Bildungsmonitoring verstanden als integraler Bestandteil von Bildungspolitik und als Sammelbegriff für Elemente, Formen oder Instrumente zur Information und Kommunikation über Bildung und Schule ist nur in konkreten Kontexten erfass- und beschreibbar. Als Forschungsobjekt der vorliegenden Arbeit soll Bildungsmonitoring explizit auf drei Kontexte bezogen werden. Diese drei Kontexte sind internationale Politikgestaltung, Staats- und Verwaltungsleitbilder sowie Föderalismus. Damit soll einerseits ein Informationsrahmen für die deskriptive Beschreibung von Bildungsmonitoring abgesteckt werden. Das Erkenntnisinteresse der Kontextbeschreibung ist aber andererseits bereits auf die Interaktionen zwischen Bildungsmonitoring und den Kontexten gerichtet. Kontexte sind in diesem Sinne eng verwoben mit dem eigentlichen Untersuchungsgegenstand, konstruieren diesen mit und werden gleichzeitig durch ihn konstruiert und aktualisiert (Sobe & Kowalczyk, 2012).

Im Kontext internationaler Politikgestaltung werden die Kommunikation über Bildung und Schule und damit auch die Inhalte von Bildungsmonitoring sehr wesentlich mitdefiniert. Ausgehend von der hohen politischen und öffentlichen Aufmerksamkeit für internationale Leistungsstudien wie PISA in den frühen 2000er-Jahren werden die Diskurse und Mechanismen internationaler Politikgestaltung über Bildung hinaus vorgestellt (vgl. Abschn. 2.1). Der historische Wandel von Vorstellungen über den Staat und die Verwaltung definiert die Rahmenbedingungen von Bildungsmonitoring immer wieder neu. Ausgehend vom Golden-age nation state der 1960er-Jahre wird der Wandel der Staats- und Verwaltungsleitbilder bezogen auf die staatlichen Kapazitäten der Problem- und Informationsverarbeitung dargestellt (vgl. Abschn. 2.2). Zusätzlich zum allgemeinen Wandel werden die Vorstellungen zu Planung und Evaluation sowie der Polikbereich Bildung als direkte Bezüge zu Bildungsmonitoring herausgearbeitet. Gerade als politisches Phänomen ist Bildungsmonitoring in der Schweiz nur im entsprechenden politischen Kontext verständlich. Das Subsidiaritätsprinzip sowie Vollzugs- und kooperativer Föderalismus werden als relevante Strukturen von Politik, Bildungspolitik und Bildungsmonitoring im Besonderen abgebildet (vgl. Abschn. 2.3).

2.1 Internationalisierung von Politikgestaltung

„Die unübersehbare Präsenz von international vergleichenden Evaluations- und Leistungsstudien über die nationalen Bildungssysteme wie Third International Mathematics and Science Study (TIMSS), Programme für International Student Assessment (PISA) und Adult Literacy and Life Skills Survey (ALL) in der nationalen und zunehmend auch internationalisierten Öffentlichkeit ist mehr als ein Sturm im Wasserglas der Medien. Die ausgedehnten Diskussionen über Ranglisten der Bildungssysteme, über das Leistungsniveau lokaler oder nationaler Bildungssysteme, die Besonderheiten der leistungsstarken und der leistungsschwachen ‚Modelle‘ weisen auf bedeutsame Entwicklungen in den Bildungssystemen und in der Bildungspolitik selbst hin“ (Crotti & Osterwalder, 2007, S. 5).

Dieser Befund einer hohen politischen und öffentlichen Aufmerksamkeit für eine spezifische Art von Information über Bildungssysteme im internationalen Kontext wird in der ersten Dekade des 21. Jahrhunderts definitiv zu einem Gemeinplatz der wissenschaftlichen Analyse bildungspolitischer Entwicklungen. Bestätigt wird dieser Befund aus sehr unterschiedlichen Perspektiven: Leuze et al. (2007) fokussieren etwa die Rolle der internationalen Organisationen im Bildungsbereich und deren Anspruch, die internationale, bildungspolitische Arena nicht nur entstehen zu lassen, sondern auch aktiv zu bespielen. Meyer und Benavot (2013a) beschreiben die Mechanismen kommunikativer und institutioneller Natur, die dazu führten, dass mit PISA eine Art globaler Education governance etabliert werden konnte. Adick (2008) weist darauf hin, dass die Bildungsaktivitäten verschiedener Akteure über die institutionalisierten politischen Einheiten wie beispielsweise Nationen hinausreichen und dadurch transnationale Bildungsräume entstehen.

Die Internationalisierung politischer Diskurse geht aber über die Domäne der Bildung hinaus: An Phänomenen wie der Institutionalisierung eines globalen Handelssystems, der Entstehung internationaler Märkte sowie der Verfestigung multinationaler politischer Vereinigungen wird Globalisierung auf einer sehr viel allgemeineren Ebene sichtbar. Die Organisation for economic co-operation and development (OECD) beschreibt zudem die zunehmende Verbreitung demokratischer Regierungsformen, die Zunahme multinationaler Grossunternehmen, die weltweite Migration sowie den Umgang mit globalen Herausforderungen wie der sozialen Ungleichheit, dem Umweltschutz oder der Klimaerwärmung als weitere Aspekte einer globalisierten Welt (Burns, Fitzpatrick & Lavinson, 2016). Aus soziologischer Perspektive wird mit der Globalisierung auch die zunehmende Verbreitung westlicher Symbole, Werte und Güter einerseits und die immer klarere Einordnung von Lebenswelten und politischen Strukturen in eine ökonomistische Logik andererseits verbunden (Prisching, 2007). Oder anders ausgedrückt würden unter Zuhilfenahme von Begriffen wie Fortschritt und Wohlfahrt normative Modelle einer globalen Kultur weltweit durchgesetzt, wobei diese Modelle primär auf neo-liberalen Annahmen basierten (Silova & Brehm, 2014). Aus politikwissenschaftlicher Perspektive wird eher nach der Reaktion von politischen Strukturen wie Nationalstaaten auf die globalisierte Wirtschaft gefragt (Drezner, 2001). Dabei kann etwa in Ansätzen der Politikdiffusion festgestellt werden, dass politische Entscheide auf der Ebene von Nationalstaaten nicht nur von inländischen Faktoren geprägt sind, sondern ebenso von internationalen Einflüssen und Entscheiden in anderen Staaten (Gilardi, 2013). In ihrem World society-Ansatz, der oft als Ausgangspunkt weiterführender Untersuchungen dient, gehen J. W. Meyer, Boli, Thomas und Ramirez (1997) davon aus, dass sich staatliche Identitäten, Strukturen und Verhalten der Nationalstaaten orientiert an weltweiten Modellen verändern. Wesentliche Kernelemente dieser Modelle seien Menschen- und Bürgerrechte, Demokratie durch Partizipation und Bildung sowie eine wachstumsorientierte Wirtschaft.

