Zur Frage Was ist Bildungsmonitoring? gibt es, wie der folgende Überblick zeigen wird, zahlreiche Antworten. Allerdings ist eine systematische wissenschaftliche Auslegeordnung oder gar eine Theoretisierung der Frage bislang nicht oder nur in Ansätzen erfolgt (Bormann, Hartong & Höhne, 2018; Brosziewski, 2007). Im Zentrum der vorliegenden Arbeit stehen die Begriffe Bildungsmonitoring und Bildungsberichterstattung. Wie einleitend bereits dargestellt, erfuhren die beiden Begriffe in der Forschung bislang eher beschreibende als erklärende Verwendung. Dabei geht es typischerweise um die Beschreibung von Programmen der datengestützten Information oder um die kritische Untersuchung bestimmter Ausprägungen rund um die Phänomene, die mit Bildungsmonitoring oder Bildungsberichterstattung in Verbindung stehen (vgl. Kap. 1). Für diese sehr spezifische Theorielage können zwei Gründe identifiziert werden: (1) Bildungsmonitoring und Bildungsberichterstattung sind nicht losgelöst von der erziehungswissenschaftlichen Disziplin zu betrachten. Zahlreiche erziehungswissenschaftliche Akteure sind selbst in Monitoring und Berichterstattung eingebunden. So ist die Frage nach der theoretischen Fassung auch immer eine Frage der disziplinären Selbstreflexion (z. B. Lambrecht & Rürup, 2012; Rubner, 2008; Rürup, 2018). (2) Bildungsmonitoring ist als Phänomen nicht nur mit Erziehungswissenschaft und Bildungsforschung verknüpft, sondern steht auch mit verschiedensten Elementen bildungspolitischer und schulpraktischer Natur in Zusammenhang. So ist es eng verbunden mit Vorstellungen der Steuerung und Regulierung institutionalisierter Bildung, mit indikatorenbasierter Bildungsstatistik oder mit der psychometrischen Weiterentwicklung von Tests. Die theoretische Beschreibung fluktuiert zwischen der Ebene konkreter Elemente wie beispielsweise Leistungserhebungen, Bildungsstandards oder datenbasierte Schulinspektion (z. B. Böttcher & Dicke, 2008; Dedering, 2016; Thiel et al., 2014; Gördel, 2008) und generellen Phänomenen wie dem Wandel der Steuerungsparadigmata (z. B. van Ackeren & Brauckmann, 2010; Maritzen & Tränkmann, 2015; Sager, 2009).

Der im Folgenden aufgespannte theoretische Rahmen soll im Wesentlichen drei Funktionen erfüllen: (1) Als Rahmen für die empirische Arbeit (vgl. Kap. 5 & 6) wird die begriffliche Fassung des Untersuchungsgegenstandes geklärt, und zwar primär über die Begriffe Bildungsmonitoring und Bildungsberichterstattung. Ebenso werden zentrale Elemente des damit verwendeten Begriffsrepertoires wie beispielsweise der Indikatorenbegriff dargestellt. Schliesslich wird der in der empirischen Arbeit wichtige Begriff des Dispositivs eingeführt (vgl. Abschn. 3.1). (2) Als Grundlage für die theoretische Verarbeitung und Verdichtung des empirischen Materials (vgl. Kap. 7 & 8) werden die theoretischen Kernbegriffe des organisationssoziologischen Neo-Institutionalismus (vgl. Abschn. 3.2) und des Governanceansatzes (vgl. Abschn. 3.3) diskutiert. Dabei liegt ein besonderer Fokus auf dem Institutional work-Konzept. (3) Im Sinne einer möglichst umfassenden theoretischen Grundlage für die empirische Arbeit werden zwei weitere, relevante Theoriestränge aufgenommen. Einerseits wird Bildungsmonitoring in die Frage nach den gesellschaftlichen Wirkungsmodellen von Schule und Ausbildung sowie nach dem entsprechenden Bildungsbegriff eingebettet (vgl. Abschn. 3.4). Andererseits wird Bildungsmonitoring als Element einer Indienstnahme von Wissenschaft durch Politik betrachtet (vgl. Abschn. 3.5).

Der theoretische Rahmen der wissenschaftlichen Beschäftigung mit Bildungsmonitoring bewegt sich auf einem mittleren Abstraktionsgrad. Viele theoretische Ansätze oder Beiträge – so auch die vorliegende Arbeit – basieren auf konkreten, empirisch feststellbaren Dispositiven des Bildungsmonitorings. Solchen Theoretisierungen wird typischerweise eine grosse Nähe zur Empirie und zu konkreten Fällen zugeschrieben. Als theoretische Grundlage der Arbeit an und mit empirischem Material werden meist sogenannte Theorien mittlerer Reichweite herangezogen. Mit ihnen werden die Begrifflichkeiten und die Grundannahmen der konkreten Forschungsvorhaben dargestellt (Atteslander, 2003). In der vorliegenden Arbeit bilden solche Theorien mittlerer Reichweite die theoretische Basis.

3.1 Bildungsmonitoring und -berichterstattung

An der Herbsttagung der KBBB 2007 in Berlin wurde eine Definition von Bildungsmonitoring entwickelt, die seither oft als Grundlage theoretischer Überlegungen herangezogen wird, und die bereits in der in der Einleitung referenziert wurde (Böttcher et al., 2008; vgl. Kap. 1). Die Kommission schreibt dem Monitoring im Bildungsbereich primär einen Informationscharakter zu. Informiert würden Bildungspolitik und Öffentlichkeit. Die Information erfolge kontinuierlich und datenbasiert. Als Zweck dieser Information sei die Transparenz öffentlich organisierter Bildungssysteme gegenüber der Öffentlichkeit. Bildungsmonitoring solle als Grundlage für die Diskussion politischer Ziele und politischer Entscheide dienen. Bildungsmonitoring funktioniere einerseits dadurch, dass Bildungssysteme anhand der Informationen kontrollierbar werden, und andererseits durch die Aufnahme der Information als politisch verwendbares Steuerungswissen.

Die KBBB ist eine Kommission der Sektion Empirische Bildungsforschung der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft (DGfE). Bereits an der Herbsttagung ein Jahr davor in Giessen reagierte die KBBB thematisch auf die Gesamtstrategie zum Bildungsmonitoring in Deutschland, die von der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland (KMK) 2006 präsentiert worden war: Unter dem Titel New educational governance wurden Fragen der neuen Steuerung im Bildungssystem, der Fokussierung sogenannter Bildungsoutputs und der Einführung von Wettbewerbselementen diskutiert. Neben der Definition von Educational governance als Forschungszugang zum Handeln staatlicher, gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Akteure in der Bildungspolitik ging es auch um die Frage der Verortung von Information und Datengrundlagen in dieser neuen Steuerung (Bürger, 2007). Unter dem vielsagenden Titel Bildung unter Beobachtung wurden an der Herbsttagung 2007 die beiden Diskussionsstränge wieder aufgenommen (Böttcher et al., 2008): (1) Die empirische Bildungsforschung habe die Bildungsreform hin zur neuen Steuerung kritisch zu begleiten. Mit aktuellen forschungsmethodischen und -theoretischen Zugängen sollen etwa das Prinzip der Dezentralisierung oder Schlagworte wie Autonomie und Qualitätssicherung auf ihren Gehalt, ihre Bedeutung und ihre Wirkung hin überprüft werden (vgl. Abschn. 3.3). (2) Die neue Steuerung, bei der nicht mehr die Bereitstellung von Ressourcen, sondern die Massnahmen der Qualitätssicherung und die systematische Erfassung von Bildungsergebnissen im Vordergrund stehen, basiere sehr wesentlich auf sogenanntem Steuerungswissen. Auf der Basis dieses Wissens soll zielgerichtetes und wirksames Steuerungshandeln möglich werden. In der Konsequenz sei die neue Steuerung auf Steuerungswissen angewiesen. Um dieses Steuerungswissen zu erhalten oder zu generieren stehen Prozesse im Fokus, die als Monitoring bezeichnet werden können. Am Beispiel der KBBB-Herbsttagungen zeigt sich prototypisch, wie eng die Frage der theoretischen Gestalt von Bildungsmonitoring und die Frage der Governance zusammenhängen.

Im Juni 2006 erschien der erste nationale Bildungsbericht in Deutschland. Er wurde vorgestellt als „datenbasierte Darstellung des deutschen Bildungswesens“ und als Beginn einer kontinuierlichen Bildungsberichterstattung, die steuerungsrelevante Informationen liefern und damit „Informationskraft“ (Avenarius & Kühne, 2006, S. 15) entwickeln solle. Auch in der Schweiz wurde 2006 der erste nationale Bildungsbericht veröffentlicht (vgl. Abschn. 5.4). Er enthielt explizit so benanntes Steuerungswissen und sollte die längst fällige „evidenz- oder informationsbasierte Steuerung des Bildungswesens“ (Wolter, 2008a, S. 54) vorantreiben, auch indem die Realisierbarkeit einer solchen Steuerung aufgezeigt und gefördert werde. Der erste nationale Bildungsbericht für Österreich erschien 2009. Er sollte mit Daten und Fakten das „Systemwissen und Systemverständnis [...] erweitern und damit moderne Bildungspolitik (Evidence-based Policy) bei der Entscheidung und Steuerung [...] unterstützen“ (Specht, 2009, Bd. 1, S. 7).

Der Aufbau der Bildungsberichterstattung war in den deutschsprachigen Ländern inhaltlich und zeitlich eng gekoppelt mit der Vorstellung von Bildungsreformen in Richtung neuer Steuerung und Outputorientierung. Ermöglicht wurde der Aufbau unter anderem durch die Rezeption internationaler Entwicklungen und namentlich durch den Einsatz von Schulleistungsstudien als Datengrundlage für Monitoring und Berichterstattung. Damit wurde die Konzentration auf sogenannte innere Reformen und Schulentwicklung aufgebrochen, die für die Schweiz sowie für Ost- und Westdeutschland gut dokumentiert ist (unter anderem Berkemeyer, 2010; Manz, 2011; R. H. Lehmann, 2008; Tenorth, 2017; Ziehe, 2017; vgl. Abschn. 5.1). An die Stelle der bis Mitte der 1990er-Jahre praktizierten „Abstinenz hinsichtlich einer systematischen und vergleichenden empirischen Überprüfung von Schülerleistungen“ (Maritzen, 2014, S. 399) traten Bemühungen um Anschluss an die internationalen Entwicklungen. Damit verbunden waren Begriffsbestimmungen, -übersetzungen und die Einführung der internationalen Konzepte und Begriffe in den deutschsprachigen Diskurs. Bildungs- oder Systemmonitoring und Bildungsberichterstattung waren dabei die zentralen Begrifflichkeiten.

Wie R. H. Lehmann (2008) anlässlich der erwähnten KBBB-Tagung festhielt, wurde der Monitoringbegriff im Kontext des entstehenden deutschen Bildungsberichts als Bildungsberichterstattung gefasst. Damit sei eine bewusste Distanzierung von der, aus deutscher Tradition und Perspektive zu stark in Richtung von Steuerung tendierenden, internationalen Monitoringkonzeption verbunden gewesen. Bildungsberichterstattung markiert in dieser Begriffsfassung die auf das deutsche und allenfalls auch das deutschsprachige Bildungs- und Schulverständnis angepasste Version des internationalen Bildungsmonitorings. In Bildungsberichterstattung wird typischerweise der Steuerungsanspruch, der dem international gebräuchlicheren Monitoringbegriff inhärent ist, weniger stark gewichtet. Bildungsberichterstattung steht demnach für eine spezifische Teilfunktion von Bildungsmonitoring, die in Deutschland übernommen wurde.

