Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, das universitäre Problemlösen genauer zu untersuchen sowie eine Fördermaßnahme zur Problemlösekompetenz von Studienanfängern zu entwickeln. In Abschnitt 2.1 werden zunächst die Schwierigkeiten von Studienanfängern der MathematikFootnote 1 beschrieben und einige bestehende und geplante Maßnahmen aufgezählt, die bei der Bewältigung dieser Schwierigkeiten helfen sollen. Anschließend werden Untersuchungen von Problemlöse- und Beweisprozessen zusammengefasst. Die vorliegende Studie wird dann in die bestehende Literatur eingeordnet. In Abschnitt 2.2 wird danach erläutert, wie ein Problem definiert ist und welche Modelle zur Beschreibung von Problemlöseprozessen es gibt. In Abschnitt 2.3 werden die vier Einflussfaktoren auf das Problemlösen nach Schoenfeld (1985), Ressourcen, Heurismen, Kontrolle und Überzeugungen beschrieben. Vor einer kurzen Zusammenfassung (Abschnitt 2.5) werden in Abschnitt 2.4 verschiedene Konzeptionen vorgestellt, auf deren Grundlage die in dieser Arbeit beschriebene Intervention entwickelt wurde.

2.1 Einordnung der Arbeit

Viele Studienanfänger der Mathematik haben beim Übergang von der Schule in die Hochschule große Schwierigkeiten. Der Fachstudiengang Mathematik (B. Sc.) hat die höchsten Abbruchquoten aller StudiengängeFootnote 2 (Dieter, 2012, Heublein, 2015). Neben mangelnden Grundfertigkeiten (Cramer, Walcher & Wittich, 2015; Pustelnik, 2018), bei denen hauptsächlich Lücken im Bereich des Unterrichtsstoffes der Sekundarstufe I diagnostiziert werden (vgl. Bruder et al., 2010;  Greefrath, Koepf & Neugebauer, 2017), werden diese Schwierigkeiten auf „unterschiedliche Kulturen des Mathematiktreibens und -lernens“ (Roth, Bauer, Koch & Prediger, 2015, Im Vorwort) zurückgeführt. Abgesehen von anderen Inhalten (vgl. Bauer & Partheil, 2009; Brandell, Hemmi & Thunberg, 2008; Winsløw, 2013) zeigt sich dies besonders in unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen: Während im universitären Kontext die formale Darstellung der Inhalte im Mittelpunkt steht, wird in der Schule eher auf Beispiele und intuitives Verständnis gesetzt (Clark & Lovric, 2009; Fischer, Heinze & Wagner, 2009; Nardi, 2014; Sierpinska, 2000). An der Universität geht es eher um das Beweisen von Sachverhalten, während in der Schule deren Anwendung fokussiert wird (Ufer et al. 2017; Vollstedt et al. 2014). Dadurch bedingt kommt es zu Unterschieden in der Argumentationsweise (Bauer & Partheil, 2009; Hefendehl-Hebeker, 2016; Nagel, 2017; Sfard, 2014; Thoma & Nardi, 2017) und bei der Einführung von neuen Begriffen (Edwards & Ward, 2004; Moore, 1994; Weber & Alcock, 2004). Hinzu kommen Schwierigkeiten mit der Fach- und Symbolsprache (Clark & Lovric, 2009; Epp, 2009; Hefendehl-Hebeker, 2016; Ottinger, Ufer & Kollar, 2016). Auch in der Art des Lernens gibt es große Unterschiede: So sind an der Universität sowohl die Vorlesungen als auch die zu bearbeitenden Aufgaben nicht auf unmittelbares Verständnis ausgelegt (Liebendörfer et al., 2017) und neue Begriffe treten in deutlich höherer Frequenz auf (Artigue, 2016). Insgesamt wird von den Studierenden ein höheres Maß an Eigenverantwortung gefordert als es in der Schule der Fall ist (Biza, Jaworski & Hemmi, 2014;  Greefrath, Kirsten & Kürten, 2019), wodurch, in Kombination mit der Neuartigkeit der zu bewältigenden Schwierigkeiten, Selbstregulation eine wichtige Rolle einnimmt (Artelt, 2005). Zusätzlich zu den bisher genannten, eher kognitiven Aspekten werden in der Literatur auch eine Reihe affektiver Aspekte genannt. Hierzu gehören u. a. die Selbstwirksamkeitserwartung (Greefrath et al., 2019; Thomas et al., 2010), das Gefühl des Dazugehörens (Kouvela, Hernandez-Martinez & Croft, 2017; Nieminen, 2020) und Einstellungen zur Mathematik (DeBellis & Goldin, 2006; Di Martino & Gregorio, 2019; Iannone & Simpson, 2019; McLeod, 1989b). Einen guten Überblick über die Motivation von Mathematikstudierenden bietet die Dissertation von Liebendörfer (2018).

Um diesen Schwierigkeiten entgegenzutreten, gibt es unterschiedliche Ansätze, die größtenteils erst in den letzten fünf bis zehn Jahren entwickelt wurden. Auf inhaltlicher Ebene gibt es einige Überlegungen zu bestimmten Vorlesungen. International werden hierbei insbesondere die Inhalte der Abstract Algebra (die in großen Teilen der deutschen Linearen Algebra entspricht) im Allgemeinen (z. B. Ioannou, 2018;  Larsen, Johnson & Weber, 2013) und der Group Theory im Speziellen betrachtet (Melhuish, 2018; Weber & Larsen, 2008). Der Grund hierfür liegt vermutlich darin, dass es sich in vielen Ländern – unter anderem den USA – um den ersten Hochschulkurs handelt, bei dem wesentlich über Rechenaktivitäten hinausgegangen und ein stärkerer Blick auf das Beweisen geworfen wirdFootnote 3 (vgl. Dubinsky, Dautermann, Leron & Zazkis, 1994). Aber auch im Bezug auf die Analysis gibt es einige Überlegungen bezüglich der Vermittlung der Inhalte (vgl. Bressoud & Zorn, 2018; Voigt, Apkarian, Rasmussen & the Progress through Calculus Team,  2020). Hierbei stehen oft stoffdidaktische Überlegungen zu Begriffen, die bereits in der Schule Anwendung finden, im Mittelpunkt, beispielsweise zum Funktionsbegriff (Beitlich, Moll, Nagel & Reiss, 2015), zum Extremwertbegriff (Roos, 2017), zur Quadratwurzel im Reellen und Komplexen (Kontorovich, 2019) oder zum Grenzwertbegriff (Chorlay, 2019; Weigand, 2016).

Speziell in Deutschland wird der Begriff der doppelten Diskontinuität diskutiert, der auf Felix Klein (1908) zurückgeht und beschreibt, dass es für Lehramtsstudierende nicht nur beim Übergang von der Schule zur Hochschule, sondern auch bei der Rückkehr zur Schule einen Bruch gibt. Die Unterschiede sind in verschiedenen Untersuchungen herausgestellt (Blum, 2019; Hefendehl-Hebeker, 2013; Schwarz & Herrmann, 2015) und in Ansätzen zur deren Überwindung oder Explizierung diskutiert worden (Ableitinger, 2013; Bauer & Partheil, 2009; Beutelspacher, Danckwerts, Nickel, Spies & Wickel, 2011; Nagel, Quiring, Deiser & Reiss, 2016; Neubrand, 2015). Auch international wird dieser Problematik Beachtung geschenkt (z. B. Fukawa-Connelly, Mejía-Ramos, Wasserman & Weber, 2020).

Unabhängig vom Vorlesungsinhalt gibt es aber auch immer mehr Ansätze, die Struktur der Vorlesungen zu verändern. Hierbei soll häufig die aktive Beteiligung von Studierenden verstärkt werden (z. B. Alcock & Simpson, 2001; Ioannou, 2019). In einer Metastudie fassen Freeman et al. (2014) zusammen, dass eine aktive Einbindung der Studierenden in die Lehrveranstaltung den Studienerfolg deutlich erhöhen kann. Eine einfache Möglichkeit der Aktivierung ist die Verwendung von sogenannten Classroom Response Systems. Hierbei handelt es sich um Tools, die es den Studierenden ermöglichen, aktiv auf die Geschehnisse der Vorlesung oder Übung zu reagieren (vgl. Bauer, 2019; Sommerhoff & Weixler, 2019). Eine weitere Möglichkeit, die sich wachsender Beliebtheit erfreut, ist das Konzept des Flipped Learning (Clark, 2015; Fischer & Spannagel, 2012; Lesseig & Krouss, 2017; Strayer, 2012). Hierbei werden die Studierenden beauftragt, sich in Vorbereitung auf die Präsenzzeit mit bestimmten Materialien auseinanderzusetzen, die in der Regel den Theorieteil der Lerneinheit (z. B. neu zu erlernende Begriffe und Sätze) ausmachen. In der Präsenzveranstaltung (die entsprechend des neuen Konzeptes nicht mehr als Vorlesung bezeichnet wird) werden stärker praktisch orientierte Tätigkeiten (z. B. die Anwendung des neu Gelernten) durchgeführt (vgl. Straw, Quinlan, Harland & Walker, 2015).

Bereits vor Beginn des eigentlichen Studiums gibt es Bemühungen, den Studierenden durch (weitgehend freiwillige) sogenannte Vor- und Brückenkurse den Einstieg ins Studium zu erleichtern. Eine Übersicht verschiedener Maßnahmen findet man in den Sammelbänden von Bausch et al. (2014) und Hoppenbrock, Biehler, Hochmuth und Rück (2016). Hierbei kann der Schwerpunkt auf inhaltsbezogenen Kompetenzen liegen, wobei hier Themen aus der Schulzeit wiederholt und eingeübt werden (meist mit großem Anteil von Inhalten aus der Sekundarstufe I) oder auf prozessbezogenen Kompetenzen wie Problemlösen, Begriffsklärung, Beweisen etc. (Greefrath, Hoever, Kürten & Neugebauer, 2015).

Zur Unterstützung der Lehre gibt es außerdem einige Konzepte zur Integration digitaler Medien, häufig in Form von Online-Lernangeboten (z. B. Bausch et al., 2014; Dorko, 2020; Salle, Schumacher & Hattermann, 2016; Wilzek, 2019). Einen Überblick über die verschiedenen Formen gibt es bei Borba et al. (2016).

Um die Studierenden bei der eigenständigen Arbeit zu unterstützen, gibt es schon seit längerer Zeit Support CenterFootnote 4. Hierbei handelt es sich um Räumlichkeiten, in denen sich Studierende selbstorganisiert zum gemeinsamen Lernen in Gruppen treffen können und in denen die meiste Zeit der WocheFootnote 5 ein oder mehrere Tutoren (meistens Studierende höherer Semester) ansprechbar sind, um bei den Lernaktivitäten behilflich zu sein (natürlich ist es auch möglich, diese Tutoren als Einzelperson anzusprechen, üblich ist aber eher die Arbeit in Gruppen). In letzter Zeit wurde die Betreuung solcher Einrichtungen sowie die Schulung der Tutoren systematisiert (z. B. Rämö, Oinonen, Vikberg et al., 2015; Grove & Croft, 2019; Greefrath et al., 2019).

Zur Gestaltung von Gruppenübungen gibt es hingegen kaum Studien (vgl. Jaworski, Potari, Rasmussen, Oates & Kwon, 2016; Speer, Smith III & Horvath, 2010). Die wenigen Arbeiten, die es gibt, beschäftigen sich entweder mit der Gestaltung und Auswahl geeigneter Übungsaufgaben (z. B. Bauer & Partheil, 2009) oder damit, wie die Tutoren instruiert werden sollten (z. B. Klemm, Biehler, Schreiber & Hochmuth, 2011). Darüber hinaus gibt es einige Überlegungen zur Erstellung und Präsentation von Musterlösungen (Ableitinger, 2013; Reichersdorfer, 2013), auf die auf S. 41 f. eingegangen wird. Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich zum einen damit, wie Studienanfänger Aufgaben bearbeiten, für deren Bearbeitung sie kein Routineverfahren parat haben (sogenannte Probleme; für eine genaue Definition siehe Abschnitt 2.2), zum anderen wird die Thematisierung solcher Aufgaben während der Gruppenübung zyklisch weiterentwickelt. Dadurch soll ein Beitrag zur Schließung dieser Forschungs- bzw. Entwicklungslücke geleistet werden.

Obwohl die Untersuchungen von Schoenfeld (1985) zum Problemlösen, die größtenteils im Hochschulkontext stattgefunden haben, großen Einfluss auf die mathematikdidaktische Diskussion haben, gibt es darüber hinaus erstaunlich wenige Arbeiten, die sich der Bearbeitung universitärer Übungsaufgaben und der Förderung zugehöriger Kompetenzen aus der Sicht des Problemlösens nähern. Die Schoenfeld’schen Untersuchungen und Erfahrungen haben zu einem Problemlösekurs geführt, der von Arcavi, Kessel, Meira und Smith (1998) und Schoenfeld (1998) beschrieben wird. Dieser Kurs hat an der University of California in Berkeley mehrfach stattgefunden. In den hier aufgeführten Artikeln wird die Version von 1990 beschrieben. Teilgenommen haben acht Studierende, von denen die meisten im Hauptfach Informatik oder Mathematik studiert haben. Da der Kurs keinerlei inhaltlichen Vorgaben unterlag, konnte mit viel Zeit und Ruhe auf verschiedene Aspekte des Problemlösens theoretisch wie praktisch eingegangen werden. In den Abschnitten 2.4.5 und 2.4.7 wird auf einzelne Aspekte dieses Kurses eingegangen. Ein Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, eine Maßnahme zur Förderung der Problemlösekompetenz zu entwickeln, die auf der traditionellen Gruppenübung aufbaut. Die Schoenfeld’sche Kursstruktur kann schon aufgrund der Gruppengröße, der inhaltlichen Anbindung an die Vorlesung und der deutlich geringeren zur Verfügung stehenden Zeit nicht ohne Weiteres übernommen werden. Wie die Konzepte Schoenfelds und anderer auf die gegebenen Umstände übertragen wurden, wird in Abschnitt 4.4 beschrieben.

Insgesamt werden im Hochschulkontext Maßnahmen und Prozessbeobachtungen eher im Hinblick auf Beweisen als auf Problemlösen durchgeführt. Ein möglicher Grund dafür ist, dass Probleme, wie sie z. B. in Schoenfelds Kurs behandelt werden, auf möglichst wenig Vorwissen zurückgreifen und daher häufig keine authentischen Aufgaben, also keine Aufgaben, die üblicherweise in einer fachmathematischen Veranstaltung gestellt werden, darstellen (vgl. Selden & Selden, 2013). Schoenfeld (1994) beschreibt als Kriterium für die Auswahl seiner Aufgaben:

Without being trivial, problems should be accessible to a wide range of students on the basis of their prior knowledge, and should not require a lot of machinery and/or vocabulary.

Eine Gegenüberstellung der Begriffe Problem und Beweis gibt es auf S. 14 f. An dieser Stelle sei erwähnt, dass es sich bei fast allen Problemaufgaben an der Universität auch um Beweisaufgaben handelt, während einige Beweise keinen Problemcharakter haben. Aber auch zu Beweisverständnis und -konstruktion ist die Forschungslage, was instruktionelle Designs angeht, recht dünn (vgl. Stylianides & Stylianides, 2017), wenngleich beispielsweise in den USA die oben bereits genannten Transition-To-Prove-Kurse Tradition haben. An einigen Universitäten hat sich hierbei die Moore Method (Moore, 1994), bzw. die Modified Moore Method etabliert (z. B. Coppin, Mahavier, May & Parker, 2009; Selden, McKee & Selden, 2010). Ziel dieser Methode ist die Übertragung der Verantwortung zum Problemlösen und Beweisen auf die Studierenden. Zu diesem Zweck werden zu beweisende Aussagen unabhängig von mathematischen Inhalten mit aufsteigendem Schwierigkeitsgrad ausgewählt, an denen die Studierenden das selbstständige Mathematikbetreiben lernen sollen. Diese Aussagen werden mit zugehörigen Definitionen und ggf. damit verknüpften Zusammenhängen in Form eines sehr kleinen Skriptes mit dem Auftrag, sie als Hausaufgabe zu beweisen, ausgegeben. Es wird also keine Präsenzzeit durch „Vorlesen“ dieser Skripte aufgewendet. Stattdessen steht viel Zeit zur Diskussion und Reflexion der entstandenen Beweise zur Verfügung. Basierend auf diesen Überlegungen hat Grieser (2013) einen ähnlichen Kurs für deutsche Lehramtsstudenten (Gymnasium und Gesamtschule) entwickelt, der sich etwas stärker an bestimmten „mathematischen Ideen“ (Rekursion, Induktion, Graphen, Abzählen etc.) orientiert. Kempen (2019) hat an der Universität Paderborn einen Kurs für Studienanfänger des Lehramts (Haupt-, Real- und Gesamtschulen) entwickelt und umgesetzt, der sich an den Prinzipien dieser Transition-To-Prove-Kurse orientiert und sie der Situation an deutschen Universitäten anpasst. Ein anderes Beispiel für eine Fördermaßnahme ist das von McKee, Savic, Selden und Selden (2010) entwickelte freiwillige Zusatzangebot zur Analysis-Vorlesung. Hier können Studierende, die Schwierigkeiten mit den Hausaufgaben haben, im Gruppengespräch von bis zu zehn Leuten, mit Unterstützung der Forschenden Aufgaben diskutieren, die diesen Hausaufgaben ähneln. Das Vorgehen in diesem Kurs ähnelt dem von Präsenzübungen an deutschen Universitäten, allerdings mit dem wesentlichen Unterschied, dass deutlich mehr Zeit für die Aktivität der Studierenden eingeräumt wurde. In einer Sitzung von 75 Minuten wurde in der Regel nur eine Aufgabe thematisiert. Aus diesem Grund ist eine Übertragung auf den üblichen Übungsbetrieb auch nicht ohne Weiteres möglich.

Was das Problemlösen angeht, so gibt es eine Reihe von Konzeptionen, die zu Teilen im Schulbetrieb getestet wurden und potenziell auf den universitären Kontext übertragbar sind. Diese werden in Abschnitt 2.4 näher betrachtet.

Auch bezüglich der Untersuchung von Problemlöseprozessen gibt es über die frühen Studien von Lucas (1974) und Schoenfeld (1985) hinaus wenige Arbeiten, die sich mit Studierenden in der Anfangszeit ihrer Hochschullaufbahn auseinandersetzen. Auch im Hinblick auf Beweisprozesse haben kaum ausführliche Analysen mit einem holistischen Blick stattgefunden. Viele Studien fokussieren den Einsatz einer ausgewählten Strategie, wie der Generierung von Beispielen oder Visualisierungen (z. B. Alcock & Weber, 2010; Gibson, 1998; Samkoff, Lai & Weber, 2012; Sandefur, Mason, Stylianides & Watson, 2013; Stylianou & Silver, 2004). Einen etwas weiteren Blick liefern die Studien von Boero (1999), bei denen Beweisprozesse in Anlehnung an das Schema von Toulmin (2003) und das Modell zur kommunikativen Rationalität von Habermas (2004) untersucht werden, und Weber (2004), der drei verschiedene Arten der Beweisproduktion unterscheidet: procedural, syntactic und semantic. Betrachtungen unter den Aspekten des Problemlösens (wie Vorwissen, Heurismeneinsatz, Metakognition, aber auch eine Einteilung der Prozesse in Phasen) sind sehr rar. Eine Ausnahme bildet die Arbeit von Zazkis, Weber und Mejía-Ramos (2015), die sich im Gegensatz zur vorliegenden Arbeit mit fortgeschrittenen Studierenden beschäftigt, die mindestens die Veranstaltung Lineare Algebra II erfolgreich abgeschlossen haben und zusätzlich (anhand weiterer Tests und ihrer bisherigen Noten) als erfolgreich eingestuft wurden. Ihr Fokus liegt dabei auf der Beobachtung von Kontrollmechanismen (also Metakognition) und dem damit verbundenen Wechseln von Lösungsansätzen. Aufgrund der recht dünnen Forschungslage in diesem Bereich sollen mit der vorliegenden Arbeit grundlegende Erkenntnisse zum Problemlösen von Studienanfängern gewonnen werden. Da die Gruppe der Probanden sich hier anders zusammensetzt als bei Schoenfeld (1985 – hier Anfänger aus Mathematikstudiengängen, dort Studierende aus verschiedenen MINT-Studiengängen mindestens aus dem zweiten Studienjahr, die an einem Wahlpflicht-Kurs zum Problemlösen teilnehmen), sind auch andere Ergebnisse zu erwarten. Parallel zur vorliegenden Arbeit wurden an der Universität Münster Beweisprozesse von Studienanfängern untersucht (Kirsten, im Druck).