Für die vorliegende Arbeit ist die Generierung und Verarbeitung von Daten und Informationen zuhanden bildungspolitischer Akteure auf internationaler Ebene deshalb ein relevanter Kontext, weil diese Internationalisierung unter anderem über Diskurse und damit über Kommunikation und Information erfolgt. Der Blick auf die Entwicklung einer internationalen Education governance offenbart die Wichtigkeit normdefinierender Mechanismen unterhalb von Steuerung und Regelung im klassischen Sinne. Gerade Instrumente der kommunikativen Beeinflussung, etwa durch Meinungsbildung oder Beratung, haben sich als sehr wirkungsvoll erwiesen (Windzio, 2010). Globalisierung und Internationalisierung sind dabei nicht ohne Akteure zu denken: Die isomorphen Entwicklungen, die etwa durch die Orientierung an einer World society zustande kommen, werden einerseits von den Nationalstaaten sowie von den politisch legitimierten Entscheidungsträgerinnen und -trägern darin als Akteure gestaltet. Andererseits spielen im weitesten Sinne soziale Akteure wie Wissenschaft und Professionen eine wichtige Rolle indem sie die internationalen Modelle formen, an konkrete Kontexte anpassen und politische Akteure informieren und beraten (J. W. Meyer et al., 1997).

Für den Bildungsbereich wurden die Mechanismen der internationalen Politikgestaltung in den letzten Jahren intensiv beforscht. Beispielsweise beschreiben und erklären Martens und Wolf (2006) in ihrem akteursbezogenen und neo-institutionalistischen Ansatz die Genese international bedeutsamer Programme und Organisationen in zwei Phasen: (1) Nationale Exekutiven nutzen die Ebene zwischenstaatlicher Organisationen oder Programme um Ressourcen der Problemlösung zu bündeln und um innenpolitische Handlungsspielräume zur Durchsetzung bestimmter Policies, etwa gegenüber der Legislative, untergeordneten Staatsebenen oder anderen Stakeholdern, zu erweitern. (2) Die in diesem Sinne instrumentalisierten Organisationen oder Programme entwickeln eigene Institutionen im Sinne von spezifischen Bedeutungsrahmen, Problembeschreibungen und Zielvorstellungen. Sie werden von reinen Instrumenten der nationalen Exekutiven zu politischen Akteuren auf der zwischenstaatlichen Ebene, die über eigene strategische Handlungsspielräume verfügen und sich, unter anderem über Wissens- oder Informationssysteme, so über die Intentionen der nationalen Exekutiven hinaus Geltung verschaffen. Im entstehenden Spannungsfeld zwischen Instrumentalisierung und Emanzipation werden laut Nagel et al. (2010) auf der Ebene der nationalen Politikgestaltung die Mechanismen der internationalen Beeinflussung durch Institutionen und Strukturen moderiert, transformiert oder – ähnlich wie in der Schultheorie von Fend (2008b) – rekontextualisiert. Die Beeinflussungsmechanismen sind dabei Standard- und Normsetzung, diskursive Meinungsbildung, finanzielle Impuls- oder Anreizprogramme, Koordination und Wissensakkumulation sowie Beratungsaktivitäten.

Ausgehend von politikwissenschaftlichen Ansätzen des Policy learning stellt Steiner-Khamsi (2012) den zwischenstaatlichen Vergleich als primären Mechanismus internationaler Politikgestaltung vor. Dabei wird mit dem Begriff des Policy borrowing and lending hervorgehoben, dass internationale Einflüsse aus Sicht der einzelnen Staaten nicht externe Kräfte sind, sondern jeweils bewusst rhetorisch aktiviert werden um beispielsweise Reformdruck zu generieren, Legitimation zu erzeugen oder politische Mehrheiten zu schaffen.

Die Internationalisierung der einleitend beschriebenen, outputorientierten Politikgestaltung im Bildungsbereich und vor allem der empirisch nachweisbare Einfluss der entsprechenden internationalen Diskurse auf nationale und lokale Bildungsorganisationen können zeitlich in den 2000er-Jahren festgemacht werden. Dessen Ursprünge werden meistens und primär bei den grossen, in den 1990er-Jahren lancierten internationalen Schulleistungsstudien verortet (Bürgi, 2016; Criblez & Glaser, 2011; Knödel et al., 2014; Steiner-Khamsi, 2003). Allerdings stehen PISA, TIMSS aber auch andere Programme vergleichender LeistungserhebungFootnote 1 im Kontext eines bestimmten Verständnisses darüber, wie staatliche Organisationen ihre Aufgaben wahrnehmen und welche Art von politischer und demokratischer Kontrolle und Legitimation damit verbunden sind. Sobe (2014) stellt dementsprechend fest, dass die Elemente internationaler Politikgestaltung im Bildungsbereich nicht durch ihren internationalen Charakter derart einflussreich geworden sind, sondern dadurch, dass Accountability als Kernelement dieser Elemente sehr gut zu allgemeineren, weltweit verbreiteten Vorstellungen von Gesellschaft, Bildung und Wissenschaft passte. Insofern ist die Internationalisierung von Politikgestaltung im Bildungsbereich nicht nur funktionalistisch, strukturalistisch und institutionalistisch, sondern eben auch inhaltlich analysier- und erklärbar.

2.2 Wandel von Staats- und Verwaltungsleitbildern

„Was ‚der Staat‘ zu sein hat beziehungsweise welche Aufgaben und Funktionen er übernehmen (oder eben gerade nicht übernehmen) soll, war schon in der antiken politischen Philosophie Gegenstand öffentlicher Diskussionen und wissenschaftlicher Reflexionen. Aber nicht nur die politische Philosophie, sondern auch andere wissenschaftliche Disziplinen beschäftigten sich immer wieder von Neuem und in immer neuen Kontexten mit dieser Frage: Staats- und Verwaltungsrecht, Volkswirtschaft, Politikwissenschaft, Soziologie – um nur die wichtigsten zu nennen. Insbesondere durch den Aufstieg der Sozialwissenschaften in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde die normative und idealistische durch eine empirische Perspektive auf den Staat ergänzt“ (Criblez, Rothen & Ruoss, 2016, S. 7).

