Verzeichnis der im „Überblick“ besprochenen Schriften Schmitts

(chronologisch nach der Ersterscheinung, wenn nicht anders vorgemerkt)

1932 (Erscheinung der 2. Fassung des Textes): Der Begriff des Politischen. Synoptische Darstellung der Texte. Im Auftrag der Carl-Schmitt-Gesellschaft hrsg. von Marco Walter, Berlin 2018.

1936/37: Der Staat als Mechanismus bei Hobbes und Descartes. In: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie, 30, S. 622–632.

1938: Der Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes. Sinn und Fehlschlag eines politischen Symbols. Hrsg. u. m. einem Nachw. versehen v. Günter Maschke, Köln-Lövenich 1982.

1951: Dreihundert Jahre Leviathan. In: Schmitt, Carl: Staat, Großraum, Nomos. Arbeiten aus den Jahren 1916–1969. Hrsg., m. einem Vorw. u. m. Anm. versehen v. Günter Maschke, Berlin 1995, S. 152–155.

1965: Die vollendete Reformation. Zu neuen Leviathan-Interpretationen. In: Schmitt, Carl: Der Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes. Sinn und Fehlschlag eines politischen Symbols. Hrsg. u. m. einem Nachw. versehen v. Günter Maschke, Köln-Lövenich 1982, S. 137–178.

2.1 Schmitts Hobbes-Rezeption in seinem Gesamtwerk

Im Vergleich zur Auseinandersetzung von Strauss mit Hobbes, die in der Hobbes-Literatur gut bekannt ist (siehe z. B. den Überblick über die Hobbes-Forschung von Zagorin – 1990, 322), ist die Hobbes-Deutung von Schmitt eher für diejenigen interessant, die sich mit den Anschauungen Schmitts und nicht mit Hobbes selbst beschäftigen (siehe S. 10). Oft reicht das Interesse für Schmitt allerdings nicht so weit, um sich mit seiner Hobbes-Deutung auseinanderzusetzen. Denn sogar in den Schmitt gewidmeten Monografien wie z. B. von Bendersky,Footnote 1 Schwab,Footnote 2 Sombart (siehe Fußnote Nr. 91) und Hofmann (die Erläuterung erfolgt weiter im Text) ist seine Deutung von Hobbes ein marginales Thema geblieben. Die Letzte, allein in ihrer Ausführlichkeit die Ersteren weit übertreffend, eignet sich jedoch hervorragend für die Einordnung der Hobbes-Deutung Schmitts in seinen Werdegang als Rechtstheoretiker und politischer Denker. Diese Einordnung möchte ich in drei Schritten vollziehen. Zunächst werde ich die Einzelveröffentlichungen SchmittsFootnote 3 einer groben thematischen Gliederung unterziehen. Danach skizziere ich eine Möglichkeit der Periodisierung des Schmitt’schen Gesamtwerks, die der Forschung Hofmanns entlehnt ist. Ihr liegt die Formel „Legitimität gegen Legalität“ zugrunde, die sich als zentrale Problemstellung durch das Gesamtwerk Schmitts ziehe. Dies soll allerdings nicht die zeitliche Einordnung ersetzen, die ich als Ergebnis meiner Untersuchung der Hobbes-Deutung Schmitts vorschlage und die konkret der Aufschlüsselung dieser Deutung dienen soll, sondern den Blick für einerseits Wandel, andererseits Kontinuität Schmitt’schen Denkens freilegen. Der Umfang und die Transformation seines Gesamtwerkes machen klar, dass die Mannigfaltigkeit seiner Hobbes-Deutung im Rahmen seines Schaffens keineswegs eine Ausnahme ist, sondern vielmehr dem Verlauf seines intellektuellen Weges entspricht. Zuletzt verweise ich noch auf einige biographische Fakten, die für die Entstehung seiner Hauptstudie zu Hobbes von Belang sind, und gebe einen Überblick darüber, in welchen Werken und inhaltlichen Zusammenhängen Schmitt die Lehre Hobbes’ maßgeblich thematisiert hat.

Die Sichtung des Gesamtwerks von Schmitt ist mit der Schwierigkeit einer klaren inhaltlichen Gliederung verbunden. Es bietet sich an, die Kategorisierung damit anzufangen, dass man zuerst Werke und Werkgruppen benennt, die sich wegen ihres außerordentlichen Charakters ohne Weiteres von den anderen Schriften abheben. Aus diesem Grund sind sie für das Gesamtwerk nicht repräsentativ, bezeugen allerdings Schmitts „geistige Spannweite“ und Reichweite seiner Interessen (Hofmann 1992, viii), seine Neigung zur Selbstschau und sein vielfältiges literarisches Vermögen sowie aktive rechtswissenschaftliche Betätigung.

Die erste Kategorie besteht aus zwei eigenständigen Werken, die man als Kunstdeutung oder Kunststudium bezeichnen könnte: Theodor Däublers ,Nordlicht‘. Drei Studien über die Elemente, den Geist und die Aktualität des Werkes aus dem Jahr 1916 sowie Hamlet oder Hekuba. Der Einbruch der Zeit in das Spiel, 1956.Footnote 4 In einem einschlägigen Kommentar zum Verhältnis Schmitts zur Literatur und ihren PersönlichkeitenFootnote 5 hat Johannes Türk anhand des Beispiels von Theodor Däublers ,Nordlicht‘ für die These argumentiert, dass Literatur für Schmitt die Rolle der Quelle und des Beweises ethischer Positionen spielte. Der konkrete Einfluss von Däublers Werk auf das Denken Schmitts zeige sich z. B. in des Letzteren Wert des Staates und die Bedeutung des Einzelnen (Türk 2016, 761–765).

Einen eigenen Teil des Œuvres Schmitts stellt das dar, was man als persönliche Materialien bezeichnen könnte. Dazu zählen nicht nur die Tagebücher,Footnote 6 die sämtlich posthum veröffentlicht worden sind und deren Publikation von Schmitt ursprünglich nicht vorgesehen war, sondern auch die in Ex Captivitate Salus. Erfahrungen aus der Zeit 1945/47 veröffentlichten Essays, die teilweise als formlose Selbstreflexionen und Selbststilisierungen verfasst waren und dadurch einen Tagebuch-Charakter aufweisen (vor allem „Gespräch mit Eduard Spranger“, „Weisheit der Zelle“ und der in Versen verfasste „Gesang des Sechzigjährigen“). Schmitts „Antwortende Bemerkungen zu einem Rundfunk-Vortrag von Karl Mannheim“ muten, wenn man sie mit Rückblick auf 1933–1945 liest, selbstapologetisch an (1950 c).

Eine Art Sonderstellung, die eine eigene Kategorie erfordert, gebührt Schmitts satirischen Personenskizzen, die er in Zusammenarbeit mit Fritz Eisler und unter einem Pseudonym 1913 als Schattenrisse herausgeben ließ. Dieser Versuch einer Satire in Versen ist im Gesamtwerk Schmitts ohnegleichen geblieben.Footnote 7

Zu der vierten Kategorie zählen Schmitts rechtliche Gutachten und Kommentare (wie z. B. „Das Reichsstatthaltergesetz“ oder „Fünf Leitsätze für die Rechtspraxis“, beide aus dem Jahr 1933). Dadurch, dass sie formelle Erfordernisse der Jurisprudenz bedienen, unterscheiden sie sich von denjenigen, fünftens, die zwar (auch) das Recht zum Gegenstand haben, aber nicht unter strenger Einhaltung der fachüblichen Form verfasst worden sind. Die Letzteren mögen zwar rechtswissenschaftliche Erkenntnisse beinhalten, sind jedoch, aufgrund ihrer über alles Formelle dominierenden politischen Positionierungen und Wertungen, auch und vor allem Forschungsobjekte politischen Denkens (einschlägige Beispiele wären z. B. Verfassungslehre, 1928, Über die drei Arten rechtswissenschaftlichen Denkens, 1934, oder Die Lage der europäischen Rechtswissenschaft, 1950). So wie Schmitt, merkte Schwab an, die rechtstheoretischen Überlegungen nicht (und vor allem nicht immer in gleichem Maße) von seinen politischen Ideen und theologischen Zuneigungen zu isolieren vermochte (1989, 7),Footnote 8 so konnte er, vieles ansprechend, viele ansprechen (Hofmann 1992, viii). Das schließt natürlich nicht aus, dass sich seine Leistungen im rechtlichen und rechtswissenschaftlichen Bereich disziplinimmanent und nach entsprechenden Kriterien bewerten lassen würden und auch entsprechende Relevanz hätten, die sich nicht oder nicht unbedingt mit der ideengeschichtlichen überschneidet.

Um sich des Namens einer Bandreihe vom Verlag Duncker & Humblot zu bedienen, lassen sich die meisten Werke Schmitts, trotz seiner beruflichen Zugehörigkeit und expliziten Selbstidentifikation als Jurist, als „wissenschaftliche Abhandlungen und Reden zur Philosophie, Politik und Geistesgeschichte“ bezeichnen (Duncker & Humblot o. J.). Obwohl Rechtswissenschaftler (siehe z. B. Schmitt 1997, 5 für ein ausdrucksstarkes Beispiel dieser Selbstbezeichnung), sprach er vor allem als politischer Denker und öffentlicher Intellektueller. Jeder Versuch, diese Werke – die für Schmitt typisch sind und von denen es so viele gibt, dass alles andere eher eine Ausnahme konstituiert – weiter inhaltlich zu gliedern, erweist sich als wenig sinnvoll, weil die Verflechtung der zeitlichen Dimension, des disziplinären Zuganges und der Thematik in jedem dieser Werke und Abhandlungen stark ausgeprägt ist. Die Vielfalt, die aus dem Zusammenspiel dieser drei Dimensionen (zeitlich, disziplinär, thematisch) resultiert, ist hier nur kurz zu skizzieren.

Schmitt wechselte zwischen dem, was als geschichtliche Retrospektive und dem, was als „Lageaufnahme“ bezeichnet werden kann. Er bot „allezeit perspektivistische Erhellungen der jeweiligen ,Lage‘“, sein typisches Werk ist von einer „politisch-zeitkritischen Prägung“ (Hofmann 1992, viii). Einem typischen Beispiel des Letzteren begegnet man auf den ersten Seiten von „Dem Zeitalter der Neutralisierungen und Entpolitisierungen“. „Nichts ist“, so Hofmann, „wichtiger für […] Carl Schmitt, als stets ,auf der Höhe der Zeit‘ zu sein, in immer neuen Analysen den geistigen ,Ort der Gegenwart‘ im Prozess der Geschichte zu bestimmen und sich geschichtlich und politisch mit ganzem Einsatz selbst zu ,verorten‘“ (ebd., 85). Der Stichpunkt geschichtliche Verortung verweist darauf, dass Schmitts „Lageaufnahmen“ stets mit einem geschichtlichen Rückblick einher- und aus ihm hervorgehen, wie man es übrigens auch in dem zuletzt erwähnten Artikel sieht.

In seiner Rolle als öffentlicher Intellektueller, als „Hermeneut des Politischen“ (ebd., viii) arbeitete Schmitt in seiner Annäherung an die eigene und die vergangene Zeit disziplin- und themenübergreifend. Rechtswissenschaftliche, politiktheoretische, ideengeschichtliche, soziologische und psychologische Einsichten und Argumentationen konstituieren seinen Zugang zu Fragen und Problemen der Politik (inkl. internationaler Beziehungen) und Gesellschaft, des Rechts (inkl. des Völkerrechtes), der Kirche und Religion sowie Kultur. Diesen näherte sich Schmitt sowohl über direkte Beobachtung und Erfahrung, Mediales, Sachliteratur, theoretische und philosophische Werke. Die Geschichte wie auch die Geistesgeschichte waren die Quellen, derer sich Schmitt − ob zum In-Frage-Stellen der eigenen Erfahrung oder zu ihrer Bestätigung − stets bediente: für die Zeitdiagnose und Zeitkritik, für Begriffsbildung und Stellungnahme. So wären zum Beispiel Politische Romantik oder Politische Theologie II ohne Schmitts interpretative Kommentare ausgesuchter Autoren, die er in die Texte einbaute, nicht wiederzuerkennen. Dasselbe gilt auch für seine Werke und Abhandlungen, deren Thematik nicht in der Geistesphilosophie und Theologie, sondern in der Politik und internationaler Politik zu verorten ist, wie z. B. „Die Wendung zum diskriminierenden Kriegsbegriff“ oder Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus.

Die wenigen Werke Schmitts, die explizit als ideengeschichtliche Studien oder Skizzen konzipiert worden sind − sein Genre sind sie nicht gewesen − , gehen entweder über einen analytischen Anspruch hinaus oder reichen an ihn nicht heran. Sie umreißen das zu Untersuchende ohne eine explizite Darlegung der Forschungsabsicht oder des Erklärungsanspruchs, ohne Beweise und ohne klaren Fokus oder, im Gegenteil, zugespitzt, wie sich am Beispiel des Essays über Donoso Cortès zeigt (1950 a). Ebenfalls gehen Schmitts Deutungen von Hobbes und Cortès öfter in eine politiktheoretische Selbstpositionierung über (und nur in solcher Kombination können sie überhaupt verstanden werden) und sind reich an Überlegungen, die nicht nur im Zusammenhang mit dem zu deutenden Autor relevant sind, sondern (wenn nicht sogar eher) als Einsichten an sich. Aus diesem Grund wäre es nicht gerechtfertigt, Schmitts ideengeschichtliche Annäherungen als eigene Kategorie zu unterscheiden, zumal Schmitt mit Ausnahme von Hobbes und teilweise Cortès (wobei die diesem Autor gewidmeten Artikel, die Schmitt in einem Sammelwerk bündelte, nicht wirklich von einem ideengeschichtlichen Vorhaben zeugen) keine autorinnengeschichtlichen Studien als solche schrieb. Skizzen im kleinen Umfang hat Schmitt allerdings immer wieder verfasst: zu Machiavelli, Tocqueville, Hugo Preuß und Clausewitz.

Was die inhaltliche Einteilung der Schmitt’schen Werke im Laufe der Zeit angeht, so ist in der Schmitt-Literatur die Meinung anzutreffen, dass er vor allem erst in der späten Etappe seines Gesamtwerkes die Themen internationaler Politik zum Gegenstand seiner Überlegungen gemacht hat. Dieser Gedanke mag sich aus der Bekanntheit von Schmitts Nomos der Erde im Völkerrecht des Jus Publicum Europaeum erklären, jedoch muss er berichtigt werden. Schon in der Zwischenkriegszeit wie auch während des zweiten Weltkrieges publizierte Schmitt stets zur Thematik der internationalen Beziehungen und des Völkerrechtes − der Genfer Völkerbund und die alliierte Rheinlandbesetzung waren für Schmitt gängige Themen seiner politischen und rechtswissenschaftlichen Überlegungen.

Die Einteilung des Schmitt’schen Werkes, die Hofmann in seiner Studie herausarbeitete, ist zwar eine chronologische, aber nicht kontextgeleitet. Der Autor hatte den Anspruch, den Inhalt der Lehren Schmitts „sachbezogen“ ernst zu nehmen. Nicht nur die sachliche Tragfähigkeit, sondern auch der Ursprung einer Lehre sei, so Hofmann, nicht in dem zu suchen, was der Autor „ist und woher er kommt“, sondern in dem Problem, das die Lehre zu lösen anstrebt (Hofmann 1992, x). Die Periodisierung, die Hofmann in seiner entwicklungsgeschichtlichen Werkanalyse Schmitts begründete, orientiert sich dementsprechend daran, was er als Schmitts „Suche nach dem Grund für eine nachpositivistische Rechtsbegründungslehre“ bezeichnete. Diese vollzog sich zwischen den Polen der Legitimität und Legalität – zwischen „vorgegebenem Geltungsgrund und menschlicher Selbstermächtigung“ (ebd., xiii–xv). Dies sei der sachliche Zusammenhang, der, bei allem Wandel des Schmitt’schen Denkens, das kein einheitliches System hervorbrachte, zu erkennen sei. Er wurde von der geistigen Haltung Schmitts begleitet, die Hofmann als „Pathos der Entscheidung“ (ebd., xi) bezeichnete und die die Schwierigkeit, sich von der Notwendigkeit menschlicher Selbstermächtigung loszulösen, widerspiegele.

Die Entwicklungsgeschichte Schmitt’schen Denkens, die Hofmann gezeichnet hat, bewegt sich, wenn man sie auf eine Bipolarität reduziert, zwischen dem historistischen, existenzialistischen Kontingenzdenken und der substanzorientierten Ordnungssuche. Demgemäß kam Hofmann in der Studie immer wieder zur Feststellung der Gespaltenheit Schmitts juristischer und politischer Positivismuskritik, die dieser sowohl „im Namen der reinen, inhaltlich indifferenten Dezision wie auch mit dem Vorwurf des Mangels eines inhaltlichen Ordnungsprinzips“ übte (ebd., 78).

Diese Gespaltenheit in Bezug auf das Problem der Legitimität und Legalität sei in jeder Etappe Schmitt’scher Werkgeschichte zu verzeichnen, von denen Hofmann vier unterschied. Die Periode zwischen 1912 und 1922 bezeichnete er als „rationale Legitimität“, die wiederum in Wert- und Zweckrationalität auseinanderfalle. Schmitts Versuch, die Staatsautorität wertrational zu begründen, erkannte Hofmann vor allem in dessen Schrift Der Wert des Staates und die Bedeutung des Einzelnen. Es war eine antipositivistische Auflehnung, die Schmitt bereits in seiner ersten (Dissertation ausgenommen) Schrift Gesetz und Urteil. Eine Untersuchung zum Problem der Rechtspraxis an dem Aspekt der Rechtsprechung entfaltete.

Die Kernthese Schmitts wertrationaler Legitimitätsbegründung besagt, dass der Staat eine Autorität innehabe, die der „Faktizität der Staatsgewalt“ „aus der Welt des Normativen“ zuwachse (ebd., 73). Diese These stellte für Schmitt sowohl die Überwindung der individualistischen Betrachtungsweise dar („der Einzelne“, so Hofmann, verschwinde als „Ausgangs- und letzter Zielpunkt aller sozialen Legitimitätsanerkennungshandlungen“, ebd., 75) als auch die Verneinung der gar theoretischen Möglichkeit, „die Staatsgewalt […] für illegitim zu erklären“ (ebd., 73–75).Footnote 9

So wie dieser Ansatz einen Versuch des Normdenkens bei Schmitt darstellte, so erkannte Hofmann in der ersten Periode seines Schaffens zugleich die Orientierung an dem Ausnahmezustand, von dem aus zweckrationale Legitimität begründet werde. Das Konzept des Ausnahmezustandes, in dem alle Normen ihre Kraft verlieren würden und von dem aus neue entsprängen, fordere zu einem neuen Verständnis der Legitimität auf, die vielmehr auf der faktischen Leistung, auf der Herstellung der Normalität und nicht auf einer absoluten Norm beruhe. Die Überwindung des Individualismus bestehe dabei nicht in der Hingabe an das überindividuelle Recht, sondern in der Unterwerfung unter den funktionierenden Staat um des eigenen Schutzes willen (ebd., 76 f.). Schmitts Begeisterung für die Übereinstimmung zwischen dem natürlichen Selbsterhaltungstrieb und der faktischen Schutzmacht des Staates war zweifellos der Begegnung mit der Lehre Hobbes’ geschuldet; dabei enthält aber die Kritik, die Hofmann an der zweckrationalen Legitimitätsbegründung Schmitts äußerte, den gleichen Kern, den Schmitt selbst bei Hobbes als Kritik der mechanistischen und inhaltlich leeren Vorstellung des Staates als Machtapparat übte. Wie Hofmann treffend in einer Frage zusammenfasste: „Wodurch unterscheidet sich nun aber die zweckrationale, auf der bloßen Existenz des (Macht-)Staates beruhende, relativistische Legitimitätsvorstellung noch von der üblichen positivistischen Rechtsgeltungslehre?“ (ebd., 78).

Da das Recht bei Schmitt zweckrational zur Funktion der faktischen Normalität (und somit „der bloßen Entscheidung“, ebd., 78) wurde und sich die Legitimität dadurch selbst aufhob, ist Hofmanns Bezeichnung der nächsten Etappe Schmitts Werkgeschichte (1923–1933) als „politischer Existenzialismus“ eine konsequente. Schmitt löste die Wert- und Zweckrationalität samt ihrer Unterscheidung durch eine irrationale Legitimitätstheorie auf. Sein existenzialistisches Denken zeichnete sich für Hofmann als eines aus der Kontingenz des Daseins heraus − der „je einmaligen und unwiederholbaren“ Faktizität, die „in den Griff zu bekommen“ Schmitt beschäftigte (ebd., 167 f.). Es weise sich also durch die Herausstellung der Bedeutung einer konkreten Situation aus.

Für Schmitt stellte sein Existenzialismus insofern eine Möglichkeit der Überwindung des Individualismus dar, dass die Existenz als eine die „private Vereinzelung überschreitende, ,gesteigerte Art Sein‘, eine ,Heraushebung in das öffentliche Sein‘“ verstanden wurde (ebd., 163 f.). Dabei vermied Schmitt, wie Hofmann bemerkte, jegliche bestimmte Aussage über die Natur des Menschen und auch seine pessimistische Grundannahme war „nicht mehr als eine Chiffre für die naturlose Existenz des Menschen“ (ebd., 165). Auch der Begriff des Naturzustandes bezeichnete bei Schmitt „weder einen Zustand der Ordnung, die von Natur aus so ist, wie sie ist, noch auch nur einen Zustand ursprünglicher, natürlicher Rohheit, welcher zivilisatorisch zu überwinden wäre“ (ebd., 164). Er stand vielmehr für die menschliche Existenz im „permanenten Ausnahmezustand“ (ebd., 164), über den, so versteht sich, keine Aussage zu treffen sei, die in ihm und durch ihn nicht negiert würde (vgl. mit Fußnote Nr. 36 in 1.3).

Zugleich war Schmitt bestrebt, die eigene existenzialistische Haltung durch eine substanzielle Ordnungsvorstellung zu überschreiten (ebd., 166). Diese Überwindung wurde vorläufig in dem, was Hofmann als „rassische Legitimität“ bezeichnete, gefunden − vorläufig, weil nur zwei Jahre lang (1934–1936) anhaltend. So wie sich Schmitt auf das Ideal des artgleichen Führertums und der völkischen Ordnung umorientierte, so verwarf er diese Kategorien wenig später in ihrer Funktion als Legitimitätsträger als haltlos (ebd., 187) und wandte sich der geschichtlichen Legitimität und dem „Recht der Räume“ (ebd., xiv) zu. Auch in diesem Denkschema konnte der Nationalsozialismus jedoch legitimiert werden, und zwar als eine sich aus dem Zerfall der alten Völkerrechtsordnung ergebende geschichtliche Notwendigkeit (ebd., 204).

Schmitts geschichtsphilosophische Geisteshaltung schließt die Reihe, weil sie von keiner weiteren abgelöst wurde und vielleicht weil sie eine ihn zufriedenstellende Antwort auf die Spannung zwischen Legitimität und Legalität formulieren ließ. Die Soll-Frage wurde nämlich nicht mehr als eine absolute, sondern nur in einem jeweiligen geschichtlichen Horizont zu beantwortende aufgefasst (ebd., 233), wodurch die Legitimität zur bloßen geschichtlichen Leistung wurde. Wenn, wie Hofmann es auf den Punkt gebracht hat, die Legitimität nur ein anderes Wort für die Geschichtsmächtigkeit werde, dann kann man von einer existenziellen Verabsolutierung der Geschichte sprechen (ebd., 251) und damit auch von einer „Neuaufwertung“ des Schmitt’schen Existenzialismus 1923–1933. Der Nomos als zentrale Kategorie geschichtlichen Existenzialismus werde dabei zugleich als „Produkt geschichtsmächtiger menschlicher Entscheidung“ und „Ergebnis eines Wachstums geschichtlichen ,Sinnes‘“ gedacht (ebd., 242 f.).

Der Schmitt’sche Versuch eines geschichtsphilosophischen Ansatzes wirft die Frage auf, wie sich das Bekenntnis, die Erkenntnis aus einer konkreten historischen Situation zu gewinnen,Footnote 10 mit seinem impliziten Anspruch auf endgültige und uneinholbare Aussagen verhält. Das Element der Kontingenz wurde in die geschichtliche Dimension eingegliedert − als Abfolge der „epochalen Daseinsentwürfe“ (ebd., 229), die immer „Raumordnungen“ seien. Somit fügte sich die implizite Annahme der Naturlosigkeit des Menschen in seine Vorstellung des Menschen als eines geschichtlichen Wesens, dessen Gestalt sich in der Geschichte immer wieder von Neuem herausstelle.