2.2 Problemlösen

Die vorliegende Arbeit fokussiert die Bearbeitung von mathematischen Aufgaben, wie sie in wöchentlichen Übungen, aber auch in Klausuren auftreten. Hierbei wird besonderes Augenmerk auf sogenannte Problemlöseaufgaben oder einfach Probleme gelegt. In Abschnitt 2.2.1 wird zunächst dargestellt, wie dieser Begriff hier verstanden wird und es werden Gemeinsamkeiten mit dem Begriff der Beweisaufgabe herausgearbeitet. Anschließend werden in Abschnitt 2.2.2 die Phasenmodelle von Pólya (1945) und Hadamard (1959) vorgestellt, die bei der Betrachtung von Problemlöseprozessen hilfreich sein können.

2.2.1 Begriffsdefinition

Unter einem Problem wird mit großem Konsens in pädagogisch-psychologischem Zusammenhang eine (auf ein Individuum bezogene) Anforderung verstanden, deren Lösung mit Schwierigkeiten verbunden ist. [...]

Unter Problemlösen wird domänenübergreifend der Prozess der Überführung eines Ausgangszustandes in einen Zielzustand verstanden, bei dem gewisse (auch personenspezifische) Schwierigkeiten bzw. Barrieren überwunden werden müssen. (Heinrich, Bruder & Bauer, 2015)

Ob der oben genannte Konsens wirklich so groß ist, lässt sich hinterfragen. So sagt beispielsweise Leuders (2017): „Weniger Einigkeit herrscht darüber, was alles unter den Begriff Problemlösen fällt [...]“. Zwar findet man sowohl in der deutschen (vgl. z. B. Büchter & Leuders, 2011; Dörner, 1979; Tietze, Klika & Wolpers, 2000; Klix, 1971; Vollrath, 1992; Zech, 1996) als auch der internationalen (vgl. z. B. Kilpatrick, 1985; Polya, 1980; Schoenfeld, 1989b) Problemlöseliteratur viele Charakterisierungen, die im Wesentlichen der obigen entsprechen, wobei der Begriff gerade im englischen Sprachraum weniger einheitlich verwendet wird. Das rührt daher, dass dort traditionell alle mathematischen Aufgaben als problem bezeichnet werden. Wird eine genauere Unterscheidung als notwendig erachtet, ist hier häufig von routine und nonroutine problems die Rede (vgl. Schoenfeld, 1992; Stanic & Kilpatrick, 1989; Pehkonen, 2001). Aber obwohl die expliziten Charakterisierungen im Wesentlichen übereinstimmen, gibt es einzelne Arbeiten, die den Problemlösebegriff etwas weiter fassen (z. B. Renkl, Gruber, Weber, Lerche & Schweizer, 2003). Funke & Zumbach (2006) sprechen sogar von algorithmischem Problemlösen, das „bei einfachen Problemen immer zur Lösung [führt], wenn die spezifizierten Regeln zur Überführung eines Ausgangszustands in einen Zielzustand berücksichtigt werden“ (S. 208). Bei den hier erwähnten Beispielen ist aufgrund der zitierten Quellen ein Einfluss aus dem englischsprachigen Raum zu vermuten, insgesamt kann aber über die Gründe für die breitere Verwendung des Begriffs nur spekuliert werden, es lässt sich aber sagfen, dass es sich hierbei um Autoren handelt, die eher aus psychologischen Fachbereichen stammen, innerhalb der (deutschen) Mathematikdidaktik herrscht aber tatsächlich großer Konsens darüber, welche Aufgaben als Problem verstanden werden.

Ein Problem lässt sich in Abgrenzung von einer Routineaufgabe definieren. Häufig wird von einer Barriere o. ä. gesprochen, die es in irgendeiner Form zu überwinden gilt. So findet man z. B. bei Pólya (1945) die folgenden Beschreibungen, die von einem Hindernis bzw. einer Lücke reden: „Going around an obstacle is what we do in solving any kind of problem.“(S. 232) und „We may represent our unsolved problem [...] as a gap across which we have to construct a bridge“ (S. 73). Eine ausführliche Gegenüberstellung von ähnlichen Definitionen findet man z. B. bei Rott (2013). Zwei Dinge seien in diesem Zusammenhang noch betont: Erstens soll bei mathematischen Problemen die Barriere nicht darin bestehen, dass die durchzuführenden Rechenoperationen schwierig sind, sofern diese zum Repertoire des Problemlösers zählen (vgl. Schoenfeld, 1985). Zweitens spielt es eine wichtige Rolle dafür, ob eine Aufgabe als ein Problem gesehen wird oder ob Routineoperationen zugänglich sind, wer die Aufgabe bearbeitet und was seine Fähigkeiten, Erfahrungen und Kenntnisse sind (vgl. Vollrath, 1992). Aus diesem Grund stellt für viele Studierende, anders als eine reine Aufgabenanalyse suggerieren würdeFootnote 6, ein Großteil der an der Universität zu bearbeitenden Aufgaben ein Problem dar. Zum Teil hängt das mit der hohen Frequenz der von den Studierenden neu zu erlernenden Wissenkomponenten zusammen (vgl. Artigue, 2016), die für die Bearbeitung der Aufgaben notwendig sind, aber so schnell nicht in die kognitiven Strukturen der Studierenden internalisiert werden können, zum Teil sind mögliche Routineprozesse den Studierenden vor der Bearbeitung der Aufgaben nicht bekannt (etwa im Bereich der Grenzwertbestimmungen), so dass diese Lösungsverfahren von ihnen selbst entwickelt werden müssen.

Zusammenfassend wird in der vorliegenden Arbeit also ein Problem als eine Aufgabe verstanden, für deren Lösung dem Bearbeiter keine Routineverfahren zur Verfügung stehen. Leuders (2017) unterscheidet noch Problemlösen im engeren Sinne und Problemlösen im weiteren Sinne. Zu Letzterem zählt er zusätzlich zur Bearbeitung einer oder mehrerer Problemaufgaben, wie sie in diesem Abschnitt charakterisiert wurden, noch das eigenständige Finden von Problem- und Fragestellungen, das sicherlich beim Mathematiktreiben eine große Rolle spielt, sowie das Weiterentwickeln des Problems, das aus dem Aufgreifen während der Problembearbeitung aufgeworfener weiterführender Probleme und entdeckter Begriffe und Verfahren besteht. In der vorliegenden Arbeit wird unter Problemlösen aber ausschließlich der eigentliche Lösungsprozess (also das Problemlösen im engeren Sinne) verstanden.

2.2.1.1 Problemlösen und Beweisen

Betrachtet man die oben genannte Definition eines Problems, stellt sich gerade im Hochschulkontext die Frage, wie sich mathematische Beweise im Verhältnis zu diesem Begriff verhalten. Pólya (1979) unterscheidet zwischen Beweisaufgaben und Bestimmungsaufgaben. Diese Unterscheidung hat bis heute Bestand, wenngleich später noch die Kategorien der Entdeckungsaufgaben und der Entscheidungsaufgaben hinzugefügt wurden (vgl. Heinrich et al., 2015 und Stenzel, 2017). Letztere gehen im universitären Kontext häufig mit dem Operator „Beweisen oder widerlegen Sie“ einher und können in dem Zusammenhang als Spezialfall der Beweisaufgaben angesehen werden, während erstere an der Universität äußerst selten als Übungsaufgaben eingesetzt werden (Stenzel, 2017). Bei Bestimmungsaufgaben handelt es sich um Aufgaben, bei denen eine Unbekannte (im universitären Kontext etwa ein Grenzwert, das Supremum einer Menge oder die Lösungsmenge einer Gleichung) bestimmt werden muss, bei Beweisaufgaben soll eine Behauptung bewiesen werden. Grundsätzlich können Aufgaben aus allen Kategorien ein Problem oder eine Routineaufgabe darstellen. Nun ist es so, dass es bei Bestimmungsaufgaben an der Universität in der Regel nicht ausreicht, die Unbekannte zu bestimmen. Ohne dass es im Aufgabentext explizit erwähnt ist, wird erwartet, dass zusätzlich zur Bestimmung der Unbekannten auch bewiesen wird, dass diese die Bedingungen tatsächlich erfüllt. Aus diesem Blickwinkel können Bestimmungsaufgaben an der Universität also als Beweisaufgaben angesehen werden, bei denen zunächst noch vom Aufgabenbearbeiter bestimmt werden muss, was zu zeigen ist (ebd.). Damit können fast alle Aufgaben (und damit auch fast alle Probleme), die an der Universität gestellt werden, als Beweisaufgaben angesehen werden.

Andersherum stellt sich die Frage, inwiefern BeweisaufgabenFootnote 7 als Probleme angesehen werden können. Selden und Selden (2009) unterscheiden den formal-rhetorical Teil eines Beweises vom problem-centered Teil. Erstere besteht zum einen aus Routineoperationen (sie sprechen hier vom direkten Anwenden zugehöriger Definitionen und vorheriger Ergebnisse – es sei an dieser Stelle angemerkt, dass auch dieser Teil Studierenden schon Probleme bereiten kann), zum anderen aus für formale Beweise typischen Wendungen, die den Rahmen des Beweises bilden (etwa bei einem Stetigkeitsbeweis: Sei \(x \in D_f\) und \(\varepsilon >0\) ...Dann ist \(|f(x)-f(x_0)|<\varepsilon \) für alle \(x_0 \in U(x;\delta )\)). Solche Wendungen sind laut Selden und Selden leicht erlernbar und benötigen neben der Definition der vorkommenden Begriffe kein spezielles Wissen, können aber dabei helfen, Ideen zum Lösen der Aufgabe zu generieren. Das obige Beispiel legt nahe, die durch die drei Punkte angedeutete Lücke des Beweises zu füllen, indem ein geeignetes \(\delta \) gesucht wird. Der problem-centered Teil kann als Problemlösen im obigen Sinne bezeichnet werden (Selden und Selden beziehen sich hier auf Schoenfelds (1985) Definition eines Problems). Da eine Aufgabe bereits dann als Problem gilt, wenn nur an einer Stelle eine Barriere mit anderen als Routinemitteln überwunden werden muss, ist also jede Beweisaufgabe, die nicht ausschließlich formal-rhetorical ist, ein Problem. Selden und Selden (ebd.) betonen aber, dass es auch solche Beweise gibt. Ein Beispiel hierfür wäre der Beweis, dass die \(n \times n\)-Matrizen eine Gruppe bilden. Das Nachweisen der Gruppenaxiome stellt, sofern es schon an anderen Beispielen betrachtet wurde, für die meisten Studierenden kein Problem dar. Insgesamt gibt es bei Übungsaufgaben im Mathematikstudium eine große Schnittmenge zwischen Problemlöseaufgaben und Beweisaufgaben (vgl. Stenzel, 2017), weswegen es sich lohnt, auch Theorien zum Lernen von Beweisen (siehe Abschnitt 2.4) für die Konzeption einer Fördermaßnahme in Betracht zu ziehen.

2.2.2 Phasenmodelle des Problemlösens

George Pólya hat den Problemlöseprozess in seinem Buch „How to solve it“ (Pólya, 1945) in vier Phasen unterteilt. Da eine solche Betrachtung sowohl für die theoretische Betrachtung des Problemlösens, die bei der Konzeptualisierung von Fördermaßnahmen von Nutzen sein kann (vgl. Abschnitt 4.4), als auch bei der Analyse von Problembearbeitungen (siehe Abschnitt 5.3.1) hilfreich ist, sollen diese Phasen im Folgenden kurz beschrieben werdenFootnote 8:

Understanding the Problem :

In dieser ersten Phase geht es darum, das Problem zu verstehen. Man schaut sich genau an, was gegeben (data und condition bei Bestimmungsaufgaben, hypothesisFootnote 9 bei Beweisaufgaben) und was gesucht ist (unknown bzw. conclusion9) und gibt die Aufgabe mit eigenen Worten wieder. Außerdem kann das Verständnis des Problems durch Anfertigen einer Skizze oder andere Repräsentationswechsel und durch Einführen geeigneter Bezeichnungen erleichtert werden.

Devising a Plan :

Hier soll die Verbindung zwischen Gegebenem und Gesuchtem hergestellt und ein Lösungsplan erstellt werden. Hierzu können analoge Probleme und deren Lösungsmethoden bzw. äquivalente Formulierungen des Problems herangezogen oder Teilprobleme betrachtet werden. Der Plan muss hier noch nicht perfekt ausgearbeitet sein. Eine ausführlichere Betrachtung möglicher Strategien, die bei der Suche nach einem Plan helfen können, folgt in Abschnitt 2.3.2.

Carrying Out the Plan :

Bei der Durchführung des Plans soll jeder einzelne Schritt genau überprüft werden. Diese Phase erfordert hauptsächlich Geduld, da die kreative Arbeit bereits bei der Erstellung des Plans geleistet wurde (ebd. S. 12). Bei komplexeren Problemen soll hier von großen zu kleinen Schritten vorgegangen werden.

Looking Back :

Hier werden Ergebnis und Argumentation nicht nur auf Korrektheit und Vollständigkeit überprüft, es geht vor allem auch darum, aus dem Vorgehen zu lernen und sowohl Ergebnis, als auch Methode für andere Probleme nutzbar zu machen und in das eigene Vorwissen einzubetten. In dieser Phase soll auch nach alternativen, möglicherweise eleganteren oder direkteren Lösungswegen gesucht werden.

Weiter unten (ebd. S. 33 f.) beschreibt Pólya die einzelnen Phasen genauer. Interessant ist, dass die erste Phase hierbei noch weiter unterteilt ist in:

Getting Acquainted:

Um sich mit dem Problem vertraut zu machen, seinen Sinn zu verstehen und sich wichtige Punkte einzuprägen, wird das Problem zunächst als Ganzes so klar und plastisch wie möglich betrachtet. Hierbei werden Details zunächst vernachlässigt.

Working For Better Understanding:

Erst jetzt werden die Hauptteile des Problems (das Gegebene und das Gesuchte) detaillierter und isoliert voneinander betrachtet und jede Einzelheit zu den anderen und zum Ganzen in Verbindung gesetzt.

Die Unterteilung dieser ersten Phase wird, wenn im Folgenden von den Pólya-Phasen die Rede ist, nicht weiter beachtet. Hiermit sind, gemäß den allgemeinen Konventionen, die eingangs erwähnten vier Phasen gemeint.

Bemerkenswert ist ebenfalss die etwas detailliertere Beschreibung der zweiten Phase (ebd., S. 34 f.), da hier der Wert nicht-zielführender Ideen, metakognitiver Steuerung (vgl. Abschnitt 2.3.3) und des Vorwissens (vgl. Abschnitt 2.3.1) betont wird. Auch wird bereits in dieser kurzen Zusammenfassung die mögliche Komplexität von Problemlöseprozessen deutlich, da a priori schwer zu sagen ist, welche der vielen möglichen Ansatzpunkte zum Ziel führt:

Hunting For the Helpful Idea :

Ziel dieser Phase ist es, Ideen zu finden, die das weitere Vorgehen zum Erreichen des Ziels oder eines Teilziels aufzeigen können. Hierbei sind auch unvollständige Ideen gerne gesehen. An dieser Stelle soll der Nutzen dieser Ideen eingeschätzt werden und ob es sich lohnt, diese weiter zu verfolgen. Durch eine solche Betrachtung des Problems kann sich die Wahrnehmung des Bearbeiters ändern. So können Ideen zu neuen Ideen, zur Lösung des Problem oder aber in die Irre führen. In dieser Phase soll das Problem, ausgehend von seinen vorher bereits ausführlich betrachteten und möglichst verinnerlichten Hauptteilen, von verschiedenen Seiten betrachtet werden. Hierbei können bestimmte Punkte fokussiert, Details auf verschiedene Weisen untersucht, verschiedene Punkte miteinander in Verbindung gesetzt und hierdurch neu entstehende Interpretationen einzelner Punkte, sowie des Ganzen betrachtet werden. Eine wichtige Rolle spielt hier auch die Verknüpfung mit dem Vorwissen. Es soll nach vertrauten Elementen gesucht und daraus Nutzen gezogen werden, was in ähnlichen Situationen geholfen hat.

Eine weitere Möglichkeit, Problemlöseprozesse zu beschreiben, bietet das vierstufige Modell von Wallas (1926), der sich auf die Überlegungen bzw. Beschreibungen der eigenen Erkenntnisprozesse von Dewey (1997), Poincaré (1914), Helmholtz (1898) und anderen bezieht. Hierbei spielt das Konzept der Illumination, einer unerwarteten Eingebung, einer plötzlichen Idee, eines Lichtaufgehens, eines Geistesblitzes, eine entscheidende Rolle. Hadamard (1959) hat dieses Phänomen weiter untersucht und eine eigene Version des Modells eingeführt. Es besteht aus den Phasen Inintiation, Incubation, Illumination und Vérification. Entscheidend ist hierbei, dass eine Eingebung nicht einfach so kommt. Ihr muss zwingend eine Phase der Vorbereitung (Initiation) vorangehen, bei der das Problem von allen Seiten betrachtet und ein Lösungsversuch unternommen wird. Sollte an dieser Stelle noch kein entscheidender Ansatz gefunden werden, wird die Entfernung vom Problem empfohlen (Phase der Incubation), während der sich das Unterbewusstsein mit dem Problem beschäftigen kann. Viele Anekdoten, nicht nur von den oben genannten Wissenschaftlern (vgl. Ghiselin, 1985), erzählen dann von einer plötzlichen IlluminationFootnote 10, einer für die Lösung des Problems entscheidenden Idee, die letztlich wieder durch bewusste Auseinandersetzung verifiziert werden muss. Diese Vérification entspricht weniger, wie man vielleicht vermuten mag, einer Kontrolle einer bereits fertigen Lösung, wie das in Pólyas Looking-Back-Phase geschieht. Vielmehr muss wie in der dritten Pólya-Phase der Plan erst noch ausgeführt werden. Dieses Modell scheint für die Hochschulmathematik von großer Bedeutung zu sein. Denn im Gegensatz zur Schulmathematik, bei der für die Bearbeitung von Aufgaben im Unterricht maximal eine Doppelstunde zur Verfügung steht und auch Hausaufgaben selten über einen längeren Zeitraum als zwei bis drei Tage zu bearbeiten sind, ist es an der Hochschule eher die Regel, dass für die Bearbeitung von Übungsaufgaben eine Woche zur Verfügung steht. So kann die Möglichkeit, das Unterbewusstsein an der Lösung von Problemen zu beteiligen, bei der Zeitplanung mit einbezogen werden (vgl. Lehn, o. D.), wenngleich Poincaré (1914) im Zusammenhang mit mathematischer Forschung auch deutlich längere Inkubationszeiten im Blick hatte. Vergleiche verschiedener Verlaufsmodelle zum Problemlösen findet man u. a. bei Neuhaus (2001) und Rott (2014).

