In „Einigen Anmerkungen über die politische Wissenschaft des Hobbes“ notierte Strauss: Um einschätzen zu können, was an einer Deutung neu (man könnte auch präzisieren oder erweitern: abweichend, besonders, von Mehrwert) ist, müsse man sich die bisherigen Forschungsergebnisse vor Augen halten. Um zu erkennen, ob die vorgeschlagene Interpretation „von prinzipieller Bedeutung“ ist, solle man sich Klarheit über die Problematik des entsprechenden Themenfeldes verschaffen (Strauss 2008 a, 246; vgl. Namazi 2018, 11 f.). Für diese Arbeit bedeutet das: Für das Erkennen der besonderen Züge der Hobbes-Deutung von Schmitt und Strauss bedarf es der Erfassung des zeithistorischen Forschungskontextes, den die beiden in Deutschland und Frankreich sowie im Vereinigten Königreich (besonders im Fall von Strauss, der Berlin 1932 in Richtung Paris und später London verließ) in den 1930er Jahren vorfanden.

Zum einen muss gefragt werden, wie der Forschungsstand im Bereich der Hobbes-Deutung generell aussah, d. h. welche Werke in dem in Betracht kommenden Zeitraum veröffentlicht worden sind, welche zeitgenössischen oder früheren Interpretationen anerkannt und einflussreich waren. Zum anderen ist es von einer noch erheblicheren Bedeutung, sich einen Überblick darüber zu verschaffen, mit welchen Autoren und Sichtweisen sich Schmitt und Strauss explizit – ob zustimmend oder kritisch – auseinandergesetzt haben. Das Letztere erschließt sich vor allem aus den in ihren Werken enthaltenen Verweisen, während das Erstere einen Rückgriff auf die Expertise der Hobbes-Forscherinnen erfordert. Man wird dabei feststellen können, dass manche ihrer Zeitgenossen und Vorläufer bis zum heutigen Tag die Wahrnehmung von Hobbes prägen. Die anderen wiederum sind Namen, die nur den Kennerinnen dieses speziellen Themenfeldes ein Begriff sind. Zum Dritten wird man nach Reaktionen auf die Beiträge beider Autoren fragen müssen – an diesem Punkt schließt die Frage nach dem Forschungsumfeld an eine rezeptionstheoretische an.

Die Frage, in welchem Forschungskontext die Hobbes-Deutung von Schmitt und Strauss entwickelt worden ist und welche Bezugs- und Abgrenzungspunkte es zwischen beiden Denkern und ihren Vorläufern gab, wird in diesem Kapitel nur zum Teil beantwortet. Der andere Teil der Antwort folgt in 2.2 Hobbes-Deutung bei Schmitt in ihrem zeithistorischen Forschungskontext. Diese Aufteilung des relevanten zeithistorischen Forschungskontextes mag außergewöhnlich erscheinen. Dass sie notwendig ist, ergibt sich aus der Asymmetrie, zwischen Schmitt und Strauss, in ihrem Umgang mit der Forschungsliteratur. Im Gegensatz zu Strauss, der andere Hobbes-Interpreten eher ausführlich rezensierte, aber selten bei der Ausformulierung eigener Argumentationen konsultierte,Footnote 1 zog Schmitt auf eine eher sporadische Art und Weise mehrere Zeitgenossen als Bezugsquellen heran – dies steigert den schieren Umfang des zu Berücksichtigenden und legt den Bedarf an einem dem separat gewidmeten Textabschnitt nahe.

Man wird jedoch auch in dem Strauss-Kapitel einen Abschnitt zum zeithistorischen Forschungskontext finden. In diesem gehe ich der breiten zeitgenössischen Rezeption von Hobbes’ politischer Wissenschaft in ihrer Genesis, von Strauss 1934–1935 ausgearbeitet (2008 b, 7), nach. Da ein Teil der im Fall Strauss’ relevanten Sekundärliteratur dadurch in dem Strauss-Kapitel abgehandelt wird, soll es die Leserin nicht überraschen, dass in den dieser Einleitung folgenden Unterkapiteln die Berücksichtigung der Rezeption von Schmitts Hobbes-Deutung diejenige von Strauss überwiegt.

Nach dem Überblick über „Die Vorläufer und Zeitgenossen von Schmitt und Strauss in der Hobbes-Deutung 20. Jahrhunderts“ untersuche ich in diesem Kapitel also die Literatur, die der Rezeption der Hobbes-Deutung Schmitts und Strauss’ gewidmet ist. Während das Erbe Schmitts als Forschungsobjekt – in erster Linie in Bezug auf seine Überlegungen zu zwischenstaatlichen Beziehungen, inkl. des Kriegsrechts, und Weltordnung – seit dem ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts eine Renaissance erfährt, werden die Werke Strauss’ im deutschsprachigen Raum immer noch wenig rezipiert. Dies mag teilweise an seiner in Deutschland ausbleibenden Wirkung als Intellektueller liegen – wie Bluhm bemerkte, sei „die enorme Wirkungsgeschichte von Strauss […] ein auf die Vereinigten Staaten beschränktes Phänomen“ (2002, 333).