Um zu erklären, wie sich das Denken der Räume und das geschichtliche Denken bei Schmitt im geschichtlichen LegitimitätsdenkenFootnote 11 zusammenfügen, lohnt sich ein Blick in Land und Meer (1942; hier 1993 c, 14):

Nun ist aber der Mensch ein Wesen, das nicht in seiner Umwelt aufgeht. Es hat die Kraft, sein Dasein und Bewusstsein geschichtlich zu erobern. Er kennt nicht nur die Geburt, sondern auch die Möglichkeit einer Wiedergeburt. In mancher Not und Gefahr […] kann er sich durch seinen Geist, durch unbeirrte Beobachtung und Schlussfolgerung und durch den Entschluss zu einem neuen Dasein retten. Er hat einen Spielraum seiner Macht und seiner Geschichtsmächtigkeit. Er kann wählen und in gewissen geschichtlichen Augenblicken sogar das Element wählen, zu dem er sich als einer neuen Gesamtform seiner geschichtlichen Existenz durch eigene Tat und eigene Leistung entschließt und dem er sich anorganisiert.

In welchem Ausmaß das Denken Schmitts nach seiner letzten intellektuell-geistigen Wende ein Raumdenken gewesen ist, wird daran deutlich, dass Schmitt die Ordnung nur und nicht anders als im Raum gedacht hat: „Jede Ordnung ist eine Raumordnung“, jede „wahre, eigentliche“ Ordnung beruht in ihrem wesentlichen Kern auf bestimmten räumlichen Grenzen und Abgrenzungen, auf bestimmten Maßen und einer bestimmten Verteilung der Erde“ (ebd., 71). Wie auch der vollständige Titel des Werkes Land und Meer. Eine weltgeschichtliche Betrachtung verrät, war das Raum- und das Geschichtsdenken in Schmitts späten Werken eine nicht auseinanderzureißende Einheit, und zwar insofern, als die Raumordnungen für Schmitt durch Raumrevolutionen abgelöst und neu begründet wurden; diese Raumrevolutionen würden grundlegende Veränderungen der Vorstellung davon bedeuten, was Raum sei.Footnote 12 Sie seien geschichtliche Wandlungen, durch „Vorstoß geschichtliche[r] Kräfte“ ausgelöst (ebd., 56 f.).Footnote 13 Und wiederum vollziehe sich die Geschichte nicht anders als im Raum und die Änderungen im Raumbewusstsein würden geschichtliche Taten neuen Ranges ermöglichen (ebd., 67). Der Raum als Kraftfeld, so Hofmann, begründe „die Räumlichkeit der geschichtlichen Welten, ermöglicht es erst, dass etwas sich ereignet, vorhanden ist und vergeht“ (1992, 246).

Für die Hobbes-Deutung Schmitts ist die geschichtliche Legitimitätsbegründung deswegen von Bedeutung, weil man sie als Überhöhung und Aufhebung der von Hobbes entlehnten zweckrationalen Legitimitätstheorie betrachten kann (ebd., 252) − Aufhebung durch die Auflösung der Sein-Soll-Spannung. Es wäre allerdings nicht richtig, daraus zu schließen, dass das Verhältnis von Schmitt zu Hobbes nur, vor allem oder überhaupt über den geschichtlichen Legitimitätsansatz definiert und verstanden werden kann, weil, wie in dieser Arbeit dargelegt wird, Schmitt seine Wahlverwandtschaft mit Hobbes in der Nachkriegszeit auf Basis der politischen Theologie vollzog (abgesehen von der persönlichen Selbststilisierung). Hofmann hat sich dafür entschieden, die politische Theologie in seiner Studie nicht in Betracht zu ziehen (ebd., xvii). Allerdings sprach er von der „Analogie zwischen epochaler Grundordnung und göttlicher Schöpfung“, die die Geschichtlichkeit der Wahrheit in Schmitts geschichtsphilosophischem Ansatz begründete (ebd., 233).

Auch Mehring setzte die Hobbes-Deutung Schmitts in Beziehung zum Legitimität-Legalität-Problem. Schmitts politische Theologie sah er als seine Suche nach einer Legitimitätsquelle, nachdem sich sowohl die rationale als auch mythische Begründung einer politischen Einheit – zwei Ansätze, für die Schmitt aus der Hobbes’schen Staatslehre schöpfte – als gescheitert erwiesen hatten (2009, 388 f.; vgl. S. 142 dieser Arbeit). Sowohl für Hofmann als auch Mehring stand im Zentrum der Beschäftigung Schmitts mit Hobbes also die Suche nach einer Legitimitätsbegründung. Hobbes’ gescheiterter Versuch, einen rational konstruierten Staatsmechanismus mit mythischen Elementen zu „überspielen“ (ebd., 385), sprach dafür, dass sein mechanistisches Denken keinen „totalen“ Staat begründen könne (ebd., 382).

In seiner Schmitt-Biographie verwies Mehring auf die mit „Volk und Staat“ betitelte Vorlesung Schmitts, die dieser im Wintersemester 1936−1937 gab und in der er das mechanistische Denken seiner Kritik unterzog. Während Schmitts „Staat als Mechanismus bei Hobbes und Descartes“ aus Anlass des 300. Jahrestages von Descartes’ Discours de la méthode verfasst und als Vortrag gehalten wurde, entstand seine Leviathan-Schrift auf Basis von zwei Vorträgen, die Schmitt 1938 in der Leipziger Ortsgruppe der Philosophischen Gesellschaft auf Einladung Gehlens sowie vor der Hobbes-Gesellschaft in Kiel gehalten hat. Obwohl mit dem Druck der Schrift schon im Mai desselben Jahres angefangen wurde, hat Schmitt den Abschluss der Schrift im Vorwort auf den 11. Juli, seinen 50. Geburtstag, datiert (ebd., 381−384).

Bevor man einen Blick auf den zeithistorischen Forschungskontext, mit dem sich Schmitt in den 1930er Jahren im Zusammenhang mit seinem Hobbes-Studium auseinandersetzte, wirft (dies erfolgt in dem folgenden Unterkapitel), bietet sich eine kurze Übersicht darüber an, welche Werke Schmitts für seine Hobbes-Deutung am relevantesten sind. Drei Schriften bedürfen hierbei besonderer Hervorhebung: Der Begriff des Politischen,Footnote 14 Der Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes. Sinn und Fehlschlag eines politischen Symbols (1938)Footnote 15 sowie die im Jahr 1965 herausgegebene Rezensionen-Sammlung „Die vollendete Reformation. Zu neuen Leviathan-Interpretationen“. Darüber hinaus ließ Schmitt 1951, zum 300. Jahrestag der Erstveröffentlichung von Hobbes’ Leviathan, einen entsprechend benannten Artikel publizieren, in dem er seine Erwägungen zu der zeithistorischen Wirkung des Hobbes’schen Werkes niederlegte. Dort war von der Verunglimpfung und Verschmähung von Hobbes seitens seiner Zeitgenossen die Rede, die ihre Augen vor den politischen Kalamitäten ihrer Zeit lieber verschlossen hielten und den leichten Weg eingeschlagen hätten, den die Diagnose aufstellenden „Arzt“ zum Schuldigen zu erklären und sich seiner Person als eines Sündenbockes zu bedienen (Schmitt 1995, 152).Footnote 16 Über diese für die Hobbes-Deutung von Schmitt wichtigsten Abhandlungen hinaus finden sich wichtigere Kommentare und Überlegungen zu Hobbes in Schmitts Frühwerk: Der Diktatur. Von den Anfängen des modernen Souveränitätsgedankens bis zum proletarischen Klassenkampf – dem Werk, das Schmitt neben Verfassungslehre und Dem Nomos der Erde als eines seiner drei Hauptwerke bezeichnete (Mehring 2009, 13), in der ein Jahr später verlegten Politischen Theologie, in seiner rechtstheoretischen Schrift von 1934 Über die drei Arten des rechtswissenschaftlichen Denkens sowie in der Sammlung seiner Nachkriegsessays Ex Captivitate Salus. Auch der berühmteste Band Schmitt’scher Tagebücher − Glossarium − enthält mehrere, wenn auch meist sehr knappe Kommentare zu Hobbes und bezeugt, dass Schmitt in seinen Gedanken immer wieder zu Hobbes wanderte und dass die Rolle des Letzteren weit über die eines geistesgeschichtlichen Untersuchungsobjektes hinausging. Hobbes war in Schmitts innerer Gedankenwelt ein Einheimischer.

2.2 Hobbes-Deutung bei Schmitt in ihrem zeithistorischen Forschungskontext

Im Gegensatz zu Strauss und seinem Hobbes-Buch hat sich Schmitt in seinem Hobbes-Werk von 1938 sowie in seiner Rezensionensammlung von 1965 mehrmals explizit auf andere Autoren bezogen. Dazu zählen sowohl Klassiker der Hobbes-Deutung wie Tönnies (Schmitt 1982, 87 f., 103 f., 111; 1982 a, 157; für eine systematische Erläuterung davon siehe S. 28 dieser Arbeit) oder Laird (Schmitt 1982, 87 f.; 1982 a, 144 f.) wie auch Schmitts Zeitgenossen deutscher, englischer und französischer Herkunft. Darüber hinaus verwies Schmitt im Zusammenhang mit seinen Überlegungen über den Funktionsmodus des positivistischen Gesetzgebungsstaates und das Wesen des Gesetzes auf Max Weber (Schmitt 1982, 101, 110).

Aus mehreren Verweisen Schmitts auf die kurz vor der Veröffentlichung von Dem Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes erschienenen Abhandlungen (unter anderem in Deutscher Rechtswissenschaft und Archiv- für Rechts- und Sozialphilosophie) wird offensichtlich, dass Schmitt das Forschungsleben in Deutschland in den 1930er Jahren – auch diejenigen Entwicklungen, die über seine eigenen Lehr- und Forschungsthemen hinausgingen – aufmerksam verfolgte. Ein Überblick über die von ihm zitierten Autoren lässt über seinen beruflichen und akademischen Hintergrund schließen. Öfter bezog er sich auf zeitgenössische Rechtswissenschaftler, Rechtsphilosophen und Juristen: In diese Kategorie fallen Persönlichkeiten wie Franz W. Jerusalem (Schmitt 1982, 51 f.; 111), Paul Ritterbusch (ebd., 51 f.), Carl August Emge (ebd., 22; 76), Otto von Schweinichen (ebd., 102), Gustav Adolf Walz (ebd., 111), Georg D. DaskalakisFootnote 17 (ebd., 68; 111−113). Darüber hinaus tauchen auf der Referenzliste von Schmitt unter anderem die Soziologen Helmut Schelsky (ebd., 22 f.) und Hans Freyer (ebd., 76), die Geschichtsforscher Gisbert Beyerhaus (ebd., 49) und Karl Theodor Buddeberg (ebd., 49) auf. Mit Ausnahme von Schelsky und Tönnies sind die deutschsprachigen Autoren, auf die sich Schmitt bezogen hat, keine Hobbes-Interpreten oder Politiktheoretiker gewesen. Aus diesem Grund ist es nicht verwunderlich, dass sich unter den direkten oder indirekten Wiedergaben ihrer Texte wenige finden, die für den entsprechenden Themenbereich substanzielle Einsichten oder Erklärungen hätten. Es sorgt für den Eindruck, dass Schmitt die englisch- oder französischsprachigen Autoren, die er als seine Quellen benutzte, im Gegensatz zu deutschsprachigen Zeitgenossen viel gezielter auswählte. Schon an den Titeln zitierter englisch- und französischsprachiger Werke lässt sich erkennen, dass ihre Autoren Forscher waren, die sich entweder direkt mit der Philosophie Hobbes’ oder zumindest mit den für die Hobbes-Forschung relevanten Themen befasst haben. Die nicht auf Deutsch geschriebenen Werke, z. B. die mehrmals zitierte Studie von Vialatoux (La Cité de Hobbes. Théorie de l’État Totalitaire, 1935; siehe Schmitt 1982, 49; 51 f.; 111−113; 1982 a, 170−172) oder das ebenso oft referierte Werk von John Neville Figgis (The Divine Right of Kings, 1896; siehe Schmitt 1982, 49 f., 65 f.; 117) wurden von Schmitt in Originalsprache gelesen und teilweise in Originalsprache zitiert.

Mit wenigen Ausnahmen (zu denen Tönnies, Vialatoux und Figgis gehören) bezog sich Schmitt auf seine Referenzquellen nicht wiederholt oder gar systematisch, sondern nur vereinzelt. Insofern man dies aus seinen Verweisen schließen kann, hat keiner der zitierten Autoren (außer Tönnies, Figgis und, natürlich, StraussFootnote 18) einen Einfluss solchen Ausmaßes auf seine Hobbes-Wahrnehmung gehabt, dass es für deren Verständnis unentbehrlich wäre, sich mit dem einen oder anderen Autor über seine in den Texten Schmitts vorkommenden Zitate sowie Texte, aus denen diese Zitate herangezogen waren, hinaus zu beschäftigen. Die überwiegende Anzahl ihrer direkten oder indirekten Zitierungen dient ohnehin nur der Unterstützung Schmitts eigener Argumente oder wird als Quelle zusätzlicher – nicht wesentlicher – Argumente oder Definitionen benutzt. Es stellt einen auffälligen Unterschied zu der Art und Weise dar, wie sich Strauss mit seinen Referenzautoren auseinandersetzte (dazu Fußnote Nr. 1 in 1). Während dieser auf andere Hobbes interpretierende Denker meistens kritisch verwies, um anschließend die eigene Gegenposition zu schärfen, finden sich in den Verweisen Schmitts eher entweder unterstützende Positionen oder die seine eigene Argumentation ausweitenden Nebenbetrachtungen − trotz der Tatsache, dass, oder vielleicht vielmehr weil, Schmitt die gegen seine eigene Deutung gerichtete Kritik für unausweichlich hielt (sein Vorwort zum Hobbes-Buch schloss Schmitt resigniert, zugleich aber mit Pathos, mit den Worten: „Der Name des Leviathan wirft einen langen Schatten; er hat das Werk des Thomas Hobbes getroffen und wird wohl auch auf dieses kleine Büchlein fallen“, 1982, 6).

Es lässt sich, grob gefasst, ein zentraler Themenbereich identifizieren, zu dem Schmitt andere Autoren heranzog. Dieser ist hauptsächlich die Auseinandersetzung zwischen zwei im Gegensatz zueinander stehenden Hobbes-Deutungen, die den Nachdruck auf entweder rechtsstaatliche oder machttheoretische Züge von dessen Philosophie setzen.Footnote 19 Zu diesem Themenfeld gehören die Frage nach dem totalen Staat sowie Schmitts Überlegungen über Hobbes als Vater des positivistischen Gesetzgebungsstaates, über die Unterscheidung zwischen auctoritas und potestas sowie zwischen Toleranz und Neutralisierung.

Auf diesem umkämpften Deutungsfeld riss Schmitt mit seinen Bezugnahmen mehrere Aspekte an, meistens ohne sich selbst dabei klar und eindeutig zu positionieren. Die Meinungen, die Schmitt ohne explizite Kritik wiedergab, können daher als die seiner eigenen Haltung am ehesten entsprechenden gelesen werden. So verwies Schmitt z. B. auf Schelskys „berechtigte Polemik gegen die oberflächlichen Kennzeichnungen des Hobbes als eines Rationalisten, Mechanisten, Sensualisten, Individualisten oder sonstigen ,isten‘“ (ebd., 22),Footnote 20 ohne dabei auf die Argumente Schelskys oder auf die von diesem abgelehnten Positionen einzugehen. Für Schmitt war Schelsky vor allem deswegen von Bedeutung, weil er Hobbes nicht nur als einen politischen Denker, sondern gar als einen „Denker der politischen Tat“ und einen Machtheoretiker auffasste, „der sich um eine politische Wirklichkeit bemüh[t]e und dessen Schriften politische Handlungslehren, nicht Denksysteme allgemeiner Begriffe“ (ebd., 22) waren. Diese Wahrnehmung, in der Schmitt und Schelsky übereinstimmten, findet sich auch in Dem Begriff des Politischen wieder: In diesem bezeichnete Schmitt Hobbes als einen „wahrhaft systematischen politischen Denker“ und dessen Gedankensystem als „spezifisch politisch“ (1991, 64 f.). In Dem Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes wurde Hobbes als „der echte Lehrer einer großen Erfahrung“ zelebriert (Schmitt 1982, 131 f.).

Im Zentrum von Schmitts Hobbes-Deutung stand stets dessen Souveränitätskonzept. Sein dezisionistischer Charakter hat Schmitts Aufmerksamkeit schon lange vor der systematischen Auseinandersetzung mit Hobbes’ Leviathan erregt und seitdem behalten (siehe Schmitt 1990, 44). Sich auf Beyerhaus, Buddeberg und Figgis beziehend deutete Schmitt den Souveränbegriff Hobbes’ (Souverän als Allmacht, die weder durch Recht noch Gerechtigkeit noch Gewissen beschränkt sei) als säkularisierten Gottesbegriff (1982, 49 f.).Footnote 21 Diese Parallele hat Schmitt schon in seiner frühen Schrift Politische Theologie erkannt. Da findet sich seine Bemerkung, dass die Idee der Transzendenz Gottes gegenüber der Welt im 17.–18. Jahrhundert in dem Souveränbegriff des 19. Jahrhunderts „verwertet“ wurde: Der Souverän wurde als dem Staat gegenüber transzendent wahrgenommen (Schmitt 1990, 63, siehe auch 1950, 10).

Auf Figgis bezog sich Schmitt außerdem in seinen Überlegungen darüber, wie das Hobbes’sche Staatsmodell, das zugleich politischen Absolutismus vorzog und die Raison d’Être des Staates in seiner faktischen, auf den Schutz des Individuums ausgerichteten Leistung sah, zu verstehen sei. Diese Spannung lasse sich, Schmitt zufolge, durch die Unterscheidung zwischen der direkten und indirekten Form von Gewalt auflösen: Die Verkörperung der Ersteren sah Schmitt in der Institution oder Person des Souveräns. Die Gefahren, denen der Souverän ausgesetzt sei, würden von den indirekten Gewalten ausgehen, die untereinander heterogen seien und im sozialen Pluralismus gedeihen würden (Schmitt 1982, 117). In Übereinstimmung mit Figgis erkannte Schmitt, dass sich Hobbes in seiner Zeit gegen die indirekten Mächte der Kirche und des Bürgertums richtete (ebd., 117), die durch ihr Widerstandsrecht den Staat angeblich in den Bürgerkrieg und in Anarchie zu stürzen drohte.Footnote 22 Sich dieser Gefahr zu widersetzen, bedurfte es in der Hobbes’schen Staatstheorie laut Schmitt einer konsolidierten Zentralmacht, die eine „rationale Einheit“ darstellen würde und zu einem wirksamen Schutz der Bürgerinnen fähig wäre, sowie „eines berechenbar funktionierenden Legalitätsmechanismus“ (ebd., 113). In der Hobbes’schen Lehre des Monismus der Gewalten und damit der Oberhand der staatlichen über die geistliche Macht sah Schmitt, und hierbei bezog er sich wieder auf Figgis’ Divine Right of Kings, eine Parallele zu den Thesen von Thomas Erastus (ebd., 65 f.), einem Schweizer Theologen des 16. Jahrhunderts, der die calvinistische Prädestinationslogik und die Exkommunikationspraxis der Kirche bestritt.

Laut Erastus musste die sichtbare Kirche, weil nicht von Gott eingesetzt, sondern lediglich eine weltliche Ordnung darstellend, der „gottesfürchtigen“ Obrigkeit der „äußerlichen, physischen, weltlichen Herrschaft“ – dem Souverän – unterstehen. Es war die Aufgabe des Staates, die rechte Lehre gegen Häresien zu schützen (Maissen 2015, 194). Der Vorrang des Staates vor den Herrschaftsansprüchen der Kirche – cuius regio, eius religio – bedeutete einerseits den Vorrang des positiven vor dem – wenn auch in dem Gewissen bindenden – göttlichen Recht und die Abwehr der Übergriffe der Theologen ins Politische (Münkler 1984, 354). Andererseits hatte dies zur Folge, wie Schmitt es sah, dass der Glaube und damit die Moral in die Privatsphäre hinein verdrängt wurden – die Oberhand der staatlichen über die kirchliche Gewalt war also nur auf Kosten der Immunität des Privaten zu gewinnen. Als Ergebnis wurde der Staat von tolerant zu neutral und in Fragen des inneren Glaubens ohnmächtig (Schmitt 1982, 92). Die Auffassung des Staates als einer von den überpolitischen Maßstäben und Normen abgekoppelten Maschine unterlief das von Hobbes angestrebte Ideal dauerhafter politischer Stabilität. Eine lediglich äußerliche Gewalt reiche nicht aus, um die Zentrifugalkräfte innerhalb des Staates im Zaum zu halten. Entbehre der Staat aller substanziellen Sinnvermittlung, müsse er auch der inneren Zustimmung der Bürgerinnen entbehren (Münkler 1984, 354), und dann sehe man „bereits den Tag dämmern“, „an dem der große Leviathan geschlachtet werden kann“ (Schmitt 1982, 56 f.).Footnote 23

In seiner Auseinandersetzung damit, wie die Hobbes’sche Staatsvorstellung zum geistigen Prototyp des positivistischen Gesetzgebungsstaates des 19. Jahrhunderts geworden ist, deutete Schmitt in Dem Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes die Formel auctoritas, non veritas facit legem als „Auctoritas (im Sinne von summa potestas), non Veritas“ und damit als einen „sachlichen Ausdruck eines wert- und wahrheitsneutralen, positivistischen Denkens“ (1982, 68 f.). Er bezog sich dabei darauf, wie die Unterscheidung zwischen auctoritas und potestas von Daskalakis definiert worden war – dieser hatte wiederum Schmitts Verfassungslehre aus dem Jahr 1928 zitiert. In dem 1938 erschienenen Artikel verwies Daskalakis auf die anfänglich griechische Bedeutung des Wortes Autorität als „Selbstherrschaft“Footnote 24 und zitierte dabei Schmitts Bezeichnung von auctoritas als „ein[em] wesentlich auf dem Moment der Kontinuität beruhende[n] Ansehen“, das „eine Bezugnahme auf Tradition und Dauer“ enthalte (Schmitt 1993 a, 75). Die Verwendung dieses Wortes impliziere eine wertende, moralische Stellung hinsichtlich der Person oder Institution, die als Autorität bezeichnet wird, da auctoritas als eine solche Herrschaft verstanden werde, die mittels der Vernunft legitimiert wird (Daskalakis 1938, 78). Potestas bezeichne dagegen eine Macht, die unabhängig von „jeder inhaltlich substanzhaften, religiösen oder rechtlichen Wahrheit und Richtigkeit“ bestehe (Schmitt 1982, 67).Footnote 25 Daskalakis zufolge sei die Unterscheidung zwischen auctoritas und potestas zu Anfang des 19. Jahrhunderts „völlig entschwunden“ (1938, 79).

Schmitt führte die Gleichsetzung von auctoritas und potestas, Autorität und Macht, auf Hobbes zurück und sah darin den Anfang eines bestimmten rechtlichen und staatstheoretischen Denkens, „nämlich de[n] des juristischen Positivismus“ (1982, 70). Allerdings erklärte er diese Gleichsetzung nicht etwa mit Hobbes’ Bejahung eines subjektiven Relativismus, den Schmitt bei Hobbes ablehnte, sondern aus der Absicht heraus, „dem Streit [= dem Bürgerkrieg] ein Ende“ (ebd., 69) zu setzen, Frieden zu gewähren. Dafür sei die Erzwingung unbedingten Gehorsams und nicht die Berufung auf Recht und Wahrheit (die den Krieg „erst ganz erbittert und bösartig macht“) notwendig (ebd., 69).

Wie bereits zu lesen war – Exkurs: Schmitt und Strauss auf dem Pfad von Ferdinand Tönnies –, berief sich Schmitt auf diesen Klassiker der Hobbes-Forschung, wenn er in dem absolutistischen Staat Hobbes’ mit seinem „unausrottbaren“ individualistischen Glaubensvorbehalt den „geistigen Ahnen des bürgerlichen Rechts- und Verfassungsstaates“ sah (ebd., 103 f.). Die Konstituierung des Staates sei bei Hobbes in dem Gedanken des staatsstiftenden „Vertrages“ einer jeden mit jeder verankert, der wiederum aus dem individualistischen Charakter Hobbes’scher Theorie hervorgehe. Andererseits bemerkte Schmitt, dass die Staatskonstruktion, von ihrem Ergebnis her betrachtet, „mehr und eigentlich etwas anderes ist, als ein von bloßen Individuen geschlossener Vertrag bewirken könnte“ (ebd., 51). Die „souverän-repräsentative Person kommt nicht durch, sondern nur anlässlich des Konsenses zustande“ (ebd., 52).Footnote 26 Einerseits hob Schmitt also den individualistischen Charakter des Hobbes’schen Ansatzes hervor, andererseits bezweifelte er, dass ein auf der Grundlage des konsequenten Individualismus konstruierter Staat dauerhaft bestehen könne – bei diesem Zweifel ließ er sich von den Einsichten Jerusalems (ebd., 111), Ritterbuschs, Atgers, Landrys und Vialatoux’ (ebd., 51 f.) unterstützen.