2.3 Einflussfaktoren auf das Problemlösen

Nach Schoenfeld gibt es vier Aspekte, die Problemlöseprozesse beeinflussen können. In seinen ursprünglichen BezeichnungenFootnote 11 (Schoenfeld, 1985, S. 15) sind das:

Ressources::

Die zur Verfügung stehende (mathematische) Wissensbasis, auf die beim Bearbeiten eines Problems zurückgegriffen werden kann.

Heuristics::

Strategien, die beim Bearbeiten eines Problems helfen können.

Control::

Regulation des eigenen Vorgehens, hauptsächlich durch Auswahl von Ressourcen und Strategien sowie Entscheidungen zu deren Umsetzung.

Belief Systems::

Ansichten zur Mathematik, die das individuelle Verhalten bewusst oder unbewusst beeinflussen können.

In den folgenden Abschnitten soll genauer auf diese Faktoren eingegangen werden. Rott (2013) stellt in der Einleitung dem Modell von Schoenfeld noch weitere entgegen.

2.3.1 Ressourcen

Unter Ressourcen versteht Schoenfeld (ebd.) alles dem Problembearbeiter zur Verfügung stehende, für das Problem relevante Wissen, also alle Begriffe, Zusammenhänge und Verfahren, die auf das Problem angewendet werden können. Hierbei ist es zunächst nicht von Bedeutung, ob es sich um falsche Vorstellungen oder missverstandene Fakten handelt (vgl. auch Schoenfeld, 1992). Diese Wissensbasis ist offensichtlich dömanenspezifisch. So kann ein Experte auf einem Gebiet Schwierigkeiten in einem anderen Gebiet haben, wenn ihm hier das Vorwissen fehlt. Außerdem kann es vorkommen, dass zwar das nötige Wissen vorhanden ist, während des Problemlöseprozesses aber nicht darauf zurückgegriffen wird. Es ist also wichtig, aus der großen Menge an vorhandenen Informationen die relevanten herauszugreifen und auf das Problem anzuwenden. Dies ist eine Frage der Kontrolle und wird weiter unten genauer behandelt. Grundsätzlich wird durch das vorhandene Wissen beeinflusst, worauf man seine Aufmerksamkeit lenkt und welche Details verstanden und behalten werden (Alexander, 1996).

2.3.1.1 Exkurs: Lernstrategien

Lernstrategien selbst sind kein direkter Einflussfaktor auf das Problemlösen. Dennoch stellt sich die Frage, auf welche Art das zum Problemlösen nötige Vorwissen aufgebaut werden kann. Gerade an der Universität liegt es häufig nicht in der Hand des jeweiligen Dozenten, ob Studierende solches Wissen hinreichend verinnerlicht haben. Die Verantwortung für ihre Lernprozesse tragen die Studierenden selbst (Grünwald, Kossow, Sauerbier & Klymchuk, 2004; Wild, 2005). Es ist daher angebracht, im Folgenden einen genaueren Blick auf Strategien zu werfen, die dabei helfen können, den in der Vorlesung in großer Dichte präsentierten Stoff (vgl. Artigue, 2016) zu lernen.

Grundsätzlich verstehen wir unter Lernstrategien „Verhaltensweisen und Gedanken, die Lernende aktivieren, um ihre Motivation und den Prozess des Wissenserwerbs zu beeinflussen und zu steuern“ (Friedrich & Mandl, 2006; vgl. auch Weinstein & Mayer, 1983). Hierbei wird in der Regel zwischen kognitiven Strategien, die sich direkt mit der Informationsaufnahme, -verarbeitung und -speicherung beschäftigen, metakognitiven Strategien, bei denen es um die Kontrolle und Steuerung des (eigenen) Lernens geht, und ressourcenbezogenen Strategien unterschieden. Hierbei sind Ressourcen nicht im Sinne von Schoenfeld gemeint, es geht vielmehr um das Management interner Ressourcen (Anstrengung, Zeiteinsatz, Aufmerksamkeit und Konzentration) sowie die Nutzung von externen Ressourcen (verschiedene Medien als Informationsquellen, Hilfestellungen durch Tutoren oder Kommilitonen sowie Gestaltung des Arbeitsplatzes) (vgl. Mandl & Friedrich, 2006; Wild, 2005). Strategien sind dafür da, durch zielgerichtete Auseinandersetzung mit dem Lernstoff geistige Kapazitäten zu schonen.

Auf metakognitive Strategien sowie kooperatives Lernen wird weiter unten genauer eingegangen. An dieser Stelle sollen die kognitiven Strategien genauer unter die Lupe genommen werden: Hierbei unterscheidet man zwischen den Elaborationsstrategien, den Organisationsstrategien und den Wiederholungsstrategien bzw. Memorierungsstrategien. Letztere zählen zu den Oberflächenstrategien (hier werden oberflächliche Merkmale des zu lernenden Stoffes auswendig gelernt), während die ersten beiden zu den Tiefenstrategien (es werden strukturelle Merkmale des Stoffes betrachtet, mit dem Ziel, diesen besser zu verstehen) zählen (vgl. hierzu Artelt, 2005).

Bei den Elaborationsstrategien geht es darum, Zusammenhänge zwischen dem neu zu erlernenden und bereits vorhandenem Wissen herzustellen (ebd.). Dadurch werden neue Informationen in bestehende Wissensstrukturen integriert. Durch solche Verknüpfungen wird das Abrufen dieser Informationen erleichtert (Friedrich & Mandl, 2006). Je besser das Wissen vernetzt ist, desto schneller und automatisierter kann die Aktivierung von Vorwissen geschehen (Klimesch et al., 1995; Boshuizen, 2004). Das kann gerade bei der Bearbeitung von Problemen von großer Bedeutung sein.

Die Organisationsstrategien sollen Zusammenhänge zwischen den neu zu erlernenden Inhalten herstellen (Artelt, 2005). Diese werden umorganisiert und neu strukturiert, um sie in eine leichter zu verarbeitende Form zu bringen (Wild, 2005). Typische Strategien sind die Reduktion eines Textes auf das Wesentliche, die Nutzung von Wissensschemata (s. u.) sowie der Wechsel von Darstellungen (Friedrich & Mandl, 2006).

An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass die Grenze zwischen Organisations- und Elaborationsstrategien fließend ist. Während beim Betrachten von Beispielen fast immer an das Vorwissen angeknüpft wird, lässt sich z. B. bei der Nutzung verschiedener Darstellungen (Erstellen von Skizzen, Mind Maps, Tabellen etc.) nicht a priori sagen, ob nur neue Informationen dargestellt werden oder auch Vorwissen in die Darstellung mit einfließt. Auch lässt sich nicht genau festlegen, wann im Lernprozess eine neue Information als in den Wissensspeicher aufgenommen gilt, womit die Verknüpfung mit dieser Information von einer Organisations- zu einer Elaborationsaktivität wird.

Bei den Wiederholungsstrategien geht es um das Auswendiglernen durch Wiederholen (Steiner, 2006). Hierzu zählen neben dem inneren Wiederholen von Informationen, mit dem Ziel, diese im Arbeitsgedächtnis aufrecht zu erhalten, auch das wiederholte Abrufen von Informationen und das wiederholte Anwenden von Prozeduren. Letzteres kann dazu führen, dass verschiedene Subroutinen zu größeren Einheiten (sogenannten Chunks – vgl. Miller, 1956) verbunden werden, was deren Abruf erleichtert (ebd. S. 107). Bei den Mnemotechniken, die das Nutzen von Eselsbrücken und das Verknüpfen der zu lernenden Informationen mit selbst ausgedachten Geschichten einschließen, ist nicht ganz klar, ob diese zu den Wiederholungsstrategien zählen, weil es um pures Auswendiglernen geht, oder ob aufgrund der gebildeten Verknüpfungen eine Zuordnung zu den Elaborationsstrategien sinnvoll ist (Stangl, 2006). Im Folgenden werden sie den Wiederholungsstrategien zugeordnet, da die Verknüpfungen nicht von inhaltlicher Relevanz sind.

Tabelle 2.1 Übersicht über verschiedene Lernstrategien

In Tabelle 2.1 sind die verschiedenen Klassen von Lernstrategien nach Wild und Schiefele (1994) dargestellt.

Ohne Anspruch auf Vollständigkeit oder Überschneidungsfreiheit zu erheben, gibt die folgende Auflistung einen Überblick über allgemeine kognitive Lernstrategien. Hierbei werden aufgrund der fließenden Grenzen Organisations- und Elaborationsstrategien unter dem Begriff der Tiefenstrategien zusammengefasst:

  • TiefenstrategienFootnote 12

    • Multiple Repräsentationen des Lernstoffs (Darstellungswechsel)

    • Mit eigenen Worten umformulieren

    • Informationen auf das Wesentliche reduzieren

    • Unterstreichen und Markieren

    • Erstellen von Mind Maps und anderen Formen der visuellen Verknüpfung

    • Beispiele betrachten

    • Fragen, Hypothesen, Erklärungen und Beispiele generieren

    • Analogien bilden

    • Anwendungskontexte heranziehen

    • Wissensschemata nutzen etc.

  • Oberflächenstrategien

    • Inneres Wiederholen der neuen Information

    • Wiederholtes Abrufen

    • Wiederholte Anwendung

    • Mnemotechnik

Eine Strategie, deren Bedeutung nicht unmittelbar aus der Bezeichnung klar wird, ist das Nutzen von Wissensschemata. Daher wird im Folgenden genauer erläutert, was ein Wissensschema ist. Hierunter versteht man die Zusammenfassung der mentalen Repräsentationen einzelner Wissenskomponenten zu einem zusammenhängenden Konzept (vgl. Anderson & Pearson, 1984). Diese Schemata umfassen sowohl konzeptuelles als auch prozedurales Wissen. Sie werden meist unbewusst gebildet und erleichtern sowohl das Abrufen als auch das Abspeichern von Informationen (vgl. Kopp & Mandl, 2005). In der Mathematik können das Begriffe sein, aber auch Verfahren und andere zusammenhängende Phänomene. Ein einfaches Beispiel wäre der Begriff des Körpers. Ein typisches Vorgehen an der Universität wäre es, zunächst eine Definition (Menge mit zwei Verknüpfungen) mit zugehörigen Axiomen (neutrales Element, inverses Element, Kommutativgesetz, Assoziativgesetz, Distributivgesetz) zu liefern. Dann werden erste Beispiele (rationale bzw. reelle Zahlen, Körper mit zwei Elementen etc.) genannt. Nach und nach kommen weitere Eigenschaften (z. B. Rechenregeln) hinzu, weitere Beispiele (z. B. komplexe Zahlen) und Verknüpfungen zu anderen Begriffen (Gruppen, Anordnungen, Vollständigkeit etc.). Wie bereits erwähnt, kann aber auch prozedurales Wissen, wie die Anwendung des Gauss-Algorithmus, aber auch weniger festgelegte Vorgehensweisen, wie der Umgang mit Folgenkonvergenz, als Schema abgespeichert werden. Es können sich sogar verschiedene Schemata zu einem großen Schema verbinden, z. B. Wissen zum Themenbereich Folgen und Reihen. Gut ausgebildete Schemata machen einen dann zum Experten in diesem Gebiet, was zwei Vorteile hat: Zum einen wird bei neuen Informationen die Aufmerksamkeit auf die relevanten Aspekte gelenkt, zum anderen gelingt die Integration von neuem Wissen in das passende Schema leichter (ebd.). Aus diesen Gründen erleichtern gut ausgebildete Schemata die Bearbeitung von Problemen in diesem Fachgebiet (vgl. Chi, Feltovich & Glaser, 1981, Bielaczyc, Pirolli & Brown, 1995). Auch Aufgabentypen und hierzu passende Lösungsmethoden können Schemata bilden. Es gibt sogar Schemata für das Problemlösen selbst (Kopp & Mandl, 2005). Hierauf wird in Abschnitt 2.3.2 näher eingegangen. Um den Lernerfolg zu verbessern, kann es hilfreich sein, durch einen Experten (die Lehrkraft) ein Schema vorzugeben, entweder durch direktes Training oder durch Integration in die Lernumgebung (ebd.).

Betrachtet man die obige Aufzählung von Strategien genauer, so wird man erkennen, dass sich manche mehr und manche weniger gut für den Einsatz in der Hochschulmathematik eignen. So ist es beispielsweise kaum möglich, Informationen aus einem mathematischen Text, wie dem Skript einer Vorlesung, weiter zu reduzieren, ohne dabei inhaltliche Verkürzungen (z. B. beim Geltungsbereich einer Aussage) vorzunehmen (vgl. Liebendörfer, 2018, Kapitel 2). Der Grund dafür ist, dass die Verwendung mathematischer Fachsprache unter anderem zum Ziel hat, wichtige Informationen möglichst verdichtet zu kommunizieren (vgl. Hußmann, 2017, S. 61). Andererseits lässt sich mathematisches Wissen aufgrund der ihm innewohnenden Struktur (Definition – Satz – Beweis) besonders gut ordnen (ebd.). Auch das Betrachten und Generieren von Beispielen (und Gegenbeispielen) ist von großer Bedeutung (vgl. Mejia-Ramos, Fuller, Weber, Rhoads & Samkoff, 2012). Der Abgleich mit Vorwissen ist aufgrund des deduktiven Aufbaus der Mathematik nicht nur hilfreich, sondern notwendig für ein gutes Verständnis (Houston, 2012). Das Heranziehen von Anwendungskontexten hingegen ist eine Strategie, die zumindest in der Fachmathematik bald an Grenzen stößt (Liebendörfer et al., 2020). Was die Oberflächenstrategien angeht, so hat das wiederholte Anwenden, also das Einüben von gewissen Prozeduren zum Aufbau von Routinen, eine besondere Stellung in der Mathematik (vgl. Göller, 2020). Dasselbe gilt für Beweise (vgl. Grieser, 2015). Zum einen kann man durch das Betrachten von Beweisen innere Zusammenhänge von Sätzen erkennen, zum anderen werden hierdurch oft auch Verknüpfungen zu vorherigen Aussagen gebildet (vgl. Liebendörfer et al., 2020). Nach Hodds, Alcock und Inglis (2014) kommt es beim Nachvollziehen von Beweisen auf zwei Dinge an: Zum einen sollen die Kernideen des Beweises erkannt werden, zum anderen soll bei jedem einzelnen Beweisschritt der Zusammenhang mit vorherigen Schritten des Beweises und anderem Vorwissen hergestellt werden. In beiden Fällen wird die Tiefenstruktur eines Satzes unter die Lupe genommen, was der reinen Aussage des Satzes mehr Bedeutung verleiht.

In einem Praxisartikel für die Schulmathematik haben sich Prediger, Hußmann, Barzel und Leuders (2011) genauer mit dem Sichern und Systematisieren von neuem Wissen beschäftigt und unterscheiden hierbei verschiedene in Betracht zu ziehende Facetten und Arten des Wissens (S. 3), die sich im Wesentlichen auf die Hochschule übertragen lassen. Die Arten des Wissens sind klassisch aufgeteilt in Begriffe (hier: Konzepte), Zusammenhänge und Verfahren (vgl. Vollrath & Roth, 2012), wobei die Verfahren noch in mathematische und handwerkliche Verfahren aufgeteilt sind. Da letztere in der Universitätsmathematik aber nicht vorkommenFootnote 13, wird im Folgenden auf diese Unterscheidung verzichtet. Facetten des Wissens sind die explizite Formulierung, die Konkretisierung und Abgrenzung, die Bedeutung und Vernetzung sowie konventionelle Festlegungen. Explizite Formulierungen entsprechen an der Universität ziemlich genau der Definition eines Begriffs bzw. dem Satz, der einen Zusammenhang beschreibt. Bei Verfahren werden diese durch eine genaue Anleitung dargestellt. Konkretisierung und Abgrenzung geschehen bei Begriffen und Zusammenhängen in der Regel durch Beispiele und Gegenbeispiele. Bei Verfahren ist hiermit das Wissen über die Grenzen der Anwendbarkeit, Spezialfälle und typische Fehler gemeint. Vernetzung und das Verleihen von Bedeutung können durch das Betrachten verschiedener Darstellungen, anschaulicher Begründungen und formaler Beweise geschehen. Mit konventionellen Festlegungen sind Namen, Bezeichnungen sowie die Bedeutung von mathematischen Symbolen und Buchstaben gemeint. Prediger et al. (ebd.) empfehlen der Lehrkraft, für jede der Facetten zu entscheiden, ob diese einer besonderen Aufmerksamkeit bedarf oder nicht. Auch wenn in der Universitätsmathematik die explizite Formulierung häufig im Mittelpunkt steht, ist klar, dass diese allein zum Verständnis oft nicht ausreicht und sie zur Bildung tragfähiger Vorstellungen durch die Betrachtung der anderen Facetten angereichert werden muss (vgl. Prediger, 2009). Wie man sieht, decken sich die Erkenntnisse von Prediger et al. (2011) in großen Teilen mit den vorherigen Überlegungen.

Was die Auswirkungen verschiedener Lernstrategien auf den Studienerfolg angeht, ist die Studienlage nicht eindeutig. Zwar wird auf theoretischer Ebene den Tiefenstrategien ein positiver Effekt attestiert und von der Nutzung oberflächlicher Strategien abgeraten (z. B. Entwistle & Entwistle, 1991, Entwistle & Marton, 1994), ebenso wurde gezeigt, dass Tiefenlernen grundsätzlich positiv mit Verständnis korreliert (Marton & Säljö, 1984), allerdings spiegeln sich diese Erfolge nicht in den Studienleistungen wider (vgl. Artelt, 1998, Wild, 2000). Mögliche Erklärungen hierfür sind zum einen die Art der Prüfungen an den Hochschulen, die unter Umständen nicht ausschließlich die Qualität der Lernleistungen erfassen, zum anderen die Erfassung des Lernstrategieeinsatzes, die häufig in Form von Fragebögen geschieht. Hier ist fraglich, ob die Selbstbeurteilungen der Probanden bei der abstrakten Form, in der die Fragen gestellt sind, adäquat sind (Artelt, 1998). Es gibt empirische Studien, die den Lernstrategieeinsatz durch Handlungsanalysen ermitteln und einen positiven Zusammenhang zwischen dem grundsätzlichen Einsatz von Lernstrategien und dem Lernerfolg aufzeigen (Lehtinen, 1992, Renkl, 1997). Allerdings wurde hier keine Unterscheidung zwischen verschiedenen Strategien gemacht, so dass hieraus nicht abzuleiten ist, welche Strategien sich besonders positiv auf den Lernerfolg auswirken und welche eher nicht. Der positive Einfluss von metakognitiven Strategien und Anstrengung auf den Lernerfolg wurde hingegen mehrfach gezeigt (Jamieson-Noel & Winne, 2003; Schiefele, Streblow, Ermgassen & Moschner, 2003; Schunk, Meece & Pintrich, 2014; Wild & Schiefele, 1994; Zimmerman & Schunk, 2009). Auf metakognitive Strategien wird in Abschnitt 2.3.3 genauer eingegangen. In der Mathematik stellte sich zudem zunächst das Problem, dass die fachunspezifisch erhobenen Lernstrategien nicht immer sinnvoll einsetzbar sind (s. o.) und sich keine Korrelationen zwischen diesen und der Mathematikleistung zeigen. Erste Versuche, Lernstrategien mathematikspezifisch zu erfassen, zeigen aber gewisse Zusammenhänge. So haben Kolter et al. (2018) in der Grundschullehrerausbildung eine signifikante positive Korrelation zwischen Elaborationsstrategien und Testleistung sowie eine signifikante negative Korrelation zwischen Wiederholungsstrategien und Testleistung gezeigt. Ein Ergebnis zu Organisationsstrategien wird hier nicht präsentiert. Eley und Meyer (2004) haben bei Studienanfängern der Mathematik festgestellt, dass die erfolgreichsten Studierenden besonders hohe Durchschnittswerte in einer Kategorie, die sie Systematic and Principled Use of Examples nennen, aufweisen. Schaut man sich die Items dieser Kategorie genauer an, sieht man, dass diese Bezeichnung etwas irreführend ist. Es geht nicht, wie man vermuten könnte, um das systematische Betrachten von Beispielen zum Verständnis von Definitionen oder Sätzen, sondern um das Bearbeiten vieler Übungsaufgaben und das Betrachten von Lösungsbeispielen. Da diese Bearbeitung nicht genauer spezifiziert ist, könnte es sich also auch um das Einüben von Prozeduren durch Wiederholung handeln. Dieses wird im Gegensatz zu anderen Wiederholungsstrategien auch von Alcock (2017) empfohlen. Das im vergangenen Jahr fertiggestellte Untersuchungsinstrument LimSt (Liebendörfer et al., 2020), das speziell auf Lernstrategien im Mathematikstudium zugeschnitten ist, eröffnet die Möglichkeit zu prüfen, ob sich die genannten Ergebnisse bestätigen und auf andere Studiengänge übertragen lassen.

