlöseprozess wird in Abschnitt 5.5.5 deutlich.

6.2 Training von Lernstrategien

Bei der qualitativen Untersuchung (Kapitel 5) wurde festgestellt, dass gerade bei authentischen Übungsaufgaben das benötigte Vorwissen einen entscheidenden Einfluss auf den Erfolg des Problembearbeitungsprozesses hat, aber bei einigen Studierenden noch nicht hinreichend ausgebildet ist. Diese Erkenntnis hat dazu geführt, diesen Aspekt stärker in die Intervention mit einzubeziehen. Zwar wurde schon in den ersten Zyklen ein kurzes Training zum Lesen mathematischer Texte (siehe Abschnitt 4.4) durchgeführt, dieses war aber zu wenig auf die Anwendung im Bereich des Problemlösens bezogen und hatte eher die Organisation und Elaboration größerer Skriptabschnitte im Blick. Daher wurde eine Konzeption entwickelt, mit dem Ziel, dass die Studierenden für die Bearbeitung von Übungsaufgaben notwendiges Vorwissen selbstständig aufbauen können. Diese basiert auf den auf Abschnitt 2.3.1. beschriebenen Überlegungen von Prediger et al. (2011) zu Arten und Facetten des Wissens in der Mathematik, die bei der Einführung von neuen Begriffen (Definitionen) und Zusammenhängen (Sätzen) zu beachten sind. Neue Verfahren wurden an dieser Stelle ausgeklammert, da algorithmische Verfahren den Studierenden erfahrungsgemäß weniger Schwierigkeiten machen und nicht-algorithmische Verfahren über das ausführliche Beschäftigen mit Problemen abgedeckt waren. Auch die Facette der konventionellen Festlegungen wurde ausgespart, da sich die Studierenden in der Regel recht schnell an sie gewöhnen. Das Training bestand schlicht darin, dass die Studierenden bei neuen Definitionen und Sätzen (oder bei älteren, die noch immer Schwierigkeiten machten) dazu angeregt wurden, sich die drei Facetten des Wissens explizite Formulierungen, Konkretisierung und Abgrenzung und Bedeutung und Vernetzung (ebd. – vgl. Abschnitt 2.3.1) genau anzuschauen. Dies wurde in Form von vorgegebenen Fragestämmen (ähnlich der Pólya’schen Liste) getan. Die Fragen lauteten: Kann ich die Aussage in eigenen Worten wiedergeben (explizite Formulierung)? Welche Beispiele kenne ich? Kann ich selbst weitere Beispiele konstruieren? Kenne ich Gegenbeispiele/Nicht-BeispieleFootnote 3? Kann ich welche konstruieren (Konkretisierung und Abgrenzung)? Kann ich den Sachverhalt anders darstellen (Skizze, Tabelle, Graph, Gleichung etc.)? Zu welchen anderen Definitionen und Sätzen kann ich Verbindungen finden (Bedeutung und Vernetzung)? Diese Fragen wurden zum Teil vom Tutor demonstrativ beantwortet und zum Teil gemeinsam betrachtet. Auf Gruppenarbeit wurde aus Zeitgründen verzichtet. Größtenteils wurden die Studierenden aber dazu aufgefordert, sich selbst diese Fragen in Heimarbeit zu stellen und zu beantworten, und erst wenn es hierbei zu Schwierigkeiten kam, konnte der Tutor gefragt werden und der entsprechende Begriff oder Zusammenhang wurde gemeinsam thematisiert. Dadurch sollte die Eigenständigkeit gefördert werden und sichergestellt werden, dass die für die Bearbeitung der Übungsaufgaben notwendigen Grundlagen weitestgehend verstanden wurden.

In der oben beschriebenen Konzeption wurde das Betrachten von Beweisen ausgespart, da dieses anderweitig abgedeckt wurde: Aus Zeitgründen wurde in späteren Zyklen teilweise dazu übergegangen, zu den Aufgaben, die nicht ausführlich diskutiert wurden, Musterlösungen auszugeben. Dadurch war es nicht notwendig, in der Präsenzzeit eine Lösung zu präsentieren, die aufgrund des Zeitdrucks ohnehin kaum über das hinausging, was auch schriftlich kommuniziert werden konnte. Da die Art des Umgangs mit solchen Lösungsbeispielen für den hieraus resultierenden Lerneffekt entscheidend ist (Wittwer & Renkl, 2010) und das Verständnis von Beweisen eine große Rolle für die Vernetzung des Wissens spielt (vgl. Prediger et al., 2011, Liebendörfer et al., 2020), wurde das in Abschnitt 2.4.6 beschriebene Self-Explanation Training nach Hodds et al. (2014), das beim selbstständigen Nachvollziehen von Musterlösungen und Beweisen helfen kann, umgesetzt. Hierbei wurde den Studierenden ein Arbeitsblatt (siehe Anhang B: Hilfen zum Beweis-Verständnis) ausgehändigt, das die Prinzipien des Trainings beschreibt und diese anhand eines BeispielbeweisesFootnote 4 durchführt. Diese Prinzipien sollten zu Hause auf einen Beweis aus der Vorlesung oder eine Musterlösung einer Übungsaufgabe übertragen werden. In der nächsten Übungsstunde wurden gemeinsam Fragen zum Vorgehen geklärt. Ein vertieftes Einüben im Plenum war aus Zeitgründen in der Regel nicht möglich. Durch dieses Training sollte zum einen das Verständnis der schriftlichen Musterlösungen gestärkt werden, die in späteren Zyklen aufgrund der Erfahrungen mit dem Zeitmangel häufiger verwendet wurden, zum anderen sollte durch Bilden von Verknüpfungen das (teilweise mangelhafte – vgl. Kapitel 5) Begriffsverständnis gestärkt werden.