Die Hobbes-Deutung letzteren Autors – Vialatoux, eines französischen katholischen Sozialphilosophen – fand bei Schmitt sowohl Anlehnung als auch Kritik; dass dieser Autor Schmitt besonders interessierte, beweist die Tatsache, dass er als Referenzautor nicht nur in das Leviathan-Buch, sondern auch in „Die vollendete Reformation“ Eingang gefunden hat (mehr dazu auf S. 101). Vialatoux hat, wie Schelsky ein paar Jahre nach der Erscheinung von La Cité de HobbesFootnote 27 zusammenfasste, das Hobbes’sche Staatsdenken als totalitär aufgefasst; diesen totalitären Charakter führte Vialatoux auf die Ablehnung der katholisch-christlichen Metaphysik und auf den individualistischen Ansatz Hobbes’ zurück (1938, 176). Interessanterweise warf Schelsky dieselbe Ansicht auch Schmitt vor. Obwohl die beiden letztlich gegensätzliche Schlussfolgerungen hinsichtlich der totalitären Denkzüge Hobbes’ vertraten, kritisierte Schelsky sie für die ihnen gemeinsame Annahme, dass die Grundlagen des Hobbes’schen Staatsdenkens Rationalismus, Mechanismus und Individualismus seien (ebd., 177).

Dieser Kritik gegenüber, die Schelsky an Schmitts „Staat als Mechanismus bei Hobbes und Descartes“ adressierte, blieb Schmitt keineswegs still. Der Verweis auf Schelskys „berechtigte Polemik gegen die oberflächlichen Kennzeichnungen des Hobbes als eines Rationalisten, Mechanisten, Sensualisten, Individualisten oder sonstigen ,isten‘“ (Schmitt 1982, 22) in Dem Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes gab ihm mit seinen eigenen Worten Recht. Dabei kamen beide Hobbes-Interpreten zu der These über Hobbes als politischen Denker von unterschiedlichen Argumentationen her: Während Schmitt den dezisionistischen Souveränitätsbegriff Hobbes’ in den Mittelpunkt stellte (indem er davon ausging, dass dieser Begriff für den Hobbes’schen Kampf gegen die indirekten Gewalten notwendig gewesen sei), kam es für Schelsky nicht auf die zeitpolitische Polemik an,Footnote 28 sondern auf die Untersuchung, welche theoretischen Grundlagen Hobbes’scher Anthropologie ihn dazu verleiteten, zu behaupten, dass der Mensch „in einer erlebten Wirklichkeit mit der Bestimmung zu handeln und zu wirken“ stehe (1938, 179).

Das eigentümliche Wesen des Menschen bestand für Hobbes, laut Schelsky, „durchaus nicht in der Vernunft, sondern in Sprache und planender Handlung“ und deswegen waren die Bestimmungen der Vernunft für Hobbes „unter das Kriterium des Nützlichen und des Vorteiles gestellt“ (ebd., 180). Erstens habe die Vernunft – die Vernunft im Sinne von Zählenkönnen – selber die linguistische Kapazität zur Voraussetzung. Zweitens könne sie, so Schelskys Interpretation, dienen und beraten, aber nicht herrschen – sie sei „nicht einmal das notwendige, sondern nur das beste Mittel zur beratenden Leitung des menschlichen Tuns“ (ebd., 183). Drittens „ist alles Denken bei Hobbes auf die konkrete Erlebnissituation oder auf die darin zu tuende menschliche Handlung bezogen“ (ebd., 179) und deswegen sei die Vernunft als ein selbstständiges, ein den Menschen definierendes Merkmal immer unzulänglich.

Der Sprache als dem primären Ausdruck menschlicher Willkür schenkte Schmitt in seinem Hobbes-Werk kaum Beachtung. Jedoch schloss er sich der daraus folgenden Aufforderung Schelskys an, „Hobbes in die Reihe dieser politischen Denker anzunehmen, für die die Wirklichkeit im Wesen der Menschen, in der politischen Tat, besteht“ (ebd., 193). Der Rolle der Sprache in Hobbes’ Menschenauffassung wandte sich Schmitt erst in seiner Rezension von Hoods Divine Politics of Thomas Hobbes zu, und zwar indem er unterstrich, dass Hobbes wusste, „was Worte und Namen bedeuten“ (1982 a, 142 f.; zu Hobbes als politischem Rhetor bei Schmitt siehe auch S. 107, vgl. mit Strauss’ Kritik an der Rhetorisierung der Philosophie durch Hobbes, S. 65). Zu dieser Einschätzung bewegte Schmitt auch Krooks Thomas Hobbes’ Doctrine of Meaning and Truth (1956). 1965 brachte Schmitt das zum Ausdruck, wovon Schelsky schon längst überzeugt war, nämlich dass für Hobbes „als Nominalisten“ „die ganze Welt menschlichen Vorstellens und Denkens nicht etwa gegeben, sondern durch das Fiat des Wortes und der Sprache überhaupt erst geschaffen wird“ (1982 a, 142 f.).

„Die vollendete Reformation. Zu neuen Leviathan-Interpretationen“, die Schmitt 1965 in Dem Staat publizieren ließ, stellt das Ergebnis des Schmitt’schen Vorhabens dar, sich fokussiert mit dem zeithistorischen Forschungskontext auf dem Gebiet der Hobbes-Interpretationen auseinanderzusetzen. Im Visier standen dabei die Hobbes-Deutungen von Francis Campbell Hood (The Divine Politics of Thomas Hobbes. An Interpretation of Leviathan, 1964), Dietrich Braun (Der sterbliche Gott oder Leviathan gegen Behemoth, Teil I, 1963) und Hans Barion (seine Besprechung des Sammelbandes Saggi storici intorno al Papato dei Professori della Facoltà di Storia Ecclesiastica, Roma 1959, Pontificia Università Gregoriana, 1960). „Die vollendete Reformation“ ist als ein einheitlicher Text konzipiert worden und soll so auch gelesen werden (denn Schmitt hat sowohl Querverweise auf die zu rezensierenden Autoren untereinander eingesetzt als auch in der ersten Besprechung darauf verwiesen, am Ende des Artikels einen bestimmten Sachverhalt aufklären zu wollen; vgl. 1982 a, 145, 177). Dies korrespondiert mit der Tatsache, dass sie trotz ihres kritischen und polemischen Charakters den Eindruck macht, weniger Rezension als Darstellung Schmitts eigener Hobbes-Deutung zu sein, die sich mit den Positionen von Hood, Braun und Barion sowohl überschneidet als auch weit von ihnen entfernt.

Über die drei im Fokus stehenden hinaus knüpfte Schmitt in dieser Schrift an eine Zahl anderer Autoren an, unter anderen auch Tönnies und Vialatoux. Seine Einschätzung zu Tönnies schien Schmitt 1965 nicht verändert zu haben – dessen Auffassung von Hobbes als Begründer des modernen Rechtsstaates wurde von Schmitt weiterhin positiv wahrgenommen (ebd., 157). Vialatoux dagegen wurde eine schärfere – als knapp 30 Jahre davor – Kritik durch Schmitt zuteil; vermutlich, weil der Letztere die Parallele zwischen den Interpretationen Vialatoux’ und Brauns, den Schmitt ebenfalls hart kritisierte, einsah. Auch die Deutung Mourgeons („La Science du pouvoir total dans le Leviathan de Hobbes“, 1963) von Hobbes als dem „ersten wissenschaftlichen ,Politologen‘“, die ihn zu dem der Interpretation Vialatoux’ entgegengesetzten Fazit führte, lehnte Schmitt dezidiert ab – in seinen Augen sei Hobbes „kein Scientist und auch kein Technokrat“ gewesen (ebd., 173), sondern Vertreter eines spezifisch juristischen Personalismus (ebd., 168; mehr dazu im Abschn. 2.7 Die dezisionistische und die positivistische Deutung Schmitts von der Hobbes’schen Lehre).

In diesem Zusammenhang folgerichtig verteidigte Schmitt (in Anlehnung an Mintz, dessen The Hunting of Leviathan er als ein „entzückendes Buch“ bezeichneteFootnote 29) Hobbes gegen seine „heutige Abstempelung […] als […] Atheisten“ (ebd., 152 f.) und kritisierte zwei aus der theologischen Sicht verfasste Interpretationen – die von Braun und die von Ilting (Hobbes und die praktische Philosophie der Neuzeit, 1964) –, die dessen Haltung zur Religion fragwürdige oder gar häretische Absichten unterstellten. Auf einen theologisch untermauerten Angriff auf Hobbes wegen seiner totalitären Gesinnung (in Worten von Ilting, die gesamte „geistige Existenz des Menschen dem großen Leviathan zu opfern“, 1964, 101) antwortete Schmitt mit der Herausstellung von dessen individualistischem Ansatz („Aber auch der Theologe sollte beachten, dass Hobbes den Sinn für die Freiheit des Einzelmenschen keinen Augenblick verliert“, 1982 a, 170), dessen Verneinung durch Schelsky er im Jahr 1938 noch so hoch geschätzt hat (1982, 22). In dieser Polemik um den Hobbes’schen Individualismus befangen,Footnote 30 ging Schmitt sogar so weit, sich auf Macphersons These über den possessiven Individualismus Hobbes’ zu berufen (1982 a, 170) – ohne Stellung bezogen zu haben zu der Begründung und den Implikationen dieser These, die mit Schmitts eigener Sichtweise nicht weniger kompatibel sein könnten.

Eine Auseinandersetzung mit den Quellen, auf die sich Schmitt in seinen Hobbes-Schriften bezog, lässt klar erkennen, inwiefern er sich in seiner Hobbes-Deutung von der Polemik mit den zeitgenössischen und anerkannten Hobbes-Interpreten beeinflussen ließ. Der Versuch eines Spagats zwischen den Deutungen, die die rechtsstaatlichen Elemente in Hobbes’ Theorie hervorheben, und denjenigen, die Hobbes entweder als Machttheoretiker auffassen oder gar für den Vordenker eines totalitären Staates halten, spiegelt die Schwierigkeit wider, der Schmitt bei der Frage nach dem individualistischen Charakter Hobbes’scher Philosophie begegnet ist. Im Kern bestand diese Schwierigkeit für Schmitt darin, Hobbes einerseits als Theoretiker des souveränen Staats auszulegen, andererseits gegen die Vorwürfe der Idee totaler Unterwerfung der Individuen zu verteidigen; einerseits den individualistischen Charakter dieser Lehre anzuerkennen, ohne den das Schutz-Gehorsam-Axiom seinen Sinn verlöre, andererseits den Hobbes’schen Individualismus von den relativistischen und atheistischen Assoziationen zu entbinden; einerseits den Einsatz Hobbes’ für die staatliche Autorität (auch in Geistesfragen) zu unterstreichen, andererseits zu beweisen, dass Hobbes cuius regio, eius religio nur unter Voraussetzung eines christlichen Gemeinwesens bejaht habe.

Schmitt schwankte zwischen der sich in Dem Begriff des Politischen manifestierenden politischen (dezisionistischen, existenzialistischen) Deutung Hobbes’, die zwar auf dem Schutz-Gehorsamkeit-Axiom gründet, jedoch wegen der Ablehnung der Wirksamkeit von Natur- und Gottesrecht den Weg für die Entwicklung rechtlichen Positivismus ebnet, und der theologischen, die ihn dazu verleitete, Hobbes gegen die Vorwürfe des Atheismus zu verteidigen, jedoch die Frage nach der Vereinbarkeit des Modells eines christlichen Gemeinwesens mit dem individualistischen Glaubensvorbehalt aufwarf. Dieses Schwanken resultierte darin, dass Schmitt „Verbündete“ in den unterschiedlichen und gar konträre Positionen vertretenden Autoren suchte, sich auf diese Positionen jedoch sehr selektiv und je nachdem, welcher Deutungskampf gerade ausgefochten wurde, bezog. Besonders klar lässt sich dies im Fall von Schelsky und Vialatoux als Referenzautoren erkennen. Eine solche Art des Bezugnehmens erscheint vor allem deswegen als problematisch, weil Schmitt – mit Ausnahme von Hood, Braun und Barion, deren Schriften er ausführlicher rezensierte – darauf verzichtete, sich klar gegenüber seinen Bezugsquellen zu positionieren, und deswegen die Frage offen ließ, ob er den Annahmen und Schlussfolgerungen dieser Autoren, die über die einzelnen zitierten Argumente, Thesen oder Definitionen hinausgingen, mitsamt ihren Implikationen zustimmte.

Sich von der Polemik hin- und herreißen lassend, hat Schmitt es nicht unbedingt klar genug gemacht, weshalb die Polemik zwischen den rechtsstaatlichen und machtstaatlichen Interpretationen von Hobbes’scher Philosophie keine Lösung haben kann: Aussagekräftig ist allein die Tatsache, dass Hobbes aus dem theologischen Lager heraus sowohl wegen seiner Unterwerfung des Individuums unter den Staat als auch gerade wegen seines Individualismus kritisiert worden ist. Dass beide – die machttheoretische und die rechtsstaatliche – Deutungen spezifisch moderner Prägung seien und beide auf der Ablehnung eines dem Staat und dem Individuum transzendenten Maßstabes beruhen würden, wurde im Gegenteil in voller Klarheit von Strauss erhellt.

2.3 Hauptfrage und Ansatz der Auseinandersetzung Schmitts mit der Hobbes’schen Lehre

Die Untersuchung der politischen Philosophie Hobbes’ unternahm Schmitt auf Basis der Fragestellungen, die durch seine politische Zielrichtung bedingt waren. Diese Fragen gehen unmittelbar aus dem Titel seines Hobbes-Werkes hervor. Er – Der Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes. Sinn und Fehlschlag eines politischen Symbols − deutet darauf hin, dass Schmitt einen eher außergewöhnlichen Ausgangspunkt gewählt hat, um sich der Thematik der Hobbes’schen Staatstheorie zu nähern. Dieser Ausgangspunkt ist Hobbes’ Entscheidung für den Leviathan als Symbol des Staates. Die Untersuchung von dessen Staatsphilosophie durch Schmitt geht also aus der Untersuchung eines politischen Symbols hervor. Dabei ging es Schmitt in erster Linie um zwei Fragen, wie sie sich im Untertitel seines Werkes widerspiegeln: erstens, wie man den Leviathan als politisches Symbol, als Symbol des Staates, auslegen sollte; zweitens, weshalb dieses Symbol fehlgeschlagen ist.

Dass ein solcher Ausgangspunkt in der Hobbes-Forschung nicht nur in den 1930er Jahren, sondern weiterhin auch in den 1960ern als außergewöhnlich galt, stellte Schmitt mit einem gewissen Bedauern in „Der vollendeten Reformation“ fest. Von jenem Zeitpunkt betrachtet, so Schmitt, war die Frage des Leviathan-Symbols, mit einziger Ausnahme von Laird,Footnote 31 über die Deutung von Schmitt selbst hinaus nicht weiter vertieft worden (1982 a, 144 f.). Mittlerweile ist dieser Aspekt von den Hobbes-Forschern und -Forscherinnen aufgegriffen und behandelt worden: Unter den deutschsprachigen Studien ist die von Bredekamp hervorzuheben (2012; zu Bredekamp siehe S. 12).

Beide von Schmitt gestellten Fragen bedürfen einer näheren Erörterung, um dem falschen Eindruck vorzubeugen, dass Schmitt die Untersuchung des Symbols und seiner Wirkung bzw. Rückwirkung rein aufgrund seiner Leidenschaft für die Symbolik aufnahm. Ein solcher Eindruck rührt fast unvermeidlich von der Tatsache her, dass Schmitt die ersten zwei Kapitel seines Leviathan-Buches der Deutungs- und Wirkungsgeschichte allein dieses Symbols widmete, um zu beschreiben, wofür der Leviathan in unterschiedlichen Religions- und kulturellen Gemeinschaften gestanden habe und wie das Verhältnis zwischen unterschiedlichen Deutungen des Symbols zu definieren sei. Natürlich ist nicht auszuschließen, dass Schmitt eine gewisse Erkenntnisneugier für die Symbolforschung besaß – es kann und muss eher das Gegenteil behauptet werden, wenn man in Betracht zieht, mit welcher Beharrlichkeit er den unterschiedlichen Auslegungstraditionen nachging. Man könnte sogar vermuten, dass die Neigung Schmitts zur Symbolik und Mythologie einen nicht unerheblichen Einfluss auf seine Entscheidung hatte, sich den Zugang zur politischen Theorie Hobbes’ durch die Untersuchung des Leviathan-Symbols zu verschaffen. Jedoch erscheint es, die Gesamtheit der Hobbes-Deutung von Schmitt vor Augen haltend, als richtig, anzunehmen, dass diese Kernfragestellungen Schmitts in erster Linie seiner politischen Zielsetzung bzw. Absicht und nicht der akademischen Neugier für Symbolik und Mythologie entsprangen. Letztlich setzt schon die Rede vom Scheitern des Symbols ein instrumentelles Verhältnis zwischen diesem und dem Autor voraus: Ein Symbol kann nur angesichts einer angestrebten Wirkung scheitern. Dies wird auch durch die Fußnote bestätigt, die Schmitt gegen Ende der der Leviathan-Symbolik gewidmeten Kapitel seines Buches gesetzt hat. Damit reagierte er auf Schelskys Vorwurf.Footnote 32 Offensichtlich war die Kritik des Letzteren ein wichtiges Moment, das Schmitt einerseits zu einer ausführlichen Auseinandersetzung mit dem Leviathan-Symbol bewegt hat, andererseits ihn zu der Feststellung führte oder ihn in dieser bestärkte, „dass die Frage mit einer bloß zeitgeschichtlichen Wortdeutung in keiner Weise erschöpft ist“ (Schmitt 1982, 43 f.).

Es muss gefragt werden, was genau Schmitt intendierte, was er im Sinne hatte, als er nach der Bedeutung des politischen Symbols fragte. Den Sinn eines Symbols zu erforschen bedeutet, so wäre zu erwarten, den symbolischen Sachverhalt zu untersuchen, nämlich zu erkunden, wofür Leviathan als Symbol im Zeitgeist des 17. Jahrhunderts stand und was er für die Gesellschaft bedeutete, deren Mitglied Hobbes war und an die er sich mit seiner Schrift richtete. In Der Totalität des Staates bemängelte Schelsky, der seinerseits argumentiert hat, dass sich Hobbes nicht ausschließlich an die Herrscher richtete,Footnote 33 dass die Frage, für wen Hobbes seine politische Schriften schrieb, in der Forschung unterbelichtet war (1938, 192).

Diese Kritik lässt sich auch gegen Schmitt vorbringen, weil er die Frage nach der oder den Adressatinnen von Hobbes’ Lehre nicht ausführlich behandelt hat. Andererseits wäre es falsch, zu behaupten, dass die Frage nach dem rhetorischen Charakter der Schriften Hobbes’ völlig ignoriert wurde. Sowohl in Dem Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes als auch in „Der vollendeten Reformation“ finden sich Hinweise darauf, dass Schmitt Hobbes als einen Rhetor des Politischen reflektierte. In seiner Hobbes-Studie rechnete Schmitt Hobbes die Einsicht zu, dass die Begriffe und Distinktionen „Waffen des politischen Kampfes“ seien (1982, 130; dies betrachtete Schmitt später sogar als ein wesentliches Verdienst von Hobbes, in dem seine „epochale Bedeutung“ bestand, 1982 a, 167), und dass, wie daraus folgt, ein integres, nicht polemisches Wissen eine Täuschung schlechthin sei. Zugleich bereute Schmitt, dass die von Hobbes eingesetzten „Waffen“ fehlgewirkt, fehlgeschlagen hätten, und führte das Fehlschlagen zumindest teilweise darauf zurück, dass die „systematische Gedanklichkeit“ „bei ihm [Hobbes] doch zu sehr“ „überwiegt“, „als dass sie ein sicheres Kampfmittel und die Waffe einer einfachen, konkreten Entscheidung wäre“ (1982, 130; mehr dazu in 2.5 Der Fehlschlag Hobbes’scher Lehre am Symbol und am Individualismus). Andererseits lag das Fehlschlagen an dem falsch gewählten SymbolFootnote 34 − auf jeden Fall nicht an Hobbes’ politischer Absicht, von deren Richtigkeit Schmitt überzeugt war: Er erhob dessen Lehre in den Rang eines „großen pädagogischen Plans einer staatbürgerlichen Erziehung“, die „durch solche hintergründige Schreckbilder einfach vernichtet werden“ musste (1982 a, 143).

Von entscheidender Bedeutung ist hierbei, dass die sich für Schmitt in diesem Zusammenhang offensichtlich anbietenden Fragen wie: weshalb Hobbes überhaupt eines Staatssymbols bedurfte, warum diese Funktion gerade dem Leviathan zugeteilt worden ist, wie die Wahl dieses Symboles die Rezeption seiner Staatstheorie beeinflusst hat – ihn zur Frage führten, nicht woran oder an wen, sondern wogegen oder gegen wen sich Hobbes mit dem Leviathan-Symbol gerichtet habe und was für eine politische Zielsetzung dahinter steckte. Dass die polemische Formulierung der Frage nach der politischen Zielsetzung von Hobbes für Schmitt nicht nur wegen des eigenen Verständnisses des Politischen notwendig (siehe dazu S. 109), sondern auch im Hinblick auf Hobbes’ eigene Äußerungen gerechtfertigt war, kann an dieser Stelle nicht gründlich bewiesen werden; es genügt jedoch, auf die dem Leviathan hinzugefügte Widmung zu verweisen, in der sich Hobbes für seinen eigenartigen Umgang mit der Heiligen Schrift rechtfertigte: „Aber ich habe es mit schuldigem Respekt getan und (in Hinsicht auf mein Thema) auch notwendigerweise; denn sie sind die Bollwerke des Feindes, von wo aus er die Staatsmacht angreift“ (meine Hervorhebung; S. 4).Footnote 35

Bei der näheren Betrachtung der zweiten Frage der Hobbes-Deutung von Schmitt, nämlich der Frage des Fehlschlags, wird klar, dass die erste Frage – die Frage nach dem Sinn, nach dem Inhalt des Symbols – lediglich als ihre Vorbereitung dient. Die zweite Frage gibt Aufschluss darüber, worum es Schmitt bei seiner Untersuchung des Hobbes’schen Staatssymbols in erster Linie ging. Indem er fragte, weshalb das Staatssymbol Hobbes’ fehlgeschlagen ist, stellte Schmitt zugleich die These auf, dass die Wirkung des Symbols der ursprünglichen Absicht Hobbes’ (der des gesellschaftlichen Friedens und der politischen Stabilität, vor allem gegenüber den Machtansprüchen der Kirche und anderen staatszersetzenden Gewalten) nicht entsprach und gar zuwiderlief. Sein Vorhaben, die Absicht Hobbes’ zur Geltung zu bringen und sie mit der Geschichte ihres Scheiterns zu konfrontieren, weist darauf hin, dass er sie selbst teilte und es für wichtig hielt, sie zu neuem Leben zu erwecken.

2.4 Politische Absichten als Grundlage der Schmitt-Hobbes-Wahlverwandtschaft. Die alten und neuen indirekten Gewalten

Wie schon angedeutet lässt sich die Auffassung Schmitts von der Hobbes’schen Absicht als politischer Denker nicht von seiner eigenen trennen, mit der er die Auseinandersetzung mit der Hobbes’schen Philosophie aufnahm. Aus diesem Grund muss die Untersuchung der Zielrichtung Schmitt’scher Rezeption mit der Untersuchung seiner Deutung von der Zielrichtung Hobbes’ notwendigerweise zusammenfallen. Nach der Zielrichtung Schmitts zu fragen bedeutet zugleich zu fragen, wogegen er sich mit seinen Überlegungen richtete. Das Potenzial einer solchen negativen Herangehensweise bei der Untersuchung der Thesen und Argumentationen Schmitts hat Strauss erkannt und in seinen „Anmerkungen zu Carl Schmitt, Der Begriff des Politischen“ ausgeschöpft. Der Hauptfrage, die seinem Kommentar unterliegt und die prinzipiell die nach der Zielrichtung Schmitts ist, die dessen Konzept des Politischen bestimmte, näherte er sich über die Fragestellung „Gegenüber welchem Gegner tritt das Politische als Grund des Staates hervor?“ (Strauss 2008, 218). Die Rechtfertigung einer solchen Herangehensweise fand Strauss in der Behauptung Schmitts selbst, dass alle politischen Begriffe eine Polemik voraussetzen würden und an eine bestimmte Situation, an bestimmte Interessen und Ziele derjenigen, die den Begriff prägen, einsetzen, denunzieren und verwerfen, gebunden seien.Footnote 36

Davon ausgehend bietet sich an, sich mit Schmitts Anmerkungen über die Polemik, von der Hobbes’ Leviathan geprägt sei, auseinanderzusetzen, um sich Klarheit über die Meinung des Ersteren zu der Zielrichtung Hobbes’ und dadurch zugleich über seine eigene zu verschaffen.