Zusammenfassend wird Studierenden also die Nutzung folgender mathematikspezifischer Lernstrategien empfohlen (vgl. auch Alcock, 2017):

  • Explizite Formulierungen nachvollziehen (auch durch Wiedergabe mit eigenen Worten)

  • Konkretisierung und Abgrenzung durch Betrachten und Generieren von Beispielen und Gegenbeispielen

  • Verleihen von Bedeutung durch Darstellungswechsel

  • Verleihen von Bedeutung durch Begründungen und Beweise

  • Beweisverständnis durch Self-Explanations

  • Vernetzung durch Beweise

  • Vernetzung durch externe Visualisierungen (Mind Maps, Listen)

  • Wiederholtes Anwenden von Verfahren

2.3.2 Heurismen

Betrachtet man das Problemlöseverhalten von Experten (beispielsweise von Mathematikern), so lassen sich eine Reihe von systematischen Herangehensweisen erkennen, die mehr oder weniger bewusst verwendet werden. Solche Herangehensweisen bezeichnen wir als Heurismen. Bevor eine genauere Charakterisierung des Begriffs vorgenommen wird, sei auf eine Schwierigkeit der englischen Sprache hingewiesen. Hier beschreibt der Begriff heuristic sowohl eine einzelne Problemlösestrategie (zu deutsch: Heurismus), als auch, grob gesagt, die Lehre solcher Strategien (Heuristik). Eine Unterscheidung dieser beiden Konzepte wird auch über den Numerus vorgenommen: Wird der Plural heuristics verwendet, sind Heurismen gemeint, der Singular heuristic ist in diesem Zusammenhang eher nicht gebräuchlichFootnote 14. Wird dieser verwendet, ist also meist die Heuristik gemeint. Eine klare Definition von Heurismen ist schwierig. Etymologisch stammt das Wort von dem altgriechischen Verb \(\varepsilon {\acute{\upsilon }}\rho \acute{\iota }\sigma \kappa \varepsilon \iota \nu \) (heurískein: finden, entdecken) (Wirtz, 2017) ab und hat somit denselben Wortstamm wie der berühmte Ausruf Archimedes’ „Heureka!“ (Ich habe (es) gefunden). Schoenfeld (1985) bezeichnet Heurismen als „rules of thumb“, frei übersetzt also als Faustregeln, Pólya (1945, S. 130) beschreibt sie als „mental operations typically useful [in the process of solving problems]“, also alle mentalen Operationen, die beim Problemlösen hilfreich sind. Später wird er etwas präziser:

A reasonable sort of heuristic cannot aim at unfailing rules; but it may endeavor to study procedures (mental operations, moves, steps) which are typically useful in solving problems. Such procedures are practiced by every sane person sufficiently interested in his problem. They are hinted by certain stereotyped questions and suggestions which intelligent people put to themselves and intelligent teachers to their students (ebd. S. 172).

Er unterscheidet Heurismen also von unfehlbaren Regeln. Bruder und Collet (2011, S. 42) benennen diesen Unterschied noch deutlicher (vgl. auch König, 1992):

Heuristische Verfahren bieten keine Lösungsgarantie wie die Algorithmen, sie bieten lediglich Orientierung, eine Art Geländer beim Lösen einer Aufgabe, wo man nach Bedarf mal zugreift, um sich zu stützen. Auch eine bestimmte Schrittfolge ist bei den Heurismen nicht einzuhalten – im Gegenteil: Ein flexibler Umgang mit den Impulsen ist gefragt.

Es handelt sich also um Strategien, die, flexibel eingesetzt, beim Lösen eines Problems helfen können, aber keine Lösungsgarantie bieten. Eine strikte Abgrenzung von Heurismen und Algorithmen ist allerdings nicht immer möglich (vgl. Kilpatrick, 1967), zumal auch eine solche Unterscheidung davon abhängt, wer die Strategie einsetzt. In der vorliegenden Arbeit werden ganz in der Tradition Schoenfelds (z. B. Schoenfeld, 1992) die Begriffe Heurismen und Problemlösestrategien synonym verwendet. Obwohl streng genommen auch metakognitive Strategien, wenn sie beim Problemlösen eingesetzt werden, als Problemlösestrategien gesehen werden könnenFootnote 15, werden sie hier separat betrachtet (siehe Abschnitt 2.3.3) und nicht unter diesem Begriff geführt.

Aus kognitionspsychologischer Sicht zählen die verfügbaren Heurismen ebenfalls zur Wissensbasis, also zur Kategorie der Ressourcen (vgl. Schoenfeld, 2010), allerdings sind sie für den Problemlöseprozess von so großer Bedeutung, dass sie gesondert aufgeführt werden (ebd.). Der Zusammenhang zwischen Lernen und Problemlösen sowie den zugehörigen Strategien wird weiter unten diskutiert. Ein gute Übersicht über Heurismen und mögliche Kategorisierungen derer liefern die Artikel von Rott (2015; 2018).

Wie schon aus Pólyas Zitat deutlich wird, schlägt er vor, den Einsatz von Heurismen durch bestimmte, immer wiederkehrende Fragen anzuregen. Er betont aber auch, dass man diese Fragen nie aus Gewohnheit stellen, sondern sich immer fragen sollte, ob diese zum vorliegenden Problem passen (Pólya, 1945, S. 148). Auch das zählt zu dem von Bruder und Collet erwähnten flexiblen Umgang. Pólya hat seinen Phasen eine Liste von Fragen zugeordnet, die er selbst schlicht als „The List“ bezeichnet (vgl. Abbildung 2.1).

Abbildung 2.1
figure 1

Phasen des Problemlösens (Pólya, 1945, S. xvii)

Er sagt (ebd. S. 21), dass eine solche Liste nicht zu lang sein darf, damit die Fragen ohne größere Schwierigkeiten wiederholbar (d. h. unter verschiedenen Umständen und in unterschiedlichen Problemkontexten abrufbar) sind. Schaut man sich die Liste genauer an, sieht man, dass die Fragen recht allgemein gehalten und auf alle möglichen Probleme anwendbar sind. Durch eine solche Liste von Fragen wird ein Problemlöseschema (vgl. 2.3.1) vorgegeben (Kopp & Mandl, 2005), welches durch wiederholtes Anwenden (also die Auswahl zur jeweiligen Problemsituation passender Fragen aus der Liste) in die kognitive Struktur des Problemlösers übergehen soll. Hierbei handelt es sich, im Gegensatz zu einzelnen Heurismen (die unter Umständen durch Fragen der Liste repräsentiert bzw. hervorgerufen werden) um eine allgemeine Herangehensweise an das Problemlösen, nach der über die Passung der einzelnen Fragen zum Problem entschieden wird. Tietze et al. (2000) sprechen in diesem Zusammenhang von globalen HeuristikenFootnote 16, die sich (im Gegensatz zu lokalen Heuristiken16, die in der vorliegenden Arbeit einfach als Heurismen bezeichnet werden) eher mit der übergreifenden Planung des Problemlöseprozesses beschäftigen (wozu unter anderem auch die Zerlegung in Phasen gehören kann) und damit schon in den Bereich der Metakgonition (vgl. Abschnitt 2.3.3) hineinspielen. King (1994) spricht auch von question stems (Fragestämmen) und hat in einer Studie mit Viert- und Fünftklässlern gezeigt, dass sich diese allgemeinen Fragen eignen, das Stellen von Fragen in konkreten Situationen einzuüben. Nach Pólyas Vorbild wurden noch einige weitere solcher Schemata entworfen (z. B. King, 1991, König, 1996, Schoenfeld, 1985, S. 109). Die Hoffnung, dass eine solche Liste bereits beim Problemlösen hilft, hat sich leider nicht bestätigt. Im Gegenteil wurde mehrfach gezeigt (z. B. Lesh & Zawojewski, 2007; Lester Jr. & Kehle, 2003; Schoenfeld, 1992; Silver, 1985), dass das reine Zur-Verfügung-Stellen einer solchen Übersicht keine wesentlichen Fortschritte mit sich bringt. Mögliche Gründe und weitere Lehrkonzepte, die zum Teil auch Problemlöseschemata nutzen oder mit den Lernenden gemeinsam entwickeln, werden in Abschnitt 2.4.5 beschrieben.

Generell ist der Nutzen von Heurismen nicht offensichtlich. Der Autor der vorliegenden Arbeit hat die Erfahrung gemacht, dass manche Professoren der Fachmathematik, die man in der Regel zu den Experten im Bereich des Problemlösens zählen kann, dem Heurismeneinsatz skeptisch gegenüberstehen, da sie laut eigenen Aussagen auch ohne den bewussten Einsatz solcher Strategien zurechtgekommen sind. Es scheint also auch weniger bewusste Komponenten für das erfolgreiche Problemlösen zu geben. In diesem Zusammenhang treten die Begriffe Intuition (Fischbein, 1987), Kreativität (Liljedahl, 2013) und geistige Beweglichkeit (Hasdorf, 1976) auf. Letztere lässt sich an folgenden Eigenschaften erfolgreicher Problemlöser festmachen (vgl. Bruder, 2000b; Rott, 2018):

Reduktion: :

Intuitive Konzentration auf wesentliche Aspekte, oft mit Hilfe von Visualisierungs- und Strukturierungshilfen

Reversibilität: :

Die Fähigkeit, Gedankengänge umzukehren

Aspektbetrachtung: :

Das Erkennen von Zusammenhängen und Abhängigkeiten zwischen verschiedenen Aspekten sowie das Durchhalten tragfähig erscheinender Ideen

Aspektwechsel: :

Das intuitive Variieren verschiedener Aspekte oder der Perspektive hierauf, was neue Ideen ermöglicht und ein Versteifen auf einen Lösungsansatz verhindert

Transferierung: :

Die Fähigkeit, bekannte Vorgehensweisen auf teilweise weit entfernt liegende, andere Kontexte zu übertragen; ein Sinn für tieferliegende Strukturen

Wie in der Beschreibung bereits deutlich wird, sind diese Fähigkeiten dem Problemlöser oft nicht bewusst und werden intuitiv angewandt. Menschen mit hoher geistiger Beweglichkeit sind auch ohne den Einsatz von Heurismen gut darin, Probleme zu lösen (ebd.). Zu diesem Personenkreis würde man wahrscheinlich auch die oben angesprochenen Mathematikprofessoren zählenFootnote 17. Ist die geistige Beweglichkeit allerdings weniger gut ausgeprägt, kann es zu Schwierigkeiten beim Problemlösen kommen, die durch das Erlernen von Heurismen zum Teil behoben werden können (ebd., vgl. auch König, 1992). Zusammenfassend kann man sagen: Gute intuitive Problemlöser kommen mitunter auch ohne die bewusste Verwendung von Heurismen aus, weniger gute können hiervon aber stark profitieren.

Um einen Überblick zu geben, folgt eine Liste von Beispiel-Heurismen (vgl. z. B. Bruder, 2000a, Heinrich et al., 2015, King, 1991, König, 1992, Leuders, 2017, Pólya, 1945, Schoenfeld, 1985), die längst nicht vollständig ist:

  • Voraussetzung und Behauptung systematisch festhalten

  • Begriffe klären

  • Betrachten von Beispielen (Spezialfälle und Extremfälle)

  • Darstellungswechsel (Skizzen, Tabellen, Gleichungen etc.)

  • Vorwärtsarbeiten (Von den Voraussetzungen Schritt für Schritt folgern)

  • Rückwärtsarbeiten (Was wird benötigt, um die Behauptung zu zeigen?)

  • Problem umformulieren (Verallgemeinern, Spezialisieren, Analogisieren etc.)

  • Zerlegung des Problems in Teilprobleme

  • auf bekannte Zusammenhänge zurückgreifen

  • Ähnliche (bekannte) Probleme heranziehen

  • Variation der Aspekte (Voraussetzungen, Behauptung) etc.

Vergleicht man diese Liste mit den oben aufgeführten Lernstrategien (vgl. S. 22 und 26, so erkennt man einige Parallelen (vor allem zu Tiefenstrategien). Insgesamt scheinen Lernen und Problemlösen sehr ähnliche kognitive Prozesse zu sein. So schreibt Leuders:

Vom lerntheoretischen Standpunkt aus ist jedes Lernen ein Problemlöseprozess. Ein „Problem“ ist schlichtweg eine Diskrepanz zwischen der Erwartung eines Individuums und der von ihm wahrgenommenen tatsächlichen Situation, oder unpersönlicher ausgedrückt: zwischen vorliegendem Ausgangszustand und erwünschtem Zielzustand.

Er beschreibt, dass zur Überwindung dieser Diskrepanz kognitive Konstruktionsprozesse (Assimilation und Akkomodation im Sinne von Piaget et al. (1975)) herangezogen werden, die man durchaus als Problemlösen bezeichnen kann.

Wenngleich fraglich ist, ob diese Behauptung wirklich für alle Lernprozesse, auch bei der Anwendung von Oberflächenstrategien (sind diese doch eher durch das Abspulen von Routineprozessen gekennzeichnet) haltbar ist, ist es doch ein interessanter Standpunkt, dass (Tiefen-)Lernen durch kognitive Aktivitäten geprägt ist, die mit Problemlöseprozessen gleichzusetzen sind. Umgekehrt kann man sich auch die Frage stellen, ob jedes Problemlösen ein Lernprozess ist. Zumindest scheinen die kognitiven Aktivitäten beim Problemlösen im Wesentlichen aus Organisieren und Elaborieren zu bestehen. Das könnte ein Hinweis darauf sein, dass das (erfolgreiche) Lösen von Problemen besonders zum Verständnis des jeweiligen Themas beiträgt. Mamona-Downs & Downs (2005) sehen auch das Verständnis von Beweisen als Problemlöseprozess an.

Neben allgemeinen Heurismen gibt es auch bereichsspezifische Lösungsverfahren. Für die Analysis hat der Mathematiker Terence Tao eine Liste von 21 Strategien, die teilweise sehr ähnlich zu denen aus unserer Liste, zum Teil sehr viel spezifischer und nur auf eine bestimmte Menge von Problemen anwendbar sind, auf seiner Homepage veröffentlicht (Tao, o. D.) (eine stichpunktartige Auflistung findet sich in Anhang A). Hierdurch wird deutlich, dass Problemlösestrategien sehr stark von den jeweiligen Themengebieten abhängen können.

2.3.3 Metakognition und Selbstregulation (Kontrolle)

Wie bereits in den vorherigen Abschnitten angeklungen ist, genügt es, um beim Problemlösen erfolgreich zu sein, nicht, ein gewisses Vorwissen (sowohl inhaltlicher als auch heuristischer Art) zu haben. Entscheidend ist es, dieses Wissen zum geeigneten Zeitpunkt abzurufen und flexibel (d. h. auf die Gegebenheiten der jeweiligen Problemlösesituation abgestimmt) einzusetzen, also das eigene Handeln zu steuern (vgl. z. B. Collet, 2009; Göller, 2020; Schoenfeld, 1985; Zimmerman & Schunk, 2009). Die Steuerung der eigenen Aktivitäten beim Problemlösen bezeichnet Schoenfeld (1985) als control. Heutzutage werden in diesem Zusammenhang eher die verwandten, aber nicht bedeutungsgleichen Begriffe Metakognition und Selbstregulation verwendet, die im Folgenden charakterisiert werden sollen. Unter Metakognition verstehen wir:

Any cognitive activity that takes as its object, or regulates any aspect of any cognitive enterprise (Flavell, Miller & Miller, 1993).

Sie beschreibt also alles Wissen und alle Kognition über (eigene wie fremde) kognitive Aktivitäten sowie alle Regulation derer. Ähnliche Definitionen finden sich u. a. auch bei Brown (1978) sowie Hasselhorn und Artelt (2018). Um genauer zu verstehen, was hier gemeint ist, ist es hilfreich, sich zunächst den Begriff der Kognition anzuschauen. Im Lexikon der Psychologie (Wirtz, 2017) heißt es hierzu:

Kognition ist ein Sammelbegriff für bewusste und unbewusste mentale Prozesse, die von Wahrnehmung bis Denken reichen. Kognition wird meist von Emotion und Motivation unterschieden, obgleich diese Aufmerksamkeit und damit Kognition beeinflussen.

Hervorzuheben ist hierbei, dass nach dieser Definition Emotionen gegenüber kognitiven Vorgängen nicht zur Metakognition zählen.

Sehr ähnlich zur Metakognition ist das Konzept der Selbstregulation:

[Self-regulation] is an active, constructive process whereby learners set goals for their learning and then attempt to monitor, regulate, and control their cognition, motivation, and behavior, guided and constrained by their goals and the contextual features in the environment (Pintrich, 2000, S. 453).

Selbstregulation umfasst also die Regulation der eigenen kognitiven, aber auch motivationalen Aktivitäten sowie des eigenen Verhaltens. Andere Autoren verwenden vergleichbare Definitionen (z. B. Landmann, Perels, Otto & Schmitz, 2009; Zimmerman & Schunk, 2009).

Im Folgenden sollen die Unterschiede der Begriffe Metakognition und Selbstregulation herausgearbeitet werden (vgl. hierzu auch Dinsmore, Alexander & Loughlin,  2008).