6.3 Präsenzübungen

In zwei der durchgeführten sieben Zyklen der Intervention war die Durchführung der Gruppenübungen von den verantwortlichen Dozenten in Form von Präsenzübungen vorgegeben. Das bedeutet, dass Hausaufgaben nicht erst nach der Bearbeitung besprochen werden. Stattdessen werden sie durch das gemeinsame Betrachten ähnlicher Aufgaben vorbereitet. Da diese Art der Durchführung den in Abschnitt 4.4 beschriebenen Konzepten teilweise widerspricht, soll an dieser Stelle eine kurze Reflexion dieses alternativen Vorgehens erfolgen.

Der große Vorteil solcher Übungen ist, dass die Studierenden hier über einen kompletten Problemlöseprozess begleitet werden können. Bei der anderen Organisationsform ist es ja so, dass der Großteil eines Prozesses komplett in Eigenarbeit durchgeführt wird. Bei Präsenzübungen können Konzepte, wie die von Bruder & Collet (2011) oder Schoenfeld (1985), wie sie in Abschnitt 2.4.5 und 2.4.7 ausführlich beschrieben sind, umgesetzt werden. Zusammenfassend bedeutet das: Bei Arbeit in Gruppen oder nach dem Ich-Du-Wir-Prinzip können als Hilfen Orientierungsfragen à la Pólya oder, weniger steuernd, metakognitive Kontrollfragen nach Schoenfeld zum Vorgehen gestellt werden. Außerdem kann beim anschließenden Vorstellen verschiedener Lösungswege das Vorgehen gemeinsam reflektiert und es können genutzte Strategien festgehalten werden. Beim Vorrechnen durch den Tutor kann dieser demonstrativ laut Denken und hierbei auch Entscheidungsprozesse einbeziehen. Werden Aufgaben gemeinsam bearbeitet, können zunächst Ideen gesammelt werden, dann kann ein Weg ausgewählt und dieser nach fünf Minuten evaluiert werden.

Die Erfahrung zeigt allerdings, dass in 90 Minuten maximal zwei Aufgaben ausführlich bearbeitet und besprochen werden können (vgl. auch McKee et al., 2010). Da in der Regel aber auch hier vier Aufgaben pro Woche auf dem Übungszettel stehen, muss der Übungsgruppenleiter bei jeder Aufgabe entscheiden, welche Aspekte fokussiert werden sollen. So muss nicht jede Aufgabe komplett gelöst werden. Oft genügt es, sich gezielt auf das Verstehen der Aufgabe oder bestimmte Eigenheiten zu konzentrieren. In Abstimmug mit den Studierenden kann auch ganz auf die Besprechung einzelner Aufgaben verzichtet und stattdessen ein Lösungsbeispiel ausgeteilt werden. Grundsätzlich gibt es auch die Möglichkeit, von den Studierenden ein wenig, aber nicht zu viel, Vorarbeit zu erwarten. So hat sich herausgestellt, dass das Klären von Begriffen etwas ist, was vorher erledigt werden kann. Die Studierenden sehen ein, dass die Übungsgruppe primär zum Bearbeiten von Aufgaben da ist und dass jeder selbst die Verantwortung dafür trägt, vorher die benötigten Begriffe verstanden zu haben. Mit Hilfe des in Abschnitt 6.2 vorgestellten Konzepts und einer wöchentlichen Mail des Tutors, in der steht, welche Begriffe als Voraussetzung für die nächste Präsenzübung gesehen werden, konnte die zur Klärung von Begriffen verwendete Präsenzzeit auf ein Mindestmaß (z. B. wenn trotz guter Vorbereitung etwas nicht verstanden wurde, oder wenn zu Beginn des Semesters das Verfahren der Begriffsklärung exemplarisch gemeinsam eingeübt wurde) reduziert werden. Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass der Vorteil einer Präsenzübung darin liegt, dass der komplette Problemlöseprozess begleitet werden kann, der Nachteil darin, dass weniger Zeit für Diskussionsphase und Zusammenfassung bleibt. Eine Diskussion der HausaufgabenFootnote 5 kann zwar in Ausnahmefällen mal geschehen, wird aber in der Regel gar nicht, bzw. nur als schriftliche Rückmeldung zu den abgegebenen Bearbeitungen durchgeführt.

Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich nur am Rande mit diesen Präsenzübungen, eine systematische Untersuchung scheint aber in Zukunft lohnenswert zu sein, zumal nicht offensichtlich ist, ob die Vor- oder Nachteile überwiegen. Etablierter scheint aus den Erfahrungen der begleiteten Zyklen aber die Gruppenübung zur Besprechung der Hausaufgaben zu sein.

6.4 Zusammenfassung und Reflexion der Interventionsmaßnahme

In diesem Abschnitt soll zusammenfassend die

Forschungsfrage 1::

Inwiefern lassen sich bestehende Vermittlungskonzepte zum Problemlösen sinnvoll auf den Kontext der universitären Übungsgruppe übertragen?

beantwortet werden. Hierzu werden nicht nur die in diesem Kapitel beschriebenen Modifikationen der Intervention zusammengefasst, sondern auch die in Abschnitt 4.4 aufgeführten Elemente der ursprünglichen Version, die sich bis zuletzt gehalten haben. Als erstes soll aber erwähnt werden, welche Konzeptionen aufgrund der Rahmenbedingungen der Maßnahme nicht umgesetzt wurden.

Neben der grundsätzlich knapp bemessenen Zeit lag die größte Einschränkung darin, dass die gegebenen Probleme von den Studierenden als Hausaufgaben bearbeitet werden sollten. Eine ausführliche Begleitung der Prozesse durch einen Tutor war deswegen nicht möglich. Konzepte, wie sie etwa von Bruder & Collet (2011) oder Schoenfeld (1985) durchgeführt wurden (Demonstrative Bearbeitung von Aufgaben durch den Tutor, Gemeinsames Brainstorming, Organisation von und Beratung bei Gruppenarbeit sowie das Stellen von Reflexionsfragen – vgl. Abschnitt 2.4.5 und 2.4.7), konnten deshalb nicht umgesetzt werden. Hinzu kam, dass auf die vom jeweiligen verantwortlichen Dozenten gestellten Aufgaben keinerlei Einfluss genommen wurde. Ein Einüben neu zu erlernender Heurismen anhand eigens dafür ausgewählter Aufgaben war also ebenfalls nicht möglich, wobei dies ohnehin nicht unumstritten ist (vgl. Abschnitt 2.4.5).

An Stelle der Schoenfeld’schen Reflexionsfragen (1985) wurde eine Dokumentation der häuslichen Problembearbeitungsprozesse nach Mason et al. (2011) angeregt (siehe Anhang B: Hilfe zur Bearbeitung von Übungsblättern (Teil 1) – vgl. auch Abschnitt 4.4: Eigenarbeitsphase): Hierbei stand zusätzlich zur generellen Reflexion (Was habe ich gemacht? Warum habe ich das gemacht?) die Identifikation von Schwierigkeiten und „Aha-Effekten“ im Mittelpunkt.

Um Studierenden den Einstieg in ein Problem zu erleichtern, gab es zwei Maßnahmen. Zum einen wurden zu Beginn des Semesters heuristische Hilfsmittel im Sinne von Bruder und Collet (2011) vorgestellt (vgl. Anhang B: Hilfe zur Bearbeitung von Übungsblättern (Teil 2)). Obwohl das Einführen von Heurismen ohne Verknüpfung zu Beispielaufgaben kritisch zu sehen ist (vgl. Abschnitt 2.4.5), wurden in der beschriebenen Maßnahme gute Erfahrungen gemacht. Das deckt sich mit der Aussage von König (1996), dass heuristische Hilfsmittel grundsätzlich leichter zu erlernen sind als andere Heurismen. Zum anderen wurden bereits in frühen Zyklen ausgewählte Probleme in den oben genannten verschiedenen Sozialformen (Demonstration, Brainstorming und Gruppenarbeit) in der Gruppenübungen vorbereitet.

Den Großteil der Maßnahme nahm seit jeher die gemeinsame Diskussion der Bearbeitungsprozesse ein. Hierbei wurde der Fokus auf die individuellen Herangehensweisen gerichtet. Unterstützt durch die angefertigten Dokumentationen konnten Schwierigkeiten, Aha-Effekte, heuristische Strategien etc. reflektiert und durch die Erfahrungen der Kommilitonen ergänzt werden.