An einigen Stellen seiner Hobbes-Studie aus dem Jahr 1938 sowie 1965 verwies Schmitt auf den „Opponenten“ von Hobbes, dessen politisches Interesse Hobbes als solches ans Licht gebracht habe. Dieser war die Geistlichkeit im Speziellen und die indirekten Gewalten im Generellen. Hobbes habe „den rein politischen Sinn des geistlichen Entscheidungsanspruchs begrifflich klar erkannt“ (Schmitt 1982 a, 167) und die „trüben Distinktionen der indirekten Gewalten“ zerstört (Schmitt 1982, 131 f.). Die Staatskonstruktion Hobbes’ hielt Schmitt für von dieser Polemik „gegen die auf Gott sich berufenden Ansprüche des Papstes, der Presbyterianer und der Puritaner“ insofern bestimmt, als Hobbes aus dem Unwillen, den Einfluss auf den mit dem Gottesbegriff verbundenen Diskurs seinen Gegnern zu überlassen, den Staat als (sterblichen) Gott bezeichnete (ebd., 49). In Dem Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes legte Schmitt die Deutung nahe, dass Hobbes die Suprematie der politischen Macht, der sich jeder religiöse Autoritätsanspruch unterwerfe, auf Kosten der Säkularisierung und Unterhöhlung der geistigen Einheit christlicher Gesellschaft erkämpfte. In „Der vollendeten Reformation“ ist die der Lehre Hobbes’ entnommene These der Überordnung des sterblichen, irdischen Souveräns dagegen in ein anderes Narrativ überführt worden – das Narrativ über die Vereinbarkeit und gar notwendige Einheit materiell-positiver Gewalt und geistig-normativer Autorität, über die politische Herrschaft als Macht und Autorität in einem. Es ist die Vorstellung einer Synthese in der Person des Souveräns, der sowohl auf die Leistungsfähigkeit des den Schutz gewährenden und Gehorsam erzwingenden Mechanismus als auch auf die Einheit normativ-theologischer Gesinnung angewiesen sei. Mit diesen zwei Erklärungen sind zwei mögliche Antworten auf die Spannung zwischen geistlicher und politischer Macht, die auf die Hoheit der Letzteren setzen, abgesteckt.

Die der Lehre Hobbes’ zugrunde liegende Zielrichtung hat Schmitt als Demaskierung und Bekämpfung der indirekten Gewalten verstanden. Eine direkte Gewalt stellte für Schmitt der Staat dar, in dem die Befehls- und Vollzugsmacht mit der Verantwortung für diese Macht einhergeht. Dagegen zeichne sich eine indirekte Gewalt, von denen die in der Zeit Hobbes’ gewichtigste und in seinem Visier stehende die römisch-katholische Kirche war, durch ihre „Verantwortungslosigkeit“ aus. Das indirekte, aber darum nicht weniger intensive Herrschen ziehe, Schmitt zufolge, aus seiner Macht alle Vorteile, ohne die Last der Verantwortung und der damit einhergehenden Gefahr auf sich zu nehmen (1982, 117). Die Souveränität des Staates zu behaupten heiße also, die indirekten Gewalten durch eine direkte im Zaum zu halten und somit die politische Stabilität zu gewährleisten.

Man ist gut beraten, bei dem Verhältnis zwischen Macht und Verantwortung zu verweilen, weil man sich dadurch nicht nur Klarheit über das Konzept der indirekten Gewalt verschafft, sondern zum Kern dessen gelangt, was die wichtigste Affinität der politischen Vorstellungen Schmitts mit denen von Hobbes ausmacht. In Dem Begriff des Politischen sprach Schmitt von dem Axiom von Schutz und Gehorsam als Raison d’Être des Staates (1991, 53), in Dem Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes behauptete er, dass die Relation von Schutz und Gehorsam „der Angelpunkt der Staatskonstruktion des Hobbes“ sei (1982, 113 f.).

Die indirekte Gewalt trübe die „eindeutige Übereinstimmung“ (ebd., 117) von Schutz und Gehorsam und stelle somit eine Gefahr dar für die rationale Einheit des Staates. Die Einheit ist hierbei das entscheidende Wort, das von Schmitt immer wieder positiv hervorgehoben worden ist, während er vor dem Pluralismus warnte, der von den indirekten Gewalten bewirkt und instrumentalisiert werde. Die rationale Einheit des Staates (im Sinne von Reziprozität des wirksamen Schutzes und des berechenbaren und reibungslos funktionierenden Befehlsmechanismus bzw. Legalität) aufrechtzuerhalten war das, worauf es Hobbes laut Schmitt ankam und der Grund, weshalb die Herrschaftsansprüche der indirekten Gewalten zu bekämpfen waren. Die Notwendigkeit der Einhaltung des axiomatischen Schutz-Gehorsam-Verhältnisses und die damit einhergehende Forderung nach der stabilen, ihren Funktionen gewachsenen politischen Ordnung hielt Schmitt für die Kernbotschaft Hobbes’scher Lehre. Schmitt war bemüht, die Bedeutung von protego ergo obligo in stärkstmöglicher Rhetorik zu betonenFootnote 37 – sowie die Konsequenz seiner Nicht-Einhaltung: „Sind innerhalb eines Staates organisierte Parteien imstande, ihren Angehörigen mehr Schutz zu gewähren als der Staat, so wird der Staat bestenfalls ein Annex dieser Parteien, und der einzelne Staatsbürger weiß, wem er zu gehorchen hat“ (1991, 53). Gerade deswegen war Hobbes für ihn als derjenige wichtig, der sich nicht nur der Richtigkeit des Axioms sicher war, sondern die Bedeutung davon verstand, dass dieses den Menschen – rhetorisch wie bildlich – vor Augen geführt werden müsste – gegen „alle die legitimitischen und normativistischen Illusionen“ und als etwas, was „durch die menschliche Natur wie durch göttliches Recht gefordert werde“ (ebd., 53).

Freilich waren es vor allem die eigene politiktheoretische Haltung, die eigenen politischen Absichten, weswegen Schmitt die ordnungs- und staatsstiftenden Elemente Hobbes’scher Theorie so deutlich hervorhob. Die Parallele der Zielrichtungen von Hobbes und Schmitt, wie sie vom Letzteren wahrgenommen wurde, ist von Schmitt nicht nur nicht verdeckt, sondern vielmehr expliziert worden. „Die alten Gegner“ von Hobbes – die Kirche und die aufrührerischen Elementen des Bürgertums als indirekte Gewalten – sah Schmitt in seinem Jahrhundert „in moderner Gestalt als politische Parteien, Gewerkschaften, soziale Verbände, mit einem Wort als ,Mächte der Gesellschaft‘“ wiedererscheinen (ebd., 116). Wie Münkler in seinem Artikel zu Schmitt und Hobbes triftig anmerkte, bestand für Schmitt die politische Gefahr eher in der Anarchie der Parteien als in der Despotie des Staates (1984, 355).Footnote 38

2.5 Der Fehlschlag Hobbes’scher Lehre am Symbol und am Individualismus

Wie zuletzt erläutert worden ist, spielte Hobbes’ politische Ausrichtung in der Rezeption von Schmitt eine entscheidende Rolle, weil sie für Schmitt die Grundlage seiner Wahlverwandtschaft mit dem Engländer ausmachte. In der Hobbes’schen Ausrichtung auf politische Stabilität, auf die Aufrechterhaltung souveräner Ordnung hat Schmitt die eigene politische Grundüberzeugung erkannt. Während für das Problem des Status der Religion in einer politischen Ordnung zwei Lösungsansätze vorstellbar waren, zwischen denen das Hobbes-Verständnis von Schmitt oszillierte (S. 110), bestand für ihn keine Unklarheit darüber, dass es die indirekten Gewalten der Kirche und der Theologen waren, in denen Hobbes die größte Gefahr des Eingriffs in sowohl das politische Machtmonopol als auch die Glaubensfreiheit der Einzelnen sah. So wie für Schmitt die politische Theologie Hobbes’ ohne den Bezug zu seiner Polemik gegen den kirchlichen Machtanspruch nicht zu verstehen war, muss Schmitts Polemik gegen die angebliche Wucherung parteipolitischer Mächte in Bezug auf die Bedeutung verstanden werden, die das Verhältnis zwischen Macht und Verantwortung (Hobbes’sche Formel des Schutzes für den Gehorsam) in seiner politischen Lehre spielte (S. 110).

In seiner Hobbes-Rezeption konzentrierte sich Schmitt also auf die Unterscheidung zwischen Hobbes’ authentischer Absicht und der Wirkung von dessen Lehre. Dies wird schon dadurch deutlich, dass Schmitt diese als „auf seinen eigenen Gedanken zurückschlagende Fehlwirkung“ bezeichnete (1982, 131). Diese Unterscheidung, die für Schmitt den Rahmen seiner Untersuchung in Dem Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes darstellte, öffnete zwei Deutungsperspektiven. Einerseits deckte Schmitt die der Lehre Hobbes’ inhärenten Widersprüche auf, die der Fehlwirkung zumindest nicht vorgebeugt und sie vielleicht gar ausgelöst hätten. Andererseits führte er die Fehlwirkung auf die Hobbes-Rezeption und die Deutung bzw. Missdeutung von dessen Ideen und Konzepten durch spätere Autoren zurück. Die beiden Narrative kreisen um die für Schmitt brennende Frage, inwiefern Hobbes die Fehlinterpretation seiner Staatstheorie selbst zu „verschulden“ hatte.

Laut Schmitt wurde Hobbes „verkannt“ (ebd., 131 f.); zum einen im Zusammenhang mit der Wahl des Staatssymbols: „das Seetier war kein adäquates Bild der dort [auf dem Kontinent] sich vollziehenden, typisch territorialen Machtgestaltungen militärischer Landmächte“ (ebd., 122), zum zweiten auch hinsichtlich des Inhaltes seiner Lehre und vor allem hinsichtlich seiner Absicht. Obwohl man die Frage dahingestellt sein lassen muss, inwiefern Schmitt die „Verkennung“ durch liberale Denker für eine gezielte Verstellung hielt, tritt deutlich zutage, wie sehr er sich darum bemühte, die Lehre Hobbes’ von denen seiner „Verkenner“ zu trennen. Es ist nicht zu übersehen, dass Hobbes von Schmitt nie als ein Liberaler bezeichnet wurde, während er die Namen bestimmter Hobbes-Nachfolger mit dem Adjektiv „liberal“ versah (Spinoza wurde von Schmitt z. B. als „liberaler Jude“ bezeichnet, ebd., 86).Footnote 39 Dass Hobbes in den Augen Schmitts kein Liberaler war, war freilich die Voraussetzung dafür, die liberalen Deutungen seiner Lehre als Verkennung oder Verstellung zu betrachten.

Zugleich wich Schmitt der Frage nach der Möglichkeit einer nichtliberalen Hobbes-Deutung aus: vermutlich auch deswegen, weil sein Begriff des Politischen einen solchen Versuch selbst darstellte. Dabei beantwortete er die Frage nach der Möglichkeit, den Leviathan als Staatssymbol zu rehabilitieren, mit eindeutiger Klarheit und ohne weitere Bedenken: Der Leviathan als Symbol sei nicht wiederzubeleben, denn er mache auf die Denkart des technischen Zeitalters „keinen unheimlichen Druck mehr. Sie [die Denkart] traut sich die Kraft zu, ihn wie andere Saurier und Mastodonten unter Naturschutz zu stellen und als eine museale Angelegenheit im Zoologischen Garten zu zeigen“ (ebd., 125).

Es waren zwei prinzipielle Gründe, unterschiedlicher Art und unterschiedlichen Gewichtes, die Schmitt für das Scheitern der Lehre Hobbes’ verantwortlich machte: die Wahl eines missverständlichen Staatssymbols und die Trennung der inneren Privatsphäre (als Sphäre der Gedanken- und Glaubensfreiheit) von der äußeren Öffentlichkeit bzw. der politischen Sphäre (als Sphäre, in der sich das Verbindliche vollziehe und das Glaubensbekenntnis zu erbringen sei). Auf die Feststellung dieser „Fehler“ − durch das Symbol und durch Individualismus − laufen alle wichtigen Einsichten Schmitts hinaus.

Hobbes habe also, so Schmitt mit einem Unterton großen Unbehagens, zumindest die Voraussetzung der liberalen Verkennung und zugleich der Destruktion seiner Lehre, die der eigenen Absicht zuwiderlief, zu verantworten. Schmitt ging sogar so weit, zuzugeben, dass der fatale Fehler − die Unterscheidung von privat und öffentlich, von Glauben und Bekenntnis − bei Hobbes „in einer Weise eingeführt“ war, „dass sich daraus im Laufe des folgenden Jahrhunderts bis zum liberalen Rechts- und Verfassungsstaat alles weitere folgerichtig ergeben hat“ (ebd., 85). In „Dem Staat als Mechanismus bei Hobbes und Descartes“ behauptete er: „Manches […] hat er [Hobbes] begrifflich-systematisch so gut durchdacht und vorbereitet, dass es einige Zeit später als einleuchtende Formel wie eine reife Frucht vom Baum fiel“ (1936/37, 625). Diese Äußerungen stellen Schmitts strengstes Urteil über Hobbes dar, das sich jedoch leicht relativieren lässt vor dem Hintergrund des offenen Zuneigungsbekenntnisses, mit dem sein Hobbes-Buch schließt,Footnote 40 und zahlreicher Bemühungen, Hobbes von der „Mitschuld“ an der Fehlwirkung seiner Lehre freizusprechen.

In seinen Überlegungen bewegte sich Schmitt stets zwischen diesen zwei Haltungen; meistens vermied er ein eindeutiges Urteil, indem er gezielt auf eine Wortwahl zurückgriff, die diese Frage – inwiefern Hobbes die liberale (Missdeutung) seiner Lehre selbst zu verschulden habe – dahingestellt bleiben ließ: z. B. indem er den Hobbes’schen Vorbehalt der inneren, privaten Gedanken- und Glaubensfreiheit als „Todeskeim“ (1982, 86) oder als „Verhängnis“ (ebd., 79) bezeichnete. Solche Formulierungen lassen die Deutungsmöglichkeit offen, die Wirkung der Lehre Hobbes’ sei in Bezug auf seine Absicht eine nicht intendierte Fehlwirkung. Auch die Bemerkung, dass der Gegensatz von Innerem und Äußerem bereits mit der Anerkennung der Überlegenheit des Ersteren gegenüber dem Letzteren einhergehe, führte Schmitt so ein, dass sein Festhalten an der ursprünglichen Absicht Hobbes’, ein allgemein gültiges „Rezept“ politischer Stabilität zu ersinnen, unerschüttert bleiben konnte (ebd., 94 f.).

Am deutlichsten zeigt sich die von Schmitt gezogene Trennlinie zwischen Hobbes und seinen liberalen „Verkenner[n]“ daran, wie Schmitt die liberale Auslegung Hobbes’scher Lehre rekonstruierte. Dabei war er um den Eindruck bemüht, dass es kein vorhersehbarer Vorgang war, mit dem die auf Hobbes zurückgehende „kaum sichtbare“ Bruchstelle in seiner Staatskonstruktion – zwischen Glauben und Bekenntnis, zwischen öffentlicher und privater Vernunft – zu einer Einbruchstelle wurde, von der aus dessen Staatslehre und später auch der absolutistische Staat des 18. Jahrhunderts gesprengt und zunichte gemacht wurden. Für die Umwälzung des Hobbes’schen Denksystems machte Schmitt in erster Linie Spinoza verantwortlich – es war der Letztere, der „die große Einbruchstelle des modernen Liberalismus“ erkannte, „von der aus das ganze, von Hobbes aufgestellte und gemeinte Verhältnis […] in sein Gegenteil verkehrt werden konnte“ (ebd., 86). Das, was für Hobbes laut Schmitt nichts mehr als einen bloßen Vorbehalt gegenüber dem grundlegenden Imperativ, gegenüber dem Raison d’Être des Staates bedeutete – nämlich die individuelle Glaubens- und Gedankenfreiheit – und keinerlei Auswirkungen auf die Forderung öffentlichen Bekenntnisses, auf die vollkommene Gewalt des Souveräns im öffentlichen Bereich hatte, sei zum formgebenden Grundsatz erhoben worden. Ihm gegenüber war der Staat ohnmächtig und das hatte das Scheitern der geistigen und materiellen Einheit des politischen Körpers zur Folge. Das Prinzip cuius regio, eius religio, das den Monismus christlich-unsichtbarer und weltlich-sichtbarer Obrigkeit sichern sollte und den Staat gegen die Herrschaftsansprüche indirekter Gewalten immun zu machen bestimmt war, wurde mittels des Vorbehaltes der Glaubensfreiheit aus der Sphäre des Staatlichen auf das Individuum übertragen und habe somit die „angeblich freie Privatsphäre“ dem Staat entzogen. Das bedeutete zugleich die Auslieferung des Individuums an die „,freien‘, d. h. unkontrollierten und unsichtbaren Mächte[] der ,Gesellschaft‘“ (ebd., 117).

Infolge der Unterscheidung vom inneren Glauben und äußeren Bekenntnis musste dem Individuum eine gewisse Autonomie, eine der staatlichen Herrschaft und Autorität entzogene Privatsphäre, zuerkannt werden, in der es frei war, sich mit den substanziellen Sinn- und Normfragen zu befassen. Im Laufe der Transformation vom absolutistischen Fürstenstaat zum bürgerlichen Gesetzesstaat und infolge der Entwicklung des juristischen Positivismus musste sich der Staat für seine metaphysische bzw. religiöse Ausprägung nicht nur nicht mehr vor einer externen religiösen Autorität rechtfertigen − was in dem Dezisionismus Hobbes’ anvisiert wurde − , sondern war der Wahrheits- und Gerechtigkeitsvorstellungen irgendwann nicht mehr fähig (siehe weiterhin ab S. 135). Somit blieb die Privatsphäre des Individuums die einzige, in der die normativen Vorstellungen überhaupt noch enthalten waren; Jede Normativität wurde zum Privileg des Subjektes und zum Merkmal seiner Autonomie.

Einerseits hat Schmitt Hobbes liberale Gesinnung abgesprochen und rechnete diesem Aspekt entscheidendes Gewicht bei der Einschätzung Hobbes’ als eines politischen Lehrers zu. Andererseits hat er dessen individualistischen Ansatz klar erkannt und baute ihn in die eigene Beweisführung gegen die Vorwürfe totalitärer Züge Hobbes’schen Denkens ein. Einen Widerspruch in seiner Hobbes-Deutung in Kauf nehmend, verdeutlichte Schmitt die individualistische Prägung des Hobbes’schen Ansatzes gerade im Zusammenhang mit dem für die liberale Dynamik teils verantwortlichen Vorbehalt der inneren Gedanken- und Glaubensfreiheit. Laut Schmitt meldete Hobbes „seinen unausrottbaren individualistischen Vorbehalt in einer Weise, die jede sonstige Erörterung darüber, ob Hobbes wirklich das war, was man einen ,Individualisten‘ nennt, […] erübrigt“ (ebd., 84 f.). Sprich: Hobbes’ individualistischer Ansatz sei eine festgelegte und nicht weiter zu hinterfragende Tatsache. Den individualistischen Charakter des Hobbes’schen Ansatzes beteuerte Schmitt noch deutlicher in „Der vollendeten Reformation“, wo er Hobbes gegen die ihm nicht gerecht werdenden Deutungen seiner Lehre verteidigte. Allzu auffällig ist, dass der Hobbes’sche Individualismus von Schmitt gerade dann nicht nur festgestellt, sondern aktiv in Schutz genommen wurde, wenn er die Polemik mit anderen Hobbes-Interpreten aufnahm. Während Schmitt in Dem Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes die Frage nach dem Individualismus wie erwähnt für „erübrigt“ gehalten hatte (ebd., 84 f.), beteuerte er 27 Jahre später, dass Hobbes „den Sinn für die Freiheit des Einzelmenschen keinen Augenblick verliert“ (1982 a, 171), dass „der starke Sinn für individualistische Freiheit […] bei Hobbes lebendig ist“ (ebd., 159 f.). Seine Beweisführung in Bezug auf den Individualismus Hobbes’scher Prägung spitzte Schmitt sogar auf die Aussage zu, dass Hobbes Freund und Feind „vom Individuum her unterscheidet“ (ebd., 159 f.).

Es gibt zwei Möglichkeiten, diese Aussage Schmitts zu interpretieren: entweder als Behauptung, dass es bei Hobbes um kein politisches Denken − politisch im Schmitt’schen Sinne − geht, oder, als stände der Ausdruck „Freund und Feind unterscheiden“ für „grundlegend über Politik nachdenken“. Dass die erste Betrachtungsweise im Prinzip und vom liberalen Standpunkt aus gesehen zweifellos zutrifft, schließt nicht aus, dass Schmitt selbst, möchte ich behaupten, mit seiner Aussage auf die zweite Interpretation abzielte.Footnote 41

Der individualistische Charakter der Staatstheorie von Hobbes steht vor allem mit dem Gesellschaftsvertrag als konstituierendem Element des bürgerlichen Zusammenlebens in Zusammenhang. Indessen ist die Deutung Schmitts auch in diesem Punkt vage oder gar widersprüchlich. Einerseits stellte er fest, dass bei Hobbes der Staat als Ordnungs- und Gemeinwesen erst durch den Vertrag entstehe, der „ganz individualistisch“ (1982, 51) aufgefasst werde. Andererseits schien Schmitt einer solchen Auffassung des Gesellschaftsvertrags nicht viel Bedeutung zuzumessen – ihn schien die Deutung nicht zu überzeugen, dass Hobbes’ Staatsvorstellung in ihrem Wesen vom Individuum als Ausgangspunkt abzuleiten sei. Laut Schmitt werde die Unzulänglichkeit der individualistischen Begründung ersichtlich, wenn man die Hobbes’sche Theorie von ihrem Ergebnis her, vom Staat, sieht: Dieses Ergebnis sei Schmitt zufolge „mehr und eigentlich etwas anderes […] als ein von bloßen Individuen geschlossener Vertrag bewirken könnte. Die in angsterfüllter Feindschaft sich versammelnden Menschen können aus den Voraussetzungen ihres Zusammenkommens heraus die Feindschaft nicht überwinden“ (ebd., 51). Der Souverän komme als alleiniger Garant des Friedens nicht durch Konsens, sondern nur anlässlich des Konsenses zustande (ebd., 51 f.). Wiederum verzichtete Schmitt darauf, folgerichtig zu explizieren, was er mit „mehr und eigentlich etwas anderes […] als ein von bloßen Individuen geschlossener Vertrag bewirken könnte“ im Sinn hatte, und deswegen bleibt es bei der Vermutung, die sich mit Blick auf „Die vollendete Reformation“ und den Hobbes-Kristall – die darin entfaltete politiktheologische Hobbes-Deutung – anbietet. Diese steht im Kontrast zu derjenigen in Dem Begriff des Politischen, in dem Schmitt den einzigen Schwerpunkt seiner Deutung darauf legte, dass Hobbes den Staat für notwendig gehalten habe, und zwar allein aufgrund der unerträglichen Alternative der Anarchie.

Während Schmitt in Dem Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes immer wieder den Aspekt der Staatsauffassung Hobbes’ beteuerte, der mit der faktischen Leistung des Staates − dem Schutz des Individuums − zu tun hatFootnote 42 (wie z. B. „Die Staatsmaschine funktioniert oder sie funktioniert nicht“, ebd., 69), führte seine Auseinandersetzung mit Hobbes im Jahr 1965 deutlich weiter – auch zu der Frage, was jenseits (oder hinter) der bloßen Tatsache der existierenden Schutz- und Zwangsordnung liege (und ob überhaupt). „Die Pflicht des Staatsbürgers zum Gehorsam gegen die Gesetze des Souveräns hat ihren letzten Grund nicht […] einfach in der Unwiderstehlichkeit der staatlichen Zwangsgewalt. Der eigentliche, auch im Gewissen bindende Grund zum Gehorsam liegt nach Hobbes in naturrechtlichen Geboten“ (Schmitt 1982 a, 138 f.). Diese Gebote, fügte Schmitt hinzu, seien jedoch nicht als „bloße Diktate der Vernunft bindend“, „sondern nur durch den hinzutretenden Befehl Gottes oder als Wort der Heiligen Schrift“ (ebd., 138 f.). Somit gebührt dem Naturrecht in der späten Hobbes-Interpretation Schmitts die Rolle eines bloßen Attributs zur politischen Theologie. Mit Blick darauf, dass es in der politischen Theorie Hobbes’ allein auf den Souverän ankomme, wenn es um die Deutung der Heiligen Schrift und jegliche Vermittlung göttlicher Auskünfte geht, behauptete Schmitt allerdings auch, dass sich der Positivismus und die Transzendenz bei Hobbes nicht ausschlössen (ebd., 172).