Wenn überhaupt, dann wird Strauss im deutschsprachigen Raum in erster Linie mit seiner Aufarbeitung des theologisch-politischen Problems assoziiert. Dass dieses als Leitlinie seines Gesamtwerks gilt, hat den Grund mindestens zum Teil in einer der einflussreichsten Rezeptionen seiner Schriften durch Heinrich Meier. Im angelsächsischen Forschungsraum überwiegt dagegen das Interesse an seiner Lehre des esoterischen Schreibens. Die Esoterik-Problematik wurde zwar in Der Rhetorik des Politischen. Zur Kritik der politischen Theorie von Mathias Bohlender (1995) mit Strauss’ Hobbes-Deutung verbunden, jedoch bleibt dieses Werk das einzige seiner Richtung.Footnote 2

Mein Literaturbericht enthält, abgesehen von deskriptiven Zusammenfassungen, auch evaluierende bzw. kritische Elemente. Über die Besprechung der Beiträge einzelner Interpretinnen hinaus achte ich in diesem Teil der Arbeit auf die Bezugnahmen oder Kritikversuche der Beiträge untereinander. Die Betrachtung dieses Materials legt den Bedarf an einer eigenen Interpretation nahe: Anhand existierender Deutungen lässt sich nämlich erkennen, dass bisher zwar wichtige und überzeugende Erkenntnisse über die Hobbes-Deutung von Schmitt und Strauss herausgearbeitet worden sind; sie sind jedoch über Abhandlungen unterschiedlicher Autorinnen verstreut. Es findet sich keine umfassende Darstellung, die die Hobbes-Wahrnehmung beider Denker in ihrer Fülle und mit Blick auf ihre Zielsetzungen, Fragestellungen und Argumentationsstrategien, auf das Verhältnis ihrer Hobbes-Deutungen zum jeweiligen eigenen Lebenswerk und zum zeitgenössischen Forschungskontext rekonstruieren würde. Besonders Strauss’ Auseinandersetzung mit der Philosophie Hobbes’ ist bisher wenig Aufmerksamkeit gewidmet worden – trotz der Tatsache, dass sein Hobbes-Studium kein beiläufiger Einfall gewesen ist, sondern ein systematisches Vorhaben, das einen Zeitraum von mindestens einem Jahrzehnt (von Mitte der zwanziger Jahre bis 1936) umspannt (Meier 2008, vii). Oft sind die vorhandenen relevanten Forschungsbeiträge auf eine übergeordnete Frage ausgerichtet, die die Frage nach der Hobbes-Deutung beider Denker in einem entsprechenden Licht erscheinen und diejenigen Aspekte des Themas, die aus meiner Sicht berücksichtigt werden sollten, unbeleuchtet bleiben lässt.

Der Aufbau dieses Kapitels ist durch die Unterscheidung zwischen den Vorläufern und den Rezipientinnen von Schmitt und Strauss sowie durch die Einteilung der Letzteren anhand der groben Richtung ihrer Deutungsnarrative strukturiert. Abgesehen von dem Unterkapitel zum kontextualisierenden Interpretationsansatz, der vor allem Schmitts Selbstprojektion auf Hobbes und ihr ideelles Verhältnis thematisiert, wird ein erheblicher Teil des Kapitels der Interpretation entlang des theologisch-politischen Schemas – sowie ihrer Kritik und Weiterführung – gewidmet. Ihr gemäß würden Schmitts und Strauss’ Hobbes-Interpretationen einen Gegensatz zwischen einer theologisch und einer philosophisch fundierten Haltung gegenüber der Frage des Politischen darstellen. Von dem offensichtlichen quantitativen Aspekt absehend, dass Meiers theologisch-politische Interpretation für viele zeitgenössische Forscherinnen einen Referenzpunkt darstellt, muss ihr ein intensiverer Blick vor allem schon deswegen zugestanden werden, weil sie der bisher ausführlichste und gründlichste Versuch ist, den Austausch zwischen Schmitt und Strauss über Hobbes zu rekonstruieren (siehe S. 45 und weiter, Fußnote Nr. 4 in 3.2; zu der Bedeutung dieses Austausches für beide S. 163).

Obwohl die Berücksichtigung des Spannungsverhältnisses von Theologie und Philosophie bei der Untersuchung der Schmitt-Strauss’schen Auseinandersetzung zweifellos zu prägnanten Einsichten führt, ist dabei eine Gefahr nicht zu übersehen: die Gefahr, die Anschauungen des einen Autors auf die Sichtweise des anderen seitenverkehrt zu projizieren, die Einsichten mehr zuzuspitzen, als es um des Verständnisses willen erforderlich ist, und die Bilder zu vereinheitlichen, um das Gesamtnarrativ zu bedienen. Um dies zu vermeiden, wird in dieser Arbeit auf andere Erklärungsansätze eingegangen − mit der Erwartung, dass sich somit auch mögliche eigene Verzerrungen, Befangenheiten und Parteilichkeiten bis auf ein nicht relevantes Ausmaß reduzieren lassen.