Der Monitoringbegriff wurde in Deutschland ab 2006 trotzdem verwendet, und zwar als Klammer für die unterschiedlichen Aktivitäten im Bereich der Daten- und Informationsverarbeitung zugunsten der verschiedenen Systemebenen, des auch in Deutschland föderalistisch organisierten Bildungssystems (vgl. Abschn. 2.3). Die KMK definierte in ihrem Gesamtkonzept zum Bildungsmonitoring vier Elemente desselben (KMK, 2006): (1) Teilnahme an internationalen Schulleistungsstudien, (2) zentrale Überprüfung des Erreichens der bereits 2004 definierten, nationalen Bildungsstandards zum Zweck eines Ländervergleichs, (3) verschiedene Vergleichsarbeiten zur Ermittlung des Leistungsstands von Schulen und Klassen und (4) gemeinsame und kontinuierliche Bildungsberichterstattung von Bund und Ländern als gemeinsames Instrument der Dokumentation und Kommunikation von Ergebnissen. Die Bildungsberichterstattung basiert dabei aber nicht nur auf den verschiedenen Leistungserhebungen verschiedener Provenienz, sondern nimmt relevantes Wissen aus unterschiedlichsten Bereichen auf. Wichtig ist dabei die Orientierung am Begriff des Indikators (Döbert, 2008a; Klieme, Avenarius, Baethge et al., 2007). Bildungsberichterstattung ist in dieser Begriffsfassung ein Teil oder ein Element von Bildungsmonitoring (auch Döbert, 2008b; Hüfner, 2007).

In ihrer Aufarbeitung der Vorstellungen und Funktionen von Bildungsmonitoring in der deutschen Diskussion ergänzen Niedlich und Brüsemeister (2012) die beiden Teil-Ganzes-Lesarten um eine dritte: Auf der nationalen Ebene werde Bildungsberichterstattung betrieben, auf der Ebene der Länder und Kommunen würden zunehmend auch andere Teilfunktionen von Bildungsmonitoring realisiert. Sie beziehen sich dabei auf die Mehrebenenstruktur mit nationalen Berichten, Länderberichten sowie kommunalen und lokalen Berichtsformaten, die für deutsche Bildungsberichterstattung vorgesehen war (Avenarius et al., 2005). Im deutschen Bildungsmonitoring-Programm war dieser Aspekt explizit formuliert (Avenarius et al., 2005). Ab 2006 wurden Initiativen für Bildungsberichte auf Länderebene vorangetrieben (BMBF, 2010; Döbert & Weishaupt, 2012). Im Rahmen des Programms Lernen vor Ort wurde ab 2009 auch die kommunale Bildungsberichterstattung national gefördert (Andrezejewska et al., 2011).

Niedlich & Brüsemeister (2012) gehen ebenfalls von der Definition der KBBB aus (Böttcher et al., 2008) und ordnen dem Monitoring auf der Ebene des Bildungssystems zunächst Beobachtung, Analyse und Darstellung als funktionale Elemente zu. In dieser primären Funktion sind, immer noch in Anlehnung an Böttcher et al. (2008), zwei weitere funktionale Elemente angelegt: Systemkontrolle und Steuerungswissen. Das nationale Bildungsmonitoring in Deutschland sei mit seiner Ausrichtung auf Transparenz und öffentliche Rezeption im doppelten Sinne beschränkt auf Bildungsberichterstattung und vernachlässige zumindest teilweise den Kontroll- und Steuerungsanspruch. Diese für die nationale Ebene kritische Einschätzung basiert vor allem auf der Orientierung von Bildungsmonitoring am Indikatorenbegriff. Dem Bildungsmonitoring lägen berechtigterweise Indikatoren zugrunde. Diese seien aber auf nationaler Ebene kaum so ausgerichtet, dass sie Steuerungswissen generieren oder steuerungsrelevante Informationen aus vergleichenden Schulleistungsstudien einbinden könnten (Niedlich & Brüsemeister, 2012). Rürup, Fuchs und Weishaupt (2010) beantworten die Frage nach der Wirkung in Richtung Systemkontrolle und Steuerungswissen ebenfalls eher negativ. Während das nationale Bildungsmonitoring eher eine Beschreibung über Bildungsberichterstattung leisten kann, wird auf der Ebene der Länder und dann noch deutlicher auf der Ebene der Regionen und Kommunen durchaus festgestellt, dass Bildungsmonitoring – gerade auch über die Definition konkret relevanter Indikatoren – steuerungsorientierter und damit näher am Monitoringbegriff realisiert werde:

„[Die] Anforderungen an Bildungsmonitoring und Bildungsberichterstattung variieren in Abhängigkeit von der jeweiligen Handlungsebene. Mit steigendem Dezentralisierungsgrad könnte das Bildungsmonitoring zunehmend Informationen liefern, die sich direkt in konkretes Handeln umsetzen lassen [...]“ (Niedlich & Brüsemeister, 2012, S. 136).

Mit der Unterscheidung der Ebenen bzw. über eine dezidiert adressatenbezogene Indikatorenauswahl (Rürup et al., 2010) wird eine zusätzliche Unterscheidung in das Verhältnis der beiden Begriffe eingeführt, zumindest für die Diskussion in Deutschland. Gerade über diese dritte, umgedrehte Lesart der Verknüpfung beiden Begriffe in einer Art Teil-Ganzes-Relation kann die verbreitete synonyme Verwendung von Bildungsmonitoring und Bildungsberichterstattung begründet werden.

In der deutschsprachigen Diskussion wurde in den 1990er-Jahren mit Bildungscontrolling teilweise ein dritter Begriff für die ökonomisch inspirierten Planungs- und Kontrollsysteme im Bildungsbereich verwendet. Wie Seeber (2000) aufzeigt, werden dabei – typischerweise unter der Prämisse, dass Aus- und Weiterbildung Humankapitalinvestitionen darstellen – Elemente betriebswissenschaftlichen Controllings auf den Bildungsbereich übertragen. Controlling werde verstanden als Informations-, Koordinations- und Steuerungsinstrument. Bildungscontrolling sei dabei die Steuerungsfunktion kaum abzusprechen, obwohl sich die Steuerung von Bildungsprozessen stark von der Unternehmenssteuerung unterscheide. Mit Bildungsberichterstattung wird – gerade mit Blick auf die Spezifität von Lernen, Qualifizierung und Bildung – eher eine Abwertung der Steuerungsfunktion innerhalb von Bildungsmonitoring vorgenommen. Der Begriff des Bildungscontrollings dagegen betont, nicht zuletzt durch die relativ direkte Übernahme ökonomischer Konzepte, die funktionale Einheit von Information und Steuerung.

In der Bestimmung von Bildungsmonitoring ist der Indikatorenbegriff zentral. Das gilt sowohl im deutschsprachigen Raum als auch international. Gerade die Verwendung von Indikatoren unterscheidet im deutschsprachigen Raum die ab 2006 publizierten Bildungsberichte von früheren Situationsanalysen und Zustandsbeschreibungen (Döbert, 2008a; Döbert & Klieme, 2009; Rürup et al., 2010). Wie Fend (2008b) betont, ist Bildungsmonitoring unter anderem über die Indikatorenentwicklung aus der traditionellen Bildungsstatistik heraus entstanden. Bildungsmonitoring sei, im Unterschied zu Statistik im Dienst der Verwaltung, evaluativ in dem Sinne, als dass es Merkmale von Qualität zu erfassen versuche, Problembereiche identifiziere, Informationsbeschaffung breiter konzipiere als nur über Statistik, sowie die Formen der Rückmeldung und Präsentation explizit als wichtige Teilfunktion begreife.

Wie Feller-Länzlinger, Haefeli, Rieder, Biebricher und Weber (2010) in ihrer Untersuchung indikatorenbasierter Entscheidungssysteme in den Politikbereichen nachhaltige Entwicklung und Bildung aufzeigen, sind Indikatoren ihrerseits Hilfsgrössen, die in kausaler Beziehung zu einem indizierten Sachverhalt stehen. Sie ermöglichen die Beschreibung eines Sachverhaltes und damit die Kommunikation über diesen. Indikatoren sind eine Form der Objektivierung mit einer spezifischen Ausrichtung auf praktische und politische Fragestellungen. Mit Indikatoren können komplexe Sachverhalte in Narrationen wie beispielsweise Grafiken, Ranglisten oder Tabellen transformiert werden und sie sind dadurch auch als Kommunikationstechnologie zu verstehen (Espeland, 2015; Zenker, 2015). Das Generieren von Indikatoren und der politische Umgang damit werden über ihre Narrativität zu sozialen Prozessen (Rottenburg & Merry, 2015).

Die Idee der Indikatoren ist nicht per se modern oder neuartig. Vorläufer sind etwa beispielsweise im Deutschen Reich unter Bismarck oder in den USA der 1930er-Jahre identifizierbar (Frønes, 2007; Desrosières, 1993/2005). Die Organisation for economic co-operation and development (OECD) startete in den 1960er-Jahren ein Programm zur Erstellung von Indikatoren zum internationalen Vergleich sozialer Verhältnisse. Daraus entstand 1973 zunächst die List of social concerns common to most OECD countries (Christian, 1974) und 1982 der erste umfassende Bericht Social indicators (Kalimo, 2005). Im Bildungsbereich liegen die Ursprünge der indikatorengestützen Systembetrachtung ebenfalls in den 1960er-Jahren. Vor dem Hintergrund der durch die Konkurrenz der beiden Supermächte USA und Sowjetunion geprägten globalen „politisch-ökonomische[n] Großwetterlage“ (Langer, 2008b, S. 50) – sinnbildlich dafür auch der sogenannte „Sputnik-Schock“ (Criblez, 2001a, S. 97) – wurde insbesondere innerhalb der Westmächte eine Internationalisierung der Bildungspolitik angestossen. Die OECD war ein wesentlicher Akteur dieser Internationalisierung (Frønes, 2007). Die Bildungspolitik entwickelte sich relativ früh zu einem ihrer wichtigen Tätigkeitsbereiche. Dokumentiert wird dies unter anderem durch die 1960 eingesetzte Arbeitsgruppe Bildungsökonomie, die Einrichtung des Centre for educational research und innovation (CERI) 1968 und des Ausschusses für Bildungsfragen, Education committee (EDC) 1970 (Martens & Wolf, 2006, S. 163). Schon in den 1960er-Jahren übernahm die OECD eine zentrale Rolle in der internationalen Konsolidierung bildungsstatistischer Daten: Anlässlich der sogenannten Washingtoner Konferenz von 1961 wurde der Entwicklung quantitativer Analysetechniken sowie der Bildungsplanung und damit auch der Bildungsstatistik hohes Gewicht zugeordnet (Papadopoulos, 1994/1996). Als ein erstes Ergebnis dieser Entwicklungsarbeit kann das 1967 veröffentlichte sogenannte Grünbuch gelten, das unter anderem „die systematische Bewertung der Qualität von Bildungs- und Lernleistungen in den Mitgliedstaaten“ (Martens & Wolf, 2006, S. 164) anleiten sollte.

Der indikatorenbasierten Beschreibung eines Sachverhalts liegt prinzipiell ein Modell zugrunde. Die Indikatoren erhalten erst im Rahmen dieses Modells und der damit verbundenen Annahmen und Operationalisierungen ihre Gültigkeit. In Bildungskontexten wird eher mit einem weiten Verständnis von Indikatoren operiert, das auch die Kombination verschiedener Indikatoren unterschiedlicher Provenienz grundsätzlich ermöglicht (Döbert & Klieme, 2009). Wichtig für diesen Anspruch und für die Referenzierung von Indikatoren zur Abgrenzung von Bildungsmonitoring gegenüber Bildungsstatistik ist ihr evaluativer Charakter, der über reine Information hinausgeht und damit das erklärende Moment von Indikatoren begründet (Kanaev & Tuijnman, 2001). Die politische Aussage von bildungsbezogenen Indikatoren entsteht – zumindest programmatisch – durch ihre Systematisierung und Strukturierung in Indikatorensystemen. Indikatorensysteme bilden dabei einen normativen Rahmen bzw. ein Modell ab und stellen zugleich die Verbindung zwischen den bildungspolitisch interessierenden Fragen und den einzelnen Indikatoren her (Feller-Länzlinger et al., 2010; Wolter, 2008a). Wie ein Überblick über sechs nationale Bildungsberichterstattungen zeigt, wird mit Indikatoren oft auch eine stabile Darstellung der periodisch erscheinenden Berichte erreicht (Breit et al., 2018).

