Verzeichnis der im „Überblick“ besprochenen Schriften Strauss’

(chronologisch nach der Ersterscheinung, wenn nicht anders vermerkt)

1930: Kapitel „Thomas Hobbes“ in:

Die Religionskritik Spinozas als Grundlage seiner Bibelwissenschaft. Untersuchungen zu Spinozas Theologisch-politischem Traktat. In: Strauss, Leo: Die Religionskritik Spinozas und zugehörige Schriften (Leo Strauss. Gesammelte Schriften 1). Hrsg. v. Heinrich Meier unter Mitwirkung v. Wiebke Meier. 3., erneut durchges. u. erw. Aufl. Stuttgart/Weimar 2008, S. 1−361 [1. Aufl. 1996].

1931 (Zeit der Verfassung): Vorwort zu einem geplanten Buch über Hobbes. In: Strauss, Leo: Hobbes’ politische Wissenschaft und zugehörige Schriften – Briefe (Leo Strauss. Gesammelte Schriften 3). Hrsg. v. Heinrich Meier unter Mitwirkung v. Wiebke Meier. 2. durchges. Aufl. Stuttgart/Weimar 2008, S. 201–215 [1. Aufl. 2001].

1932: Anmerkungen zu Carl Schmitt, Der Begriff des Politischen. In: Strauss, Leo: Hobbes’ politische Wissenschaft und zugehörige Schriften – Briefe (Leo Strauss. Gesammelte Schriften 3). Hrsg. v. Heinrich Meier unter Mitwirkung v. Wiebke Meier. 2. durchges. Aufl. Stuttgart/Weimar 2008, S. 217–242 [1. Aufl. 2001].

1933 (auf Französisch erschienen): Einige Anmerkungen über die politische Wissenschaft des Hobbes. In: Strauss, Leo: Hobbes’ politische Wissenschaft und zugehörige Schriften – Briefe (Leo Strauss. Gesammelte Schriften 3). Hrsg. v. Heinrich Meier unter Mitwirkung v. Wiebke Meier. 2. durchges. Aufl. Stuttgart/Weimar 2008, S. 243–261 [1. Aufl. 2001].

1933–1934 (Zeit der Verfassung): Die Religionskritik des Hobbes. Ein Beitrag zum Verständnis der Aufklärung. In: Strauss, Leo: Hobbes’ politische Wissenschaft und zugehörige Schriften – Briefe (Leo Strauss. Gesammelte Schriften 3). Hrsg. v. Heinrich Meier unter Mitwirkung v. Wiebke Meier. 2. durchges. Aufl. Stuttgart/Weimar 2008, S. 263–373 [1. Aufl. 2001].

1936 (auf Englisch erschienen): Hobbes’ politische Wissenschaft in ihrer Genesis. In: Strauss, Leo: Hobbes’ politische Wissenschaft und zugehörige Schriften – Briefe (Leo Strauss. Gesammelte Schriften 3). Hrsg. v. Heinrich Meier unter Mitwirkung v. Wiebke Meier. 2. durchges. Aufl. Stuttgart/Weimar 2008, S. 3–192 [1. Aufl. 2001].

1936: „Preface“ in:

The Political Philosophy of Hobbes. Its Basis and Its Genesis. Übers. v. Elsa M. Sinclair. 4. Aufl. Chicago/London 1963.

1951: „Preface to the American Edition“ in:

The Political Philosophy of Hobbes. Its Basis and Its Genesis. Übers. v. Elsa M. Sinclair. 4. Aufl. Chicago/London 1963.

1953: Kapitel „Hobbes“ in:

Natural Right and History, Chicago/London 1965.

1959: On the Basis of Hobbes’s Political Philosophy. In: Strauss, Leo: What is Political Philosophy? And Other Studies, Chicago/London 1997, S. 170–196.

1962: Vorlesung: Works of the Mind Lecture on Thomas Hobbes’s Leviathan. In: Namazi, Rasoul, 2018: Leo Strauss on Thomas Hobbes and Plato: Two Previously Unpublished Lectures. In: Perspectives on Political Science. Unter: https://doi.org/10.1080/10457097.2018.1494995, download am 28.1.2019.

1964: Review of C. B. Macpherson. The Political Theory of Possessive Individualism. Hobbes to Locke. In: Strauss, Leo: Studies in Platonic Political Philosophy. Hrsg. v. Joseph Cropsey. M. einer Einl. versehen v. Thomas L. Pangle, Chicago/London 1983, S. 229–231.

1965: Review. The Hunting of Leviathan. Seventeenth-Century Reactions to the Materialism and Moral Philosophy of Thomas Hobbes by Samuel I. Mintz. In: Modern Philology, 62, H.3, S. 253–255.

3.1 Die Ebenen, auf denen die Analyse der Hobbes-Rezeption von Strauss auszutragen ist

Trotz der Schlüssigkeit, mit der Strauss seine Argumentation sich entwickeln ließ und die Gedanken aufeinander aufbaute, ist seine Hobbes-Deutung kaum zu erfassen, wenn man sie nicht inhaltlich, d. h. in Analysebereiche und Argumentationsfäden, gliedert (mit dem Vorbehalt, dass sich sowohl die einen als auch die anderen jeweils in sich und untereinander überschneiden und sich daher nicht ganz abgrenzen lassen). Um sich einen umfassenden Eindruck von ihr zu verschaffen, d. h. unter anderem ihre gewichtigsten Einsichten, ihren wichtigsten Beitrag zu der Hobbes-Forschung zu erkennen, ist es zum einen unumgänglich, die Aufgaben zu erkennen, die sich Strauss in seinem Hobbes-Studium stellte. Die wichtigste von diesen war die Herausarbeitung der für Hobbes eigentümlichen Gesinnung, ihrer Genese und ihrer Verortung in der Entwicklung des Naturrechtes. Zum anderen verhilft zur Entschlüsselung der Systematik der Strauss’schen Analyse die Auseinandersetzung mit folgenden Aspekten.

Um mit dem Offensichtlichsten anzufangen, sollte man sich einen allgemeinen Überblick über diejenigen Werke Strauss’ verschaffen, die der Untersuchung der Hobbes’schen politischen Philosophie entweder explizit gewidmet sind oder in denen sich wichtige Bezüge zu ihr finden lassen. Zu den Letzteren gehören sowohl vereinzelte Anmerkungen über Hobbes in den Werken, deren primäres Untersuchungsobjekt nicht seine Theorie ist, als auch Einsichten, durch die Hobbes zwar nicht direkt angesprochen wurde, aber aus denen sich Schlussfolgerungen ableiten lassen, die für Strauss’ Hobbes-Forschung von Bedeutung sind. Während sich die erste Kategorie (die Kategorie der Werke, die dem Hobbes-Studium vollständig oder teilweise explizit gewidmet sind) eher leicht eingrenzen lässt, setzt das Einbeziehen von Strauss’schen Werken in die zweite Kategorie eine Wahl voraus, die von der Deutung seiner Hobbes-Rezeption selbst abhängt. Denn durch diese wird bestimmt, welche Einsichten man als für das Thema relevant erachtet.

Der zweite Aspekt, an dem man sich bei der Analyse der Strauss’schen Hobbes-Rezeption orientieren sollte, ist die Herangehensweise seiner Untersuchung. Dabei kommen folgende Fragen ans Licht:

  • 1) welche Werke von Hobbes zog Strauss in seine Analyse ein (und weshalb);

  • 2) vor welchem Hintergrund setzte er sich mit Hobbes auseinander, d. h.:

    • a) welche Denktraditionen oder politisch-philosophischen Strömungen sah er als Voraussetzungen für die Hobbes’sche Denkweise als relevant;

    • b) gegen welche Ansichten hat Hobbes, Strauss’ Bewertung nach, opponiert und auf welche hat er sich bezogen;

    • c) wie hat Hobbes laut Strauss die Entwicklung politischer Ideen beeinflusst.

Obwohl mindestens ein Teil dieser Fragen auf den ersten Blick eher technischer Natur zu sein scheint, d. h. angeblich keiner tieferen inhaltlichen Auseinandersetzung bedürfe, erweist sich dies bei näherer Betrachtung als ein falscher Eindruck. Ohne eine inhaltliche Auseinandersetzung mit der Strauss’schen Untersuchung, mit ihrem Aufbau und ihrer Logik lässt sich kaum etwas Deutlicheres als ein grober Umriss zeichnen. Der folgende, dritte Aspekt ist daher unmittelbar auf den Inhalt der Hobbes-Rezeption von Strauss ausgerichtet. Es ist dieser Aspekt, dem sich diese Arbeit in erster Linie widmet.

Zu diesem für mich wichtigsten rezeptionsgeschichtlichen Aspekt gehört die Ausarbeitung der Fragestellungen, die sich durch die Hobbes-Interpretation Strauss’ ziehen. Seine Untersuchung bewegte sich innerhalb seiner einzelnen Schriften sowie unter ihnen zwischen zwei hauptsächlichen Fragebereichen, die wiederum die Problematik(en) Hobbes’schen Denkens widerspiegeln. Den einen Fragebereich konstituiert das Verhältnis zwischen der Methode und der Substanz Hobbes’scher Staatstheorie. Je nachdem, wie dieses Verhältnis aufgefasst wird, kann die Philosophie Hobbes’ in ihrem Wesen als naturalistisch oder als moralisch gedeutet werden. In ihrem Kern bedeutet die Frage nach der Adäquatheit der naturalistischen oder der moralischen Auslegung der Hobbes’schen Staatstheorie die Frage, ob die Einsichten Hobbes’ über das Wesen des Menschen und des Staates auf einer Basis beruhen, die sich nicht von seiner mathematisch-materialistischenFootnote 1 Beweisführung ableiten lasse, inwieweit diese (moralisch gedachte) Basis mit der mathematisch-materialistischen Methode kompatibel sei und sich von ihr sogar konsolidieren lasse bzw. mit ihr korrespondiere und inwiefern sie, andererseits, durch die Methode untergraben werde bzw. ihr fremde Komponente und Logiken einverleiben müsse. Kurz und klar: Lasse sich eine von der Mathematik und den Naturwissenschaften unabhängige oder mit ihnen gar im gegensätzlichen Verhältnis stehende moralische Basis oder Gesinnung in der politischen Theorie von Hobbes feststellen?

Den Ausgangspunkt des zweiten inhaltlichen Fragebereiches macht die Frage nach Hobbes’ Verhältnis zu der klassischen Tradition politischen Denkens aus, genauer: Welche Züge seiner Philosophie würden einen Bruch und welche die Kontinuität mit der Tradition (und welcher Tradition) darstellen? Darüber hinaus: inwieweit seine Befangenheit in der Tradition von ihm selbst erkannt und inwieweit sie gar nicht als solche bewusst wahrgenommen wurde.

Im Rahmen der Auseinandersetzung mit Hobbes ist die Frage nach dessen Verhältnis zur Tradition eng verknüpft und zum Großteil identisch mit der Frage nach seiner Stellung hinsichtlich der Naturrechtslehre, der ein wichtiger Platz in Strauss’ Untersuchung über den Ursprung, die Entwicklung und den Verfall des Naturrechtes gebührt.Footnote 2 In dieser ideengeschichtlich-philosophischen Darstellung stellte Strauss, unter anderem, die naturrechtliche Tradition der sophistischen entgegen und prüfte die Grundlagen der Hobbes’schen Denkweise auf die Übereinstimmung mit beiden. Die Kardinalpunkte der Hobbes’schen, die Strauss dabei herausstellte, sind der Vorrang des Rechtes vor der Pflicht und die Identifizierung des Guten mit dem Angenehmen. Es sind dieselben Punkte, die für Strauss’ Überlegungen über das Verhältnis Hobbes’ zu der liberalen Denktradition zentral waren. Dieses Verhältnis stellte für Strauss zwar nicht das Problem erstrangiger Dringlichkeit dar, war aber sowohl in Form von Hinweisen und Assoziationen als auch als eine eigene Forschungsthese präsent, wie ich im Laufe dieses Kapitels sowie in dem Schlusskapitel der Arbeit demonstrieren werde. Außerdem ist die Betrachtung der Überlegungen und Anmerkungen Strauss’ in diesem Zusammenhang allein aus Rücksicht auf die Ausrichtung dieser Arbeit auf die Gegenüberstellung der Hobbes-Rezeptionen bei Schmitt und Strauss vonnöten. Das Verhältnis von Hobbes’ politischer Philosophie zu der Naturrechtslehre knüpft außerdem an die Frage nach dem Inhalt und der Wirkung von Hobbes’ individualistischem Ansatz an sowie an die nach seiner machttheoretischen Prägung – die Fragen, die für Schmitt von großer Bedeutung gewesen sind.

Die hier angedeuteten Fragestellungen, um die sich Strauss’ Auseinandersetzung mit der Hobbes’schen Philosophie dreht, wurden von ihm in verschiedenen Schriften so aufgearbeitet, dass es sich nicht allzu leicht durchschauen ließ, worauf seine Beweisführung letzten Endes hinausläuft − oft schilderte er Positionen, ohne klar angekündigt zu haben, ob es dabei um seine eigentliche Meinung oder um eine von ihm nicht geteilte Überzeugung gehen soll. Die Letzteren, bzw. ihre Widerlegung im Laufe der Gesamtargumentation, sind ein wichtiger Bestandteil Strauss’scher Darstellungen. Sie sind allerdings nicht mit seiner eigenen Sicht auf Hobbes zu verwechseln, deren Herausarbeitung die Aufgabe dieses Kapitels darstellt.

3.2 Strauss’ Hobbes-Rezeption in seinem Gesamtwerk

Die frühen schriftlichen Ergebnisse der Auseinandersetzung von Strauss mit Hobbes lassen sich hauptsächlich in zwei Kontingente aufteilen. Das erste umfasst:

  • 1) zwei ausführliche Studien:

    • a) die zum ersten Mal 2008 in dem dritten Band Strauss’ Gesammelter Schriften publizierte, aber schon 1933–1934 verfasste Religionskritik des Hobbes. Ein Beitrag zum Verständnis der Aufklärung;

    • b) Hobbes’ politische Wissenschaft in ihrer Genesis, deren Erstausgabe in englischer Übersetzung und mit einem Vorwort von 1936 unter dem Titel The Political Philosophy of Hobbes. Its Basis and Its GenesisFootnote 3 erschien;

  • 2) einige Werke kleineren Formats, die sich auf die Jahre 1930 bis 1936 erstrecken:

    • a) ein Hobbes gewidmetes Kapitel der 1928 fertig gewordenen (Meier 2008, vii) und 1930 publizierten Religionskritik Spinozas als Grundlage seiner Bibelwissenschaft;

    • b) ein Vorwort aus dem Jahr 1931, das ohne ein geplantes BuchFootnote 4 verblieb;

    • c) eine zuerst in der französischen Übersetzung und dann in Gesammelten Schriften auf Deutsch erschienene Publikation „Einige Anmerkungen über die politische Wissenschaft des Hobbes“.

Diesem Kontingent lässt sich außerdem der von Strauss im Frühjahr 1932Footnote 5 verfasste Kommentar zum Begriff des Politischen von Schmitt zuordnen – der Kommentar, in dem die Schmitt’sche (Miss)Deutung Hobbes’ eine zentrale Rolle spielte. Den „Anmerkungen zu Carl Schmitt, Der Begriff des Politischen“ gebührte sowohl bei Schmitt als auch bei Strauss eine besondere Stellung, die sich schon an ihrer Publikationsgeschichte erkennen lässt.Footnote 6 In den Hinweisen zu der erneuten Ausgabe von Dem Begriff des Politischen in seiner zweiten Fassung im Jahr 1963 hat Schmitt, unter Zurückweisung dessen, dass sein Freund-Feind-Kriterium „entweder dämonisiert oder normativiert oder wertphilosophisch in die Polarität von Wert und Unwert versetzt“ werde, auf Strauss, zusammen mit Helmuth Kuhn, als „aufmerksame Leser“ verwiesen, die „gleich bemerkt“ hätten, worum es Schmitt in seiner Begriffsbestimmung ging (2018, 79). Die besondere Stellung − und nicht nur des Kommentars, sondern auch des ganzen zwischen Schmitt und Strauss in Bezug auf Hobbes geführten Austausches – bestätigt auch eine Notiz Meiers über seinen Austausch mit Günther Kraus, einem von Schmitt 1932–1933 in seinem Dissertationsvorhaben betreuten Juristen (Meier 2013, 158; mehr zu der Bedeutung des Austausches für Schmitt siehe ebd., 195 f.).

Was Strauss anbetrifft, möchte ich eine an die Zeilen des Vorwortes zur deutschen Erstausgabe von Hobbes’ politischer Wissenschaft in ihrer Genesis erinnern, in denen Strauss mit dem Hinweis auf den Begriff des Politischen von seinem damaligen „Gefühl oder Geschmack“ sprach, dem „Schmitts Urteil über die Größe und Bedeutung von Hobbes“ entsprach (2008 b, 7). Ein anderer aufschlussreicher Hinweis mag die Tatsache sein, dass Strauss seinen Kommentar zu Dem Begriff des Politischen zusammen mit zwei anderen eigenen Werken publizieren ließ: zum einen als Anhang zur ersten deutschen Ausgabe von Hobbes’ politischer Wissenschaft in ihrer Genesis,Footnote 7 zum zweiten (ebenso als Anhang) in Spinoza’s Critique of Religion.Footnote 8

Strauss’ spätere Auseinandersetzung mit Hobbes besteht, was ihre publizierten Ergebnisse anbelangt, aus einem Hobbes-Kapitel in Naturrecht und Geschichte, zwei Vorworten (zu einer neuen englischen Ausgabe von Hobbes’ politischer Wissenschaft in ihrer Genesis sowie zu der ersten deutschen Ausgabe dieses Werkes), dem Artikel „On the Basis of Hobbes’s Political Philosophy“ und zwei Rezensionen. 1964 erschien seine Rezension zu Macphersons „The Political Theory of Possessive Individualism. Hobbes to Locke“. Seine Besprechung von Mintz’ „The Hunting of Leviathan“ schloss die Reihe 1965 ab.

Im Folgenden und bevor ich auf das Hobbes-Studium von Strauss vertieft inhaltlich eingehe, möchte ich einen Überblick über die erwähnten Werke und Abhandlungen Strauss’ geben, der als eine Vorbereitung auf die weitere Aufarbeitung gedacht ist. Dabei lasse ich sowohl sein Hauptwerk zu Hobbes als auch das Hobbes-Kapitel in Naturrecht und Geschichte aus, mit denen ich mich in späteren Teilen der Arbeit intensiv auseinandersetze.

Dem Überblick über die Hobbes-Abhandlungen Strauss’ stelle ich allerdings noch meinen Versuch voran, das Hobbes-Studium in sein Gesamtwerk einzuordnen. Dafür erfasse ich einerseits diese Gesamtheit anhand thematischer Kategorien und skizziere andererseits den persönlichen intellektuellen Hintergrund, vor dem sich Strauss’ Auseinandersetzung mit Hobbes vollzog.

Strauss’ Œuvre zählt 25 Bücher (die posthum veröffentlichten Sammlungen nicht einbezogen) und zahlreiche Artikel, Rezensionen, kleinere Publikationen, die zum Teil in Fachzeitschriften, zum Teil in Sammelbänden (denjenigen von Strauss selbst oder denjenigen anderer Herausgeber) erschienen. Folgende von mir frei zusammengefasste und benannte Schwerpunkte und Bereiche lassen sich im Werk Strauss’ identifizieren: Die zeitgenössische politische und geistige Lage des Judentums; Die Moderne und die Gegenwart; Interpretationskunst und Ideengeschichte; Naturrecht; Die antiken Denker; Jüdische und arabische Denker des Mittelalters; Frühe Neuzeit; Rousseau; Nietzsche; Autobiographisches.

Dass es Kategorien sehr unterschiedlichen Umfangs sind (einerseits einzelne Schwerpunkte, andererseits breite und sehr breite Themenfelder, deren Eingrenzung nur mit Blick auf einen konkreten Untersuchungsbedarf sinnvoll wäre), erklärt, weshalb es sinnvoll ist, das Werk Strauss’ eher anhand von Fragen und Problemen, die sich Strauss selbst gestellt oder für sich identifiziert hat,Footnote 9 zu erfassen als durch eine Art „Fächer“ oder „Container“. Denn auf die letztere Art und Weise vermittelt man eventuell den falschen Eindruck, dass sich die Themen Strauss’ voneinander isolieren ließen. Das ist so wenig der Fall, dass das Ineinandergreifen dieser Themenfelder und Schwerpunkte jeglicher Kategorisierung eher widerspricht als zu ihr berechtigt. Strauss’ ideengeschichtliche Studien einzelner Autoren lieferten das Material für seine Versuche, die gesamte philosophische Entwicklung (ggf. unter einem bestimmten Aspekt betrachtet wie z. B. historisches Bewusstsein oder Auffassung der Liberalität) und den Zeitgeist zu erfassen. Aus ihnen geht die Entdeckung esoterischen Schreibens hervor; sie sind das „Baumaterial“ von Strauss’ Naturrecht und Geschichte.

Auch ein anderer Grund ist dafür verantwortlich, dass sich thematische Kategorisierung des Gesamtwerkes von Strauss, von der ich trotzdem nicht absehen möchte, als problematisch erweist. Es mag nämlich sinnvoller sein, die Werke Strauss’ anhand ihrer Herangehensweise, ihres Forschungszuganges, statt den Themen nach zu gruppieren. Zweierlei für Strauss typische Formen davon lassen sich hervorheben. Einerseits ist es die Interpretation eines konkreten Werkes/konkreter Werke oder eine Studie zum bestimmten Autor, was für Strauss’ Gesamtwerk eine markante Form der philosophischen Auseinandersetzung gewesen ist. Ein typisches Beispiel dieser Kategorie wäre auch Hobbes’ politische Wissenschaft in ihrer Genesis. Andererseits sind es anspruchsvoll angelegte ideengeschichtliche Betrachtungen, die − im Gegensatz zu den Interpretationen im strengeren Sinne − darauf ausgerichtet waren, ideengeschichtliche Zusammenhänge und langfristige, prägende Tendenzen, das als entscheidend und grundlegend Identifizierte, die Kontinuität und die Wendepunkte freizulegen.Footnote 10 Thematisch sind die Werke beider Kategorien natürlich miteinander verschränkt, jedoch ist die Hauptrichtung der Untersuchung − das, was ich als Herangehensweise bezeichnet habe − in meisten Fällen jeweils zu erkennen.

Die Frage, weshalb Strauss „seine Philosophie in Gestalt geschichtlicher Interpretation vorgelegt“ habe, wird in Meiers Denkbewegung von Leo Strauss behandelt (1996, 15). Strauss’ ideengeschichtliche Interpretationen besaßen nämlich einen über die geschichtliche Bedeutung hinausgehenden systematischen Gehalt, und zwar deshalb, weil sie zu der Herausarbeitung von philosophischen Intentionen führten, die den von ihm untersuchten Werken zugrunde lagen. Die Intention einer Autorin herauszuarbeiten hieß für Strauss, sie so zu verstehen, wie sie sich selbst verstand (dazu siehe S. 228); und diese Möglichkeit beweise wiederum den transhistorischen Charakter der philosophischen Fragen, d. h. der Fragen, die „das Ganze aufschließen“ (ebd., 34). Die Frage, die im Denken einer Philosophin zentral sei (welche konkrete Form sie auch annimmt) „can be no question other than the question of the truth about the whole“ (Strauss 1996, 324 f.).Footnote 11 Die zu interpretierende Autorin anhand dieser Frage zu untersuchen bedeute wiederum, diese Frage „,the philosophic truth itself“ (ebd., 324), selbst zu denken. Eine Interpretation müsse auch selbst auf den im zu interpretierenden Text verhandelten Gegenstand gerichtet sein: Sie frage, wenn sie nach der Intention und nach dem Selbstverständnis einer Autorin frage, nach den Gründen, die in die Position der Denkerin eingeflossen seien (Meier 1996, 28). Somit bleibe ein „Kommentar“ nicht nur ein Kommentar:Footnote 12 Eine „hermeneutische Anstrengung gehe lückenlos in die im eigentlichen Sinne philosophische Aktivität über“ (ebd., 33); „The historian of philosophy must then undergo a transformation into a philosopher or a conversion to philosophy“ (Strauss 1996, 325).

Was es für diejenige, die sich mit Strauss’schen Texten auseinanderzusetzen hat, konkret bedeutet, hat Meier mit den folgenden Worten auf den Punkt gebracht: Ein Interpret „mag den Punkt erreichen, an dem es für ihn keinen Unterschied macht, ob er die Gedanken jenes Philosophen oder ob er seine eigenen Gedanken denkt“ (1996, 41 f.). Für eine, die sich vornimmt, die Positionen der Autorin des Textes getrennt zu betrachten von den Positionen der Denkerin, mit der sich diese Autorin auseinandergesetzt hat, stellt es natürlich eine Herausforderung dar. Da nämlich die Autorin selbst keine Distanzierung vornahm und es sogar auf eine vollkommene Überdeckung der Horizonte von sich selbst und von der zu Deutenden anlegte, bedarf es einer exakten Kenntnis der zu Deutenden, um eine Trennung zu vollziehen, die die Autorin selbst verwischt hat. Liegt es in der eigenen Forschungsabsicht, die Aussagen über die Gedeutete selbst zu treffen und nicht bloß über ihre Deuterin, muss man erst den Eindruck entkräften, es spreche die zu Deutende selbst durch die Lippen der Interpretin.

Wenn zutrifft, dass Strauss’ ideengeschichtliche Interpretationen einen über die geschichtliche Bedeutung hinausgehenden philosophischen Gehalt tragen, dann auch in dem Sinne, dass die Geschichte der Philosophie für Strauss der erste und notwendige Schritt aus der Krise der Philosophie war − der Krise, durch die die Philosophie unnatürlich schwierig, wenn nicht ganz unmöglich geworden sei (siehe Strauss 2013 c, 14; siehe S. 172). So sei die Geschichte der Philosophie sowohl ein Schritt zur Philosophie als auch Philosophie selbst.

Führt man sich die Chronologie Strauss’scher schriftlicher Publikationen und Vorträge vor Augen, und zwar nach dem Datum der Erstveröffentlichung – ob als gesprochenes oder geschriebenes Wort –, lassen sich einige grobe Entwicklungen seines Forschungsinteresses und geistiger Entwicklung aufspüren. Das erste Themenfeld, das ich als „Die zeitgenössische politische und geistige Lage des Judentums“ bezeichne, zeichnet den Zeitraum 1923–1929 aus, als Strauss kürzere Beiträge in den Zeitschriften Jüdische Rundschau, Der Jude, Der Jüdische Student etc. publizieren ließ. Nicht nur war dieser Themenbereich und waren diese Zeitschriften in dieser Lebensetappe überwältigend präsent; sie waren es nur in dieser Zeit.Footnote 13 Dies zeigt sich z. B. an den Medien, in denen Strauss seine Artikel seit der Auswanderung in die USA publizieren ließ: Ab 1939 waren es vor allem Social Research oder die eigenen Sammelbände, denen Strauss’ Texte zu entnehmen sind. Die Zeitschrift Social Research, die es seit 1934 gibt, ist ein Periodikum von New School for Social Research, die auf den nationalsozialistischen Aufstieg in Deutschland mit der Eröffnung einer „Exiluniversität“ für die fliehenden europäischen Wissenschaftlerinnen antwortete; auch Strauss war ab 1938 zehn Jahre lang ein Mitglied von School. Insgesamt veröffentlichte Social Research über 20 seiner Beiträge, unter anderem auch Buchrezensionen. Seit seinem Tode wurden einige Texte aus seinem Nachlass, die nicht in Sammelwerken erschienen waren, in Interpretation: A Journal of Political Philosophy veröffentlicht; zu seinen Lebzeiten war Strauss als beratender Herausgeber dieser Zeitschrift tätig.

Das Werk zur Religionskritik Spinozas markiert in Strauss’ intellektuellem Werdegang den Anfang einer Periode, in der er sich intensiv mit Denkern früher Neuzeit und mit der jüdischen und arabischen Philosophie des Mittelalters auseinandergesetzt hat.

Ab den 60er Jahren standen zunehmend antike Denker im Mittelpunkt seiner Forschung; sie teilten das Interessenfeld allerdings mit den späteren Etappen der Philosophiegeschichte. Strauss’ erstes einem antiken Klassiker gewidmete Essay „,The Spirit of Sparta and the Taste of Xenophon“ (1939), erschien in derselben Zeit, in der er „Exoteric Teaching“ verfassteFootnote 14 − seine erste Abhandlung über die Kunst des Schreibens und der Deutung. Interpretationskunst und philosophiegeschichtliches Arbeiten wurden von Strauss seitdem gelegentlich thematisiert; etwa in „Persecution and the Art of Writing“ (1941), in „How to Study Medieval Philosophy“ (als Vortrag 1944 ausgearbeitet, 1996 publiziert) „,On a Forgotten Kind of Writing“ (1954).

Philosophische Kommentare zu Rousseau und Nietzsche erschienen 1947 ( „On the Intention of Rousseau“) und 1973 ( „Note on the Plan of Nietzsche’s Beyond Good and Evil“). Als zwei Figuren, die an den Wendepunkten der Entwicklung modernen Denkens stehen, wurden Rousseau und Nietzsche allerdings auch in anderen Werken zu Bezugspunkten. Ähnlich ist es mit der Kategorie „Naturrecht“: Ihre Herausstellung als solche erscheint überflüssig, weil sie einen thematischen Schwerpunkt darstellt, der in den meisten von Strauss erforschten Epochen und Werken eine wichtige Rolle spielt. Andererseits wäre eine solche eigene Kategorie deswegen gerechtfertigt, weil Strauss dem Thema sein wohl bekanntestes Werk Naturrecht und Geschichte widmete (siehe auch seinen späteren Beitrag „On Natural Law“, 1983).

Dem Themenkomplex „Die Moderne und die Gegenwart“ würde ich diverse Texte zuordnen, die breit gefasste ideengeschichtliche Rückblicke, Überblicke und Ermittlungen der zeitintellektuellen Phänomene umfassen. Zu unterschiedlichsten Zeitpunkten verfasst, fallen darunter solche Schriften/Vorträge wie „Die geistige Lage der Gegenwart“ (1932) „,The Living Issues of German Postwar Philosophy“ (1940) „,Progress or Return? The Contemporary Crisis in Western Civilization“ (1952) „,Existentialism“ (1956) „,Relativism“ (1961), einige Beiträge aus dem eigenen Sammelband Liberalism Ancient and Modern (1968) − z. B. „Liberal Education and Responsibility“ (ursprünglich 1962) „,Perspectives on the Good Society“ (ursprünglich 1963) − „The Crisis of Our Time“ (1964) „,The Three Waves of Modernity“ (1975).

Als Autobiographisches dürfen „Preface to the English Translation“ in „Spinoza’s Critique of Religion“ (1962) „,A Giving of Accounts“ (1970, zusammen mit Klein) sowie „An Unspoken Prologue to a Public Lecture at St. John’s“ (1978) gelten. So aufschlussreich diese Beiträge in Bezug auf Strauss’ intellektuelle Entwicklung sind (hinsichtlich des Lebensgeschichtlichen lässt sich dasselbe nicht behaupten; in dieser Hinsicht erweisen sich vor allem seine Korrespondenzen als informativ), so lassen sie sich auch als philosophische Erwägungen zu den Themen lesen, mit denen er sich wissenschaftlich beschäftigt hat; vor allem „Preface“ steht Strauss’ Sachtexten in nichts nach.