Die große Gemeinsamkeit der beiden Begriffe ist, dass sie die bewussteFootnote 18 Regulation von kognitiven Prozessen umfassen. Während die Selbstregulation zusätzlich noch die Regulation von Handlungen sowie emotionalen und motivationalen Vorgängen umfasst, wovon die Metakognition ja ausdrücklich ausgenommen ist, fällt unter den Begriff der Metakognition zusätzlich zur Regulation auch das Wissen über kognitive Vorgänge (im Folgenden metakognitives Wissen genannt). Flavell (1979) unterteilt dieses in die drei Kategorien personales Wissen, Aufgabenwissen und Strategiewissen, betont aber, dass es meistens als Kombination dieser drei Wissensformen auftritt. Hierbei beschreibt personales Wissen das Wissen eines Individuums über seine eigenen kognitiven Aktivitäten und Möglichkeiten, sowie die anderer Individuen, Aufgabenwissen umfasst Wissen über geschickten (oder ungeschickten) Umgang mit einer bestimmten Aufgabe oder einem Aufgabentyp, sowie eine Einschätzung der Aufgabenschwierigkeiten, und Strategiewissen umfasst neben der Kenntnis von Strategien auch die Einschätzung, wann eine Strategie wahrscheinlich sinnvoll ist und wann eher nicht. Letzteres scheint der Schlüssel zum Problemlösen zu sein, ist aber sicherlich abhängig von personalem Wissen und Aufgabenwissen. Flavell schreibt zu dieser Abhängigkeit:

I believe that the monitoring of a wide variety of cognitive enterprises occurs through the actions of and interactions among four classes of phenomena: (a) metacognitive knowledge, (b) metacognitive experiences, (c) goals (or tasks), and (d) actions (or strategies). (Flavell, 1979, S. 1)

Metakognitives Wissen kann, wie jedes andere Wissen auch, bewusst oder unbewusst aktiviert werden (ebd.).

Später wurde, in Abgrenzung von metakognitivem Wissen, der Begriff der metacognitive skills eingeführt. Hiermit ist der Teil der Metakognition gemeint, der der Regulation von kognitiven Aktivitäten, vornehmlich Problemlöse- und Lernaktivitäten dient. Hierzu zählen grundlegende Aktivitäten (Orientierung und Reflexion), Kontrollaktivitäten (Planen und Ausbessern) und Beobachtungen (Prozessbeobachtungen, Selbst-Tests, Diagnose und Evaluation) (vgl. Veenman, Hout-Wolters et al., 2003). Kluwe und Schiebler (1984) unterscheiden in diesem Zusammenhang auch deklarative Metakognition (Wissen) und prozedurale Metakognition (Kontrollprozesse). Diese Bezeichnungen können aber zu Verwirrung führen, da, wie jedes andere Wissen auch das metakognitive in deklarative und prozedurale Aspekte aufgeteilt werden kann (was z. B. von Hoy (2013, S. 319 f.) auch getan wird), ohne dass hierbei Kontrollaspekte gemeint sind. In der vorliegenden Arbeit wird daher zwischen metakognitivem Wissen und der Regulation kognitiver Aspekte unterschieden.

Da Letztere, sofern sie vom Lerner ausgeht, eine Teilmenge der Selbstregulation bildet, treffen die im Folgenden getätigten Aussagen in der Regel auch hierauf zu. Selbstregulation ist ein zyklischer Vorgang (Boekaerts & Corno, 2005, Zimmerman, 2000). Das bedeutet, dass Kognition, Emotion und Verhalten beobachtet und bei Abweichungen vom Wunschzustand iterativ angepasst werden. Hierdurch wird nicht zwingend der gewünschte Zustand erreicht, sondern nur angenähert, so dass bei weiteren Aktivitäten weitere Regulationen durchgeführt werden können. Cohors-Fresenborg und Kaune (2007) unterteilen die Selbstregulation in die Teilprozesse Planung, Monitoring und Reflexion.

Neben dieser Einteilung in Teilprozesse hat sich ein Phasenmodell nach Zimmerman (1998, 2000) etabliert, das hier in einer Adaption von Schmitz & Schmidt (2007) beschrieben werden soll:

Präaktionale Phase (Voraussicht)::

Hier werden AufgabenFootnote 19 analysiert, Ziele gesetzt, Vorwissen aktiviert, Strategien ausgewählt, motivationale Prozesse angestoßen und das allgemeine Vorgehen geplant.

Aktionale Phase (Durchführung)::

Hier wird der Plan unter Selbst-Beobachtung und -Kontrolle durchgeführt und Informationen über Einflussgrößen und Wirkung des eigenen Handelns gesammelt.

Postaktionale Phase (Reflexion)::

Schließlich wird das Ergebnis sowie der Lern- bzw. Problemlöseprozess reflektiert und evaluiert und es werden Schlussfolgerungen für zukünftiges Handeln gezogen.

Hierbei ist darauf zu achten, diese Phasen auf der einen Seite nicht mit den Phasen Pólyas zu vermischen. Wenngleich es bei der präaktionalen Phase um die Analyse der vor einem liegenden Aufgaben und die Planung des Herangehens an diese handelt, liegt diese Phase vor der Bearbeitung des eigentlichen Problems (oder einer anderen zu bewältigenden Aufgabe). Die Pólya-Phasen Understanding the Oroblem und Devising a Plan sind deutlich detaillierter und liegen bereits in der aktionalen Phase. In der präaktionalen Phase werden eher allgemeine Herangehensweisen und einzusetzende Ressourcen, wie Anstrengung und Zeiteinsatz, geplant. Genauso liegt die postaktionale Phase nach dem eigentlichen Bearbeitungsprozess und ist nicht mit Looking Back zu verwechseln, wenngleich eine Unterscheidung hier nicht ganz so trennscharf ist. Auf der anderen Seite sind die oben genannten Teilprozesse Planung, Monitoring und Reflexion nach Cohors-Fresenborg und Kaune (2007) nicht mit solchen Phasen zu verwechseln. Hierbei handelt es sich um „kleinere“ Aktivitäten, die in jeder Phase (sowohl nach Zimmerman als auch nach Pólya) auftreten können. Mit anderen Worten: Jeder einzelne Schritt eines Problemlöse- oder Lernprozesses kann geplant, beobachtet und reflektiert werden, egal in welcher Phase man sich befindet. Darüber hinaus ist, wie die meisten Phasenmodelle, auch dieses nicht rein linear zu sehen. Es ist beispielsweise durchaus möglich, von einer aktionalen Phase in eine präaktionale überzugehen.

Als hilfreiche Faktoren der Selbstregulation werden genannt (Zimmerman & Martinez-Pons, 1988; Sitzmann & Ely, 2011):

  • Zielsetzung

  • Implementierung effektiver Strategien

  • Beobachtung und Beurteilung des eigenen Fortschritts

  • Schaffung produktiver Lernumgebungen

  • Sinn für Selbstwirksamkeit

  • Ausdauer und Anstrengung

Metakognition und Selbstregulation hängen stark von dem Bereich ab, in dem die Lern- und Problemlöseaktivitäten stattfinden (vgl. Veenman et al., 2003, Boekaerts, Maes & Karoly, 2005). So ist es beispielsweise naheliegend, dass ein mathematischer Text anders zu lesen ist als ein literarischer (Alcock, 2017). Dementsprechend werden auch die zugehörigen Regulationsprozesse anders aussehen. Aber auch beim mathematischen Problemlösen kann es sein, dass das jeweilige Teilgebiet (z. B. Analysis oder Lineare Algebra) die Herangehensweise beeinflusst. Dieses Thema wird im Verlauf dieser Arbeit noch weiter aufgegriffen. Selbstregulation hängt also stark mit der Kompetenzentwicklung in diesem Bereich zusammen. Umgekehrt gilt Metakognition (und damit Selbstregulation der kognitiven Lernprozesse) als stärkster Prädiktor für Lernerfolg (Wang, Haertel & Walberg, 1990; Prins, Veenman & Elshout, 2006).

Wenn im Folgenden von Metakognition gesprochen wird, sind damit, wenn nicht anders erwähnt, metacognitive skills gemeint, also die Regulation von kognitiven Aktivitäten. Metakognitives Wissen wird in der vorliegenden Arbeit als Vorwissen, bzw. als Wissen über Problemlösestrategien betrachtet. Auf der anderen Seite beschäftigt sich die vorliegende Arbeit nur marginal mit der Regulation von Handlungen, Emotionen und Motivation. Demnach werden die Begriffe Metakognition und Selbst-Regulation hier nach reiflicher Überlegung weitgehend synonym verwendet. Zusammenfassend beschreiben sie beide die Beobachtung, Beurteilung und darauf basierende Reaktion bzw. Anpassung der eigenen kognitiven Aktivitäten, also genau das, was (Schoenfeld, 1985) unter control verstanden hatFootnote 20. An dieser Stelle sei erwähnt, dass sich die bei Schoenfeld (ebd.) beschriebenen Kontrollaktivitäten im Wesentlichen auf den eigentlichen Problembearbeitungsprozess, also auf die aktionale Phase beschränken. Von großer Bedeutung ist aber auch die postaktionale Reflexion der Prozesse, die das Problemlöseverhalten zukünftiger Prozesse entscheidend beeinflussen kann und sich zum Teil in Pólyas Phase des Looking Back wiederfindet.

2.3.4 Überzeugungssysteme

Als letzten Einflussfaktor erfolgreichen Problemlösens benennt Schoenfeld (1985) Belief Systems. Damit ist die Sicht des Individuums auf die mathematische Welt gemeint. Hierzu gehören Überzeugungen über Mathematik an sich, über sich selbst und seine mathematischen Fähigkeiten, über das spezielle Thema und über die Umwelt, zu der auch andere Individuen gehören. Diese Ansichten sind häufig unbewusst und können das individuelle (Problemlöse-)Verhalten (insbesondere motivationale Aspekte) beeinflussen. Schoenfeld (ebd.) beschreibt typische Überzeugungen von Studienanfängern, die möglicherweise systematisch in der Schulmathematik „erlernt“ werden und die bei der Problembearbeitung hinderlich sein können. Hierzu gehören Aussagen wie „Mathematische Aufgaben lassen sich immer nach einem Schema lösen“, „Eine mathematische Aufgabe muss nach spätestens fünf Minuten gelöst sein“ oder „Es gibt für jede Aufgabe nur einen sinnvollen Lösungsweg“. Später (1992) bezieht er, zumindest namentlich, auch affects in diese Kategorie mit ein. Andere Autoren (z. B. DeBellis & Goldin, 2006; Hannula, 1999) beschäftigen sich intensiver mit dem Einfluss von Affekten auf das Problemlösen.

Da der Fokus der in dieser Arbeit beschriebenen Maßnahme eher auf der Förderung von kognitiven und metakognitiven Aspekten lag und Überzeugungen (sowie motivationale Aspekte) nur mittelbar beeinflusst wurden, wird auf weitere Ausführungen zu diesem Aspekt verzichtet und dieser Abschnitt bewusst kurz gehalten. Der geneigte Leser findet bei Schoenfeld (1985 vor allem in Kapitel 5 und 10; 1989a) und McLeod (1989a) ausführlichere Beschreibungen.

2.4 Konzeptionen zur Förderung der Problemlösekompetenz

In diesem Abschnitt werden bestehende theoretische Überlegungen aus verschiedenen didaktischen Bereichen vorgestellt, die Einfluss auf die Entwicklung der in der vorliegenden Arbeit beschriebenen Interventionsmaßnahme hatten. In den ersten Unterabschnitten werden allgemeinere didaktische Konzeptionen vorgestellt, beginnend mit dem entdeckenden Lernen und verwandten Ideen (Abschnitt 2.4.1), gefolgt von der Cognitive Load Theory, die sich mit der Belastung (und Überlastung) des Arbeitsgedächtnisses beschäftigt sowie dem Lernen aus Lösungsbeispielen, das einer Überlastung entgegenwirken soll (Abschnitt 2.4.2). Um Lernenden die benötigten Hilfestellungen zu geben, ohne ihnen die Möglichkeit der eigenständigen Entwicklung zu nehmen, eignet sich der Ansatz des Scaffolding, bei dem die Hilfen an die Erfahrung der Lernenden angepasst und nach und nach ausgeblendet werden. Dieses Konzept ist in Abschnitt 2.4.3 beschrieben. Abschnitt 2.4.4 beschäftigt sich mit den Vor- und Nachteilen kooperativer Lehrformen. Die letzten drei Teilabschnitte behandeln Konzeptionen, die spezifischer zur Förderung der Problemlösekompetenz eingesetzt werden können. So werden in Abschnitt 2.4.5 verschiedene Ideen zur Vermittlung heuristischer Strategien diskutiert, Abschnitt 2.4.6 beschäftigt sich mit mathematikspezifischen Lernstrategien, die Studierenden dabei helfen können, selbstständig die zur Bearbeitung der Übungsaufgaben notwendige Wissensbasis aufzubauen und Abschnitt 2.4.7 erläutert Konzeptionen, die metakognitive Kompetenzen zur eigenständigen Steuerung von Problemlöse- und Lernprozessen fördern sollen. Es sei an dieser Stelle angemerkt, dass motivationale und volitionale Aspekte in der vorliegenden Arbeit nur indirekt behandelt werden. Zwar ist es naheliegend, dass Teile der hier entwickelten Maßnahme Einfluss auf diese Faktoren habenFootnote 21, der Fokus liegt aber auf der Vermittlung kognitiver und metakognitiver Strategien.

2.4.1 Entdeckendes Lernen

Die in diesem Abschnitt beschriebene Idee tritt in der Didaktik in vielen verschiedenen Formen unter verschiedenen Bezeichnungen auf, unter anderem im Konstruktivismus (Jonassen, 1991, Leder & Gunstone, 1990, Siebert, 2005), beim genetischen Prinzip (Schubring, 1978), als entdeckendes Lernen (Bruner, 1961; Klauer & Leutner, 2007) und beim problembasierten Lernen (Schmidt, 1983, Zumbach, 2003). Wenngleich es unterschiedliche Strömungen gibt, so ist ihnen doch eine Grundannahme gemein:

[L]earning is not a passive receiving of ready-made knowledge but a process of construction in which the students themselves have to be the primary actors. (Glasersfeld, 1992, S. 120)

Mit anderen Worten: Es geht um die aktive Konstruktion von Wissen. Diese Annahme passt zu der auf S. 23 beschriebenen Ansicht, dass Lernen durch die Integration neuer Informationen in bereits vorhandene, individuelle Wissensstrukturen geschieht (vgl. Kopp & Mandl, 2005). Hierbei ist es grundsätzlich auch möglich, dass die Aktivität des Lerners ausschließlich mental und von außen nicht beobachtbar abläuft, auch bei scheinbar rezeptivem Lernen bei Vorträgen oder beim Lesen von Sachtexten (vgl. Renkl, 2005, Mayer, 1999). Wichtig ist aber, dass die Verantwortung für den Lernprozess auf den Lerner übertragen wird (vgl. Wittmann, 1997). Dies passt sehr gut zur grundsätzlichen Organisation von HochschulbildungFootnote 22. Dementsprechend scheint es sinnvoll, auch in den Präsenzveranstaltungen die Selbstständigkeit der Studierenden zu fördern. Nach Bruner (1975) dient das entdeckende Lernen der Aneignung passender Techniken und Strategien. Er geht von der Annahme aus, dass selbst Entdecktes leichter behalten und auf andere Kontexte transferiert wird (ebd.). Übertragen auf das Problemlösen würde das bedeuten, dass die Problembearbeiter die Aufgaben probierend-entdeckend angehen und sich im Verlauf Gesetzmäßigkeiten, Beziehungen, Strukturen, Fertigkeiten, Wissenselemente und Lösungsstrategien selbst erarbeiten. Dadurch werden eigene Erfahrungen gemacht, durch die das Überwinden von Hindernissen erlernt und die (metakognitive) Steuerung von kognitiven Aktivitäten gefördert wird (vgl. Wittmann, 1997). Demnach wäre es also das Beste, die Studierenden die Probleme komplett eigenständig bearbeiten und ihre eigenen Strategien entdecken zu lassen. Schon Pólya (1945) sagt, dass erfolgreiche Problemlöseprozesse die Problemlösekompetenz verbessern. Aber genau da liegt eine Schwierigkeit, die beim entdeckenden Lernen zu beachten ist. Wenn der Lernende nicht in der Lage ist, eine Aufgabe selbstständig zu lösen, so kann er auch keine Lösungsstrategie entdecken. Es ist bei einem akademischen Studium auch nicht zu erwarten, dass ein Student Erkenntnisse, für die Mathematiker Jahre, Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte gebraucht haben, innerhalb eines Semesters gewinnt. Nussbaum und Leutner (1986) haben in einer Studie mit Studierenden einer technischen Hochschule gezeigt, dass beim reinen entdeckenden Lernen leichte Aufgaben (mit einer LösungsquoteFootnote 23 von 90 %) deutlich besser zum Erlernen eines Lösungsprinzips geeignet waren als mittlere (50 % Lösungsquote) oder schwere (20 % Lösungsquote). Interessanterweise haben sich Aufgabengruppen mit steigendem Schwierigkeitsgrad (also ein gleicher Anteil leichter, mittlerer und schwerer Aufgaben, beginnend bei den leichten) nur als fast so gut geeignet erwiesen wie die leichten Aufgaben.

Eine Möglichkeit, dem Problem der Überforderung zu begegnen, wäre es, die Schwierigkeit der zu bearbeitenden Probleme entsprechend anzupassen, also mit deutlich einfacheren Aufgaben zu beginnen und den Schwierigkeitsgrad im Verlauf des Semesters Schritt für Schritt zu erhöhen. Da aber in mathematischen Vorlesungen die Aufgaben in thematischer Reihenfolge, die durch den axiomatisch-deduktiven Aufbau vorgegeben ist und daher nicht ohne Weiteres verändert werden kann, gestellt werden, lässt sich das kaum umsetzen. Darüber hinaus ist zweifelhaft, ob eine solche Staffelung zielführend ist, da bisher nur gezeigt wurde, dass zum Erlernen eines Lösungsprinzips Aufgaben mit steigendem Schwierigkeitsgrad geeignet sind. Da ein einziges Lösungsprinzip (etwa ein Heurismus) aber sicherlich nicht ausreicht, um alle möglichen Probleme zu bearbeiten, und selbst ein einziges Problem verschiedene Lösungswege haben kann, ist zu vermuten, dass Problemlösen so einfach nicht zu erlernen ist. Um Lernende beim Entdecken zu unterstützen, gibt es eine Reihe von Ansätzen, die in den folgenden Abschnitten besprochen werden.

2.4.2 Cognitive Load Theory und Worked Examples

Bevor auf einzelne Förderansätze eingegangen wird, soll in diesem Abschnitt eine weitere Schwierigkeit, die im Zusammenhang mit Problemlösen auftritt, beschrieben werden. Die Cognitive Load Theory geht davon aus, dass das Arbeitsgedächtnis nur eine geringe Anzahl (je nach Quelle wird von 3 bis 9 gesprochen) von Informationen speichern kann (Cowan, 2001, Miller, 1956). Eine Gruppe von Wissenschaftlern um John Sweller hat sich mit den Konsequenzen für das Lernen durch Aufgabenbearbeitungen beschäftigt und gezeigt, dass das entdeckende Lernen nur bedingt effektiv ist (z. B. Cooper & Sweller, 1987; Kirschner, Sweller & Clark, 2006; Sweller, 1999). Als Cognitive Load bezeichnet Sweller (1988) die kognitive Belastung, die aus der Menge an Informationen im Arbeitsgedächtnis resultiert. Hierbei differenzieren Sweller, Merrienboer und Paas (1998) drei verschiedene Arten:

Intrinsic Cognitive Load:

Hiermit wird die Komplexität der jeweiligen (Lern-) Aufgabe bezeichnet. Diese ist abhängig vom Vorwissen des Lernenden.

Extraneous Cognitive Load:

Alle kognitiven Belastungen, die nicht direkt dem Wissenserwerb dienen.

Germane Cognitive Load:

Hierzu zählen alle kognitiven Anstrengungen, die dem Wissenskonstruktionsprozess dienen.