Konzeptionell dienen die Indikatoren- oder Beschreibungssysteme von Bildungsmonitoring und Bildungsberichterstattung aber primär der Modellierung des Bildungsbegriffs, besonders in der deutschsprachigen Diskussion. Die Reflexion über die hinter den Prozessen und Produkten von Bildungsmonitoring stehenden Sichtweisen begleitet, ebenso wie die Kritik, den Aufbau von Bildungsmonitoring der letzten rund 20 Jahre, und zwar weltweit.

Für die deutsche Diskussion identifiziert Rürup (2018) eine „Nicht-Debatte“ um den Bildungsbegriff zwischen den Akteuren des Bildungsmonitorings als eine Art wissenschaftlicher Politikberatung und den verschiedenen Traditionen des erziehungswissenschaftlichen Ringens um den wichtigsten Grundbegriff der Disziplin: In der Praxis von Bildungsmonitoring sei Bildung letztlich nur ein Platzhalter für Phänomene und Institutionen von Bildung, Erziehung und Sozialisation. Die erziehungswissenschaftliche Begriffsfindung sei dagegen akademisch-geisteswissenschaftlich ausgerichtet, vielstimmig und inkonsistent sowie aus politischer Perspektive kaum relevant. Die Nicht-Debatte entstehe letztlich durch die Ungewissheit darüber, ob Bildungsmonitoring überhaupt ohne Messmetaphern und ohne axiomatische Eingriffs- und Gestaltungshoheit des Staates denkbar sei und damit auch nicht-systemische und nicht-funktionalistische Aspekte aufnehmen könne und solle.

Für die vorliegende Arbeit ist weniger der Befund der Unvereinbarkeit von Bildungsbegriffen, sondern vielmehr die Feststellung einer, unter anderem über das Konzept des Indikators realisierten, axiomatischen Grundlage als konstituierendes Element von Bildungsmonitoring relevant. Bormann et al. (2018) zeichnen die axiomatische Grundlage der deutschen Bildungsberichterstattung folgendermassen nach: (1) Bildung wird verstanden als ein System von Input-, Output- und Prozessvariablen. Dementsprechend sind die Indikatoren jeweils auf mindestens eine dieser drei Variablengruppen hin zugeschnitten. (2) Innerhalb des Bildungssystems gibt es definierbare und über Indikatoren darstellbare Wechselwirkungen. Die Beschreibung bezieht sich ausschliesslich auf die Indikatoren und die definierbaren Wechselwirkungen. Damit findet eine pragmatische Reduktion oder Umwertung von Bildung aus Monitoringperspektive statt. (3) Das im Indikatorensystem transportierte Wissen ist primär quantitativer oder quantifizierbarer Natur. Ihm wird eine Steuerungsrelevanz oder ein Steuerungswert zugemessen. (4) Die Bildungsberichterstattung referenziert überwiegend Informations- und Wirkungskonzepte, die ökonomisch oder technisch inspiriert sind. Gerade über die indikatorenbasierte Herangehensweise und die systematischen Prozesse der Datenproduktion, -sammlung und -nutzung transportiert Bildungsberichterstattung einen Rationalitätsanspruch auf Bildungssteuerung und Bildungspolitik.

Der Aufbruch in Richtung Systemmonitoring in Deutschland ist für die Schweiz selbstverständlich nur einer der relevanten Einflüsse. In der Schweiz lag das Augenmerk beim Aufbau des nationalen Bildungsmonitorings ebenfalls auf der Realisierung datenbasierter Politikgestaltung im Bereich des öffentlichen Bildungswesens. Wie Wolter (2008b) darstellt, reagiert die Schweiz dabei sehr stark auf die internationalen Entwicklungen. Ähnlich wie in Deutschland war das nationale Bildungsmonitoring angelegt als periodische, indikatorenbasierte Darstellung, die unter anderem die Daten aus internationalen Schulleistungsstudien und zu entwickelnden gesamtschweizerischen Schulleistungsstudien integrieren sollte (vgl. Abschn. 5.4). Die französisch- und die italienischsprachige Schweiz orientierte sich stärker an Frankreich, wo die systematische und datengestützte Beobachtung des Bildungssystems bereits früher und wesentlich näher an den internationalen Entwicklungen forciert wurde. In der französischen Tradition spielten die Indikatorensysteme basierend auf Daten aus Bildungsstatistik und teilweise auch auf Verwaltungsdaten eine grössere Rolle (Emin & Levasseur, 2007). Ein Systemmonitoring zum Zweck der Legitimation und der transparenten Dokumentation des Bildungswesens wurde bereits in den 1980er-Jahren intensiv diskutiert und 1989 auf Gesetzesebene vorgeschrieben (Pair, 2001). In dieser Diskussion wurde gerade die Frage der Begrifflichkeiten kontrovers besprochen: Sollten bei der Évaluation auf Systemebene eher Kontrolle, Selektion und Sanktion betont werden oder könnte es eher um Wandel, Systementwicklung, Systemanpassungen und letztlich um Rationalisierung gehen (Barbier, 1985)?

In der französischsprachigen Diskussion gewissermassen sprachinhärent sind die begrifflichen Relationen von Bildungsmonitoring und Evaluation. Dabei ist sowohl im internationalen als auch im französischsprachigen Kontext Bildungsmonitoring als Evaluation auf Systemebene gedacht und soll zu Kontrolle und Verbesserung des Systems beitragen (Weiss, 2001). Die begriffliche Gemeinsamkeit der Evaluation verschiedener Evaluationsobjekte auf den unterschiedlichen Systemebenen führt dazu, dass im gesamten französischen Sprachraum vor allem die Modelle der Beurteilung im Zentrum der Diskussion um Bildungsmonitoring stehen (Mottier Lopez & Figari, 2012). Das Kontinuum der Évaluation reicht dabei vom der formativen und summativen Beurteilung der Schülerleistungen im Unterrichts- und Klassenkontext bis hin zum Systemmonitoring und umfasst dabei auch die Evaluation von pädagogischen Entwicklungen, Innovationen und Versuchsprogrammen (Thelot, 1994). Gerade der Einbezug der Evaluation spezifischer Bildungs- und Schulprogramme in die Begriffsbestimmungen von Bildungsmonitoring ist im Kontext der in Frankreich mehrfach versuchten, pädagogischen Autonomisierung der Schulen als Reaktion auf die schwachen Ergebnisse im Programme for international student assessment (PISA) zu sehen (Dobbins, 2014).

Im Gegensatz dazu ist in der deutschsprachigen Diskussion eher eine Trennung zwischen Bildungsmonitoring als Systembeschreibung und Evaluation als Beurteilung einer konkreten Leistung, Massnahme oder Organisation vorherrschend (Hovenga & Bos, 2009). Im Speziellen bei den Instrumenten zur Erhebung von Schulleistungen mahnen etwa Klieme, Avenarius, Blum et al. (2007) explizit an, deren kombinierte Verwendung für Bildungsmonitoring, Schulevaluation und Individualdiagnostik sei weder vorgesehen noch sinnvoll (dazu auch Imlig & Ender, 2018). Nichtsdestotrotz spielt auch im deutschen Verständnis von Bildungsmonitoring der Evaluationsbegriff eine Rolle, allerdings eher im Sinne eines Modus evidenzbasierter, politischer Entscheidungsfindung und weniger im Sinne von Evaluation als Technik der Erhebung von Rückmeldungen (Fend, 2008b).

Eine eher jüngere theoretische Herangehensweise, zumindest in der deutschsprachigen Diskussion, basiert nicht auf bestehenden Begriffen und Begriffsrelationen, sondern auf der Betrachtung der mit Bildungsmonitoring verbundenen Praktiken und Wirkungen. Dabei geht der Blick, unabhängig von begrifflichen Abgrenzungen und Zuschreibungen, hin zu den Wirkungen und Wirkmechanismen auf Systemebene. Ähnlich wie etwa Espeland (2015) für Indikatoren, beschreibt etwa Karcher (2018) Bildungsmonitoring als sozial-technologische Sichtbarmachung von Zusammenhängen im Bildungssystem. Entscheidend sei dabei die Verknüpfung von Beobachtung und gleichzeitiger Steuerung. Dadurch entstehe ein sogenanntes Sichtbarkeitsregime. Der Begriff des Sichtbarkeitsregimes fasst datenbasierte Kommunikation und Steuerung nicht als blosse Beschreibung oder Dokumentation, sondern als politische und ästhetische Ordnung. Politisch wirken Sichtbarkeitsregimes auf Beobachtete und Beobachter zurück, schaffen spezifische Aufmerksamkeiten und machen die Beobachtungsobjekte für regulierende Zugriffe erreichbar. Bezogen auf Wahrnehmung, und damit ästhetisch, verändern sie durch ihre Beschreibungs-, Kommunikationsstrukturen die Wissensstrukturen rund um den sichtbar gemachten Gegenstand (Hempel, Krasmann & Bröckling, 2011). Die Beobachtung selbst – daher auch der Regimebegriff – wirkt dabei als Ordnungsstruktur auf die diskursive Praxis und führt dabei auch zu einer Vereinheitlichung dieser Praxis (Maroy, 2008). Gerade über die Positionierung der Beobachtung ausserhalb der politischen Meinungsbildung, habe Bildungsmonitoring das Potenzial, die genuin politische Frage der Gestaltung und Steuerung öffentlicher Bildung zu entpolitisieren (Karcher, 2018).

Theoretisch werden die Wirkungen von Bildungsmonitoring und Bildungsberichterstattung im deutschsprachigen Kontext über Mechanismen der Beobachtung, Sichtbarkeit und Kommunikation erklärt. Dabei ist ein derartiges System durch die Bedingungen seiner Herstellung und Aufrechterhaltung geprägt. Hartong (2018) verweist mithilfe einer Theatermetapher auf die Unterscheidung zwischen Produkten und Produktionsbedingungen von Bildungsmonitoring: Die Sichtbarmachung von Aspekten des Bildungssystems habe sich, ähnlich einer Theatervorstellung, über ihre Akzeptanz und Aufnahme zu legitimieren. Sie soll sinnvoll, widerspruchsfrei und sorgsam durchdacht sein. Ein konstituierendes Element dieser Darstellungen von Bildungsmonitoring seien Verweise auf Objektivität und Evidenz. Im Unterschied zu den öffentlichen Darstellungen seien aber die Produktionsbedingungen geprägt durch Entscheide, etwa bezogen auf die Auswahl der beteiligten Akteure, der Begrifflichkeiten oder der Darstellungstechnologien. Diese Entscheide auf der Hinterbühne seien nicht an die Kriterien der Darstellung gebunden. Sie können durchaus intransparent und widersprüchlich sowie von Machtkonstellationen und Möglichkeitsfenstern geprägt sein oder – wie Dedering (2010) für die bildungspolitische Entscheidungsfindung generell feststellte – nicht dem Modell einer linearen und instrumentellen Verbindung von Evidenz und Entscheidungsfindung entsprechen.

Im Zusammenhang mit der Beschreibung von Sichtbarkeitsregimes wird unter anderem auf sogenannte „Dispositive der Wissensgenerierung“ (Hempel et al., 2011, S. 11) hingewiesen. In der französischsprachigen Diskussion von Evaluation im Bildungssystem wird der Dispositivbegriff als Bezeichnung für konkrete Instrumente und Prozesse zur Erfassung von Informationen verwendet (Emin & Levasseur, 2007; Maroy, 2012). Im Kontext der Beschreibung von Schulreformen wird der Begriff teilweise verwendet um die lose Gruppierung von Programmen, Ideologien, Diskursen und Reformansätzen zu bezeichnen, die letztlich hinter Veränderungen im Bildungssystem stehen (Cormack, 2012). Viele Verwendungen des Begriffs gehen zurück auf Foucault und seine Unterscheidung zwischen Dispositif und Appareil. Wie Bussolini (2010) ausführt, meinen beide Begriffe ursprünglich eine Maschinerie. Dabei stelle Dispositif aber im Gegensatz zu Appareil eher die Verwendung, Anwendung oder Ausrüstung in einem bestimmten Kontext in den Vordergrund. Begrifflich hänge Dispositif – wie in der Foucault-Rezeption betont wird – einerseits zusammen mit Oikonomia, der griechischen Haushaltsführung, und andererseits mit Modi der politischen Entscheidungsfindung. Gouvernementalität basiert bei Foucault auf den Konzepten der politischen Ökonomie und wird über Dispositive wirksam (Spilker, 2015). Das Dispositiv als jenes Element von Entscheidungsfindung, das nicht mit Motivation in Zusammenhang steht, markiert die Gültigkeit und Legitimität von Entscheiden (Bussolini, 2010).