Wie in diesem Kapitel demonstriert wird, lassen sich aus der Kritik an der theologisch-politischen Interpretation Einsichten gewinnen, die zwar nicht unbedingt zu überzeugen vermögen, jene ganz abzulehnen, jedoch Einschätzungen und Konzepte anbieten, die dazu beitragen, dass man bestimmte Seiten der Denkweisen beider Autoren auch anders und dadurch insgesamt besser versteht. Die durch die Auseinandersetzung mit der Sekundärliteratur gewonnenen Einsichten und Argumente sollen zusammen mit den Erträgen der eigenen Analyse die Grundlage für eine systematische Erläuterung schaffen, die die Funktion eines Wegweisers durch die Hobbes-Rezeption Schmitts und Strauss’ erfüllt.

Das Kapitel schließe ich mit einem Schematisierungsvorschlag, anhand dessen die Hobbes-Deutungen Schmitts und Strauss’ in dem Fazit dieser Arbeit strukturiert werden. Innerhalb der dreigliedrigen Unterscheidung zwischen politischer Philosophie, politischer Theologie und politischer Rhetorik stellen sie jeweils drei grundlegende Zugänge zum Denken über das Politische dar.

1.1 Die Vorläufer und Zeitgenossen von Schmitt und Strauss in der Hobbes-Deutung des 20. Jahrhunderts

Die Hobbes-Literatur − dem Umfang und der Wirkung seines Œuvres entsprechend − ist so umfassend und vielfältig, dass man sich für den Fall, an keiner konkreten Frage interessiert zu sein, die ein Ausschlusskriterium an die Hand gäbe, unvermeidlich auf die Lektüre anerkannter Klassikerinnen beschränken muss. Um einer genaueren Vorstellung davon näherzukommen, wie sich diese Interpretationen zueinander verhalten, ist eine Strukturierung der Rezeption vonnöten. Diese stellt wiederum einen Forschungsgegenstand an sich dar: Bei der Einordnung der Hobbes-Interpretationen und kurzer Vorstellung prägender Narrative bediene ich mich daher der schon vorhandenen Vorschläge (und vermittle zwischen ihnen). Die folgende Gliederung ist keineswegs ein vollständiges Schema, sondern eher ein erster Annäherungsversuch, ein Mittel der Selbsthilfe, mich in der Welt der Hobbes’schen Literatur zu orientieren.

Es scheint mir sinnvoll, als Erstes zwischen drei Analyseebenen zu unterscheiden, auf denen unterschiedliche weitere Klassifikationen möglich sind. Ich möchte in der Hobbes-Forschung zwischen den folgenden Ebenen differenzieren: 1) der Ebene der unterschiedlichen Herangehensweisen, 2) derjenigen verschiedener Problembereiche, 3) derjenigen der Deutungsansätze, die um eine jeweils typische These kreisen.

Bei diesem Systematisierungsvorschlag ist zu beachten, dass sich die Analyseebenen nicht exklusiv zueinander verhalten; die Zugehörigkeit einer Interpretation zu der einen Kategorie auf einer Ebene kann mit der Zugehörigkeit dieser Interpretation zu der anderen Kategorie auf der anderen Ebene einhergehen. Die Deutungsansätze kann man außerdem zum Teil als eine Verzweigung der Problembereiche verstehen, so dass bestimmte Deutungsansätze als Subsets der jeweiligen Problembereiche gesehen werden. Da eine solche Zuordnung aller Deutungsansätze allerdings nicht möglich ist (einige von ihnen können nämlich mindestens zwei Problembereichen zugeordnet werden), möchte ich ganz auf sie verzichten.

Die drei Ebenen sollten als alternative Möglichkeiten verstanden werden, die Hobbes-Forschung zu strukturieren. Außerdem möchte ich anmerken, dass die folgende Skizze auf das 20. Jahrhundert zugeschnitten ist – ohne den Anspruch, den früheren und den späteren Deutungen Rechnung zu tragen. Eine solche Übertragungsmöglichkeit auf das laufende Jahrhundert würde ich allerdings nicht ausschließen.

Die Herangehensweisen

Auf der Ebene der Herangehensweisen möchte ich zunächst die life-and-works-Tradition unterscheiden, wie sie von dem Hobbes-Bibliografen William Sacksteder beschrieben worden ist. Diese Bezeichnung gilt für umfassende Studien, die beides − detaillierte Biografie, eingebettet in dem historischen Hintergrund, und komplexe Analyse des Hobbes’schen Gesamtwerkes − anbieten (Sacksteder 1982, 3). Die bekanntesten Vertreter der life-and-works-Tradition sind Ferdinand Tönnies und George Croom Robertson. Der Erstere gilt im deutschsprachigen Raum zuvorderst als „Begründer der deutschen Soziologie“ (Nees o. J.) und ist nicht unbedingt im Zusammenhang mit seiner Hobbes-Forschung bekannt. Sein wohl berühmtestes Werk Gemeinschaft und Gesellschaft erschien jedoch fast gleichzeitig mit seiner Studie Thomas Hobbes. Leben und Lehre, deren erste Fassung auf das Jahr 1896 datiert.Footnote 3