In dieser finden sich darüber hinaus Teile des Bildes davon, was Strauss’ Aufnahme des Hobbes-Studiums vorausging und was zu ihr führte. In seinen Vorworten zum ersten und zweiten Band von Strauss’ gesammelten Schriften schloss Meier daraus, dass in dessen intellektueller Entwicklung ein „Orientierungswandel“ stattfand. 1925−1928 war Strauss als wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Akademie für die Wissenschaft des Judentums mit der Arbeit an Der Religionskritik Spinozas beschäftigt; zugleich studierte er jüdische und arabische Philosophen des Mittelalters, was 1929−1930, nach der Einschätzung Meiers, zu einer prägenden Transformation von ihm als Denker führte (2008 b, xix). Strauss selbst beschrieb in seinem englischem Vorwort zum Spinoza-Werk diesen „change of orientation“ als Abkehr von dem Vorurteil, das seiner Spinoza-Studie zugrunde lag: dass „a return to pre-modern philosophy is impossible“ (1985, 31). Dabei waren, seiner Angabe nach, die „Anmerkungen zu Carl Schmitt, Der Begriff des Politischen“ die erste Abhandlung, in der dieser Orientierungswandel zum Ausdruck kam (ebd., 31). Es mag die erste schriftliche Abhandlung gewesen sein, jedoch scheint mir der Abschied von der Überzeugung, die Rückkehr sei unmöglich, bereits früher geäußert worden zu sein: 1930 hielt Strauss einen als „Religiöse Lage der Gegenwart“ betitelten Vortrag, in dem das Motiv eines Neuanfangs nicht hätte klarer figurieren können. Wir müssten und könnten, so Strauss in seinem Vortrag „,wirklich ganz von vorne anfangen“, weil „uns die Tradition völlig entfremdet, völlig fragwürdig“ sei; wir könnten diese Tradition und ihre Ursprünge gerade deswegen neu verstehen, weil sie uns „mehr oder minder selbstverständlich überliefert worden ist“; und das, was selbstverständlich sei „,das ist im Grunde immer unverstanden“ (2013 a, 389 f.).

Sucht man in dem Strauss’schen Kommentar zu Dem Begriff des Politischen nach Spuren des Gedankens, dass eine Rückkehr zur vormodernen Philosophie möglich sei, findet man sie in seiner Herausstellung der Worte Schmitts über den Rückgang „zum,kulturellen oder sozialen Nichts‘, zum,geheimen, unscheinbaren Anfang‘ „zur unversehrten, nicht korrupten Natur‘“ (Strauss 2008, 235). Aus diesem Ursprung sei ein integres Wissen über „die Ordnung der menschlichen Dinge“ (ebd., 235) zu gewinnen − ein Wissen, das Schmitt bloß ankündigte, weil er seinem eigenen Anspruch nach aus der konkreten geschichtspolitischen Lage heraus dachte und auf der Unmöglichkeit, über den geistesgeschichtlichen Horizont hinauszublicken, mit Nachdruck bestand (siehe Fußnote Nr. 36 in 2.4). So wie Schmitt dadurch die Möglichkeit gewann, seine Überlegungen von einem liberal-idealistischen Standpunkt aus unangreifbar zu machen, so nahm er sich zugleich die Möglichkeit, die Kritik am Liberalismus zur Vollendung zu bringen (ebd., 238).

Die Strauss-Forschung Meiers hat ihn zu der Schlussfolgerung geführt, dass es die Entdeckung des theologisch-politischen Problems und damit der sokratischen Frage war, was Strauss’ Neuorientierung ausmachte. Die sokratische Frage oder das sokratische Problem rühre von der Notwendigkeit her, die philosophische Lebensweise vor den politisch-moralisch-religiösen Normen der Gesellschaft zu rechtfertigen. Diese Notwendigkeit verkörperte das Leben Sokrates’ durch das eigene Ende. Um auf diese Herausforderung zu antworten, bedürfe es der politischenFootnote 15 Philosophie, die das Recht der Philosophie vor der menschlichen oder übermenschlichen Autorität begründe, weil sie „die menschlichen Dinge im umfassenden Sinne“, die Frage nach dem richtigen Leben, zum Gegenstand habe (Meier 2000, 16). Es sei die Frage, die sich der Philosophin „in der Sphäre des Politischen stellt“, weil sie bei ihrer Beantwortung mit den Antworten konfrontiert werde „,die mit der Forderung nach Gehorsam oder dem Willen zur Durchsetzung vorgebracht werden“ und damit die Philosophie infrage stellen würden (ebd., 16−18). Die Philosophie werde politisch – müsse politisch werden –, lehre der Fall Sokrates’, weil sie sich von Grund auf in einer „prekären Lage“ der Herausforderung befinde (ebd., 19);Footnote 16 ihr Existenzrecht begründe sie vor dem Gemeinwesen und vor der politischen Theologie durch das Fragen nach der richtigen und guten Ordnung, das ihr aber gleichzeitig erlaube, die reale Politik, die vorherrschende Moral und Religion zu hinterfragen.

Die Emanzipation von politischen und religiösen Vorurteilen und Zwängen schließe andererseits eine andauernde „Selbstbefragung, Selbstkritik und Selbstverständigung“ (ebd., 26) der Philosophie ein − auch als Hinterfragung der „Hingabe an die Wahrheit“ oder des „Wille[ns] zur Gewissheit“ (ebd., 17) −, durch die sie dem Dogmatismus entkomme. Es bedürfe einer Selbstkritik, um sich sowohl der Abhängigkeit von den in der Gesellschaft zirkulierenden Meinungen und den Instrumentalisierungsversuchen seitens der Politik als auch von der philosophischen Tradition selbst bewusst zu bleiben (ebd., 26). Die Beantwortung der für die Philosophie „konstitutiven“ Fragen nach dem richtigen Leben und nach dem Recht der Philosophie dürfe „niemals der Tradition überlassen, niemals im Vertrauen auf die Vernunft der Früheren der Geschichte der Philosophie übertragen werden, wenn anders die Philosophie nicht auf Glauben gegründet werden soll“; sie müsse sich sowohl von den „,Sicherheiten‘ der Gegenwart“ als auch von den „,Selbstverständlichkeiten‘ der Tradition, jeder Tradition“ befreienFootnote 17 −  „in die Offenheit der Skepsis“ (Meier 1996, 28). Diese bedeute die Notwendigkeit, die Frage nach dem Richtigen selbst statt über die Rückkehr zu den Klassikern beantworten zu müssen (ebd., 28).

Mit dieser Gesinnung plädierte Strauss für die Wiederaufnahme der philosophischen Fragen, für die Wiedergewinnung der Philosophie durch vor allem das Fragen. Wenn sich Strauss zum Selbstverständnis der klassischen und modernen Denker durchdrang, wenn er einen philosophischen Dialog „über die geschichtlichen Barrieren des Verstehens hinweg“ aufnahm (ebd., 33 f.), dann entkräftete er in seinen Augen das historistische „Vorurteil“, eine „tyrannisch herrschende Überzeugung“ (Strauss 2013 a, 380), wie es von ihm verstanden wurde, dass jedes Denken ein Produkt seiner Zeit sei und ein authentisches Verständnis dieses Denkens derselben Zeit vorbehalten bleibe und mit ihr verloren gehe. Mit dieser Überzeugung geht zugleich die Überzeugung einher, dass es kein transhistorisches Wissen gebe, dass alle Aussagen, die wir tätigen, und alle Erkenntnisse, zu denen wir gelangen, ein „Ablaufdatum“ hätten und in ihrer Erklärungskraft auf unsere Zeit beschränkt seien, dass sie viel mehr über die Zeit aussagen würden, in der sie entstanden sind, als über die Zeit, die sie zu erklären beanspruchen. Diese Position bedeute wiederum, so Strauss, dass wir in unseren Fragestellungen und unserem Erkenntnisanspruch beschränkt seien: wir befänden uns in der „Freiheit der radikalen Unwissenheit“ (Strauss 2013 b, 447), seien aber unfähig, zu fragen, obwohl wir zu fragen gezwungen seien (ebd., 452). Das „Vorurteil“, von dem sich Strauss gelöst habe − dass „a return to pre-modern philosophy is impossible“ (Strauss 1985, 31) −, ist ein historistisches gewesen.

Das Fragevermögen könne demnach nur mittels der Hinterfragung des historischen Bewusstseins wieder erlangt werden; es müsse erkannt werden, dass Historismus selbst geschichtlich bedingt sei; es sei „also selbst dazu bestimmt, einem anderen Bewusstsein zu weichen“ (Strauss 2013 b, 452). Erst seit dem 18. Jahrhundert, so Strauss, sei der Geschichte eine philosophische Bedeutung (in Form einer Geschichtsphilosophie) zugemessen worden (2008 h, 121 f.). Die Frage nach der Gegenwart sei eine Frage der Gegenwart (Strauss 2013 b, 446). Dass wir Aussagen über die Gegenwart träfen, setze aber voraus, behauptete Strauss, dass wir von ihr frei seien (2013 a, 380). Die Frage nach der geistigen Lage der Gegenwart könne nur eine vorbereitende Funktion haben (Strauss 2013 b, 461 f.) − die Funktion, uns „zum natürlichen Fragen zurückzuführen“, denn nicht die Gegenwart, sondern die Wahrheit sei „unsere Aufgabe“ (Strauss 2013 a, 384 f.). Historismus könne uns nur unsere Unwissenheit vor Augen stellen (und dabei wüssten wir von ihr auch so Bescheid; schon durch das antike Bild des Philosophierens als Wahrheitsbestrebens), aber entscheide man sich aufgrund dieser Unwissenheit, bei ihr auch freiwillig zu verbleiben, erweise sich eine historistische Position als Dogmatismus, gegen den sie ursprünglich anzugehen versuchte (Strauss 2008 h, 132 f.).

Wenn bei Strauss von „natürlichem Fragen“ im Gegensatz zum historischen die Rede war, dann meinte er damit das Philosophieren auf der Stufe „natürlicher Unwissenheit“, die Platon mit seinem Höhlengleichnis beschrieben hat (Strauss 2013 a, 389). In der „Religiösen Lage der Gegenwart“ sprach Strauss davon, dass wir uns noch „tiefer unten als die Höhlenbewohner Platons“ befänden (ebd., 386 f.): Die Schwierigkeit des Philosophierens habe sich für uns, im Vergleich, vergrößert, unsere Freiheit sei weiter eingeschränkt. Während die griechischen Philosophen im Streben nach Wissen nur mit „Schein und Meinung“ konfrontiert waren, würden wir „bereits gegen die Vorurteile“ kämpfen, die im Laufe der Geschichte entstanden seien (ebd., 387). Was es für Vorurteile seien, deutete Strauss in „Der geistigen Lage der Gegenwart“ an, indem er vom „Glaube[n] zu wissen“ sprach, der uns im Wege stehe, unsere Unwissenheit zu beseitigen (2013 b, 452).

Wohlgemerkt, ein Glaube: Das Vorurteil, zu wissen sowie auch das historische Bewusstsein sah Strauss zusammen mit der Tradition der Offenbarungsreligionen entstanden.Footnote 18 „Die Tatsache, dass eine auf Offenbarung beruhende Tradition in die Welt der Philosophie getreten ist, hat die natürlichen Schwierigkeiten des Philosophierens um die geschichtliche Schwierigkeit vermehrt“ (ebd., 456). Was „Rückkehr“ in Strauss’schen Texten in der Tat bedeutet, ist also die Zurückgewinnung „des natürlichen Horizonts“ (Meier 1997, xviif., vgl. auch 2008 a, ixf.) − der Perspektive, aus der heraus die Begründung der Philosophie in der Bewusstheit der theologischen und politischen Herausforderungen möglich wäre. Der Prozess der zivilisatorischen Entwicklung trage dazu bei, dass man über diese Perspektive diese Möglichkeit zunehmend vergesse (Strauss 2008 h, 115); es bedürfe also einer „unerbittliche[n] Kontrolle der angeblichen,Errungenschaften‘ der Geschichte“ (Strauss 2013 a, 390), einer „historischen Propädeutik“ (Meier 1997, xviii), einer historischen Untersuchung, um den Weg aus der geschichtlichen in die natürliche Höhle finden zu können, von der aus die Frage nach dem richtigen Leben zu stellen wäre. In diesem Sinne bezeichnete Meier „die Denkbewegung“ Strauss’ als „eine Bewegung von der Geschichte zur Natur“ (1996, 33).

Das Denken über die Natur etwa in der Philosophie Rousseaus, Nietzsches oder HeideggersFootnote 19 (2013 b, 460 f.) stellte für Strauss eine Gegenbewegung dar zur modernen Philosophie als Prozess der Zivilisation, für die das Konzept der Kultur zentral geworden sei (siehe Strauss 1977, 142 f.). Es sei vor allem Nietzsche zu verdanken, so Strauss, dass wir weder die klassische noch die moderne Tradition als selbstverständlich wahrnehmen könnten (2013 b, 461) – Nietzsche habe die Aufklärung radikalisiert und vollendet (ebd., 446 f.). Dies sei zu erkennen, wenn man sich über die aufklärerische „Grundabsicht“ der modernen Philosophie klar werde (ebd., 460 f.). Der Kampf gegen Vorurteile, den die Aufklärung geführt habe, war, so Strauss, ursprünglich gegen eine bestimmte Art von Vorurteilen geführt worden – gegen die offenbarungsreligiösen nämlich und damit gegen die geschichtliche Schwierigkeit des Philosophierens (ebd., 456; siehe auch 1977, 169). Das heißt, dass die moderne Philosophie ursprünglich für und nicht gegen Philosophie als Wissensform kämpfte. Anders als intendiert habe der Kampf gegen die Tradition aber nicht aus der zweiten Höhle herausgeführt, sondern verfestigend gewirkt.

Sowohl die religiöse Tradition als auch der Kampf gegen sie vollzog sich also innerhalb der zweiten Höhle: Zu dieser würden sowohl der moderne Rationalismus – das „Pathos des Fortschritts im Wissen und durch Wissen“ (Strauss 2013 b, 453) – als auch die Anfänge des historischen Bewusstseins bei Rousseau und der Weber’sche Positivismus gehören. Während man in der „Tradition“ der zweiten Höhle ahnungslos gefangen sei, sei man der Tradition der ersten Höhle – der klassischen Tradition – ahnungslos entfremdet – vor allem wegen der Autorität der Offenbarungsreligionen. Die Chance, sich aus dieser Ahnungslosigkeit zu befreien, habe Nietzsche dadurch eröffnet, dass er alle Traditionen radikal negiert habe. Die biblische Religion, die das Denken in die zweite Höhle hineingetrieben habe, musste nicht mittels der Säkularisierung neutralisiert, sondern mitsamt der biblischen Moral entwurzelt werden (siehe Strauss 1981, 28). Dadurch, dass Nietzsche das Denken aller Autoritäten enthob, sei er dem Ziel der Aufklärung, sich von den versteinerten Autoritäten zu befreien, näher als irgendein Denker vor ihm gekommen.

Es war aber nicht lediglich der Einbruch der Offenbarungsreligion, der dazu beitrug, dass Vorurteile in der Philosophie den Platz der Vernunft einnehmen konnten (Strauss 1996, 328). Der Aufbruch der modernen Philosophie beruhte auf einem Verhältnis zur Politik, das sich von dem vormodernen drastisch unterschied und sukzessive zur Popularisierung und Politisierung der Philosophie führte. Die antiken Denker setzten voraus, dass Philosophie transpolitisch, transgesellschaftlich und transmoralisch sei,Footnote 20 während eine politische Gemeinde all diese Zuschreibungen verkörpere. Im Gegenteil hätten die Modernen eine Brücke zwischen der Politik und den Philosophinnen geschlagen. Das philosophische Unternehmen wurde praktisch und auf gesellschaftlichen Nutzen (und politische Macht) ausgerichtet:Footnote 21 Um ihre gesellschaftspolitische Relevanz entfalten zu können, musste sich Philosophie der Mehrheit öffnen, populär werden. Die Politisierung der Philosophie ging mit ihrer Moralisierung, dem In-den-Dienst-der-Moral-Stellen einher (Strauss/Klein 1997, 463–465).

Der Strauss’sche Orientierungswandel habe in die der Popularisierung und Politisierung der Philosophie entgegengesetzte Richtung gehen wollen. Es war eine Wendung zur politischen Philosophie im sokratischen Sinne – der Philosophie, die mit und in der Herausforderung seitens der Politik und seitens der Religion existiere. Die Bedeutung des theologisch-politischen Problems für das Selbstverständnis der Philosophie und gar für ihr Bestehen hat sich für Strauss mittels des Studiums von Schriften Avicennas offenbart, anhand derer ihm die Bedeutung der philosophischen Betrachtung vom Gesetz in der Philosophie Platons klar wurde. Das Problem, das der theologisch-politischen Herausforderung, auch seitens der Offenbarungsreligion, zugrunde liege, sei demzufolge das des Konfliktes zwischen Philosophie und Gesetz − ob politisch oder theologisch begründet. Es sei ein Problem, das mit der Philosophie selbst und nicht erst mit dem geschichtlichen Einbruch der Offenbarungsreligion gleichaltrig sei. Das göttliche Gesetz wurde von arabischen Philosophen des Mittelalters, die Platon folgten, als ein politisches Problem aufgefasst: Es ging dabei um eine „umfassende Ordnung des Gemeinwesens, die Religion und Politik in sich vereint“ (Meier 1997, xviii–xx). Ob im positiven oder im Gottesrecht, das Gesetz stelle für Philosophie ein politisches Problem dar, und es bedürfe einer politischen Philosophie, um diesem Problem gerecht zu werden.Footnote 22

Es ist die Frage, wie sich die moderne Philosophie vor der politisch-religiösen Autorität legitimierte, die das Hobbes-Studium Strauss’ in seine damalige intellektuelle Entwicklung, die auch seine geistige widerspiegelte,Footnote 23 eingebunden hat.

Bevor seine Hobbes-Untersuchung in das Hauptwerk Hobbes’ politische Wissenschaft in ihrer Genesis mündeten, legte Strauss seine Überlegungen in kleineren Abhandlungen nieder, die auf unterschiedliche Schwerpunkte der Analyse ausgerichtet waren. Im „Vorwort zu einem geplanten Buch über Hobbes“ setzte er sich mit dem Spannungsverhältnis zwischen dem Rechtspositivismus und der Tradition des Naturrechtes auseinander und reflektierte Hobbes in diesem Licht. Hobbes’ Anschauungen stehen nur am Rande des Brennpunkts jeweiliger Abhandlung, mit der eher die generelle Lage der rechtswissenschaftlichen Debatte beleuchtet wird; dadurch unterscheidet sich das „Vorwort“ erheblich von den anderen Hobbes gewidmeten Schriften von Strauss, die dessen Philosophie, im Gegenteil, zum primären Untersuchungspunkt erhoben. Die in der kurzen Abhandlung zu findenden Einsichten sind besonders mit Ausblick auf Strauss’ spätere Studie Naturrecht und Geschichte von Bedeutung: In „Vorwort“ lassen sich der Umriss und die Leitlinien der in der Nachkriegszeit vollzogenen gründlicheren Untersuchung des Naturrechts finden. Aus dem „Vorwort“ geht hervor, dass Strauss bei seiner Untersuchung von Hobbes dessen Verhältnis zu der politikphilosophischen Tradition als der naturrechtlichen Tradition von Anfang an großes Gewicht beimaß: Er leitete seine Auseinandersetzung mit der Lehre Hobbes’ damit ein, dass er die Aktualität der damals vor allem von Hans Kelsen vorangetriebenen positivistisch-naturrechtlichen Debatte erhellte und Hobbes als eine der leitenden Figuren der naturrechtlichen Tradition hervorhob.

Das „Vorwort“ ist Strauss’ direkteste und gründlichste Auseinandersetzung mit dem Rechtspositivismus und der positivistischen Kritik der Naturrechtslehre. Knappe 40 Jahre vor ihrem Erscheinen wurde Carl Bergbohms Jurisprudenz und Rechtsphilosophie veröffentlicht, die „den Höhepunkt der Vorherrschaft des strengen Rechtspositivismus […] gegenüber jeder Form naturrechtlichen Denkens“ darstellte (Ebert o. J.). Auch Strauss schien diese Meinung zu teilen, weil er sich in seiner Betrachtung des Rechtspositivismus an der Jurisprudenz und Rechtsphilosophie als der „ausführlichste[n] und vollständigste[n] Kritik des Naturrechts“ orientierte (2008 c, 205 f.). Die „neuere Kritik“ am Naturrecht repräsentierten für Strauss wiederum Kelsens Philosophische Grundlagen der Naturrechtslehre und des Rechtspositivismus, die drei Jahre vor Strauss’ „Vorwort“ erschienen.

Strauss beschränkte sich nicht darauf, nur beispielsweise das ein oder andere Argument seiner theoretischen Gegner abzutun, um die Notwendigkeit zu begründen, die verbreitete Ablehnung der Naturrechtslehre zu hinterfragen. Er riss mehrere problematische Punkte an und erwiderte mit Gegenschlägen. Im Vordergrund der Auseinandersetzung stand für ihn die positivistische Behauptung, dass die „Naturrechte nur,Ideologien‘ seien, mit deren Hilfe die verschiedenen,Interessengruppen‘ ihre partikularen Bestrebungen zu universalen Forderungen umlügen“ (ebd., 201). Darauf antwortend gab sich Strauss damit nicht zufrieden, anzumerken, dass das Konzept der Ideologie selbst einen unabhängigen rechtlichen Maßstab und damit das Naturrecht voraussetze, weil es auf den Unterschied zwischen „öffentlich vertretbar“ und „öffentlich unvertretbar“ angewiesen sei. Er drehte den Vorwurf gegen das Naturrecht als Ideologie um und bezeichnete Rechtspositivismus alsIdeologie einer kryptomarxistischen Position“ (ebd., 204).

In dieser Diskussion verortete er die Hobbes’sche Position in einem doppelten Verhältnis – einerseits wurde Hobbes die Erschütterung des traditionellen Naturrechtes zugeschrieben (ebd., 201), andererseits wurde Hobbes dem Rechtspositivismus entgegengesetzt.Footnote 24 Das Letztere ergab sich, nachdem Strauss – im Einklang mit dem Zugeständnis von Kelsen selber – darauf verwiesen hatte, dass sich der Rechtspositivismus nur zur Stützung, zur Formgebung einer von sich aus funktionierenden Ordnung eigne, dass er nur für ruhige Zeit tauge (ebd., 204),Footnote 25 in der soziales Gleichgewicht zu verzeichnen sei und der Glaube an die Kultur (ebd., 210) keinen ernsthaften Erschütterungen ausgesetzt sei.Footnote 26

Seine Kritik daran, dass Rechtspositivismus Ruhe voraussetze, war von Strauss in zweierlei Hinsicht gemeint. Er orientierte sich damit an zwei miteinander verbundenen Deutungsmöglichkeiten davon, worin denn „Ruhe“ bestehe. Wenn Ruhe als politische Ruhe – als Frieden schlechthin – verstanden werde, dann verfehle das positivistisch verstandene und begründete Recht seine friedensstiftende Funktion, weil es „die ganze Gefährlichkeit der menschlichen Unruhe“ verkenne (ebd., 205). Das Recht, das aus der Perspektive der ruhigen Zeit etabliert werde, könne mit dieser Unruhe nicht fertigwerden. Positivismus unterbinde gar die Grundlage der Rechtsexistenz, denn aus ihm lasse sich keine Erkenntnis gewinnen „,dass und wie der Mensch Recht braucht“ (ebd., 205). Der Mensch brauche das Recht, weil es ihm „nicht vergönnt“ sei „,schlechthin ruhig zu leben“ (ebd., 204 f.). Diese Erkenntnis fand Strauss bei Hobbes – dieser konnte, Strauss zufolge, eine philosophische Begründung des Rechts deswegen leisten, weil er das „dieser Situation des Menschen“ angemessene Verhalten erfasst habe – durch eine neue Bestimmung des Naturrechtes (ebd., 205).

Andererseits bemerkte Strauss, dass sogar Kelsen selber auch in der „höchst unruhigen Gegenwart“ an seinen Rechtspositivismus glaubte (ebd., 204). Es komme also, stellte Strauss fest, zuletzt „nicht auf die Ruhe oder Unruhe der Zeit“ an „,sondern auf die Beruhigtheit oder Unberuhigtheit des Forschers“ (ebd., 204). Aus der Sicht der Naturrechtslehre, so wie sie von Strauss verstanden wurde, sei der Mensch „das Wesen, das eine absolute Unruhe in sich birgt“ (ebd., 206) und das deswegen auf Naturrecht angewiesen sei. Für Strauss bedeutete die „Unruhe“, neben den pessimistischeren Implikationen, auch die Fähigkeit „,radikal zu fragen“ und schlechthin „Mensch zu sein“ (ebd., 209).

Dies erkannte auch Bergbohm: „alle Menschen sind geborene Naturrechtsjuristen“ (1892, 122). Die Ablehnung des Naturrechts zugunsten von rechtlichem Positivismus erfordere daher nicht nur „eine Bändigung dunkler, tierischer Triebe“ (Strauss 2008 c, 206), sondern auch die „Fähigkeit zur schmerzlichen Verleugnung der edelsten menschlichen Regungen“ (Bergbohm 1892, 122). In dieser beidseitigen Anerkennung der Voraussetzung von rechtlichem Positivismus bestand zwischen Strauss und Bergbohm jedoch ein unauflösbarer Unterschied: Während die Aussage des Letzteren deskriptiver Art war, war Strauss’ Haltung normativ. Dies lässt sich jedoch auf den ersten Blick nicht erkennen, denn Strauss brachte seine moralische Bejahung des NaturrechtesFootnote 27 nicht im unmittelbaren Anschluss an, sondern im Abstand zu dem Thema der grundlegenden menschlichen „Unruhe“ zum Ausdruck. Indem er „Ruhe“ als zweiseitige Bedingung des Rechtspositivismus deutete – zum einen als politischen Zustand, zum anderen als innere Haltung des Menschen –, zeigte Strauss, dass der Konflikt zwischen Rechtspositivismus und Naturrechtslehre nicht nur ein rechtlicher, sondern ein politischer und ein moralischer sei.

Angesichts der Unruhe sei der Rechtspositivismus, der die Frage nach der richtigen Ordnung zugunsten der Legitimitätsfrage verwerfe – und gerade diese Frage sei diejenige, die sich, Strauss zufolge, angesichts der Anarchie aufdränge (2008 c, 201) –, mittel- und wehrlos. Angesichts der Feststellung, dass der Glaube an die Kultur in der zeitgenössischen sozialpolitischen Gemengelage „wankend geworden ist“ und sich damit der Zweifel am Recht ausgebreitet habe (ebd., 210), bezeichnete Strauss das Hobbes’sche Denken, in dem seiner Sicht nach die Frage nach dem richtigen Leben verankert war, als „wahrer, weil der unruhigen Situation des Menschen angemessener“ (ebd., 205). Das, was zunächst bloße Anerkennung von Hobbes’ nüchternem RealismusFootnote 28 zu sein scheint, der vor allem wegen der unruhigen politischen und geistigen Lage benötigt werde, ist nicht der einzige Grund für Strauss’ Einmischung in die Positivismus-Naturrecht-Debatte gewesen. Man beachte seine Feststellung, dass Hobbes eine philosophische Begründung des Rechts vollzogen habe und dass eine solche Begründung die einzige sei, aus welcher heraus „das zur Befriedigung des Menschen geschaffene Recht verstanden werden kann“ (ebd., 205). Die wichtigste These des „Vorwortes“ ist also, dass die Grundlegung des Staatsrechts, die Hobbes vollzogen habe, nicht nur für unruhige, sondern für alle Zeit tauge.

Im Gegensatz zum „Vorwort“ steht im Zentrum der 1933 veröffentlichten Abhandlung „Einige Anmerkungen über die politische Wissenschaft des Hobbes“ keine aktuelle politisch-rechtlich-philosophische Debatte; vielmehr befasste sich Strauss mit der Frage nach Hobbes’ einer und unteilbarer Gesinnung, aus der dessen sich widersprechende Thesen resultiert hätten (2008 a, 247). An dieser Stelle zeigt sich ein Kontrast darin, dass Schmitt in seinem Hauptwerk zu Hobbes ihn vor allem als politischen Lehrer gedeutet hat und wegen seiner politischen Zielrichtung schätzte,Footnote 29 während Strauss Hobbes primär als Vater moderner Politikwissenschaft, als einen Philosophen deutete.

Allerdings gab auch Strauss in seinem „Vorwort“ den Hinweis auf die Bedeutung der Untersuchung Hobbes’scher Theorie mit Blick auf die politische und gesellschaftliche Lage und stellte Bezüge zur Liberalismus-Debatte her. Dabei brachte er die „Meinung vieler“ zum Ausdruck, dass „der Liberalismus und die liberale Demokratie endgültig gescheitert sind“, und behauptete, dass sich sowohl die Kritik als auch die Begründung des Liberalismus auf Hobbes zurückverwiesen sehen müssten, wenn man „sich nicht mit halben Lösungen zufrieden geben“ möchte (ebd., 243 f. siehe S. 286 dieser Arbeit).

Zwar ergab sich der spezielle Anlass für „Einige Anmerkungen“ im Zusammenhang mit Zbigniew Lubienskis Grundlagen des ethisch-politischen Systems von Hobbes – Strauss’ Artikel ist unter anderem auch die Rezension dieses Werkes. Aber es besteht der Eindruck, dass die Auseinandersetzung mit Lubienski einer der weniger wichtigen Gründe für das Verfassen der Strauss’schen Abhandlung gewesen ist und vielmehr ein Anlass, die Ergebnisse der eigenen Untersuchungen zusammenzufassen. In der Tat hatte Strauss’ Typoskript der nie abgeschlossenen Politischen Wissenschaft des Hobbes. Eine Einführung in das Naturrecht schon Anfang Jahres 1932 – also vor dem Verfassen von „Einige Anmerkungen“, wie Meier zurückverfolgt hat (2008, ix-xi) – den Umfang von 100 Seiten sowie die Qualität, die zumindest Schmitt zu überzeugen vermochte (siehe die Fußnote Nr. 149).

In „Einige Anmerkungen“ ist leicht der rote Faden des Strauss’schen Hauptwerkes zu Hobbes − des realisierten Nachfolgers der nicht veröffentlichten Untersuchung – zu erkennen. Er zählte Hobbes’ charakteristische Behauptungen auf (Strauss 2008 a, 247), zu denen auch der Vorrang des Anspruchs vor der Verpflichtung – das Thema Strauss’ in der Nachkriegszeit wieder aufgenommener Auseinandersetzung mit der Genese, Entwicklung und dem Verfall der naturrechtlichen Tradition – gehörte. Auch äußerte er eine der wichtigsten Thesen seiner Hobbes-Deutung, dass dessen Naturalismus, den dieser selbst als eigenen Ansatz bekundete und damit viele Interpretinnen auch überzeugte „,am Ende nicht so,natürlich‘ ist“, dass also „die tiefsten anthropologischen und politischen Gedanken des Hobbes durch die nachträgliche naturwissenschaftliche Begründung eher verdeckt als geklärt werden“ (ebd., 250).