Mit Blick auf die vielseitige Gestalt von Bildungsmonitoring auf der theoretischen Ebene, die sich auch empirisch zeigen wird, bietet es sich an, den Dispositiv-Begriff dafür aufzunehmen. Bildungsmonitoring kann, unter Berücksichtigung seiner stark durch Foucault geprägten Begriffsgeschichte, als Dispositiv beschreiben werden. Damit wird es als Gesamtheit von Instrumenten, Prozessen, Programmen und Produkten in einem geografisch und politisch abgrenzbaren Kontext fassbar. Über den Dispositiv-Begriff wird Bildungsmonitoring gerade nicht deskriptiv oder präskriptiv als einfaches und klar konturiertes Programm beschrieben. „In der Funktionsweise von Dispositiven sind Machtkonstellationen, Wissensordnungen, Vergegenständlichungen, Subjektivierungsweisen und Selbsttechnologien produktiv miteinander verwoben“ (J. Budde, Geßner & Weuster, 2018, S. 18). Bildungsmonitoring als Dispositiv verweist auf die Vielzahl der mitzudenkenden Ausprägungen und darauf, dass es sich bei Bildungsmonitoring gleichermassen um ein gesellschaftliches, pädagogisches, politisches sowie wissens- und machtbezogenes Phänomen handelt.

3.2 Institutionen und Akteure

Zur Beschreibung von Prozessen der Steuerung und Governance in Bildungssystemen wird in der vorliegenden Arbeit auf gesellschafts- und staatstheoretische Theorieelemente aus unterschiedlichen Disziplinen zurückgegriffen. Sie stellen – auch über Bildungspolitik hinaus – die theoretischen Fundamente dar und repräsentieren damit zugleich „die evidente Tatsache, dass Prozesse der Steuerung zum einen soziale Prozesse und zum anderen fast immer [...] in Verbindung mit dem Staat zu sehen sind“ (Berkemeyer, 2010, S. 146).

Ein entscheidender Schritt in der theoretischen Modellierung politisch-gesellschaftlicher Steuerung erfolgte in den 1990er-Jahren mit dem Ansatz des akteurzentrierten Institutionalismus, massgeblich entwickelt von Mayntz und Scharpf (1995). Die Grundidee dabei ist, dass Steuerungs- und Regelungsstrukturen als Ergebnis der Interaktion von Akteuren in bestimmten Konstellationen und Situationen verstanden werden. Dabei stehen die Koordinationsformen verschiedener Akteure als Governancemechanismen im Vordergrund (Houben, 2019). Auf die Akteurskonstellationen selbst und die Interaktionsprozesse wirken der institutionelle Kontext und nicht-institutionelle Faktoren ein. Der institutionelle Kontext wird wiederum über die Steuerungs- und Regelungsstrukturen verändert (Mayntz & Scharpf, 1995). Der akteurzentrierte Institutionalismus stellt laut Blum und Schubert (2011) eine Vereinigung von strukturalistischen und akteurzentrierten Ansätzen dar. Im strukturalistischen Paradigma, entwickelt in den 1960er-Jahren, werde der Einfluss der sozio-ökonomischen Faktoren auf die politischen Entwicklungen betont und zugleich infrage gestellt, ob politische Programme, Prozesse oder Institutionen überhaupt einen Unterschied machen. Im konträr angelegten, akteurstheoretischen Paradigma, zeitlich in den 1980er-Jahren verortet, würden die politischen Akteure über politische Gestaltungsfähigkeit verfügen und über ihre Entscheide die politische Entwicklung bestimmen. So gesehen sei der akteurzentrierte Institutionalismus eine Art Wegbereiter für die offerene Betrachtung von Steuerung und Regelung von und in Gesellschaften und damit auch für den Governanceansatz.

Eine wichtige Unterscheidung, die auch in den akteurzentrierten Institutionalismus einfloss, ist jene zwischen Institutionen und Akteuren. Institutionen werden als Regelsysteme verstanden, die selber nicht handeln, Akteure als handlungsfähige soziale Einheiten, die über Handlungsressourcen und -orientierungen verfügen. Soziale Gebilde wie beispielsweise Organisationen können damit sowohl als Institutionen als auch als Akteure betrachtet werden. Im ersten Fall liegt der Fokus auf den Regelungen, die die Organisationen repräsentieren und im zweiten auf ihrer Handlungsfähigkeit (Mayntz & Scharpf, 1995).

Mayntz und Scharpf (1995) unterscheiden für die Analyse von Akteurskonstellationen drei Typen von Akteuren: (1) Einzelne Personen werden als individuelle Akteure bezeichnet. (2) Als korporative Akteure werden „formal organisierte Personen-Mehrheiten“ (Mayntz & Scharpf, 1995, S. 49) bezeichnet. Sie verfügen über Handlungsressourcen, die nicht den einzelnen Mitgliedern oder individuellen Akteuren zugeordnet werden können, sowie über innere Strukturen und Mechanismen der internen Entscheidungsfindung zum Einsatz der Ressourcen. Dadurch, dass alle korporativen Akteure individuelle Akteure als Mitglieder haben und individuelle Akteure in den Strukturen der korporativen Akteure bestimmte Positionen besetzen, ergibt sich eine analytische Mehrebenenstruktur. (3) Als kollektive Akteure oder Quasi-Gruppen werden Gruppen individueller Akteure bezeichnet, die temporär oder permanent einzelne handlungsrelevante Merkmale gemeinsam haben aber keine formale Organisation im Sinne gemeinsamer Handlungsressourcen und Strukturen aufweisen. Quasi-Gruppen müssen nicht zwingend handlungsfähig sein, sondern können auch als Adressaten gewisser Regelungsstrukturen modelliert werden. Kollektiven Akteuren dagegen werden bewusste, gemeinsame Handlungsorientierungen und dadurch die Fähigkeit zu gemeinsamem Handeln zugesprochen.

Das Handeln der Akteure wird im akteurzentrierten Institutionalismus zwar durch den institutionellen Kontext geprägt, aber nicht determiniert. Bei der Auswahl aus den verbleibenden oder allenfalls auch den illegitimen, dem institutionellen Kontext widersprechenden Handlungsoptionen spielen die Handlungsorientierungen eine zentrale Rolle. Inhaltlich weisen Handlungsorientierungen kognitive und motivationale Aspekte auf. Kognitive Aspekte betonen die Wahrnehmung und Deutung der Situation und der Konstellation durch die Akteure sowie das Abschätzen der erwarteten Ergebnisse. Dabei konstituieren sich gerade in nicht individuellen Akteuren kognitive Handlungsorientierungen über Kommunikation sowie individuelle und kollektive Lernprozesse. Motivationale Aspekte betonen dagegen die handlungsleitenden Interessen, Normen und Identitäten. Sowohl die Wahrnehmung und Deutung von Situationen als auch die Interessen, Normen und Identitäten sind als Aspekte der Handlungsorientierungen ihrerseits institutionell geprägt: Akteure haben beispielsweise bestimmte Aufgaben verbunden mit entsprechenden Erwartungen, bestimmte Positionen in Akteurskonstellationen oder spezifische Handlungspräferenzen (Mayntz & Scharpf, 1995).

Der institutionelle Kontext erfährt bei Mayntz und Scharpf (1995) ebenfalls eine Typologisierung: Dabei handelt es sich um Regeln, die (1) „für bestimmte Situationen (materielle) Verhaltens- und (formale) Verfahrensnormen festlegen“, (2) „spezifizierten Adressaten die Verfügung über finanzielle, rechtliche, personelle, technische und natürliche Ressourcen gewähren oder untersagen“ und (3) „Relationen (insbesondere Dominanz- und Abhängigkeitsbeziehungen) zwischen bestimmten Akteuren festlegen“ (S. 47–48). Gerade die als korporative Akteure gefassten Organisationen, auf denen im akteurzentrierten Institutionalismus das Hauptaugenmerk liegt, sind über solche Institutionen konstituiert und damit in besonderer Art und Weise dadurch geprägt (Berkemeyer, 2010).

Ein Grund für die Popularität des akteurzentrierten Institutionalismus als Beschreibungsansatz in der Governanceforschung liegt in der Mehrebenenstruktur, die vor allem den korporativen Akteuren zugesprochen wird. Über diese analytisch unterscheidbaren Akteurskonstellationen mit Organisationen, Verbänden, Initiativen und Einzelpersonen, die innerhalb eines institutionellen Rahmens in Auseinandersetzung miteinander Steuerungsprojekte vorantreiben oder blockieren, wird die hohe Komplexität fassbar gemacht (Houben, 2019).

Der akteurzentrierte Institutionalismus ist allerdings nur eine Referenz aktueller Governanceforschung. Bereits Mayntz & Scharpf bezogen sich bei ihren Überlegungen auf Elemente neo-institutionalistischer Organisationsforschung. Institution ist dabei eine Modellierung der Mechanismen, über die Kontrolle und Koordination innerhalb von Organisationen erfolgen kann. Institutionen werden im Neo-Institutionalismus deutlich offener definiert. Sie stellen nicht bloss Regelkonstrukte dar, sondern umfassen darüber hinaus auch gesellschaftliche Vorstellungen, professions- oder organisationsbezogene Praktiken, kollektive Normativitätsvorstellungen und kulturelle Glaubenssysteme oder sogenannte Mythen (Houben, 2019). Letztere sind Vorstellungen davon, was als normativ richtiges, gesellschaftlich angemessenes und rationales Handeln von Organisationen gilt (J. W. Meyer & Rowan, 1977/2009). Aus dieser Theorietradition entstand ein breiterer Institutionenbegriff, der unter anderem auch kulturell-kognitive Institutionen einschliesst. Damit werden Institutionen als subjektive Deutungsmuster hervorgehoben, die zugleich gesellschaftlich konstituiert sind (Scott, 2001). Dieses Institutionenverständnis bildet den Kern des organisationssoziologischen Neo-Institutionalismus (Koch, 2009).

Rund um diesen Kern wurden in den letzten Jahren unterschiedliche Weiterentwicklungen und theoretische Differenzierungen ausgearbeitet. Eine davon ist das sogenannte Institutional work-Konzept. Lawrence und Suddaby (2006) übertragen damit die Perspektive der Institutional entrepreneurship auf die empirische Ebene der tatsächlichen Handlungen der Akteure und deren Bestreben, Institutionen zu gestalten. Den Akteuren werden dabei Gestaltungsfähigkeiten und -möglichkeiten zugesprochen und die Wechselwirkung zwischen Akteuren und Institutionen wird anhand der Wirkungen des Handelns von Akteuren auf die Institutionen beschrieben. Dabei werden die institutionellen Strukturen und die regulativen Mechanismen, die Handlungen beeinflussen, zwar nicht verneint, aber erst in zweiter Linie mitgedacht. Gerade im Unterschied zur Institutional entrepreneurship-Perspektive wird das Schaffen, Pflegen und Stören von Institutionen nicht rationalen und unabhängigen Akteuren zugeordnet, sondern alle Akteure bewegen sich unabhängig von ihren Beiträgen zur Institutional work in einen institutionell definierten Kontext (Lawrence, Suddaby & Leca 2009). Mit Institutional work wird nicht nur die institutionelle Veränderung auf der Ebene gesellschaftlicher Felder erfasst, sondern bewusst auch die lokale, dezentrale Praxis und ihre institutionellen Wirkungen untersucht (Enders & Naidoo, 2018).