2.6 Hobbes’ zwiespältiger Individualismus

Es kann festgehalten werden, dass Schmitt in seinen Überlegungen zwischen zwei Deutungen des Hobbes’schen Individualismus schwankte, die der Spannung zwischen der liberalen und der etatistischenFootnote 43 Auslegung Hobbes’scher Theorie zugrunde liegen. Die entscheidende Frage, die die Deutung in die eine oder andere Richtung lenkt, ist die, so meine These, ob man die negative Menschenauffassung Hobbes’ als relativ oder als absolut betrachtet. In Dem Begriff des Politischen hielt Schmitt die Unterscheidung zwischen der negativen und positiven Auffassung der Natur des Menschen für eine für die politische Theorie ausschlaggebende Frage (1991, 59). Sein eigenes in diesem Werk vorgestelltes Hobbes-Bild hielt an dem pessimistisch aufgeladenen und nicht weiter hinterfragten Hobbes’schen Individualismus fest, während dessen liberale Interpretationsmöglichkeit ausgeblendet wurde.Footnote 44

Wenn man Hobbes’ individualistischen Ansatz etatistisch denkt, schlägt er in die Begründung totaler Unterwerfung aufgrund radikaler Herrschaftsbedürftigkeit um.Footnote 45 Die Auffassung vom Individuum als von Natur aus rebellisch, eigensüchtig, „nicht nur von gegenwärtigem, sondern sogar von künftigem Hunger getrieben, fame futura famelicus, aus Prestige- und Konkurrenzaffekten jederzeit entschlossen und bereit, Verstand und Logik mit Füßen zu treten, um sich den nächstliegenden, augenblicklichen Vorteil zu verschaffen“ (Schmitt 1982, 56), macht jede Illusion darüber, dass ein Gemeinwesen ohne das Machtmonopol des Staates aufrechtzuerhalten wäre, zunichte und beweist die Unverzichtbarkeit des Letzteren. „[J]e gefährlicher dieser unsoziale ,Individualismus‘ auftritt, um so stärker macht sich auch die rationale Notwendigkeit eines allgemeinen Friedensschlusses geltend“ (ebd., 56 f.; wie individualistisch dieser Individualismus wahrlich sei, zeigen deutlich die von Schmitt gesetzten Anführungszeichen). Um das Individuum der Machtvertikale eines souveränen Staates ausliefern zu können, muss die Idee des Individuums sowohl aus den Banden organischer Gemeinschaftsauffassungen gerissen als auch von jeglichen Vorstellungen eines integren Kosmos abgekoppelt werden. Die Rechtfertigung dafür liefert wiederum die Vorrangstellung und Absolutierung der Unterscheidung zwischen harmlos und gefährlich.

Andererseits hat Schmitt in seiner späteren Auseinandersetzung mit Hobbes die Möglichkeit eingeräumt, in dessen Philosophie den Ausgangspunkt liberaler Doktrin zu sehen. Diese Möglichkeit beruhe auf der Hobbes’schen Annahme der Macht der Aufklärung, der Erziehbarkeit des Menschen mitsamt der Überwindung seiner problematischen Natur. Könne die Natur des Menschen kontrolliert, „verweichlicht“, gar überwunden und transformiert werden, könne auch die von Natur aus gegebene Unterscheidung zwischen harmlos und gefährlich nur eine relative, nicht eine absolute Bedeutung haben.

In „Der vollendeten Reformation“ bejahte Schmitt die These Macphersons, der Hobbes’ individualistischen Ansatz als „possessiven Individualismus“ und als Voraussetzung der modernen bürgerlichen Marktgesellschaft sowie des gesetzesstaatlichen Liberalismus (Schmitt 1982 a, 161) deutete.Footnote 46 Unabhängig davon, was seine originäre Absicht war, gelte Hobbes als „Wegbereiter des liberalen Gesetzesstaates“ (157), weil er der Begründer einer Lehre war, „die das Individuum und seine Freiheit in eine konstitutive Verbindung mit dem Eigentum setzt“ (ebd., 157 f.). In der von ihm begründeten „modernen individualistischen Gedanken- und Gewissensfreiheit“ liege der „Ursprung des stato neutrale e agnostico des 19. und 20. Jahrhunderts“ (1982, 85 f.).

In eine gegensätzliche Richtung – nämlich auf Distanz zu dem Ideal des Bürgertums, der Marktgesellschaft und einer wissenschaftlich perfektionierten Zivilisation – geht Schmitts Betonung des personalistischen Charakters Hobbes’scher Auffassung der Souveränität. So liest man, dass das grundlegende Element des possessiven Individualismus, das Attribut individueller Autonomie – das Eigentum – Hobbes zufolge „erst durch das Gesetz, aber nicht für den Gesetzgeber heilig ist“ (Schmitt 1982 a, 157), und Schmitt äußert seine Vorbehalte gegenüber der Deutung, gemäß der Hobbes am Ursprung des ganzen Prozesses stand, „der zu der heutigen wissenschaftlichen Zivilisation geführt hat“ (ebd., 162).

Indem Schmitt zwischen der absoluten (etatistischen) und der relativen (liberalen) Auslegung des Hobbes’schen Individualismus manövrierte und Hobbes sowohl den „optimistischen“ Liberalen als auch den ihn für einen Ahnherrn des Totalitarismus haltenden „Pessimisten“ aus den Händen zu reißen versuchte, verfing er sich zwischen kaum miteinander zu vereinbarenden Thesen – obwohl ihm diese Gefahr bewusst sein musste. Seinen eigenen Worten zufolge nämlich wurde Hobbes von seinen Zeitgenossen „von allen Seiten beschimpft und als Atheist, als Manichäer (Gnostiker), als Materialist und Epikuräer (Atomist) fertiggemacht“ (ebd., 160).

Vor dem Hintergrund der zwischen den unterschiedlichen Individualismus-Auffassungen herrschenden Spannungen und Verwirrungen hätte man sich gewünscht, dass Schmitt seiner ins Schwarze treffenden Aussage, dass sich die „Relation von Schutz und Gehorsam“ mit den Begriffen und Idealen des bürgerlichen Rechtsstaates vereinbaren lasse, mehr Aufmerksamkeit gewidmet hätte (1982, 113 f.). Da er von ihrer expliziten Erläuterung in den darauf folgenden Passagen absah, bleibt der Interpretin ihre Erklärung in Bezug auf seine Überlegungen über die Rolle Hobbes’ hinsichtlich des Bedeutungsverlustes des göttlichen Rechts selbst zu rekonstruieren – sowie auf seine an einer anderen Stelle eingeführte spärliche Anmerkung über die Leugnung eines von Gott geschaffenen Gemeinwesens und einer präexistenten natürlichen Ordnung (ebd., 51). Wie ich es verstehe, war für Schmitt Hobbes’ Forderung nach dem staatlichen Gehorsam nicht weniger auf die Leugnung der Wirksamkeit göttlichen Rechts angewiesen, als es das Ideal des positivistischen Gesetzesstaates war, der alle Gerechtigkeit unter die Legalität subsumiere. Wie Schmitt anmerkte, verstehe sich für ein mittelalterliches Gemeinwesen, das auf theistischer Gottesauffassung beruht, „ein feudales oder ständisches ,Recht zum Widerstand‘ gegen einen unrechtmäßigen Herrscher ganz von selbst. Der Vasall oder der Stand könne sich hier ebensogut auf ein göttliches Recht berufen wie sein Feudalherr oder sein Landesherr“ (ebd., 71). Für Hobbes war ein Widerstandsrecht im Gegenteil nicht nur etwas, was politisch unerwünscht, weil gefährlich sei, sondern von seinem Wesen her „in jeder Hinsicht, faktisch wie rechtlich, widersinnig und eine Absurdität“ (ebd., 71). Die Konstruktion eines ganz auf die bewusste Arbeit des Menschen gestellten Kosmos (ebd., 130) erforderte die Umwälzung „des göttlichen, natürlichen oder sonstigen vorstaatlichen Rechtes in ein positives, staatliches Gesetz“ (ebd., 103). Der Hobbes’sche Staat, ob in seiner individualistischen oder autoritären Prägung, verdanke „seine Ehre und Würde“ nur sich selbst, nicht einer ihn transzendierenden Quelle (ebd., 73).

Der Staat werde also als Ergebnis menschlichen Verstandes und menschlicher Schöpfungskraft aufgefasst (ebd., 51) und durch die Unerkennbarkeit substanzieller Wahrheit gerechtfertigt (ebd., 85 f.). Da die Natur des Menschen „problematisch geworden“ sei, könne eine tiefe und starke Verpflichtung und Bindung nur eine künstliche sein (Schmitt 1982 a, 141 f.). Des Staates In-Sich-Geschlossenheit, seine Selbstgenügsamkeit sei gleichfalls die Voraussetzung und das Ergebnis von Hobbes’ machtpolitischem Ansatz zur Souveränitätsbestimmung: Von keinen ihm äußerlichen normativen Maßstäben abhängig, sei er in seiner ordnungsstiftenden Funktion nur auf seine eigene Macht angewiesen – dafür bedürfe er eines mit der faktischen Leistung einhergehenden Machtmonopols.

Die Unterhöhlung des göttlichen Rechtes sei jedoch genauso für die Konstruktion einer modernen individualistischen Gedanken- und Gewissensfreiheit und damit der für die liberale Verfassung kennzeichnenden Freiheitsrechte der Einzelnen unabdingbar (Schmitt 1982, 85 f.). Die subjektive Autonomie in Moral- und Gesinnungsfragen bedürfe der Ausschaltung der Offenbarung in ihrer Leitfunktion menschlicher Orientierung und menschlichen Handelns.

Die beiden Bedeutungen des stato neutrale e agnostico – d. h. einerseits die Auffassung der Herrschaft als Fassade der Macht (Schmitt 1982 a, 150) und andererseits die liberale Erübrigung der Legitimitätsfrage zugunsten der Legalitätsprüfung – treffen sich in der von Schmitt mehrmals hervorgehobenen Formel auctoritas, non veritas, facit legem. Diese Formel werde laut Schmitt „zum einfachen, sachlichen Ausdruck eines wert- und wahrheitsneutralen, positivistisch-technischen Denkens, das den religiösen und metaphysischen Wahrheitsgehalt vom Befehls- und Funktionswerte abgetrennt und diesen verselbstständigt hat“ (meine Hervorhebung, 1982, 68 f.). Die Ablehnung des naturrechtlichen oder theologisch fundierten Denkens bedeutet jedoch zugleich, dass man einen dezisionistisch aufgefassten Souverän benötige, um die politische Ordnung, die nicht mehr als auf einer vorgegebenen Ordnung basierend verstanden wird, aufrechterhalten zu können. So gesteht der individualistische Ansatz einerseits eine „unausrottbare“ Gedanken- und Gewissensfreiheit zu, ermöglicht andererseits eine radikale Unterwerfung unter den staatlichen Befehlsmechanismus. Die Dialektik Hobbes’schen Individualismus spiegelt sich auf der rechtstheoretischen Ebene in dem Zusammenhang zwischen der dezisionistischen und der positivistischen Hobbes-Deutung, auf die ich als nächstes eingehe.

2.7 Die dezisionistische und die positivistische Deutung Schmitts von der Hobbes’schen Lehre

Das Hobbes-Studium Schmitts ist zwar offensichtlich zu qualifizieren als Untersuchung eines Theoretikers, der sich vor allem mit Fragen politischer Natur auseinandersetzte, und nicht als eine rechtswissenschaftliche Analyse. Jedoch lässt sich der Einfluss seines juristischen Hintergrundes auf die Art und Weise, wie er seine Fragestellungen formuliert hat, sowie auf seine Einsichten und Schlussfolgerungen klar erkennen.Footnote 47

Die unterschiedlichen Traditionen rechtswissenschaftlichen Denkens – Normativismus, Ordnungsdenken und Dezisionismus – werden explizit im fünften Kapitel von Dem Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes angerissen. Es ist derselbe Teil seines Werkes, in dem Schmitt einen der fragwürdigsten Schritte seiner Auseinandersetzung mit der politischen Philosophie Hobbes’ wagte: den Untergang des Leviathan – genauer, der Verkörperung des Leviathan in dem absolutistischen kontinentalen Staat des 18. Jahrhunderts – zu erklären. Der Untergang des Leviathan als Staatsform und somit der Staatlichkeit schlechthin, wie Schmitt sie sich vorstellte, fiel mit demjenigen einer rechtlichen Tradition und spezifischen Auffassung des Rechtes zusammen, die Schmitt als ius publicum bezeichnete. „Die Verwandlung des Rechts in einen positiven Gesetzbefehl“ vollstreckte sich für Schmitt „im Zusammenhang mit der Verwandlung des Staates in einen von psychologischen Zwangsmotivationen getriebenen Mechanismus“ (1982, 103). Die Positivierung des Rechtes, der „Prozess von der barocken Legitimität zur positivistischen Legalität“ (Schmitt 2015, 31 f.), bedeutete für Schmitt, dass „alle bisherigen substanzhaft gefassten Begriffe von Recht und Verfassung zu Ende waren“ (1982, 103).

Dass genau in dem Teil der Leviathan-Schrift, in dem der (imaginäre) Untergang des sowohl von Hobbes erdachten Staates als auch seiner realen Verkörperung beschrieben wird, der Kern des Konfliktes darüber, welcher Art rechtswissenschaftlichen Denkens Hobbes zuzuordnen sei, zum ersten Mal klar zum Vorschein kommt, ist kein Zufall: Das Anliegen Schmitts, die Verfallsgeschichte des souveränen Staates offenzulegen, wird über einige Schritte vollzogen, von denen einer darin besteht, Hobbes’ Staatstheorie auf Elemente zu untersuchen, die das eigene Scheitern ermöglicht oder gar vorausgesetzt haben konnten. Dabei wird die Deutung Hobbes’ in Bezug auf die rechtswissenschaftlichen Denkarten entscheidend. Die Antwort auf die Frage, ob und inwiefern das „Sterben“, in Worten Schmitts, der souverän-repräsentativen Person (ebd., 79), durch eine der Theorie Hobbes’ inhärente Logik oder Widersprüchlichkeit bedingt oder gar ihre unausweichliche Folge war, hängt, wie die Hobbes-Deutung Schmitts suggeriert, davon ab, ob Hobbes dezisionistisch oder positivistisch gedeutet wird.

Die Aussagen Schmitts, anhand derer sich Hobbes sowohl der positivistischen als auch der dezisionistischen rechtswissenschaftlichen Tradition zuordnen lässt, mögen der Leserin ein Rätsel bereiten, das einen Blick in Schmitts Über die drei Arten des rechtswissenschaftlichen Denkens erfordert. In dieser Abhandlung finden sich auch Schmitts ausführliche Erklärungen zum Dezisionismus, Normativismus und dem Ordnungsdenken – jenen von ihm unterschiedenen rechtstheoretischen Ansätzen.

Da Über die drei Arten des rechtswissenschaftlichen Denkens 1934 verfasst worden ist, d. h. zwei Jahre früher als der Aufsatz „Der Staat als Mechanismus bei Hobbes und Descartes“, können und müssen die in Dem Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes enthaltenen Hinweise auf dezisionistische und positivistische Züge in der politischen Philosophie Hobbes’ im Licht und Sinne Schmitts rechtswissenschaftlicher Erwägungen aus der ersteren Schrift ausgelegt werden. Die Thematik der rechtswissenschaftlichen Denkarten war bei Schmitt allerdings schon in den Frühwerken Die Diktatur, Politische Theologie und Verfassungslehre geläufig.

In Der Diktatur findet man in Schmitts Beschreibung der zwei Arten des modernen Naturrechts den Ursprung seiner erst später ausformulierten Auffassungen über Normativismus, Dezisionismus und Positivismus. Die Konzepte „Gerechtigkeitsnaturrecht“ und „naturwissenschaftliches Naturrecht“ stellen eine nicht zu übersehende Parallele zu Schmitts später erläutertem Normativismus und Dezisionismus dar.Footnote 48 Zu diesen Begriffen als solchen kam Schmitt in Politischer Theologie: Darin betrachtete er Dezisionismus als personalistisches Denken und ordnete es Hobbes zu (1990, 44, 61). Der Zusammenhang von Personalismus und Dezisionismus ist bei Schmitt ein ausschlaggebender gewesen, wie ich im weiteren Verlauf des Unterkapitels demonstrieren werde. Darüber hinaus sind die Überlegungen Schmitts über den Charakter dezisionistischen Denkens in Politischer Theologie deswegen von Bedeutung, weil er sie mit der Diskussion über die Volkssouveränität verband.Footnote 49

Den Ausgangspunkt der Überlegungen Schmitts, der auch den Grund seines Vorhabens lieferte, die „spezifischen Denk- und Argumentationsweisen des Rechtslebens“ (1993, 9) zu erwägen, bietet die grundlegende Einsicht, dass es sowohl unter den Rechtswissenschaftlerinnen als auch im politischen und Gesellschaftsleben generell fundamental unterschiedliche Auffassungen davon gebe, was Recht seinem Wesen nach sei. Diese Auffassungen würden ihrerseits aus bestimmten Vorstellungen der Gesamtordnung hervorgehen – aus den Vorstellungen „von dem, was man als eine normale Situation ansehen kann, wer ein normaler Mensch ist“ (ebd., 9). Leider verzichtete Schmitt in seinem Werk auf die explizite Erläuterung dessen, wie sich die Auffassung der Rechtsnatur von solchen Vorstellungen der Normalität ableiten lasse und die Letzteren ihrerseits verstärke. Jedoch gibt es im Fach der Rechtstheorie eine unüberschaubare Menge an Beiträgen, die das Verhältnis zwischen anthropologischen, soziologischen, politischen und juristischen Vorstellungen thematisieren.Footnote 50

In Anbetracht der Verwurzelung der Auffassungen vom Recht in der grundlegendsten Form, in der sich die Wahrnehmung der Welt durch das Subjekt vollzieht, ist es nicht überraschend, dass Schmitt den unmittelbaren Zusammenhang zwischen dem politischen und dem Rechtsleben immer wieder nachdrücklich betonte (bspw. ebd., 9). Nicht trotzdem, sondern deswegen setzte sich Schmitt in Dem Begriff des Politischen mit Nachdruck gegen die Verrechtlichung der Politik ein (genauso wie gegen die Moralisierung, Ökonomisierung, Ästhetisierung oder wissenschaftlich-technische Objektivierung des Politischen). Denn hinter der Berufung auf das Recht bargen sich für Schmitt politische Interessen und die Souveränität des Rechts war nur als Täuschung oder Selbsttäuschung zu verstehen. Es seien „immer konkrete Menschengruppen, die im Namen des ,Rechts‘ oder der ,Menschheit‘ oder der ,Ordnung‘ oder des ,Friedens‘ gegen konkrete andere Menschengruppen kämpfen“ (Schmitt 1991, 66 f.), und daher sei auch die Souveränität immer Souveränität der Menschen, welche die Rechtsnormen setzen würden. Die Herrschaft einer „höheren Ordnung“, die Herrschaft des Rechts sei eine „leere Phrase“, die letztendlich nur den unausgesprochenen Sinn habe, dass „bestimmte Menschen auf Grund dieser höheren Ordnung über Menschen einer ,niederen Ordnung‘ herrschen wollen“ (ebd., 66). Dabei verwies Schmitt auf das Hobbes’sche Postulat der Einheit des positiven Rechts und des Naturrechts, dessen praktische Folge sei, dass weder die Berufung auf das Naturrecht das positive Recht nichtig machen könne, noch, andererseits – und das war für die Zeit Schmitts besonders relevant –, die Berufung auf das positive Recht die politische Gewalt zu entkräften vermöge (denn das Naturrecht sei immer auf der Seite der Machthaberinnen).

Die Vormachtstellung des Rechts vor der Politik, die zum eigentlichen Ziel die Denunzierung derjenigen habe, die ihre Haltung nicht hinter der humanitären Moral oder dem universalgültigen und daher allgemein anzuerkennenden Recht zu verstecken versuchen, sondern die Verantwortung für politische Entscheidungen einfordern würden, verwarf Schmitt also als Unehrlichkeit hinsichtlich der Politik als maßgebender Bereich, demgegenüber das Recht nicht vollkommen unabhängig sein könne und deswegen nicht als solches gesehen werden dürfe. Noch weniger dürfe Politik dem Recht subsumiert werden: Jedes Recht stehe und falle, Schmitt zufolge, mit einer konkreten politischen Ordnung, es setze eine konkrete politische Ordnung voraus und deswegen müssten die politischen Fragen als politische und nicht als rechtliche, moralische, wirtschaftliche usw. gestellt und beantwortet werden. Mit welcher von den rechtswissenschaftlichen Denkarten diese Sicht Schmitts korrespondiert, wird gleich offensichtlich werden.

Es gebe, gemäß Schmitt, drei Antworten auf die Frage nach dem Wesen des Rechtes, weshalb er drei juristische Denkarten unterschied. „Jeder Jurist […] fasst […] Recht entweder als eine Regel, oder als eine Entscheidung, oder als eine konkrete Ordnung und Gestaltung auf“ (1993, 7). Demzufolge trennte Schmitt Normativismus (Regeln- oder Gesetzesdenken), konkretes Ordnungsdenken (für das er keinen anderen Begriff einführte) und Dezisionismus (als Entscheidungsdenken). An dieser Stelle lässt sich eine Entwicklung des Schmitt’schen Verständnisses bzw. seiner Theorie feststellen. 1922 galt noch: „Es gibt vielleicht zwei Typen juristischer Wissenschaftlichkeit“ (Schmitt 1990, 44). In der Vorbemerkung zu der zweiten Auflage von Politischer Theologie sprach Schmitt von, neben Dezisionismus und Normativismus, dem institutionellen Rechtsdenken (ebd., 8), das in demselben Jahr in Über die drei Arten des rechtswissenschaftlichen Denkens als Ordnungsdenken eingeführt wurde.

Der die Normen oder Regeln verabsolutierende Normativismus fasse diese als Ursprung und Bewertungsmaßstab allen Rechts und aller Gerechtigkeit auf (Schmitt 1993, 11). Worauf die Norm auch verweist – ob auf Natur, Gott oder Vernunft –, gelte als Merkmal des normativistischen Denkens die Forderung nach der Herrschaft der Gesetze, die, so die Überzeugung Schmitts, immer politisch-polemisch gegen die anderen rechtswissenschaftlichen Denkarten ausgespielt werde (ebd., 13). Der dem Normativismus innewohnende Anspruch auf die Monopolisierung der Objektivität (ebd., 12) verweise auf das mutmaßliche Alleinstellungsmerkmal der Norm, unpersönlich und nicht situationsbedingt, d. h. allgemein und immerwährend gültig zu sein. Die Unfehlbarkeit der Norm, die keines Beweises bedürfe, weil die Norm für entweder natürlich, gottgegeben oder vernünftig gehalten werde, mache sie gemäß normativistischer Logik zur einzigen anzuerkennenden Quelle des Rechtes.

Um die zwei anderen eigenständigen Arten des rechtswissenschaftlichen Denkens zu definieren, arbeitete sich Schmitt in Über die drei Arten des rechtswissenschaftlichen Denkens an ihrer Polemik mit dem Normativismus ab. So kam der Umriss des Ordnungsdenkens auf Basis des Kontrastes zustande: Während die normativistische Denkart die Regeln als Voraussetzung der Rechtsordnung sehe, sei die Ordnung für das konkrete Ordnungsdenken „auch juristisch nicht in erster Linie Regel oder Summe von Regeln, sondern, umgekehrt, die Regel nur ein Bestandteil und ein Mittel der Ordnung“ (ebd., 11). Dass Schmitt das Ordnungsdenken immer als das konkrete Ordnungsdenken bezeichnete, trägt eine gewisse Aussagekraft mit sich: Den Regeln könne man, wie dies aus dem Ansatz des Ordnungsdenkens zu schließen sei, nie eine allgemeine, immerwährende und unabhängige Gültigkeit zuschreiben – vielmehr könne eine Norm nur innerhalb einer konkreten und territorial begrenzten Ordnung ihrer regulierenden Funktion gerecht werden (ebd., 11). Diese territorial bestimmte Ordnung umfasse eine konkrete Gemeinschaft, in der sich ihr eigener Begriff von Recht gestalte und ein davon herrührendes Recht vollgestreckt werde: „Denn ein Gesetz kann sich nicht selber anwenden, handhaben oder vollstrecken; es kann sich weder selbst interpretieren, noch definieren, noch sanktionieren; es kann auch nicht […] selber die konkreten Menschen benennen oder ernennen, die es interpretieren und handhaben sollen“ (ebd., 14).