Es ist kaum möglich, Tönnies’ Beitrag zur Hobbes-Forschung zu unterschätzen. Dank seiner umfangreichen Studie, zahlreicher Artikel sowie Herausgabe Hobbes’ ungedruckter Manuskripte hat die Hobbes-Forschung nicht nur im deutschsprachigen Raum, sondern auch international eine Neubelebung solchen Ausmaßes erfahren, dass Sacksteder folgendermaßen urteilte: „Ferdinand Tönnies first studies marked a transition altering the manner in which we envisage the place of Hobbes in western thought“ (1982, 1). Eine vergleichbar hohe Einschätzung gebührt unter den Zeitgenossen Tönnies’ nur Robertson, dessen Abhandlung Hobbes (zehn Jahre vor Tönnies’ Standardwerk erschienen) im angelsächsischen Forschungsraum große Bekanntheit erlangte. In diesem Werk, das auch von Tönnies rezensiert wurde,Footnote 4 stellte er die auch in der Hobbes-Deutung von Strauss wiederzufindende These auf,Footnote 5 dass sich Hobbes’ politisches Denken, trotz seiner eigenen explizit anders lautenden Beteuerungen, in seinen Grundzügen vor und unabhängig von seiner mechanistischen Naturphilosophie entwickelt habe (Hinnant 1980, 66). Diese Deutungsperspektive teilte auch Tönnies.

Im Tönnies’ Hobbes-Werk sind die historischen und die philosophischen Erwägungen zu einem umfassenden Ganzen verflochten: Vier Kapitel seiner Schrift behandeln Hobbes’ Leben von seiner Geburt bis zum Tode, seinen Charakter, seine Persönlichkeit, sein Verhalten und sogar physisches Aussehen, während im zweiten Teil des Buches sich Tönnies mit allen Facetten von Hobbes’ Philosophie auseinandersetzt – inklusive der Logik, mechanischer Grundsätze und Physik, der Anthropologie, des Naturrechts und der Staatslehre. Diese werden vor dem geistesgeschichtlichen Hintergrund der theologischen und naturrechtlichen Lehren vom 13. bis zum 16. Jahrhundert sowie ihrer Revision im sogenannten wissenschaftlichen Zeitalter des 17. Jahrhundert rekonstruiert und von einem kurzen Überblick über die Wirkungsgeschichte Hobbes’scher Lehre begleitet. Damit stellt die Studie das Vorbild einer allumfassenden Untersuchung dar, deren Exemplare im 20. Jahrhundert rar wurden.

Seit den 1920er Jahren lässt sich in der Hobbes-Deutung ein forschungsstrategischer Wechsel feststellen, ein Übergang von der life-and-works-Tradition zu anderen Forschungsdesigns. Für diese kommt es viel weniger darauf an, was für ein Zusammenhang zwischen den „Tendenzen des Lebens und Denkens“ (Tönnies 1971, 266) besteht. In seiner Synopse der Hobbes-Forschung unterschied Zagorin zwischen zwei prinzipiellen Ansätzen des Hobbes-Studiums, die er als „historisch“ und „philosophisch“ bezeichnete (1990; vgl. mit Rortys Unterscheidung zwischen „rationaler“ und „historischer“ Rekonstruktion in der Philosophiegeschichte, siehe Fußnote Nr. 22 in der Einleitung). Das Werk Tönnies’ liegt jenseits des Wendepunktes, ab dem der historische und der philosophische Ansatz deutlich zu divergieren anfingen.

Als bekanntester Vertreter des historischen Ansatzes in der Hobbes-Forschung heutzutage ist SkinnerFootnote 6 zu erwähnen.Footnote 7 Außerdem sind ihm solche Autoren wie Samuel I. Mintz und John Bowle zuzurechnen, die die Rezeption Hobbes’scher Werke durch dessen Zeitgenossen untersucht haben.

Der Hobbes-Interpret Helmut Schelsky, Zeitgenosse Schmitts und Strauss’, ist ein vehementer Kritiker des historischen Zuganges gewesen: „Der bisherigen Hobbesforschung“, wie er 1941 schrieb, „ist, mit sehr wenigen Ausnahmen, nicht der Vorwurf zu ersparen, dass sie nicht die bei Hobbes gewonnenen Wahrheiten aufdecken und erhalten, sondern sie als ein geschichtlich aufgefasstes Denkwerk nur einordnen wollte in die Problemgeschichte oder vermeintliche Geistesentwicklung“. „Im Gegensatz zu einem in diesem Sinne geschichtlichen Denken“ habe sich Schelsky „um ein philosophisches und politisches Verständnis von Hobbes bemüht und ihn dazu bewusst aus den Kräften der Gegenwart begriffen“ (1981, 13).

Der philosophische Ansatz, zu dessen einflussreichen Vertretern in der Hobbes-Forschung Alfred Edward Taylor, Howard Warrender, David Gauthier, Michael Oaekshott zählen, teilt mit dem historischen Ansatz zwar das Ziel des Erklärens und Verstehens, geht jedoch analytisch vor: Die Vielfalt der Fragen und Probleme, mit denen sich die Denkerinnen befassten, werden als zeit- und kontextüberschreitend wahrgenommen. Zum primären Forschungsobjekt werden die Denksystematik wie die grundlegenden Begriffe der Autorin erhoben. Obwohl der philosophische Ansatz nicht leugnet, dass sich der zeithistorische Kontext in bestimmtem Grade in der Theorie niederschlägt, bestreitet er, dass es beim Verstehen einer Denkstruktur vor allem auf die kontextuelle Untersuchung ankommt. Vielmehr wird angenommen, dass der Rezeption einer Denkerin durch ihre Zeitgenossinnen keine Sonderstellung gebühre. Die Interpretinnen jedes Zeitalters seien in ihrem Deutungsvermögen gleichberechtigt und sollten es nicht scheuen, auf Widersprüche oder Fehler in der Argumentation der Denkerin aus ihrer Perspektive heraus zu verweisen, auch wenn diese Widersprüche nur vor dem Hintergrund zeitgenössischen Diskurses als solche erscheinen würden (Zagorin 1990, 323–325). Es ist nicht schwer zu erkennen, dass die Hobbes-Deutungen von Schmitt und Strauss dieser letzteren Herangehensweise der philosophiegeschichtlichen Forschung zuzurechnen sind.