Die Studie Lubienskis veranlasste Strauss, sich mit der Begründung der Hobbes’schen Pflichtenlehre auseinanderzusetzen. Für Lubienski habe Hobbes in seiner Theorie die logische mit der psychologischen Begründung der Pflicht zu verbinden versucht (ebd., 254). Dies lehnte Strauss ab und suchte seinerseits eine einheitliche Quelle Hobbes’scher Moral, die er in dessen Auffassung der menschlichen Natur fand. Während sich Lubienski und andere Interpretinnen Hobbes’ damit befassten, wie sich Hobbes auf den widersinnigen Versuch einließ „,den normativen Charakter des Naturgesetzes mit einer positivistischen Weltanschauung, den Begriff des Sollens mit einer kausalen, deterministischen Naturauffassung [zu] vereinbaren“ (1932, 196), weil er „moderne, auf Erfahrung und psychologische Beobachtung gestützte Grundsätze mit Hilfe veralteter rationalistischer Argumente und Deduktionen“ darlegen wollte (ebd., 233), hielt Strauss diesen Untersuchungsansatz für irreführend. Er fand die für Hobbes grundlegende moralische Unterscheidung in dessen Auffassung des Menschen und nicht erst in seiner Auffassung der Bürgerin. Die Unterscheidung von „gerecht“ und „ungerecht“ werde bereits in der Lehre von Naturrecht und nicht erst in der Lehre des Naturgesetzes eingeführt (2008 a, 258).Footnote 30

Der Grund, weshalb dies von Lubienski und anderen nicht erkannt wurde, war, Strauss zufolge, die falsche Suche nach dem Grund der Pflicht in dem Gegensatz zwischen dem animalischen und dem vernünftigen Machtbegehren und seine Zurückführung auf den den Menschen determinierenden Selbsterhaltungstrieb (der mit dem natürlichen Gebot der Selbsterhaltung zusammenfalle). Dies führe nämlich nicht weiter als zur Feststellung, dass Hobbes’ Widersprüchlichkeit in der grundsätzlichen Unvereinbarkeit des Normativen mit dem Faktischen, des Gebotes mit der Gesetzmäßigkeit liege; d. h. in dem Versuch, das Unvereinbare zu vereinbaren. Im Gegensatz dazu behauptete Strauss, dass die Erhaltung des Lebens weder in der normativen noch in der deterministischen Betrachtung für Hobbes das Prinzip zu sein vermochte; vielmehr sei es die schon von Anfang an moralisch konzipierte Auffassung der menschlichen Natur gewesen, weshalb Hobbes den Menschen als zum Frieden verpflichtet darstellte (ebd., 255 f.; siehe 3.4 Die Hauptfrage und der Ansatz der Auseinandersetzung Strauss’ mit Hobbes. Die moralischen Grundlagen und ihre naturwissenschaftliche Darstellung).

Die den Artikel abschließenden Überlegungen greifen das Thema des Verhältnisses von Hobbes’scher Theorie zur theologischen Tradition auf, das Strauss zum Zentralthema in Der Religionskritik des Hobbes. Ein Beitrag zum Verständnis der Aufklärung gemacht hat. Die aus dem Jahr 1933 datierende, jedoch nie zu Ende geschriebeneFootnote 31 Schrift, zu der Hobbes’ politische Wissenschaft in ihrer Genesis überleiten musste, behandelt Hobbes’ Kritik der Offenbarung als die seiner Staatstheorie zugrunde liegende, als deren Grundlegung schlechthin (Strauss 2008 d, 272).

Strauss’ Analyse der Hobbes’schen Religionskritik ist, obgleich es um ein nie fertig geschriebenes Werk geht, sehr komplex und umfassend, darüber hinaus in einem sprachlich anspruchsvollen Stil verfasst – dies macht ihre Lektüre zu einer Herausforderung. Strauss setzte sich mit allen wesentlichen Aspekten der Hobbes’schen Religionskritik auseinander: dessen philosophischer Absicht; dem Verhältnis dieser Kritik zu dessen politischer Philosophie sowie dem zwischen Tradition politischer Theologie und der von Sokrates begründeten philosophischen Politik; der Methode und Argumentationsweise, in der die Hobbes’sche Kritik vollzogen worden ist; seinen wichtigsten Thesen, die er der gläubigen Weltsicht entgegenstellte, und den Einflüssen, die sich auf diese Kritik ausgewirkt hatten. Mittels eines Vergleiches von Hobbes mit Descartes stellte Strauss dar, inwiefern sich die Hobbes’sche Religionskritik als eine moderne von der antiken und von der mittelalterlichen unterschied. Dabei lautete seine wichtigste These, dass die Religionskritik Hobbes’ zwar typisch modern sei, jedoch nicht auf dem modernen Wissenschaftlichkeitsimperativ beruhe (ebd., 349).

Mit Nachdruck stellte Strauss fest, dass der Hobbes’sche Ansatz, aufgrund dessen dieser die Kritik explizit vollzog, nämlich, die Glaubwürdigkeit der Religion aufgrund von deren Unerkennbarkeit, Unbeweisbarkeit zu leugnen, seinen Unglauben nicht als Folge, sondern zur Voraussetzung hatte (ebd., 326 f.). Das Ziel, auf das Hobbes’ Widerstreiten der Erkennbarkeit von Gottes Worten oder von seinen Wundertaten ausgerichtet war, war die Leugnung selbst der Möglichkeit der Offenbarung und der Wunder:Footnote 32 „Welchen Sinn hat eine Offenbarung, d. h. die Offenbarung eines Gesetzes oder eines Evangeliums, die nur für den Offenbarungsbringer als solche erkennbar ist!“ (ebd., 334).

Aus dieser Unbegreiflichkeit folgerte Hobbes, dass die im Zusammenhang mit dem Offenbarungsglauben wesentliche Frage: woher wir wissen, dass die Schrift Gottes Wort sei – als überflüssig betrachtet werden könne.Footnote 33 Andererseits war die Erkennbarkeitsleugnung nur der erste Schritt Hobbes’scher Religionskritik. Konnte mit dem Argument der Unbeweisbarkeit und Unerkennbarkeit die Rolle der KircheFootnote 34 und vielleicht die Offenbarung selbst widerlegt werden, galt dies nicht auch für die natürliche Theologie. Diese fuße nämlich auf dem Prinzip, dass der Mensch auf die Offenbarung gar nicht angewiesen sei: Die Regeln des natürlichen Sittengesetzes vermöge er kraft seiner natürlichen Anlagen zu erkennen und demgemäß gerecht zu handeln (ebd., 331 f.).Footnote 35

Hobbes habe, so Strauss, sehr wohl nicht nur den Wahrheitsanspruch der Offenbarungsreligion (wie auch ihren politischen Anspruch), sondern auch denjenigen natürlicher Theologie bestritten − er leugnete „jegliche natürliche Gotteserkenntnis“ „,die mehr sein will als das Wissen, dass eine erste Ursache von schlechthin unerkennbarer Machtfülle existiert“ (Strauss 2008 b, 94). In diesem Rahmen sei auch sein Ausschluss der Theologie aus dem Bereich der Wissenschaften folgerichtig: denn die Wissenschaft musste sich laut Hobbes auf die Erforschung der sinnlich wahrzunehmenden wirksamen Ursachen beschränken – oder aber derjenigen, für die wiederum der Mensch selbst verantwortlich sei. „Der Regress von Ursache zu Ursache, jede tiefere Erforschung der natürlichen Ursachen macht den Menschen geneigt zu glauben, es gebe eine erste und ewige Ursache; diese nennen sie Gott“. Aber „Gott ist nicht [von Menschen selber] erzeugt“, und deswegen sei „eine Vorstellung (idea) von Gott […] unmöglich“ (Strauss 2008 k, 143).Footnote 36

Ganz anders war es bei Hobbes um die positive Religion bestellt: Diese „hat dem Staate zu dienen, und sie ist zu schätzen oder zu verwerfen, je nachdem sie dem Staate nützt oder schadet“ (Strauss 2008 b, 92 f.). In diesem Zusammenhang vollzog sich die Hobbes’sche Kritik der Propheten (Strauss 2008 d, 334–338). Sie hatte den politischen Sinn, vor Augen zu führen, dass es den Christinnen allein auf die Frage nach dem Souverän ankomme − die Anerkennung des Souveräns und Befolgung der gesetzlichen Ordnung (das heißt, nicht des Wortes Heiliger Schrift, der Kirche oder der Propheten, und nicht einmal des eigenen Gewissens) sei nicht weniger, aber auch nicht mehr als das, was eine Christin zu beachten habe (ebd., 300–302, 336 f.).

Ein weiteres Stück des Bildes, das sich Strauss von Hobbes’scher Religionskritik gemacht hatte, findet sich in der bereits 1930 entstandenen Studie zur Religionskritik Spinozas als Grundlage seiner Bibelwissenschaft. In dieser Schrift findet sich auch ein Kapitel zu Hobbes, mit dem Strauss’ Auseinandersetzung mit diesem überhaupt ihren Anfang nahm (Strauss 2008 b, 7). Hobbes’ Religionskritik wird hier im Zusammenhang mit dem Verhältnis zwischen der Physik und der Anthropologie in seiner Lehre erläutert.

Die Physik sah Hobbes in der Rolle, dem sinnlichen Genuss und der Macht zu dienen (2008 k, 132 f.). Darin – in der „unbegrenzte[n] Steigerung der Macht über Dinge und Menschen“ – liege menschliches Glück (ebd., 127 f.). Die Physik beruhe auf dem Vermögen der Vernunft, kausale Verhältnisse zu beobachten (ebd., 132 f.) – dem Vermögen, das im Widerspruch zum Glauben an die Offenbarung stehe. Auf dieser Ebene seiner Religionskritik lehnte Hobbes als Wissenschaftler, der nach wirkenden Ursachen suchte, Religion als unmethodisches Suchen nach wirkenden Ursachen ab, indem Physik als methodisches Suchen nach wirkenden Ursachen der Religion entgegengestellt wurde.

Die Auflehnung Hobbes’ gegen Religion war jedoch nicht bloß die Auflehnung gegen Religion als „Anti-Methode“, denn von der naturwissenschaftlichen Kritik der Religion leitete Strauss zu der anthropologischen Kritik der Religion über. Als Kultur der Natur hatte Physik, so Strauss, die Anthropologie als Moral- und Gemeinwesenswissen zur Voraussetzung (ebd., 129), weil dieses zum Frieden und daher Kultivierung aller anderen Wissenschaften nötig sei (ebd., 138) – es berücksichtige nämlich die wirksamen Ursachen menschlichen Handelns (ebd., 142), um Verhalten lenken zu können. So folgt dem Unterkapitel „Der Geist der Physik (Technik) und die Religion“ ein nächstes, dessen aussagekräftiger Titel −  „Der Geist des Staats (der Moral) und die Religion“ − auf den Gegensatz der von der Todesfurcht herrührenden Moral und der Religion als Produkt menschlicher Eitelkeit verweist (ebd., 138).Footnote 37

In dem nur wenig über 20 Seiten hinausgehenden Hobbes-Kapitel seiner Spinoza-Studie findet sich Strauss’ systematische Darstellung der grundlegenden Ideen und Zusammenhänge Hobbes’scher Lehre, die ein Zeugnis dafür liefert, dass er schon 1930 eine klare Vorstellung von wesentlichen Elementen seiner Hobbes-Interpretation hatte. Vor allem die Hobbes’sche Auffassung der menschlichen Natur vermochte Strauss darin so prägnant und treffend darzustellen, dass diese Darstellung sogar seine späteren Auseinandersetzungen mit Hobbes zu erhellen hilft.Footnote 38

Unter Strauss’ späteste Auseinandersetzungen mit Hobbes fallen nicht nur der ihm gewidmete Teil in Naturrecht und Geschichte (1953), sondern auch Spuren seines Interesses an Hobbes in Thoughts on Machiavelli (1958) „,The Three Waves of Modernity“ (1975) sowie in den Essaysammlungen The City and Man (1964) und Studies in Platonic Political Philosophy (1983). Außerdem leitete Strauss 1964 an der Universität Chicago ein Seminar über Hobbes’ De Cive und Leviathan, von dem 16 Audioaufnahmen erhalten geblieben sind (zu finden auf der Internetseite von The Leo Strauss Center, o. J.). Auch eine Vorlesung zu Leviathan aus dem Jahr 1962 ist bekannt. Diese wurde von Strauss nicht weiter zum Zwecke des Publizierens überarbeitet, jedoch auf Basis von zwei sich überdeckenden Transkripten und zusammen mit einer ebenfalls unveröffentlichten Platon-Vorlesung von Rasoul Namazi herausgegeben. Der Mehrwert dieses Textes sowie die Tatsache, dass er in schriftlicher Form vorliegt, sprechen dafür, ihn als eine weitere Primärquelle zu betrachten. Der Mehrwert besteht vor allem in dem Fokus auf den Widersprüchen Hobbes’scher Lehre, die Strauss in keinem der anderen Texte so konzentriert und eindeutig als eben Widersprüche herausgearbeitet hat. Dies ist nicht zu unterschätzen, denn es klärt eine darüber auf, welche Züge des Hobbes’schen Denkens seiner Interpretation nach als in sich einheitlich verstanden werden müssten − obwohl sie auf den ersten Blick einen Gegensatz darzustellen scheinen − und was wiederum von ihm als Diskrepanz gesehen wurde. Diese Widersprüche greife ich am Ende des Kapitels auf. Die Hobbes-Vorlesung ziehe ich zum Zweck des Vergleichs und der Erläuterung auch an anderen Stellen der Arbeit heran und verweise dabei auf den Artikel Namazis (2018).

Zu den Ergebnissen Strauss’ späterer Auseinandersetzung mit Hobbes zählen auch zwei Rezensionen prominenter Hobbes-Studien (1964 und 1965) sowie sein Artikel „On the Basis of Hobbes’s Political Philosophy“ (1959 in seiner Sammlung kleinerer Abhandlungen What Is Political Philosophy? And other studies veröffentlicht, hier als 1997 zitiert). Als letzte eigenständige Hobbes-bezogene Publikation ist das philosophiegeschichtliche Essay zugleich der Höchstpunkt seines langjährigen Unterfangens. Als Kommentar zu Polins Politique et philosophie chez Thomas Hobbes (1953) konzipiert, stellt auch diese Schrift ein Musterbeispiel Strauss’schen Kommentierens dar, das Anspruch auf tiefgründige philosophische Überlegegungen erkennen lässt (siehe Smith 2009 a, 6). Sie geht weit über einen Kommentar hinaus und bietet neben der Zusammenfassung der Hauptthesen und Argumentationslinien seines Hobbes-Studiums das, was er 1964 als die Einsicht in den „einfachen Leitgedanken der Hobbes’schen Lehre vom Menschen“Footnote 39 bezeichnete (Strauss 2008 b, 8 f.).

Der Leitgedanke des Hobbes’schen Menschenbildes – des Menschen als einziges frei denkendes Wesen, das dadurch sowohl zur Wissenschaft (sowie zur Befreiung vom Glauben) fähig sei als auch zu grenzenlosem Machtstreben – zeige einen doppelten Bruch. Gebrochen werde einerseits mit der klassischen teleologischen politischen Philosophie und ihrer Annahme der rationalen und sozialen Natur des Menschen und andererseits mit der theologischen Auffassung, die im Gegensatz zum Hobbes’schen Postulat eines souveränen Menschen stehe, der den einzigen Ausgangs- und Referenzpunkt einer Gesellschaftsordnung darstelle. Die für Hobbes deswegen sowohl problematischste als auch essenzielle Frage betreffe daher die Unterscheidung zwischen dem natürlichen und dem sozialen Mechanismus sowie die Position des Menschen darin (Strauss 1997, 175–177). Inwiefern ist das, was den Menschen von den brutes unterscheidet, auf die gegebene Natur zurückzuführen und inwiefern ist es wiederum vom Menschen selber hervorgebracht? Ist der Mensch der Schöpfer seiner selbst, macht sich der Mensch selbst zum Menschen?Footnote 40

Eine essenzielle Rolle komme dabei der Sprache zu (ebd., 175) – der Sprache als dem Menschen vorbehaltenes Vermögen, den Sachen willkürlich Namen und Bezeichnungen zu geben. Weil Hobbes die klassische Auffassung des Menschen als von Natur aus soziales Wesen verabschiedete, in der die Sprache die Verbindung zwischen dem Natürlichen und dem Sozial-Politischen darstellte, sei die Verbindung zwischen der Sprache und der Natur des Menschen bei ihm, so Strauss „,obskur“ geworden (ebd., 196). Wenn die Prämisse, dass der Mensch ein rationales und soziales Wesen zugleich sei, verworfen werde und dieses „zugleich“ sich in der Sprache zeige −  „speech points on the one hand to reason and on the other hand to society“ (Namazi 2018, 13), dann stelle sich die Frage, auf welche Weise die Sprache dem Menschen zur Gesellschaft verhelfe, wenn sie es nicht auf Basis einer natürlichen Verbindung tue.

Ein erheblicher Anteil Strauss’schen Textes von 1959 widmete sich den positivistischen (die Autorität der Bibel kraft der Autorität des Souveräns), konstruktivistischen (der Mensch könne nur das verstehen, was seiner eigenen Herstellung ist) und korporalistischen (das Ganze bestehe aus materiellen Körpern) Zügen Hobbes’scher Lehre (1997, 182–186). Auf dem korporalistischen Ansatz beruhe auch Hobbes’ Postulat des Monismus der Gewalten (ebd., 188). Darüber hinaus machte Strauss aufmerksam auf die Verbindung zwischen der These, dass es nur natürliche Körper geben könne (d. h., es könne nichts geben, was rein spiritueller Natur wäre), und der Behauptung, dass nur die individuellen Rechte primär und unveräußerlich seien (ebd., 193).

Neben den Auseinandersetzungen mit Polin und Lubienski, die Strauss als Anlass für seine Hobbes-Abhandlungen von 1932–1933 und 1959 nahm, hat er noch zwei andere Autoren einer ausführlicheren Kritik unterzogen. Beide sind in der Hobbes-Forschung gut bekannt.

1965 veröffentlichte Strauss die Rezension einer 1962 erschienenen Hobbes-Studie von Mintz, in der sich ihr Autor mit der Resonanz von Hobbes-Schriften auf dessen Zeitgenossen auseinandergesetzt hat. Strauss’ Kritik an dieser Schrift strahlt Entschlossenheit aus: z. B. in der dezidierten Ablehnung der These, dass Hobbes keinen substanziellen Einfluss auf die Denkentwicklung des 17. Jahrhunderts ausgeübt habe (dies sei eine sonderbare Blindheit, 1965 a, 254). An seiner Kritik zeigt sich, wie die Bewertung der frühesten Hobbes-Rezeptionen durch seine eigene Sicht auf Hobbes geprägt war – z. B. durch seine Unterscheidung zwischen einer für Hobbes spezifischen Naturrechtslehre und dem ethischen Relativismus, die Mintz so nicht getroffen hat und deswegen, so Strauss’ Urteil, die Reaktionen von Zeitgenossen Hobbes’ nicht angemessen einschätzen konnte.

Ein anderer für Strauss besonders wichtiger Gesichtspunkt Mintz’scher Analyse betraf den Hobbes’schen Materialismus, der für seine Zeitgenossen für die Wurzel seines Atheismus stand (Mintz, Samuel I.: The Hunting of Leviathan. Seventeenth-Century Reactions to the Materialism and Moral Philosophy of Thomas Hobbes. Cambridge: Cambridge University Press, 1962, 67, zit. nach Strauss 1965 a, 253). Auch in Bezug auf dieses Moment gingen die Urteile von Mintz und Strauss auseinander, denn der Erstere lehnte den Atheismus-Vorwurf gegen Hobbes ab – mit dem Argument der Bedeutung, die Hobbes der Heiligen Schrift zugemessen habe (ebd., 43, zit. nach Strauss 1965 a, 254; siehe auch Fußnote Nr. 29 in 2.2). Für Strauss stellte dies jedoch einen Fehlschluss dar, der aus dem Versäumnis resultiert hatte, über die Hobbes’sche Kritik am Klerus, die sich über Hobbes’ eigenständige Auslegung Heiliger Schrift vollzog, hinauszublicken (1965 a, 253). Dass die Forderung Hobbes’ zur Anerkennung der Autorität von Heiliger Schrift nur einen vorbereitenden Schritt auf dem Weg zur radikalen Kritik der Religion darstellte, begründete Strauss seinerseits, wie schon skizziert, in seiner Religionskritik des Hobbes.

Eine besondere Stellung in Strauss’ Auseinandersetzung mit dem zeitgenössischen Forschungsstand gebührt Macphersons Political Theory of Possessive Individualism: Hobbes to Locke. Die im Jahr 1962 erschienene Schrift hat Strauss nicht nur zur Pflichtlektüre seines Hobbes-Seminars hinzugefügt – als die einzige Sekundärquelle (!) (The Leo Strauss Center, o. J.) –; sondern es war auch sein expliziter Wunsch, die Rezension dieses Werkes, die zum ersten Mal 1964 in Southwestern Social Science Quarterly erschien, zu der posthum veröffentlichten Sammlung Studies in Platonic Political Philosophy hinzugefügt zu haben (Cropsey 1983, vii).

Das Interesse Strauss’ am Werk Macphersons lässt sich teilweise nachvollziehen aufgrund der allgemeinen Resonanz, die The Political Theory of Possessive Individualism: Hobbes to Locke in der Öffentlichkeit gefunden hat. Die allgemeine Popularität kann jedoch kaum der einzige oder gewichtigste Grund gewesen sein. Viel wahrscheinlicher ist, dass die Interpretation Macphersons für Strauss einen Vergleichspunkt darstellte, durch dessen scharfen Kontrast zu der eigenen Deutung von Hobbes die Letztere nochmals und klarer zur Geltung gebracht werden konnte.

Die Kernthese der Hobbes-Studie Macphersons aus dem Jahr 1962 war die über die Abhängigkeit Hobbes’scher Auffassung des Menschen und seines Konzeptes des Naturzustands von seiner unausgesprochenen Annahme possessiven Individualismus, die wiederum der Spiegel einer sich formierenden bourgeoisen Marktgesellschaft war (Zagorin 1990, 326). Von dieser sei die Entwicklung des Liberalismus und liberaler Demokratie nicht zu trennen, weil sie zur Voraussetzung die Auffassung habe, dass der Mensch seine Freiheit und Humanität dem Eigentumsrecht auf die eigene Person verdanke und dass es nur eine Reihe von Marktverhältnissen sei, was die Gesellschaft ausmache. Der ursprüngliche Anspruch Hobbes’, das Wesen der Gesellschaft − jeder Gesellschaft – vor Augen zu führen, lief, so Macpherson, ins Leere, weil Hobbes an dem Bild einer bestimmten Gesellschaftsform festhielt. Er habe daher nicht die Essenz der Gesellschaft an sich, sondern die der Eigentumsmarktgesellschaft erfasst. Dementsprechend war das Hobbes’sche Bild der Natur des Menschen für Macpherson ein Bild der „historisch erworbenen Natur des Menschen in den bestehenden bürgerlichen Gesellschaften“ (2008, 107). Es sei kein natürlicher Mensch, der sich im Naturzustand im Krieg eines jeden gegen jeden befinde, sondern „ein zivilisierter Mensch, nur ohne Beschränkung durch Gesetze“ (ebd., 113).

Der Naturzustand schildere also das „Potenzial“ der bürgerlichen Natur – des ihr inhärenten Konkurrenztriebes, der Ruhmsucht, des Misstrauens – im außergesetzlichen, anarchischen Zustand „,im freien Lauf“, ohne Furcht vor souveräner Macht. Was unter Bedingung souveräner Macht lediglich zur Konkurrenz und Antipathie führe, würde sonst im Zustand des Krieges enden (ebd., 108–113). Die Eigentumsmarktgesellschaft sei die einzige „,die den Ansprüchen der Hobbesschen Argumentation genügt“ (ebd., 117), und mit einem guten Grund: Letztlich mussten sich die Menschen in dem von ihm gezeichneten Bild wiedererkennen können. „[N]ur insoweit das menschliche Verhalten im hypothetischen Naturzustand mit dem notwendigen Verhalten in der Gesellschaft korrespondierte, konnte die aus dem Naturzustandsbild gewonnene Erkenntnis irgendwelche Gültigkeit für die bereits in einer […] Gesellschaft lebenden Menschen haben“ (ebd., 125).

Für Strauss dagegen sah das Verhältnis von Hobbes’ anthropologischen Anschauungen und den wirtschaftlich-sozialen Bedingungen seiner Zeit umgekehrt aus: Das Menschenbild Hobbes’ habe sich zwar möglicherweise fördernd auf die Entwicklung der possessiven Marktgesellschaft ausgewirkt. Es sei jedoch von Macpherson nicht bewiesen worden, dass sich dieses Menschenbild nur in Bezug auf diese partikulare Gesellschaftsform nachvollziehen lasse (1983, 229 f.).

3.3 Hobbes-Deutung bei Strauss in ihrem zeithistorischen Forschungskontext

Das Erscheinen von Hobbes’ politischer Wissenschaft in ihrer Genesis in der englischen Fassung 1936 ist in der Hobbes-Forschung nicht untergegangen und wurde, im Gegenteil, mit einigem Feedback aufgenommen; genauso wurden Rezensionen auch zu ihren erneuten Ausgaben in 1952 und 1963 geschrieben. In diesem Unterkapitel sollen die Stimmen, unter denen sich sowohl gutheißende als auch kritische finden, in ihren wichtigsten Punkten wiedergegeben werden. Im Fall einer ausführlichen und sehr kritischen Besprechung Winfried Dallmayrs möchte ich auf seine Kritikpunkte zudem mittels des Rückgriffes auf den Text von Strauss eingehen.

Unter den überwiegend positiven Rezensionsbeiträgen zu The Political Philosophy of Hobbes. Its Basis and Its Genesis ist vor allem das Essay Oakeshotts aus dem Jahr 1937 zu erwähnen. Als „Dr. Leo Strauss on Hobbes“ hat es sich in Oakeshotts renommiertes Hobbes on Civil Association eingefunden. In seiner Besprechung hat Oakeshott die Strauss’sche Deutung von Hobbes in vier Thesen zusammengefasst. Einer von ihnen gebührt hier besondere Aufmerksamkeit, weil sie die Einbettung der Strauss’schen Untersuchungen in dem von ihm vorgefundenen Forschungskontext betrifft.

Was Strauss, so Oakeshott, versucht habe, war zu beweisen, dass die philosophische Entwicklung Hobbes’ in drei Phasen gegliedert werden könne:

  • 1) die frühe (Ausbildung in Oxford);

  • 2) die „humanistische“ (von 1608 bis ca. 1630; Studium der Literatur und der Geschichte, vor allem der Übermittlungen Thukydides’; eine vorläufige Annäherung an die Normen der klassischen politischen Philosophie);

  • 3) die späte (von 1630 bis 1679), die mit Hobbes’ Entdeckung der Elemente Euklids anfing und sich durch die Vereinnahmung der modernen wissenschaftlichen Methodik des Letzteren sowie Galileis auszeichnete (Oakeshott 2000, 143f.).

Diese Gliederung, merkte Oakeshott an, gehe zwar auf die Forschung Robertsons zurück. In der Deutung des Letzteren hatte sie aber eher eine biographische Bedeutung, während sie für Strauss vor allem in Bezug auf das systematische Verständnis Hobbes’scher Lehre von Belang war (ebd., 150). Die Gemeinsamkeit des Robertson’schen und des Strauss’schen Ansatzes erstreckt sich jedoch über die Übereinkunft hinsichtlich der historischen Einteilung Hobbes’schen Lebens und Schaffens hinaus: In dem Verzeichnis der Hobbes-Literatur von Hinnant wird Hobbes’ politische Wissenschaft in ihrer Genesis als ein Werk bezeichnet, das die These Robertsons weiterentwickelte, die politischen Ideen Hobbes’ seien ausgereift gewesen, ehe er zum Philosophen wurde (1980, 113, auch 1977, 170).

Die Lektüre des Werkes von Robertson aus dem Jahr 1886 (Hobbes) bestätigt diese Einschätzung. Der Autor hielt es für „a conclusion of first importance“ (Robertson 1886, 52), dass Hobbes zu den für ihn charakteristischen Einstellungen über den Menschen und über Politik noch vor 1628 kam – „many of his observations on human nature made, perhaps some of his most characteristic opinions formed, but all lying unstrung in his mind“ (ebd., 25). Hobbes’ Interesse an der mechanistischen Erklärung der Natur lasse sich erst ab 1628 nachweisen; wenngleich die Doktrin der Bewegung möglicherweise schon früher seine Aufmerksamkeit erregt hatte, kam es erst später zu ihrem systematischen Studium (ebd., 34 f.). Außerdem räumte Robertson, ganz im Strauss’schen Sinne, auf mit der These über den entscheidenden Einfluss des Englischen Bürgerkrieges auf das Denken Hobbes’: „It did not need the actual outbreak of civil war, acting upon a timorous nature, to give him his conviction of the strength of the anti-social impulses in man, and of the necessity for an absolute political authority to repress them“ (ebd., 52). Die sich einige Jahre vor dem Ausbruch des Bürgerkrieges lang anspannende politische Lage habe Hobbes nur so weit beeinflusst, dass er die Darlegung seiner physikalischen und anthropologischen Lehren teilweise aufgeschoben und die Herausgabe seiner politischen Schrift beschleunigt habe (ebd., 50).Footnote 41

In den Texten von Strauss selber ist der Einfluss Robertsons nicht explizit dokumentiert – in keiner der Schriften, in denen sich Strauss mit Hobbes auseinandergesetzt hat, findet sich auf ihn ein Verweis. Lediglich in einem Brief an Klein hat Strauss darauf hingewiesen, dass sich bei Laird und Robertson „brauchbare Darstellungen“ der Hobbes’schen Auseinandersetzung mit dem Mathematiker John Wallis fänden (2008 e, 526). Während sich Strauss über das Buch von LairdFootnote 42 missbilligend äußerte,Footnote 43 hatte er zu Robertson keinen Kommentar abgegeben. Das lässt wiederum die Frage offen, ob er dessen Werk überhaupt gründlich gelesen oder nur durchgeblättert hat und dabei auf die Darstellung der Hobbes-Wallis-Kontroverse stieß.

Dem Buch Strauss’ galt seitens Oakeshotts großes Lob: „I regard it“, schrieb er „,as the most original book on Hobbes which has appeared for many years“ (2000, 141). Strauss’ wichtigste Leistung, so Oakeshott, bestehe in der Demonstration, dass Hobbes das Recht und Unrecht unabhängig von den positiven Gesetzen unterschieden habe und dass Hobbes’ politische Philosophie nicht von der naturalistischen Prägung sei, die ihr oft zugerechnet werde. Keineswegs sei diese Philosophie, kritisierte Oakeshott Strauss allerdings, bloß „moralisch“, wie Strauss es zu beweisen versuchte. Für seine Theorie suchte Hobbes, laut Oakeshott, eine festere Grundlage. Auch das Postulat der Selbstsucht des Menschen war für Hobbes kein moralisches, sondern ein erkenntnistheoretisches – Hobbes war es nämlich nicht darum gegangen, die natürliche Welt an sich wissenschaftlich zu erklären, sondern darum, wie die Welt sein müsste, damit wir irgendeine Art Kenntnis über sie gewinnen könnten (ebd., 152 f.).

Strauss wurde Hobbes nicht gerecht, wendete Oakeshott ferner ein, als er das Naturwissenschaftliche bei Hobbes mit der resolutiv-kompositiven Methode Galileis gleichsetzte, d. h. mit seiner Entdeckung, dass mit den experimentell zu beweisenden „laws of motion“ und allgemeinen mathematischen Prinzipien die ganze physische Welt zu erklären sei (Robertson 1886, 41 f.). Die Verdrängung des Konzeptes der Eitelkeit durch den neutralen Begriff des Machtdrangs war nicht eine Folge der Aneignung von wissenschaftlicher Methode, die der ursprünglichen Gesinnung Hobbes’ fremd gewesen wäre, argumentierte Oakeshott, sondern ein authentischer Schritt in der Entwicklung dieser Gesinnung (2000, 152 f.; zu Strauss’scher Position zur Frage, inwiefern das Verhältnis Hobbes’ Morallehre zu der neuen wissenschaftlichen Methode nicht nur einen Widerspruch darstelle, sondern auch eine Konsequenz, siehe 3.6 Die neue politische Wissenschaft Hobbes’ in ihrem Verhältnis zu der naturwissenschaftlichen Methode und zur Tradition). Auch die Strauss’sche Darstellung des Verhältnisses der Lehre Hobbes’ zur Tradition verfehlte es, Oakeshott gänzlich zu überzeugen (ebd., 154). Darüber hinaus positionierte sich der Rezensent bezüglich der Bezeichnung Hobbes’ als Gründer der modernen politischen Philosophie reserviert: „A writer so completely devoid of satisfactory philosophy of volition“, schrieb Oakeshott „,lacks something vital to modern political thought“ (ebd., 158).