Die Vorstellungen über den Staat und die Verwaltung bilden einen weiteren relevanten Kontext für Bildungsmonitoring. Die Elemente, Formen und Instrumente, mit denen der Staat über Bildung und Schule informiert und kommuniziert, basieren auf Konzeptionen von Staat, Staatlichkeit und Verwaltung. Aus neo-institutionalistischer Perspektive könnte man diese Staatskonzeptionen oder -leitbilder als Teil der organisationalen und institutionellen Rahmenbedingungen (Herbrechter & Schemmann, 2019) von Bildungsmonitoring beschreiben. Staats- und Verwaltungsleitbilder und ihre Entwicklung seit den 1960er- bis in die 1990er-Jahre sind für Bildungsmonitoring insbesondere deshalb ein relevanter Kontext, weil sie die Grundlagen von politischer Kommunikation und Information ebenso rahmen wie die Erwartungen daran seitens der politischen Akteure und der Öffentlichkeit.

Ein breit rezipierter Ausgangspunkt für die Feststellung des Wandels von Staatsverständnissen seit den 1960er-Jahren, zumindest der sogenannten westlichen Welt, ist der Golden-age nation state. In der Feststellung dieser Staatskonzeption wird davon ausgegangen, dass Staatlichkeit auf vier Dimensionen beschreibbar ist. Auf jeder Dimension wird dabei eine Gruppe sogenannter normativer Güter bereitgestellt (Hurrelmann, Leibfried, Martens & Mayer, 2007a): (1) Ein Staat, verstanden als territorialer Staat, kontrolliert ein Territorium und sorgt darin für Frieden und Sicherheit. Er verfügt über die darin vorhandenen Ressourcen materieller Natur, verwaltet die institutionellen Grundlagen des Regierens, sichert den internen Zusammenhalt und ist verantwortlich für die Aussenbeziehungen. (2) Ein Staat, verstanden als Verfassungsstaat, hat ein stabiles Rechtssystem und sorgt damit für Freiheit und Rechtssicherheit. In diesem Rechtssystem ist unter anderem die persönliche Freiheit verankert. Teil davon sind auch die Instrumente zur Anwendung und Durchsetzung des Rechts sowie zur Gewährleistung von Rechtsgleichheit. (3) Ein Staat, verstanden als demokratischer Staat, weist institutionalisierte Verfahren auf, die Selbstbestimmung und politische Partizipation ermöglichen. Diese Institutionen der gemeinsamen Entscheidungsfindung legitimieren wiederum Staat, Regierung und Verwaltung. (4) Ein Staat, verstanden als Interventionsstaat, ist aktiv beteiligt an der Förderung ökonomischen Wachstums und der Sicherstellung sozialer Stabilität.

Der Golden-age nation state zeichnet sich dadurch aus, dass er für die Versorgung mit allen normativen Gütern verantwortlich ist. Mit der zunehmenden Übernahme von Aufgaben in wirtschaftlichen und sozialen Bereichen, die im späten 19. Jahrhundert einsetzte, wurde der Staat als Interventions- oder Wohlfahrtsstaat in den 1960er- und 1970er-Jahren zum international dominierenden Modell (Hurrelmann et al., 2007a). In diesem Modell, wie Sager und Hurni (2013) für die Schweiz feststellen, übernahm der Staat – insbesondere Exekutive und Verwaltung als ausführende Teile der staatlichen Organisation – die Verantwortung für die Bereitstellung der normativen Güter typischerweise, indem er selbst als Anbieter oder Produzent dieser Güter auftrat. In der föderalistischen Staatsstruktur der Schweiz setzte dies eine explizite Kompetenzzuordnung an die nationale Ebene voraus (vgl. Abschn. 2.3). Dies betraf zunächst die Intensivierung von bereits früher dem Staat zugeordneten Aufgaben, etwa in den Bereichen Bildung oder Infrastrukturentwicklung. Ab den späten 1950er-Jahren erfolgten zudem neue Kompetenzzuordnungen in den Bereichen Atomkraft, Nationalstrassenbau, Arbeitslosenversicherung, Raumplanung oder Förderung der wissenschaftlichen Forschung (Vatter, 2014). Für S. Müller und Vatter (2017) stellten insbesondere die 1947 eingeführten Bundeskompetenzen im Bereich der Wirtschaftsförderung sowie die Implementation der Alters- und Sozialversicherungen ab 1948 markante Stationen der Entstehung des Wohlfahrtsstaats in der Schweiz dar. Wie M. Ruoss (2016) exemplarisch für den Aufbau des staatlichen Altersvorsorgesystems in der Schweiz darlegte, gab es in anderen Bereichen bereits in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts Formen der gemeinsamen Leistungserbringung durch Staat und private Organisationen. Insofern sind geläufige Zäsuren und Entwicklungsgeschichten kritisch zu betrachten. Nichtsdestotrotz soll die Feststellung eines Golden-age nation state, für den die 1960er- und 1970er-Jahre durchaus als Höhepunkt beschrieben werden können, auch hier als Ausgangspunkt einer Entwicklung herangezogen werden.

Für Deutschland und teilweise darüber hinaus beschreiben Jann und Wegrich (2010) den Wandel von Staats- und Verwaltungsleitbildern, ausgehend vom Golden-age nation state, in zwei inhaltlichen Strängen: (1) Die wachsende Fülle und Breite staatlicher Verantwortungs- und Aufgabengebiete befördert eine qualitative und quantitative Entwicklung der Problemverarbeitungskapazitäten von Staat und Verwaltung. Regierung und Verwaltung werden zunehmend als politisch-administratives System verstanden. Dieses System soll über eine Modernisierung der Instrumente und Mechanismen seine Rolle der aktiven Gestaltung von Wirtschaft und Gesellschaft besser wahrnehmen können. (2) Parallel zu dieser Veränderung wird die Vorstellung entwickelt, dass die Bewältigung der umfangreichen staatlichen Aufgaben auch über eine qualitative und quantitative Entwicklung der Informationsverarbeitungskapazitäten von Staat und Verwaltung besser gestaltet werden könne.

Im Kontext wachsender Verantwortungs- und Aufgabengebiete werden bereits in den 1960er-Jahren sogenannte Planungsansätze populär und führen zu einer grossen, wenn auch nur temporären Planungseuphorie. Der Begriff der Planung umschreibt dabei den konkreten Umgang mit Informationen und deren Verarbeitung im Hinblick auf zukünftige Entwicklungen. Planung war aber auch ein Signal für rationale, sachgerechte und nicht den politischen Zyklen unterworfene Politik. Verschiedenste Wissenschaftsdisziplinen sollten über Planung diese quasi apolitische Politikgestaltung gewährleisten (van Laak, 2008). Hintergrund dafür waren unter anderem die grossen Fortschritte in der Erhebung und Verarbeitung quantitativer Daten, die auch über Domänen hinweg transferierbar waren. Exemplarisch zeigt dies Bürgi (2016) anhand eines amerikanischen Think tanks, der nach dem zweiten Weltkrieg im militärischen Kontext entstand und schliesslich einige der Basiskonzepte entwickelte, die dem Engagement der OECD im Bildungsbereich ab den 1960er-Jahren zugrunde lagen.