Die Forschung mit dem Institutional work-Konzept ist laut Lawrence & Suddaby (2006) an drei theoretischen Kernelementen orientiert: (1) Sie betont die Fähigkeiten, das Bewusstsein und die Reflexivität der individuellen und kollektiven Akteure. (2) Sie versteht Institutionen als konstituiert durch Handlungen von Akteuren. (3) Sie definiert sämtliche Handlungen als Praxis, die innerhalb eines institutionellen Rahmens erfolgen.

Unterschieden werden mit der Schaffung, der Pflege und der Störung von Institutionen drei Kategorien von Institutional work, für die jeweils spezifische Formen und Typen von Institutionsgestaltung durch Akteure empirisch nachweisbar sind. Die Schaffung von Institutionen kann über politische Arbeit, die Konfiguration von Belief systems oder die Veränderung von symbolischen und kulturellen Bedeutungszuschreibungen erfolgen. Die Pflege von Institutionen umfasst Mechanismen zur Sicherstellung, dass Akteure die institutionellen Regeln einhalten, sowie zur Weitergabe und Reproduktion existierender Normen und Belief systems. Die Störung oder Zerstörung von Institutionen schliesslich geschieht etwa durch die Beeinträchtigung von Mechanismen der Belohnung konformen Verhaltens, die Entkopplung gesellschaftlicher Praxis von ihrer moralischen Grundlage oder das Unterminieren gesellschaftlicher Symbol- und Bedeutungssysteme (Lawrence & Suddaby, 2006). In aktuelleren Arbeiten zu Institutional work weisen Lawrence et al. (2009) unter anderem darauf hin, dass damit vor allem die Agency von Akteuren, die hinter den Handlungen liegende Intentionalität sowie der empirisch feststellbare Effort, den Akteure im Rahmen ihrer aktiven Beteiligung an der Gestaltung von Institutionen leisten, erfasst werden kann. Gerade mit der Betonung von Agency und Intentionalität ordnet sich Institutional work in die neuere institutionalistische Theorielandschaft ein. Intentionalität setzt dabei Akteure voraus, die ihre Umwelt permanent und entsprechend ihren Interessen mitgestalten. Dabei können drei Modi von Intentionalität unterschieden werden (Battilana & D’Aunno, 2009): (1) Die iterative Intentionalität bezieht sich auf die Vergangenheit und auf die Auswahl und Aktivierung spezifischer Handlungsmuster. Damit ist sie sehr nahe beim Begriff des Habitus angesiedelt, betont aber die kognitive Verbindung von aktueller Situation, eigenen Interessen und möglichen Handlungsmustern als Effort der Akteure. (2) Die praktisch-evaluative Intentionalität bezieht sich auf die Gegenwart und auf die Adaption von Handlungsmustern an sich stets verändernde Situationen. Sie betont die praktischen und normativen Entscheide der Akteure, in die mögliche Handlungsoptionen, erwartete Wirkungen und Ambiguitäten einfliessen. (3) Die projektive Intentionalität bezieht sich auf die Zukunft und auf die subjektiven Vorstellungen zukünftiger Handlungen in Verbindung mit den individuellen Hoffnungen, Befürchtungen und Wünschen.

Neben der Intentionalität operiert die Forschung rund um das Institutional work-Konzept unter anderem mit dem Begriff der kulturellen, gesellschaftlichen und organisationalen Narrative. Diese Narrative sind ein Element von Institutionen, in dem ihr Gehalt kommunikativ transportfähig gemacht wird. Wie Zilber (2009) darstellt, ordnen Akteure in Narrativen den Kern und das Verständnis institutioneller Regeln und drücken diese in kommunikativer, erzählerischer Form aus. Dabei verwendeten sie auch spezifisch kommunikative Elemente wie Redewendungen und orientierten sich an Rhetorik und Dramaturgie. Mittels Narrativen kommunizierten Akteure über Institutionen sowohl innerhalb ihrer jeweiligen organisationalen Ebene als auch zwischen den Ebenen. Gesellschaftliche Narrative würden beispielsweise in Organisationen getragen, aufgenommen und zugleich neu interpretiert und übersetzt in lokale und spezifischere Versionen. Wie Zilber (2009) weiter ausführt, sind Narrative empirisch zugängliche Aspekte von Institutional work. In ihnen zeige sich die sorgfältige Balance zwischen Weitergabe und Transformation von Institutionen, die vielfältige Agency, das Zusammenspiel von Interessen- und Machtkonstellationen und die komplexen Schnittstellen zwischen den unterschiedlichen gesellschaftlichen Ebenen. Die jüngere Forschung rund um das Institutional work-Konzept macht sich unter anderem den Umstand zunutze, dass Narrative in sogenannten Artefakten abgebildet werden und untersucht diese als praktisch eingesetzte Instrumente und Techniken der Arbeit an und mit Institutionen (Lawrence, Leca & Zilber 2013).

Die Begrifflichkeiten Akteur und Institution werden im Rahmen von Educational governance als Analyse- und Forschungsansatz intensiv rezipiert (Houben, 2019). Im Mehrebenensystem Schule bieten diese Begriffe ein dichtes Beschreibungssystem, das das handelnde Zusammenwirken unterschiedlicher Akteure, die Wichtigkeit symbolischer Bedeutungszuschreibungen sowie das Nebeneinander von politischer Logik der „Macht“ und professioneller Logik einzufangen vermag (Kussau & Brüsemeister, 2007b). Mit dem Institutional work-Konzept wird über die starke Betonung von institutionellen Kontexten hinaus auch die Agency von Akteuren theoretisch fassbar gemacht. Was Enders und Naidoo (2018) für die Hochschulbildung festhält, kann sicherlich auch für Bildungsmonitoring angenommen werden: Gerade der Blick auf die Gestaltung von Institutionen auf organisationalen Mikro-Ebenen erweitert das Verständnis für die fortlaufende Veränderung von Organisationen und Praktiken im Kontext umfassenderer, weltweiter Veränderungen im Bildungsbereich.

3.3 Governance und Steuerung

Der Beginn der politischen Bearbeitung von Schul- und Bildungssystemen anhand sogenannter Outputs, die teilweise auch etwas salopp einfach als „Bildungsreform“ (Böttcher et al., 2008, S. 7; Gruschka, 2014, S. 243), „Systemreform“ (Altrichter & Geisler, 2012, S. 71), „Education reform“ (Darling-Hammond, 2012, S. 31) oder „Assessment reform“ (Berry & Adamson, 2011, S. 11) bezeichnet wurde, kann zeitlich in den 1990er-Jahren festgemacht werden. Wie Altrichter, Brüsemeister und Wissinger (2007) betonen, wurden damit die Steuerungsstrukturen der Bildungssysteme in den Fokus der Entwicklungen gestellt. Parallel dazu entwickelte sich unter demselben Begriff ein wissenschaftlicher Analyseansatz (Houben, 2019; Schimank, 2007).

Die theoretische Bearbeitung politischer Steuerung hat historisch eine enge Verbindung zur Praxis staatlicher Steuerung.Footnote 1 Wie L. Lehmann (2013) darstellt, waren die Vorstellungen rationaler Planung der 1960er-Jahre (vgl. Abschn. 5.1), die darauf folgende Aufmerksamkeit für die Mikroebene und die Integration von Steuerungskonzepten aus der Wirtschaft in den 1990er-Jahren sowohl für die Praxis als auch für die Theorie politischer Steuerung wesentliche Impulse. Allerdings repräsentiere der analytische Governance-Ansatz zugleich einen Bruch in der parallelen Entwicklung:

„Während mit dem normativen Governance-Konzept also auf alte Steuerungsideen der Bildungsplanung zurückgegriffen wird, ist mit dem Governance-Ansatz als analytische Perspektive ein Paradigmenwechsel verbunden: Im Vordergrund stehen grundsätzliche Fragen der Steuerbarkeit, die eine Ausweitung der Aufmerksamkeit auf die Anzahl und Art von Akteuren im Steuerungsprozess mit sich bringen. Mit dieser konzeptuellen Offenheit – und das ist wohl die bedeutendste Neuerung – schafft es die wissenschaftliche Analyse über Steuerung und Handlungskoordination erstmals, sich von den realen Geschehnissen im Feld zu lösen.“ (L. Lehmann, 2013, S. 66)

Der normative Governanceansatz wird vor allem verbunden mit der ab den 2000er-Jahren international feststellbaren Wende verwaltungspolitischer Leitbilder von „Public Management zu Governance“ (Jann & Wegrich, 2010, S. 185). Dabei wird Verwaltung losgelöst von stark hierarchisch gedachten Steuerungsformen und stärker als Netzwerk mit staatlichen und privaten Akteuren beschrieben (vgl. Abschn. 2.2).

Im Gegensatz zum normativen Governanceansatz, der immer noch stark auf der Vorstellung traditioneller Steuerung und auf der Annahme von Steuerbarkeit basiert, liegen dem analytischen Governanceansatz die Modi sozialer Handlungskoordination als theoretisches Kernelement zugrunde (L. Lehmann, 2013; Mayntz, 2004). Gerade im Bildungsbereich bietet der Ansatz das Potenzial, theoretisch über die eindimensionale Vorstellung der Steuerung eines Steuerungsobjekts durch ein Steuerungssubjekt hinauszukommen, die sich – streng genommen – bereits in den 1960er-Jahren empirisch nicht mehr halten liess (Kussau & Brüsemeister, 2007a). Vielmehr werden alle Beteiligten als soziale und handlungsfähige Akteure betrachtet (vgl. Abschn. 3.2). Auf der Analyseebene werden neben den Akteuren und den Akteurskonstellationen folgende Kategorien mitberücksichtigt (Altrichter & Heinrich, 2007): (1) Das Handeln der Akteure erfolgt in bestehenden Strukturen, die man auch als Institutionen oder Ressourcen bezeichnen könnte. Als Struktur wird dabei die Verteilung von Verfügungsrechten bezeichnet, die den Akteuren zukommen oder die sie im Zuge von allfälligen Veränderungen gewinnen oder verlieren. Solche Verfügungsrechte sind typischerweise Regeln oder Normen, die Akteuren für ein bestimmtes Handeln explizit Kompetenz und Legitimation verleihen. Ebenfalls darunter fallen auch Verfügungsfähigkeiten in Form materieller oder immaterieller Ressourcen. (2) Der Governanceansatz fasst soziale Systeme prinzipiell als Mehrebenensysteme, was ihn gerade im Bildungsbereich anschlussfähig macht. Handlungskoordination wird dabei auch zwischen verschiedenen Systemebenen erfasst. Im Bildungsbereich stehen auf der Makro-Ebene die Akteure im Fokus, die legitimiert und befähigt sind, Einfluss auf das gesamte Bildungssystem auszuüben. Damit sind insbesondere Staat und Verwaltung der bildungspolitisch kompetenten Einheiten gemeint (vgl. Abschn. 2.3). Aber auch andere politische Akteure wie etwa Parteien oder Stakeholdervereine werden auf der Makro-Ebene mitberücksichtigt. Auf der Meso-Ebene sind – beispielsweise mit den Schulen – diejenigen Organisationen anzusiedeln, die die eigentliche Leistungserbringung verantworten. Auf der Mikro-Ebene stehen dann typischerweise Prozesse der Handlungskoordination der individuellen Akteure in Schule und Unterricht im Fokus. (3) Ausgehend von den Handlungsorientierungen im akteurzentrierten Institutionalismus (vgl. Abschn. 3.2) werden im Governanceansatz die leitenden Werte und Intentionen der Akteure ebenfalls berücksichtigt. Eine zentrale Unterscheidung ist jene zwischen geäusserten und nicht explizit gemachten Intentionen. Ein weiteres Element dieser leitenden Werte sind zudem die Annahmen der Akteure zu Wirkungen und Wirkungszusammenhängen.