Auch George H. Sabine hat in seiner Rezension in The Philosophical Review die von Strauss vorgenommene Unterscheidung zwischen der Tradition des Naturrechtes vor Hobbes und der von ihm begründeten modernen Lehre relativiert. Schon vor Hobbes, behauptete Sabine, habe das naturrechtliche Denken den Einfluss mathematischer Methode und des Individualismus erfahren. Es sei außerdem nicht zutreffend, dass die Hobbes’sche Trennung des Konzepts des Naturrechtes von dem des Naturgesetzes und die Ersetzung des Letzteren durch das Erstere so einflussreich gewesen sei, dass das Letztere dadurch verfallen und in Vergessenheit geraten wäre. Die Identifikation des Naturrechtes mit dem Naturgesetz (d. h. mit der Pflicht) wurde auch nach Hobbes fortgesetzt. Das naturrechtliche Denken habe sich trotz Hobbes von dem Konzept der dem Menschen transzendenten Quelle der Gerechtigkeit nie konsequent losgesagt (Sabine 1938, 92).Footnote 44

16 Jahre später wurde die zweite Auflage von Hobbes’ politischer Wissenschaft in ihrer Genesis in The Times Literary Supplement von einem anonymen Kommentator willkommen geheißen – „the more so, if it encourages students to disregard more recent sub-Hegelian commentators and return to the setting and the personality of the man himself“ (o. A. 1953, 257 – im Literaturverzeichnis unter „Sardonic Philosopher“ zu finden). 1966 und 1968 erschienen seitens Dallmayrs und Goldsmiths (siehe Goldsmith 2011, 69–72) wiederum äußerst kritische Kommentarbeiträge. Vor allem der Erstere stellt den wohl ausführlichsten und einen im Großen und Ganzen gelungenen Versuch einer Kritik an der Hobbes-Deutung Strauss’ dar, auch wenn er an dem einen oder anderen Punkt den vagen Eindruck erweckt, dass ihr Autor es von Anfang an nicht vorhatte, sich von Strauss überzeugen zu lassen.Footnote 45 Zwar lässt Dallmayr ein faires Gleichgewicht vermissen zwischen kritischer Hinterfragung und dem Bemühen, den zu kommentierenden Text ohne Vorbehalte und mit Blick auf die Absicht seines Autors zu verstehen. Dennoch ist ihm der Versuch einer grundlegenden und umfassenden Dekonstruktion Strauss’scher These anzuerkennen, und nicht nur ein Set beiläufiger kritischer Anmerkungen. Der Hauptschlag der Kritik Dallmayrs besteht in der Hinterfragung der Strauss’schen Darlegung von grundlegenden Annahmen Hobbes’ als moralisch. Der Grund dafür war, dass Dallmayr die von Strauss angeblich gezogene Unterscheidung zwischen dem Naturalistisch-Externen und dem Anthropologisch-Internen bei Hobbes als sowohl für diesen unzutreffend als auch an sich nicht aufrechtzuerhalten ablehnte. Bevor ich diesen Aspekt aufgreife, möchte ich als nächstes auf einige Punkte geringerer Tragweite eingehen, in denen man der Kritik Dallmayrs nicht vorbehaltlos zustimmen kann.

Zunächst warf er Strauss vor, dass dieser den Begriff „Tradition“ „in a somewhat indiscriminate manner“ nutzte „,i.e. without always indicating which kind of,tradition‘ (Platonic, Aristotelian, Stoic, etc.) he has in mind“ (1966, 28; vgl. Oakeshott 2000, 154). Dies stimmt insofern, als dass sich Strauss gelegentlich auf die Hinweise „antik“ oder „biblisch-christlich“ beschränkte (bspw. 2008 b, 17). Es scheint mir aber keineswegs so zu sein, dass der Verzicht auf eine jedes Mal erneut erfolgende nähere Bestimmung ein Defizit darstellen muss. Außerdem erübrigt sich die Frage danach, was Strauss mit „Tradition“ im Sinn hatte, durch seine ausführliche Darlegung des ideellen Verhältnisses zwischen Hobbes und Aristoteles. In der Kritik Dallmayrs spielt sowohl diese als auch die Darstellung der Hobbes’schen Wendung von Aristoteles zu Platon und der Zusammenhang dieser Wendung mit Hobbes’ Aneignung wissenschaftlicher Methode keine Rolle, obwohl die These Strauss’ in dieser Hinsicht klar und eindeutig formuliert ist: „Jedenfalls ergibt sich aus dem spezifischen Platonischen Ansatz – aus der Wendung zur Sprache in ihrer Widersprüchlichkeit – die Forderung einer exakten und damit paradoxen Politik“ (ebd., 165 f.; siehe 3.6 Die neue politische Wissenschaft Hobbes’ in ihrem Verhältnis zu der naturwissenschaftlichen Methode und zur Tradition).

Außerdem erhob Dallmayr die Kritik, Strauss fasse den Menschen in der politischen Lehre Hobbes’ als reinen Geist, als „spirit“, auf (1966, 41). Einerseits lässt sich dieser Eindruck nachvollziehen. Andererseits ist aus der Interpretation Strauss’ genauso herauszulesen, dass er die Dualität des Menschen als natürlicher Körper einerseits und Bürgerin des Staates andererseits nur deswegen zugespitzt darstellte, um Hobbes’ Analytik zu veranschaulichen, und nicht, weil er die Ansicht vertrat, Hobbes hatte behaupten wollen, dass der Mensch aufhöre, ein corpus naturale zu sein, sobald er dem Staat beitrete (so die Kritik von Dallmayr, ebd., 34; um sich einen eigenen Eindruck von der Position Strauss’ zu verschaffen, siehe 2008 b, 20 f., 172). An der Strauss’schen Darstellung der Anthropologie Hobbes’ kritisierte Dallmayr nicht nur, dass er bei Hobbes angeblich das Heraustrennen des Menschen aus seiner natürlichen Gestalt hineininterpretierte (was ich eher als ein veranschaulichendes Mittel als eine These auffassen würde), sondern auch den Kern der Strauss’schen Interpretation des Hobbes’schen Menschenbildes. An diesem Punkt trifft die Diagnose Dallmayrs zwar völlig zu – Strauss behauptete in der Tat, dass die natürliche Begierde des Menschen Eitelkeit und nicht ein moralisch bis zu einer gewissen Grenze akzeptables Streben nach Genuss und Macht sei und dass dies die Grundlage von Hobbes’ Auffassung des Menschen als von Natur aus moralisch böse war. Jedoch muss über die Gegenargumentation Dallmayrs an dieser Stelle gesagt werden, dass sie schon an sich Zweifel hervorruft, ohne dass man überhaupt auf die Texte Hobbes’ für ein fundiertes Urteil darüber zurückgreifen müsste.Footnote 46

Der Einwand Dallmayrs gegen Strauss, der noch am ehesten überzeugt, betrifft den Aspekt der Vernunft – natural reason. Wie der Rezensent es richtig wiedergibt, kam Strauss zu dem Schluss, dass die natürliche Vernunft bei Hobbes mit der Furcht vor dem gewaltsamen Tode gleichzusetzen sei. Diese Gleichsetzung einer Leidenschaft mit der Vernunft hielt Dallmayr für falsch und führte dazu gute Argumente an: Zum ersten sei Furcht eine Leidenschaft, und wenn, wie Strauss es auffasste, alle Leidenschaften nur Modifikationen der Grundleidenschaft Eitelkeit seien, dann sei es nicht vertretbar, die Todesfurcht gleichzeitig für vernünftig zu erklären (Dallmayr 1966, 49–51). Auf dieses Argument gehe ich in einem der folgenden Abschnitte ein. Zum zweiten war der Tod für Hobbes, schrieb Dallmayr, nicht nur als gewaltsamer Tod das primäre Übel, sondern auch als natürlicher und qualfreier. Hobbes war, so Dallmayr, nicht der Meinung, dass Mord ein größeres Übel als ein natürlicher Tod darstelle (ebd., 56 f.).Footnote 47 Der Grund, weshalb Hobbes den Nachdruck auf gewaltsamen Tod legte, als er die Vorteile souveräner Ordnung darstellte, war laut Dallmayr durch den Zweck seiner Lehre bedingt: Während der natürliche Tod grundsätzlich nicht vermieden werden kann, mache der Staat das Sterben durch die Hand des anderen durchaus vermeidbar.

Diesem Kritikpunkt kann man nur entgegensetzen, dass er für und nicht gegen die Strauss’sche Auslegung der Hobbes’schen Anthropologie spricht (mehr zu der Interpretation Strauss’ von der Bedeutung der Todesfurcht bei Hobbes siehe Abschn. 2.3 Hauptfrage und Ansatz der Auseinandersetzung Schmitts mit der Hobbes’schen Lehre, insb. S. 209 und 212). Dies nicht einzusehen kann nur einer ganz wortwörtlichen oder von vornherein ablehnenden Lesart geschuldet sein. Überhaupt ist die Strauss’sche Behandlung dieser Problematik gar nicht so primitiv und unreflektiert, wie die Kritik Dallmayrs möglicherweise suggeriert. Das, was an der Strauss’schen Argumentation auf den ersten Blick als Widersprüchlichkeit erscheint, stellt sich oft als Teil dialektischer Argumentation heraus. Es ist daher irreführend, seine einzelnen Thesen, Argumente oder Positionen aus diesem argumentativen „Verlauf“ herauszugreifen, ohne die Gesamtheit der Darstellung im Hinterkopf zu behalten. Nur wenn man sich klar gemacht hat, bei welcher Frage Strauss anfing und bei welcher These er aufhörte, kann man seinen einzelnen argumentativen Zwischenschritten gerecht werden – denn er hat in den meisten Fällen seinen Leserinnen nicht direkt das Ergebnis seiner Analyse präsentiert, sondern den Weg dorthin angeboten. Außerdem ist zwischen dem zu unterscheiden, was Strauss von Hobbes wusste, und dem, was er aktiv in einem konkreten Fall der Argumentation verwendete.

Vor diesem Hintergrund und in Bezug auf den letzten Kritikpunkt muss man feststellen, dass Dallmayrs Erkenntnisse über Hobbes zwar richtig sind, jedoch der Position Strauss’ nicht ihre Geltung entziehen. Vor allem gibt es keinen Grund für den Vorwurf, dass „Strauss does not properly tackle the question of,natural reason‘ at all“ (ebd., 49). Im Gegenteil ist Strauss diesen Aspekt ausführlich angegangen – die Frage, weshalb die naturalistische Begründung, die das Postulat der natürlichen Vernunft auf das Prinzip der Selbsterhaltung zurückführe, für die Gesinnung Hobbes’ nicht ausreichend und nicht entscheidend war (siehe S. 227).

Zwar stimmt es, dass Strauss für einige Irritation verantwortlich gemacht werden kann, weil seine Aussagen über die Todesfurcht als „vor-vernünftig“ (bspw. 2008 b, 30, 35) als Widerspruch zu denjenigen Aussagen gesehen werden können, die die Todesfurcht als „Postulat der natürlichen Vernunft“ darstellen (bspw. ebd., 35). Jedoch hat Strauss diesen „Widerspruch“ selbst aufgelöst, indem er schilderte, dass Hobbes den Gegensatz zwischen Todesfurcht und Eitelkeit zunächst als einen Gegensatz zwischen den Leidenschaften auffasste und erst „[i]nfolge seiner Wendung zu Platon, und demnächst zur Stoa“ dazu kam, ihn als einen zwischen Leidenschaft und Vernunft zu denken. Erst dann fing Hobbes an, alle Leidenschaften als Modifikationen der Eitelkeit zu begreifen und die Todesfurcht mit der Vernunft zu identifizieren. Die Todesfurcht als Vernunft, so Strauss, wurde von Hobbes als einerseits „über den Leidenschaften“, andererseits „im Einklang mit den Leidenschaften“ stehend aufgefasst,Footnote 48 um als Postulat auch „unter den ungünstigsten Umständen anwendbar“ zu sein (ebd., 170 f.).

Was Dallmayr als Kern seiner Kritik bezeichnete, worauf seine ausführliche Kritik hinauslief, war, wie erwähnt, seine Ablehnung der Strauss’schen Unterscheidung zwischen natürlichen und nicht natürlichen Leidenschaften des Menschen in der Hobbes’schen Lehre und ihrer Gleichsetzung mit dem dem Menschen Äußerlichen und Innerlichen. Diese Unterscheidung war Hobbes, so Dallmayr, unbekannt, und gerade weil Hobbes zwischen natürlichen und nicht natürlichen Trieben nicht unterschied, konnte er andererseits zwischen rationalen und irrationalen unterscheiden. Die Unterscheidung, so Dallmayr, sei daher nicht nur in Bezug auf die Lehre Hobbes’, sondern auch an sich unhaltbar (1966, 42–44). Diese Kritik gilt nur unter der Voraussetzung, dass man wie Dallmayr von dem anscheinend sehr weit gefassten Begriff von „natürlich“ ausgeht. Wie es scheint, setzte Dallmayr schlechthin alles, was über einen Menschen gesagt werden kann, mit „natürlich“ gleich. Im Gegensatz dazu war für Strauss der Unterschied zwischen dem, was dem Menschen angeboren sei, was ihm vor allen äußeren Anlässen, vor aller Erfahrung und allen Beziehungen gegeben sei, und dem Rest entscheidend – das Erstere bezeichnete er als „natürlich“ (2008 b, 23). Diesen Begriff verwendete er für die natürliche Begierde, die ein unvernünftiges (weil eitles) Streben nach Macht sei. Dagegen konnte das vernünftige Streben nach Macht nicht in diesem Sinne natürlich sein, weil Vernunft bei Hobbes ein Produkt der Kultivierung und Zucht sei. Schaut man sich das 5. Kapitel des I. Teiles von Leviathan an, wird einer klar, weshalb die von Strauss gezogene Trennlinie zwischen „natürlich“ und „vernünftig“ sinnvoll ist: „Und wie deshalb im Fall einer Streitigkeit bei einer Berechnung die Parteien aus eigenem Antrieb als rechte Vernunft die Vernunft eines Unparteiischen oder Richters einsetzen müssen, an dessen Urteil sie sich beide halten, andernfalls ihre Streitigkeit in Ermangelung einer von der Natur eingesetzten rechten Vernunft zu Tätlichkeiten führen oder unentschieden bleiben muss, so ist es auch bei allen Disputen jeder Art“ (meine Hervorhebung, 33 f.); „[D]ass uns die Vernunft weder angeboren ist wie Empfindung und Erinnerung noch lediglich erlangt wird wie die Klugheit, sondern durch Fleiß erworben“ (ebd., 37). Was Strauss’ Verwendung des Begriffes „natürlich“ anbelangt, so ist dieses Verständnis in Rückbezug auf Hobbes durchaus nachvollziehbar, auch wenn es selbstverständlich alternative, auf Hobbes aber weniger zutreffende Weisen gibt, das dem Menschen Natürliche abzustecken.Footnote 49

3.4 Die Hauptfrage und der Ansatz der Auseinandersetzung Strauss’ mit Hobbes. Die moralischen Grundlagen und ihre naturwissenschaftliche Darstellung

Die drei Jahre vor Schmitts Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes erschienene und Hobbes gewidmete Studie Strauss’Footnote 50 trägt einen Titel, der einerseits seltsam anmutet, andererseits hinsichtlich der Hauptfrage bzw. des Hauptanliegens seines Autors aufschlussreich ist. In seiner Studie nahm sich Strauss nicht „nur“ die Rekonstruktion der Hobbes’schen Lehre in ihrer ausgereiften Form – so wie man sie aus Hobbes’ Leviathan kennt – vor, sondern auch die Untersuchung „,wie und woraus sich diese Lehre in Hobbes’ Geist gebildet hat“ (2008 b, 8).Footnote 51

Was Strauss dazu angeregt hat, die Untersuchung bzw. Auseinandersetzung mit dem Hobbes-Studium zu beginnen, war die Annahme bzw. Vermutung, dass Hobbes von entscheidender Bedeutung in der „Auseinandersetzung der Modernen mit den Alten“Footnote 52 gewesen sei (The Leo Strauss Center, o. J. a). Die Untersuchung der Entstehungsvoraussetzungen und Entwicklung der modernen politischen Wissenschaft bzw. der modernen politischen Philosophie im Gegensatz zu der klassischen war eine der Leitlinien von Strauss’ gesamtem Schaffen. Es waren die Problematiken, die sich in der Gesamtheit der politisch-philosophischen Überlegungen Strauss’ widerspiegeln, von denen dessen Analyse des Hobbes angeregt und vorangetrieben wurde und welche daher unvermeidlich mit einer oder einigen Zielsetzungen von Strauss als Denker verbunden war.

In seinem 1964 geschriebenen Vorwort zu der deutschen Erstausgabe von Hobbes’ politischer Wissenschaft in ihrer Genesis bestätigte Strauss dies, indem er einige Details über die Entstehungsgeschichte, die Genese seines eigenen Werkes offenlegte. Es waren zum einen Schmitts Hobbes-Interpretation sowie sein Spinoza-Studium, was seine Hobbes-Untersuchungen angeregt habe (Strauss 2008 b, 7),Footnote 53 zum anderen die Diagnose der Krise modernen Denkens, die sich an dem Verlust des Selbstvertrauens und der Gewissheit „,einen entscheidenden Fortschritt gegenüber vormodernem Denken gemacht zu haben“ (ebd., 9; siehe auch S. 180 dieser Arbeit sowie die Fußnote Nr. 300), sowie an seiner Degeneration zum Nihilismus zeigte. An dieser Krise offenbarte sich für Strauss die Aktualität und Bedeutung der Hobbes-Forschung.Footnote 54 Denn die Krise der Moderne bedeutete für Strauss den Bedarf nach der Wiederaufnahme der Auseinandersetzung der Alten mit den Modernen, den Bedarf nach einer gründlichen und genauen Analyse dieses Konfliktes „,bevor“ „man sich für die Moderne oder Ultra-Modernes entschied“ (ebd., 8 f.). Das „Bevor“ ist in diesem Kontext weder als Provokation noch als Resignation zu verstehen, sondern lediglich als Aufforderung, dem Konflikt, in dem es um die für die Philosophie wesentlichen Fragen gehe, ernsthaft und vorurteilsfrei zu begegnen.Footnote 55

Diese Auseinandersetzung bzw. derjenige Aspekt der Auseinandersetzung, der für Strauss besonders relevant war, dreht sich um das Verhältnis der politischen Ordnung zur Religion und um das theologisch-politische Problem, dem die Alten und die Modernen aus unterschiedlicher Gesinnung heraus begegneten. Auf Hobbes sollten sich, so Strauss, die Modernen verwiesen sehen, wenn es ihnen um die Begründung liberaler (säkularer) Ordnung gehe, die weder offen noch versteckt auf Anleihen bei der religiösen Tradition (siehe dazu bei Strauss auch 2013 c, 13 sowie meinen Exkurs Hobbes und die Liberalismuskritik Schmitts und Strauss’ ab S. 286) angewiesen wäre. Die Hobbes’sche Staatslehre sei ein Zeugnis dafür, dass eine moderne und konsequent durchdachte politische Theorie nur auf Basis der Religionskritik erfolgen könne (Strauss 2008 a, 244; vgl. 2008 d). Allerdings bezeuge die geistige Entwicklung des Westens, an deren modernem Anfang Hobbes stand, das Bröckeln ihres Fundamentes ( „solange es stand, solange an seine Festigkeit geglaubt wurde“; meine Hervorhebung), das zugleich die Einsicht in dieses Fundament ermöglichte (Strauss 2008 b, 17).

In diesem Kontext findet sich auch Strauss’ Verweis auf Krügers Werk über Kant, das, Strauss’ Angabe nach, erkläre, warum er selbst „nicht als Hobbist über Hobbes schrieb“ (ebd., 8). Mit dem Verweis machte Strauss denjenigen seiner Leserinnen, die das erwähnte Buch aufgeschlagen haben, seine Überzeugung von der Bedeutung der Philosophie für den Menschen als bedingtes Wesen klar. Das bedeutete für Strauss die Notwendigkeit und den Stellenwert der Frage nach dem Guten, der von dem tatsächlichen Erfolg der Beantwortung dieser Frage unabhängig wäre.Footnote 56 Was gegenüber der Krise modernen Denkens als das Mindeste möglich war, war ein Versuch des Hinaustretens jenseits des Verlustes des Glaubens an das menschliche Vermögen, Wissen über das Gute und das Richtige zu erlangen. Die Überzeugung von diesem Vermögen entspreche der Überzeugung vom Sinn, der Möglichkeit und der Notwendigkeit der politischen Philosophie (Strauss 1989, 81).

Das Vorhaben Strauss’ war ausgerichtet auf die Frage nach der Genese, d. h. nach dem Ursprung und der Entwicklung der Philosophie Hobbes’. Auf diese Frage einzugehen war für Strauss nur unter der Voraussetzung der Unterscheidung zwischen Methode und Material, zwischen Form und Inhalt, zwischen Gesinnung und Ausführung, möglich. Er konkretisierte nämlich, dass er dem Ursprung nicht als Methode, Form, sondern als dem Material der Hobbes’schen Politik nachging (Strauss 2008 b, 15). Damit setzte er nicht lediglich voraus, dass die Methode und das Material der Hobbes’schen Philosophie unterschieden und so betrachtet werden sollten, sondern deutete zugleich an, dass der Auseinandersetzung mit dem Inhalt dieser Philosophie bei der Hobbes-Rezeption eine vorrangige Bedeutung zukommen müsse.

Es versteht sich, dass Strauss somit alle Hobbes-Deutungen, die zum Angelpunkt der Hobbes-Philosophie und somit ihrer Deutung die Methode erhöben, für unzulänglich bzw. dem Wesen Hobbes’scher Theorie nicht angemessen hielt. Die Hobbes-Deutungen, die sich primär mit dem Methodischen bei Hobbes beschäftigen, würden, laut Strauss, unvermeidlich den Kern, die Genese Hobbes’scher Philosophie verfehlen: Man halte die Methode für entscheidend, aber „nun ist unmöglich die Methode allein für Hobbes’ Politik charakteristisch“ (ebd., 14). Das Besondere an Hobbes’scher Philosophie wird oft mit der Nachahmung von Galileis grundlegender Physik oder Euklids Mathematik gleichgesetzt – mit der Anwendung der resolutiv-kompositiven MethodeFootnote 57 auf die Erforschung der Politik und ihrer moralischen, anthropologischen Fundamente. In diesem Falle bleibe die Bedeutung Hobbes’, stellte Strauss fest, im Vergleich zu derjenigen der Gründungsväter moderner Naturwissenschaft, in der Wahrnehmung zweitrangig und damit „verkannt“ (ebd., 14).

Es müsse einen „näheren, konkreteren Ursprung seiner Politik geben als die Methode“ (ebd., 15) – der politischen Lehre, die das Ideal der Zivilisation begründete und in der Naturrechtstradition Epoche gemacht habe. Insoweit, dass „alle späteren Versuche ausdrücklich oder unausdrücklich, zustimmend oder ablehnend, fortschreitend oder zurückgehend, von der durch Hobbes vollzogenen Grundlegung Gebrauch machen“ (ebd., 13). Bevor sich Strauss auf die Suche nach diesem Ursprung machte, hatte er die vorgefundenen Antworten kritisiert, die die Hobbes-Literatur seiner und früherer Zeit auf die Frage nach dem Material Hobbes’scher Lehre gegeben hat. Strauss hat sowohl ihre Interpretation als mechanistische Psychologie als auch ihre Erklärung durch das Ausweisen ihrer Bezüge zur Tradition abgelehnt (ebd., 15 f.).Footnote 58 Das Material der Hobbes’schen Lehre, die für Hobbes maßgebliche Gesinnung, so lautet Strauss’ wichtigste Ausgangsthese, sei von der sowohl antiken als auch christlichen Gesinnung unabhängig und, auf der anderen Seite, vorwissenschaftlich – von der modernen Naturwissenschaft unabhängig. Dies zu verstehen sei „die notwendige Bedingung dafür, dass Hobbes’ Bedeutung endlich in gebührender Weise anerkannt und verstanden wird“ (ebd., 17).

Seine Untersuchung von Hobbes, die dessen Bedeutung in gebührender Weise anerkennen sollte, unternahm Strauss in sieben Kapiteln, von denen das erste „Die moralischen Grundlagen“ benannt ist. Ein solcher Titel stellt eine Frage an sich, weil man somit entweder die Grundlagen der Hobbes’schen Moral bezeichnen kann oder die Grundlagen der (politischen) Lehre Hobbes’, die in der Moral liegen. Die Lektüre des Kapitels erweist die zweite Option als die richtige (siehe bspw. ebd., 28: „auf einer neuen Begründung der Moral beruht Hobbes’ politische Wissenschaft“ oder 36: „Hobbes muss die Furcht vor dem Tod als den Ursprung allen Rechts und aller Moral von allen unmoralischen und amoralischen Beweggründen grundsätzlich unterschieden haben“ − meine Hervorhebung).

Es waren in erster Linie Elements of Law (1640), De Cive (1641), die englische Erstfassung des Leviathan (1651) und De Homine (1658), auf deren Analyse und Vergleich Strauss’ Deutung von der Genese Hobbes’scher Lehre beruht. Darüber hinaus bezog sich Strauss gelegentlich auf De Corpore (1655) und die lateinische Fassung des Leviathan (1670). Behemoth (1681) griff Strauss in seinen Erwägungen über „die konkrete Bedeutung der Hobbes’schen Moral“ (meine Hervorhebung) auf: Dieses späte Werk über die Ursachen und Verlauf des Bürgerkrieges weise, so Strauss, eine zweischichtige Darstellung auf, deren Oberfläche „die so von der presbyterianischen Geistlichkeit gestützte Bourgeoisie“ als „die natürliche Trägerin der Revolution“ schildere. „Sieht man indessen genauer zu“, entlarve sich die Darstellung Hobbes’ als Lehre, dass die Bourgeoisie „ihrem eigenen Interesse zuwiderhandelt, dass sie, wenn sie sich selbst in ihrem Verlangen nach privatem Gewinn richtig verstände, der weltlichen Obrigkeit bedingungslos gehorchen würde“. Die Kritik der aufrührerischen Politik englischer Bourgeoisie überdeckte Hobbes’ Bejahung des Wesens und des Ideals der Bourgeoisie, ihre gar philosophische Rechtfertigung, die besage, dass privates Eigentum und privater Gewinn „die unerlässliche Bedingung für alles friedliche Zusammenleben sind“ (ebd., 136–138).

Außerdem zog Strauss Hobbes’ Einleitung zu dessen Übersetzung (1629) von Thukydides’ „Eight Books of the Peloponnesian War“Footnote 59 heran, um seine Argumentation über Hobbes in den früheren Phasen dessen philosophischer Entwicklung, d. h. vor seiner Entdeckung der Elemente Euklids und vor seinem ausdrücklichen Bruch mit aristotelischer Metaphysik, zu untermauern. Dasselbe lässt sich über ein Exzerpt von Aristoteles’ Nikomachischer Ethik sagen, das Strauss für einen möglichen Beweis für den Einfluss des Letzteren auf Hobbes in dessen humanistischer Periode hielt, die sich in der Thukydides-Übersetzung voll- und beendet habe (ebd., 61). Das (zwar nicht von Hobbes geschriebene, aber entweder ihm geliehene oder von ihm in Auftrag gegebene) Exzerpt hat Strauss unter den Hobbes papers in Chatsworth entdeckt – einem Schloss der Familie Cavendish, bei der Hobbes als Tutor ihrer Söhne einen erheblichen Teil seines Lebens (1608–1629, so Robertson 1886, 11–27) verbracht hat. In dem sich in Chatsworth befindenden Hobbes-Nachlass hat Strauss im März 1934 recherchieren können: „ich war“, so Strauss über seinen Fund in einem Brief an Klein am 9. April 1934 „,nur 2 Tage da, aber auf jeden Fall editionswürdige Sachen“ (2008 e, 496). Zu diesen gehörten auch Entwürfe zu De Corpore und De Homine sowie 10 Essays. Die Letzteren waren zwar mit dem Namen von Hobbes’ Schüler versehen, verrieten aber „bis in den Stil hinein den Einfluss von Hobbes“ und konnten von dem jungen Earl of Devonshire, der, wie Strauss herausgefunden hat, zur Zeit des Entstehens des Essays erst neun Jahre alt gewesen ist, gar nicht verfasst worden sein (ebd., 496). Seine Vermutung über die Autorenschaft der Essays ist vom englischen heraldischen Amt auf Basis der Authentizität des Wappens und der Datierung der Schrift wenige Monate später bestätigt worden (ebd., 502). Trotz seiner Initiative für die Edition und Herausgabe (ebd., 518), die von Cambridge Press unterstützt worden ist (ebd., 529), ist die Angelegenheit damals im Sande verlaufen (ebd., 531). Aus diesem Grund hat Strauss in der Beweisführung in Hobbes’ politischer Wissenschaft in ihrer Genesis auf die Essays als Material verzichtet. Nichtsdestoweniger ist er bei seiner Überzeugung geblieben, dass sie unter Hobbes’schem Einfluss oder gar von ihm selbst geschrieben worden sind (Strauss 1963, xiif.).Footnote 60

„Die moralischen Grundlagen“ stellen den Teil des Hobbes-Werkes von Strauss dar, in dem ihr Autor die naturalistische Interpretationstendenz Hobbes’scher Lehre als die ihre Essenz, ihr Material verfehlend entkräftete und in dem er sein eigenes Verständnis dieser Essenz darlegte. Die Frage: Ist Hobbes’ politische Wissenschaft naturalistisch oder anthropologisch gemeint? – war für Strauss allerdings nicht nur eine Frage danach, ob man die Leistung Hobbes’ und die Eigenart seiner Lehre vor allem mit seiner Methode oder mit seinem Material identifiziert. Es war auch die Frage nach zwei Darstellungen menschlicher Natur, die Strauss bei Hobbes verwoben sah. Die Sezierung dieses Gewebes unternahm Strauss in einer komplexen Argumentation (2008 b, 21–29), in der er zwei Hobbes’sche Postulate der menschlichen Natur – die natürliche Begierde und die Todesfurcht – vor dem Hintergrund dessen Absicht untersucht hat.

Diese Argumentation ist hier nur kurz zu skizzieren: Zuerst unterschied Strauss eine „mechanische“ und eine „vitalistische“ Bedeutung des Konzeptes der natürlichen Begierde, von denen die erste – die mechanisch-naturwissenschaftliche – die natürliche Begierde des Menschen mit der auch die Tiere auszeichnenden Animalität bzw. Sinnlichkeit gleichsetze. Die vitalistische Bedeutung, über die mittels Selbstprüfung und Selbsterkenntnis erfahren werde, stehe für die natürliche Begierde des Menschen als den wesentlichen Unterschied zwischen ihm und den Tieren, die nur von den äußeren Eindrücken bewegt würden. Die Begierde der Letzteren habe daher eine natürliche Grenze, die mit dem Aufhören äußerer Impulse zusammenfalle (dieses Aufhören trete de facto nur mit dem Tod ein). Die Vernunft, die den Menschen auszeichne, stehe seiner natürlichen Begierde zu Gebot und mache diese von sich aus unendlich.Footnote 61 Nur dieser zweite Sinn könne der Absicht Hobbes’, wie Strauss behauptete, entsprochen haben (ebd., 21 f.) – das Begehren des Menschen sei kein unschuldiges Begehren eines Tieres, kein animalisches Begehren (ebd., 27).