Eine weitere, konkrete Veränderung zur Bewältigung der wachsenden staatlichen Verantwortungs- und Aufgabengebiete ist der zunehmende Einbezug von Marktprinzipien. Dabei behält der Staat zwar die Verantwortung für die Gewährleistung normativer Leistungen und Güter, andere Verantwortungsbereiche werden jedoch weiteren Akteuren zugewiesen. Hurrelmann, Leibfried, Martens und Mayer (2007b) stellen für die westliche Hemisphäre fest, dass vor allem die Regulatory responsibility und die Operational responsibility hin zu privaten und teilweise auch zu internationalen Akteuren verschoben werden. Erstere umfasst unter anderem die Entscheidung für eine bestimmte Art von Leistungserbringung oder Güterversorgung, letztere bezeichnet die Verantwortlichkeit für die eigentliche Leistungserbringung oder die Güterproduktion. Dieser Wandel wird sehr wesentlich durch eine neo-liberal inspirierte Kritik vorangetrieben, die angesichts der zunehmenden staatlichen Aufgaben eine Überforderung der bürokratisch organisierten, staatlichen Problemverarbeitungskapazitäten feststellt (Jann & Wegrich, 2010). Das Zurückziehen des Staates auf die Gewährleistungsverantwortung (Hurrelmann et al., 2007b) wird kritisch mit dem Begriff des Hollow state umschrieben. Damit ist gemeint, dass sowohl die Aufgaben als auch die Ressourcen der Staaten seit den 1960er-Jahren und dem Golden-age nation state weiter gewachsen sind bzw. ausgebaut wurden. Trotzdem seien die Staaten in ihrer Fähigkeit autonom zu agieren beeinträchtigt dadurch, dass zahlreiche Funktionen und Aufgaben an nicht-staatliche oder nur noch teilweise staatlich organisierte Organisationen und Akteure übertragen wurden. Dies wiederum hätte zu einer intensiven Entwicklung neuer Steuerungsinstrumente geführt, die neben den Produkten auch sehr viel stärker auf die bewusste Gestaltung der Prozesse staatlicher Aufgabenerfüllung ausgerichtet sind (Howlett, 2000).

Die sich spätestens ab den 1980er-Jahren international durchsetzende Vorstellung des Staats als ökonomische Einheit, ausgerichtet an Effizienzkriterien, wird begrifflich oft mit dem Konzept von New public management (NPM) gefasst. Im Kern dieses Konzepts, das in der Schweiz auch als wirkungsorientierte Verwaltungsführung bezeichnet wird, steht eine Veränderung der öffentlichen Verwaltung in Richtung von Management und damit ein Wandel des Verständnisses und der funktionalen Prinzipien der politisch-administrativen Systeme.Footnote 2 Schedler (2007) fasst die wichtigsten Elemente dieses weltweit seit rund 40 Jahren intensiv diskutierten Konzepts folgendermassen zusammen: (1) Die Vermischung von Interessen, Aufgaben und Verantwortlichkeiten einer bürokratischen Verwaltung wird aufgelöst durch interne Rollendifferenzierung. Interessenskonflikte werden verringert und die Transparenz gesteigert indem unterschiedliche Rollen wie beispielsweise Leistungsbesteller, -einkäufer und -erbringer definiert und organisatorisch unterschieden werden. Diese Differenzierung bedeutet zusätzliche Autonomie für die einzelnen Akteure, bedingt aber zugleich neue und explizite Steuerungs- und Kontrollinstrumente. (2) Der Steuerungsfokus verschiebt sich von der traditionellen Orientierung an Ressourcen hin zu einer stärkeren Ausrichtung an angestrebten Wirkungen. Das heisst, die Leistungserbringung öffentlicher oder beauftragter Organisationen wird nicht mehr primär über die Definition der Inputs, sondern über die Ergebnisse gesteuert. (3) Über die Rollendifferenzierung und die Wirkungsorientierung wird zudem eine Öffnung der Verwaltung angestrebt. Dies wird insbesondere dadurch realisiert, dass auch nicht-staatliche Akteure Rollen in den Prozessen staatlicher Leistungserbringung einnehmen können. Insgesamt wird damit auch ein Bewusstsein für die Stakeholder von Staat und Verwaltung geschaffen. (4) Durch die Einführung von wettbewerbsähnlichen Mechanismen wird die staatliche Leistungserbringung unter Effizienzdruck gesetzt. Die staatlichen Akteure und insbesondere die Verwaltung sollen sich in einem als Quasi-Markt bezeichneten Kontext mit simulierter Kompetition behaupten.

Die zunehmende Durchdringung der staatlichen Auftrags- und Funktionserfüllung mit Vorstellungen von NPM war – im Verlauf seit den 1960er-Jahren betrachtet – weder direkt und gradlinig noch unwidersprochen. Für die Schweiz betonen T. Ruoss, Rothen und Criblez (2016), dass gerade vor dem Hintergrund der hybriden Form von Staatlichkeit – gemeint sind damit unter anderem Föderalismus, direkte Demokratie und die spezifische Verflechtung staatlicher und privater Akteure – die Feststellung einer allgemeinen Wende hin zu NPM kritisch zu hinterfragen sei. In ihrer Untersuchung der Unternehmensberatung im öffentlichen Sektor zeigen Armbrüster et al. (2010) zwar, dass die Berater mit ökonomischer Provenienz eindeutig als Träger der NPM-Konzepte agieren und dabei die kritische Wahrnehmung der Dysfunktionen, der Intransparenz und der mangelnden Ausrichtung an Stakeholdern betonen. Gleichzeitig seien aber Verfahrensmässigkeit, Berechenbarkeit, Gleichbehandlung der Bürger in einem Rechtsstaat unabdingbar und dürften nicht durch ökonomische Prinzipien ersetzt oder auch nur verdünnt werden. Rieder (2005) stellt fest, dass Ansätze wirkungsorientierter Verwaltung zwischen 1990 und 1999 in praktisch allen Kantonen eingeführt wurden. Allerdings blieben viele Implementationen in dem Sinne unvollständig, als dass gerade die Evaluation in Form von Leistungs- und Wirkungsmessung nicht oder nur sehr partiell realisiert wurden.