Demnach ist der Germane Load für das Lernen verantwortlich. Da es gerade bei komplexen Aufgaben mit hohem Intrinsic Load leicht zu Überforderung des Arbeitsgedächtnisses kommt (Cognitive Overload), wird versucht, die kognitive Belastung zugunsten des Germane Load zu verringern. Die einzig verbleibende Stellschraube ist der Extraneous Load, der durch die Darbietung der Aufgabe (z. B. in Form von Lernhilfen) beeinflusst werden kann.

Als Alternative zum entdeckenden Lernen wird das Lernen aus Worked Examples, zu deutsch Lösungsbeispielen oder auch Musterlösungen (vgl. Renkl et al., 2003) vorgeschlagen. Im hochschulmathematischen Bereich hat sich Ableitinger (2013) mit solchen ausführlichen Musterlösungen beschäftigt. Ihm kommt es darauf an, „jeden einzelnen Lösungsschritt und die ihn steuernden Begleitüberlegungen möglichst genau offenzulegen“ (ebd. S. 91). Die Überlegenheit von Lösungsbeispielen gegenüber eigenständiger Aufgabenbearbeitung zum Erlernen von Lösungsprinzipien wird in mehreren Studien nachgewiesen (z. B. Renkl, Atkinson, Maier & Staley, 2002;  Renkl et al., 2003; Sweller, 1988; Sweller et al., 1998). Dieser Effekt kehrt sich allerdings mit steigender Expertise der Probanden um. Dieses Phänomen wird von Kalyuga et al. (2003) als Expertise Reversal Effect beschrieben und lässt sich dadurch erklären, dass mit steigender Erfahrung die kognitive Belastung geringer wird, sodass Kapazitäten für Lernprozesse freiwerden, die von Lösungsbeispielen nicht angeregt werden. Lösungsbeispiele hingegen bringen weniger neue Informationen und beanspruchen das Arbeitsgedächtnis unnötig durch Redundanzen. Demzufolge wird ein langsames Ausschleichen (wie beim Scaffolding – vgl. Abschnitt 2.4.3) aus der Nutzung von Lösungsbeispielen empfohlen (Atkinson, Renkl & Merrill, 2003). Einschränkend sei erwähnt, dass in den oben genannten Studien, obwohl hier von problem solving gesprochen wird, eher leichtere Aufgabentypen untersucht werden, die zwar für Neulinge ein Problem darstellen können, allerdings nach Einüben des Lösungsprinzips (was genau der Gegenstand der Untersuchungen ist) zur Routine werden (unter anderem sind die Themen: Berechnungen eines Winkels im Dreieck bei Vorgabe der anderen Winkel (Sweller et al., 1998), einfache Aufgaben aus der Kinematik (ebd.), Berechnungen von Seitenlängen im Dreieck mit Hilfe von Sinus und Cosinus (Sweller, 1988), einfache Aufgaben zu stochastischer Unabhängigkeit (Renkl et al., 2002, 2003)). Die Übertragung der Ergebnisse auf Probleme ist also nicht gesichert. Jonassen (2014) schreibt hierzu:

Because most research with worked examples has been conducted with well-structured problems, the relationships between problem complexity and working memory demands remain questionable.

Außerdem haben Atkinson et al. (2003) herausgefunden, dass es beim Lernen aus Lösungsbeispielen von großer Bedeutung ist, wie die Lernenden damit umgehen. Es ist nicht klar, ob die zum Lernen nötigen Verknüpfungen gebildet werden. So entlastet zwar das Bereitstellen von Lösungsbeispielen im Vergleich zum eigenständigen Lösen das Arbeitsgedächtnis, jedoch ist nicht klar, ob die freigewordenen Ressourcen wirklich zum tieferen Verständnis genutzt werden oder ob eher auf oberflächliche Merkmale der Lösung geachtet wird. Zahlreiche Versuche, den Lerneffekt von Musterlösungen durch ausführliche Erklärungen zum Vorgehen zu verbessern, haben nur begrenzt zu Erfolgen geführt, wie eine Metastudie (Wittwer & Renkl, 2010) gezeigt hat. Vielversprechender ist hier der Ansatz, die Lernenden zum aktiven Umgang mit den Materialien anzuregen. Ein Beispiel für solche Anregungen im Zusammenhang mit Beweisverständnis ist das Self-Explanation Training (Hodds et al., 2014), das in Abschnitt 2.4.6 beschrieben wird.

Obwohl die oben angesprochenen Ergebnisse sich nicht zwingend auf das Problemlösen übertragen lassen, ergibt sich doch folgende Erkenntnis: Da Problembearbeitungsprozesse mit einer hohen kognitiven Belastung verbunden sind, sollte versucht werden, einen Teil dieser Belastung auszulagern. Das kann durch Lösungshilfen, teilweise Vermittlung benötigten Wissens, kooperatives Arbeiten oder vorheriges Einüben von Teilprozessen geschehen (vgl. Neber & Neuhaus, 2018). Sweller (2006) betont, dass die Limitationen des Gedächtnisses sich nicht auf solches Wissen beziehen, das bereits im Langzeitgedächtnis abgespeichert ist. Alle Teilhandlungen, die im Vorfeld bereits internalisiert sind, tragen nicht zum Cognitive Load bei. Eine andere Möglichkeit wäre, Lernprozesse, die aufgrund eines Cognitive Overload nicht während der Aufgabenbearbeitung stattfinden konnten, durch ausführliche Reflexion des Vorgehens nachzulagern. Diese Möglichkeiten werden in den folgenden Abschnitten weiter besprochen.

2.4.3 Scaffolding

Scaffolding [...] allows students to meaningfully participate in and gain skill at a task that they would be unable to complete unaided (Belland, 2014).

Das Wort Scaffolding lässt sich auf zwei verschiedene Arten übersetzen: Zum einen als Substantiv: Das Gerüst, das zur Unterstützung baulicher Maßnahmen verwendet wird und nach erfolgreicher Fertigstellung wieder abgebaut wird, und zum anderen als Verlaufsform des Verbs to scaffold, womit das Auf- und Abbauen eines solchen Gerüsts gemeint ist. Das scaffolding bietet eine Möglichkeit, die Eigenaktivität des Lernenden im Rahmen seiner Fähigkeiten hoch zu halten, ohne ihn zu überfordern. Hierbei soll, einfach ausgedrückt, so wenig wie möglich, aber so viel wie nötig geholfen werden. Darin zeigen sich Ähnlichkeiten zum Prinzip der minimalen Hilfe (Aebli, 2019) und der Zone der nächsten Entwicklung (Vygotskij, 1978). Das Scaffolding verzichtet weitgehend auf direkte Instruktionen und setzt stattdessen auf Fragen, Hinweise und Denkanstöße sowie eine produktive Gestaltung der Lernumgebung (Zech, 1996). Ein Beispiel dafür wäre die Verwendung von Pólya-Fragen (Pólya, 1945) oder ähnlichen Fragestämmen wie sie in Abschnitt 2.3.2 beschrieben wurden. Wesentlicher Bestandteil des Scaffolding ist es, das verwendete Gerüst dynamisch an die Fähigkeiten der Lernenden anzupassen und dementsprechen nach und nach abzubauen, um nach und nach die Verantwortung für den Lernprozess auf die Lernenden zu übertragen (Puntambekar & Hubscher, 2005). Man spricht in diesem Zusammenhang auch von Fading (z. B. Belland, 2014;  Wood, Bruner & Ross, 1976). Scaffolding soll nach Pol, Volman und Beishuizen (2010) Interesse wecken, Frustration kontrollieren, Feedback geben, auf wichtige Problemelemente hinweisen, Expertenverhalten simulieren und Fragen aufwerfen.

Speziell im Bereich der Metakognition gibt es bereits einige erfolgreiche Ansätze, die von der Vorgabe metakognitiver Fragestämme (Davis, 1996; Hannafin, Land & Oliver, 1999; vgl. auch Abschnitt 2.4.7, insbesondere Schoenfeld-Fragen) bis hin zur Entwicklung eigener metakognitiver Fragen (Molenaar, Boxtel & Sleegers, 2010; Pol et al., 2010) reichen. Alle diese Studien zeigen einen positiven Einfluss des Scaffolding auf die metakognitiven Kompetenzen der Probanden.

Eine etwas abgewandelte Form des Scaffolding ist die Cognitive Apprenticeship. Hierbei wird der Lernprozess einer Lehrlingsausbildung nachgebildet (vgl. Collins, Brown & Newman, 1988). Zunächst modelliert der Meister die zu lernende Tätigkeit, wobei er sein Vorgehen (und auch die Gründe dafür) nachvollziehbar kommentiert. Als nächstes versucht sich der Lehrling an der Tätigkeit, wobei der Meister bei Bedarf behilflich ist, sich aber nach und nach zurückzieht. Der Lehrling artikuliert hierbei seine Denkprozesse, damit der Meister Missverständnisse ausräumen kann, aber auch zur Selbstreflexion. Anschließend werden die Prozesse gemeinsam reflektiert. Zu guter Letzt führt der Lehrling die Prozesse selbstständig aus und der Meister betrachtet nur noch die Endprodukte.

2.4.4 Kooperative Lernformen

Bevor die Konsequenzen der bisherigen Überlegungen für die Förderung der Problemlösekompetenz dargestellt werden, sollen in diesem Abschnitt noch ein paar Überlegungen zu verschiedenen kooperativen Lernformen angestellt werden, die bei der Konzeption der in Abschnitt 4.4 beschriebenen Maßnahme eine Rolle spielen: Grundsätzlich ist der Vorteil von Gruppenarbeit im Vergleich zu Klassenunterricht, was die Lernwirksamkeit angeht, gut belegt, wobei die besten Ergebnisse von heterogenen Kleingruppen von drei bis vier Mitgliedern erzielt werden (vgl. Metastudie von Lou et al., 1996). Diese Effektivität ist auch an Universitäten nachgewiesen, wo vor allem die schwächeren Studierenden von Gruppenarbeit profitieren (Springer, Stanne & Donovan, 1999). Als Vorteile kooperativer Lernformen werden vor allem kommunikative Aspekte benannt: Durch die Notwendigkeit sich den anderen Gruppenmitgliedern mitzuteilen wird zum einen das vorhandene Vorwissen expliziert und neue Inhalte werden erläutert (Pressley et al., 1992), was sowohl das Elaborieren, als auch das Organisieren (vgl. Abschnitt 2.3.1) fördert. Da man sich auf ein gemeinsames Vorgehen einigen muss, werden Entscheidungen explizit hinterfragt wodurch die Metakognition gestärkt wird (Kramarski & Mevarech, 2003). Darüber hinaus werden verschiedene Perspektiven aufgeworfen und mehr Ideen generiert, was die Erfolgswahrscheinlichkeit erhöht (Zech, 1996). Fehlkonzepte und Wissenslücken werden durch die Kontrolle der Gruppenmitglieder leichter erkannt (Hatano & Inagaki, 1992). Bei schweren Aufgaben kann es allerdings durch die Gruppenarbeit zu kognitiver Überforderung kommen, sodass Kapazitäten für die Bearbeitung fehlen (Krause, Stark & Mandl, 2004; Lester Jr., 1989; Schnotz, Böckheler, Grzondziel, Gaertner & Waechter, 1998). Hier empfiehlt es sich, die Komplexität der Aufgabe zu reduzieren, beispielsweise indem man sich auf bestimmte Teilaspekte konzentriert (möglicherweise auch unterschiedliche je Gruppe). Wenn das nicht möglich ist, so kann eine Einzelarbeit besser sein (ebd.). Weitere mögliche Probleme bei der Gruppenarbeit können sein, dass sich einzelne Gruppenmitglieder in die Passivität zurückziehen oder im Gegenteil das Geschehen an sich reißen, ohne sich mit den anderen abzustimmen (Klauer & Leutner, 2007). Im Vergleich zum Unterricht im Plenum benötigt der Gruppenunterricht mehr Zeit, vor allem wenn im Anschluss noch die Ergebnisse aus den Gruppen zur Sicherung zusammengetragen werden sollen. Das kann gerade in universitären Veranstaltungen, wo die Präsenzzeit knapp bemessen ist, als Argument gegen die Gruppenarbeit genutzt werden. Aber auch die Arbeit im Plenum kann kooperativ sein. Eine gute Möglichkeit zum Sammeln von Ansätzen und Ideen kann das brainstorming sein, bei dem spontane Äußerungen zunächst kommentarlos notiert werden (Runco & Chand, 1994). Die hierbei erstellten Notizen können anschließend gemeinsam beurteilt oder in Gruppen- oder Einzelarbeit genutzt werden. Grundsätzlich sollte bei der Zusammenarbeit im Plenum eine Atmosphäre geschaffen werden, die Fehler zulässt (Bruder, 1992). Gerade beim Problemlösen gehören auch nicht-zielführende Ideen zum Prozess dazu. Außerdem sollte genügend Zeit zum Nachdenken eingeräumt werden und nicht nach zu kurzer Zeit eine Idee von der Lehrperson eingeworfen werden (ebd.). Ein Spezialfall des kooperativen Lernens ist das Ich-Du-Wir-Prinzip (Barzel, 2006) (oder im Englischen Think-Pair-Share). Hierbei gibt es zunächst eine Phase, in der sich jeder, ganz im Sinne des entdeckenden Lernens, selbstständig mit einer Aufgabe beschäftigt. Anschließend werden die Erkenntnisse in Kleingruppen (oder in Partnerarbeit) zusammengetragen und in der letzten Phase werden die Ergebnisse der verschiedenen Gruppen im Plenum vorgestellt. Der Vorteil dieser Arbeitsform ist, dass durch die erste Phase Passivität vermieden wird, in der zweiten Phase viele Vorteile der Kommunikation genutzt werden und am Ende alle Ergebnisse gesammelt werden.

2.4.5 Heurismentraining

Da es sich bei Heurismen um kognitive Strategien handelt und gewisse Gemeinsamkeiten mit Lernstrategien vorhanden sind (vgl. S. 31), lohnt es sich, einen Blick auf allgemeine Befunde zum Trainieren von kognitiven Strategien zu werfen. Wenngleich die Übertragbarkeit auf das Problemlösen nicht gesichert ist, lassen sich durch die deutlich breitere Forschungslage gewisse Tendenzen ausmachen. Grundsätzlich ist das Training kognitiver Strategien effektiver, wenn es mit metakognitivem Training verbunden ist (zu empirischen Befunden siehe Klauer, 2000; Leutner, Barthel & Schreiber, 2001; Leutner & Leopold, 2003; Schreiber, 1998). Ein möglicher Grund dafür ist, dass es nicht nur von Bedeutung ist, Strategien zu kennen, sondern auch einordnen zu können, wann deren Einsatz sinnvoll ist, also eine Verknüpfung zu Anwendungsmöglichkeiten herzustellen. Diese Einschätzungen werden durch metakognitive Strategien eingeübt. In Bezug auf Problemlösestrategien ist die Effektivität der Verknüpfung mit metakognitivem Training nicht so eindeutig. Collet (2009, S. 295) schreibt:

Diese Kombination [von Problemlösestrategien mit Aspekten selbstregulierten Lernens] zeigt vergleichbare positive Wirkungen auf die Entwicklung von Problemlösefähigkeiten wie eine reine Vermittlung von Problemlösestrategien.

Außerdem wurde gezeigt (Hattie, Biggs & Purdie, 1996), dass kognitive Lernstrategie-Trainings mit zunehmendem Alter der Teilnehmer weniger effektiv sind, was möglicherweise durch einen Ceiling-Effekt zu begründen ist, d. h. aufgrund dessen, dass älteren Probanden bereits mehr Strategien bekannt sind, gibt es für sie gar nicht mehr so viel zu trainieren. Hinzu kommt, dass ältere Probanden möglicherweise zu der Überzeugung gelangt sind, dass die Strategien, mit denen sie schon länger arbeiten, für ihre Zwecke ausreichen und dadurch die Notwendigkeit von neuen Strategien nicht gesehen wird. Man muss also gerade bei älteren Lernenden (z. B. Studierenden) Wert darauf legen, die Notwendigkeit von neuen Strategien erfahrbar zu machen. Grundsätzlich werden kurzfristige Strategietrainings als wenig geeignet angesehen. So schreiben Friedrich und Mandl (2006):

Erwerb und Nutzung von Lernstrategien sind kein Ergebnis kurzfristiger Strategietrainings oder einzelner Unterrichtssequenzen, sondern viel eher das Resultat langfristiger Gewohnheitsbildung.

Ähnliche Aussagen gibt es auch im Bezug auf Problemlösestrategien, z. B. von König (1992) sowie Bruder und Collet (2011), die wiederholte Anwendung über den kompletten Schulzeitraum fordern. Im Kontext des Lernens aus Sachtexten konnte ein alleiniges Training von kognitiven Strategien nicht zu einer Verbesserung führen (Leutner & Leopold, 2006). Ähnlich schlechte Diagnosen wurden immer wieder den Heurismentrainings gestellt (z. B. Lesh & Zawojewski, 2007; Schoenfeld, 1992; Silver, 1985, Lester Jr. & Kehle, 2003). Zwar wurde mehrfach gezeigt, dass der Einsatz vieler unterschiedlicher Heurismen positiv mit dem Erfolg beim Problemlösen korreliert (Kilpatrick, 1967; Lucas, 1974; Kantowski, 1977; Perels, 2003; Collet, 2009; Komorek, Bruder, Collet & Schmitz, 2006), und es gibt auch Hinweise darauf, dass Heurismentraining zu mehr Heurismeneinsatz führt (Koichu et al., 2007), allerdings zeigt sich ein positiver Effekt von Heurismentraining auf Problemlöseerfolg trotz zahlloser Studien selten und wenn es einmal gelingt, dass einzelne Heurismen mehr oder weniger erfolgreich trainiert werden, so findet Transfer in andere Kontexte so gut wie gar nicht statt (vgl. schon Schoenfeld, 1992; Silver, 1985; Smith, 1973; Wilson, 1968).

Da diese Befunde schon seit langer Zeit vorliegen, gibt es auch zahlreiche Erklärungsversuche und berechtigte Zweifel nicht nur an der Wirksamkeit von Heurismentrainings, sondern auch an der Sinnhaftigkeit einer Liste, wie sie von (Pólya, 1945) erstellt wurde (vgl. Zech, 1996). Einer der Hauptkritikpunkte hieran ist die Tatsache, dass die dort aufgelisteten Heurismen deskriptiv sind, d. h. sie beschreiben Heurismen, nachdem sie sich als erfolgreich erwiesen haben. Es ist für einen Laien kaum möglich, im Vorhinein zu sagen, welcher der Einträge auf der Liste wirklich zielführend ist. Die Liste ist also nicht präskriptiv (vgl. Schoenfeld, 1992). Auch ist es zweifelhaft, dass Experten ihre Entscheidungen aufgrund einer solchen Liste treffen (vgl. Fritzlar, 2011). Zwar werden sie (bewusst oder unbewusst) einen Fundus an bewährten Vorgehensweisen haben. Diesen haben sie sich aber in der Regel durch das Bearbeiten zahlreicher Probleme erarbeitet (z. B. Lester Jr., 1989; Pólya, 1945). Dazu kommt, dass die Heurismen auf so einer Liste entweder sehr allgemein sind oder „durch das Maß ihrer Bereichsspezifität des Problems teilweise beschränkt“ (Heinze, 2007), was dazu führen würde, dass eine solche Liste sehr lang werden müsste, um möglichst viele Probleme abzudecken. Pólya (1945) hat sich bekanntermaßen für eine kurze Liste entschieden, damit die Fragen leicht abrufbar sind. Auch wäre eine lange Liste viel zu umfangreich, um hieraus passende Heurismen auszuwählen. Das führt aber dazu, dass die genannten Heurismen sehr allgemein und in ihrer konkreten Anwendung auf ein Problem schwierig zu handhaben sind. So schreiben English und Sriraman (2010, S. 20) zu dem scheinbar leicht zu überschauenden Heurismus Fertige eine Skizze an:

For example, the strategic tool, draw a diagram, can be effective in solving some problems whose structure lends itself to the use of this tool, such as combinatorial problems. However, the solver needs to know which type of diagram to use, how to use it, and how to reason systematically in executing their actions.