Damit sei jedoch noch nicht dem fundamentalen Gegensatz Ausdruck verliehen worden „,welcher sich durch Hobbes’ ganzes Werk hindurchzieht“ (ebd., 21); denn auch die vitalistische Auffassung der natürlichen Begierde, die nicht trotz, sondern kraft der Vernunft den Menschen zum „räuberischste[n], schlaueste[n], gefährlichste[n], mächtigste[n] Tier“ (ebd., 22) mache, erweise sich als naturalistisch, d. h. Hobbes’ Gesinnung nicht gerecht werdend.

Was dieser Gesinnung entspreche, sei das Konzept des begehrlichen Machtstrebens, das von sich aus absolut sei, d. h. auf nicht weniger als absolute Herrschaft ausgerichtet. Es sei einer vernünftigen Überlegung, die besage, dass Macht nur mittels mehr Macht zu erhalten sei, genauso entgegensetzt wie dem Begehren, das zum Grund konkrete „Dinge“ habe (ebd., 23). Denn das begehrliche Streben nach Macht – diejenige Art der natürlichen Begierde, die für Hobbes’ politische Lehre ausschlaggebend war – habe „zum Grund die Freude, die der Mensch an der Betrachtung seiner eigenen Macht hat, d. h. die Eitelkeit. Der Ursprung der natürlichen Begierde des Menschen ist […] die Eitelkeit“ – es sei diese Auffassung der menschlichen Natur − ihr erstes Postulat − , die eine moralische sei (ebd., 24).Footnote 62

Der Analyse der moralischen, d. h. laut Strauss für Hobbes authentischen Bedeutung der natürlichen Begierde folgt die Erörterung des zweiten Postulats – der Todesfurcht. Wie Strauss bemerkte, sei es nicht einfach der Tod, der das größte Übel in Hobbes’ Bild des Menschen darstelle, sondern ein qualvoller Tod. Qualvoll nicht bloß im Sinne von „schmerzvoll“, sondern qualvoll, weil gewaltsam; das heißt, ein Tod, der nicht vorherzusehen sei − ein Mord von Hand eines anderen menschlichen Wesens (ebd., 29). Die Todesfurcht in der Philosophie Hobbes’ stelle keine Furcht dar, die sich gegen den Tod an sich richte – Hobbes wusste, so Strauss, dass „der Tod unter gewissen Umständen unter die Güter gezählt werden kann“ (2008 a, 255). Diese Furcht sei vielmehr ein fundamentales Merkmal zwischenmenschlicher Verhältnisse. Die Todesfurcht sei immer die gegenseitige Furcht – die Furcht „jedes Menschen vor jedem anderen Menschen als einem möglichen Mörder“ (Strauss 2008 b, 30). Das grundlegende Postulat der menschlichen Natur sei also nicht vom Individuum an sich, sondern von dem Individuum in seinem Zusammenleben mit anderen abstrahiert und lasse sich wegen seiner Beziehung zur Eitelkeit aus einem naturalistischen Ansatz nicht ableiten. Die Selbsterkenntnis, an die Hobbes mit seiner Lehre des Naturstandes appellierte und die jedem vernünftigen Wesen prinzipiell zugänglich sei, betreffe nicht die Lage des Menschen innerhalb des Kosmos und nicht die Qualitäten des Menschen an sich, sondern die Lage des Menschen als eines Subjektes unter anderen (ebd., 148).

Die von Hobbes herausgestellte Notwendigkeit des Zusammenlebens und Nutzen des Friedens setze ein bestimmtes Verständnis der menschlichen Natur voraus (Strauss 1997, 187), denn Frieden als Ziel zu begreifen bedeute, dass er nicht als natürlicher Zustand des Zusammenlebens vorausgesetzt werde. Der Zweck des Friedens, der das Zusammenleben unter einem Souverän begründe, behalte nur insoweit seine Gültigkeit, als ihm eine spezifische moralische Gesinnung zugrunde liege, die den Tod als das größte Übel voraussetze ( „der Tod nimmt den Platz des telos“; Strauss 1977, 187). Falle diese Voraussetzung weg, verliere der Frieden als Zweck seine Selbstverständlichkeit.

Hobbes analysierte, so Strauss, den vorgefundenen Staat und das Zusammenleben (2008 b, 173), um darin die Wirkung menschlicher Natur zu erkennen, die durch das Postulat der Furcht vor dem gewaltsamen Tod und dasjenige der Eitelkeit zu erfassen sei. In der Erwägung der so verstandenen menschlichen Natur kam Hobbes zu dem Schluss, dass der Mensch von Natur aus auf den Frieden angewiesen sei, um zu überleben und auf jeden Fall um ein angenehmes Leben zu führen, um sich des größten Gutes – des ungehemmten Fortschreitens zu immer weiteren Zielen (Strauss 2008 k, 139) – zu erfreuen. Gleichzeitig stelle das Friedensgebot keine der Natur des Menschen inhärente, selbstverständliche Verpflichtung, keine unumstößliche Tatsache oder Gesetzmäßigkeit dar. Weder in der vom Menschen unabhängigen Ordnung, sei es natürlicher oder göttlicher Herkunft, noch in der Natur des Menschen gebe es für Frieden einen ausreichend zuverlässigen Rückhalt. Das heiße, dass Frieden zwar ein Natur- und Gottesgebot sei, jedoch nicht unmittelbar wirksam, denn die Friedensbereitschaft werde durch die natürliche Eitelkeit des Menschen unvermeidlich bedroht. Im Naturzustand – im Krieg einer jeden gegen jede – werde das erste Naturgesetz, das ein Friedensgebot sei, niedergetreten. Die Essenz des Naturrechtes als Verbot, sich zu schädigen, und Freiheit, sich mit allen möglichen Mitteln zu verteidigen, stehe im Naturzustand im Konflikt mit dem primären Naturgesetz, Frieden zu suchen und zu stiften (Leviathan XIV, 108). Dieser Konflikt ist wegen des Vorbehaltes möglich, der in dem Friedensgebot selbst enthalten ist: Das Gebot solle nur unter dem Umstand befolgt werden, dass dies nicht vergeblich zu sein scheine, mit anderen Worten, nur wenn andere Individuen auch friedenswillig seien – wenn alle, wie Strauss formulierte, den Tod als den gemeinsamen Feind erkennen würden (2008 b, 35). Auf diese Weise entspreche das Naturrecht – das Recht auf die Verteidigung des Leibes und Lebens, das im Naturzustand zum faktischen Recht auf alles werdeFootnote 63 – im staatlichen Zustand dem Gesetz der Natur, Frieden zu suchen und zu befolgen.

Von Elements of Law, über De Cive und Leviathan bis auf De Homine drängte Hobbes die moralische Grundlage seiner Lehre – die Auffassung der menschlichen Natur als zwischen der Todesfurcht und der Eitelkeit eingespannt – „mehr und mehr“ zugunsten der naturalistischen Darstellung „zurück“, die die natürliche Begierde nicht als Eitelkeit, sondern als animalische Beweglichkeit, als Sinnlichkeit schildert und die affektive Todesfurcht als vernünftiges Prinzip der Selbsterhaltung (ebd., 27 f.). Weshalb Hobbes die Eitelkeit nicht beim Namen genannt habe, wieso er „im Sinne des Naturalismus“ versucht habe „,die Eitelkeit aus der animalischen Natur herzuleiten“ (ebd., 27), machte Strauss der Leserin erst in einer anderen Schrift einsichtig. „Es fragt sich“, so Strauss in „Anmerkungen zu Carl Schmitt, Der Begriff des Politischen“ „,warum […] insbesondere Hobbes den Menschen als,böse wie die Tiere‘ verstanden habe. Er musste die Bosheit als unschuldige,Bosheit‘ verstehen, weil er die Sünde leugnete“ (2008, 231).Footnote 64

Hobbes mag seine moralischen Grundlagen mit einer naturalistischen Darstellung verhüllt haben, jedoch sind somit nicht alle Spuren seiner authentischen Gesinnung beseitigt worden. Eine solche Spur findet sich im Titel Leviathan selbst. Es war die Bibel, in der Strauss die Erklärung fand, was „Hobbes dazu veranlasst hat, seiner ausgeführtesten Darstellung der politischen Wissenschaft den Titel,Leviathan‘ zu geben“ (2008 b, 2 f.).Footnote 65 Im Buch Hiob (41, 26) wird über Leviathan gesagt, dass er alles „verachtet“ „,was hoch ist“; „er ist ein König über alles stolze Wild“. An diese Versen erinnerte Hobbes in Leviathan mit den Worten: „Bis hierher habe ich die Natur des Menschen (dessen Hochmut und andere Gemütsbewegungen ihn gezwungen haben, sich der Regierung zu unterwerfen) zusammen mit der großen Macht seines Herrschers dargelegt, den ich mit Leviathan verglich, welchen Vergleich ich den letzten zwei Versen des einundvierzigsten Kapitels bei Hiob entnahm“ (XXVIII, 271).

Die Aussage Hobbes’, dass es unter anderem Hochmut sei, der den Menschen unterwerfungsbereit mache, widerspricht keineswegs der These Strauss’ über die Hobbes’sche Grundlegung der politischen Ordnung auf dem Postulat der Todesfurcht. Wie Strauss dargelegt hat, sei es die Eitelkeit, die den Menschen dazu bewege „,seinen Anspruch auf Überlegenheit und auf Anerkennung der Überlegenheit den anderen gegenüber geltend“ zu machen. Dieser Akt führe zu nichts anderem als Verachtung, und „aus dem Gefühl, verachtet zu werden, entspringt der größte Wille zu verletzen“ (Strauss 2008 b, 33). Der Wille führe zum Angriff, der Angriff zur Auseinandersetzung, die Auseinandersetzung zum Schmerz und zur Furcht um das eigene Leben – auf diesem Weg rufe die natürlich-eitle Haltung des Menschen die stärkste Leidenschaft hervor, durch die die Eitelkeit überwunden und gleichzeitig aufgehoben werde, denn die um sein Leben Fürchtende überlasse den Triumph ihrem Feind, schmeichele dessen Eitelkeit und rette somit das eigene Leben.Footnote 66 „Ein so enger Zusammenhang besteht also zwischen den beiden,Postulaten der menschlichen Natur‘, die Hobbes seiner Politik zugrunde legt[e]“ (ebd., 33–35).

Weshalb, fragte sich Strauss, nachdem er die moralischen Grundlagen der Hobbes’schen Lehre offengelegt hatte, bevorzugte Hobbes „den negativen Ausdruck,Vermeidung des Todes‘ gegenüber dem positiven Ausdruck,Erhaltung des Lebens‘“, der einem naturalistischen Menschenbild entspräche (ebd., 28–30)? Wie wichtig diese Frage ist, zeigt die Tatsache, dass Strauss sie im Anschluss nur teilweise und erst auf den letzten Seiten seines Werkes vollständig beantwortete. Die Erhaltung des Lebens sei nur das erste Gut,Footnote 67 „hingegen ist der Tod sowohl das erste als auch das größte als auch das höchste Übel“ und deswegen „der einzige absolute Maßstab, auf den hinblickend der Mensch sein Leben einheitlich ordnen kann“ (ebd., 29).Footnote 68 „Im Wettrennen nach dem Glück des Triumphs aufgehend, kann der Mensch gar nicht seine Angewiesenheit auf das unscheinbar erste Gut, die Erhaltung seines Lebens, seines Körpers bemerken“. „Weil der Mensch von Natur in dem Traum vom Glück des Triumphs, diesem glänzenden, imponierenden Scheingut lebt, darum bedarf es einer nicht minder imponierenden Macht, um ihn aus seinem Traum zu erwecken; diese imponierende Macht ist die gebieterische Majestät des Todes“ (ebd., 31–33). Die Furcht sei also klar und eindeutig und habe den Vorteil, den Menschen die eigene Schwäche bewusst zu machen, ihn von der Eitelkeit zu befreien (ebd., 147 f.). Sie sei der stärkste Affekt: der Mensch fürchte den Tod „unendlich viel mehr“, als er das Leben begehre (ebd., 29), weil er die Welt in erster Linie durch Widerstand erfahre (ebd., 32).

Hobbes’ Ausrichtung auf die Todesfurcht als ordnende Macht hatte weitreichende ideengeschichtliche Implikationen. Es war das Hobbes’sche Devaluieren der Vernunft, das Strauss im Kapitel „Die moralischen Grundlagen“ angekündigt hat: „Dass die Erhaltung des Lebens das erste Gut ist, sagt die Vernunft, nur die Vernunft, hingegen, dass der Tod das erste Übel ist, sagt ein Affekt, der Affekt der Todesfurcht“ (ebd., 28). Was heißt aber „nur die Vernunft“? Dem liege eine Umwertung des Vernunftbegriffes, der Vernunftidee zugrunde. Die Hobbes’sche Vorstellung der Vernunft schilderte Strauss als etwas, was man als Rationalität im spieltheoretischen Sinne bezeichnen könnte:Footnote 69 „[I]n allen praktischen Angelegenheiten ist grundsätzlich jeder Mensch so vernünftig wie jeder andere: auf die Wahrnehmung seiner und nur seiner Interessen bedacht und zu ihr so gut wie jeder andere fähig“ (ebd., 180). So verstanden sei die Vernunft „ohnmächtig“, weil es keine natürliche Vernunft-Überlegenheit (der Weisen, der Sachverständigen, der Philosophinnen) gebe; es gebe keine Vernunft, die „zur maßgebenden Vernunft“ gemacht werden könnte. Darauf – Strauss bezeichnete es als Bruch mit dem Rationalismus,Footnote 70 als Abwendung von ihm – stütze sich Hobbes’ Souveränitätsbegriff, der den souveränen Willen zum Ersatz der natürlich fehlenden Vernunft-Überlegenheit mache (ebd., 180 f.). Die Voraussetzung der modernen Souveränitätsdoktrin (wie auch der Auffassung der Moral als Ergebnis souveräner Willenskraft und der Antithese zwischen der Natur und der menschlichen Natur) ist also das Devaluieren der Vernunft zugunsten der Macht.Footnote 71

Es braucht nicht viel mehr über Strauss’ Offenlegung der moralischen Grundlagen Hobbes’ politischer Philosophie und damit über die Widerlegung der naturalistischen Hobbes-Interpretationen gesagt zu werden, als dass die Essenz dieses wichtigen Abschnittes seiner Studie in zwei Thesen zum Ausdruck gebracht wird (ebd., 31, 41):

Der Gegensatz, von dem Hobbes’ Politik ausgeht, ist also der Gegensatz von Eitelkeit als der Wurzel der natürlichen Begierde einerseits, Furcht vor gewaltsamem Tod als dem Affekt, der den Menschen zur Raison bringt, andererseits.

Nicht also der naturalistische Gegensatz von moralisch indifferentem animalischen Begehren (bzw. von moralisch indifferentem menschlichen Machtstreben) einerseits und moralisch indifferentem Streben nach Selbsterhaltung andererseits, sondern der moralische, humane Gegensatz von grundsätzlich ungerechter Eitelkeit und grundsätzlich gerechter Furcht vor gewaltsamem Tod liegt Hobbes’ Politik zugrunde.

Im Gegensatz zu diesen klaren Thesen problematisierte Strauss am Ende des Kapitels seine Feststellung über die Zurückdrängung der moralischen Gesinnung zugunsten der naturwissenschaftlichen Darstellung mit einer offenen Frage: Habe Hobbes’ Beschäftigung mit der Naturwissenschaft seine moralische Lehre „nicht bloß beeinträchtigt, sondern auch andererseits gefördert“ (ebd., 43)? Die darauf antwortenden Überlegungen folgen in „Der neuen Moral“ und „Der neuen politischen Wissenschaft“ − dem 7. und dem 8. Kapitel des Werkes, in denen die Verschränkung zweier wichtiger Frageebenen der Hobbes-Studie (des Verhältnisses zur Tradition sowie des Verhältnisses zur naturwissenschaftlichen Methode) avanciert (dazu in 3.6 Die neue politische Wissenschaft Hobbes’ in ihrem Verhältnis zu der naturwissenschaftlichen Methode und zur Tradition).

3.5 Hobbes’ Bruch mit der Tradition und ihre Kontinuität

Die vier den „moralischen Grundlagen“ folgenden Kapitel in Hobbes’ politischer Wissenschaft in ihrer Genesis verbindet die Problematik des Hobbes-Verständnisses vor dem Hintergrund der klassischen und der modernen Tradition der politischen Philosophie. Die Schilderung der Entwicklung Hobbes’ als Philosoph erstreckt sich von seinen Studien antiker Schriften über die vorläufige Ausarbeitung der Tugendlehre mit der Orientierung an der Adelstugend bis hin zur (ebenso vorläufigen) Wendung zur Geschichte in der Abwendung von der klassischen Tradition. Ebenso untersuchte Strauss die Aspekte der Hobbes’schen Einstellungen zu den unterschiedlichen Staatsformen und die für Hobbes’ Politikwissenschaft konstitutive Bedeutung der Religionskritik. Eventuell habe sich die Hobbes’sche Lehre zu einer „neuen politischen Wissenschaft“ entfaltet, die auf einem revolutionären Bruch mit der Tradition beruhte. Das Gesicht und gar die Verkörperung der Tradition war im Fall der Hobbes’schen „Revolution“ Aristoteles. Der Letztere war es daher, der von Strauss in seiner Analyse als Bezugs- und Vergleichsgröße herangezogen wurde: ob es um die Aspekte aristotelischer Lehre ging, die Hobbes in seine eigene übernommen, oder um die Bruchpunkte, an denen sich Hobbes von der Tradition distanziert habe. Im Folgenden möchte ich auf die einzelnen Untersuchungslinien und Akzente eingehen, aus denen Strauss seine Argumentation gewoben hat.

Die Aufarbeitung der Genese von den zuvor offengelegten moralischen Grundlagen Hobbes’scher Lehre führte Strauss im 3. und 4. Kapitel als Untersuchung der Einflüsse, die Hobbes bei der Entwicklung seiner maßgeblichen Gesinnung und d. h. vor seiner Hinwendung zur Mathematik und zu Naturwissenschaften geprägt hätten. Diese Periode, die die Zeit bis 1629 umfasse, bezeichnete Strauss als humanistisch, weil er Humanismus für den stärksten Einfluss in Hobbes’ philosophischer Entwicklung hielt. Dies ließ sich Strauss durch die Lektüre belegen, die Hobbes nach seinem Studium in Oxford aufnahm (Strauss 2008 b, 46 f.).

Von den antiken Schriftstellern, die Hobbes während seiner humanistischen Periode selbstständig studiert hat, war für ihn Aristoteles „maßgebend“. Erst die Entdeckung der mathematischen Methode Euklids gab Hobbes den Anlass „,mit Aristoteles zu brechen“. Es war „der humanistisch verstandene Aristoteles“, d. h. es waren dessen Moral und Politik, die für die humanistische Periode Hobbes’ prägend gewesen seien (ebd., 49). Hinter dieser Verschiebung des Interesses Hobbes’ von Aristoteles’ Physik und Metaphysik auf die erwähnten Disziplinen sah Strauss die „Ersetzung des Primats der Theorie durch den Primat der Praxis“. Dies hielt er für eine für Hobbes wesentliche Prägung: „In diesem radikalen Sinne ist Hobbes immer Humanist geblieben“ (ebd., 50). Der Primat der Praxis bedeute, dass der Nutzen für den Menschen als einziger Existenzgrund der Philosophie gelte. Der Vorrang der Theorie vor der Praxis war zugleich der Punkt, an dem Hobbes’ Anerkennung der Autorität Aristoteles’ an ihre Grenzen kam, denn Aristoteles vertrat hinsichtlich des Verhältnisses von Theorie und Praxis, so Strauss, eine entgegengesetzte Haltung (ebd., 49 f.). „Aristoteles hatte sich für den Vorrang der theoretischen Wissenschaften vor der Moral und Politik mit der Begründung entschieden, dass der Mensch nicht das vorzüglichste Wesen im Universum sei“ (ebd., 50). Hobbes’ Primat politischer Praxis vor dem kontemplativen, theoretischen Leben korrespondiere mit der These, dass der Mensch „jenes vernunftbegabte und höchst vortreffliche Werk der Natur“ sei (Leviathan Einleitung, 5; siehe auch S. 221 dieser Arbeit). Eine humanistische Interpretation Aristoteles’ sei also zugleich eine Entfernung von dessen Lehre in ihrem authentischen Sinn.

Der Vergleich von Elements, De Cive und Leviathan überzeugte Strauss zwar einerseits von der Verschärfung der Hobbes’schen Polemik gegen Aristoteles (ebd., 48).Footnote 72 Andererseits stellte er fest, dass die Rhetorik von dieser Kritik ausgeschlossen blieb. Man werde, so Strauss „,schwerlich ein anderes Werk des Altertums ausfindig machen können, dessen Bedeutung für Hobbes’ Philosophie auch nur annähernd mit derjenigen der,Rhetorik‘ verglichen werden dürfte. Die zentralen Kapitel seiner Anthropologie, diese Kapitel, die vielleicht mehr als alles, was er sonst geschrieben hat, seinen Ruhm als Schriftsteller und Menschenkenner für alle Zeiten begründet haben, verraten im Stil und Inhalt, dass ihr Verfasser ein eifriger Leser, um nicht zu sagen ein Schüler der,Rhetorik‘ war“ (ebd., 51). Dass Hobbes die Rhetorik schätzte, dürfe nicht als Residuum seiner Aristoteles-Lektüre der humanistischen Periode betrachtet werden – es sei von der Letzteren vielmehr unabhängig, denn mit dieser Schrift beschäftigte sich Hobbes auch nach seinem expliziten „Bruch mit dem Aristotelismus“ (ebd., 58). Und zwar habe er die Rhetorik vor jeder systematischen Darstellung seiner Anthropologie aufs Neue studiert, wie der Abgleich der aus der Rhetorik herangezogenen Stellen in Elements, Leviathan und De Homine bezeuge (ebd., 57).

Die Untersuchung des Hobbes’schen Humanismus wurde bei Strauss von der Frage nach der hinter ihm steckenden philosophischen Motivation geleitet (ebd., 46 f.). Was er herausfand, war, dass der philosophische Sinn des Hobbes’schen Humanismus in der Anerkennung der Adelstugend als höchste Tugend liege. Letztlich stand das Schätzen der Adelstugend bei Hobbes mit seinem „Aristotelismus“ in einem geschichtlichen Zusammenhang (ebd., 61 –63). Die Tugend des Edelmanns sei die Ehre, die Ehre sei aber auch eine heroische Tugend und damit die Tugend des Krieges. Das Schätzen der Adelstugend bedeutete bei Hobbes also die Zurückdrängung der theoretischen Tugend der Weisheit zugunsten der heroischen Tugend. Die Orientierung an der Ehre präge allerdings nur die frühesten Hobbes’schen Darstellungen, denn „je mehr Hobbes seine politische Wissenschaft ausarbeitete, um so mehr entfernte er sich von der anfänglichen Anerkennung der Ehre als Tugend, von der anfänglichen Anerkennung der Adelstugend“ (ebd., 65–67).

Hobbes’ Distanzierung von der Adelsmoral vollzog sich paradoxerweise als ihre Aufhebung, Sublimierung und Verinnerlichung im Postulat der natürlichen Eitelkeit: Es sei „der Ruhm oder Stolz“, der die Quelle der Ehre sei (ebd., 67 f.).Footnote 73 Strauss sprach von Hobbes’ moderner Gleichsetzung des moralischen Prinzips von Gesetz und Pflicht, wie es in der klassischen Tradition galt, mit dem Überlegenheitsbewusstsein: Genauso wie Ruhm oder Stolz sei auch die Ehre das Bewusstsein der eigenen Überlegenheit. „Denn,ehrenhaft‘ sind vorzüglich diejenigen Handlungen, die aus dem Überlegenheitsbewusstsein des Handelnden hervorgehen“ (ebd., 68). So wurde frühe und vorläufige Anerkennung der Ehre als Tugend im Laufe der Ausreifung von Hobbes’ „neuer Moral“ zum Postulat der Eitelkeit als wichtigstes Laster. Denn das Überlegenheitsbewusstsein verstoße gegen die Anerkennung der natürlichen Gleichheit aller Menschen − und die natürliche Gleichheit sei für Hobbes „in letzter Analyse“ die rechte Selbsteinschätzung (ebd., 73).Footnote 74 Dieser rechten Selbsteinschätzung entspreche der Affekt der Furcht vor dem gewaltsamen Tod, weil im Naturzustand alle Menschen gerade hinsichtlich ihrer Verletzlichkeit vergleichbar seien.Footnote 75 Die Adelstugend konnte Hobbes als Tugend also verwerfen, nachdem er „zur vollen Klarheit seines Begriffs von Furcht gelangt“ war – „die Ehre [wurde] aus der Tugendlehre in die Analyse der Leidenschaften verwiesen“ (ebd., 133 f.).

Hobbes’ „fortschreitende Verdrängung der Adelstugend durch die bürgerliche Tugend“ (ebd., 146)Footnote 76 verdeckte die zwischen der auf Adelstugend und der auf bürgerlicher Tugend beruhenden Moral vorhandene Überschneidung, die in der Einstellung bestehe, dass Moral „eine Form des Selbstbewusstseins“ sei (ebd., 147). Die Adelstugend war bei Hobbes, vergleiche man sie mit der Morallehre des Aristoteles, insofern eigentümlichen modern, dass die Tugend für Hobbes nicht mehr eine äußere Haltung, sondern eine innere Gesinnung konstituierte. „Damit ist gesagt: der Grund, das Motiv einer Handlung oder einer Haltung ist allein entscheidend für seine moralische Beurteilung“ (ebd., 71 f.). Die Bedeutung der Identifikation der Moral mit der inneren Überzeugung liege in ihrer Leugnung einer natürlichen und „allem menschlichen Wollen vorangehenden“ Ordnung als Quelle objektiver Prinzipien, nach denen sich der Mensch zu richten hätte (ebd., 72).

Die Entwicklung der Hobbes’schen Gesinnung ließ sich für Strauss auch an dessen Staatslehre nachvollziehen, und gerade das beschäftigte ihn im 5. Kapitel seines Werkes. Er stellte bei Hobbes auf der einen Seite eine konstante Präferenz für die Monarchie fest,Footnote 77 auf der anderen die Wandlung der Hobbes’schen Unterscheidung zwischen künstlichen und natürlichen Staaten, genauer: die Wandlung der Vorstellung davon, was einen natürlichen Staat konstituiere −, genauer: die Ausweitung der Kategorie des natürlichen Staates auf die Monarchien, die als Ergebnis der Eroberung entstanden seien (zusätzlich zu den auf „väterlicher Gewalt“ beruhenden Monarchien) (ebd., 79–81).

Der erste Teil von Strauss’ Untersuchungen in „Staat und Religion“ mündet in der „paradoxen“ Feststellung, dass „die früheste Darstellung der politischen Wissenschaft zugleich sowohl die am meisten patrimonial-monarchistische als auch die am meisten demokratische ist“ (ebd., 83). Das Paradox sei darauf zurückzuführen, dass Hobbes in den frühen Darstellungen seiner Staatslehre (denjenigen, die dem Leviathan vorausgehen) zwei entgegengesetzten Souveränitätstheorien folgte: der monarchischen und der demokratischen − und ihm erst in Leviathan eine „untraditionelle Vereinbarung“ dieser Traditionen gelungen sei (ebd., 83 f.). Die Erläuterung dieser Vereinbarung stellt den zweiten Teil von Strauss’ Untersuchung der Hobbes’schen Staatslehre dar.

Diese nicht traditionelle Vereinbarung bestand in der Aufhebung des Unterschiedes zwischen natürlichen Staaten, die durch die Unterwerfung unter die patrimoniale Gewalt entstanden seien, und den künstlichen, die auf dem Beschluss des souveränen Volkes beruhen würden. Alle Formen der Staatsgewalt habe Hobbes auf ein gemeinsames Motiv zurückgeführt − auf die Furcht vor gewaltsamem Tod. Ihre Überführung in die Furcht vor berechenbarer souveräner Gewalt und die darauf basierende Sicherheit stelle die Vereinbarung der Freiwilligkeit und Unfreiwilligkeit des zivilen Gehorsams dar. Ein gemeinsames Motiv, eine gemeinsame Grundlage bedeute zugleich das Sich-Erübrigen jeder Unterscheidung zwischen legitimer und usurpierter Gewalt − letztlich erkannte Hobbes jede wirksame Regierung als legitim an (ebd., 84–86).

Diese Einstellung stehe im Kontrast zu Hobbes’ ursprünglicher Anerkennung der obligatorischen Beschränkungen der Souveränität: „[S]einer schließlichen Meinung zufolge hat die oberste Gewalt keinerlei Pflichten im eigentlichen Sinne; denn das Naturgesetz, das angeblich für die oberste Gewalt verbindlich ist, gewinnt in Wahrheit erst durch den Befehl der obersten Gewalt Verbindlichkeit“ (ebd., 87). Dies fasse die Transformation der Hobbes’schen Staatslehre von einer naturrechtlichen zu einer positivistischen zusammen. Diese Transformation sei erst in Leviathan zur Vollendung gebracht worden: In Elements lehrte Hobbes noch, das Naturgesetz sei „schon auf Grund der natürlichen Gotteserkenntnis obligatorisch“ −  „also alle Menschen als vernünftige Wesen, und insbesondere die Obrigkeit“ verpflichtend (ebd., 87 f.).

Strauss identifizierte bei Hobbes also eine parallel verlaufende Zurückdrängung des Naturrechtes zugunsten des positiven Rechtes, den Verlust der Vorzüglichkeit des natürlichen Staates sowie den Rückzug der theologischen Begründung der Politik − alle diese Entwicklungen würden Hobbes’ Distanzierung von der Tradition, auch der religiösen, darstellen. Mittels eines Vergleiches der religionskritischen Teile von Elements, De Cive und Leviathan kam Strauss zu dem Schluss, dass diese Distanzierung vor allem in der Haltung Hobbes’ zu der natürlichen Religion bestand: denn zur positiven Religion war Hobbes’ Stellung „zu allen Zeiten dieselbe: die Religion hat dem Staat zu dienen, und sie ist zu schätzen oder zu verwerfen, je nachdem sie dem Staate nützt oder schadet“ (ebd., 92). Auch war Hobbes, unterstrich Strauss „,nie“ ein gläubiger Christ (ebd., 92), aber in seiner humanistischen Periode war er gegenüber der natürlichen Religion „sicherlich nicht entfernt so skeptisch“ wie später: Die Hobbes’sche Religionskritik schritt durch die Kritik der natürlichen Religion durch die „vorgeschobene offenbarte Theologie“ voran, während die Letztere ursprünglich von dem Standpunkt der natürlichen Theologie aus von Hobbes widerlegt wurde (ebd., 94–96).Footnote 78

Der Tatbestand, den Strauss nach dieser Analyse und am Anfang eines weiteren – Hobbes’ Interesse an der Geschichte gewidmeten – Kapitels zusammenfasste, lautet: Hobbes’ „ursprüngliche moralisch-politischen Ansichten“ ließen sich „im großen und ganzen auf die Aristotelische Tradition, so wie sie im Lauf des 16. Jahrhunderts modifiziert war, zurückführen“, aber „seine spätere Lehre steht in grundsätzlichem und ausdrücklichem Widerspruch zu dem wie immer verstandenen Aristotelismus“ (ebd., 97). Es bedurfte „der Erkenntnis eines grundsätzlichen Mangels der traditionellen Philosophie“ – eines „deep dissatisfaction“ –, um sich vom Studium der Philosophie ab- und dem Studium der Geschichte zuzuwenden (ebd., 97). Zwischen dem Interesse an der Geschichte und der Lehre der Adelstugend bei Hobbes gebe es, stellte Strauss fest, einen Zusammenhang: Durch die Letztere wurde das Erstere verstärkt, weil der Adel eine Schicht verkörperte, die mittels der Lehren aus der Geschichte erzogen werde (ebd., 100 f.) − erzogen und „klug gemacht“. Es sei die Geschichte, lautete die Überzeugung Hobbes’, die den Menschen klug mache, und es seien nicht die Vorschriften der Philosophie, die wegen der Ohnmacht der Vernunft zur Unwirksamkeit verdammt seien.