Im schliesslich in den 1990er-Jahren auch im deutschsprachigen Raum populär werdenden Leitbild des aktivierenden Staates wurde die Management-Logik weiterentwickelt hin zu Governance. In diesem Leitbild war die Wahrnehmung nicht nur der politischen, sondern auch der gesellschaftlichen Voraussetzung von Politikgestaltung sehr zentral. Dabei spielen die Stakeholder nicht nur als Anspruchsgruppen, sondern als aktive Partner in der Lösung gesellschaftlicher Probleme oder – ausgedrückt in den Begrifflichkeiten des Golden-age nation state – in der Versorgung mit normativen Gütern eine Rolle (Jann & Wegrich, 2010). Essenziell dabei sind die Prozesse und Mechanismen, die es ermöglichen verschiedene gesellschaftliche Akteure in die Problembewältigung einzubeziehen. In diesen Mechanismen sind neben den neo-liberalen Maximen wie Effizienz und Offenheit auch die Stärkung von Kohäsion und Interaktion, politischer Beteiligung und gesellschaftlichem Engagement angelegt (Bogumil & Jann, 2009).

Die Verantwortungsübertragung und die Messung der entsprechenden Leistung als Output einzelner Einheiten gemäss Managementprinzipien wurde abgelöst durch die Idee einer geteilten, gemeinsamen Verantwortung solcher Netzwerke für Staat und Gesellschaft wobei der Outcome der Handlungen dieser vernetzten Akteure für die Ergebnisbewertung herangezogen wird (Jann & Wegrich, 2010). Dieser Entwicklung von Verwaltungslogiken oder Verwaltungsleitbildern entsprechen auch Erkenntnisse über die Veränderungen der Art und Weise wie ein Staat seine Funktionen ausübt (Hurrelmann et al., 2007b): (1) Die einzelstaatliche Verantwortung für regulatorische und operative Aktivitäten wird zunehmend an Standards internationaler, teilweise nicht-staatlicher Provenienz ausgerichtet. Die bereits erwähnte Gewährleistungsverantwortung bzw. Outcome responsibility verbleibt jedoch auch in modernen Governancekonzepten beim Staat (Reichard & Röber, 2011). (2) Staatliche Monopolstellungen werden aufgelöst und typische, traditionell staatliche Tätigkeiten auf verschiedene Akteure verteilt. Diese Diffusion wurde in den 1990er-Jahren teilweise auch als „Quasi-Privatisierung“ (Hood, 1991, S. 3) bezeichnet, da eine wirkliche Privatisierung nur in wenigen Politikfeldern erfolgte. (3) Im Kontext der Diffusion operativer Verantwortung werden neue Formen von Steuerung und Kontrolle implementiert, mit denen der Staat die bei ihm verbliebene Outcome responsibility erfüllen soll. Damit verbunden ist eine Veränderung öffentlicher Rechenschaft, oft diskutiert unter dem Stichwort Accountability (Ranson, 2003). In diesem Kontext werden unter anderem entsprechende Formate des Monitorings zu Formaten von Rechenschaft. Für das Bildungswesen werden die Reformschritte in Richtung neuer Steuerung und Outputorientierung unter anderem als Verbindung einer Autonomisierung der Einzelschulen mit einer Rezentralisierung im Zeichen der Kontrolle beschrieben (Altrichter & Rürup, 2010; Böttcher, 2007; Lambrecht & Rürup, 2012; vgl. Abschn. 3.1).

Im beschriebenen Wandel der Staats- und Verwaltungsleitbilder ausgehend vom Golden-age nation state der 1960er-Jahre spielten die bereits erwähnten Planungsansätze durchgehend eine gewichtige Rolle. Vor dem Hintergrund der Vielfalt und Breite der Aufgaben des Interventions- oder Wohlfahrtsstaats erschien die politische Planung als geeignetes Instrument zur Lenkung, Führung und Koordination (Bogumil & Jann, 2009). Obwohl die Planungseuphorie der 1960er-Jahre relativ schnell einer gewissen Ernüchterung gewichen ist, haben sich Planungstechniken weiterentwickelt. Die Datengrundlagen wurden differenzierter und die Methoden offener (van Laak, 2008). Zugleich haben sich die Prozesse des Einbezugs von Planungswissen in Politikgestaltung verändert. Jasanoff (1990) zeichnet beispielsweise für die Umwelt- und die Medikamentenpolitik der USA nach, wie komplex und wandelbar diese Prozesse sind. Eine Studie von Mavrot und Sager (2018) zeigt am Fall der Tabakprävention die Prozesse der Durchsetzung einer evidenzbasierten Entscheidungsfindung im Multiebenensystem der Schweiz auf. Beide Untersuchungen zeigen, dass auch in Planung und in den verschiedenen Wissenschaften dahinter Differenzierungs- und Spezialisierungsprozesse ablaufen, die nur noch wenig mit den globalen Planungsvorstellungen im Golden-age nation state zu tun haben. Die Vorstellung der einleitenden erwähnten evidence-based policy umfasst nicht mehr nur das Wissen, die Informationen oder die Evidenz, die das Potenzial hat in einer spezifischen Politikdomäne politische Entscheidungen zu unterstützen, sondern auch die Fragen nach gesellschaftlicher und politischer Akzeptanz der Evidenz, nach den Akteuren und Prozessen ihrer Interpretation im politischen Kontext oder nach der zeitlichen und inhaltlichen Passung mit den politischen Entscheidungen (Davies et al., 2012).

Neben der Planung entwickelten sich im beschriebenen Wandel der Staats- und Verwaltungsleitbilder auch Prozesse und Instrumente der Evaluation und des Controllings zu wichtigen Elementen der staatlichen Problem- und Informationsverarbeitungskapazitäten. Sie basieren auf Regel- und Kontrollkreisläufen, bei denen die Feststellung von Ergebnissen und Wirkungen auf die Ausführung einer Aufgabe folgt und in Entscheidungen zum nächsten Durchgang durch den Kreislauf mündet (Schedler, 2011). Insbesondere Evaluation, also die Erfassung und Bewertung der Ergebnisse staatlicher Aufgabenerfüllung, hat sich als eine Form von Steuerung und Kontrolle etabliert (Bogumil & Jann, 2009). Dabei können vier Grundfunktionen von Evaluationen im politischen Umfeld identifiziert werden (Kevenhörster, 2015): (1) Kontrolle und Bewertung, (2) Erkenntnisgenerierung zuhanden künftiger politischer Vorhaben, (3) Legitimation politischer Programme und Mobilisierung politischer Unterstützung und (4) Strukturierung des Dialogs der Stakeholder rund um ein politisches Vorhaben. Die Betonung von Outputs, Outcomes und Impacts als zentrale Merkmale staatlicher Leistungserbringung in NPM, der hohe Bedarf nach Rationalisierung politischer Einscheidungen ausgehend von der Planungseuphorie oder auch die Forderung nach einem breiten Einbezug von Stakeholdern in den normativen Leitbildern zu Governance setzen Mechanismen der Bestandsaufnahme und Bewertung voraus.