Sie gehen sogar so weit, zu sagen, dass Heurismen erst dann eingesetzt werden sollten, wenn man ohne sie nicht mehr weiterkommt (ebd.). Zumindest darin, dass Heurismen nicht blind einzusetzen sind, sondern es genauer Überlegung zu ihrer Passung bedarf, stimmt Pólya mit ihnen überein:

The intelligent problem-solver should be prepared to ask all questions of the list but he should ask none unless he is prompted to do so by careful consideration of the problem at hand and by his own unprejudiced judgement. In fact, he must recognize by himself whether the present situation is sufficiently similar or not to some other situation in which he saw the question successfully applied (Pólya, 1945, S. 206–207).

Das Fragenstellen bzw. der Heurismeneinsatz sollte also immer bewusst ablaufen, da sie sonst der zum Problemlösen „erforderlichen Beweglichkeit“Footnote 24 im Weg stehen (vgl. Zech, 1996, S. 340). Schoenfeld (1992) kritisiert in diesem Zusammenhang, dass Problemlösestrategien üblicherweise als etwas gelehrt werden, das durch Übung beherrscht werden kann. Entsprechende Aufgaben werden so ausgewählt, dass der entsprechende Heurismus gut daran ausgeführt werden kann. Die Lernenden bekommen so den Eindruck, dass der Lösungsweg bereits vorgegeben ist und sie selbst nichts weiter tun müssen, als diese anzuwenden.

Wenn Heurismentrainings also so umstritten sind, warum werden sie dann immer wieder eingesetzt? Bruder und Collet (2011) begründen ihr Vorgehen damit, dass es langwierig ist, das Problemlösen nur durch das Lösen von Problemen zu erlernen. Ihr Ziel ist es, aus wenigen Musteraufgaben durch angeleitete und reflektierte Erfahrung möglichst viel Übertragbares zu lernen. Das schrittweise Erlernen von einzelnen Heurismen soll zu einer Internalisation führen, also dazu, dass ein Wissensschema um sie herum aufgebaut wird, das durch immer stärkere Kontexterweiterung ausgebaut wird, so dass der Abruf des Heurismus und die Einschätzung seiner Nützlichkeit für neue Probleme immer leichter fällt. Zwar kann man Problemlöseprozesse nicht komplett automatisieren (sonst wären sie per definitionem keine Problemlöseprozesse mehr), aber einzelne Strategien und Teilhandlungen können prozeduralisiert werden (vgl. Heinze, 2007; Newell, 1983). So werden wieder Ressourcen für andere Prozesse frei (Renkl & Nückles, 2006). Bruder und Collet (2011) zitieren selbst die Bund-Länder-Komission für Bildungsplanung und Forschungsförderung mit ähnlichen Argumenten gegen ein (kurz- oder mittelfristiges) Heurismentraining, wie sie hier vorgebracht werden:

Grundsätzlich lassen sich allgemeine Strategien, Heuristiken, Lösungsalgorithmen und Lernregeln im begrenzten Umfang auch direkt vermitteln und trainieren. Für diese generellen Werkzeuge gilt jedoch ein Bandbreiten-Genauigkeitsdilemma: Je allgemeiner diese Werkzeuge sind, desto geringer ist ihr Nutzen bei der Lösung spezifischer anspruchsvoller Probleme.

Erfolgversprechender ist der Weg, Methoden des Lernens und des Problemlösens, persönliche Arbeitshaltungen und soziale Kompetenzen systematisch bei der Erarbeitung inhaltsspezifischen Wissens zu vermitteln. Der Erfolg dieser induktiven Strategie hängt davon ab, daß es sich bei dieser Vermittlung nicht um sporadische, sondern um systematische Bemühungen handelt (Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung, 1997).

Entscheidend ist hier, dass es sich bei der Vermittlung von Problemlösestrategien um systematische, also andauernde Bemühungen handelt, die dann stattfinden, wenn es inhaltlich sinnvoll ist. Das entspricht auch der Meinung von Zech (1996), der vorschlägt, Heurismen nach den Aufgabenanforderungen auszurichten (also z. B. in der Geometrie das Erstellen von Skizzen zu behandeln). Das Heurismentraining von Bruder und Collet (2011) ist langfristig angelegt und wird weiter unten ausführlich beschrieben.

Zwei weitere Konzeptionen sollen an dieser Stelle kurz beschrieben werden: Zum einen hat Schoenfeld (1985, Kapitel 6) ein Heurismentraining durchgeführt, bei dem fünf sehr spezifische Unterstrategien von Heurismen eingeübt wurden. Diese Strategien waren: Das Anfertigen einer Zeichnung, die induktive Argumentation (Wenn es eine natürliche Zahl als Parameter gibt, betrachte die Zahlen von eins bis fünf, dann überlege, was passiert, wenn man einen Schritt weiter von n nach \(n+1\) geht), der indirekte Beweis, das Betrachten eines Ähnlichen Problems mit weniger Variablen und das Setzen von Teilzielen. Hierbei haben sowohl die Interventions- als auch die Kontrollgruppe über einen längeren Zeitraum je vier Probleme, die auf die fünf Heurismen zugeschnitten waren, bearbeitet. Anschließend wurde ihnen eine Musterlösung gegeben. Bei der Kontrollgruppe waren die Probleme ungeordnet. Die Interventionsgruppe hat die Probleme nach Heurismen geordnet gestellt bekommen. Außerdem wurden die Heurismen explizit benannt und es gab eine Liste der fünf Heurismen, die jederzeit griffbereit war. Während bei Prätest beide Gruppen etwa gleich abschnitten, hat sich die Interventionsgruppe beim Posttest deutlich verbessert, während die Kontrollgruppe keine Verbesserungen zu verzeichnen hatte. Dieses Ergebnis wurde von Rott und Gawlick (2014) repliziert und bestätigt. Zusätzlich wurde hier eine Nullgruppe eingeführt, die zwischen Vor- und Nachtest keine Probleme bearbeitete. Diese Gruppe hat sich vom Prä- zum Posttest deutlich verschlechtert, was darauf schließen lässt, dass die Aufgaben im Posttest einen höheren Schwierigkeitsgrad hatten. Obwohl dies eine der wenigen Studien ist, bei der Heurismentraining zu besseren Ergebnissen führt, ist der Erfolg mit Vorsicht zu genießen. Schoenfeld schreibt in der Zusammenfassung dieses Trainings:

At least in a fairly ideal environment – where problems of executive control are kept to a minimum, the heuristic strategies are explicitly labeled and explicated in some detail, and practice is given in concentrated doses – students can master certain heuristic strategies well enough to use them on related but not isomorphic problems.

Eine Einschränkung ist also, dass Kontrollentscheidungen der Interventionsgruppe weitestgehend abgenommen wurden. Es wurde relativ deutlich impliziert, dass es im Posttest genau um diese fünf Heurismen ging. Es musste also nur jeder Aufgabe eine Strategie zugeordnet werden. Die Kontrollgruppe hingegen wusste lediglich, dass es um das Bearbeiten von Problemen ging. Wenn sie aber die Verbindung zwischen den Übungsaufgaben nicht selbst hergestellt hatten (was eine große Leistung wäre), hatten sie wenig Anhaltspunkte, wie die Testaufgaben zu bearbeiten sind. Eine zweite Einschränkung ist die, dass das Training nur bei bestimmten Heurismen Wirkung gezeigt hat. Bei den Strategien Setzen von Teilzielen und indirekter Beweis ließen sich keine Transfereffekte erkennen. Eine mögliche Erklärung hierfür liegt darin, dass diese Strategien nicht spezifisch genug waren, also zu vage, als dass sie den Probanden bei der Aufgabenbearbeitung geholfen hätten. Wollte man die Strategien aber weiter spezifizieren, also in Unterstrategien aufteilen, hätte man wieder das Problem einer langen Liste an Strategien.

Schoenfeld selbst führt ein Problemlösetraining durch, dessen Prinzipien von Arcavi et al. (1998) wie folgt beschrieben werden:

  • Probleme werden erst in Gruppenarbeit bearbeitet, dann im Plenum.

  • Während der Gruppenarbeit ist der Dozent als Berater tätig.

  • Während der Bearbeitung von Aufgaben werden metakognitive Kontrollfragen gestellt (siehe Abschnit 2.4.7).

  • Lösungen werden in der Regel von Studierenden vorgestellt und nur im Notfall vom Dozenten.

  • Die Präsentation der Aufgaben reflektiert die abgelaufenen kognitiven Aktivitäten.

  • Erläuterungen zur Ideengenerierung werden als wertvoll angesehen, auch wenn sie nicht zum Ziel führen.

  • Neue Techniken werden explizit festgehalten.

  • Bereits bei der Bearbeitung der Hausaufgaben soll die Kommunikation der Ergebnisse vorbereitet werden.

Leuders (2017, S. 133) ist sich der beschriebenen Schwierigkeit der Vermittlung von heuristischen Strategien durchaus bewusst und stellt seinerseits ein langfristiges Konzept für den Unterricht vor:

Trotz ihrer relativen Vagheit sind Strategien und Routinen für den kreativen Umgang mit Problemen durchaus erlernbar. Der Lernfortschritt bei Schülerinnen und Schülern in dieser Hinsicht ist jedoch nur gering, wenn man erwartet, dass Problemlösekompetenz gleichsam implizit mitgelernt wird. Stattdessen muss man Verfahren des Problemlösens an die Oberfläche holen, explizit machen und reflektieren. Dies sollte mit wachsender Erfahrung in mehreren Schritten geschehen:

Die Schritte, die er vorschlägt, sind:

  • Durch konkrete Fragen (ähnlich denen Pólyas) zur Reflexion anregen (z. B. Welche Möglichkeiten haben wir? Warum ist dieses Ergebnis herausgekommen? Haben wir so etwas Ähnliches schon einmal gemacht?)

  • Einzelne dieser Fragen in das Repertoire der Schüler übergehen lassen

  • Heurismen anwenden, reflektieren und auf einem Strategiekärtchen explizit benennen, mit Fragen verknüpfen und durch eine Musteraufgabe repräsentieren

  • In Problemlösestunden die Heurismen an vielfältigen Beispielen anwenden, um ihre Tragweite zu erkennen.

  • Sammeln der Strategiekarten in einem Strategiebaukasten, auf den beim selbstständigen Problemlösen zurückgegriffen werden kann.

Bevor auf das Konzept von Bruder und Collet eingegangen wird, soll noch eine Frage diskutiert werden, die sich bei jedem Heurismentraining stellt: Welche Heurismen sollen hierfür ausgewählt werden?

In fact, there are enough indications that problem-solving strategies are both problem- and student-specific often enough to suggest that hopes of finding one (or few) strategies which should be taught to all (or most) students are far too simplistic (Begle, 1979, S. 145 f.).

Auch Zech (1996) findet eine „starke Fixierung auf bestimmte heuristische Regeln unnötig“ und schlägt, wie bereits erwähnt, eine Auswahl nach typischen Aufgabenanforderungen vor. Es gibt allerdings eine Gruppe von Heurismen, nämlich die heuristischen Hilfsmittel, die eine Sonderstellung einnehmen.

Im Gegensatz zu den anderen Heurismen, die eher Verfahrenscharakter haben, sind die heuristischen Hilfsmittel keine unmittelbaren Lösungsstrategien. Sie sollen vielmehr dabei helfen, ein Problem zu verstehen und zu strukturieren, zu visualisieren bzw. Informationen zu reduzieren (Bruder & Collet, 2011, S. 45).

Man könnte diese Hilfsmittel analog zu Lernstrategien also auch als Organisationsstrategien bezeichnen. Sie kommen hauptsächlich in Pólyas erster Phase Understanding the Problem vor. Beispiele für solche Heurismen sind Voraussetzungen und Behauptungen systematisch festhalten, Begriffe klären und Darstellungswechsel. Interessanterweise wird das Betrachten von Beispielen nicht zu dieser Kategorie gezählt, obwohl es ebenfalls die oben genannten Eigenschaften besitzt. Der Grund dafür liegt darin, dass Beispiele nicht ausschließlich in dieser ersten Phase des Verstehens, sondern während des gesamten Problembearbeitungsprozess von Bedeutung sein können, da die Verallgemeinerung von Spezialfällen ein probates Mittel zum Problemlösen ist. Die Notwendigkeit von Hilfsmitteln ist von den Lernenden leicht einzusehen (ebd.) und sie können auch leichter vermittelt werden (vgl. auch König, 1992). Weitere Präferenzen sind schwer zu begründen. Bruder und Collet (2011) haben einige Heurismen aus ihrem Training ausgeschlossen, weil sie in der Schule kaum eine Bedeutung haben (z. B. das Rekursionsprinzip oder das Schubfachprinzip). Auch werden Heurismen ausgeschlossen, die Bruder und Collet als Trivialstrategien bezeichnen, namentlich der Analogieschluss und die Rückführung auf Bekanntes, weil diese für die Schüler keinen Neuheitsgrad haben und ihr Nutzen nicht so gut einzusehen ist. Für die Auswahl der weiteren Heurismen wird (abgesehen von den empfohlenen heuristischen Hilfsmitteln) keine weitere Erklärung abgegeben.

Das Training von Bruder und Collet (ebd.) besteht aus einem Vier-Phasen-Konzept. In der ersten Phase Gewöhnen an Heurismen dient die Lehrkraft als Vorbild. Vor dem Bearbeiten eines Problems (nach dem Lesen der Aufgabe) werden durch die Lehrkraft typische Fragestellungen verwendet, an die sich die Schüler gewöhnen sollen, die aber nicht explizit beigebracht werden. Sie sollen als Handlungsmuster zur Orientierung dienen. Diese Fragen können z. B. sein:

  • Worum geht es?

  • Was wissen wir zum Problem?

  • Wie kann man die gegebene Situation strukturieren?

oder (sofern schon Heurismen bekannt sind)

  • Welche Methoden und Techniken stehen uns zur Verfügung?

  • Welche eignen sich für das Problem?

Nachdem die Schüler sich mit einem Problem beschäftigt haben, werden explizit Reflexionsanlässe gegeben, durch Fragen wie:

  • Welche mathematischen Inhalte haben uns geholfen?

  • Welche Strategien waren nützlich?

  • Was war neu?

  • Welche Fragen sind offen geblieben?

  • Gibt es eine (eindeutige) Lösung des Problems?

  • Geht es auch einfacher?

Möglicherweise muss die Lehrkraft zunächst viel bei der Beantwortung dieser Fragen helfen. Langfristig ist aber das Ziel, dass die Schüler lernen, die Fragen selbstständig zu beantworten. In dieser Phase wird schon klar, dass sich dieses Training nicht auf die Vermittlung von Heurismen beschränkt. Auch metakognitive Elemente sind eingebaut.

In der zweiten Phase Bewusstmachen heuristischer Elemente und Einsicht in deren Wirksamkeit werden zu dem hier thematisierten Heurismus Musteraufgaben verwendet, die die Nützlichkeit dieses Heurismus besonders verdeutlichen. Diese Aufgabe wird dann, in der Regel nach dem Ich-Du-Wir-Prinzip (vgl. Barzel, 2006), bearbeitet. Idealerweise entdecken die Schüler den Heurismus selbst, realistischerweise kann das aber nicht immer jedem gelingen. Verschiedene Lösungswege werden von den Schülern vorgestellt. Die Lehrkraft kann dann alternative, nicht gefundene Lösungswege vorstellen. Anschließend wird der Heurismus explizit benannt, sein spezielles Vorgehen wird zusammengefasst und es werden Heurismensteckbriefe angefertigt. Diese beinhalten, ähnlich wie die Leuders’schen Strategiekarten (s. o.) den Namen des Heurismus, eine passende, von jedem Schüler individuell gewählte Orientierungsfrage (ähnlich der Pólya-Fragen), sowie markante Musterbeispiele zur Anwendung. Dann können die Schüler noch nach Aufgaben suchen, die sie bereits ähnlich gelöst haben. An die Einführung des Heurismus schließen sich noch eine Übungsphase sowie (möglicherweise längerfristige) Hausaufgaben an.

In der dritten Phase Zeitweilige bewusste Übung und Anwendung soll der neue Heurismus an weiteren Anwendungsaufgaben eingeübt werden. Hierbei sollen zur Differenzierung unterschiedlich schwere Aufgaben gestellt werden, damit zum einen auch schwächere Schüler ein Erfolgserlebnis mit der neuen Strategie haben, zum anderen die stärkeren Schüler die Aufgaben nicht so leicht finden, dass sie diese auch ohne Verwendung des Heurismus lösen können. Die Notwendigkeit muss erlebt werden. Am Ende dieser Phase sollten alle Schüler sich mit dem Heurismus so gut auskennen, dass sie sich an das Vorgehen bei vergangenen Aufgaben erinnern, dieses verbalisieren können und bei einer ähnlichen Aufgabe wiedererkennen. Es kommt nicht so sehr darauf an, den Namen zu kennen oder Orientierungsfragen auswendig zu lernen. Es sei angemerkt, dass Schoenfeld an dieser Stelle einen anderen Weg verfolgt. Er möchte verhindern, dass sich Strategien unreflektiert einschleifen und streut nach dem Erlernen eines neuen Heurismus gerne Aufgaben ein, bei denen ebendieser nicht zielführend ist oder gar völlig in die Irre führt (siehe Arcavi et al., 1998).

Die vierte Phase ist die Schrittweise bewusste Kontexterweiterung für den Einsatz der Heurismen und zunehmend unterbewusste Nutzung. Damit die Schüler erkennen, dass es sich bei dem neu erlernten Heurismus nicht nur um ein Lösungsschema für einen bestimmten Aufgabentyp handelt, das man nach Abschluss des Themenbereiches wieder in der Schublade verschwinden lassen kann, soll der Heurismus zunächst ganz bewusst auf weitere Anwendungsbereiche ausgeweitet werden, bei denen das Vorgehen höchstwahrscheinlich an den neuen Kontext angepasst werden muss. Die Schüler sollen sich hier der Tragweite der Strategie bewusst werden. Aufgaben aus den neuen Kontexten können die in der zweiten Phase erstellten Heurismensteckbriefe erweitern. Zunehmend soll dann die Nutzung des Heurismus internalisiert werden, so dass das Abrufen keine große Anstrengung mehr bereitet. Diese Phase sollte einen gewissen Abstand zur dritten Phase haben.

Insgesamt erstreckt sich das hier vorgestellte Training über größere Zeiträume und ist im Grunde genommen nie abgeschlossen, da sich immer wieder neue Anwendungskontexte ergeben. Wenn die Schüler bereits eine Reihe von Heurismen gelernt haben, empfiehlt es sich, dass sie individuelle Problemlösemodelle erstellen, in denen sie Beziehungen zwischen Heurismen aufzeigen können. Darüber hinaus können Lösungsgraphen helfen, Muster in der Problembearbeitung zu erkennen und eine Reflexion darüber anregen. Wie man sieht, ist dieses Konzept mehr als nur ein Heurismentraining. Auch andere Aspekte des Problemlösens werden beachtet. Eine Gefahr dieses Trainings besteht, so Bruder und Collet selbstkritisch, darin, dass die in der zweiten Phase explizierten Heurismen von den Schülern als Regeln, die es auswendig zu lernen gilt, wahrgenommen werden, bevor sie deren Nutzen erkennen. In dem Fall kann es passieren, dass diese Regeln nicht mit anderem Wissen verknüpft und leichter wieder vergessen werden.