Nach dieser Besprechung der Probleme wurden verwendete Strategien explizit benannt und separat aufgeführt. Im Sinne eines Strategiebaukastens nach Leuders (2017) konnten so die Studierenden eine individuelle Sammlung hilfreicher Strategien zusammenstellen.

Zusätzlich zu diesen direkt mit dem Problemlösen zusammenhängenden Maßnahmen wurde in den späteren Zyklen aufgrund der großen Bedeutung von Vorwissen für den Problemlöseprozess (vgl. auch Kapitel 5) der eigenständige Aufbau mathematischen Wissens durch kurze Lernstrategietrainings gefördert (vgl. Abschnitt 6.2). Hierbei wurden die Studierenden angeregt, die verschiedenen Facetten mathematischen Wissens (vgl. Prediger et al., 2011) genauer zu betrachten. Dies sind die explizite Formulierung (Definition), die Konkretisierung und Abgrenzung (Beispiele und alternative Darstellungen) sowie die Bedeutung und Vernetzung (Verbindung zu anderen Definitionen und Sätzen). Eine spezielle Art der Vernetzung kann sich durch das Betrachten von Beweisen ergeben. Um dies zu fördern, wurde ein Self-Explanation Training nach Hodds et al. (2014) (vgl. Anhang B) durchgeführt, bei dem es darum geht, zum einen die wesentlichen Ideen des Beweises zu identifizieren und zum anderen den Beweis Zeile für Zeile nachzuvollziehen und die Verbindungen zwischen den verschiedenen Zeilen zu erkennen.

Tabelle 6.1 Zusammenfassung der durchgeführten Einzelmaßnahmen

Zum Abschluss dieses Kapitels soll eine kurze Reflexion der Maßnahme stehen, in der vor allem Schwierigkeiten beschrieben werden sollen, die auch nach sieben Zyklen immer noch bestehen: Das größte Problem besteht weiterhin in der äußerst begrenzt zur Verfügung stehenden Zeit. Werden nur zehn Minuten für die Vorbereitungsphase aufgewendet, so bleiben für die Reflexion der Hausaufgaben durchschnittlich zwanzig Minuten pro Aufgabe. Möchte man auf alle Schwierigkeiten und Strategien eingehen, ist diese Zeit knapp bemessen. Auch die eben erwähnten zehn Minuten zur Vorbereitung auf eine Hausaufgabe sind sehr wenig, wenn man nicht nur Ideen vorgeben möchte, sondern die Aktivität der Studierenden, etwa durch Gruppenarbeit, anregen möchte. In der Praxis wurde deswegen häufig eher eine Demonstration des Tutors (zu Beginn des Semesters) oder ein gemeinsames Brainstorming (nachdem die Studierenden ein paar Mal das Vorgehen des Tutors beobachten konnten) umgesetzt. Das Lernstrategietraining ist von den Studierenden gut aufgenommen worden, wenngleich auch hier nur zu Beginn des Semesters ausreichend Zeit vorhanden war, auf einzelne Aspekte genauer einzugehen.

Ein weiteres Problem lag in der Dokumentation der Bearbeitungsprozesse. Da die Studierenden mit der Nachbereitung der Vorlesung und der Bearbeitung der Hausaufgaben bereits viel Zeit investieren müssen, ist es schwierig, sie zu überzeugen, diesen zusätzlichen Aufwand auf sich zu nehmen. Da diese aufgrund mangelnder Ressourcen auch nicht eingesammelt und mit einer Rückmeldung versehen werden konnte, ist zu vermuten, dass viele Studierende sich gegen die (schriftliche) Durchführung einer solche Dokumentation entschieden haben. Aus demselben Grund konnte dies aber nicht nachgeprüft werden. Zwar wurden die Fragen bei der Diskussion der Aufgaben wieder aufgegriffen, wodurch zumindest anzunehmen ist, dass die Studierenden sich Gedanken über ihr Vorgehen gemacht haben, eine schriftliche Fixierung konnte aber nicht sichergestellt werden.

Tabelle 6.1 gibt einen Überblick über die durchgeführten Maßnahmen und ihre Ziele. Diese sind nach den Einflussfaktoren auf das Problemlösen nach Schoenfeld (vgl. Abschnitt 2.3) sortiert. Natürlich gibt es hierbei auch Überschneidungen. So wird etwa bei der gemeinsamen Planungsphase durch die Artikulation der Ideen auch deren Reflexion, also ein metakognitiver Aspekt gefördert. Andererseits sind die Objekte der Metakognition häufig die Heurismen. Vereinfachend wurden in der Tabelle aber die Hauptaspekte vorangestellt.