Zusammen mit den Akteurskonstellationen lassen sich die Ergebnisse aus den drei Kategorien zu einer Analyse der Modi der Handlungskoordination verdichten. Diese Verdichtung kann wiederum auf drei Ebenen vorgenommen werden: Auf der Ebene der basalen Governancemechanismen werden quasi Mikroprozesse der Handlungskoordination wie beispielsweise Beobachtung, Beeinflussung oder Verhandlung identifiziert. Die Koordinationsformen der zweiten Ebene stellen typischerweise Kombinationen mehrerer basaler Governancemechanismen dar. Beispiele solcher Koordinationsformen sind Hierarchie, Markt, Gemeinschaft oder Netzwerk. Die dritte Analyseebene ist jene der Governance-Regime (Altrichter & Heinrich, 2007). Diese Analyseebene ist sehr viel stärker auf die zur Verfügung stehenden Informationen bezogen und zudem bereichsspezifisch. Im Gegensatz zu Governancemechanismen und Koordinationsformen geht es nicht um eine Abbildung des empirischen Materials auf allgemeine Typen, sondern um das Herausarbeiten von spezifischen Merkmalen aus dem Material und damit um ein induktives Vorgehen. Die Beschreibung des Governanceregimes weniger und inhaltlich zusammenhängender Fälle soll die Handlungskoordination zwischen ihnen vergleichbar machen. Verglichen werden beispielsweise unterschiedliche Fälle im gleichen Bereich oder ein Fall im historischen Wandel (Schimank, 2007).

Als konkrete Beschreibungsmerkmale eines Governanceregimes im Hochschulbereich nennt Schimank (2007) beispielsweise staatliche Regulierung, Aussensteuerung, akademische Selbstorganisation, hierarchische Selbststeuerung und Konkurrenzdruck. Gerade bezogen auf die Veränderung von Governanceregime bietet sich eine institutionalistische Perspektive an:

„Governanceregimes sind aufzufassen als Institutionen im Sinne relativ stabiler Dispositive zur Bearbeitung von Organisationsproblemen, namentlich von Integrations- und/oder Kompositionsproblemen zwischen ausdifferenzierten sozialen Sphären einerseits und zwischen politisch konstituierten Einheiten anderseits. [...] Allerdings können Governanceregimes einem institutionellen Wandel unterworfen sein – sei es, weil der Support für die gegebene Organisationsform brüchig wird und ein alternatives Modell zunehmend Anklang findet; sei es auch, weil sich die Umweltbedingungen des regulierten Systems grundsätzlich verändern.“ (Rosenmund, 2019, S. 252–253)

Die vom analytischen Governanceansatz inspirierte Forschung im deutschsprachigen Raum zeichnet sich unter anderem dadurch aus, dass sie nicht auf die Untersuchung politisch-administrativer Akteure und Handlungen beschränkt bleibt, sondern auch Prozesse der Selbststeuerung und der Kooperation sowie nicht-staatliche Organisationen und weitere relevante Akteure einzubeziehen vermag. Steuerung wird dabei nicht negiert, sondern in einem komplexen und interdependenten Steuerungsverständnis wiederaufgenommen und erfolgt in einem breiter gefassten Kontext formaler und informeller Strukturen (Bösche & Lehmann, 2014).

Altrichter und Maag Merki (2010) beschreiben die zentralen Elemente eines erweiterten Steuerungsverständnisses im Sinne des analytischen Governanceansatzes folgendermassen: (1) Vom einen Steuerungsakteur wird Abstand genommen. Vielmehr muss davon ausgegangen werden, dass viele Akteure explizit und implizit an Steuerung beteiligt sind. (2) In solchen Steuerungsprozessen mit vielen unterschiedlichen Akteuren ergibt sich eine hohe Dynamik. In den Prozessen verändern sich konkrete Reformprogramme ebenso wie die Intentionen der einzelnen Akteure. (3) Gerade über diese Dynamik entsteht permanenter kommunikativer Austausch zwischen Akteuren sowie innerhalb korporativer und kollektiver Akteure. Systemtheoretisch ausgedrückt stehen die Akteure, ihrerseits als Systeme betrachtet, in einem aktiven und selektiven Verhältnis zur Umwelt. Sie nehmen dabei die Dynamik in den Akteurskonstellationen aktiv wahr, verarbeiten ihre Wahrnehmung und leisten Übersetzungsarbeit. Beeinflussung ist in diesem Sinne ein doppelt aktiver Vorgang, bei dem auch der potenziell beeinflusste Akteur eine aktive Rolle hat. (4) Allen Akteuren kann intentionales und im Sinne ihrer Intentionen rationales Handeln zugeschrieben werden. Das heisst, sie versuchen die Entwicklungen so zu beeinflussen, dass diese ihren Intentionen entsprechen. Diese Rationalität ist allerdings auf die eigenen Intentionen und Wahrnehmungen beschränkt. In der Vielzahl der Akteure mit divergierenden Intentionen und Rationalitäten entstehen dabei trans- und kontraintentionale Dynamiken und Wirkungen.

Gerade in der dichten Beschreibung von Steuerungseffekten, die nicht den Intentionen entsprechen, identifiziert Langer (2008a) ein Potenzial des analytischen Governanceansatzes:

„Hier kann rekonstruiert werden, warum Akteure handeln, wie sie handeln, und wie sich diese Handlungen zu erwünschten und unerwünschten Folgen verquicken. In Zukunft könnte sich die Educational Governance-Forschung zur Aufgabe machen, ergänzend vor allem danach zu fragen, wie transintentionale und emergente Effekte durch das handelnde Zusammenwirken der Akteure erzeugt werden. Denn nur wenn man genauer weiß, wie unerwünschte Zustände unabsichtlich erzeugt werden, wird man etwas genauer sagen können, an welchen Angelpunkten sozialer Dynamiken wirksame Eingriffe anzusetzen wären.“ (Langer, 2008a, S. 16)

In ihrem als theoretische Selbstreflexion angelegten Rückblick auf die Entstehung und die Geschichte des analytischen Governanceansatzes weisen Langer und Brüsemeister (2019a) auf sechs jüngere theoretische Entwicklungen hin: (1) Eine sehr wesentliche Entwicklung ist die theoretische Bearbeitung des Mehrebenencharakters. Dabei wird einerseits die Assoziation mit formal-hierarchischen Ebenen zunehmend aufgegeben und andererseits die Rekonstruktion von kommunikativen Transaktionen, Deutungsakten und damit Steuerung über Ebenengrenzen hinweg verstärkt. (2) Neben Wandel, Veränderung und Dynamik werden mit dem analytischen Governanceansatz auch Persistenzen, Phänomene der Reproduktion, tradierte Routinen und Muster erklärbar. (3) Mit der Abwendung von einzelnen, hierarchisch hoch positionierten Steuerungsakteuren wird die Praxis auf der Mikroebene von Steuerung in den Blick genommen. Die Analyse informeller und impliziter Praktiken wird dabei neben die auch in Educational governance lange vorherrschende Orientierung an formalen und explizit symbolisierten Strukturen gestellt. (4) Auf der Basis der neo-institutionalistischen Theorieansätze wird die kulturell-symbolische Dimension von Governance entdeckt. Dabei erscheinen Strukturen von Governance sehr wesentlich stabilisiert und legitimiert über symbolische Konstruktionen. (5) Mit der kulturell-symbolischen Dimension werden unter anderem soziale Auseinandersetzungen um Wissensordnungen und deren Durchsetzung stärker in den Blick genommen. (6) Die erst in Ansätzen entwickelte wissenschaftssoziologische Selbstreflexion soll auch künftig eine kritische Position ermöglichen, gerade gegenüber politisch-ökonomischen Theorieansätzen.

Praktisch alle Elemente dieser skizzierten Weiterentwicklung nimmt eine Perspektive auf, in der Governance über Regelung hinaus als „institutional work“ (Houben, 2019, S. 165) verstanden wird. Wie Houben (2019) ausführt, bringen alle beteiligten Akteure ihre je eigenen Intentionen in die Akteurskonstellationen ein, wollen Institutionen in ihrem Sinne mitgestalten, bewahren oder zum Verschwinden bringen. Insofern weist das Institutional work-Konzept (vgl. Abschn. 3.2) für die Weiterentwicklung und theoretische Differenzierung des analytischen Governanceansatzes wertvolle Anknüpfungspunkte auf.

Bildungsmonitoring ist sowohl ein zentrales Element in der normativen Prägung von Governance im Bildungssystem als auch ein potenzielles Element der analytischen Fassbarmachung der sozialen Handlungskoordination. Vor allem die Fokussierung von Mechanismen kommunikativer und kulturell-symbolischer Natur sowie die Rekonstruktion von Steuerung als sozialem Prozess sind auch in der theoretischen Bearbeitung von Bildungsmonitoring anschlussfähig (Brosziewski, 2007; Rürup, 2018; vgl. Abschn. 3.1).

3.4 Schule und Gesellschaft

Schule als formale und in der Regel öffentliche Bildung hat ein einen besonderen gesellschaftlichen Stellenwert. Bildungsmonitoring bildet diesen Stellenwert einerseits ab und ist aber andererseits auch darüber legitimiert. Der Zusammenhang zwischen Schule und Gesellschaft wurde und wird aus unterschiedlichen theoretischen Richtungen diskutiert. Für Bildungsmonitoring spielt dabei vor allem die Wahrnehmung von Schule als wichtiger Faktor in Technologie-, Wirtschafts- und Prosperitätspolitik eine Rolle. Diese spezifische Wahrnehmung wurde massgeblich geprägt im Kontext der sich wandelnden Aufgaben, Funktionen und Funktionsweisen von Staaten und politisch-administrativen Systemen in den 1960er-Jahren und der gegenseitigen internationalen Beobachtung innerhalb und zwischen den beiden geopolitischen Hemisphären der Nachkriegsordnung (vgl. Abschn. 2.2; Langer, 2008b; Martens & Wolf, 2006).

Als Beleg für die direkte Verknüpfung von Bildung und wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit in den 1960er-Jahren wird häufig auf die von Picht (1965) proklamierte „Bildungskatastrophe“ verwiesen. Picht sah die nachhaltige Weiterführung des sogenannten Wirtschaftswunders in Deutschland gefährdet durch zu geringe Investitionen in Bildung. Er bezog sich dabei auf international vergleichende Informationen und eine globale Konkurrenz- und Wettbewerbssituation auf wirtschaftlicher, politischer und weltanschaulicher Ebene (Erpenbeck & Sauter, 2016).

„Bildungsnotstand heißt wirtschaftlicher Notstand. Der bisherige wirtschaftliche Aufschwung wird ein rasches Ende nehmen, wenn uns die qualifizierten Nachwuchskräfte fehlen, ohne die im technischen Zeitalter kein Produktionssystem etwas leisten kann. Wenn das Bildungswesen versagt, ist die ganze Gesellschaft in ihrem Bestand bedroht.“ (Picht, 1965, S. 10)

Obwohl dies eine politische und keine theoretische Position ist, steht die Schule damit im Zentrum eines gesellschaftlichen Wirkungsmodells. Schule ist in diesem Sinne nationalökonomisch funktional. Die Vorstellung einer Funktion von Bildung für Gesellschaft wurde unter anderem von Dahrendorf (1966) aufgenommen und weiterentwickelt: Ein Wirkungsmodell habe der gesellschaftlichen Relevanz von Bildung nicht nur in Bezug auf technischen Fortschritt und wirtschaftliche Prosperität zu entsprechen. Vielmehr sei Bildung auch als Instrument der sozialen und kulturellen Weiterentwicklung von Gesellschaft zu gestalten. In Dahrendorfs Modell wird Schule gesellschaftlich funktional indem eine aktive Politik der Bildungsexpansion betrieben und Bildung als Bürgerrecht verstanden wird. Diese Gesamtkonzeption strebe nach der Realisierung von Bildung als sozialem Grundrecht, nach Chancengleichheit und Chancengerechtigkeit (Dahrendorf, 1966). Die Vorstellung von Wachstum und Prosperität durch rationale, zielorientierte Planung im Bildungsbereich wurde bereits in den 1960er-Jahren auf internationaler Ebene intensiv bewirtschaftet (Bürgi, 2016).