Ihre Subkategorie bilden Beiträge, die als „Aktualisierung der Hobbesschen Lehre im Anschluss an bzw. im Kontrast zu aktuellen Strömungen der politischen Philosophie“ bezeichnet werden können. Dazu zählen die vertragstheoretischen Entwürfe von John Rawls, Robert Nozick, James M. Buchanan (Mohrs 1999, 56). Ihr kann man auch die Untersuchungen Hobbes’scher Lehre im Lichte oder mit Mitteln der Spieltheorie zuordnen.Footnote 8 Es gibt sogar die Meinung, Hobbes sei „der Ahnherr der Rational Choice-Theorie“ (Schaal/Heidenreich 2006, 79).

Die Problembereiche

Die zweite Analyseebene − die der Problembereiche − unterscheide ich unter Berufung auf Bernard Willms. Dieser hat 1962, 1967 sowie 1979 in der Zeitschrift Der Staat Besprechungen der Hobbes-Forschung publiziert und maß den Beiträgen Schmitts und Strauss’ dabei jeweils eine besondere Stellung zu. Die Werke, die sich den theoretischen, von Hobbes ins Leben gerufenen Problemen widmen (Willms 1979, 13), unterschied er anhand vierer (bereits von Tönnies aufgeworfener, ebd., 70) Problemstellungen, für die jeweils ein Autor exemplarisch stehe. Die Willms’sche Bezeichnung „große Probleme“ („Das Strauss-Problem“, „Das Warrender-Problem“, „Das Macpherson-Problem“, „Das Carl Schmitt-Problem“) ist deswegen passend, weil sie die Hobbes-Interpretinnen „ebenso beschäftigt haben, wie sie die Hobbes-Forschung quasi parzellierten“ (ebd., 70). Diese großen Probleme seien: 1) Methode und Politik; 2) Moral und Pflicht; 3) Ökonomie und Geschichte; 4) Politik und Theologie. Diese Unterscheidung scheint mir wichtig zu sein, weil sie einen wesentlichen Grund für die Vielfalt in der Hobbes-Forschung ins Licht rückt. Diese ist in erster Linie nämlich darauf zurückzuführen, dass die Interpretinnen unterschiedlichen Fragestellungen nachgingen und unterschiedliche Akzente setzten, und nicht nur oder nicht in erster Linie darauf, dass man auf dieselben Fragen verschiedene Antworten gab und dieselben Elemente des Werkes unterschiedlich erklärte.

Was Willms als das Strauss-Problem bezeichnete, war die Frage nach dem Verhältnis von Hobbes’ Naturphilosophie und seiner politischen Philosophie: Gab es bei Hobbes eine von seiner wissenschaftlichen Methode unabhängige Moral- und Politiklehre? Wofür Strauss argumentierte, war das Verständnis „Hobbes’ politische[r] Philosophie […] unabhängig von dessen szientifischen Bemühungen um eine durchgängige Methode“. Für ihn waren die humanistisch-moralischen Prinzipien, auf denen Hobbes’ politische Philosophie beruhte, nicht nur „allein maßgebend“, sondern „in Hobbes’ Denken auch überhaupt älter“ und den „szientifischen Methodenanstrengungen“ vorausgehend (ebd., 72). Die Beiträge von Caton (1974), Euchner (1971), Missner (1970), Röd (1970), Schrader (1977), Spragens (2015), Watkins (1976), Weinberger (1975) und Weiß (1974),Footnote 9 die das Verhältnis von Hobbes’ Naturphilosophie und seiner politischen Lehre thematisieren, sind teilweise in Anlehnung, teilweise als Kritik an Strauss ausgearbeitet worden.