2.4.6 Training von mathematikspezifischen kognitiven Lernstrategien

Auf die Beschreibung von Konzeptionen zu allgemeinen Lernstrategietrainings wird an dieser Stelle verzichtet, da, wie die in Abschnitt 2.4.5 zitierten Befunde zeigen, von kurzfristigen Trainings im Studium nur geringe Wirksamkeit zu erwarten ist. Stattdessen wird ein Training zum Beweisverständnis durch sogenannte Self-Explanations vorgestellt, dessen Wirksamkeit von Hodds et al. (2014) gezeigt wurde. Das Konzept der Self-Explanations wurde zuerst von Chi, Bassok, Lewis, Reimann und Glaser (1989) im Bereich der Newton’schen Mechanik qualitativ untersucht. Sie haben zehn Studierenden einen physikalischen Text vorgelegt und sie aufgefordert, sich die Inhalte selbst zu erklären. Anschließend wurde den Studierenden ein Test mit Aufgaben zu diesem Text gestellt. Es zeigte sich, dass diejenigen Studierenden, die eine hohe Punktzahl bei dem Test erreicht haben, vorher mehr Self-Explanations (Informationen und Verknüpfungen, die nicht explizit im Text auftauchen) hervorgebracht haben. Hodds et al. (2014) haben hierzu im Zusammenhang mit mathematischen Beweisen ein Trainingskonzept entwickelt, dass die Self-Explanations der Studierenden verbessern soll. Diese bestehen im Idealfall darin, dass für jede BeweiszeileFootnote 25 festgestellt wird, warum sie durchgeführt wird (also was die Grundidee dahinter ist) und Verknüpfungen zu vorherigen Zeilen und anderem Vorwissen hergestellt werden. Dieses Vorgehen wurde an einem Beispielbeweis vorgeführt und es wurde den Studierenden ein weiterer Beweis zum Einüben des Verfahrens gegeben. Es konnte gezeigt werden, dass sich dieses Training positiv auf Lernprozesse und Beweisverständnis auswirkt. Eine Übertragbarkeit auf das Nachvollziehen von Musterlösungen zu Problemaufgaben ist anzunehmen, da es sich hierbei überwiegend um Beweisaufgaben handelt.

2.4.7 Metakognitives Training

Wenn in diesem Abschnitt von Metakognition und Selbstregulation die Rede ist, dann ist, wie in Abschnitt 2.3.3 besprochen, generell die Steuerung von kognitiven Aktivitäten gemeint. Wenn nicht anders erwähnt, schließt das sowohl den Einsatz von Lern- als auch von Problemlösestrategien mit ein.

Die Bedeutung von metakognitiven Aktivitäten für Lern- und Problemlöseprozesse ist unbestritten. Laut einer Metastudie von Hattie et al. (1996) wirkt sich die Nutzung metakognitiver Strategien positiv auf den Lernerfolg aus. Bei fehlendem bereichsspezifischem Wissen oder besonders schweren Lerninhalten sind metakognitive Kompetenzen sogar wichtigster Prädiktor für Lernerfolg (Prins et al., 2006).

Auch auf den Bereich des Problemlösens lassen sich diese Ergebnisse übertragen. Bereits Resnick und Glaser (1975) konnten empirisch bessere Problemleistungen durch Vorausplanen des eigenen Vorgehens nachweisen. Es wurde auch mehrfach gezeigt, dass regelmäßige Kontrolle des eigenen Vorgehens der wichtigste Unterschied zwischen erfolgreichen und weniger erfolgreichen Problemlösern ist (Überblicksartikel: Lester Jr., 1994; vgl. auch Schoenfeld, 1981; Kaune & Cohors-Fresenborg, 2010).

Im Gegensatz zu den meisten Heurismentrainings konnten bei Metakognitionstrainings positive Effekte nachgewiesen werden. So führt das regelmäßige Hervorheben metakognitiver Elemente in der Schule zu besseren Mathematikleistungen (Cohors-Fresenborg & Klieme, 2000). Auch zwischen Selbstregulationstraining und Problemlösekompetenz wurde mehrfach ein positiver Zusammenhang festgestellt (Lester Jr., 1989; Perels, 2003; Mevarech & Kramarski, 1997; Schoenfeld, 1992). Als besonders wirksam erweisen sich Metakognitionstrainings, wenn sie mit fachspezifischen Inhalten oder Strategietrainings verknüpft werden (Klauer, 2000; Perels, 2007; Perels, Gürtler & Schmitz, 2005; Souvignier & Mokhlesgerami, 2006).

Es ist also nicht verwunderlich, dass viele Autoren (z. B. Lester Jr., 1989; Woods et al., 1997; Zech, 1996) metakognitiven Aktivitäten beim Problemlösen große Bedeutung zumessen. Bereits (Pólya, 1945) hat in der Reflexion des Lösungsweges und des Ergebnisses (in der Phase Looking Back) den wichtigsten Teil der Arbeit gesehen. Entsprechende Fragen sind: Was war die entscheidende Idee? Was hat behindert, was geholfen? Er betont die Wichtigkeit des Vergleichs der Merkmale des Problems mit anderen Problemen.

Insgesamt schlagen viele Autoren die regelmäßige Integration von Metakognition zur effektiven Auswahl von Strategien in den täglichen Unterricht vor (z. B. Pressley, Borkwski & Schneider, 1989;  Moely, Santulli & Obach, 1995). Aber worauf kommt es also neben der Verknüpfung mit mathematischem Wissen und Strategien hierbei noch an? Schoenfeld (1985; 1998) hat auf folgende Aktivitäten zur Förderung der Metakognition Wert gelegt:

  • Arbeit in Gruppen zur gemeinsamen Planung und Kontrolle des Vorgehens (siehe Abschnitt 2.4.4)

  • Kontrollfragen, die jederzeit im Problemlöseprozess vom Dozenten gestellt werden konnten und an deren Beantwortung sich die Studierenden nach und nach gewöhnten (Was mache ich? Warum? Was bringt mir das Ergebnis?)

  • Implizite Vermittlung von Entscheidungsprozessen durch demonstratives lautes Denken bei der Bearbeitung von Aufgaben durch die Lehrkraft, hierbei auch Fehlentscheidungen treffen, die dann etwas später reguliert werden konnten

  • Gemeinsame Bearbeitung von Problemen im Plenum (zunächst verschiedene Ideen vorschlagen, dann Entscheidung der Studenten, welche verfolgt werden soll, nach fünf Minuten evaluieren, ob man bei dieser Idee bleiben soll oder nicht)

  • Gemeinsame Reflexion im Plenum (Was haben wir getan? Wo hätte man effizienter arbeiten können? Weitere Ansätze verfolgen)

Vor allem die regelmäßigen Kontrollfragen sieht Schoenfeld als besonders erfolgreichen Teil seiner Lehrveranstaltung an.

Bei der Förderung von metakognitiven Kompetenzen unterscheidet man neben der expliziten (durch Benennung und Einordnung der Strategien) und der impliziten (durch demonstrative Verwendung von Strategien) auch die direkte und die indirekte Vermittlung. Erstere setzt sich aus expliziter und impliziter Vermittlung zusammen, letztere besteht darin, Gelegenheiten zur Selbstregulation zu schaffen und hat deswegen so große Bedeutung für die Metakognition, weil dadurch die Eigenaktivität gefördert wird. Nachteil der indirekten Vermittlung ist aber, dass die Erkenntnisse von den Lernenden nur selten selbstständig auf andere Kontexte übertragen werden (Veenman, 2011). Das kann durch Explikation gestärkt werden, die beim selbstständigen Arbeiten oft zu kurz kommt (Hunter-Blanks, Ghatala, Pressley & Levin, 1988). Insgesamt wird daher eine Mischung aus direkter und indirekter Vermittlung empfohlen (Paris & Paris, 2001; Veenman, 2013).

Bei der Vermittlung metakognitiver Strategien sind viele Dinge von Bedeutung, die bereits bei der Vermittlung von Heurismen angesprochen wurden. So schreiben Prins et al. (2006), dass an Stelle eines kurzfristigen Trainings ein anhaltendes Training treten sollte, um die Anwendung von metakognitiven Strategien langfristig zu sichern. Masui und Corte (2005) betonen die Wichtigkeit verschiedener kooperativer Lernformen (vgl. Abschnitt 2.4.4), sowie die Notwendigkeit, die Lernenden von der Nützlichkeit und den Vorteilen der verwendeten Strategien zu überzeugen. Außerdem halten sie es für entscheidend, ausreichend Übungsmöglichkeiten und Feedback zur Anwendung der Strategien zu Verfügung zu stellen. Um Transfereffekte zu sichern, schlägt Pickl (2004), ähnlich wie Bruder und Collet (2011), die Thematisierung verschiedener Anwendungskontexte vor.

Bei der Regulation des eigenen Verhaltens kann bereits einfach Selbstbeobachtung helfen (vgl. Kanfer, Reinecker & Schmelzer, 2012). Der nächste Schritt wäre dann, sich das eigene Verhalten selbst vorzusagen, um dieses auf eine bewusste Ebene zu heben. Man spricht in diesem Zusammenhang von Selbstverbalisierung (vgl. Dunlosky, Rawson, Marsh, Nathan und Willingham (2013)). Um zur eigentlichen Regulation des Verhaltens zu kommen, muss nun eingeschätzt werden, ob das eben beobachtete Verhalten sinnvoll ist, also zum vorgegebenen Ziel führt. Das Ergebnis dieser Einschätzung führt dann zur Modifikation, also Regulation des eigenen Vorgehens. Hierbei können Fragen, wie die von Schoenfeld (1985) oder Bruder und Collet (2011) (s. o.) helfen. Einen Schritt weiter geht die schriftliche Dokumentation des eigenen Vorgehens. Mason, Burton und Stacey (2011) haben im Zusammenhang mit Problemlöseprozessen eine Systematik entwickelt, die bei der Reflexion des eigenen Vorgehens, mit besonderem Augenmerk auf Aha-Erlebnissen (Bruder und Collet sprechen hier von Heureka-Effekten) und Schwierigkeiten im Lösungsprozess, helfen sollen. Eine Ausführliche Beschreibung der Umsetzung dieser Idee wird in Abschnitt 4.4 gegeben.

2.5 Zusammenfassung

An dieser Stelle soll das Theoriekapitel kurz zusammengefasst werden. In Abschnitt 2.1 wurde die Situation der mathematischen Hochschuldidaktik dargelegt und einige Maßnahmen wurden angesprochen, die, im Wesentlichen in den letzten zehn Jahren, entwickelt wurden. Es wurde aber auch festgestellt, dass, gerade im Zusammenhang mit der Gestaltung der Übungsgruppen, die Forschungslage recht dünn ist. Auch die Forschung zu authentischen Problemlöseprozessen an der Universität bedarf größerer Beachtung.

In Abschnitt 2.2.1 wurde der Problembegriff als Aufgabe, zu deren Lösung dem Bearbeiter keine Routineverfahren zur Verfügung steht, charakterisiert und eine Abgrenzung zum Beweisbegriff vorgenommen. In Abschnitt 2.2.2 wurden die vier Phasen des Problemlöseprozesses nach Pólya (1945) (Understanding the Problem, Devising a Plan, Carrying Out the Plan und Looking Back sowie das Phasenmodell nach Hadamard (1959), bestehend aus Initiation, Incubation, Illumination und Vérification vorgestellt.

Abschnitt 2.3 beschreibt die Einflussfaktoren auf das Problemlösen nach Schoenfeld (1985). Diese sind die Ressourcen (Abschnitt 2.3.1), bzw. das Vorwissen der Problembearbeiter, die Heurismen (Abschnitt 2.3.2), die Kontrolle (Abschnitt 2.3.3), bzw. Metakognition und Selbstregulation sowie die Überzeugungssysteme (Abschnitt 2.3.4) der Problembearbeiter. Zusätzlich zur Vorstellung dieser Aspekte werden hier Lernstrategien zur selbstständigen Aneignung von Vorwissen (ebenfalls Abschnitt 2.3.1) beschrieben. Außerdem wurde eine gewisse Ähnlichkeit von Tiefenlernstrategien, also solchen Strategien, die dem tieferen Verständnis der Lerninhalte dienen, und Heurismen festgestellt (Abschnitt 2.3.2).

In Abschnitt 2.4 wurden Konzeptionen vorgestellt, die zur Förderung von Problemlösekompetenzen verwendet werden können und die Grundlage für die in Abschnitt 4.4 vorgestellte Maßnahme bilden.

Ein wichtiger Aspekt der Maßnahme ist das in Abschnitt 2.4.1 vorgestellte entdeckende Lernen, bei dem auf der einen Seite zur individuellen Verarbeitung prozedurales Wissen vom Lernenden entdeckt, auf der anderen Seite eine Überforderung, die dieses Entdecken verhindert, vermieden werden soll.

Eine Möglichkeit, solche Überforderungen zu beschreiben, bietet die Cognitive Load Theory (Abschnitt 2.4.2). Ihr zufolge sollen Lernende bei der Bearbeitung komplexer Aufgaben unterstützt werden, um Kapazitäten für Lernaktivitäten zu schaffen. Eine Möglichkeit der Unterstützung ist die Verwendung von Worked Examples also ausführlicher Musterlösungen, deren Erfolg aber sehr stark abhängig vom Umgang der Lernenden hiermit ist. Einen Schritt weiter geht das Self-Explanation Training nach Hodds et al. (2014), bei dem eben dieser Umgang mit Musterlösungen geschult werden soll. Die Umsetzung dieses Trainings ist in Abschnitt 2.4.6 beschrieben. Weitere Möglichkeiten der kognitiven Entlastung bieten sich z. B. durch Lösungshilfen, teilweise Vermittlung benötigten Wissens, kooperatives Arbeiten oder vorheriges Einüben von Teilprozessen. Übertragen auf den universitären Kontext sind auch lückenhafte Musterlösungen, Vorschläge von mehr oder weniger zielführenden Ansätzen oder die Lösung zu einer Aufgabe, bei der ähnliche Strategien zum Einsatz kommen (mit möglichst unterschiedlichen oberflächlichen Merkmalen) oder eine gemeinsame Vorbereitungsphase für schwierige Aufgaben denkbar, die den Studierenden den Einstieg erleichtert.

Das in Abschnitt 2.4.3 beschriebene Konzept des Scaffolding betont, dass es bei allen Hilfestellungen darauf ankommt, diese an die Bedürfnisse des jeweiligen Lernenden anzupassen (also nicht zu wenig, aber auch nicht zu viel zu helfen) und diese Hilfestellungen dementsprechend nach und nach abzubauen (Fading).

In Abschnitt 2.4.4 werden Vor- und Nachteile kooperativer Lernformen diskutiert. Die Vorteile von Gruppenarbeit liegen in der Kommunikation und der dadurch erzwungenen Explikation und Reflexion eigener und fremder Gedankengänge, sowie dem Profitieren von fremder Expertise, während die Nachteile in einer möglichen Überforderung durch die notwendige Kommunikation sowie der Passivität einzelner Gruppenmitglieder liegen. Auch eine gemeinsame Arbeit im Plenum ist möglich, wobei gerade beim Problemlösen darauf geachtet werden sollte, eine angenehme Atmosphäre zu schaffen, in der auch weniger gute Ideen positiv aufgenommen und diskutiert werden können. Um die negativen Aspekte der verschiedenen Sozialformen auszugleichen, empfiehlt sich eine Kombination, etwa in Form des Ich-Du-Wir-Prinzips.

Wie in Abschnitt 2.4.5 besprochen, zeigen kurzfristige Heurismentrainings oft wenig Wirkung und es ist generell fraglich, ob der Einsatz vorgefertigter Heurismen überhaupt hilfreich ist. Um aber aus der Bearbeitung weniger Aufgaben möglichst viele Erkenntnisse herauszuholen, können bestimmte Schritte hilfreich sein. Abgesehen von der geforderten Langfristigkeit solcher Maßnahmen und bereits angesprochener Aspekte wie der Sozialform oder des Fadings, sollen hier verschiedene, mit einander kompatible Ideen von Bruder und Collet (2011), Leuders (2017), und Schoenfeld (letztere zusammengetragen von Arcavi et al., 1998) genannt werden. Hierbei sind auch schon metakognitive Aspekte enthalten, die in 2.4.7 beschrieben wurden:

  • Unterstützende Beratung des Dozenten während der Problembearbeitung

  • Verwendung allgemeiner Fragestämme zur Orientierung oder Kontrolle des eigenen Vorgehens

  • Vorstellung von Lösungen in der Regel von den Lernenden

  • Aktive Reflexion des Vorgehens anregen

  • Neue Strategien explizit festhalten und sammeln etc.

Es gibt allerdings auch einige Vorgehensweisen, in denen die verschiedenen Ansätze voneinander abweichen. Abgesehen von kleinen Unterschieden ergeben sich folgende, zunächst unbeantwortete Fragen:

  • Sollten Heurismen vom Dozenten vorgegeben werden?

  • In welchem Umfang sollten Heurismen eingeübt werden?

In Bezug auf die erste Frage geben Bruder und Collet (2011) einige Begründungen zur Auswahl der Heurismen und auch Schoenfeld wählt seine Aufgaben schon danach aus, ob sie exemplarisch für bestimmte Vorgehensweisen sind. Dennoch ist, wie in Abschnitt 2.4.5 beschrieben, dieses Vorgehen nicht unumstritten. Bei der zweiten Frage unterscheiden sich die Herangehensweisen von Schoenfeld (1998) auf der einen und Bruder und Collet (2011) und z. B. Leuders (2017) auf der anderen Seite. Während ersterer sogar bewusst Aufgaben einsetzt, bei denen frisch erlernte Heurismen eher hinderlich sind, setzen letztere auf das Einüben von Heurismen in verschiedenen Kontexten, um deren breiten Nutzen zu betonen. Allerdings warnen auch sie vor der Gefahr, dass Strategien nur auswendig gelernt werden, bevor der Nutzen erkannt wird.

Abschließend sollen die in Abschnitt 2.4.7 genannten Ansätze zur Förderung metakognitiver Fähigkeiten zusammengefasst werden. Hier werden lediglich verschiedene Ideen zusammengetragen, keine konkurrierenden Konzepte mit einander verglichen: Insgesamt werden Metakognitionstrainings als effektiver als Heurismentrainings angesehen, wobei die Übergänge in der Praxis fließend sein können. Neben einer impliziten Vermittlung durch Vorleben metakognitiver Aktivitäten und einer indirekten Vermittlung, die zwar gerade im Bezug auf Eigenaktivität einige Vorteile mit sich bringt, aufgrund schwacher Ergebnisse bei der Übertragung auf andere Kontexte aber nur empfohlen wird, wenn anschließend das Vorgehen expliziert wird, werden auch hier während des Problemlösens Kontrollfragen empfohlen. Beim Beobachten des eigenen Verhaltens können zusätzlich Selbstverbalisierungen helfen. Eine stärkere Art der Reflexion wird durch die Dokumentation des Vorgehens gegeben. Ein Bespiel hierfür im Kontext des Problemlösens wird von Mason et al. (2011) gegeben und in Abschnitt 4.4 genauer beschrieben. Wie schon beschrieben ist auch eine gemeinsame Reflexion des Vorgehens im Nachhinein möglich. Hierdurch können Lernprozesse, die während der Bearbeitung aufgrund kognitiver Überforderung (Abschnitt 2.4.2) nicht stattgefunden haben, nachgelagert werden.