Diese Art und Weise, Schule in einem gesellschaftlichen Kontext ökonomisch funktional zu verstehen und entsprechend zu gestalten, wird unter anderem den Aktivitäten der OECD im Bildungsbereich allgemein und PISA im Besonderen zugeschrieben (Knodel, Martens & Niemann, 2013). Dazu passt, dass sich die OECD für ihre Aktivitäten im Bildungsbereich bis in die 1990er-Jahren hinein nicht direkt auf einen entsprechenden Auftrag in der Gründungskonvention beziehen konnte. Vielmehr wurde Bildung durch die in der Präambel festgehaltene Erhöhung des allgemeinen Wohlstands als Arbeitsfeld legitimiert: Aus der Präambel der OECD-Konvention

„kann man schließen, daß der Bildung eine Bedeutung zukommt sowohl in bezug auf den Beitrag, den sie zum Wirtschaftswachstum leisten kann, als auch als einem Mittel, durch das die Ziele dieses Wachstums, nämlich eine Steigerung des allgemeinen Wohlstands, Realität werden können.“ (Papadopoulos, 1994/1996, S. 14)

Insofern wird Bildung – nicht ausschliesslich aber sehr prominent – als Instrument in einem wirtschaftspolitischen Programm verstanden (vgl. Abschn. 5.2.1). In PISA repräsentiert unter anderem das Literacy-Konzept, mithilfe dessen die Deutung von Schülerleistungen als wirtschaftliches Verwertungspotenzial möglich wird, dieses Verständnis (vgl. Abschn. 5.3.1). Ein drittes Element dieses Verständnisses von Bildung manifestiert sich im Lifelong learning. Lernen und damit Bildung wird dabei in einen doppelten theoretischen Rahmen gesetzt (Alheit & Dausien, 2009): (1) Als politisch-ökonomische Zielsetzung sollen damit Wettbewerbsfähigkeit, Beschäftigung und Anpassungskompetenz der Arbeitskräfte verbessert werden. Als individuelle Zielsetzung sollen biografische Planungsfreiheit ermöglicht und das soziale Engagement der Individuen gestärkt werden. Lifelong learning ist damit instrumentell – oder funktional – für die Gesellschaft und die Wirtschaft und wirkt zugleich emanzipatorisch auf der Individualebene. Allerdings umfasst der Begriff des Lifelong learning bewusst auch nicht-formale und informelle Lernprozesse und reicht damit im Prinzip über Schulsysteme hinaus (Lassnigg, 2009).

In Anlehnung an die theoretische Fundierung, die Lassnigg (2009) für Lifelong learning als Politikparadigma identifiziert, lassen sich auch für diese Konzeption des Zusammenhangs zwischen Schule und Gesellschaft, der in Bildungsmonitoring eine wichtige Rolle spielt, drei zentrale Theoriebezüge aufzeigen: (1) Lernprozesse sind genuin in das Wirtschaftssystem eingebettet. Die theoretischen Referenzen sind vor allem ökonomischer Natur und gehen hauptsächlich in Richtung Humankapital-, Wachstums- und Innovationstheorie. Lernen, die weiteren pädagogischen Begrifflichkeiten und alle weiteren theoretischen Referenzen sind bestimmt durch die Kompatibilität mit ökonomischen Theorien. (2) Das Lernen und seine Beeinflussung sind theoretisch eher schwach fundiert. Zwar werden verschiedene lerntheoretische, didaktische und pädagogische Ansätze, die Lernen selbst und seine Beeinflussung beschreiben, aufgenommen. Aber zugleich sind Referenzen auf das Technologiedefizit von Lernen, die Signalling-Theorie, konstruktivistische Lerntheorien und damit auf Ansätze wichtig, die einen eher distanzierten Blick auf die eigentlichen Lernprozesse werfen. (3) Ergänzend werden als theoretische Fundierungen Elemente des Governanceansatzes, der Lebenslaufforschung, der Wohlfahrts- und Gerechtigkeitstheorie, von Netzwerk- und Globalisierungstheorien und der Systemtheorie herangezogen. Die theoretischen Referenzen sind allerdings grundsätzlich so gestaltet, dass sie mit den ökonomischen Theorien kompatibel sind.

Selbstverständlich ist die ökonomische Konzeption weder die einzige noch eine unwidersprochene Vorstellung zur Frage der gesellschaftlichen Bedeutung und Relevanz von Schule. Gegenstände der bildungssoziologischen Forschung sind Bildungsungleichheiten, ihre Entwicklung, die Mechanismen ihrer Produktion und Reproduktion sowie die Rolle der Bildungssysteme in dieser Produktion. Dabei gibt es durchaus Berührungspunkte mit der wirtschaftsbezogenen Konzeption, etwa in den theoretischen Fundierungen oder der Verwendung von Daten aus Schulleistungserhebungen. Zugleich widmet sich die bildungssoziologische Forschung aber auch der Mikroebene, beispielsweise den individuellen Entscheiden in Bildungslaufbahnen, und den Sozialisations- und Identitätsbildungsprozessen (Solga & Becker, 2012).

Eine weitere Konzeption positioniert die Schule im Dienst einer demokratischen Gesellschaft. Retzl (2014) macht beispielsweise die sozialpsychologischen Überlegungen von John Dewey zu Erfahrung, Erkenntnis, Verhalten, Erziehung, Gemeinschaft und Gesellschaft für Schulentwicklungsprozesse nutzbar. Die individuelle Entwicklung ist dabei hochgradig angeregt durch die soziale Gemeinschaft. Sowohl die individuelle Entwicklung als auch der gesellschaftliche Wandel setzen Impulse oder von der Norm abweichende individuelle Kräfte als Ursache von Spannungen und Konflikten voraus, die dann zur kontinuierlichen Erweiterung der Erfahrung mittels intelligenter Problemlösung führen. Schule stellt in diesem Verständnis sowohl ein gezieltes Impuls- und Entwicklungsangebot für junge Menschen als auch eine Möglichkeit dar, als Teil der Gesellschaft auf die Gesellschaft zurückzuwirken.

Eine erziehungswissenschaftlich oft rezipierte Konzeption des Zusammenhangs zwischen Schule und Gesellschaft ist die Aufstellung gesellschaftlicher und individueller Funktionen des Bildungswesens von Fend (2008a). Dabei wird das Erziehungssystem, neben politischem und ökonomischem System, als eines der drei wesentlichen Subsysteme von Gesellschaft verstanden. Die drei Subsysteme operieren einerseits gemäss ihren je eigenen Systemlogiken und stehen aber gleichzeitig in vielfältigen, gegenseitigen Abhängigkeitsverhältnissen. Gerade über Austauschprozesse zwischen den drei Subsystemen werde Gesellschaft konstituiert. Das Erziehungssystem leiste dabei grundsätzlich das Heranführen neuer Generationen an die Gesellschaft und trage damit sehr wesentlich zum Fortbestand der Gesellschaft bei. Konkret habe das Erziehungssystem sowohl Funktionen für die Gesellschaft als auch für die einzelnen Menschen zu erfüllen. Bezogen auf die Gesellschaft nennt Fend (2008a) vier Funktionen: kulturelle Reproduktion, Qualifizierung, Allokation und Integration. Dieselben vier Funktionen können bezogen auf die individuelle Entwicklung und Handlungsfähigkeit als kulturelle Teilhabe, Berufsbefähigung, Lebens- und Bildungsverläufe sowie soziale Identität und politische Teilhabe formuliert werden. Schule ist über ihre Position als Sozialisationsinstanz einerseits an der Reproduktion gesellschaftlicher Verhältnisse und andererseits auch an sozialem Wandel wesentlich beteiligt. Dabei stehen

„sich wandelnde Funktionen und Leistungen von Schule im Verhältnis zu sich wandelnden gesellschaftlichen Erwartungen, die an die Schule als Aufgaben herangetragen und dort eigensinnig im operativen Vollzug von Unterricht und im Umgang zwischen Lehrenden und Lernenden verarbeitet werden.“ (Idel, 2018, S. 34)

Wie Rürup (2018) aufzeigt, stellt nur schon die Fokussierung auf den Zusammenhang zwischen einer als staatlich organisiert gedachten Schule und einer primär politisch und ökonomischen Gesellschaft eine Reduktion des theoretischen Rahmens dar. Beschränkt oder reduziert werde dabei insbesondere der Bildungsbegriff. Konsequenterweise müsste nicht nur nach der gesellschaftlichen Relevanz und Funktion von Schule, sondern nach dem Bildungsbegriff an sich gefragt werden. Er verweist dabei auf den als Diskussionsimpuls konzipierten Definitionsversuch von Stojanov (2014). Die über 40 Beiträge als Reaktion darauf (unter anderem Braches-Chyrek, 2014; Faulstich, 2014; Gruschka, 2014; Horlacher, 2014; Jobst, 2014; Ladenthin, 2014; Reichenbach & Park, 2014; Tenorth, 2014; Tröhler, 2014) bildeten den den prinzipiellen Widerstand der Erziehungswissenschaft gegen einen allgemeinen, klar abgrenzbaren Bildungsbegriff ab (Rürup, 2018). Bildung sei als Begriff höchst normativ und gerade in diesem wertenden Sinne sowohl leitende Norm von Schule als auch von Humanität und Gesellschaft (Stojanov, 2014). Wie bei anderen, höchst strittigen Begrifflichkeiten mit zentraler gesellschaftlicher Orientierungsfunktion hat der Versuch einer Festlegung etwas Totalitäres und Einseitiges (Horlacher, 2014).

„Der Versuch, es sozusagen allen ein für alle Mal zu zeigen, wie der Begriff der Bildung zu fassen ist, erinnert an eine „Wut des Verstehens“ [...], die dem Verstehen eines eben strittigen Konzeptes kaum angemessen sein kann. Die theoretische Strittigkeit der Bildung selbst ist ja das Thema oder könnte Thema sein.“ (Reichenbach & Park, 2014, S. 309)

Bildungsmonitoring ist insofern nicht nur als Element eines ökonomisch oder struktur-funktionalistisch verstandenen Verhältnisses zwischen Schule und Gesellschaft zu untersuchen. Bildungsmonitoring ist zugleich ein Element der Auseinandersetzung um das theoretische und praktische Verständnis von Bildung. Über Bildungsmonitoring wird unter anderem ein Bildungsbegriff vermittelt, der erst durch das Bewusstsein für die dem Gegenstand inhärente, definitorische Unabschliessbarkeit in seiner Beschränkung offenbar wird. Dabei sind die Vielstimmigkeit in der wissenschaftlichen Diskussion, die unterschiedlichen Möglichkeiten, Bildung mit Bedeutung zu versehen, und die unterschiedlichen disziplinären Zugänge als theoretisches Potenzial zu sehen (Faulstich, 2014; Gruschka, 2014; Tenorth, 2014). Durch den Einbezug unterschiedlicher Konzeptionen zur gesellschaftlichen Bedeutung und Relevanz von Schule wird Bildungsmonitoring über seine eigene Normativität hinaus erst theoretisch fassbar.

Gerade mit der Berücksichtigung der erziehungswissenschaftlichen Auseinandersetzung um die Begrifflichkeiten – und hier wurde fast ausschliesslich die deutschsprachige Diskussion referenziert – zeigt sich, dass Bildungsmonitoring auf einer spezifischen axiomatischen Grundlage operiert (vgl. Abschn. 3.1). Ein Element dieser Grundlage ist, dass Bildung in Bildungsmonitoring primär für „institutionalisierte Praxen der Beschulung und der Unterrichtung und deren gesellschaftliche Folgen“ (Rürup, 2018, S. 23) steht. Bildungsmonitoring betont zudem Schule als gesellschaftlich und vor allem politisch gestaltete Institution, die – wieder mit Fend (2008a) gesprochen – über Austauschbeziehungen, Mechanismen und Prozesse zwischen Schule und Gesellschaft, Wirtschaft und Politik gestaltet und auch kontrolliert wird.