Der Wandel von Staats- und Verwaltungsleitbildern, ausgehend vom Golden-age nation state, ist empirisch auch für den Politikbereich Bildung feststellbar. Die Bildungsexpansion war neben dem Infrastrukturausbau die grösste Herausforderung für die Staaten der 1960er-Jahre, die unter anderem dadurch ihre Aufgaben in der Förderung ökonomischen Wachstums und der Sicherstellung sozialer Stabilität wahrzunehmen versuchten (Becker, 2006; Schubert & Engelage, 2006). Dementsprechend war die politische Planung auf internationaler, nationaler und subnationaler Ebene in besonderer Art und Weise auf den Bildungsbereich fokussiert (Bürgi, 2016; Cibulka, 1990; Glatter, 2014). Die neo-liberalen Einflüsse auf Staatskonzeptionen führten im Bildungsbereich unter anderem zu stärkerer Kontrolle über Curricula, zur Einführung von Marktmechanismen, zu Autonomisierung und gleichzeitig höherer Accountability oder zur Privatisierung von Bildungsbereichen (Apple, 2005; Jakobi et al., 2010). Die Vorstellungen von NPM haben den Bildungsbereich im angelsächsischen Raum sicherlich früher erfasst als in der Schweiz oder in Deutschland. Gerade die Erfassung von Schülerleistungen auf der Basis von Bildungsstandards ist in den USA seit den 1960er- und in England seit den 1980er-Jahren realisiert (Cibulka, 1990; Criblez et al., 2009). Für die Gestaltung der Volksschulstufen in der Schweiz wurden Elemente der wirkungsorientierten Verwaltungsführung in den 1990er-Jahren erstmals herangezogen. Sie wurden unter anderem referenziert in der Einführung autonomer Schulen, in verschiedenen Neukonfigurationen von Schulaufsicht und -inspektion sowie in der Entwicklung von Qualitätssicherungskonzepten (Hangartner & Svaton, 2013).

Der Bildungsbereich ist durch besondere Bedingungen für die Weiterentwicklung von Planungsvorstellungen in Richtung von evidence-based policy gekennzeichnet. Er weist eine ausgeprägte Mehrebenenstruktur auf, beginnend mit den typischerweise als Mikroebene bezeichneten Unterrichts- und Lernprozessen über die vielen Formen pädagogischer Einheiten wie Klassen und Schulen auf der Mesoebene bis hin zu den wiederum divers strukturierten Verantwortungsstrukturen innerhalb der staatlichen Organisation auf der Makroebene. Damit ist auch eine Vielfalt von Stakeholdern verbunden (Schimank, 2007). In diesem Kontext hoher struktureller Komplexität ist einerseits der Bedarf nach Evidenz zur Politikgestaltung grundsätzlich hoch (Fazekas & Burns, 2012; Fend, 2008b). Andererseits reagierten sowohl der normative als der analytische Governanceansatz (vgl. Abschn. 3.3) als Weiterentwicklungen von Steuerungsvorstellungen bzw. klassischer Verwaltungsforschung unter anderem auf die Phänomene im Bildungsbereich mit seinen Restriktionen bezüglich Verwalt- und Steuerbarkeit (Bogumil & Jann, 2009; L. Lehmann, 2013; Tyack & Tobin, 1994).

2.3 Föderalismus und Staatsstruktur

„Die erste und nach wie vor sehr wichtige Form des politischen Regierens in der Schweiz stellt die autonome Entscheidungsfindung auf kantonaler Ebene dar. Aus einer umfassenden und theoretisch aufgeklärten Governance-Perspektive ist diese Struktur der Entscheidungsfindung auch als eine Form der gesamtstaatlichen Koordination zu verstehen, die auf gegenseitiger Beobachtung und Anpassung sowie auf dem Wettbewerb um mobile Produktions- und Konsumfaktoren basiert [...]. Die zweite, im 20. Jahrhundert lange Zeit stetig zunehmende Form von Governance stellt die Entscheidungsfindung auf der nationalstaatlichen Ebene dar. Sie geht einher mit deutlich anderen Koordinations- und Entscheidungsmechanismen. Statt des Standortwettbewerbs steht nun der Parteienwettbewerb im Zentrum, und vor allem können nun im gesamtstaatlichen Parlament und durch Abstimmungen auf eidgenössischer Ebene Entscheidungen durch Mehrheiten gefällt werden. [...] Zu diesen beiden etablierten Formen der politischen Entscheidungsfindung und Regulierung tritt mit dem Horizontalföderalismus nun eine dritte Form hinzu. Der Horizontalföderalismus ist dadurch gekennzeichnet, dass die Kantone ihre Politik nicht mehr durch Beobachtung und Wettbewerb koordinieren, sondern durch Verhandlungen und Diskussionen zwischen den Regierungen und Verwaltungen.“ (Blatter, 2010, S. 150–151)

Bildungsmonitoring ist als Untersuchungsobjekt in der vorliegenden Arbeit auf nationaler und kantonaler Ebene gewissermassen in alle drei Regierungsformen massgeblich eingebunden. Die Kantone sowohl als autonome Gliedstaaten als auch durch ihre horizontal-föderale Zwischenebene, ebenso wie der Bund sind mannigfach in Bildungsmonitoring eingebunden. Gleichzeitig muss Bildungsmonitoring auf die politische Mehrebenenstruktur zugeschnitten oder darin eingefügt werden. Bildungsmonitoring ist als genuin politisches Phänomen nicht nur institutionell über Vorstellungen, Leitbilder und Erwartungen eingebettet in Staat und Verwaltung, sondern auch strukturell durch die Einbindung in die Strukturen politischer Organisationen.

Für die Schweiz als Bundesstaat, gegründet 1848, bilden der Bund, die 26 Kantone als Teil- oder Gliedstaaten sowie die über 2000 politischen Gemeinden die grundlegenden drei Ebenen des politischen Systems. Die Bundesverfassung von 1848 basierte auf dem Prinzip der Subsidiarität. Es sollte zwar eine Zentralisierung der Staatsgewalt initiiert werden, allerdings nur für Angelegenheiten, die die Kantone im damaligen Kontext nicht oder nicht angemessen bewältigen konnten. Darunter fielen unter anderem die Sicherstellung von Rechtseinheit sowie Verteidigungs- und Aussenpolitik (Starck, 2012). Spezifisch für die Schweiz machten zum Zeitpunkt der Bundesstaatsgründung nicht nur der Wille zur Nation, sondern insbesondere die Kleinheit der souveränen Kantone und die daraus folgende Notwendigkeit des bundesstaatlichen Zusammenschlusses das föderalistische Grundmotiv aus (Kriesi, 1998).