Wohlgemerkt habe er mit seiner Wendung zur Geschichte, aber vor seiner Entdeckung Euklids nur die Wirksamkeit und nicht die Richtigkeit der Vorschriften hinterfragt. Erst durch die Ausreifung seiner „neuen politischen Wissenschaft“ konnte er auch die Richtigkeit der Normen klassischer Philosophie kritisieren und widerlegen. Bis zur Entdeckung der mathematischen Methode Euklids setzte Hobbes das primäre philosophische Problem − die Normen des menschlichen Handelns − als „gelöst“ voraus; bloß die Anwendung der Normen stellte für ihn ein Problem dar (ebd., 98 f.). Und weil die Geschichte − das Wissen von den in der Vergangenheit geschehenen Handlungen − das einzige klare Wissen von der Anwendung der Normen darstellte, erwartete Hobbes vom Studium der Geschichte die Lösung für das Problem der Anwendung (ebd., 103).

Das Problem der Anwendung der Normen und die Wendung zur Geschichte setzte zwar die von Platon und Aristoteles vollzogene Verschiebung des philosophischen Interesses von Physik und Metaphysik auf Moral und Politik voraus, jedoch ging die Auseinandersetzung mit diesem Problem bei Hobbes nicht einher mit der klassischen Überzeugung „von der Transzendenz des Guten über das Sein“ (ebd., 108), sondern, im Gegenteil, mit der Auffassung des Menschen als „most excellent work of nature“. Paradoxerweise ging die Auffassung des Menschen als vorzüglichstes Wesen, so beobachtete Strauss, Hand in Hand mit dem Devaluieren der Vernunft,Footnote 79 mit der Erklärung ihrer Ohnmacht. Es war also die Transformation der Auffassung der Vernunft durch das Postulat der natürlichen allgemeinen Gleichheit der Menschen, die entscheidend dazu beigetragen habe, dass Hobbes die Wirksamkeit klassischer Vorschriften anzweifelte (ebd., 98 f.). Ob das „Hand-in-Hand“ auch einen unmittelbaren Zusammenhang darstellte und wie dieses Paradox zu erklären sei, hat Strauss „hier nicht untersuchen“ können. Einen Hinweis gab er trotzdem, indem er das Ideal des kontemplativen Lebens mit der Vorstellung einer transzendenten Ordnung verknüpfte: Kontemplatives Leben sei eines, das auf das Fragen nach den in der kosmischen/göttlichen Ordnung gegebenen Normen ausgerichtet sei und nicht auf ihre Anwendung. Die Verlegung des Interesses auf den Menschen, wie er sei (und weg von der ihm transzendenten Idee des Menschen),Footnote 80 bedeute wiederum die Herabsetzung der Vernunft und ihr Ersetzen durch die moralische, jedem prinzipiell zugängliche moralische Tugend. In diesem Verlust der vorgegebenen Ordnung als Ideal liege der Grund für die Popularisierung der Philosophie und für Hobbes’ Wendung zur Geschichte (ebd., 109 f.).

Die Lösung für die Ohnmacht der Vernunft − d. h. für den Ungehorsam gegenüber den Vorschriften − konnte die Wendung zur Geschichte jedoch nur vorläufig anbieten, denn die Geschichte sei zugleich die Geschichte der Aufruhre; Pflicht könne sie genauso gut wie Ungehorsam lehren.Footnote 81 So wie die Adelstugend mittels der Geschichte durch Klugheit ersetzt worden sei, wurde die Klugheit angesichts der neu formulierten klaren und eindeutigen Gesetze des Staates verworfen. Hobbes’ „allmählich reifende politische Wissenschaft“ hatte „genau die Funktion, die Geschichte […] zu ersetzen“ (ebd., 112–114). Dieser Ersatz war allerdings vielmehr Aufhebung als Ersatz im strengen Sinne, da er von demselben Interesse an der Anwendung getragen wurde − dieses Interesse, so Strauss, blieb „maßgebend auch für die schließliche Gestalt von Hobbes’ Politik“ (ebd., 117–119). Es bewirkte zugleich, dass sich Hobbes nicht damit begnügen konnte, zu fragen, wie die Normen der traditionellen Moral verwirklicht werden können. Die Normen wollte er selbst neu bestimmen – und zwar so, dass sie „von vornherein in Einklang mit den Leidenschaften“ wären und das Problem der Anwendung gar nicht erst entstände (ebd., 119 f.). Das Naturgesetz auf der Todesfurcht, die zugleich die stärkste und die aufklärerische Leidenschaft sei, zu begründen und das Staatsgesetz zu gründen bedeute, den Bedarf nach (in ihrer Vernunft) überlegenen Individuen für die Auslegung der Normen umgehen zu können (ebd., 120). Dies solle möglich sein, weil a) die Todesfurcht bei den meisten Menschen gleich wirksam sei; b) die Sprache der Gesetze eine genauere Ausformulierung zulasse als eine allgemeine Hierarchie der Zwecke, die wenig über die optimalen Mittel dafür besage.

Die Geschichte durfte also „in ihre alte philosophische Bedeutungslosigkeit“ zurückgedrängt werden, sobald Hobbes’ neue politische Wissenschaft zur Lösung des Gehorsam-Problems ausgereift war (ebd., 114 f.).Footnote 82 In der endgültigen Gestalt Hobbes’scher Lehre bleibe der Geschichte nur eine rudimentäre Bedeutung. „Der Naturzustand ist also für Hobbes nicht eine historische Tatsache, sondern eine notwendige Konstruktion“. Immerhin: Es sei zwar „keine wirkliche Geschichte“, jedoch „eine typische Geschichte“ (ebd., 123). Mit seiner Erzählung über den Naturzustand als einen geschichtlichen Vorgang zeigte Hobbes „,dass der Gegenstand wenigstens des grundlegenden Teils der politischen Wissenschaft eine Geschichte, […] nicht eine ruhende, in sich vollendete Ordnung ist“ (ebd., 123). Zwar wurde die Geschichte für Hobbes also überflüssig, aber nur deswegen „,weil für ihn die politische Wissenschaft selber geschichtlich“ wurde (ebd., 124 f.).

Es war, so Strauss, Hobbes’ eigentümliche moralische Gesinnung, die gegen die Richtigkeit der traditionellen Normen sprach − es war „die neue Moral“. Die Tatsache, dass Strauss die Untersuchung „der neuen Moral“ und „der neuen politischen Wissenschaft“ Hobbes’ in separaten Kapiteln untergebracht hat, ist aussagekräftig; sie spiegelt die von Strauss gezogene Unterscheidung zwischen dem Material und der Methode, dem Ursprung und der Ausformulierung der Hobbes’schen Lehre, wider. Während das Prinzip der Anwendung die Form von Hobbes’ politischer Wissenschaft bestimmte, bestimmte die moralische Gesinnung, die für Hobbes schon vor seiner Beschäftigung mit Mathematik und Naturwissenschaft maßgebend war, ihren Gehalt. Diese Gesinnung fand dennoch gerade als Hobbes’ politische Wissenschaft „nie einen beredteren und ehrlicheren Ausdruck“ (ebd., 127; siehe auch S. 211).

Die neue Moral war so konzipiert, dass sie im Einklang mit den Leidenschaften wäre, und sie reifte durch Hobbes’ Beschäftigung mit Thukydides aus − Thukydides als Historiker, der die Leidenschaften als wirksamste Motive menschlichen Verhaltens identifizierte (ebd., 127 f.). Es war die Einleitung zu der Thukydides-Übersetzung, in der Hobbes seine „neue Moral“ zum ersten Mal zum Ausdruck brachte und auch für den Vorzug der Monarchie „mit alleiniger Rücksicht auf die Macht der Leidenschaften“ – nicht auf Basis natürlich-theologischer Argumente – argumentierte (ebd., 129 f.). Es war vor allem die Macht und die Gefahr der Eitelkeit, die für Hobbes’ Urteil über die Staatsformen bestimmend war − Eitelkeit in Form von Streben nach Rang und Vorrang, das Hobbes als Wurzel aller Schlechtigkeit erkannte.Footnote 83 An dieser Einstellung (über die Eitelkeit als die den Menschen verblendende Macht und Ursprung allen Übels) habe sich bei Hobbes, so Strauss „,bis zu den spätesten Schriften nichts geändert“ (ebd., 132).

Dafür aber sehr wohl an der Methode: Sie habe die Wandlung von der Berufung auf die Geschichte zum direkten Studium der Leidenschaften (ebd., 132) und ihrer materialistisch-mechanistischen Erklärung gemacht. Nachdem er die traditionelle Metaphysik, wie sie vor allem von Aristoteles entwickelt worden ist, abgelehnt hatte, brauchte Hobbes eine neue Methode, und zu dieser wurde die den Naturwissenschaften entlehnte resolutiv-kompositive. Um es zusammenzufassen: Die Adelsmoral mit der Ausrichtung auf die Ehre, die ihren Ursprung in Hobbes’ früher Beschäftigung mit antiken Schriften hatte, wurde durch Klugheitsmoral und durch Wendung zur „klugmachenden“ Geschichte ersetzt, die wiederum in der neuen politischen Wissenschaft aufgehoben wurde − einer neuen politischen Wissenschaft, die nicht der Klugheit traute, sondern nur der stärksten Leidenschaft Todesfurcht (ebd., 135 f.). So vollzog sich Hobbes’ Übergang von dem humanistisch verstandenen Aristoteles zu der Begründung einer eigenen − modernen − politischen Wissenschaft über die vorläufige Orientierung an der Adelstugend und über das Studium des Geschichtsschreibens.

Die neue Moral, die Gesinnung von Hobbes’ neuer politischer Wissenschaft war eine bürgerliche − die Moral der Bourgeoisie. Sie sollte die Letztere wiederum daran erinnern, dass „die Sicherheit von Leib und Leben“ die „elementare Bedingung ihrer Existenz“ sei (ebd., 141).Footnote 84 Es seien allerdings „privates Eigentum und privater Gewinn“, die „die unerlässliche Bedingung für alles friedliche Zusammenleben“ darstellen würden, und „nächst dem äußeren und inneren Frieden ist die Freiheit der individuellen Bereicherung das wichtigste Ziel des menschlichen Zusammenlebens“ (ebd., 138).

Vor dem Hintergrund Hobbes’ „neuer Moral“ stellte sich für Strauss die Frage, wie sich Hobbes’ bürgerliches Ideal mit seiner Sicht des Ganzen verhalte und was die Letztere überhaupt ausmache. Es sei die Sicht, so Strauss, die die Schöpfung und Vorsehung leugne, die erkläre, dass der Mensch der Natur preisgegeben sei: „Ist der Mensch also dem ihm mit der Härte der Gleichgültigkeit bald schadenden bald nützenden Universum völlig ausgeliefert, so hat er keinen Grund, der,ersten Ursache‘ dankbar zu sein“ (ebd., 142 f.). Das Preisgegeben-Sein ist auf zweierlei Weise zu verstehen: Der naheliegenden Erklärung gemäß wird damit gesagt, dass die äußere Natur dem Überleben und dem Wohl der Einzelnen gegenüber indifferent sei. Auch wenn sich Hobbes dieses Argumentes bediente, um die Autonomie des Individuums und seine Angewiesenheit auf eigene Leistung zu behaupten und die Vorsehung als einen für die Moral- und Staatslehre überflüssigen Faktor zu beweisen, bietet es noch keine genügende Begründung für die Notwendigkeit eines bürgerlichen Gemeinwesens. Zwar ist die Preisgegebenheitsthese die Bedingung menschlicher Autonomie und Bedingung sowie zugleich Folge der Unterscheidung zwischen menschlicher und äußerer Natur: Gerade dass der Mensch der Natur fremd, dass er der Natur preisgegeben und ihr ausgeliefert sei, war für Hobbes ein Grund, die Idee einer spezifisch menschlichen Natur zu behaupten (vgl. Strauss 1977, 125 f.). Jedoch kann das problematische, weil wechselhafte und schwer zu kontrollierende Verhältnis des Menschen zu der äußeren ihn umgebenden Natur an sich als Ursache lediglich von geringfügiger Bedeutung für die Legitimation einer politischen Ordnung sein.

Auf der zweiten Sinnebene der Preisgegebenheitsthese finde sich das Individuum nicht der äußeren Natur, sondern den anderen menschlichen Individuen ausgeliefert (Strauss 2008 b, 143). Dieses Verhältnis sei nicht der äußeren Natur, sondern der dem Menschen eigenen Natur inhärent, auch wenn es ein bald schadendes, bald nützendes Universum voraussetze (sowie die Leugnung der Vorsehung, von der sich gegenseitige Verpflichtungen der Menschen ableiten lassen würden; ebd., 143). Das Verhältnis der Menschen zueinander bei Hobbes setze, wie es in der ungestümen Beschreibung des Naturzustandes festgehalten ist, die Postulate der menschlichen Natur voraus, die, wie Strauss verdeutlicht hat, nicht einer naturalistischen, sondern moralischen Auffassung des Menschen zu verdanken seien.Footnote 85

Die Abkoppelung des Menschen von der äußerlichen Natur, vom Kosmos sei der Ausdruck, die Begründung und zugleich Folge der Behauptung von menschlicher Freiheit zur Selbstgestaltung. So erfasste Strauss die individuelle Autonomie in der Lehre Hobbes’ als eine gewisse Paradoxie: „Der Mensch kann nur deswegen souverän sein, weil er in der Welt absolut fremd ist. Er kann souverän nur sein, weil er dazu gezwungen ist“ (1977, 181). Diese „erzwungene“ Freiheit oder determinierte Indeterminiertheit, die Leugnung der natürlichen Harmonie zwischen dem menschlichen Geist und dem All (ebd., 181) sei der grundlegende Baustein nicht nur der Hobbes’schen Vorstellung des Menschen, sondern auch der modernen Naturrechtslehre überhaupt. Eine nicht teleologische Anthropologie bedürfe einer nicht teleologischen Kosmologie (Strauss 1997, 180 f.).

Gott erscheine in diesem Bild nicht als gütiger Schöpfer, sondern als unwiderstehliche Macht, mit der man sich abfinden müsse. Dass Hobbes die Bedeutung der Dankbarkeit des Menschen gegenüber dem Gott geleugnet habe, stehe im Zusammenhang mit und werde erfordert durch seine Auffassung des Menschen, die bei diesem um des Friedens willen die Todesfurcht aufrechtzuerhalten strebe und das Glück für verblendende Macht, das Unglück dagegen für aufklärerisch erkläre (Strauss 2008 b, 144). Mit der Dankbarkeit werde auch deswegen aufgeräumt, weil sie im Gegensatz zu einem instrumentellen Verhältnis zur Natur stehe: Der Natur sei nicht zu danken, sondern sie sei zu benutzen, zu bearbeiten (ebd., 145). Das instrumentelle Verhältnis zur Natur sei ein Baustein des Zivilisationsideales − es rufe zur Überwindung der natürlichen Schranken auf und erkläre das richtige Verhalten des Menschen „ausschließlich als Ausfluss des richtigen Selbstbewusstseins“ und nicht etwa der Kenntnis des Platzes, der dem Menschen im Kosmos zugewiesen sei (ebd., 148, siehe auch S. 218 dieser Arbeit). Damit ständen das Zivilisationsideal und Hobbes’ neue Moral „im Gegensatz zu allen [traditionellen] Auffassungen, welche das Wesen des richtigen Verhaltens als Gehorsam anerkennen“ (ebd., 148).Footnote 86

Das Verhältnis Hobbes’ zu der Tradition klassischen Denkens war für Strauss dasjenige zwischen der klassischen und der modernen Naturrechtslehre. Es lasse sich in folgende Gegensätze gliedern bzw. drücke sich durch folgende Gegensätze in Bezug auf das Menschenbild aus: Pflicht versus Recht als der die menschliche Ordnung bestimmende Ausgangspunkt; die Identifikation des Guten mit dem Angenehmen versus ihre prinzipielle Unterscheidung; die Annahme der natürlichen Geselligkeit oder Sozialität des Menschen versus die Behauptung asozialer Natur des Individuums. Es sind Gegensätze, an denen sich für Strauss der moderne Charakter Hobbes’scher Lehre zeigte.

Ein Überblick über die charakteristischen Auffassungen klassischer politischer Philosophie findet sich in Strauss’ Naturrecht und Geschichte. Zu der klassischen Tradition zählte Strauss drei Typen der Naturrechtslehre: die sokratisch-platonische bzw. die sokratisch-platonisch-stoische, die aristotelische und die thomistische (1977, 151). Bei näherer Betrachtung scheinen diese Denktraditionen miteinander nicht vereinbar zu sein; und doch hat Strauss sie als klassisches Paradigma dem modernen entgegengestellt. Die Entwicklung der Naturrechtslehre vollzog sich, so Strauss, einerseits über Brüche und andererseits über überraschende Annäherungen, die wiederum durch andere Gegensätze ins Leben gerufen wurden: Einen bemerkenswerten Fall böte die Auflehnung moderner Denker gegen den thomistischen Strang, die unter Bezugnahme auf die antiken Lehren erfolgte.Footnote 87 In seiner Forderung der Unabhängigkeit des Naturrechts von der Theologie näherte sich das moderne politische Denken somit den Positionen von Platon und Aristoteles (ebd., 169).

Dass Strauss in seiner Untersuchung des Verhältnisses der Hobbes’schen Ideen zu der antiken und der biblisch-christlichen Tradition politischen Denkens von einer Konfrontation, von einem Bruch ausging, hatte nicht zuletzt den Grund, dass Hobbes diesen Bruch explizit verkündet hat (Strauss 2008 b, 9 f.).Footnote 88 In „How to Study Medieval Philosophy“Footnote 89 opponierte Strauss gegen den Kant’schen Gedanken, dass man eine Philosophin besser verstehen könne, als diese sich selbst verstand, und plädierte stattdessen für das, was er als historisches (nicht mit einem historistischen zu verwechselndes!) Verständnis bezeichnete. Während eine nicht historische Interpretation selbstreferenziell vorgehe und den Horizont des früheren Denkens durch den eigenen ersetze, frage die historische in erster Linie nach der bewussten Absicht der zu studierenden Autorin selbst. Der unhistorischen Deutung liege eine progressistische Annahme zugrunde, dass sich die Ideengeschichte fortschrittlich vollziehe, d. h. dass die zeitgenössischen Erträge dem wahren Wissen näher oder anderweitig wertvoller und überlegener seien als die tief in der Vergangenheit liegenden (Strauss 1996, 321 f.; zu Strauss’ Kritik historistischen und progressistischen Denkens siehe S. xi, 172 sowie das Kap. Hobbes und die Liberalismuskritik Schmitts und Strauss’ ab S. 289). Dagegen setze die historische Deutung voraus, dass „all periods are equally,immediate to God‘“ (ebd., 324). Daraus leite sich das Prinzip ab, eine frühere Philosophin so genau wie möglich nach ihrem eigenen Selbstverständnis zu verstehen versuchen.Footnote 90 Dieses stelle das einzige Orientierungskriterium einer Interpretation dar: Es könne eine „infinite variety of interpretations“ eines Autors geben, die bestrebt seien, diesen besser zu verstehen, als er sich selbst verstand „,but there is only one way of understanding him as he understood himself“ (ebd., 323 f.).

Sich an seiner eigenen Forderung haltend hat Strauss Hobbes’ ausdrückliche und grundsätzliche Opposition gegen die gesamte Tradition „ernst genommen“ (2008 b, 16).Footnote 91 „To take a serious teaching seriously“ bedeute „to consider the possibility that it is simply true“ (Strauss 1996, 324). Das, was Strauss als historisches Verständnis bezeichnete, ist – seine Sicht der Philosophie voraussetzend – ein philosophisches, weil nichts anderes als die Wahrheit über das Ganze die einzige angemessene Frage sein könne, von der aus man sich der zu untersuchenden Philosophin nähere. Denn welche Form diese Frage im konkreten Fall auch einnehme, bleibe sie zentral, so wie sie für die Philosophie zentral bleibe (ebd., 324 f.; zu Strauss’ interpretatorisch-philosophischem Ansatz siehe auch S. 166 dieser Arbeit).

Die Anerkennung Hobbes’ als Begründer der modernen politischen Philosophie bzw. Wissenschaft bezeichnete Strauss in seinem dem Hobbes-Buch beigefügten Vorwort zu der deutschen Ausgabe als einen „Irrtum“ und korrigierte sich: „nicht Hobbes, sondern Machiavelli gebührt diese Ehre“ (2008 b, 9).Footnote 92 Er selbst hatte, so Strauss’ Eingeständnis „,der Frage, ob sich Weisheit von Mäßigung trennen lasse oder den Opfern, die wir bringen müssen, damit unser Geist frei sei, nicht genug Aufmerksamkeit geschenkt“ (ebd., 9). Dieser Satz bringt das Problem zum Ausdruck, dass sich Wissen und Mäßigung für Strauss von Grund auf widersprachen. Wissen, d. h. philosophisches Denken, müsse radikal sein; Radikalität sei die Tugend des Denkens, Mäßigung, im Gegensatz dazu, eine politische Tugend. Die politische und die philosophische Tugend ständen in einem grundsätzlichen Konflikt. Eine einer politischen Einheit angehörende Philosophin stehe stets unter dem Gebot, sich rhetorisch zu mäßigen − es sei gar die Bedingung dafür, im Denken radikal sein zu können. Die Auferlegung der rhetorischen Mäßigung sei ein Preis, den eine Philosophin aufgrund der theologisch-politischen Herausforderung zahlen müsse, um im Inneren frei sein zu können. Vor dem Hintergrund des Machiavelli-Hobbes-Dilemmas bringt die Anmerkung Strauss’ im „Vorwort“ ein Paradox zum Ausdruck: Nicht der in seiner Rhetorik direkte, gewaltige Hobbes, der alle Tradition verworfen habe und sich zum Begründer der politischen Wissenschaft erklärte, sondern Machiavelli, der in seinem Denken, Anspruch und Selbstwahrnehmung zwar nicht weniger radikal war,Footnote 93 aber dafür in seiner Rhetorik,Footnote 94 sei der Begründer (vgl. Strauss 1989, 83 f.).

Mit Machiavelli teilte Hobbes die Auflehnung gegen die „Unwirksamkeit“ der klassischen politischen und moralischen Lehre, d. h. die Bezugslosigkeit der Frage nach dem besten Regime zu der Realität sowie die Bezugslosigkeit der Orientierung an der menschlichen Perfektion zu den tatsächlichen Verhaltensmustern des Menschen. Andererseits – und darin bestand der Gegensatz von Hobbes’scher und Machiavelli’scher politischer Lehre – band Hobbes trotz der Verwerfung des Ideals der menschlichen Perfektion seine politische Lehre doch unmittelbar an die Frage nach der menschlichen Natur und nach dem Naturgesetz. Die Frage der Politik war für Hobbes mit der Frage der Moral sowie mit der Prüfung menschlicher Anlage zum Frieden verbundenFootnote 95 – aus dem konsequent machttheoretischen Ansatz Machiavellis ließe sich dies nicht rechtfertigen. Die Verwurzelung der Moral in der Natur des Menschen reihte Hobbes unter den Naturrechtslehrern ein. Der von ihm vollzogene Bruch war daher ein Einschnitt im naturrechtlichen Denken selbst und nicht dessen Aufgeben.

Die drei erwähnten Gegensätze zwischen der Hobbes’schen und der traditionellen Naturrechtslehre (die Neubegründung des Naturrechtes auf Recht als universellem Anspruch und nicht auf der Pflicht, die in der natürlichen Ordnung vorgeschrieben wäre; die politische Aufwertung der hedonistischen Identifikation des Guten mit dem Angenehmen; die Ablehnung der Annahme natürlicher Geselligkeit des Menschen) kämen bei Hobbes in der Gegenüberstellung des bürgerlichen und des natürlichen Lebens des Menschen zur Geltung. Die für Hobbes charakteristische Auffassung des Verhältnisses vom Naturzustand und Staat als absoluter Gegensatz (Strauss 2008 b, 14) habe zwar die sokratische Denktradition (als Hinwendung der Philosophie zu spezifisch menschlichen Fragen) zur Voraussetzung, laufe dieser Tradition jedoch zuwider. Gemäß der klassischen Auffassung des Menschen und der Politik „wäre der Naturzustand das Leben in einer gesunden bürgerlichen Gesellschaft und nicht das der bürgerlichen Gesellschaft vorausgehende Leben“ (Strauss 1977, 191 f.).

Zwar teilte Hobbes die Anschauung, dass das naturgemäße und das politische Leben keine Einheit darstellen, mit der konventionalistischen Tradition,Footnote 96 jedoch unterscheide sich die Lehre Hobbes’ von der Letzteren dadurch, dass Hobbes das Staatsmodell mit Rücksicht auf das natürliche Leben, in dem die Koexistenz aufgrund der Machtgier und der Verletzungsbereitschaft unerträglich sei, konzipiert habe und die Notwendigkeit des Staates also mit Blick auf die Unzulänglichkeiten des Naturzustandes begründete. Wenn Hobbes vom Menschen behauptete, er sei von Natur aus ein unpolitisches und sogar ein asoziales Wesen, dessen Geselligkeit durch Bezwingung seiner natürlichen Eitelkeit erkämpft werden müsse, dann forderte er damit ein künstliches Gebilde des souveränen Staates, der mittels Vernunft und auf Basis der Todesfurcht die Menschen vor der Misere und Widersprüchlichkeit ihrer eigenen Natur zu schützen fähig wäre. Hobbes stimmte mit den Konventionalisten darin überein, dass die Gesellschaft ein künstliches Gebilde sei, jedoch wurde bei Hobbes die bürgerliche Gesellschaft als Bezwingung der Natur von dieser Natur selber gefordert (ebd., 191 f.). Die Möglichkeit des Friedens bedürfe zweifellos künstlicher Macht, jedoch setze diese Macht das Naturgesetz in Form von Friedensgebot sowie die Todesfurcht als stärkste Leidenschaft voraus. Anders gesagt setze bei Hobbes der Mensch als Hersteller des Staates den Menschen als Materie des Staates voraus.

Das künstliche Gebilde könne sich nicht auf ein theologisch untermauertes Pflichtbewusstsein berufen und müsse mit den Leidenschaften − mit der stärksten von ihnen − zusammenarbeiten. So müsse auch das Naturrecht mit dieser stärksten Leidenschaft kompatibel sein; es solle daher beim Recht und nicht bei der Pflicht jeder Einzelnen ansetzen. Der extreme Fall des Notrechts, so Strauss, werde bei Hobbes zum Fundament des Naturrechts gemacht (2013 c, 14, vgl. Namazi 2018, 10). Es zeige sich unmissverständlich, dass die Leugnung der natürlichen Sozialität des Menschen mit der Aberkennung der Vorrangstellung der Pflicht gegenüber dem Recht notwendigerweise einhergehe.

3.6 Die neue politische Wissenschaft Hobbes’ in ihrem Verhältnis zu der naturwissenschaftlichen Methode und zur Tradition

Die bisher analysierten Erwägungen Strauss’ zum Verhältnis zwischen dem Material und der Methode der Hobbes’schen Lehre bzw. zwischen der anthropologischen und der naturalistischen Auffassung des Menschen und der Politik lassen sich wie folgt zusammenfassen: Strauss war darum bemüht, die Trennung zwischen der für Hobbes ursprünglichen, ihn auszeichnenden und essenziellen Gesinnung und der Darstellung der Lehre so stark wie möglich zu machen, um die Unzulänglichkeit der geläufigen Hobbes-Interpretationen offenzulegen.Footnote 97 Diese Bemühung kam an vielen Stellen seines Hobbes-Werkes zum Ausdruck: indem Strauss, z. B., die Methode für „unmöglich“ „allein für Hobbes’ Politik charakteristisch“ (2008 b, 14) erklärte; auch, indem er behauptete, dass Hobbes’ Bruch mit der antiken und der christlichen Tradition von der Grundlegung der modernen Naturwissenschaft unabhängig und allein auf seine Gesinnung zurückzuführen sei (ebd., 17); indem er, letztlich, beteuerte, dass nicht ein naturalistischer, sondern „der moralische, humane Gegensatz“ (zwischen der Eitelkeit und der Furcht vor dem gewaltsamen Tod) der politischen Lehre Hobbes’ zugrunde liege (ebd., 41) und dieser Gegensatz seiner politischen Lehre „ihren eigentümlichen Gehalt“ gebe (ebd., 127).

Andererseits war Strauss in seiner Untersuchung alles andere als gleichgültig, was Hobbes’ mathematische, mechanistisch-materialistische Art der Beweisführung anbelangte. Er konnte es schon deswegen nicht sein, weil er Hobbes’ grundlegende und ursprüngliche Gedanken erst „entwirren“ musste − aus der „der Mathematik entlehnte[n] Beweisform“ und der „der Naturwissenschaft entlehnte[n] Psychologie“, die diese Gedanken „eher verdeckt als geklärt“ hätten (ebd., 42). Um festzustellen, ob Hobbes’ humane und moralische Grundlegung der Politik in der Tat ursprünglicher sei als ihre naturalistische Darstellung, hat Strauss die Untersuchung des (von Hobbes verfassten sowie von ihm benutzten) Materials unternommen, das auf die Zeit vor dessen erster Begegnung mit den Schriften Euklids datiert (vor allem seiner Einleitung zu der eigenen Übersetzung Eight Books of the Peloponnesian Warre Written by Thucydides). Ebenfalls hat er einen Vergleich von vierFootnote 98 Darstellungen Hobbes’ politischer Wissenschaft gezogen, die zu unterschiedlichen Zeitpunkten zwischen 1940 und 1958 verfasst worden sind.

Nachdem diese Analyse die These Strauss’ von der Unabhängigkeit der Substanz in der Hobbes’schen Lehre von dessen Wendung zur naturwissenschaftlichen Methode bewiesen hatte und besonders die Einleitung zur Thukydides-Übersetzung Strauss überzeugt hatte, dass das von Hobbes vor seiner Beschäftigung mit Mathematik und Naturwissenschaft Verfasste „seine ursprünglichen Gedanken besser zum Ausdruck bringt als die Werke seiner Reifezeit“, stellte sich Strauss eine nächste Frage. Diese lautete „,ob und inwieweit die,Entdeckung‘ Euklids […] die Genesis seiner Politik nicht bloß beeinträchtigt, sondern auch andererseits gefördert hat“ (ebd., 42 f.). Zwar habe „sich am wesentlichen Inhalt der Grundlegung und Zielsetzung der Politik von der Einleitung zur Thukydides-Übersetzung an bis zu den spätesten Schriften nichts geändert“ – dafür aber an der Methode der Begründung, und diese Veränderung führe auf die Elemente Euklids zurück (ebd., 132). Ihre Lektüre „machte ohne Zweifel in seinem [= Hobbes’] Leben Epoche; sie ist geradezu das epochenmachende Ereignis für Hobbes gewesen: alles, was er danach gedacht und geschrieben hat, ist durch dieses Ereignis bestimmt“ (ebd., 42). Aus diesem Grund beruhe Hobbes’ politische Wissenschaft sowohl in seinen Elements als auch in Elementa philosophiae und Leviathan „methodisch und sachlich“ auf Naturwissenschaft (ebd., 19). Das heißt konkret, dass Hobbes im Laufe der Jahre das moralisch gemeinte Postulat der Eitelkeit in zunehmendem Ausmaß als das schilderte, was es für ihn nicht gewesen sei − als „unschuldiges“ Machtstreben und animalisches Begehren. Auf vergleichbare Weise wurde aus dem Postulat der Todesfurcht, der naturalistischen Begründung entsprechend, das Prinzip der Selbsterhaltung (ebd., 27 f.).