Der Name Schmitt und „sein“ Problem stehen für die Frage, wie die Lehre Hobbes’ zwischen Religion und Politik einzuordnen sei. Die Eigenart seines Hobbes-Verständnisses zeigte sich für Willms vor allem vor dem Hintergrund des allgemeinen „Konsenses“, dass die Frage nach Hobbes’ religiösen Einstellungen in Bezug auf seine Philosophie vernachlässigt werden könne (1979, 114 f.). „Heute“, so schrieb Willms aus der Perspektive der Jahre 1978 − 1979, werde nicht von der Frage des Theismus oder Atheismus der Autorin abhängig gemacht, „ob man sich auf einen Autor verlassen könne“ (ebd., 114, vgl. Strauss’ Anmerkung, dass Hobbes’ „frevelhafte“ Morallehre wegen der abnehmenden Achtung vor christlicher Moral an Akzeptabilität und Attraktivität zunehmen konnte − 1997, 171 f.). Dementsprechend wurden die theologischen Aspekte in Hobbes’ Schriften von den meisten Interpretinnen nicht ernst genommen, sondern eher als ein zu vernachlässigender Teil betrachtet (Willms 1979, 115). Die Rezeption der Interpretation von Hobbes als christlichem Autor fiel allerdings je nach dem geographisch-sprachlichen Forschungsraum unterschiedlich aus. „In der deutschen Hobbes-Forschung kommt niemand“, so Willms, „an Carl Schmitt vorbei“; Schmitt habe „die ,kontinentale‘ Hobbes-Forschung nachhaltig beeinflusst“ (ebd., 115).Footnote 10 Im Gegensatz dazu − wie auch im Gegensatz zu Strauss, der zu Lebzeiten in den USA und erst später in Europa Anerkennung fand − konnte Willms 1979 behaupten, dass Schmitt das „Schicksal der Deutschen“ teilt, von den Engländerinnen und Amerikanerinnen nicht gelesen zu werden − die Angelsächsinnen „wissen also nicht, was ,Politische Theologie‘ bedeutet“ (ebd., 115 f.). Auch im Fall des deutschen Rezeptionsraumes gelte jedoch, dass politische Theologie im Sinne Schmitts in der Hobbes-Forschung keinen „Nach-Denker“ gefunden habe (ebd., 115 f.). Dies könnte nicht nur dem Urteil über Schmitt als politischem Akteur im Nationalsozialismus geschuldet sein,Footnote 11 sondern auch der Meinung, dass politische Theologie bei Schmitt selbst „eher ein Anspruch als eine eigentliche Theorie“ war (ebd., 116).

Das Problem der Hobbes-Forschung, das Willms in erster Linie mit dem Namen Schmitts assoziierte, betrifft also den Stellenwert der Theologie in der Hobbes’schen Lehre. Es äußert sich in der Alternative zwischen der Auffassung dieses Verhältnisses als einer gegenseitigen Durchdringung der Philosophie und der Theologie oder als einer Über- und Unterordnung. Die erste Position wurde von Pocock sowie Springborg (bspw. 1975, 1976), die zweite von Kodalle (1972) vertreten. Die Anhängerinnen der Ersten, zu denen auch Willms sich selbst zählte, waren der Meinung, dass „man nicht entscheiden kann, ob Hobbes’ politische Philosophie auf Theologie beruht oder aber ob diese nur eine Magd oder gar nur ein Instrument jener ist“ (Willms 1979, 120). Willms plädierte für eine Auffassung der Hobbes’schen Theologie und Philosophie als politisch-theologisch integrierende Parallelität, d. h. als Parallelität von heilsgeschichtlicher Theologie und rationaler Politiktheorie (ebd., 124, 128). Im Gegensatz dazu argumentierte Kodalle für die Theologie als Grundlage Hobbes’scher Philosophie, weil „auch die rationale politische Philosophie nur konsistent gehalten wird durch letztlich theologische Voraussetzungen“ und auch der Hobbes’sche Individualismus auf theologisch gefasster Substantialität beruhe (ebd., 120 − 122). Der Gegensatz dieser Positionen ist nicht deswegen signifikant, weil er für die Frage nach dem Atheismus oder aber nach der Gläubigkeit Hobbes’ von Bedeutung wäre. Er ist es deswegen, weil von ihm abhängt, ob man die politische Philosophie Hobbes’ als eine in ihrer eigenen Rationalität von der Theologie unabhängige betrachtet.

Während sich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Hobbes-Forschung auf die Untersuchung der politischen, religiösen und wissenschaftlichen Aspekte seiner Werke beschränkte, haben mit der Zeit Analysen der Rhetorik und der psychologischen Komponenten an Konjunktur gewonnen (Sacksteder 1982, 4). 1986 erschien Johnstons The Rhetoric of Leviathan: Thomas Hobbes and the Politics of Cultural Transformation, in dem der Autor die Entwicklung Hobbes’scher Zielrichtung von einer primär wissenschaftlichen in seinen frühen Werken bis zu einer primär rhetorischen und auf die Überzeugung des breiten Publikums gerichteten schilderte (Zagorin 2010, 329). Die Transformation Hobbes’scher Einstellung zur Rhetorik spielt auch in der Hobbes-Studie von Bredekamp eine Rolle. Während Hobbes’ frühere Schriften – Elements of Law und De Cive – eine durchaus kritische Einstellung zur Rhetorik aufwiesen, weil diese als „ein fast beliebig einzusetzendes Instrument von Aufruhr und Bürgerkrieg“ galt, kam es in Leviathan zur „Rehabilitierung der Rhetorik“, die in der Hobbes’schen Einsicht wurzelte, „dass es unumgehbar sei, Mittel der Eloquenz zu nutzen, sobald der Leser oder Zuhörer überzeugt werden solle, und sei es vom Unsinn der Rhetorik“ (Bredekamp 2012, 125).