Wie andere föderalistische Staaten weist die Schweiz eine Machtaufgliederung durch sogenannte vertikale Gewaltenteilung auf. Gemessen an den Kompetenzen und Selbstbestimmungsrechten der Gliedstaaten ist der Föderalismus in der Schweiz im internationalen Vergleich sogar äusserst stark ausgeprägt (Vatter, 2014). Die Kompetenzen auf Bundesebene umfassen heute primär Aussen-, Verteidigungs- und Wirtschafts-, Verkehrs- und Sozialpolitik. Die Kantone sind zuständig für die Sicherheits-, Gesundheits- und Bildungspolitik sowie für die eigenen Finanzen und Steuern. Die Kompetenzen der Gemeinden umfassen typischerweise Fürsorge, örtliche Sicherheit, Versorgung und Entsorgung, Bau- und Planungsrecht, Bildung, Kultur, Freizeit und Sport (Vatter, 2014). Der Föderalismus spielt, neben der direkten Demokratie, in der politischen Kultur der Schweiz, verstanden als Gesamtheit der Werthaltungen, Einstellungen und Partizipationsbereitschaft der Bürgerinnen und Bürger zur Politik und zum politischen System, eine zentrale Rolle (Linder, 2006).

Ausgehend vom föderalistischen Grundmotiv ist in den meisten föderalistischen Staaten das Subsidiaritätsprinzip massgebend wenn es darum geht, den verschiedenen Ebenen des politischen Systems Kompetenzen zuzuordnen. Im traditionellen Verständnis gilt das Subsidiaritätsprinzip dann als gegeben,

„wenn es in einem Bundesstaat eine grundsätzliche Regelung gibt, dass prinzipiell die Gliedstaaten für die Erfüllung aller staatlichen Aufgaben zuständig sind. Aufgabenzuweisungen an die Bundesebene bedürften dann einer expliziten verfassungsrechtlichen Regelung.“ (Leunig (2015), S. 24).

Ergänzend dazu hat sich in der neueren Föderalismusforschung der Begriff der bedingten Subsidiarität etabliert: Dabei wird der Grundsatz der Kompetenzzuordnung an die Gliedstaaten an bestimmte Bedingungen geknüpft. Solche Bedingungen können die Fähigkeit der Gliedstaaten betreffen, bestimmte Aufgaben zu übernehmen (Starck, 2012). Wie Härtel (2012) darstellt, können diese Bedingungen durchaus auch auf Prozesse der Aufgabenerfüllung bezogen sein. Element dieser prozeduralen Ebene der Subsidiarität ist insbesondere der Einbezug der Gliedstaaten in die Einschätzungen und die Entscheide zum Kompetenztransfer. Im Gegenzug zu den Bedingungen, die die konkrete Aufgabenerfüllung der Gliedstaaten einer Kontrolle unterstellen, soll damit verhindert werden, „dass die Bundesebene aus womöglich nicht sachgerechten Erwägungen heraus Kompetenzen an sich zieht“ (Leunig, 2015, S. 25).

Das Subsidiaritätsprinzip war in der Schweizerischen Bundesverfassung bis zur Verfassungsreform von 1999 in einem eher unbedingten Sinne festgeschrieben: Die Kantone sind für sämtliche Aufgaben zuständig, die nicht explizit dem Bund übertragen sind.Footnote 3 Mit der Reform wurde ergänzend eingeführt, dass der Bund Aufgabenbereiche übernehmen soll, in denen Bedarf nach einer einheitlichen Regelung besteht.Footnote 4 Diese Bestimmung wurde schliesslich im Rahmen der Neugestaltung des Finanzausgleichs und der Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen, die 2008 in Kraft trat, ersetzt durch eine explizite Verankerung des Subsidiaritätsprinzips in der Verfassung sowie eine doppelte Bestimmung von BedingungenFootnote 5: „Der Bund übernimmt nur die Aufgaben, welche die Kraft der Kantone übersteigen oder einer einheitlichen Regelung durch den Bund bedürfen“ (BV, Art. 34a Abs. 1). Insgesamt enthält das verfassungsmässige Prinzip der Kompetenzzuordnung zwischen Bund und Kantonen Aspekte sowohl der unbedingten als auch zunehmend der bedingten Subsidiarität.

Die Kompetenzzuordnung zwischen Kantonen und Gemeinden wiederum ist auf der Ebene der Kantone geregelt und weist entsprechend eine grosse Varianz zwischen den Kantonen auf. Die Gemeindestruktur ist laut Rühli (2012) in den meisten Kantonen charakterisiert durch eine auch im internationalen Vergleich hohe Gemeindeautonomie und eine niedrige durchschnittliche Einwohnerzahl der Gemeinden. Eine Erklärung für diese Struktur liege in der Tatsache, dass – auch begründet durch das zwischen Bund und Kantonen geltende Subsidiaritätsprinzip – in der Schweiz seit der Gründung des Bundesstaates keine national koordinierte Gebietsreform stattfand. Unterhalb der Ebene der Kantone sind zudem die politischen Gemeinden nicht die einzigen verfassten Einheiten: Schulgemeinden, Bürgergemeinden, Kirchgemeinden, Korporationen oder Ortsgemeinden sind weitere solcher Körperschaften. Zwischen Kanton und politischen Gemeinden gibt es in vielen Kantonen zudem eine zusätzliche Ebene des politischen Systems, die typischerweise Bezirk genannt wird und die wiederum sehr unterschiedliche Funktionen und Aufgaben wahrnimmt (Rühli, 2012). Auch im Verhältnis zwischen Kantonen, etwaigen Zwischenebenen und Gemeinden gilt das Subsidiaritätsprinzip. Allerdings kann historisch und auch in der jüngeren Vergangenheit eher eine Zentralisierung von Aufgaben bei den Kantonen festgestellt werden (Vatter, 2014).

Die Entwicklungen der föderalen Staatsstruktur der Schweiz seit den 1960er-Jahren werden unter anderem mit den beiden Begriffen Vollzugsföderalismus und kooperativer Föderalismus gefasst. Mit Vollzugsföderalismus wird das Phänomen bezeichnet, dass der Bund in vielen Bereichen zwar Kompetenzen zugeordnet erhält aber gleichzeitig keine Strukturen für den Vollzug schaffen kann oder darf. Der Vollzug durch die Kantone kann auf einem Kontinuum zwischen reiner Implementation bis hin zu weitreichender Programmgestaltung innerhalb eines groben gesetzlichen Rahmens sehr unterschiedliche Ausprägungen annehmen. Der Vollzugsföderalismus gewährleistet die Mitwirkung der Kantone an den Entscheidungen auf Bundesebene und bietet zugleich Vetomöglichkeiten für die Kantone auf Bundesebene (Vatter, 2014). Die vielstimmige Kritik an der damit verbundenen, vertikalen Politikverflechtung führte unter anderem dazu, dass mit dem Vorhaben der Neugestaltung des Finanzausgleichs und der Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen von 2008 auch der Vollzugsförderalismus optimiert werden sollte (EFD & KdK, 2007; Schaltegger & Winistörfer, 2014). Mit der Verankerung der gemeinsamen Verantwortung von Bund und Kantonen für den Bildungsraum Schweiz in der Verfassung wurden 2006 – und damit parallel zur Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen – die Grundlagen für stärkere vertikale Politikverflechtung im Bildungsbereich geschaffen (Criblez, 2008b).