Noch im vorletzten Kapitel seines Hobbes-Buches ließ Strauss es − d. h. die Frage nach der möglichen Zusammenwirkung der naturalistischen Beweisführung Hobbes’ mit seinen moralischen Auffassungen – offen (ebd., 135). Diese Frage bekam in dem letzten Kapitel die ihr gebührende Überlegung, die allerdings das aufgriff, was Strauss schon davor in ein paar einschlägigen Anmerkungen angekündigt hatte. Zwar vergewisserte Strauss die Leserinnen, dass der Unterschied zwischen der für Hobbes maßgebenden Gesinnung und der antiken sowie christlichen Tradition ein epochemachender war, dass er von der Aneignung der naturwissenschaftlichen Methode unabhängig war und gar ihr vorausging, dass also der Titel des Begründers moderner politischer Philosophie nicht auf Hobbes’ Anwendung der naturwissenschaftlichen Methode im Bereich der Politik beruhe (ebd., 17). Jedoch, wie Strauss in dem Kapitel „Die neue politische Wissenschaft“ erklärte, sei im Fall Hobbes’ zwischen einer neuen Gesinnung und der Bewusstheit über diese Neuheit zu unterscheiden. Es war der ausdrückliche Bruch mit der Tradition, der die Folge der Hobbes’schen Wendung zur Mathematik und Naturwissenschaft war (ebd., 156). Sie hatte aber, schrieb Strauss ein paar Kapitel früher, einen philosophischen und mit Hobbes’ ursprünglicher Gesinnung unmittelbar verwobenen Sinn. Es frage sich, so Strauss, ob Hobbes’ ausdrücklicher Bruch mit der Tradition nicht nur und nicht in erster Linie eine Hinwendung zur Mathematik und zur modernen Naturwissenschaft war, sondern durch die Annäherung an Platon gekennzeichnet und bedingt (ebd., 48).

Dieser entscheidenden Frage, bei deren Beantwortung sich die Verwobenheit des Bruchs mit der Tradition in Hobbes’ politischer Philosophie mit ihren naturalistischen Elementen zeige, ist das letzte Kapitel von Strauss’ Hobbes-Werk gewidmet. Es ist eine Problematik, der sich zu stellen Strauss sich bereit fühlte, nachdem die Frage nach der Genese Hobbes’scher Lehre beantwortet und diese Antwort in fünf Punkten zusammengefasst worden war (ebd., 149). Er stellte sie also erst nach der Untersuchung, inwiefern sich Hobbes inhaltlich von Aristoteles distanziert hatte − durch dessen humanistische Interpretation −, bevor es zu einer ausdrücklichen Distanzierung kam (ebd., 152–156).

Erst nach dem expliziten Bruch, versteht sich, kann die Rede von Hobbes’ „neuer politischer Wissenschaft“ sein, weil seine ursprüngliche Gesinnung erst nach der Aneignung der methodisch neuen Beweisführung ihre endgültige Gestalt annahm. Es fragt sich, warum der explizite Bruch so lange auf sich warten ließ und warum Hobbes, obwohl seine moderne Gesinnung schon längst reif war, eines methodologischen Anstoßes bedurfte, um eine neue politische Wissenschaft anzukündigen. Die Antwort Strauss’ lautet, dass Hobbes „das Bedürfnis nach einer Reform der politischen Wissenschaft primär als Bedürfnis nach einer neuen Methode der politischen Wissenschaft“ auffasste. Es war die Methode, die zum Problem wurde, weil die Idee der politischen Wissenschaft als politische Wissenschaft für ihn durch die Tradition vorausgesetzt war. Zwar habe Hobbes die Tradition „in Bausch und Bogen“ verworfen, aber „dass politische Wissenschaft überhaupt möglich und notwendig sei“, wurde von Hobbes „keinen Augenblick lang bezweifelt“ „,die Möglichkeit und Notwendigkeit einer politischen Wissenschaft [war für Hobbes] selbstverständlich“. Es war „die Macht der wissenschaftlichen Tradition, die es zu der radikalen Frage nach dem Sinn von Wissenschaft als solcher überhaupt nicht kommen ließ“ (ebd., 156).

Als Strauss in seinem Vorwort zu der amerikanischen Ausgabe von The Political Philosophy of Hobbes. Its Basis and Its Genesis 1951 sowie in dem deutschen Vorwort 1964 von dem Irrtum sprach, Hobbes und nicht Machiavelli als den Begründer der modernen Politikwissenschaft betrachtet zu haben, wies er hin auf die dieser Deutung zugrunde liegenden „charakteristischen Prämissen“. „Ich“, so Strauss „,setzte voraus, dass politische Philosophie als Suche nach der endgültigen Wahrheit betreffend die politischen Grundtatsachen möglich und notwendig ist“ (ebd., 9). Wohlgemerkt: Strauss selbst war es, der die Möglichkeit und Notwendigkeit einer politischen Wissenschaft für selbstverständlich hielt. In demselben Vorwort kündigte Strauss an, die „Mängel“ von Hobbes’ politischer Wissenschaft in ihrer Genesis „stillschweigend“ in dem Hobbes gewidmeten Kapitel von Naturrecht und Geschichte und in „On the Basis of Hobbes’s Political Philosophy“Footnote 99 behoben zu haben.Footnote 100

Der erste Satz des erwähnten Kapitels aus dem Jahr 1953 lautet „Thomas Hobbes regarded himself as the founder of political philosophy or political science“ (meine Hervorhebung, Strauss 1965, 166) und gibt damit einen klaren Hinweis auf die Übertragung dieses Titels von Hobbes auf Machiavelli, die Strauss 1951 verkündete. In Kürze folgt dieser Aussage die erwartete stillschweigende Behebung, in der Strauss „the significant results of present-day polymathy“ in einem Satz zusammenführt: „Hobbes was indebted to tradition for a single, but momentous, idea: he accepted on trust the view that political philosophy or political science is possible or necessary“ (ebd., 167). Nun ist dieser Satz selbst viel mehr ein Rätsel als Auflösung der Frage, wie es sich bei Hobbes mit der Begründung der politischen Philosophie verhalte. Es bedarf also eines näheren Blickes auf die genaue Platzierung des Satzes innerhalb des Strauss’schen Textes.

Der Satz ist im zweiten Absatz des Kapitels zu finden – demjenigen, der an die im ersten Absatz geäußerte These anschließt, dass „Thomas Hobbes regarded himself as the founder of political philosophy or political science“. Im zweiten Absatz liest man: „Present-day scholars are not impressed by Hobbes’s claim. They note that he was deeply indebted to the tradition which he scorned. Some of them come close to suggesting that he was one of the last Schoolmen“ (ebd., 166 f.). Sowohl der leicht ironische Ton ( „are not impressed“ „,come close to suggesting“), der sich von dem üblichen Duktus Strauss’ abhebt, als auch die Tatsache, dass Strauss in seinem Hobbes-Werk den Einfluss der Scholastiker auf die intellektuelle Entwicklung Hobbes’ explizit ablehnte (2008 b, 46), machen deutlich, dass Strauss’ Anmerkungen über zeitgenössische Hobbes-Forscherinnen kritisch gemeint war. Man könnte daraus schließen, dass auch die „one sentence“ „of present-day polymathy“ als eine kritische, ablehnende Zusammenfassung gemeint ist, wenn Strauss die Ergebnisse der „polymathy“ nicht zugleich mit dem Adjektiv „significant“ versehen hätte. Dies zeugt aber davon, dass Strauss trotz seiner allgemein kritischen Einstellung zu den Interpretationen, die Hobbes’ Befangenheit in der Tradition herausstellen, ihnen eine Erkenntnis entnahm, der er zustimmen konnte. Diese mögliche Interpretation wird zu einer wahrscheinlichen, wenn man nicht nur das unmittelbare Umfeld, sondern auch die weiteren Erkenntnisse des Kapitels in Betracht zieht, etwa Strauss’ Feststellung: „Hobbes rejects the idealistic tradition on the basis of a fundamental agreement with it. He means to do adequately what the Socratic tradition did in a wholly inadequate manner“ (1965, 168).

Bleibt man bei der Vermutung, dass Strauss die „significant results“ der Hobbes-Interpretation zustimmend und nicht ablehnend zusammengefasst hat, wird man allerdings mit der Frage konfrontiert, wie man seine Bejahung, dass Hobbes „is indeed the founder“ der modernen politischen Philosophie (ebd., 177), die der Leserin auch von Hobbes’ politischer Wissenschaft in ihrer Genesis bekannt ist, zu verstehen hat. Eine mögliche Antwort findet man in diesem Werk, wenn man sich genauer die Überlegung Strauss’ auf S. 156 anschaut. Vollständig lautet die Voraussetzung der philosophischen Tradition, die Hobbes „keinen Augenblick lang bezweifelt[e]“: „Dass es nicht auf die Verkündung, sondern auf die Begründung des neuen Ideals ankomme, dass eine solche Begründung, dass politische Wissenschaft überhaupt möglich und notwendig sei“ (Strauss 2008 b, 156). Politische Wissenschaft, d. h. die Idee der politischen Wissenschaft oder politischen Philosophie als möglich und notwendig vorauszusetzen bedeutete für Hobbes, so Strauss, sie selbst begründen zu müssen und nicht von so einer Begründung bereits ausgehen zu können. Die Voraussetzung der politischen Philosophie als möglich und notwendig bedeute also die Voraussetzung, dass die Begründung der politischen Philosophie als einer politischen Philosophie möglich und notwendig sei. Das heißt, paradoxerweise, Hobbes schuldete der klassischen Tradition das Prinzip, sich mit der Tradition nicht zufrieden zu geben − mit keiner Tradition.

Diese Erklärung findet ihre Bekräftigung in Strauss’ Worten, dass die Frage „warum Philosophie?“ im Zentrum der ersten philosophischen Überlegungen stand. Auch die Denker des Mittelalters mussten diese Frage beantworten, um der Herausforderung der Offenbarungsreligion standzuhalten. Im Gegensatz zur antiken und mittelalterlichen Tradition, die Philosophie radikal zu begründen hatte, hielten die Modernen – nach Hobbes – die Frage nach dem Sinn philosophischen Unternehmens für beantwortet (vgl. S. 70, 74). Dabei sei es, so Strauss, für keine „genuine scholar“ akzeptabel, einer Antwort einfach zu glauben, und schon gar nicht der für die Philosophie wichtigsten Frage der Selbstlegitimierung (1996, 329 f.).Footnote 101 Hobbes war der Begründer einer neuen politischen Philosophie oder politischen Wissenschaft; er konnte es werden, weil und nachdem er die traditionelle Begründung verworfen hatte. Es war insofern ein vormoderner Akt, als dass eine moderne Herangehensweise nicht die Notwendigkeit der Begründung voraussetze, sondern die Begründung selbst.

Die Feststellung einer neuen Begründung durch Hobbes wird erweitert durch Strauss’ in seinem Hobbes-Werk niedergelegte Erörterung, dass Hobbes die Frage nach dem Maßstab, an dem sich der Mensch zu orientieren hat, nicht „einfach vergisst, sondern dass er sie in unangemessener Weise, nämlich nur nachträglich [d. h. nachdem Hobbes Frieden, Sicherheit und Ordnung als universelles Ziel eines politischen Gemeinwesens gesetzt hat] stellt und beantwortet“ (2008 b, 175). „In unangemessener Weise“ bedeutet, dass Hobbes nach der Natur des Menschen nicht als Idee des Menschen, Ideal des Menschen, in dem dieser seine Vervollkommnung fände, fragte, sondern „nach dem, was allen Menschen vor aller Erziehung zukommt“ (ebd., 175). Immerhin war es eine Begründung, eine „Grundlegung der Politik“ und „Ausweisung des Maßstabs“: die Zurückführung der natürlichen Vernunft auf ein natürliches Recht, einen natürlichen Anspruch (ebd., 175 f.). Zwei wesentliche Momente, die diese Auffassung von dem right of nature auszeichnen und die den Bruch mit der Tradition ausmachen würden, die die Natur des Menschen in Bezug auf die natürliche Verpflichtung denke, seien, dass das Naturrecht vom Individuum aus und an sich gedacht werde und dabei „ohne irgendwelche zweideutige Anleihen bei einem natürlichen oder göttlichen Gesetz“ (ebd., 177). Gerade aufgrund der Vorordnung des Rechtes vor der Pflicht, gab Strauss zu verstehen, gebühre Hobbes der Titel des Begründers der modernen politischen Wissenschaft.Footnote 102

Laut Strauss möge Hobbes eine neue Tradition begründet haben – eine moderne politische Wissenschaft –, er möge den Maßstab der Politik ausgewiesen haben, aber er tat es, wie bereits erwähnt „,nur nachträglich“ und „in unangemessener Weise“ (ebd., 175 f.). Das Gebäude, das Hobbes auf diesem Fundament errichtet habe, konnte also nicht ewig aufrecht bleiben (ebd., 17), denn seine Anerkennung als Begründer der neuen politischen Philosophie beruhe letztlich selbst auf der Überzeugung der Leserin, dass „politische Philosophie als Suche nach der endgültigen Wahrheit betreffend die politischen Grundtatsachen möglich und notwendig ist“ (ebd., 9). Wenn Strauss 1951 äußerte, dass er Hobbes als politischen Philosophen betrachtete und das immer noch tut, und diese Worte auch 1964 gelten ließ, dann legte er damit nahe, dass man zwar Hobbes’ Begründung, diesen revolutionären Neuanfang anerkennen könne und müsse, aber dass man sich nicht über den Bedarf der Überprüfung dieses Neuanfanges, über seine Unzulänglichkeit täuschen dürfe − trotz Hobbes’ expliziten Selbstbewusstseins als erster Politikwissenschaftler (ebd., 9 f.).

Das mag Strauss’ letztes Wort zum Thema des Verhältnisses von Hobbes zu der Tradition gewesen sein, aber nicht dasjenige, das die Originalität des letzten Kapitels seines Hobbes-Buches ausmacht und insbesondere den Zusammenhang zwischen dem Bruch mit der Tradition und Hobbes’ Hinwendung zu Euklid und Galilei erläutert. Den eigentümlichsten Teil seines Buches begann Strauss mit dem Kommentar zu der Frage, weshalb Hobbes’ Hinwendung zur Geschichte vorläufig war, weshalb er sich nicht auf die Methode des induktiven Schlussfolgerns aus der Geschichte beschränken konnte und zum direkten Studium der Leidenschaften übergegangen sei (ebd., 132). Die Erkenntnis der den Menschen tatsächlich bestimmenden Mächte, zu der die Geschichte befähige, gefährdete für Hobbes „die Möglichkeit einer freien Stellungnahme zum ganzen Tun und Treiben der Menschen“ (ebd., 158). Die Geschichte schloss somit die Möglichkeit einer politischen Wissenschaft aus − zumindest nach der Hobbes’schen Auffassung der Wissenschaft, die das Wissen mit der freien Konstruktion gleichsetzte.Footnote 103 Die Auffassung von Wissenschaft als einer freien, nur dem Abstraktions- und Logikvermögen des Menschen unterliegenden, leidenschaftslosen, exakten Konstruktion ist eine, die mit der Beschreibung der Mathematik als Wissenschaft korrespondiert.Footnote 104 Aus diesem Grund scheint die These nahezuliegen, dass es das Kennenlernen der axiomatischen Beweisführung Euklids war, das Hobbes’ Vorstellung davon, was das Wissen über die Politik ausmachen sollte, auf den Kopf gestellt hat. Jedoch sei der Hobbes’sche Anspruch einer exakten und paradoxenFootnote 105 politischen Wissenschaft, dem er gerecht zu werden versuchte, wie Strauss behauptete, vor allem als Hinwendung zu Platon zu verstehen. Für ein Verständnis von Hobbes’ neuer politischer Wissenschaft sei „daher die Nachprüfung von Hobbes’ Platon-Auffassung unerlässlich“ (ebd., 159–161). Die Lossagung von der Autorität des Aristoteles und die Wendung zu Platon sei im Kern die Forderung nach einer exakten politischen Wissenschaft: So wie Hobbes es verstand, hat Aristoteles bestritten „,dass die Gegenstände der politischen Wissenschaft, das Schöne und Gerechte, eine so exakte Behandlung zulassen wie die Gegenstände der Mathematik“. Platon dagegen habe die Behandlung des Gerechten, des Schönen und des Guten „mit größter Genauigkeit“ gefordert (ebd., 159).

Strauss rekonstruierte das Hobbes’sche Verständnis des Verhältnisses zwischen Platon und Aristoteles, um im Anschluss festzustellen, dass es ein „Missverständnis“ und gar „eine Karikatur“ gewesen sei. Für Hobbes war es nämlich die aristotelische Orientierung an der Sprache, die in dem „Unvermögen zu einer radikalen Kritik der Meinung“ resultierte. Platon dagegen konnte sich nach dem Verständnis Hobbes’ vom Bann der Sprache und der Meinungen – der Meinungen über das Gerechte, Gute usw., die Hobbes als in der Gewalt der menschlichen Leidenschaften stehend und daher als Grundlage der Moral unbrauchbar sah – befreien, weil er vor allem die Mathematik als Wissen par excellence geschätzt habe. Zwar hat Strauss eingeräumt, dass Platon „tatsächlich“ „der Urheber wenigstens des Desiderats einer exakten und paradoxen Politik“ gewesen sei (ebd., 160–162). Jedoch habe sich Platon gleichzeitig sogar viel mehr als Aristoteles an die Sprache gebunden. Gerade die Rede von den Dingen verschaffte – viel mehr als die Dinge oder die Werke der Menschen selbst – für Platon den einzigen Zugang, wie Erkenntnisse über die wahren Gründe (ebd., 161 f.) und über die Tugend zu gewinnen waren (ebd., 165): „Die Tatsache der Widersprüchlichkeit dessen, was die Menschen sagen, beweist, dass in dem, was sie sagen, Wahrheit verborgen ist“ (ebd., 163).

Neben der Forderung einer exakten und dadurch paradoxen Politik war es der antithetische Charakter der politischen Lehre und der sie konstituierende Gegensatz zwischen der Vernunft und den Leidenschaften, der von Platon aus Einfluss auf Hobbes hatte. Dank Platon habe Hobbes den Gegensatz zwischen der Eitelkeit und der Todesfurcht, der für ihn von vornherein der grundlegende Gegensatz zwischen zwei Leidenschaften gewesen sei, als den Gegensatz zwischen dem, was zur Vernunft auffordere, und dem, was die Vernunft blende, verstanden (ebd., 170; siehe auch S. 195 dieser Arbeit).

Das „Missverständnis“ Hobbes’ bezüglich der Frage, inwiefern sich Platon in seiner moralischen und politischen Lehre an der Rede orientiert habe, war, so Strauss, nicht bloß ein Missverständnis, sondern „der prinzipielle Ausdruck für den Gegensatz zwischen antiker und moderner Politik“ (ebd., 185). Dieser als Wendung zu Platon erscheinende Gegensatz verlief also zwischen Hobbes und Platon selbst – er bestehe darin, dass das Ideal exakter Politik für Platon und Hobbes unterschiedliche Bedeutung hatte. Während für Platon die Exaktheit die Zuverlässigkeit eines herauszufindenden Maßstabes bedeutete, trachtete Hobbes nach etwas, was unter allen Umständen anwendbar wäre (ebd., 172).Footnote 106 Strauss’ Ansicht nach war es der Verzicht auf die Orientierung an der Rede, in dem der Hobbes’sche Anspruch auf bedingungslose Anwendbarkeit wurzelte. Dies zeichne eine typisch moderne Grundhaltung aus (ebd., 171). Dieser Orientierung maß Strauss in dem letzten Teil seiner Hobbes-Untersuchung überhaupt eine entscheidende Bedeutung bei, indem er den Verzicht auf die Orientierung an der Rede auch als den Grund für die Leugnung der natürlichen Moral und des natürlichen Gesetzes darstellte. Es sei dieser Anspruch auf bedingungslose Anwendbarkeit und die „Verachtung“ der Rede, so Strauss, die eventuell zur „Leugnung selbst der Idee einer politischen Wissenschaft, zur Ersetzung der Politik durch die Soziologie“ führen würden, dann schließlich „zur relativistischen Skepsis“ (ebd., 186). Aufgrund der expliziten Entscheidung Strauss’ blieben diese Aussagen allerdings eine Vermutung (ebd., 185–187).

Sein Hobbes-Werk schloss Strauss mit der Wiederholung der weiterführenden Frage nach der Auffassung der Natur, die als implizite Voraussetzung nicht der naturwissenschaftlichen Beweisführung, sondern den moralisch-politischen Ansichten Hobbes’ zugrunde liege. Es sei eine Auffassung, so Strauss, die gerade nicht mit derjenigen übereinstimme, die in den naturwissenschaftlichen Darstellungen Hobbes’ expliziert werde (ebd., 188 f.). Nicht übereinstimmend, jedoch „verwandt“ sei sie, und ihre Herausarbeitung hob Strauss als „dringlichste Aufgabe für eine radikale Analyse von Hobbes’ politischer Wissenschaft“ hervor (ebd., 191 f.). Die erste Annäherung, die Strauss in einer Fußnote hinzufügte,Footnote 107 erinnert eindeutig daran, was er im Vorwort seines Hobbes-Werkes als den in „On the Basis of Hobbes’s Political Philosophy“ herausgearbeiteten „einfachen Leitgedanken der Hobbes’schen Lehre vom Menschen“ bezeichnete (ebd., 8, siehe meine Fußnote Nr. 184).

3.7 Reevaluierung der Frage nach dem Bruch mit der Tradition und ihrer Kontinuität

Die Frage nach dem Verhältnis Hobbes’ zu der Tradition, die in Hobbes’ politischer Wissenschaft in ihrer Genesis in Bezug auf Hobbes’ mathematisch-naturwissenschaftliche Wendung erwogen wurde, wurde in Naturrecht und Geschichte wieder aufgenommen; ihre Beantwortung wurde jedoch neu ausgerichtet. Diese neue Ausrichtung knüpfte an die Ergebnisse des letzten Kapitels des ersteren Werkes an und führte mittels der neuen Einsichten weiter. Dieses letzte Kapitel stellte im Rahmen des gesamten Werkes eine Wendung an sich dar, weil es Hobbes’ Aneignung der mathematisch-naturwissenschaftlichen Beweisführung nicht mehr in Bezug auf den Gegensatz zwischen der naturalistischen und der anthropologischen Auffassung des Menschen besprach, sondern als Hinwendung zu (von Hobbes eher willkürlich interpretiertem) Platon schilderte. Damit entkräftete es die These von dem Einfluss der modernen Entwicklung der Naturwissenschaften auf Hobbes’ moderne Politikwissenschaft. Indem Strauss zeigte, wie die Frage nach Hobbes’ naturalistischer Darstellung mit der Frage nach seinem expliziten Bruch mit Aristoteles verwoben sei, zeigte er zugleich, dass die Frage nach dem Bruch mit der Tradition, d. h. die Frage, was es mit Hobbes’ Selbst-Bezeichnung als Begründer der politischen Philosophie/politischen Wissenschaft auf sich hat, die Frage sei, von der aus sich seine mathematisch-naturwissenschaftliche Wendung erst verstehen lasse.

Die Frage nach der naturalistischen Deutung der Hobbes’schen Lehre, mit der Strauss in Hobbes’ politischer Wissenschaft in ihrer Genesis schon wegen der verbreiteten Meinungen abrechnen musste, wurde in Naturrecht und Geschichte nicht mehr gestellt. Nachdem er sich den Blick auf das eigentliche Thema der Hobbes-Interpretation freigemacht hatte, widmete sich Strauss Hobbes’ Rolle in der Entwicklung der naturrechtlichen Tradition und in deren Verhältnis zum geschichtlichen Denken. Natürlich finden sich viele Erkenntnisse und Argumente, zu denen Strauss bereits in seinem Hauptwerk zu Hobbes gelangte, in dem Hobbes-Kapitel aus Naturrecht und Geschichte wieder – vor allem in Bezug auf Hobbes’ revolutionären Umbruch des Konzeptes des natürlichen Rechtes, auf seine Erwartungen hinsichtlich des wahrlich wissenschaftlichen Wissens über die Politik und seiner Anwendung, auf die Umkehrung des Theorie-Praxis-Verhältnisses, auf seine individualistische und realistische Moral. Sie werden jedoch mit neuen Aspekten und Themen verwoben, die mit einer Reevaluierung des Hobbes’schen Verhältnisses zur Tradition zusammenhängen. D. h. auch mit der Vorstellung von Machiavelli als Vorreiter des realistischen Bruches mit der Tradition und mit dem Hobbes-Machiavelli-Vergleich, mit der Einführung des Begriffes natural public law und mit neuen oder zumindest explizit gewordenen Einsichten über das Denken von dem extremen Fall und dem extremen Skeptizismus her.

Im Folgenden werde ich auf diese Aspekte eingehen sowie auf die aus Hobbes’ politischer Wissenschaft in ihrer Genesis bekannten Stellen verweisen, die mit der Argumentation in Naturrecht und Geschichte korrespondieren.

Die ersten elf Seiten des Kapitels ergeben eine Einheit, die anfängt mit der Aussage: „Thomas Hobbes regarded himself as the founder of political philosophy or political science“ (Strauss 1965, 166) und abschließt mit einer Affirmation: „Of political philosophy thus understood, Hobbes is indeed the founder“ (ebd., 177). Der erste Satz des Kapitels stellt eine klare Einladung oder Herausforderung dar, die Selbsteinschätzung Hobbes’ einer Prüfung zu unterziehen, und diese Prüfung erstreckt sich zwischen diesen zwei zitierten Sätzen (dazu bereits in 3.6 Die neue politische Wissenschaft Hobbes’ in ihrem Verhältnis zu der naturwissenschaftlichen Methode und zur Tradition). Danach folgt im Text, um den ersten Teil auch visuell abzuschließen, eine Leerzeile, nach der das Thema Machiavelli eingeführt wird.

Die Prüfung der Ausgangsthese ist in ihrer Bedeutung überragend, weil Strauss in ihr das Verhältnis Hobbes’ zur Tradition aufs Neue problematisierte, und zwar indem er diese Tradition und somit das Hobbes’sche Verhältnis zu ihr spaltete: Einerseits sei Hobbes’ „emphatic rejection of the tradition“, andererseits „almost silent agreement with it“ festzustellen (ebd., 167). Diejenige Tradition, die Hobbes nachdrücklich ablehnte, sei die idealistische − idealistisch im Sinne von „public spirited“ „,animated by public spirit“ (ebd., 167).Footnote 108 Nicht nur wurde die idealistische Tradition von Hobbes verworfen; sie sei die einzige Tradition, die Hobbes als Tradition auffasste und schon dadurch stillschweigend ihrer grundlegenden Annahme zugestimmt habe, dass das Naturrecht Gegenstand politischer Philosophie sei. Strauss bekräftigte seine in Hobbes’ politischer Wissenschaft in ihrer Genesis vertretene These, dass Hobbes mit der idealistischen Tradition die Annahme über Ziel und Tragweite der politischen Philosophie teilte. Das hatte, wie im letzten Kapitel bereits erörtert, zum Ergebnis, dass Hobbes (nur) die Ausführung, die Methode −  „a wholly inadequate manner“ − der von Sokrates begründeten Tradition verwarf (ebd., 168). Die Diagnose Hobbes’ lautete, dass Philosophie als „the quest for wisdom, had not succeeded in transforming itself into wisdom“, und die Lösung sollten „reflections on the right method“ sein, um „guarantee the actualization of wisdom“ (ebd., 171). Für die „wholly inadequate manner“ machte Hobbes einen entscheidenden „Fehler“ verantwortlich, nämlich die Voraussetzung, dass der Mensch von Natur aus ein politisches oder soziales Wesen sei (ebd., 168 f.).Footnote 109

Es gab jedoch auch eine andere Tradition der politischen Philosophie, die Hobbes nicht als Tradition wahrnahm − die von Epikur begründete. Im Gegensatz zu der ersteren war sie nicht vom öffentlichen Geist, von der Sorge um die richtige politische Ordnung getragen (ebd., 168). In einem weiteren Gegensatz zu der idealistischen Tradition vertrat sie die hedonistische Gleichsetzung vom Guten und Angenehmen (ebd., 169).

Die partielle Übereinstimmung Hobbes’ mit der idealistischen und der epikureischenFootnote 110 Tradition sei jedoch keine Fortsetzung der beiden, sondern setze vielmehr eine grundsätzlich neue Haltung voraus, aus der heraus eine „typisch moderne Kombination“ des politischen Idealismus und des Hedonismus entstand (ebd., 169; vgl. mit 2013 c, 24: „die Epikureische Kritik ist das Fundament oder genauer der Vordergrund der aufklärerischen Kritik [der Religion]“). Typisch modern sei sie gewesen, weil Hedonismus zum ersten Mal zu einem politischen Prinzip und nicht nur einer individuellen Haltung gemacht worden sei, auch, weil sie einen politischen Atheismus vertrat, den Strauss in einem notwendigen Zusammenhang mit dem politischen Hedonismus sah und dessen Ausdruck (aber nicht Grundlage!) Hobbes’ materialistisch-mechanistische Naturdarstellung war (1965, 169 f.).

Während Strauss Hobbes’ Naturphilosophie als unbestreitbar atheistisch ansah (ebd., 170; zu Hobbes’ Religionskritik siehe vor allem S. 183), hielt er sich hinsichtlich der Erörterung der Frage nach Hobbes’ persönlichem Verhältnis zur Religion zurück. Anstelle einer expliziten Argumentation ließ er die Leserin die Antwort selbst finden − die Antwort, die Hobbes’ eigene Auffassung des Atheismus berücksichtigen würde. Dabei verwies Strauss auf die Stelle in De Cive, in der sich Hobbes mit der Frage befasste „,welche Gottesverehrung die natürliche Vernunft verlangt“. Unter die Aussagen über Gott, die Hobbes als „unwürdig“ bezeichnete, zählte er auch die Auffassung „,dass Gott die Welt selber oder ihre Seele, d. h. ein Teil der Welt sei“. Damit werde „überhaupt sein Dasein“, so Hobbes, geleugnet, weil man „unter dem Namen Gott […] die Ursache der Welt“ zu verstehen habe. „[W]enn jene also sagen, dass die Welt Gott sei, so sagen sie, dass sie keine Ursache habe, d. h. dass Gott nicht sei“ (De Cive XV, 14). Diese Position Hobbes’ bat Strauss mit einer aus dem Jahr 1958 zu vergleichen, in der Hobbes auf Bramhalls Kritik – The Catching of Leviathan, or the Great Whale – antwortete. Die Antwort Hobbes’ war, konträr zu der Erwartung, nicht als Widerlegung der Kritik an seinem Leviathan gedacht −  „because he [= Bramhall] does not so much as offer any refutation of any thing in my Leviathan concluded, I needed not to have answered either of them“ − , sondern als Verteidigung gegen Bramhalls Vorwürfe wegen Atheismus und Gottlosigkeit, die Hobbes für „the greatest defamation possible“ erklärte (1839, 282). In seiner Verteidigung gegen den Vorwurf, er leugne das Dasein Gottes, sprach Hobbes von Gott als „either the whole universe, or part of it“ (ebd., 349). Damit drückte er dieselbe Auffassung aus, die er 16 Jahre früher als Leugnung des Daseins Gottes bezeichnet hatte. Strauss hätte seine Position zur Frage des Atheismus Hobbes’ als dessen persönliche Haltung nicht klarer machen können als mit diesem Hinweis.