Die Deutungsansätze (I)

Auf der Ebene der Deutungsansätze möchte ich vier Gruppen unterscheiden, die unter sich wiederum zwei Gegensatzpaare ergeben. In dem ersten steht die naturrechtliche bzw. naturrechtlich-theologische Interpretation Hobbes’ als Gegenpol zu seiner Deutung als naturrechtspolemischer Rechtspositivist. Beide Interpretationsparadigmen haben unter ihren Vertreterinnen renommierte Hobbes-Expertinnen, deren Thesen unter den Hobbes-Leserinnen den Status des Allgemeinwissens erworben haben.

Unter den wichtigsten Vertretern der naturrechtlichen Hobbes-Interpretation zählen Taylor, Warrender und Oakeshott, von denen der erste als ihr Vorreiter gilt. 1938 hat er mit The Ethical Doctrine of Hobbes, im Gegensatz zu der geläufigen Auslegung Hobbes’scher Lehre als antitraditionalistisch und das neuzeitliche Denken begründend, Hobbes „in die naturrechtliche Tradition des alten christlichen Europas“ integriert (Kersting 2008, 6). Das, was unter den Hobbes-Forscherinnen als „Taylor-These“ schlechthin bekannt ist, ist die Behauptung, dass die Hobbes’sche Theorie „in sich schlüssig und philosophisch haltbar gemacht werden könne, wenn sie logisch unabhängig von der Psychologie interpretiert würde“ (Brown 2008, 150). In der Tat lehnte Taylor das ab, was in der Hobbes-Forschung als the orthodox paradigm bezeichnet wird, nämlich das Bild von Hobbes als individualistischem Denker, dessen Schlussfolgerungen von seiner Analyse individualistisch gefasster Natur und des Verhaltens des Menschen herrühren würden (Zagorin 1990, 331). Dieser Erklärung gemäß wird die Pflicht des Individuums gegenüber dem Staat so begründet, dass es zum Eigenvorteil des Ersteren sei, dem Gesetz zu folgen (Taylor 2008, 128). Taylor dagegen sprach von einem „deontologischen Zug in Hobbes’ Denken“ (ebd., 136), der zu seiner egoistischen Psychologie „in keinerlei logisch notwendiger Verbindung steht“, weil es Hobbes um zwei voneinander zu unterscheidende Fragen ging. Zum einen, „weshalb man ein guter Bürger sein sollte, und zum anderen, welche Anreize gegeben werden können, wenn ein Wissen um eine derartige Verpflichtung aus sich selbst heraus nicht hinreichend effektiv ist“ (ebd., 128 f.).

Der Kern des Taylor’schen Ansatzes besteht in der Einsicht, dass das, was Hobbes „natürliches Recht“ nannte, auch Gebot Gottes und gerade deswegen zu befolgen sei (ebd., 140). Dass die Vernunft sage, es sei immer zum Vorteil des Individuums selbst, die Pflicht zum Frieden oder zum Gehorsam zu erfüllen, sei nur die Voraussetzung für das Vermögen, sie einzuhalten, nicht aber ihr Grund oder Quelle. Die Pflicht, das natürliche Gesetz zu befolgen, bestehe also schon vor der Existenz positiven Gesetzgebers und der bürgerlichen Gesellschaft und ermögliche erst den verpflichtenden Charakter des Vertragsinhaltes (Warrender 1957, 248). „Sogar im ,Naturzustand‘“, so Taylor, „verpflichtet das Gesetz ,in foro interno‘, allerdings nicht immer, wie Hobbes hinzufügt „in foro externo‘“ (2008, 133).Footnote 12 Dass Hobbes es als Gebot auffasste (schon sein „Sprachgebrauch“, so Taylor, impliziere einen „imperativischen Grundzug“, ebd., 132), zusammen mit seinem Prinzip, wonach niemand in der Lage sei, sich selbst zu verpflichten (ebd., 140), ergebe, dass das Moralgesetz bzw. Naturgesetz als Gebot Gottes verstanden werden müsse: „Für die innere Stimmigkeit des Hobbesschen Theorieprogramms erweist sich eine gewisse Art des Theismus als absolut notwendig“ (ebd., 142).

Die Schwachstelle der Taylor’schen Deutung war ihrem Autor selbst bewusst. Die theistische Untermauerung des Gehorsams setzt voraus, dass man wissen müsse, dass das natürliche Gesetz das Gebot Gottes ist, um es zu befolgen (ebd., 141).Footnote 13 So gesehen scheint es konsequenter, wenn Hobbes zugestanden hätte, „dass das Wissen darum, dass das natürliche Gesetz zugleich Gottes Gebots ist, unabhängig von einer Kenntnis der Thora oder der Heiligen Schrift erworben werden kann“ (ebd., 142 f.).

Mit demselben Deutungsansatz argumentierte knapp 20 Jahre später Warrender, der allerdings den bei Taylor und Oakeshott bemängelten Widerspruch umschifft hat, einerseits von dem vorvertraglichen, jedoch bindenden Charakter des natürlichen Gesetzes auszugehen, andererseits zu erkennen, dass Hobbes versucht habe, „das Gesetz, nach dem ein tugendhafter Mensch handelt, auf das folgende eine zu reduzieren: Ein Versprechen auf Treu und Glauben muss eingehalten werden“ (ebd., 130). Im Gegensatz dazu hat Warrender in der Hobbes’schen Lehre keine Verpflichtung erkannt, die „ausschließlich auf Verträgen oder Versprechen beruht“ (Brown 2008, 149). Die Hobbes-Interpretation Warrenders ist zwar zu einem der kontroversesten und am meisten diskutierten Beiträge der Hobbes-Forschung geworden. Jedoch hat keine der naturrechtlichen Interpretationen von Hobbes breite wissenschaftliche Anhängerschaft gewinnen können (Zagorin 1990, 324 − 326).