Die Schilderung der Logik des Ordnungsdenkens lief bei Schmitt in erster Linie darauf hinaus, die Unzulänglichkeiten des Normativismus offenzulegen und seinen Ordnungsanspruch in Verruf zu bringen. Seine Darlegungsart lässt keinen Zweifel darüber bestehen, dass er den Normativismus für eine nicht nachhaltige Denkordnung hielt (vielmehr für eine Unordnung), die sich leicht ad absurdum führen lasse, weil sich keine Bezüge der normativistischen Rhetorik zur Realität des Gemeinwesens herstellen lassen würden. Die radikale Kluft zwischen Sein und Sollen hielt Schmitt für eine vorprogrammierte Widersprüchlichkeit normativistischen Denkens: Zwar werde von dem Prinzip des Normenvorrangs abgeleitet, dass die Ordnung darin bestehe, dass die konkrete Lage den allgemein gültigen Normen entspreche. Dass die Realität den Normen nicht entspreche, könne aber, der normativistischen Logik und dem Prinzip der immerwährenden Gültigkeit folgend, keinerlei Auswirkung auf das rechtliche Wesen haben, denn die Normen würden ihre Legitimität nicht der Akzeptanz derjenigen verdanken, unter denen sie angewandt werden (ebd., 16). Damit wird besagt, dass die Vertreterinnen normativistischen Denkens zum Erfassen der Anwendungsproblematik, zur Reflexion der Spannung zwischen dem Normativen und dem Realen gar nicht imstande und der Normativismus der Ordnungsstiftung nicht fähig seien. Diese könne er laut Schmitt höchstens aufrechthalten, und auch dann nur in bestimmten Bereichen. Mit einer unverhohlenen Ironie wusste Schmitt die Einsatzmöglichkeiten normativistischer Rechtsauffassung anzuerkennen – Einsatzmöglichkeiten in genau denjenigen Lebensbereichen, die sich durch solche Regulierbarkeit auszeichnen und solcher Regelhaftigkeit bedürfen würden wie etwa der des Straßenverkehrs (ebd., 16 f.). Wie wenig Schmitt von dem Anspruch hielt, die Einheit einer Gemeinschaft mithilfe der wirtschaftlichen und „verkehrstechnischen“ Mittel und Regeln aufrechtzuerhalten, brachte er auch in Dem Begriff des Politischen zum Ausdruck. Seine tiefste Verachtung kleidete Schmitt in Zynismus: Solche Sozietät, die jedes personalistische Element der Herrschaft ausschließe und jede Ausnahme aus dem politischen Leben zu verweisen suche, sei nicht mehr eine soziale Einheit als „die Bewohner einer Mietskaserne oder die an dasselbe Gaswerk angeschlossenen Gasbezieher oder die Reisenden des gleichen Autobus“ (1991, 58).

Gegenüber allen Lebensbereichen, die „sich nicht verkehrsmäßig-technisch, sondern institutionell gestaltet haben“, sei der Normativismus also ohnmächtig (Schmitt 1993, 16 f.). Hiermit wird zugleich auf das Ordnungsdenken angespielt: Das Letztere sei im Gegensatz zum Normativismus „substanzhaft“ (ebd., 18), weil es aus der Ordnung eines konkreten Zustandes erwachse und dieser auch gerecht werde. Dadurch, dass der Normativismus die Abhängigkeit der Normen von der sich wandelnden Lage und den ihr entstammenden Vorstellungen davon, was normal ist, leugne, könne er nur solche Normen erzeugen, die die Lage nur so weit beherrschen, als sie nicht „völlig abnorm“ geworden sei (ebd., 20). Im Gegensatz dazu finde sich, so Schmitt, das Ordnungsdenken in der Lage, sich der sich wandelnden Situation anzupassen.

Während Schmitt Normativismus und das konkrete Ordnungsdenken in erster Linie durch ihren Gegensatz definierte, knüpfte er bei der Darstellung des Dezisionismus als eines rechtswissenschaftlichen Denkens an die theologisch-philosophische Debatte an, „ob Gott etwas befiehlt, weil es gut ist, oder ob etwas gut ist, weil Gott es befiehlt“ (ebd., 21). In der Bejahung des Letzteren vollziehe sich das Wesensmerkmal dezisionistischen Denkens, die Grundlage des Rechtes mit dem Entscheidungs- und Willensakt gleichzusetzen. Seinen Existenz- und Geltungsanspruch finde der Dezisionismus in der Tatsache, dass auch eine der Regel nicht entsprechende Entscheidung Recht schaffe; dabei gehe es jedoch, wie Schmitt betonte, um eine bestimmte Art von Entscheidung – die Entscheidung souveräner Art: „Nicht der Befehl als Befehl, sondern die Autorität oder Souveränität einer letzten Entscheidung“ sei „die Quelle allen ,Rechts‘“ (ebd., 21).

Gerade an dieser Stelle lässt sich erkennen, dass Schmitt seiner Erläuterung dezisionistischer Denkart bestimmte Züge verlieh, die sich mit seiner frühen Einschätzung von Hobbes als einem dezisionistischen Denker vereinbaren ließen (oder, wiederum, dass sein Verständnis von Hobbes als Vertreter des Dezisionismus für seine Auffassung von dieser Art rechtswissenschaftlichen Denkens bestimmend war). Es kann nicht übersehen werden, dass das Prinzip, dass das Recht keiner anderen Quelle als der des Willens bedürfe, nicht automatisch auf die Feststellung hinausläuft, dass dieser Wille nur dann Relevanz habe, wenn er das Kriterium der Souveränität erfülle. Freilich hätte Schmitt es dabei belassen können, den rechtschaffenden Willen durch überwältigende Machtkapazität zu definieren. Jedoch hat er auf das Vorhandensein souveräner Qualität bestanden, um seine Polemik gegen die indirekten Gewalten zu stützen (dazu mehr in 2.4 Politische Absichten als Grundlage der Schmitt-Hobbes-Wahlverwandtschaft. Die alten und neuen indirekten Gewalten).

Die Entscheidung Schmitts, den rechtsstiftenden Willensakt ausschließlich als einen souveränen Willensakt zu definieren, rührt von seiner Bejahung der Einheit eines Gemeinwesens her. Die staatliche Einheit – wie Schmitt sie in einer absoluten Monarchie (aber nicht in einer Volksdemokratie, die Schmitt zufolge zum totalen Staat führe, 1991, 68) verkörpert sah − bedürfe einer Entscheidung, um nicht zum Opfer im Kampf widerstreitender Interessen und Koalitionen zu werden (1990, 62 f.). Die Möglichkeit des Abstandes und damit der Einheit des Staates setze die Überordnung des Souveräns in seinem Entscheidungsmonopol voraus. Einen polemischen Bezug zu der Auffassung der Staatlichkeit von Weber herstellend, plädierte Schmitt dafür, den Souverän über sein Entscheidungsmonopol und nicht über das Zwangs- oder Herrschaftsmonopol zu definieren (ebd., 20). Damit wird allerdings nicht ausgeschlossen, dass das Zwangs- oder Herrschaftsmonopol von dem Entscheidungsmonopol wiederum vorausgesetzt wird. Jedenfalls warnte Schmitt damit vor den Gefahren indirekter Gewalten, die die Macht an sich reißen würden, dabei jedoch die Entscheidung und die damit einhergehende Verantwortung zu umgehen versuchen würden. Die „wunderbare Armatur einer modernen staatlichen Organisation erfordert einen einheitlichen Willen und einen einheitlichen Geist“ (Schmitt 1982, 117 f.), und dazu gehöre, Schmitt zufolge, vor allem, dass über den Ausnahmezustand entschieden wird, d. h. im Fall „äußerster Not, Gefährdung der Existenz des Staates“ (1990, 12).

Die Entscheidung im dezisionistischen Sinne könne deswegen nur eine souveräne Entscheidung sein, weil nur eine solche der Aufrechterhaltung der staatlichen Einheit gewachsen und wirksam sei. Wenn Schmitt den Souverän als denjenigen definierte, der über den Ausnahmezustand entscheide (1990, 11), dann hat er als ein Rechtswissenschaftler gesprochen, der sich an ein politisches Souveränitätskonzept gebunden sah. Dieses schuldete Schmitt Hobbes und aus ihm bestand, wie bereits erläutert, die geistige Wahlverwandtschaft beider Denker. Dass die Auffassung des Rechts als einer souveränen Entscheidung von der Frage der Wirksamkeit dieser Entscheidung und ihrer politischen Implikationen nicht abgekoppelt werden könne, könnte in Dem Begriff des Politischen nicht klarer vermittelt worden sein: „Die Leistung eines normalen Staates besteht aber vor allem darin, innerhalb des Staates und seines Territoriums eine vollständige Befriedung herbeizuführen, ‚Ruhe, Sicherheit und Ordnung‘ herzustellen und dadurch die normale Situation zu schaffen, welche die Voraussetzung dafür ist, dass Rechtsnormen überhaupt gelten können, weil jede Norm eine normale Situation voraussetzt und keine Norm für eine ihr gegenüber völlig abnorme Situation Geltung haben kann“ (Schmitt 1991, 46).

Die Bestimmung der Souveränität als Abgrenzungskriterium, durch das der Willkür der indirekten Mächte entkommen werden solle, zu dem der dezisionistische Ansatz auf den ersten Blick zu führen scheint (durch seinen Nachdruck auf tatsächliche Machtkapazität), mag sich für die politikphilosophische Zielsetzung Schmitts eignen, birgt jedoch die Problematik zirkulärer Argumentation. Der Interpretation Schmitts folgend werde der Souverän überhaupt erst durch seine Entscheidung, die zum Gesetz wird, instituiert, weil erst durch eine solche die Unordnung und Unsicherheit des Naturzustandes überwunden werde. Der Souverän bewähre sich durch seine ordnungsstiftende Gewalt als eine, die sich in einem „normativen Nichts“ vollziehe (Schmitt 1993, 24). Die Begriffe des Souveräns, der Entscheidung und des Gesetzes sowie der Ordnung verweisen pleonastisch aufeinander und nur mit Bezug aufeinander können sie aufgefasst und definiert werden. Die in sich geschlossene Systematik der politisch-rechtlichen Begriffe scheint jedes Ausgangs- und Anknüpfungspunktes beraubt zu sein, aus dem heraus Dezisionismus hinterfragt werden könnte. Jedoch gehört dies gerade zu seinem Wesen.

Das dezisionistische Denken war für Schmitt in Dem Begriff des Politischen politisches, existenzielles Denken. Ihm setzte Schmitt die humanitär-moralistische, die wirtschaftlich-technische oder die ästhetisch-romantische Denkweise entgegen und betrachtete sie als Formen (oder Instrumente) der Entpolitisierung. Schmitts Kritik an dem humanitären Moralismus in Dem Begriff des Politischen klingt eindeutig an seine Kritik am Normativismus in Über die drei Arten des rechtswissenschaftlichen Denkens an. Die in einer Passage in Dem Begriff des Politischen enthaltene Kritik an der naturrechtlichen Tradition, die in der Gesamtheit des Textes leicht aus den Augen zu verlieren ist, scheint eine Vorarbeit für Schmitts Kritik normativistischen Denkens zu sein; er vollzog sie, wie sämtliche sein berühmtestes Werk ausmachenden Argumentationen, im Rahmen der Polemik zwischen der Bejahung des Politischen und der sich über Säkularisierung, Neutralisierung und Technisierung menschlicher Angelegenheiten vollziehenden Entpolitisierung. Leichter Hand verwarf er die naturrechtliche Tradition als bloße „Berufung“ auf „ein sogenanntes Natur- oder Vernunft-Recht“ (Schmitt 1991, 66), das, vom Standpunkt politischen Denkens aus betrachtet, als Widerstand gegen den Status quo instrumentalisiert werde. Dabei berief sich Schmitt unmittelbar auf Hobbes als einen, der „klarer als alle Anderen“ erkannt habe, dass die Herrschaft einer höheren Ordnung eine leere Phrase sei (ebd., 66).Footnote 51

Angesichts der Vielschichtigkeit oder Gespaltenheit des Schmitt’schen Denkens, die sich im Laufe seines Lebens und Schaffens vollzog, muss man sich einen klaren Blick darüber verschaffen, wie Schmitt Hobbes im Zusammenhang mit der Dezisionismus-Frage in unterschiedlichen Werken und zu unterschiedlichen Zeiten gedeutet hat. Sowohl für die Politische Theologie als auch den Begriff des Politischen gilt, dass: 1) Schmitt Hobbes als Dezisionisten gedeutet hat; 2) auch seine eigene rechtswissenschaftliche und politische Auffassung vom Staat dezisionistisch war; 3) die Auffassung von Dezisionismus als rechtswissenschaftlicher Denkart von seiner Auseinandersetzung mit dem Hobbes’schen Souveränitätsbegriff geprägt war. An der Auffassung von Hobbes als einem Dezisionisten hielt Schmitt trotz aller Vorbehalte fest: Hobbes bleibe, so Schmitt, „trotz Nominalismus und Naturwissenschaftlichkeit, trotz seiner Vernichtung des Individuums zum Atom, doch personalistisch“ (1990, 61), er bleibe ein Dezisionist, „wenn auch mit einem mathematischen Relativismus“ vermischt (ebd., 66). Den Hobbes’schen Dezisionismus als eine personalistische Denkweise zu interpretieren bot für Schmitt die Möglichkeit, dessen positivistische Interpretation zu entkräften. Denn Schmitt wusste, dass die Trennlinie zwischen den beiden Arten des rechtswissenschaftlichen Denkens, wie ich demnächst erläutere, eine dünne ist.

Die dezisionistische Deutung Hobbes’ ist der Kernbestandteil seiner Auffassung als politischer Denker, an der Schmitt in der Politischen Theologie und im Begriff des Politischen festhielt. Erst in seinem Hobbes-Buch kam er zu einer Reflektion darüber, wie sich der Hobbes’sche juristische Personalismus und Dezisionismus zu dem positivistisch zu verstehenden Individualismus verhalte. Seine Auseinandersetzung mit Hobbes im Rahmen von Politischer Theologie und dem Begriff des Politischen kann also als eine äußerst tendenziöse Interpretation beurteilt werden.

Auch im Rahmen seiner Überlegungen über die Arten rechtswissenschaftlichen Denkens rechnete Schmitt Hobbes dem dezisionistischen Denken zu. Seine Erläuterungen spitzte er so zu, dass er den Eindruck erzeugte, der Dezisionismus Hobbes’ sei nichts mehr als die Forderung, sich mit dem Tatsächlichen zufriedenzugeben (z. B. „Alles Recht, alle Normen und Gesetze, alle Interpretationen von Gesetzen, alle Ordnungen sind für ihn wesentlich Entscheidungen des Souveräns, und Souverän ist nicht ein legitimer Monarch oder eine zuständige Instanz, sondern eben der, der souverän entscheidet“, Schmitt 1993, 23). Schmitt erhob Hobbes sogar zum ersten Dezisionisten überhauptFootnote 52 und betonte die Klarheit, mit der die logische Struktur des Dezisionismus bei diesem zum Ausdruck kam. Sie komme durch den Gegensatz zum Vorschein, der für die Begründung der Notwendigkeit des politischen Lebens maßgebend sei: den Gegensatz zwischen dem staatlichen Zustand als Ordnung und Sicherheit, der mittels des souveränen Willens zustande komme, und der Unordnung und Unsicherheit des Naturzustandes. Die Tatsächlichkeit der Entscheidung: „dass (nicht: wie) entschieden wird“ (ebd., 24) – sei das einzige die Autorität auszeichnende Merkmal.

In Dem Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes begegnet man Schmitts ausdrücklicher Einschätzung von Hobbes als einem dezisionistischen Denker an der Stelle, an der er sich mit dem Untergang des Staates als eines großen Menschen (zugunsten seiner Gestalt als Maschine, Mechanismus) auseinandersetzte. Die dezisionistische Deutung Hobbes’ führte Schmitt auf dessen Vorstellung von der Souveränität zurück, deren Quintessenz in der Formel auctoritas, non veritas liege: „Aber Hobbes, der große Dezisionist, vollbringt auch hier seine typisch dezisionistische Wendung: Autoritas [sic], non Veritas. Nichts ist hier wahr, alles ist hier Befehl. Wunder ist das, woran die souveräne staatliche Gewalt als an ein Wunder zu glauben befiehlt“ (1982, 82). Diesem Zitat gegenüber steht eines, das etwas anderes bekundet: Dasselbe auctoritas, non veritas sei, so Schmitt, das Prinzip „positivistisch-technischen Denkens“ (ebd., 68 f.). Dagegen sind in den Anmerkungen Schmitts über den Positivismus in Politischer Theologie noch keine Bezüge zu Hobbes enthalten (vgl. 1990, 51, 64).

Diese Vagheit, in der Schmitt mit Dem Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes verblieb, setzte sich in seinen Nachkriegsüberlegungen Ex Captivitate Salus und Glossarium fort, bis Schmitt 1963 mit dem Hobbes-Kristall alle Karten auf den Tisch legte. Im Anschluss schlug Schmitt in „Der vollendeten Reformation“ einen Bogen zu seiner Politischen Theologie aus dem Jahr 1922 zurück und griff erneut zu seiner These von Hobbes’ „spezifisch juristischem Personalismus“ (1982 a, 168): „Dieses Quis judicabit? beherrscht das Denken des Thomas Hobbes. […] Es ist die Frage nach der rechtskräftig, d. h. inappellabel und insofern unfehlbar interpretierenden Person oder Instanz, keine Frage nach der Substanz“ (ebd., 168).

Es war also das Hobbes-Buch, in dem der Kampf um die dezisionistische und positivistische Deutung Hobbes’ ausgetragen wurde – das in den früheren Werken spürbare, von Schmitt aber umgangene Dilemma des Hobbes’schen Dezisionismus brach 1938 mit voller Kraft aus. Der Nachkriegs-Schmitt erkannte die positivistische Prägung des Hobbes’schen Denkens resigniert an, ohne diesen als Dezisionisten zu zelebrieren. Das konnte er, indem er einen Deutungsspielraum hinsichtlich der Kategorie des Positivismus selbst öffnete. Dieser Schritt mag Schmitt von seinem intellektuellen Zerrissen-Sein befreit haben, jedoch nur um ihn zugleich der Gefahr einer willkürlichen Hobbes-Interpretation auszuliefern.

Wie schon erwähnt worden ist, werden die in Dem Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes enthaltenen Hinweise auf Hobbes als einen dezisionistischen Denker mit einer anderen Art von Aussagen konfrontiert. Bei der Darlegung der vierfachen Gestalt des Leviathan – der eines großen Menschen, eines sterblichen Gottes, eines Tiers bzw. mythischen Ungeheuers und einer Maschine (Schmitt 1982, 48) – kam es Schmitt vor allem auf den Gegensatz zwischen der personalistischen und der mechanistischen Komponente an, die sich laut seiner Interpretation zugunsten der zweiten aufgelöst habe: „Der Mechanisierungsprozess [des Staates] wird aber durch diesen Personalismus nicht aufgehalten, sondern sogar erst vollendet“ (ebd., 54). Was bedeutet diese die Argumentation Schmitts abrundende Aussage in Bezug auf die Deutung Hobbes’ als eines dezisionistischen Denkers?

Und inwiefern entspricht die Auflösung der personalistischen Charakteristika der Souveränität zugunsten der mechanistischen Hobbes’ ursprünglicher Zielsetzung? „[W]orauf es [für Hobbes] ankommt“, sei, laut Schmitt, „nicht die Repräsentation durch eine Person, sondern die faktisch-gegenwärtige Leistung des wirklichen Schutzes“ (ebd., 53). Damit ist nicht nur gesagt, dass die dezisionistische Vorstellung des Rechts in ihrem Wesen auf die souveräne Ordnung ausgerichtet und ohne sie nicht zu denken sei, sondern auch, welche widersprüchliche Transformation die dezisionistische Logik durchlaufe, wenn das Alleinstellungsmerkmal des Souveräns auf seine faktische Kapazität zum Schutz des Individuums reduziert werde und der Leviathan seinen „Wert, seine Wahrheit und seine Gerechtigkeit in seiner technischen Vollkommenheit“ habe (ebd., 69).

Der Dezisionismus in der idealtypischen Erscheinungsform bringe sich, so Schmitt, genau dadurch zu Fall, wodurch er sich vom Normativismus unterscheide und seine Spezifik begründe: durch die Loslösung „von jeder inhaltlich substanzhaften, religiösen oder rechtlichen Wahrheit und Richtigkeit“ (ebd., 67 f.), die in der Formel auctoritas, non veritas verkörpert sei. Da der Souverän dem dezisionistischen Ansatz gemäß keine andere Stütze außer seiner Macht habe und diese sich den individuellen Bedürfnissen gegenüber als bloße Funktionalität erweise, könne es auch kein Argument liefern, das gegen die Ersetzung des Souveräns als einer repräsentativen Person durch einen depersonalisierten Verwaltungsmechanismus spräche, wenn dieser nur den Ansprüchen der Funktionalität besser genüge. Damit schlage der Dezisionismus in seine Negation um, denn ein Mechanismus zeige sich genau demgegenüber ohnmächtig, was das Wesen des Souveräns ausmache: der ordnungsstiftenden Kapazität, d. h. der Fähigkeit, Unordnung in Ordnung umzuwälzen.

Dies ist die Erklärung dafür, was Schmitt mit „[d]er Mechanisierungsprozeß wird aber durch diesen Personalismus nicht aufgehalten, sondern sogar erst vollendet“ im Sinne hatte. Die souverän-repräsentative Person sei nämlich gar keine souverän-repräsentative, sie sei „selber nur ein Produkt menschlicher Kunst und Intelligenz“ (ebd., 54). Die von Hobbes in seiner Leviathan-Einleitung mit der Seele verglichene Souveränität, die „dem ganzen Körper Leben und Bewegung verleiht“ (2013, 13), werde, musste Schmitt feststellen, „zum bloßen Bestandteil einer künstlich von Menschen gemachten Maschine“ (1982, 54). Weil es in einem liberalen Rechtsstaat nicht auf „die Repräsentation durch eine Person, sondern die faktisch-gegenwärtige Leistung des wirklichen Schutzes“ ankomme, konnte die Erstere „die im Laufe des folgenden Jahrhunderts sich vollziehende völlige Mechanisierung der Staatsvorstellung nicht aufhalten“ (ebd., 53). Die Ohnmacht der Nichts-als-Technik sei so zu erklären, dass der ordnungsstiftende Willensakt ohne jeglichen metaphysisch oder religiös aufgefassten Wahrheitsgehalt unmöglich sei.

Wenn Dezisionismus die Ablehnung jeglicher normativer Abhängigkeit bedeute und dem „normativen Nichts“ entspringe, ist er von den Mechanisierungs- und Positivierungsdynamiken noch irgendwie zu retten? Ein alternatives Szenario wäre denkbar, wenn man davon ausgeht, dass die Ablehnung der Normativität lediglich bedeute, dass die Frage nach dem Inhalt der souveränen Entscheidung gegenüber der Tatsache der Entscheidung überflüssig sei. Dass dies in keiner Weise als irgendeine Erwartung an den Souverän verstanden werden solle, sich von seinen normativen Vorstellungen zu verabschieden; sondern nur eine Forderung an die Untertaninnen darstelle, dem Souverän unabhängig von eigenen Ordnungsvorstellungen zu gehorchen.

Eine solche Auffassung des Dezisionismus vertrat Hermann Lübbe, der die Begründung (den Wahrheitsgehalt) von der Geltung des Rechtsaktes trennte; die beiden Elemente würden koexistieren, ohne dass das eine das andere unterwerfe oder leugne. Es ist gerade diese differenzierte Betrachtung, die für Lübbe nicht nur die Essenz des Dezisionismus ausmachte, sondern auch den Vorteil des Liberalismus (!). „Liberale politische Ordnung setzt […] voraus, dass die Verbindlichkeit politischer Entscheidungen […] eine andere ist als die Verbindlichkeit von Wahrheitsansprüchen in den Begründungen […]. Die Wahrheitsfähigkeit politisch-praktischer Fragen wird damit nicht in Zweifel gezogen“ (Lübbe 1975, 950).

Dass Schmitt jedoch an die Möglichkeit eines liberalen (d. h. nicht theologisch fundierten) Dezisionismus, der nicht auf einen zwangsfähigen, aber entscheidungsunfähigen Mechanismus hinausliefe, nicht geglaubt hätte, suggeriert nicht nur seine Auffassung von Liberalismus, sondern auch die folgende Aussage in Über die drei Arten des rechtswissenschaftlichen Denkens: „Den letzten Rechtsgrund aller rechtlichen Geltungen und Werte kann man juristisch in einem Willensvorgang, in einer Entscheidung finden“ (1993, 21). Es ist zu unterstreichen, dass Schmitt hierbei nicht von einer „Rechtsquelle“, sondern vom „Rechtsgrund“ sprach, was die Schlussfolgerung nahelegt, dass in seinem Verständnis von Dezisionismus nicht nur die Tatsache, sondern auch der Inhalt einer rechtlichen Entscheidung dem diese Entscheidung treffenden Willen unterlag.