Hobbes’ typisch moderne Kombination platonischer und epikureischer Tradition, die vielmehr den Bruch mit diesen und nicht ihre Fortsetzung darstellte – „transition of thought from the plane of the original positions to an entirely different plane“ (Strauss 1965, 170) –, wurde auf der Grundlage eines neuen erkenntnistheoretischen Paradigmas vollzogen, das nicht das den Naturwissenschaften entlehnte war. Eine materialistisch-mechanistische Begründung der politischen Lehre Hobbes’ konnte, so Strauss, nicht funktionieren, weil sie Hobbes’ Anspruch nach der Kritik seitens des Skeptizismus an dem Materialismus, der die teleologische Kosmologie ersetzt hat, standhalten und gegen sie immun sein musste. Dafür musste Hobbes, so Strauss „,eine künstliche Insel“ schaffen, die von jeglicher mechanischer Kausalität unabhängig wäre. Gott als „a soul or mind that is irreducible to moved matter“ konnte es für eine politische Lehre, die die Religionskritik zur Voraussetzung hatte, natürlich nicht sein – dafür aber die Wissenschaft als Konstruktion menschlichen Verstandes (ebd., 172–174). Wissenschaft, die nichts als pures Konstrukt menschlichen Verstandes wäre – ein Wissen in wahrem Sinne des Wortes, so wie Hobbes Wissen verstand –, waren nur Mathematik, Kinematik und politische Wissenschaft, während sich alle Naturwissenschaften inkl. Physik auf die Generierung von den nicht endgültig zu beweisenden Hypothesen beschränken mussten (ebd., 173–175).Footnote 111

Eine konstruktivistische Epistemologie als Substitut für sowohl teleologische als auch mechanistische Kosmologie und als Chance, den „Streit“ Platons und Epikurs auf einer neuen Ebene auszutragen, habe, so Strauss, zur Entwertung der Philosophie als Ideal theoretischen Lebens geführt. Der Bedarf an Wissen, über das der Mensch vollkommen souverän wäre, hatte den Menschen und seinen praktischen Nutzen als Orientierungspunkt und Rechtfertigungsquelle (ebd., 176 f.). Das Vertrauen in das souveräne menschliche Denkvermögen stehe im Zusammenhang mit der Verneinung der Idee einer gegebenen Weltordnung:Footnote 112 „wisdom is identical with free construction“, weil „there is no natural harmony between the human mind and the universe“. „He [= der Mensch] has nothing to lose but his chains“.Footnote 113 Diese Haltung bedeute nicht nur die Befreiung von der Idee einer kosmologischen Ordnung, eines Ganzen, sondern auch eine „Befreiung“ von der Aussicht auf das ewige Leben (ebd., 175). Strauss verstand sie als eine von Hobbes selbst auferlegte Beschränkung, denn damit überließ Hobbes die Frage nach dem ordnenden Maßstab der Geschichte, im Laufe derer sich dieser Maßstab herausstellen sollte (ebd., 175 f.). Diese Überlegung Strauss’ ist von großer Bedeutung, weil sie den Zusammenhang zwischen der Religionskritik Hobbes’ und dem historistischen Ansatz veranschaulicht. Für die Frage, in welcher Tradition der politischen Philosophie − der antiken oder der modernen − man nach Ansatzpunkten suchen sollte, von denen aus die Krise der Moderne verstanden und überwunden werden könnte, ist die Feststellung dieses Zusammenhanges von entscheidender Bedeutung.

Im zweiten Teil seines Hobbes-Kapitels in Naturrecht und Geschichte nahm Strauss seine 1951 zum ersten Mal geäußerte Behauptung auf, dass nicht Hobbes, sondern Machiavelli der Titel des „originator of modern philosophy“ gebühre (1963, xv). Die Figur Machiavellis wird im Anschluss an die Bestätigung eingeführt, dass „of political philosophy thus understood, Hobbes is indeed the founder“. Darauf folgt: Machiavelli sei ein „Columbus“ gewesen, der einen neuen Kontinent entdeckt habe, aber Hobbes derjenige, der auf diesem Kontinent baute (Strauss 1965, 177).Footnote 114 Dieser Erklärung schließt sich ein Vergleich Hobbes’ und Machiavellis an, der in der Zuspitzung des Kontrastes zwischen den beiden endet, gefolgt von einer ausführlichen Erläuterung dessen, was für ein Bau es war, den Hobbes errichtet habe.

Machiavellis „Entdeckung des neuen Kontinents“ bestand in der Ablehnung der den Menschen transzendierenden Maßstäbe; es war eine realistische Revolte gegen das Ideal der menschlichen Vervollkommnung und des kontemplativen Lebens, d. h. gegen die antike Vorstellung davon, was das Ziel einer politischen Ordnung sei und was das beste mögliche Leben des Menschen ausmache. Was sich Machiavelli vorgenommen und erreicht habe, war „deliberate lowering of the ultimate goal“ „in order to get results“ (ebd., 178). Anstatt nach einem Ideal oder einem Ziel zu fragen, habe Machiavelli nach der Notwendigkeit gefragt, und hierin bestehe seine Parallele zu Hobbes, der, wie Strauss in Hobbes’ politischer Wissenschaft in ihrer Genesis erläutert hat, seine politische Lehre auf die Frage nach dem Notwendigen und nicht nach dem Guten ausgerichtet habeFootnote 115 und das politische Problem dadurch verengt habe, dass er die Frage nach dem Zweck des Staates aus dem Bereich des Wissens ausschied (2008 b, 173).

Damit erreichte die Überschneidung der Positionen Hobbes’ und Machiavellis wiederum ihre Grenze, weil Hobbes seinen Bau „in opposition to Machiavelli’s own solution“ errichtet habe: Während Machiavelli seinem Verständnis des Menschen und der Politik die Annahme zugrunde legte, dass der Ursprung aller Gesellschaft der Akt der Ungerechtigkeit sei, habe Hobbes, wie Strauss schilderte, schon in dem Naturstand zwischen gerechter und ungerechter Gesinnung unterschieden und die Möglichkeit des Zusammenlebens in einem notwendigen Zusammenhang mit dieser Unterscheidung verbunden (ebd., 37).Footnote 116 Im Gegensatz zu Machiavelli habe Hobbes die Tradition nicht mitsamt dem Konzept vom Naturrecht verworfen, sondern füllte das Letztere mit neuem Inhalt; er habe, so Strauss, das Naturrecht auf dem Kontinent Machiavellis „gepflanzt“ (dazu auch S. 229). Mit diesem Zug konnte er den vermeintlichen Fehler der idealistischen Tradition in ihrer Orientierung an der Frage nach dem Ideal, nach dem Maßstab beheben − das Naturrecht wurde von der Idee menschlicher Vervollkommnung als Zweck des Staates (und Zweck an sich) abgekoppelt und mit dem neuen Zweck des Friedens verbunden (Strauss 1965, 179 f.).

Der neue Zweck, wie Strauss im letzten und längsten Teil seines Kapitels (der, im Vergleich zu den beiden ersten, allerdings maßgeblich aus den Einsichten und Argumenten zusammengesetzt ist, die Strauss schon in seinem Hobbes-Werk dargelegt hat) erklärte, war ein realistischer und gar „selbstverständlich[er]“,Footnote 117 weil er der stärksten Leidenschaft − der Furcht vor gewaltsamem Tod − entsprach. Er konnte als Recht, als Anspruch des Individuums aufgefasst werden −  „something that everyone actually desires anyway“ (ebd., 180 –183). Das neue Naturrecht, das auf einem Rechtsanspruch im Gegensatz zu einer Pflicht beruhte, war nicht mehr an die aristotelische Annahme der politischen Natur des Menschen gebunden. So wie das auf dem Konzept der natürlichen Pflicht beruhende Naturrecht die Gesellschaft dem Individuum voranstellt, ist für das moderne Naturrecht der absolute Ausgangspunkt jeglicher Überlegung das Individuum. Wenn der Ausgangspunkt des Denkens über den Menschen und die Politik das Konstrukt eines vorgesellschaftlichen Lebens ist, wenn der Krieg einer jeden gegen jede als der natürliche Zustand des Menschen gesehen wird, dann könne und müsse die primäre moralische Tatsache ein Recht im Sinne eines Anspruchs der Einzelnen und der Jeden sein (ebd., 183 f.). Dem entspreche die Bedeutung des Konstruktes „Naturzustand“, das erst seit und dank Hobbes die Lehre des Naturrechtes vereinnahmt habe – erst seit Hobbes sei „die philosophische Lehre vom Naturgesetz im Wesentlichen eine Lehre vom Naturzustand“ (ebd., 191). Was Hobbes’ moderne Revolution ausmache, sei also die Neuformulierung der Lehre des Naturrechtes durch das Konzept des Naturzustandes.

Aus dem so konzipierten modernen Naturrecht ergebe sich für die Staatslehre der machttheoretische, gleichwohl dezisionistischeFootnote 118 Ansatz, und dies auf Kosten des Devaluierens der Vernunft − reason − auf bloßes Rationalitätsvermögen (dazu siehe S. 213, 236). Somit lasse sich nämlich die absolute staatliche Macht als Ausdehnung des individuellen Naturrechtes verstehen:Footnote 119 So wie sich das Individuum von Natur aus aller Mittel bedienen könne (und solle), um sein Leben zu sichern, so ständen dem Souverän alle Mittel offen, den Frieden innerhalb des Staates zu gewährleisten − alle Mittel inklusive der Erzwingung absoluten Gehorsams. Sowohl der Frieden als Zweck als auch alle dazu benötigten Mittel werden nicht durch den überlegenen Verstand, Bedachtsamkeit oder Tugendhaftigkeit der Regierenden legitim (die Vernunft als Rationalität nivelliere die Menschen viel mehr, als dass sie sie voneinander unterscheide), sondern aufgrund ihrer Macht, die innere Sicherheit faktisch zu gewährleisten (ebd., 185 f.).

Das Überdenken der Staatslehre im Licht des modernen Naturrechtes mache die Frage nach dem besten Regime sinnlos, indem die Ausrichtung auf die faktische Leistung, die von der Machtkapazität abhängt, die Suche nach den absoluten Maßstäben erübrige (sowie auch den Bedarf nach der Staatskunst, die die Maßstäbe unter konkreten Umständen umsetzen solle; ebd., 192). Für Strauss bedeutete die Reduktion der Frage nach der politischen Ordnung auf die Machtfrage zugleich die Reduktion der Tugend auf die Friedensbereitschaft, der Gerechtigkeit auf die Einhaltung der Verträge und des Lasters auf Eitelkeit (ebd., 187 f.). Das Verabschieden der Vorstellung einer gegebenen Ordnung und das Einhergehen der politischen Herrschaft mit der größten Macht bei Hobbes ist das Kernelement dessen, was Schmitt als Hobbes’ dezisionistische Staatslehre verstand. Wodurch sich Strauss’ Deutung von der Letzteren unterscheidet, ist sein Augenmerk darauf, dass das Zusammenfallen des Rechts mit der Macht auf der politischen Ebene bei Hobbes dem Gleichen auf der individuellen entspreche (die stärkste Leidenschaft korrespondiere mit dem grundlegenden Recht auf Selbsterhaltung; ebd., 194 f.; vgl. Schmitt 1982, 68 f., 1993, 23). Für Schmitt dagegen war das Konzept individuellen Anspruches keine vorstellbare Rechtsgrundlage – vielmehr etwas jeder Rechtsvorstellung Äußerliches und sie auch Untergrabendes.

Das auf den Staat ausgedehnte individuelle Naturrecht hat Strauss als öffentliches Naturrecht (natural public law) bezeichnet. Es stelle einen technischen Zugang zum Denken über die Politik dar, weil es die Frage nach der Macht als eine (nur) nach den richtigen Institutionen stelle, die die Staatskunst überflüssig machen würden (Strauss 1965, 192). Die Voraussetzung dafür, dass die Institutionen unter allen Umständen funktionieren würden, sei das Ausschalten aller Faktoren außer der staatlichen Macht, die die Loyalität des Individuums in Anspruch nehmen könnten – vor allem des Glaubens, der mit der positiven, d. h. staatlich geregelten Religion, nicht übereinstimmt (ebd., 198). Es sei die Aufklärung der Menschen zum vernünftigen Egoismus, der bei der Wirksamkeit des modernen Naturrechtes eine Rolle zukommen solle. Die Aufklärung des Individuums wurde bei Hobbes zum Instrument, das theologisch-politische Problem zugunsten der Politik auszublenden (dazu siehe auch Namazi 2018, 11) − und nicht nur auf Kosten des Offenbarungsglaubens, sondern zugleich auf Kosten der Philosophie als Lebensweise, die das Leben in Kontemplation als das beste Leben überhaupt betrachte.Footnote 120 Wenn die Frage nach dem besten Regime und nach dem besten Leben für unnötig und unlösbar gehalten werde, d. h. wenn die Frage, wie eine politische Ordnung zu sein habe, mit einem „Rezept“ zu lösen sei, das „once and for all“ „,regardless of place and time“ dank des öffentlichen Naturrechtes beantwortet werden könne (Strauss 1965, 191), werde der Philosophie ihre Essenz und dem theoretischen Leben seine Rechtfertigung entzogen. Durch Hobbes habe die Aufklärung zur Popularisierung der Philosophie beigetragen, die auf die Negation des klassischen Philosophie-Verständnisses hinauslaufe: „Hobbes […] was certain that philosophy itself can bring about the coincidence of philosophy and political power by becoming popularized philosophy and thus public opinion“ (ebd., 200).Footnote 121

Strauss’ Schilderung der Hobbes’schen Lehre ist die Schilderung der radikalen Umdeutung der Kategorien, mit denen die antike und die christliche Tradition der politischen Philosophie gearbeitet haben: des Natur- und Gottesrechtes, des Gottes selbst, der Vernunft, der Tugend, des Wissens. Es ist somit Schilderung der Brüche eines neuen Denkens, die sich teilweise unter strenger Einhaltung der Form (des Gewandes des Naturrechtes) und des Vorhabens, das politische Problem durch politische Philosophie zu lösen, vollzogen hätten. Vor dem Hintergrund des Hauptkonfliktes, dem das Strauss-Buch Naturrecht und Geschichte gewidmet ist, hat sich für Strauss die Tatsache, dass Hobbes die Frage nach der Natur immerhin stellte, als für dessen Einordnung in die Dialektik zwischen Naturrecht und Geschichte letztlich entscheidend erwiesen: „For at some point“, so Strauss „,nature succeeds in getting a hearing“ (ebd., 201).

3.8 Zusammenfassung

In Strauss’ Vorlesung zu Hobbes im Jahr 1962 lassen sich drei Ebenen identifizieren, auf denen sich jeweils eine von Hobbes erfasste Alternative der Betrachtung des Menschen und der Politik befindet. Wenn man diese Ebenen in Form von Fragen erfasst, ergibt sich Folgendes: a) gibt es einen Wesensunterschied zwischen den Menschen und den Wilden (brutes)?; b) gibt es eine von Naturwissenschaften nicht ableitbare politische Wissenschaft?; c) was ist die fundamentale Einheit der Erklärung − die Materie oder der Begriff? Je nachdem, wie man auf diese Fragen antwortet, ergeben sich Schlussfolgerungen darüber, ob man: 1) prinzipiell eine legitime von einer illegitimen politischen Macht unterscheiden kann; 2) den Menschen als böse oder einfach nur gefährlich betrachtet; 3) Naturrecht als Maßstab des positiven Rechts anerkennt; 4) der logischen oder der psychologischen Begründung der Pflicht Vorrang einräumt (Namazi 2018, 14 f.). Was vor allem wichtig ist, ist, dass die Antworten auf diese Fragen, so Strauss, in einer Verbindung ständen − das bedeutet, eine bestimmte Beantwortung einer Frage lasse bei der anderen Frage eine bestimmte Antwort erwarten. Betrachtet man diese Antworten zusammen, lässt sich daraus bereits eine Sichtweise rekonstruieren. Die Antworten auf die drei Fragen würden sich also in zwei Sichtweisen oder Ansätze gruppieren. Das Problem, von dem Hobbes’ Lehre und demnach jede ihrer Interpretationen durchdrungen sei, sei dessen Schwanken zwischen diesen zwei in sich schlüssigen aber einander ausschließenden Ansätzen. Die Antwort Strauss’ auf dieses Problem war, wie ich in dieser Arbeit dargestellt habe, der Genese des Hobbes’schen Denkens nachzugehen und seine Grundlage in einer Gesinnung zu finden, die ursprünglicher als die jeweilige Spaltung sei.

Um die Strauss’sche Hobbes-Deutung in ihren wichtigsten Thesen und Argumentationszusammenhängen zu rekonstruieren, möchte ich die folgende Skizze vorschlagen. Sie ist aus dem Rückgriff auf vor allem zwei Darstellungen Strauss’ − Hobbes’ politische Wissenschaft in ihrer Genesis und das Hobbes-Kapitel in Naturrecht und Geschichte − entstanden, die ich hier ausführlich untersucht habe. Diese sind nicht nur für die Strauss’schen Schlussfolgerungen über Hobbes exemplarisch, sondern vor allem für seine Analyse, die zu diesen Schlussfolgerungen geführt hat. Somit sind sie für das Verständnis seiner Hobbes-Deutung unabdingbar.

Das Hobbes-Studium hat Strauss vor dem Hintergrund dessen aufgenommen, was er als allgemeine Überzeugung von dem Scheitern der liberalen Demokratie bezeichnet hat. Für Strauss war die Krise der liberalen Politik und des liberalen Denkens in einem größeren Rahmen der Krise der Moderne als Krise der modernen Philosophie zu verstehen. In seinem ambivalenten Status gegenüber der Tradition liberalen Denkens war Hobbes für Strauss derjenige, bei dem die Begründung der säkularen liberalen Ordnung mittels religionskritischer Ansätze zu suchen war. Gleichzeitig war er als Begründer der ganzen modernen Tradition politischer Philosophie interessant. In der Auseinandersetzung mit Hobbes sah Strauss eine Chance, die, so seine Diagnose, in gesellschaftliche Bedeutungslosigkeit und nihilistische Selbstnegation geratene moderne Philosophie zu hinterfragen und die Möglichkeit der Philosophie, für deren nächste Realisierung Strauss die antike politische Philosophie hielt, wiederzugewinnen. Da die Krise der modernen Philosophie, wie Strauss sie sah, vor allem auf das Verwerfen der klassischen Philosophie zurückzuführen war, hing für ihn die Überwindung der Krise von der Wiederaufnahme der Auseinandersetzung der modernen mit den klassischen Positionen ab. Die Überwindung der Krise soll heißen: die Begründung der Philosophie gegen die Versuche ihrer Politisierung und Popularisierung, gegen die Wahrheitsansprüche der Offenbarungsreligionen und gegen die historistische Kritik. Im Zentrum dieser Auseinandersetzung stand für Strauss das theologisch-politische Problem, das von der modernen und der klassischen Tradition unterschiedlich gehandhabt wurde.

In Der Religionskritik des Hobbes schilderte Strauss, dass die Auseinandersetzung Hobbes’ mit der Tradition nur im Zusammenhang mit dessen Religionskritik zu verstehen sei. Nicht nur versuchte Hobbes, den Offenbarungsglauben und die Autorität der Heiligen Schrift zu dekonstruieren und die Glaubensangelegenheiten der staatlichen Obrigkeit unterzuordnen. Er wollte schon von vornherein diejenigen „Denkirrtümer“ klassischer Tradition beheben, die sich von der Offenbarungstheologie instrumentalisieren ließen und zu der Umkehrung des heidnischen Verhältnisses des Monismus weltlicher und geistiger Gewalt führten. Die sich in der Hobbes-Deutung verwebenden Überlegungen Strauss’ über die Religionskritik sind je nach dem Standpunkt entweder als ein Unterteil oder als das Oberthema der Tradition-Moderne-Dialektik, die das Denken Strauss’ anregte, zu verstehen.

Um den Blick für seine Frage nach der Genese der moralischen Gesinnung Hobbes’ (d. h. laut Strauss der Substanz dessen Politikwissenschaft) freizubekommen, musste Strauss erst die Unklarheit hinsichtlich bzw. die Debatte um die naturalistische und die humanistisch-moralische Deutung Hobbes’ beheben. Dies vollzog er mittels der Deutung der Hobbes’schen Menschenauffassung, die, wie Strauss zeigte, von dessen naturwissenschaftlicher Beweisführung nicht nur unabhängig war, sondern vielmehr ihr vorausging. Strauss war sich der Unzulänglichkeit der naturalistischen Hobbes-Deutung sicher: Sie könne die Hobbes’sche Unterscheidung zwischen der Selbstförderung (Machtsteigerung) und Selbsterhaltung nicht erklären. Im Anschluss verfolgte er die Einflüsse, die die unterschiedlichen Denkströmungen zu der Entwicklung Hobbes’scher Anschauungen beigetragen hatten, und entdeckte unter ihnen sowohl klassische als auch moderne theoretische und methodologische Ansätze, die er in Bezug zueinander abwog. Unter den Ersteren wurden vor allem der Aristotelismus und der Epikureismus hervorgehoben.

Das Verhältnis Hobbes’ zur Tradition war grundsätzlich nicht von seiner Nutzung der modernen naturwissenschaftlichen Methode bestimmt − nur dessen ausdrücklicher Charakter als Ablehnung der Tradition. Da nicht der Methode geschuldet, war der Hobbes’sche Bruch mit der Tradition ein radikaler. Er rührte her von Hobbes’ moralischer Auffassung menschlicher Natur. Durch die Position Hobbes’scher Anthropologie und Staatslehre zwischen dem klassischen politischen Denken mitsamt der teleologischen Kosmologie und der modernen naturwissenschaftlichen Sicht des Ganzen ergaben sich in seinem Denken gewisse Spannungen und Widersprüche, die nicht kontingent, sondern prinzipiell seien. Sie sollten allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass Hobbes’ ursprüngliche Gesinnung, die durch die Selbsteinsicht und Selbsterkenntnis jeder Einzelnen bestätigt werden sollte, eine einheitliche war.

Die Genese der Hobbes’schen Anthropologie sowie seiner politischen Lehre sei eine Denkbewegung von der Ehre als grundlegendem Prinzip der Moral zu der Furcht vor dem gewaltsamen Tod als solchem gewesen. Gerade in dieser Bewegung weise sich sein Bruch mit der Tradition aus. Auf dem Prinzip der Ehre beruhe die Adelsmoral, die Hobbes, wie Strauss rekonstruierte, in seiner humanistischen Periode, in der die Autorität Aristoteles’ für ihn noch Geltung hatte, anerkannte. Das Problem, dass die klassische Tugendlehre bei weitem nicht von jedem Individuum gelebt werden konnte, weil sie zu viel an Vernunft und Selbstbeherrschung voraussetzte, und dass die reale Politik nicht allzu viel von den normativen Vorstellungen einer guten Ordnung verkörperte, veranlasste Hobbes vorläufig dazu, die Geschichte auf die machbaren und wirksamen Lehren hin zu untersuchen. Zeitweise war er davon überzeugt, dass es nicht auf die Ehre, sondern auf die Klugheit als Maßstab richtigen Verhaltens ankomme. Die endgültige Gestalt, die seine politische Wissenschaft annahm, operierte jedoch nicht mehr mit praktischer Klugheit, sondern ausschließlich damit, was das menschliche Verhalten notwendigerweise bestimme – mit der Todesfurcht und Eitelkeit. Damit legte Hobbes zwar das Fundament seiner politischen Lehre fest und begründete eine neue Tradition politischen Denkens, aber diese Begründung war, so Strauss, eine unangemessene, weil Hobbes dabei die Frage nach dem höchsten Gut ausgeschlossen habe. Immerhin war das, wie Hobbes die Fragen politischen Charakters reflektierte, politische Philosophie − er hielt diese, durchaus im klassischen Geiste, für möglich und notwendig.

Die beiden Postulate der menschlichen Natur − die Eitelkeit und die Furcht − standen für ihn in einem Gegensatz, auf den es bei der Möglichkeit des Zusammenlebens ankomme. Die Todesfurcht, als die stärkste und den Menschen zugleich aufklärende Leidenschaft, bildete das Gegengewicht zu der Eitelkeit, die den Menschen hinsichtlich der eigenen prekären Situation verblende und dazu verführe, Geltung bei den anderen zu suchen. Im Zustand der Natur sei die Eitelkeit in ihrer Wirkung nicht von dem Machtstreben zu unterscheiden, das in Abwesenheit der souveränen Macht dazu führe, dass das Naturrecht auf das Überleben nicht von dem Recht einer jeden auf alles zu unterscheiden sei. Die Moral- und Politiklehre Hobbes’ erhob jedoch den Anspruch, so Strauss, rechtmäßige und unrechtmäßige Motive des natürlichen Begehrens zu unterscheiden − gerade danach, ob sie von der Eitelkeit, die eindeutig und immer böse, oder von der Todesfurcht, die eindeutig und immer gut sei, herrühren würden. Die Letztere entrechte die Erstere und entmachte sie auch, sobald die souveräne Macht in Kraft sei. Im Zustand des bürgerlichen, politischen Zusammenlebens nehme das Naturrecht der Selbstverteidigung die Form des Naturgesetzes an, Frieden zu suchen und zu befolgen, indem das Friedensgebot zum positiven Gesetz werde. Das Naturrecht behalte seinen maßgebenden und rechtmäßigen Charakter zwar auch unabhängig vom Staat; für die Wirksamkeit des Naturgesetzes als solches bedürfe es aber einer souveränen Ordnung und des positiven Rechtssystemes.

Die Hobbes’sche Staatslehre lasse sich als Ausdehnung des von Hobbes begründeten modernen Naturrechtes auf den Staat verstehen. Das Naturrecht war von Hobbes aus den individualistischen Prämissen heraus konzipiert und brachte eine Zäsur in die Entwicklung der Naturrechtslehre hinein. Zugleich war das neu gedachte Naturrecht die Ernte der Früchte Machiavellis und seiner realistischen Revolte gegen die idealistische Tradition politischen Denkens. In der Strauss’schen Hobbes-Analyse, die nach der Stellung Hobbes’ in der naturrechtlichen Tradition fragte, begegnet man drei Spezifika, die für Strauss den Unterschied zwischen dem modernen und dem klassischen Naturrecht markierten: der Neubegründung des Naturrechtes auf dem Recht als universellem Anspruch und nicht auf der Pflicht, die in der natürlichen Ordnung vorgeschrieben wäre; der politischen Aufwertung der hedonistischen Identifikation des Guten mit dem Angenehmen; der Ablehnung der Annahme natürlicher Geselligkeit des Menschen.

Die Hobbes-Deutung Strauss’ ist von zwei Fragesträngen durchzogen, die dieser einerseits separat behandelte, andererseits als sich gegenseitig beantwortend auswies. Sowohl die Frage nach der Stellung, in der politischen Lehre Hobbes’, der mathematischen Methode der Beweisführung und naturalistischen Naturphilosophie als auch die Frage nach den Residuen der abgelehnten klassischen Tradition sollten, so Strauss, mit Blick auf die Feststellung behandelt werden, dass Hobbes’ Sicht auf Moral und Politik grundsätzlich weder Euklid und Galilei noch den griechischen Philosophen geschuldet sei. Daran ändere nichts, dass die moralischen Grundlagen mit der Ausreifung seiner politischen Wissenschaft zunehmend von ihrer naturalistischen Darstellung verdeckt wurden und die theologische Legitimierung der Politik sukzessive schwächer wurde. Die beiden Schwerpunkte des Einflusses auf Hobbes − der klassische und der moderne − ständen in einem Verhältnis, dessen eine Seite zunehmend schwächer, die andere zunehmend stärker wurde: So habe Hobbes’ Beschäftigung mit den neuen Wissenschaften ihn seines Gegensatzes zu der aristotelischen Metaphysik vergewissert.

Dass andererseits Hobbes der Ehre den Tugendstatus absprach und sie verbannte in die Analyse der Leidenschaften, die von anderen Hobbes-Interpretinnen als Folge naturwissenschaftlichen Determinismus wahrgenommen wurden, ist, Strauss zufolge, als Hinwendung zu (von Hobbes falsch verstandenem) Platon zu verstehen. Gleichzeitig machte Hobbes damit Anleihen bei der Lehre Epikurs, die er selbst nicht als Teil der Tradition sah. Den Bruch mit der klassischen Lehre deutete Strauss also als Versuch, eine eigentümliche Synthese von den sich widersprechenden Elementen herbeizuführen: die Synthese des politischen Idealismus, der auf der klassischen Überzeugung beruhte, dass die Frage der politischen Ordnung eine notwendige und gar dringlichste sowie eine spezifisch menschliche Frage sei, mit dem modernen politischen Hedonismus, der die Orientierung an dem forderte, was eine reale Chance habe, das Verhalten der Menschen tatsächlich zu beeinflussen. Der Letztere lehnt teleologisches Denken mitsamt dem Vervollkommnungsideal ab und hält die Frage nach dem natürlichen oder transzendenten Maßstab für eine überflüssige. Die Frage nach der Relevanz eines solchen Maßstabes ist der Brennpunkt, um den die entgegengesetzten Traditionen der Naturrechtslehre und des Konventionalismus ursprünglich ihre Konfrontation ausgetragen haben. Wiederum blieb Hobbes, Strauss zufolge, im Niemandsland zwischen den beiden Denkfronten − als Vater eines modernen Paradigmas.

An Hobbes hat Strauss den Gegensatz zwischen der modernen und der klassischen Tradition politischer Philosophie herausarbeiten können. Das von Hobbes begründete moderne Denken über Politik zeichne sich durch die Ablehnung der Vorstellungen natürlicher und/oder transzendenter Ordnung aus, die die Stellung des Individuums als vorzüglichstes Wesen des Universums, das von keinen vor-konventionellen und transpolitischen Vorschriften verpflichtet sei, rechtfertige. Das Individuum sei dem gegenüber souverän, was es weiß, weil es über die Kriterien der Wahrheit verfüge, und es sei, umgekehrt, gerade kraft seines Wissens souverän. Seine Natur, wie auch die Natur der von Menschen geschaffenen politischen Ordnungen, seien nicht teleologisch zu denken, sondern in Bezug darauf, was man beobachtet, dass es mit Notwendigkeit eintrete. Der Nutzen des Individuums bzw. die Vitalität und Funktionalität des Staates würden den Maßstab liefern, an dem sich das philosophische Wissen zu prüfen habe. Das philosophische Leben, das der Frage nach dem guten und richtigen Leben und nach dem besten Regime gewidmet sei, werde sinnlos, weil diese Frage der realen Geschichte und der populären Meinung überlassen werde, d. h. sie werde als solche nicht mehr gestellt. Und wenn die moderne politische Philosophie das Gewand der klassischen Begriffe und Kategorien trage, seien diese Begriffe nicht in ihrer ursprünglichen Bedeutung, sondern aus der modernen Gesinnung heraus zu verstehen.