3.5 Wissenschaft und Politik

Evidence-based policies have great potential to transform the practice of education, as well as research in education. Evidence-based policies could finally set education on the path toward the kind of progressive improvement that most successful parts of our economy and society embarked upon a century ago.“ (Slavin, 2002, S. 20)

Mit dieser Feststellung schloss Slavin (2002) sein Plädoyer für eine verstärkte Ausrichtung bildungspolitischer und -praktischer Programme an naturwissenschaftlich inspirierter Bildungsforschung ab, das er anlässlich der Jahrestagung der American Educational Research Association (AERA) in New Orleans präsentierte. Es ging ihm als Psychologe und Entwickler des in den USA weit verbreiteten Curriculumprogramms Success for all vor allem um die Hervorhebung der rigorosen empirischen Standards, die für die Elemente von Success for all gelten würden (Biddle, 2010). Zugleich wies Slavin (2002) aber auf die spezielle Geschichte des Verhältnisses zwischen Wissenschaft, Politik und Praxis im Bildungsbereich hin. Die pädagogische Praxis habe eine grundsätzliche Entwicklung verpasst, die in Medizin, Landwirtschaft, Fortbewegung und Technologie im Verlauf des 20. Jahrhunderts zu Fortschritt und Innovation führte. Innovationstreibendes Kernelement dieser Entwicklung sei die wissenschaftsbasierte Erarbeitung und die rigorose Evaluation von Massnahmen und Programmen, vor allem in Form randomisiert-quantitativer und experimenteller Forschung. Die Bildungsforschung sei methodisch deutlich zu wenig entwickelt, kümmere sich kaum um konkrete Praxisprogramme, sei nur in Einzelfällen politisch relevant und werde darum in Politik und Praxis nur gelegentlich berücksichtigt, vor allem dann, wenn die Forschungsergebnisse mit pädagogischen oder politischen Trends übereinstimmten. Die sich ab den 1990er-Jahren abzeichnenden bildungspolitischen Veränderungen hin zu einer veränderten Accountability (vgl. Abschn. 2.2) würden nun auch Veränderungen in der Akzentsetzung innerhalb der Bildungsforschung und im Verhältnis zu Politik und Praxis möglich machen: „Evidence-based policies for education would be important at any time, but they are especially important today, given the rise of accountability“ (Slavin, 2002, S. 19).

Die Wurzeln der Vorstellung einer permanenten Verbindung von Wissenschaft und Politik reichen historisch weit zurück. Wissenschaftshistorisch war lange die Unterscheidung in internalistische und externalistische Zugänge massgebend. Gestalt und Wandel von Wissenschaft wurden vor allem in letzteren sehr wesentlich auf äussere Faktoren wie Gesellschaft, Politik und Ökonomie zurückgeführt. Neuere Ansätze gehen eher von allgemeinen Verfahren und Darstellungsformen aus, die die Entstehung von Wissen leiten und dokumentieren (Brandstetter, 2012). Diese Ansätze fragen nicht zuerst nach den Inhalten oder den Organisationen von Wissenschaft.

„Zentrale Leitfragen beträfen die vielfältigen Formen und Eigenheiten des [...] Wissens, die Wege seiner Generierung, die Rollen und Formen der Verschriftlichung, die Kommunizierbarkeit und die Tradierungswege, die sozialen Konstellationen inklusive ihrer Barrieren und die kulturelle Geprägtheit allgemein.“ (Steinle, 2018, S. 428)

In einem solchen Wissenschaftsverständnis ist die politische und gesellschaftliche Rezeption von Wissen ein Faktor unter vielen, der Wissenschaft beeinflusst. Zugleich ist Wissenschaft weder wert- noch machtfrei: In der Auseinandersetzung um wissenschaftliche Erkenntnis spielen – ähnlich wie in der politischen Entscheidungsfindung – soziale Prozesse, Werte und Einstellungen sowie Machtverhältnisse eine Rolle (Jasanoff, 1990). Wissenschaft ist, gerade in ihren Funktionen zuhanden von Politik, hochgradig abhängig von den Bedingungen, die Gesellschaft und Politik für sie bereitstellen (Biesta, 2007/2011b).

Im Gegenzug sind Informationen vonseiten der Wissenschaft einer von verschiedenen Faktoren, die politische Gestaltung beeinflussen. S. Campbell, Benita, Coates, Davies und Penn (2007) beispielsweise beschreiben Policy making in einer Untersuchung der Verwaltung in Grossbritannien als unvorhersehbar, chaotisch und wenig linear und identifizieren etwa besondere Ereignisse, Krisen, politische Machtverhältnisse oder Akteurskonstellationen als weitere Einflussfaktoren. Ausserdem sind politische Entscheide demokratisch und damit diskursiv und partizipativ zu legitimieren (Biesta, 2007/2011b). In einer versozialwissenschaftlichten Gesellschaft sind politische Entscheide gar doppelt zu legitimieren: über die demokratischen Modi der Entscheidungsfindung und über den Einbezug wissenschaftlicher Erkenntnisse (Criblez, 2008a). Insofern handelt es sich beim Verhältnis zwischen Wissenschaft und Politik um ein Verhältnis zwischen zwei Systemen mit unterschiedlichen Handlungslogiken (Tenorth, 2015).

Mit seiner Forderung nach evidenzbasierter Praxis im Bildungsbereich reiht sich Slavin (2002) ein in eine international beobachtbare Entwicklung. Exemplarisch stellt Biesta (2007/2011b) für Grossbritannien ab den 1990er-Jahren eine Transformation der Forschung, der pädagogischen Praxis und der Bildungspolitik fest. Parallel zur Entwicklung der Governance von Bildung handle es sich dabei um eine Transformation in Richtung einer evidenzbasierten Erziehungs- und Unterrichtspraxis. Die Transformation sei gleichzeitig bezogen auf Praxis, Politik und Wissenschaft. Die Vorstellung einer über Evidenz mit Praxis und Politik verknüpften Bildungswissenschaft lag auch dem OECD-Bericht zum Stand der Bildungsforschung in der Schweiz zugrunde:

The basic assumption underlying this report is that educational R &D activities can be organised in such a way so as to constitute a system. In this context, the basic purpose of such a system is to develop, organise and disseminate knowledge that illuminates the understanding of the education system and nurtures its continuous improvement by providing supporting evidence either for the policy and decision-making process or for educational practice.“ (Tippelt, Pollard & Van der Wende, Marijk, 2007, S. 5)

Bezogen auf die Transformation des Verhältnisses zwischen Erziehungswissenschaft und Bildungspolitik in Deutschland nach der Veröffentlichung der ersten PISA-Ergebnisse skizzierte Tillmann (2008) zwei Herausforderungen: (1) Die Erziehungswissenschaft ist, historisch und aktuell, zu einem wesentlichen Teil legitimiert über die Intention eines Theorie-Praxis-Bezugs. Allerdings wird dieser Bezug zwischen Wissenschaft und Praxis im Bildungsbereich seinerseits in der Erziehungswissenschaft immer wieder intensiv diskutiert und teilweise auch in Abrede gestellt. (2) Das Verhältnis ist geprägt durch ein beidseitiges Ressourcenproblem. Die Erziehungswissenschaft kann und will sich nicht nur auf die in einer politischen Logik verwertbare und relevante Forschung beschränken. Die Bildungspolitik ihrerseits ist nicht immer in der Lage, die gemäss einer wissenschaftlichen Logik entstehenden Ergebnisse angemessen zu rezipieren und in die politischen Prozesse aufzunehmen. Die internationalen Schulleistungsstudien hätten dabei, so Tillmann (2008) weiter, die Erwünschtheit von Kooperationen zwischen Erziehungswissenschaft und Bildungspolitik erhöht. Zugleich wurden Ressourceneinsatz und öffentliche Aufmerksamkeit lediglich für einen Teilbereich der Erziehungswissenschaft verstärkt. Insbesondere die Ressourcen zur angemessenen und kritischen Rezeption der umfangreichen wissenschaftlichen Erkenntnisse in den bildungspolitischen Prozessen hätten nicht im gleichen Masse zugenommen wie jene der Forschung mit proklamierter, politischer Relevanz. Parallel dazu ist mit den Ergebnissen der internationalen Schulleistungsstudien teilweise bewusst eine medial-öffentliche Verarbeitung initiiert worden, die nicht mehr durch klassischen Akteure des Theorie-Praxis-Bezugs kontrolliert und trotzdem für die Praxis und die Politik höchst relevant war (Tillmann, Dedering, Kneuper, Kuhlmann & Nessel, 2008). Die Ausrichtung auf bildungspolitische Relevanz geht – gerade in Deutschland – einher mit durchaus konfliktreichen disziplinären Entwicklungen. Erben (2010) beschreibt etwa ein Auseinanderfallen von philosophisch-praktischer Pädagogik und empirisch-psychologischer Bildungsforschung. Dabei versuche die Pädagogik ihren praktischen Charakter zu bewahren. Die Bildungsforschung propagiere dagegen einen szientistischen Zugang ohne orientierenden Praxisbezug und realisiere diesen unter anderem in Kompetenzerhebungen. Zapp und Powell (2016) konstatieren für die deutsche Entwicklung ab Mitte der 1990er-Jahre eine massive, unter hohem Druck erfolgte Expansion der empirischen Bildungsforschung. Der grosse Effort in Ausbildung und Rekrutierung des entsprechenden akademischen Personals stelle einen wichtigen Teil der Institutional work (vgl. Abschn. 3.2) dar, die zum Aufbau und zur Verankerung dieses disziplinären Feldes in Deutschland geleistet worden sei.

Bildungsmonitoring erscheint zunächst als Praxis des Wissenstransfers zwischen Wissenschaft, Praxis und Politik. Der Kontext sind dabei die Bildungsreformen in Richtung neuer Steuerung und Outputorientierung im Sinne des normativen Governanceansatzes (vgl. Abschn. 3.3). Im Zusammenhang mit der Frage nach dem Verhältnis zwischen Wissenschaft und Politik wird dabei meist von evidenzbasierter Steuerung, Politik oder Praxis gesprochen (Heinrich, 2015). Mit dem im Monitoringbegriff enthaltenen Transparenzanspruch und der damit verbundenen Sichtbarmachung (vgl. Abschn. 3.1) wird, teilweise mit Verweisen auf Slavin (2002), eine spezifische Art von Wissenschaft hervorgehoben. Leitvorstellung ist dabei die Medizin und die in der Medizin zentrale Vorstellung von Wissenschaft als technisch produzierte Evidenz (Karcher, 2018). Diese Vorstellung ist gerade im Bildungsbereich umstritten: Biesta (2007/2011b) stellt etwa die Vereinbarkeit zwischen einer an der Medizin angelehnten Evidenzvorstellung und der kaum in Kausalketten fassbaren und hochgradig über Interaktion und Interpretation strukturierten pädagogischen Praxis infrage. Heinrich (2016) schlägt angesichts der schwachen Validität technologischer Zugänge zu pädagogischer Praxis eine kritisch-konstruktive empirische Bildungsforschung vor, die sich durch die bewusste Kombination pädagogischer Normvorstellungen – beispielsweise in Form von Bildungsidealen – und moderner empirischer Zugänge im Forschungsprozess und in der Darstellung der Befunde auszeichnet.

In der theoretischen Bearbeitung von Bildungsmonitoring spielt einerseits die doppelte Legitimation politischer Entscheide eine wichtige Rolle. Bildungsmonitoring selbst ist abhängig von politischen Entscheidungen – ist selbst eine Policy – und damit sowohl demokratisch als auch über Wissenschaft zu legitimieren. Andererseits wird in Bildungsmonitoring die Verbindung von Wissenschaft und Politik in Form sozialer Prozesse fassbar, beispielsweise in der Diskussion von Wissenschaftsverständnis oder politischer Relevanz.