Dezisionismus befreie den Souverän, soweit er in einer Person verkörpert ist, davon, sich auf die kritische Prüfung seiner Entscheidungen einzulassen, solange er die generelle Ordnung (im Wesentlichen den inneren Frieden) aufrechtzuerhalten vermöge. Allein dadurch werde er zwar des Inhaltes seiner Entscheidungen nicht beraubt; wenn jedoch der Souverän zum Mechanismus werde − und das passiert unweigerlich, wenn er nicht in einer Glaubensordnung (Veritas: Jesus Christus) situiert sei − , dann werde er nicht nur von potenziellen Einwänden frei, sondern gar von der Fähigkeit, irgendwelche inhaltlichen Auffassungen zu haben und souveräne Entscheidungen zu generieren.

Die Mechanisierung des Staates als Institution der „Zwangsmotivation“ stelle eine Transformation dar, mit der „ein neuer Boden rechtlichen und staatstheoretischen Denkens gewonnen [wird], nämlich der des juristischen Positivismus“ (Schmitt 1982, 70). So sei der Übergang von der dezisionistischen zur positivistischen Auffassung des Rechtes schon in der Formel auctoritas, non veritas facit legem, in der Ausschaltung substanzieller Wahrheits- und Gerechtigkeitsinhalte (ebd., 110) vorausgesetzt − es sei denn, man bekenne sich zugleich zu einer konkreten veritas. Das Recht werde durch den den Streit um das Recht entscheidenden Befehl begründet und werde, um die Berechenbarkeit und die Zwangsfunktionalität zu erhöhen (Stichwort „Gehorsamserzwingungschance“; ebd., 110), auf das Gesetz reduziert (Schmitt 1993, 23). Somit füge sich die dezisionistische Forderung nach einer das Recht schaffenden Entscheidung der positivistischen Logik, die laut Schmitt von Hobbes „folgerichtig und systematisch zu Ende gedacht“ (1982, 103) wurde.

An dieser Stelle bietet sich noch ein Blick auf Über die drei Arten des rechtswissenschaftlichen Denkens an, dessen drittes Kapitel dem juristischen Positivismus „als Verbindung von Entscheidungs- und Gesetzesdenken (Dezisionismus und Normativismus)“ gewidmet ist. Einerseits erfasste Schmitt diese Verbindung als „eine innerlich folgerichtige Entwicklung vom Willen zur Norm, von der Entscheidung zur Regel, vom Dezisionismus zum Normativismus“Footnote 53 – es war die Mechanisierung, die substanzielle Entleerung, die der Entpersonalisierung des Souveräns folgte, die mit dieser „folgerichtige[n] Entwicklung“ gemeint war. Andererseits gab er zu verstehen, dass Positivismus weder normativistisch noch dezisionistisch sei, dass er diese juristischen Denkarten bloß vereinnahme: „je nach Lage der Sache“ gebe sich der Positivismus „bald dezisionistisch, bald normativistisch“, „um dem allein maßgebenden positivistischen Bedürfnis nach Sicherheit und BerechenbarkeitFootnote 54 zu genügen“ (Schmitt 1993, 29 f.). Während für Schmitt sowohl Normativismus als auch Dezisionismus als an sich unzulänglich galten, war Positivismus eine von Grund auf irrige Denkstruktur, die durch beliebige Instrumentalisierung der beiden genannten Denkweisen nicht nur diese Unzulänglichkeiten nicht überwinden könne, sondern ihre Widersprüche absorbiere und vergrößere.

Es ist also einerseits die gespaltene Haltung Schmitts hinsichtlich des Verhältnisses zwischen Dezisionismus und Positivismus, andererseits (und zugleich) hinsichtlich der Deutung Hobbes’ im Rahmen dieser Problematik, die der Wirrnis seiner Erwägungen zugrunde liegt. Während er vor seiner „Entdeckung“ des Ordnungsdenkens weder eine Verbindung von Dezisionismus und Positivismus sahFootnote 55 noch in Hobbes einen Vorläufer des positivistischen Rechtsstaates, wurde die frühere Zuversichtlichkeit über Hobbes als Dezisionisten in Dem Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes ausgelöscht. Aus Abgrenzungen wurden Zusammenhänge, die Konzepte gerieten durcheinander: Hobbes war einerseits „der revolutionäre Vorkämpfer eines wissenschaftlich-positivistischen Zeitalters“, andererseits blieb er „ein ,vir probus‘ beim christlichen Glauben“, der „die natürliche Einheit von geistlicher und weltlicher Macht verteidigte“ (Schmitt 1982, 126 f.).

Nach 1945 figuriert Hobbes nicht mehr ausdrücklich als Dezisionist. Andererseits erkennt man, dass dezisionistische Züge für Schmitt Teil seiner politiktheologischen Interpretation Hobbes’ waren und er sein früheres Interesse an Hobbes als Vertreter dezisionistischer Rechtslehre angesichts der These politischer Theologie nicht aufgegeben hat – z. B. an seinen Anmerkungen zum Thema Sprache und ihre Rolle im Politischen. Durch die Sprache artikuliere sich die politische Gewalt, in Sprache werden Verpflichtungen geschaffen. „[E]ine durch Menschen-Wort und -Sprache geschaffene und insofern künstliche Verpflichtung [könnte] für Hobbes die stärkere und tiefere Bindung bedeuten, die keiner Abstützung von einer (problematisch gewordenen) Natur her bedarf“ (Schmitt 1982 a, 141 f.; siehe auch S. 100).

Auf Kosten der konzeptionellen Überdehnung konnte Schmitt in seiner späten Hobbes-Deutung auch dessen Positivismus und Rationalismus im Rahmen einer politischen Theologie würdigen. Hobbes war zwar „der geistige Vater des modernen juristischen Positivismus […] der Wegbereiter des liberalen Gesetzesstaates“ (ebd., 156 f.). Jedoch „ehe man ihm den guten Glauben abspricht, wären die anderen Möglichkeiten seiner Denkhaltung zu prüfen, und wenn er ein ,Positivist‘ war, so sind auch die sinnvollen und loyalen Möglichkeiten eines Positivismus zu beachten, wie sie sich in den Situationen eines konfessionellen Bürgerkrieges für einen Denker der philosophia moralis konkret ergeben, wenn er nach hundertjährigem Streit schließlich nur noch ein einziges Ziel vor Augen sieht: den Frieden, das Ende des Bürgerkrieges“ (ebd., 149 f.).Footnote 56 Was diese „sinnvollen und loyalen Möglichkeiten“ seien, und vor allem, dass es solche gebe, hat Schmitt mit seinem Hobbes-Kristall (1991, 121 f.) bekannt gegeben: „Der Hobbes-Kristall zeigt, dass der Positivismus die Transzendenz nicht ausschließt (so wenig wie die Transzendenz den Positivismus)“ (1982 a, 172).

Schmitts ultimatives Argument, dass Hobbes für uns in erster Linie als ein politischer Lehrer von Wert sei, war seine besondere Betonung der personalistischen Komponente von dessen rechtstheoretischem Denken, die ihren Ausdruck in der Frage Quis judicabit habe. Hobbes sei „weder ein großer Mathematiker, noch ein Physiker, noch ein Philosoph im Sinne einer Theorie der Naturwissenschaften“ gewesen (ebd., 166), weil diese Frage, die im Mittelpunkt seiner praktischen Philosophie stehe (ebd., 172), von „einer funktionalistischen Naturwissenschaftlichkeit“ aus nicht vorstellbar sei (ebd., 168). Mit der These über Hobbes als politischen Theologen ist die zentrale Bedeutung dieser Frage natürlich gut in Übereinstimmung zu bringen, wenn man, wie Schmitt, Hobbes’ politische Theologie auf die Frage zuspitzt, ob die Hoheit bei der weltlichen oder bei der geistlichen Gewalt liegt. Denn Hobbes habe auf die Frage Quis judicabit? die Antwort gegeben, es sei ein politischer Souverän.

Was mit diesem Unterkapitel gezeigt worden ist, ist, dass es in der Hobbes-Deutung Schmitts auf die Frage ankommt, wie sich der Dezisionismus zu dem Positivismus im Allgemeinen und der juristische, personalistische Dezisionismus Hobbes’ zu seinem positivistischen, wissenschaftlichen Individualismus verhalte. Es bleibe bei der Aufspaltung von Hobbes in einen Aufklärer einerseits und einen vir probus andererseits und bei der zuvor erläuterten Unbestimmtheit zwischen, einerseits, der Positivierung des Dezisionismus als einer folgerichtigen Entwicklung und, andererseits, als widersprüchliche Instrumentalisierung des Befehldenkens. Die Spaltung, die sich in dem Denken Schmitts vollzog, kann und sollte als eine Spaltung, so möchte ich behaupten, der Dezisionismus-Auffassung selber aufgefasst werden; eine Spaltung, die auf der Unterscheidung zwischen auctoritas und potestas beruht, die Schmitt in der Verfassungslehre erläuterte.

Dezisionismus als Entscheidungsdenken erwog Schmitt einerseits politisch und andererseits positivistisch. Im ersten Fall, dem man auch die politiktheologische Form des Dezisionismus zurechnen kann, wurde die entscheidende Gewalt als auctoritas, im zweiten als potestas gedacht: Nur der letztere Fall, d. h. nur eine Entscheidung, die auf potestas beruht, zwingt die entscheidende Instanz dazu, einem situationsgebundenen Befehl die Form einer allgemeingültigen Norm zu geben, weil sie durch keine Autorität im substanziellen Sinne verbürgt wird − nur durch den Willen. Die Abwesenheit einer solchen Autorität erfordert einen Bezwingungsapparat, dessen wichtigster Vorteil darin liegt, Erwartungssicherheit zu gewährleisten. Nicht eine solche potestas, sondern den substanziell gedachten Dezisionismus musste Schmitt im Sinne gehabt haben, als er 1934 behauptete: „nicht der Befehl als Befehl, sondern die Autorität oder Souveränität einer letzten Entscheidung“ sei „die Quelle allen ,Rechts‘“ (1993, 21).

Sowohl 1934 als auch 1938 zeigte sich Hobbes bei Schmitt an der Schnittstelle von Dezisionismus, der im Zusammenhang mit auctoritas und dem, der in Verbindung mit potestas gedacht wird. Die souveräne Entscheidung bei Hobbes sei, so Schmitt, „summa auctoritas und summa potestas in Einem“ (1982, 23); es sei für Hobbes gerade „wesentlich, dass er zwischen auctoritas und potestas nicht mehr unterscheide und die summa potestas zur summa auctoritas macht“ (ebd., 68 f.).Footnote 57 Wie Schmitt wiederum in dem Hobbes-Kristall die Möglichkeit der Koexistenz der Transzendenz und des Positivismus behaupten konnte, wird greifbar, wenn man sich die Frage stellt, welche Autorität Schmitt gemeint haben konnte, die, „aus einem normativen Nichts“ entsprungen (1993, 23), zugleich zur Quelle der Ordnung werden konnte.Footnote 58

2.8 Schmitts kniffliger Existenzialismus in seinem Wandel und im Verhältnis zu der theologischen Hobbes-Deutung

Die Bezeichnung des Schmitt’schen Denkens als existenzialistischFootnote 59 ist unter den renommierten Schmitt-Interpreten (z. B. McCormick, Meier, Mehring, Kersting) keine Seltenheit. Die Lesarten dieser Autoren scheiden sich jedoch an der Frage, wie sich das, was man bei Schmitt als existenzialistisch bezeichnet, zu den theologischen Zügen seiner Lehre bzw. zu seiner politischen Theologie verhalte.

So bemerkte Meier, dass „die Deutung des politischen Theologen Schmitt […] in einem grundsätzlichen Gegensatz zu dem […] Bild vom Existentialisten und oder Nihilisten Schmitt [steht]. In dieser Interpretation ist von Offenbarung und Christentum keine Rede“ (2013 c, 149). Eine solche Interpretation wird von McCormick vertreten.Footnote 60 Für diesen Autor stellte die Kategorie „existenziell“ den Bezug zu der Tatsache her, dass Menschen angesichts der Freund-Feind-Unterscheidung zu tödlicher Gewalt greifen könnten (McCormick 2016, 269). Den Schmitt’schen Existenzialismus untersuchte McCormick vor dessen biographischem Hintergrund. Die Ästhetisierung der Gewalt im Rahmen eines politischen Mythos, die McCormick in Schmitts Hobbes-Deutung erkannte, nahm er als Beweis für die Abkehr Schmitts von der Idee der Religion als eines für die politische Einheit und staatliche Stabilität unabdingbaren Faktors. Dabei stellte er die These auf, dass der Rückzug der Religion aus dem politischen Denken Schmitts, dessen Nichtbeachtung er in der Interpretation Meiers festzustellen glaubte, auf die Exkommunikation SchmittsFootnote 61 im Jahr 1926 zurückzuführen sei (McCormick 1997, 263). Auch von Mehring, der sich bis ins kleinste Detail mit dem biographischen Hintergrund Schmitts auseinandersetzte, ist dieser Episode seines persönlichen Lebens und ihrer Wirkung auf seine politischen Anschauungen eine besondere Bedeutung zugemessen worden. In dem „Stimmungswechsel“ benannten Unterkapitel seiner Schmitt-Biographie merkte er an, dass dessen Gesinnung innerhalb weniger Jahre einer Umwälzung unterlag: Die Überzeugung, dass die Kirche eine Alternative zum Staat darstellt, löste sich in dem Gedanken auf, dass die staatliche Autorität alternativlos sei – somit deutete sich „Schmitts Weg in den ,totalen‘ Staat“ „leise“ an (Mehring 2009, 184).

In Dem Begriff des Politischen, „Dem Zeitalter der Neutralisierungen und Entpolitisierungen“ und auch schon in der Verfassungslehre ist auffällig, dass Schmitt die politische Existenz als konkret und im Gegensatz zur Norm auffasste (siehe z. B. 1991, 27 f., 49 f., 64 f.; 1991 a, 84; 1993 a, 9): Dies ist das Leitmotiv seiner existenzialistischen Denkart. Es waren vor allem der Konflikt und die Unterscheidung zwischen Freund und Feind, die Schmitt existenzialistisch dachte: „Ich sterbe nicht, denn mein Feind lebt noch. Die einzige konkrete Kategorie des Existentialismus habe ich gefunden: Freund und Feind“ (2015, 151).

Auch Machiavelli und Hobbes als „Theoretiker der Politik“, so Schmitt in Dem Begriff des Politischen, hatten „immer die konkrete Existenzialität eines möglichen Feindes im Auge“ (1991, 64 f.). Dies steht in Kontrast zu der von Kersting geäußerten Erwartung, dass es gerade „diese Rückbesinnung auf das fundamental Existentielle der Politik“ ist, was Schmitt hätte bewegen sollen, „sich von Hobbes zu distanzieren“ (2009, 115 f.).

Neben der existenzialistischen Deutung eines als protoliberal geltenden Theoretikers ist Schmitts existenzialistische Haltung vor allem durch ihre – vor allem von Meier behauptete – Verbindung mit seinen politiktheologischen Denkzügen eine eigenartige. Dass diese Verbindung nicht gesehen werde und Schmitts existenzialistische Haltung und seine religiöse Sicht, im Gegenteil, als Gegensätze verstanden würden, gehe, so Meier, auf „einen Essay zurück, den Karl Löwith 1935 pseudonym unter dem Titel Politischer Dezisionismus veröffentlichte“ (2013 c, 149). In Meiers Interpretation habe gerade die Auseinandersetzung mit der politischen Theologie Schmitt zur „Begründung und Behauptung einer existentiellen Position“ verholfen (Meier 2013 b, 161). Den aussagekräftigsten Beweis dafür fand er in der dritten Fassung (1933) vom Begriff des Politischen, in dem von einer „ontologisch-existentiellen“ Denkart die Rede ist. Sie sei, so Schmitt, „einem theologischen wie einem politischen Gedankengang wesensgemäß“ (2018, 197). Sowohl im Politischen als auch im Glauben werde der Mensch ganz und existenziell erfasst, weil ihm „die schlechthinnige Entscheidung über das eigene Leben abverlangt wird“. Diese schlechthinnige Entscheidung trete in Form der Unterscheidung zwischen Freund und Feind auf (Meier 2012, 62 f.). Dass der Mensch laut Schmitt gerade im Glauben „ganz und existentiell“ erfasst werde, bedeute zugleich, so Meier, dass es „unzureichend“ wäre, die Schmitt’sche „Sicht des Politischen [nur] als existentiell zu charakterisieren“ (ebd., 62 f.). Sich „wirklich, nicht nur existentiell, sondern ganz“ infrage zu stellen bedeute, „mich ganz oder in dem, was für mich das Wichtigste ist, woraus und wofür ich lebe, zu erkennen“ (ebd., 78; mehr dazu, wie Schmitts politische Theologie existenzialistisch verstanden werden könne, auf S. 47 dieser Arbeit).

Kennt man die Meier’sche Interpretation, bereitet die offensichtlich theologisch geprägte Deutung von Hobbes in der Rezensionensammlung Schmitts aus Jahr 1965 und im Hobbes-Kristall-Kommentar von 1963 der Leserin keine Überraschung. Das Schutz-Gehorsamkeit-Axiom deutete Schmitt nun als ein in naturrechtlichen und durch den hinzutretenden Befehl Gottes bindend gewordenen Geboten verwurzeltes (1982 a, 138 f.). Der Hobbes’sche Souverän war „ein Christ; nicht zufällig und nicht anders“ (ebd., 139) – und die bürgerliche Gesellschaft ein christliches Gemeinwesen, das eine den anderen religiösen Traditionen gegenüber keineswegs neutrale Wahrheit, dass Jesus der Christus sei, vertrete. Den Naturzustand glich Schmitt nun der Lage des Verfalls an, die Annahme natürlicher Bosheit, die in der christlichen Lehre so nicht vertretbar wäre, wurde nunmehr zu der Behauptung menschlicher Rat- und Hilflosigkeit (1991, 122.).

Zwar kündigte Schmitt schon in Dem Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes an, dass Hobbes, „da er einem christlichen Volk angehörte, […] als ein ,vir probus‘ beim christlichen Glauben und […] für ihn ,Jesus der Christ‘ [blieb]“ (1982, 126 f.). Jedoch fällt es der Leserin schwer, diese von Pathos erfüllten Worte ernst zu nehmen, wenn ihnen, anders als in „Der vollendeten Reformation“, eine sich von Kapitel zu Kapitel erstreckende Argumentation vorangestellt wird, in der dem Hobbes’schen Leviathan die Schlüsselrolle in der Entwicklung liberaler Rechtsstaatlichkeit zugemessen wird. Auch die sich in Ex Captivitate Salus findende Aussage über das Verhältnis der Hobbes’schen Lehre zum Christentum klingt eher entschieden als theoretisch durchdacht (Schmitt 1950, 72 f.). In „Dreihundert Jahre Leviathan“ (Schmitt 1995, zum ersten Mal 1951 erschienen) verzichtete Schmitt bei Hobbes gar auf jegliche direkte Unterstellung des christlichen Glaubens. Dafür hat er 1963 die Herausforderung gesucht, zu zeigen, dass er der theoretischen Prüfung Hobbes’ als politischem Theologen gewachsen sei.

Das, was Schmitt der neuen Ausgabe von Dem Begriff des Politischen im Jahr 1963 hinzufügte und als Hobbes-Kristall bezeichnete, sowie ein knapper begleitender KommentarFootnote 62 (unter „Hinweisen“ zu finden), stellt die Quintessenz Schmitt’schen Vorhabens dar, das existenzielle oboedientia et protectio bei Hobbes mit dem essenziellen veritas: Jesus Christus zu verbinden und die Leserin von der Vereinbarkeit der grundlegenden Bedürfnisse nach Schutz und Sicherheit, die das Individuum in sich trage, mit der Transzendenz – solange das christliche Bekenntnis nicht auswechselbar bleibe – zu überzeugen. Zwischen „der Wahrheit des öffentlichen Kultes“ (Schmitt 1991, 122) und dem Schutz und Gehorsam des Individuums werde über die Formel auctoritas, non veritas, facit legem vermittelt. In diesem theologischen Zusammenhang deute sie auf die Notwendigkeit, die Wahrheit des Glaubens „in rechtsverbindlicher Weise“ zu interpretieren (ebd., 122). Das Letztere erfolge durch die direkte Gewalt, potestas directa (ebd., 122).

Die Vorstellung der Vereinbarkeit religiöser Autorität und politischer Gewalt, die sich in Schmitts Hobbes-Deutung der Nachkriegszeit manifestierte, zeigt einen Zusammenhang, der für Schmitt weder kontingent noch „nur“ theoretischer Natur war, sondern inhärent, notwendig, real. Um die Essenz dieses Verhältnisses, das mit dem Begriff der politischen Theologie bezeichnet werden kann, zusammenzufassen, stelle das Politische den gelebten Glauben dar; das Politische sei Handeln im Glauben, vom Glauben her und um des Glaubens willen. Das politische Handeln verkörpere und bejahe die Antwort auf die Frage, wie man leben solle; die Frage könne ihrerseits nicht anders als vom Glauben her beantwortet werden, denn sie sei, letztendlich, die Frage des Glaubens oder Nicht-Glaubens. Von diesem Standpunkt aus betrachtet gebe es auf die Frage nach dem richtigen Leben keine andere Art der Antwort als eine durch das Handeln. Die Frage nach dem richtigen Leben sei, der Logik Schmitts politischer Theologie folgend, nicht die Frage des Menschen, sondern die Frage an den Menschen – und diese Frage werde an ihn, wie Meier es in seiner Interpretation schilderte, mittels des Feindes gestellt. Beantwortet werde sie dadurch, dass der Feind erkannt werde und einen entsprechenden Umgang erfahre. Der Gegensatz zwischen den Freunden und den Feinden stehe in einer strukturellen Parallele zum Theologischen, zu dem Gegensatz zwischen den Erlösten und den Nicht-Erlösten (Meier 2012, 130). Anders und zusammenfassend gesagt, erweise und beweise sich der Glaube einer Person mittels ihrer politischen Positionierung. Bei der Beantwortung der Frage nach dem richtigen Leben, die das Leben im Glauben darstelle, finde man sich in Gegensätzen, die zugleich politische Gegensätze zwischen Freunden und Feinden seien. Politisch seien sie, weil sie die intensivste Art der möglichen Gegensätze darstellen würden, die sich unter den Menschen ergeben könnten. Die Intensität bestehe wiederum darin, dass die Möglichkeit einer physischen Tötung des Feindes, sollte es zur direkten Auseinandersetzung kommen, nicht auszuschließen sei.

So wie das Politische nur aufgrund des Theologischen existiere („der Mensch kann politisch nur ganz erfasst werden, weil und insofern das Politische einer theologischen Bestimmung gehorcht“, ebd., 123), könne auch das Letztere in der politischen Theologie Schmitts politisch nicht nur werden, sondern sei es schlechthin (ebd., 117). So wie es kein politisches Handeln ohne Bezug auf die Frage des Glaubens gebe, so gebe es auch keinen („richtigen“) Glauben, der sich zur Frage des Freundes und des Feindes neutral verhalte – die Neutralität sei eine bloße Deklaration, die entweder auf Täuschung oder auf Selbst-Täuschung zurückzuführen sei und vom Nicht-Glauben herrühre. Tertium non datur – es gebe nichts außerhalb dieses Gegensatzes, weil nichts vom Anspruch des Souveräns ausgenommen werden könne (ebd., 121).

Eine entsprechende theologische „Umdeutung“ erfuhr in der Schmitt’schen Nachkriegsrezeption Hobbes’ auch dessen Staatssymbol. In „Der vollendeten Reformation“ wies Schmitt auf „eine wichtige Lücke“ hin, die seine Leviathan-Schrift aufgewiesen hatte (1982 a, 145). Zugleich versprach Schmitt, sich diesem Makel der eigenen Interpretation am Ende seines Rezensionsaufsatzes zuzuwenden. Dreißig Seiten später findet man Schmitts Bezeichnung von Hobbes’ Leviathan als einem „der großartigsten Dokumente des Kampfs zwischen geistlich-kirchlicher und weltlich-politischer Gewalt“ und den Hinweis auf das Buch Hiob (zum Letzteren siehe S. 211 dieser Arbeit). Der Leviathan bedeutete für Hobbes, ließ Schmitt verstehen, einen einheitlichen politisch-konfessionellen Körper, „dessen Seele die Priester, dessen bewaffneter Arm die Soldaten und dessen Füße die Bauern sind“ (ebd., 176). Zwar habe Schmitt schon 1938 eine Skizze der Nutzung und Wirkung des Leviathan-Bildes in biblisch-christlicher Tradition vorgelegt (1982, 10–16). Jedoch steht dieser Überblick in keiner Verbindung zu Hobbes’ eigener Intention und der Rolle des Symbols in seiner Staatslehre. Im Gegenteil: 1965 sprach Schmitt von seiner früheren Meinung, dass die Betitelung der Hobbes’schen Schrift nach dem Ungeheuer für ihren Autor „nur literarische Bedeutung“ gehabt habe (1982 a, 142; zu der teilweisen Revidierung dieser Meinung bereits in Dem Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes – allerdings ohne Bezug zur politischen Theologie – siehe Fußnote Nr. 32 in 2.3).