Mit dem kooperativen Föderalismus wird das Phänomen bezeichnet, dass die Kantone selbst Politikgestaltung auf interkantonaler Ebene betreiben und damit ohne direkten Einbezug des Bundes Policies entstehen, die im Prinzip für die ganze Schweiz Gültigkeit haben. In Abgrenzung zu den nationalen Policies mit Einbezug des Bundes hat sich der Begriff „gesamtschweizerisch“ für die horizontalen Institutionen des Föderalismus in der Schweiz eingebürgert. Die auch in diesem Phänomen feststellbare Politikverflechtung wird als horizontale Verflechtung bezeichnet. Der kooperative Föderalismus, der teilweise auch als Horizontalföderalismus bezeichnet wird (Blatter, 2010), hat aus Sicht der Kantone drei Funktionen (Bochsler & Sciarini, 2006): (1) Die Kantone koordinieren ihre Aktivitäten in den Politikbereichen mit kantonaler Zuständigkeit. Dies kann auch ihre Aufgaben im Rahmen des Vollzugs von Bundesaufgaben betreffen. (2) Sie vertreten ihre Interessen gegenüber dem Bund und praktizieren so eine vertikal orientierte horizontale Zusammenarbeit. (3) Sie tauschen ihre Erfahrungen aus. In diesem Zusammenhang wird dem kooperativen Föderalismus teilweise eine innovationsfördernde Wirkung zugeschrieben: Neue Problemlösungen können dezentral in den Kantonen erprobt werden und im Rahmen des Erfahrungsaustausches evaluiert und auf andere Kantone angewendet werden (Schaltegger & Winistörfer, 2014).

Als Instrumente des kooperativen Föderalismus gelten interkantonale Konferenzen und interkantonale Vereinbarungen. In den Konferenzen treffen sich Vertretungen der kantonalen Exekutiven. Die Konferenzen sind entweder regional, thematisch oder regional und thematisch zusammengesetzt (Vatter, 2014). Seit 1993 existiert mit der Konferenz der Kantonsregierungen (KdK) eine übergeordnete Konferenz (Schnabel & Mueller, 2017). Die wichtigste thematische Konferenz ist die Schweizerische Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK). Sie verfügt im Gegensatz zu fast allen anderen Konferenzen auch über Instrumente der Rechtssetzung (Vatter, 2014). Die interkantonalen Vereinbarungen oder Konkordate stellen das ansonsten einzige rechtssetzende Instrument des kooperativen Föderalismus dar (Schnabel & Mueller, 2017). Gemäss Bundesverfassung haben Kantone das Recht, Konkordate in ihrem Zuständigkeitsbereich abzuschliessen. Kantonale Vereinbarungen können durch den Bund unterstützt werden und der Bund kann in definierten Bereichen Konkordate allgemeinverbindlich erklären.Footnote 6 In Konkordaten regeln Kantone ihre Zusammenarbeit in spezifischen Leistungsbereichen. Eine grosse Mehrheit der Konkordate wird bilateral zwischen zwei Kantonen abgeschlossen. Inhaltlich ist der Bereich Bildung, Wissenschaft und Kultur am häufigsten (Bochsler & Sciarini, 2006).

Der Bildungsbereich nimmt im Schweizer Föderalismus eine besondere Position ein. Dies war bereits bei der Gründung des Bundesstaats 1848 der Fall, als das Bildungswesen trotz intensiven Diskussionen schliesslich nicht in der Bundesverfassung aufgeführt wurde (Criblez, 2007a). In der Berufsbildung, bei der Maturitätsanerkennung und teilweise bei den Hochschulen und in der Forschung wurden bereits im 19. Jahrhundert Kompetenzen auf Bundesebene definiert und damit Mechanismen des Vollzugsföderalismus etabliert (Criblez, 2007a, Späni, 2008, Herren, 2008), vgl. Abschn. 5.1). Mit der Gründung der EDK 1897 im Kontext der Vorbereitung einer Primarschulsubvention durch den Bund tauchte das Phänomen des kooperativen Föderalismus im Bildungsbereich erstmals auf (Manz, 2008).

In den 1960er-Jahren wurde eine Zusammenführung von vertikaler und horizontaler Politikverflechtung zur Harmonisierung der kantonalen Volksschulsysteme angestrebt. Der Ausbau des Bildungswesen sollte koordiniert erfolgen, keine zusätzlichen Disparitäten schaffen und zugleich die kantonale Schulhoheit nicht unterminieren. Grundidee war die Verankerung einer gemeinsamen Verantwortung von Bund und Kantonen in der Bundesverfassung mit gleichzeitigem Verweis auf die entsprechenden Konkordate (Criblez, 2008c). Diese Konzeption, konkret die entsprechende Verfassungsbestimmung, scheiterte in den frühen 1970er-Jahren und wurde erst in den 2000er-Jahren mit der Interkantonalen Vereinbarung über die Harmonisierung der obligatorischen Schule (HarmoS) und der sogenannten Bildungsverfassung realisiert (Manz, 2008; vgl. Abschn. 5.1 & Abschn. 5.4.3). Die Revitalisierung der Koordination und Harmonisierung im Bildungsbereich in den 1990er-Jahren, fokussiert auf die Sekundarstufe II und die Tertiärstufe, basierte sehr stark auf den Instrumenten des kooperativen Föderalismus und des Vollzugsföderalismus (Hega, 2000; Weber, Tremel & Andreas, 2010).

Föderalismus und Subsidiarität spielen im Bildungsmonitoring eine ebenso wichtige Rolle wie im Bildungsraum Schweiz generell. Die durch horizontale und vertikale Verflechtung gekennzeichneten Strukturen wirken sich direkt auf Strukturen, Zuständigkeiten und Inhalte des Bildungsmonitorings aus. Der Umgang mit Informationen, die Dokumentation von Gemeinsamkeiten und Unterschieden ist historisch betrachtet ein wichtiges Element der bildungsföderalistischen Struktur. Bildungsmonitoring wird zudem auf bestehenden föderalistischen Strukturen aufgebaut und teilweise werden auch neue Strukturen von Vollzugsföderalismus und kooperativem Föderalismus geschaffen.