Der existenzielle Charakter des Schmitt’schen Denkens, der sich in Dem Begriff des Politischen mittels der These von der Unentrinnbarkeit des Politischen äußerte und durch den Hobbes-Kristall in den Rang der politischen Theologie erhoben worden ist, erweist sich als Prüfstein, an dem die Komplexität und Zwiespältigkeit von Schmitts Denken ersichtlich wird und an dem sich die sich damit auseinandersetzende Forschung scheidet. Unabhängig davon, welche Prägung man dem Existenzialismus Schmitts zurechnet (ob man sich dabei von der These der Ästhetisierung der Gewalt, vertreten von McCormick, oder Meiers Deutung der Lehre Schmitts als politische Theologie überzeugen lässt), lassen sich diese unterschiedlichen Interpretationsmöglichkeiten teilweise über die Ebene des zeithistorischen Forschungskontextes und der intellektuellen Einbettung Schmitts (auch des Adressatinnenkreises, an den sich Schmitt mit seinen Publikationen sowie persönlichen Briefen direkt oder implizit richtete) erklären. Ob man diese Stränge seines Denkens − den existenzialistischen und den politiktheologischen − als widersprüchlich wahrnimmt oder aber als etwas, was sich zu einer Einheit zusammenfügen lasse, bleibt letztlich der persönlichen Überzeugung der Leserin überlassen. Ich plädiere dafür, die Entwicklung der Hobbes-Deutung Schmitts als eine wahrzunehmen, die sich über Brüche vollzog: die Brüche im Sinne von Veränderungen des Verhältnisses Schmitts bzw. seiner existenzialistischen Grundstimmung zum Glauben. Gleich ob man die theologische Prägung herauszustellen oder sie beiseite zu lassen bevorzugt, sollte man sie weder ganz leugnen noch alles im Werk Schmitts ausschließlich auf sie zurückführen – und das gilt für jede Etappe seines Schaffens. Die Möglichkeit, die Geschichte dieser Brüche, den geistigen und rhetorischen Wandel Schmitts zu verfolgen, trägt zum realistischen Verständnis von Schmitt als Denker und vor allem als Hobbes-Interpreten bei.

2.9 Drei Etappen der Schmitt’schen Hobbes-Deutung. Ein Fazit

Anhand der vorangehenden Darstellung muss klar geworden sein, dass die Hobbes-Deutung Schmitts nicht als eine homogene Entität betrachtet werden darf – der Versuch, eine einheitliche, eine die für seine Hobbes-Deutung relevantesten Werke umfassende Interpretationslinie herauszuarbeiten, bietet einen Ausgangspunkt, von dem aus weit, aber nicht der ganze Weg zu gehen ist. Entweder wird ein homogenes Narrativ der Vielschichtigkeit und Wandlungen des Schmitt’schen Denkens, seinen Vorstellungen und Einstellungen nicht gerecht, weil es bestimmte Züge herausgreift und die anderen ausblendet. Dafür ist es – wie die These über seine Lehre als politische Theologie – ein Mittel, das erklärungstechnisch sehr effizient ist, weil es über Schmitt als Denker und Person sehr viel mit sehr wenig aussagt.Footnote 63 Oder dieses Narrativ muss mit zusätzlichen, die nebensächlichen Aspekte betreffenden Einsichten und Rekursen angereichert werden, andere Deutungsperspektiven und alternative Erklärungsversuche heranziehen, um die Hinterlassenschaft Schmitts in ihrem Wandel und ihren Widersprüchen zu erfassen. Die Verwendung der Bezeichnung „Widersprüche“ ist allerdings selbst nicht ohne Weiteres zu akzeptieren; eine solche Einschätzung zwingt dem zu deutenden Denker das Homogenitätsgebot sowie das Veränderungsverbot auf. Wird die Gesamtheit des Denkens dagegen nicht als ein fester Monolith, sondern eher als Prozess und Entwicklung, als eine Geschichte aufgefasst, spricht nichts dagegen, die unterschiedlichen Perspektiven oder Ausrichtungen in der Hobbes-Deutung Schmitts als Ausdruck der Vielschichtigkeit der Gesinnung oder als Ergebnis des beweglichen Fokus ihres Autors wahrzunehmen.

Mit dieser Erwägung im Blick verstehe ich die Hobbes-Deutung Schmitts in ihrer Gesamtheit folgendermaßen. Da die Unterschiede in dieser Deutung eine zeitliche Dimension aufweisen, bietet sich m. E. an, sie zeitlich aufzuteilen und jeder Etappe die passendste Bezeichnung und Erklärung zu verleihen. So wird man ihrer Vielgestaltigkeit gerecht. Zwar ist die Interpretation auch innerhalb dieser Etappen nicht homogen gewesen. Jedoch lässt sich jede Etappe von Schmitts „Umwertung und Aneignung“ von Hobbes (Meier 2012, 184) durch ein bestimmtes Grundverhältnis zu dessen Lehre erfassen.

Diejenige Fassung der Hobbes-Deutung Schmitts, die sich vor allem und am deutlichsten in Dem Begriff des Politischen manifestiert, lässt sich als politischer Dezisionismus verstehen. Diese Formel eignet sich zur Erklärung von Schmitts damaligem Denken vor allem wegen der dieses Werk durchdringenden Polemik gegen Liberalismus und Kritik des anthropologischen Idealismus, in dem er den Ursprung anarchistischer Positionen zu erkennen glaubte. Das Verhältnis zur Theorie Hobbes’ als ihre Instrumentalisierung zu bezeichnen (Schmitt selbst hat diese Instrumentalisierung natürlich nicht als eine solche, sondern als seine Wahlverwandtschaft mit Hobbes auf Basis des politischen Bewusstseins wahrgenommen), oder als eine instrumentalisierende Annäherung, befindet sich mit der weitverbreiteten Forschungsmeinung im Einklang, dass Schmitt über das Hobbes-Studium die politischen Kalamitäten der eigenen Zeit erwog. Die handlungsrealistischen und etatistischen Elemente in Schmitts politischem Denken konnten durch Bezüge auf Hobbes’ Souveränitätsverständnis und dessen Betonung der Wirksamkeit der Macht untermauert werden. Sie äußern sich in Schmitts Ausrichtung auf die Aufrechterhaltung der Angst vor dem Naturzustand (als Zusammenbruch politischer Ordnung) und auf das der politischen Ordnung zugrunde liegende Schutz-Sicherheit-Axiom.

Jede Bezugnahme auf Hobbes in Dem Begriff des Politischen bestätigte Schmitts damalige überaus positive Einschätzung des Hobbes’schen Denkens als eines dem eigenen nahestehenden. Hier ging es Schmitt am wenigsten darum, Hobbes an sich und von Grund auf zu deuten – die Aspekte Hobbes’scher Philosophie, die er in diesem Werk aufgriff, sind ausschließlich diejenigen gewesen, die mit seiner eigenen Staatsauffassung im Einklang standen und ihr Geltung verliehen. Dieses Urteil wurde einige Jahre später deutlich differenzierter, wenn auch nicht unbedingt in seinem entscheidenden Fazit.

Die zweite Etappe des Hobbes-Studiums Schmitts, deren Ergebnis Der Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes darstellt, unterscheidet sich von der ersteren durch eine substanzielle Kritik an Hobbes. Sie, wenngleich mit der pathetischen Bewunderung für Hobbes als politischen Lehrer und Staatstheoretiker durchmischt, äußerte sich über die Kritik an dem positivistischen Gesetzesstaat, der sich mit und infolge der Säkularisierung entwickelt habe. Einerseits setzte Schmitt in seinem Hobbes-Werk seine für den Begriff des Politischen maßgebende Liberalismuskritik fort, andererseits ging sie weit über ein politisches Manifest hinaus, für das sich Schmitt des Hobbes’schen Etatismus und anthropologischen Pessimismus bedient hätte. Die uneindeutige Ausrichtung der Argumentation Schmitts zeugt davon, dass seine Wahrnehmung von Hobbes im Vergleich zu der, die in Dem Begriff des Politischen zu verzeichnen war, mit der Zeit deutlich an Komplexität gewonnen hat und dass sein Versuch, 1936−1938, sich mit Hobbes primär und nicht im Rahmen eines anderen Vorhabens (z. B. einen Begriff des Politischen zu formulieren) auseinanderzusetzen, ihn für die Vielseitigkeit Hobbes’schen Denkens sensibilisiert hat. In Dem Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes demonstrierte Schmitt ein viel feineres Gespür für die Frage nach dem komplizierten Verhältnis Hobbes’scher Theorie zu der liberalen Tradition.

Zwar stellte er nicht infrage, dass Hobbes’ politische Zielrichtung die staatliche Stabilität war. Aber er vermochte sich davon in seiner Analyse der Wirkung Hobbes’scher Theorie zu distanzieren − insofern, als er die Spannung zwischen der Absicht des Denkers und der Wirkung seiner Lehre, die im Fall Hobbes’ sowohl auf den Einsatz des falschen Staatssymboles als auch auf die Trennung des inneren Glaubens von dem äußeren Bekenntnis zurückzuführen sei, erkannte und erwog. Von der Instrumentalisierung Hobbes’ anthropologischer und politischer Postulate bewegte sich Schmitt in Dem Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes, so möchte ich behaupten, zu der substanziellen Kritik einiger wesentlicher seiner Denkelemente hin – derjenigen, die zu ihrer liberalen (Miss)deutung vielleicht nicht zwangsläufig geführt haben, diese zumindest aber auch nicht verhindern konnten. Als substanziell kann diese Kritik deswegen bezeichnet werden, weil die mit Hobbes geführte Polemik gegen liberale Politik- und Menschenauffassung sie nicht davon abhielt, sich mit den liberalen Prinzipien dessen Denkens auseinanderzusetzen: dem individualistischen Ansatz seiner Staatskonstruktion sowie der Idee des Staates als eines positivistischen Befehlsmechanismus, der sich kraft seiner Wirksamkeit, seiner Unwiderstehlichkeit und der Unentrinnbarkeit des ewigen Axioms oboedientia et protectio aufrechterhalte, ohne dass er eine substanzielle Einheit materieller und geistiger Gewalt wäre. Allerdings überschatteten dabei die politisch-rhetorischen Elemente der Hobbes-Deutung, die die Schmitt’sche Bewunderung für Hobbes als politischen Denker im Kampf gegen die indirekten Gewalten zum Ausdruck brachten, häufig seine substanzielle Analyse der liberalen Grundsätze Hobbes’.

Wenn man davon ausgeht, dass eine substanzielle Deutung Hobbes’ keine sein muss, in der die Erwägung seiner Theorie unbedingt sauber von der Vorstellung zu trennen wäre, welche Implikationen diese Theorie für die Erwägung oder Kritik der eigenen politischen Gemengelage haben sollte, kann man die dritte Etappe der Hobbes-Deutung Schmitts als eine substanzielle Annäherung an das Hobbes’sche Denken bezeichnen. Diese vollzog Schmitt in dem Hobbes-Kristall und in „Der vollendeten Reformation“ mittels einer politiktheologischen Deutung. Der Kristall sollte nicht nur die Vereinbarkeit der Souveränitätsvorstellung Hobbes’ mit dem christlichen Glauben sowie die Möglichkeit der Verwirklichung seiner Staatslehre in einem christlichen Gemeinwesen demonstrieren, sondern – und was vor allem in der Absicht Schmitts lag – das Angewiesen-Sein der grundlegenden Prinzipien der Staatsbildung auf die Einheit des Glaubens an eine transzendente Autorität sowie, andererseits, die vorrangige und exklusive Rolle des Staates in den theologischen Angelegenheiten. Hobbes’ Position gegenüber der Idee der Säkularisierung war für Schmitt die wichtigste Frage seiner Deutung – und es kam darauf an, zu beweisen, dass aus Hobbes keine Bejahung der Neutralisierung der christlichen Religion gegenüber anderen Religionen und gegenüber dem Atheismus herauszulesen sei. Hobbes’ Vollendung der Reformation in seiner politischen Theologie, die sich nach cuius regio, eius religio richtete, hatte, so Schmitt, den Zusammenhalt christlicher Kirchen zum Ziel und betraf den konkreten geschichtlichen Gegensatz von geistlicher und weltlicher Gewalt, in dem sich Hobbes als Anglikaner entschied. Der Anglikanismus und die Verortung Hobbes’ in der protestantischen theologischen Tradition sowie in dem kulturgeschichtlichen Phänomen des barocken Manierismus waren Schmitts Argumente, mit denen er die Vorwürfe atheistischen und totalitaristischen Denkens bei Hobbes zu entkräften versuchte.

Einen Übergang zwischen der zweiten und dritten Etappe der Hobbes-Deutung Schmitts stellt der 1951 verfasste und in der Sammlung Staat, Großraum, Nomos erschienene Artikel „Dreihundert Jahre Leviathan“ dar. In der kleinen Abhandlung nahm Schmitt Hobbes vor denjenigen seiner Zeitgenossen und Interpreten in Schutz, die ihn verunglimpft und aus ihm einen Sündenbock gemacht hatten – somit wurde, so Schmitt, der Wehrlose zum Schuldigen erklärt (1995, 152 f.). Zwar deutete Schmitt dabei mit keinem Verweis auf etwaige theologische Prämissen des Hobbes’schen Denkens und suchte die Vorwürfe an den Letzteren wegen des Atheismus nicht explizit anzusprechen. Im Gegensatz zu Dem Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes schilderte er jedoch Hobbes’ individualistischen Ansatz in einer deutlich positiveren Rhetorik. Sie war vor allem an diejenigen gerichtet, die in Hobbes einen Machiavellisten und „Teufelsanbeter des Leviathan“ zu erkennen glaubten. Dabei würden sie verfehlen, die Realität der „härteren Zeit“ anzuerkennen, in der Hobbes, in Worten Schmitts, das zu retten suchte, was noch zu retten war.Footnote 64 Schmitts Einschätzung von Hobbes als einem verschmähten Wahrsager enthält einerseits Anklang an die von Empathie und Wahlverwandtschaftsgefühl sowie tiefster Bewunderung für Hobbes als politischen Denker erfüllten abschließenden Zeilen seines Hobbes-Werkes (siehe die Fußnote Nr. 40 in 2.5). Andererseits findet sich in der kurzen Abhandlung fast wortwörtlich die Formulierung wieder, mit der Schmitt 1965 den individualistischen Charakter Hobbes’scher Lehre als ihren wesentlichen Bestandteil anerkannte („Man braucht sein Buch nur einmal zu lesen, um zu sehen, dass er mehr Sinn für individuelle Freiheit hat als alle seine Kritiker“, ebd., 153). Zugleich hielt er sich davon zurück, „den ersten systematischen Denker des modernen Individualismus“ für die liberale Unterhöhlung des eigenen Denkgebäudes verantwortlich zu machen (ebd., 153). Darüber hinaus verpasste Schmitt nicht die Chance, dem Zusammenhang von Schutz und Gehorsam in der Hobbes’schen Theorie Nachdruck zu verleihen (ebd., 153), was wiederum den Bezug auf sein Hobbes-Verständnis in seiner ersten Etappe enthält.

Wenn man die Hobbes-Deutung Schmitts in Dem Begriff des Politischen und in Dem Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes vergleicht − den Werken, die für die erste und die zweite Etappe der Hobbes-Deutung Schmitts stehen − , kann man festhalten, dass sie sich in der Dialektik zwischen der etatistischen und liberalen Interpretation des Hobbes’schen Individualismus vollzieht. Die Unterscheidung verweist auf die ideelle Haltung hinsichtlich der Frage der Natur des Menschen – inwiefern ihm die Kompetenz der Selbststeuerung, der Erziehbarkeit zugetraut wird, inwiefern also der Vernunft vertraut wird. Je nachdem, welche Position man dabei einnimmt, kann man für den von Hobbes in seine Vorstellung des Staat-Individuum-Verhältnisses eingebauten individuellen Glaubensvorbehalt als Grundlage eines liberalen, neutralen Rechtstaates plädieren oder, andererseits, darin die Einbruchstelle sehen, von der aus die materielle und geistige Einheit des Staates unterhöhlt werde und somit der innere Frieden und die staatliche Ordnung dem Behemoth der Anarchie ausgeliefert würden. Im letzteren Fall kann man aus dem individualistischen Ansatz eine machttheoretische Rechtfertigung für die Diktatur ableiten – dafür setze man den Schwerpunkt auf die Schutzbedürftigkeit und Unterwerfungsbereitschaft des Individuums. Die Emanzipation des Individuums aus der naturrechtlichen Vorstellung einer göttlichen Ordnung oder eines integren Kosmos, seine Abkoppelung von den sozialen Bindungen und von der Auffassung der sich natürlich entwickelnden Gemeinschaften mögen als Befreiung im Sinne von Befähigung aufgefasst werden; aber es stellt sich, wie Schmitt einsah, zugleich die Frage, wozu das Individuum somit befähigt wird. Sowohl eine Diktatur, die Dezisionismus purer Macht verkörpere, jede Regel dem Willen des Souveräns unterstelle, die Herrschaft für bloße Fassade der Macht halte, als auch ein Rechtstaat, der jede personalistische Komponente zu eliminieren versuche, das Recht auf das Gesetz, die Gerechtigkeit auf die Legalität reduziere, würden der Ausschaltung des Offenbarungsglaubens und des naturrechtlichen Denkens in ihrer Leitungsfunktion bedürfen. Der naturrechtliche „Vorbehalt“ sowie der „Vorbehalt“ des Glaubens würden Ansprüche an den Staat generieren, denen weder ein autoritärer Staat noch ein Rechtsstaat gerecht werden müssten oder könnten. Sie seien auf die Loslösung von den transpolitischen Orientierungsmaßstäben angewiesen. Das mache den Kern des individualistischen Ansatzes aus, gleichgültig, von welcher anthropologischen Grundeinstellung er geprägt ist.

An dieser von Hobbes eröffneten Doppelperspektivität des Individualismus schieden sich Schmitts dezisionistische (etatistische) und positivistische (liberale) Hobbes-Deutung. Offenbar stand Schmitt vor dem Dilemma, die staatsstiftende Logik Hobbes’ dezisionistisch zu verwerten und davon Gebrauch zu machen (ob mit oder ohne Zuschreibung theologischer Ausrichtung) und sich andererseits von der liberalen Entfaltung seiner Ideen zu distanzieren bzw. sie als illiberal auszulegen.Footnote 65 Dass Schmitt Hobbes sowohl als einen Wegbereiter des liberalen Staates gegen die Vorwürfe totalitärer Denkzüge verteidigte als auch ihn zu einem Dezisionisten und einem politischen Lehrer erklärte, muss an seiner eigenen politiktheoretischen Absicht und seinen politischen Anschauungen gelegen haben – vor allem an seinem Souveränitätsbegriff, dem Ideal staatlicher Stabilität, der Überzeugung, die staatliche Herrschaft gegen indirekte Gewalten verteidigen zu müssen, sowie dem Wunsch nach materieller und geistiger Einheit des politischen Körpers. Der dezisionistische Nachdruck auf der Frage nach Instanz und nicht Substanz − nach der Instanz, die kraft des Schutz-Gehorsamkeit-Axioms walte − entspricht Schmitts existenzialistischem Verständnis der Politik und verleiht ihm durch den Bezug auf Hobbes neue Geltungskraft.

Durch die intensive Auseinandersetzung mit den Arten rechtswissenschaftlichen Denkens gelangte Schmitt zu der Feststellung, dass sich auctoritas, non veritas, facit legem in das Schema sowohl des dezisionistischen als auch des positivistischen Denkens füge – in beiden Fällen komme es auf non veritas an. Die sich daraus ergebende Schlussfolgerung zog Schmitt zuerst in Form eines neuen Konzeptes − das des Ordnungsdenkens, das, im Gegensatz zum Dezisionismus, dem Positivismus gegenüber immun bleiben sollte. In Dem Leviathan in der Staatstheorie des Thomas Hobbes findet man dementsprechend eine kritische Neubewertung des Hobbes’schen Dezisionismus, die sich mit beiden Seiten seines Potenzials − der politisch-etatistischen (auctoritas) und der liberal-positivistischen (potestas) − auseinandersetzt. In „Der vollendeten Reformation“ erfolgte die gewünschte Neutralisierung der positivistischen Konsequenz des Hobbes’schen Staates im Rahmen der politischen Theologie − indem Schmitt Hobbes’ Theorie als mit dem Offenbarungsglauben – mit der Existenz eines transzendenten Maßstabes – vereinbar und sogar auf diesen angewiesen deutete. Denn ohne eine theologische Einbettung sei der Hobbes’sche Dezisionismus, so Schmitts Erkenntnis in Dem Leviathan in der Staatstheorie des Thomas Hobbes, für die Mechanisierung (Positivierung) des Staates anfällig und könne diese nicht aufhalten: Wenn es beim Staat nur auf die faktische Leistungskapazität ankomme, erweise sich ein Mechanismus als einer personellen Gewalt überlegen. Die Hobbes’sche Loslösung vom Naturrecht sowie von der Offenbarung, seine Abwendung von der Frage nach dem Wahrheitsgehalt des Rechtes und nach der Substanz des Staates als Lebensform − all das, was seiner Absicht folgte, bürgerlichen Gehorsam zu sichern − , schlug im Laufe der ideengeschichtlichen und politischen Entwicklung des Liberalismus in das Gegenteil um, nämlich die Immunisierung des Subjektes vor den Wahrheitsansprüchen des Staates.

Andererseits ebnete die Neutralisierung der Politik und Positivierung des Rechtes den Weg für diktatorische, darunter auch totalitäre Auswüchse staatlicher Mächte; vor diesem Hintergrund wurde Hobbes in erster Linie von katholischen Interpreten als Vordenker des Totalitarismus zur Rechenschaft gezogen. Im Gegensatz zu solchen Interpretationen und teilweise als Antwort auf sie verschob Schmitt seinen Analysefokus auf die Beweisführung, dass sich die Staatslehre Hobbes’ nicht als eine atheistische deuten lasse, dass Hobbes seine Staatsvorstellung mit Blick auf ein christliches – und nicht etwa jedes beliebige – Gemeinwesen entwickelt hatte, dass sich seine Auffassung des Verhältnisses vom Menschen zum Staat in eine christliche, die Transzendenz bejahende Haltung eingliedere. Die ursprüngliche existenzialistische Auslegung des Hobbes’schen Dezisionismus und Individualismus ist damit theologisch befüllt worden.

An der dreiteiligen Aufgliederung der vom Individualismus her denkbaren Szenarien (diktatorialer Machtstaat, Anarchie bzw. permanente Anarchiegefahr, liberaler Gesetzesstaat), aber vor allem an dem jeder individualistischen Deutung gemeinsamen Element der Ablehnung naturrechtlicher und theologischer Vorstellungen wird klar, dass Schmitt über die Deutung Hobbes’ als eines liberal-individualistischen Denkers hinausgehen musste, um sich seiner Lehre als politische zu bedienen. Seine Deutung von dieser als politischer Theologie, in der der individualistische Ansatz positiv ausgelegt und mit theologischem Gehalt versehen wird, wurde im Rahmen dieser Arbeit vor allem über die Auseinandersetzung mit den Werken Meiers erläutert. Die von Meier entwickelte theologische Deutung des Schmitt’schen Ansatzes bietet einen Ausgangspunkt für die Erklärung seines existenzialistischen Charakters, der alternativ auch auf die Ästhetisierung der Gewalt zurückgeführt werden kann (wie bei McCormick).

Die These der politischen Theologie bindet sowohl den Schmitt’schen Existenzialismus als auch seine Bejahung des Hobbes’schen Individualismus in ein umfassendes Narrativ ein. Ob dies ausreichend ist, um der These beizupflichten, bleibt eine Frage, die sich nicht bloß über die Aufzählung der Argumente beantworten lässt. Die Glaubwürdigkeit des Meier’schen Ansatzes ist zugleich die Frage der paradigmatischen Verortung der Leserin; darüber hinaus ist es die Frage nach dem Begriff politische Theologie an sich. Außerdem bedarf die Positionierung zu der Deutung Meiers der Erwägung, aus welcher Frage- und Problemstellung heraus sich Meier der Schmitt’schen Lehre näherte und was es ist, das mit der These politischer Theologie (und des Konfliktes zwischen Theologie und Philosophie, der das ideelle Verhältnis von Schmitt und Strauss kennzeichne) erhellt, erklärt werden solle. Je nachdem, ob ein Anspruch auf die Deutung der gesamten Hinterlassenschaft einer Denkerin besteht oder nur ein bestimmter Aspekt von dieser im Fokus steht oder aber die Einsichten über die Lehre einer Autorin gar in erster Linie für die Ergründung einer systematischen Frage herangezogen werden, mag der eine oder andere Blickwinkel angemessen sein und es ist von der Erklärung mehr oder weniger Kohärenz, Gründlichkeit und Dichte oder Kompaktheit zu erwarten. Von einem sich hohe ideengeschichtliche Ansprüche stellenden Unternehmen ist m. E. vor allem zu erwarten, dass es der Vielschichtigkeit und Wandelbarkeit eines Denkens gerecht wird.