Diesen naturrechtlichen Hobbes-Interpretationen ist diejenige Francis Campbell Hoods benachbart. Er hat die kontroverse These aufgestellt, dass das politische Denken Hobbes’ seinem Wesen nach eine christliche Lehre sei.Footnote 14 Hobbes’ Versuch, die Pflichtenlehre naturalistisch zu begründen, deutete er als eine philosophische Fiktion, die die Unabhängigkeit dieser Pflichtenlehre vom christlichen Glauben zu fingieren hatte (Hinnant 1980, 180). Das Hood’sche Werk The Divine Politics of Thomas Hobbes: An Interpretation of Leviathan ist 1964−1966 von mehreren Autoren rezensiert worden, unter anderem auch Skinner (1964), den Hood seinerseits kritisierte (1968).

Die bis in unsere Zeit hinein gängige Gegenansicht, die auch von Wolfgang Kersting, Stuart M. Brown und Thomas Nagel vertreten wird, geht davon aus, dass die Hobbes’sche Pflichtenlehre „nicht naturrechtlich fundiert ist und keinerlei theistische Annahmen macht, sondern auf revolutionäre Weise versucht, allein das menschliche Interesse und die individualistische Rationalität als Grund politischer Verpflichtung aufzuweisen“ (Kersting 2008, 6). Die mechanische Konzeption des Menschen als einer rationalen Egoistin resultierte, so das Grundverständnis dieser Interpretationsrichtung, daraus, dass Hobbes diejenigen Methoden, die sich in der Naturwissenschaft seiner Zeit bewährt hatten, auf die Theorie der Gesellschaft übertrug (Schaal/Heidenreich 2006, 66).

Während für Taylor Hobbes’ „eigentliche Ethik“ in keinerlei logisch notwendiger Verbindung zur Annahme des Menschen egoistischer psychologischer Verfassung stand (2008, 129), waren für Brown die moralischen Begriffe mit den psychologischen so verbunden, „dass man sie nicht ohne vollständigen Sinnverlust voneinander trennen kann“ (2008, 147). Es sei daher die Hobbes’sche Psychologie, die für das Verständnis seiner Begründung der Pflicht fundamental sei, während die Gebote Gottes „vollständig entbehrlich“ seien (ebd., 157).

Browns Kritik rekurriert auf dasselbe Problem, das auch Taylor selbst anerkannt hat – ob und wie Atheistinnen zu verpflichten seien. Hobbes’ Verwendung des Begriffes „Naturgesetz“ stellte für Brown den Beweis dar, dass diese Verpflichtung wahrlich universell sei: „Würden diese Gesetze nicht auch unabhängig davon, dass sie gottgeboten sind, verpflichten, so wären sie keine natürlichen Gesetze“ (ebd., 156 f.). Seine Rekonstruktion der Hobbes’schen Pflichtlehre läuft auf die These hinaus, die für Taylor (wegen seiner Unterscheidung zwischen der Begründung und tatsächlichen Erfüllbarkeit der Pflicht) nur einen Teil der Pflichttheorie darstellte, nämlich dass Frieden „ein Gut [ist], ob Menschen ihn tatsächlich wollen oder nicht, da Frieden für jedermann die Bedingung zur Befriedigung seiner, wie auch immer gearteten, Wünsche darstellt“ (ebd., 156).

Eine solche – auch liberal zu nennende – Interpretation hat sich innerhalb der Hobbes-Forschung in solchem Ausmaß durchgesetzt, dass heute, wie Bredekamp anmerkte, „die Gefahr besteht, ihn [= Hobbes] als Urvertreter des Liberalismus zu überschätzen“ (2012, 17). Die geläufige Auffassung scheint Hobbes’ anthropologische Prämissen, auf denen das Naturzustandskonzept gründet, zu relativieren: Der Mensch bei Hobbes sei der liberalen Lesart nach von Natur aus nicht kriegerisch, „vielmehr sind es spezifische Kontextvariablen in Verbindung mit einigen problematischen Charaktereigenschaften des Menschen [vor allem dem an sich weder positiven noch negativen Streben, ein angenehmes Leben zu führen], die ihn dazu bringen, destruktiv zu handeln“ (Schaal/Heidenreich 2006, 67). Dies habe Implikationen für die Frage menschlicher Verantwortlichkeit: „[D]ie Schuld für unmoralisches Handeln trifft nicht das Individuum alleine, sondern auch jene gesellschaftlichen Verhältnisse, die bestimmtes Handeln prämiert haben“ (ebd., 67).

Die Deutungsansätze (II)

Ein Alternativvorschlag für die Einteilung der Deutungsansätze, der zu der geschilderten Einteilung zwischen den naturrechtlich-theologischen und den liberal-rechtspositivistischen Hobbes-Interpretationen quersteht, ist Thomas Mohrs zu verdanken. Er ist insofern von Mehrwert, als er teilweise für ein anderes Set von Deutungen relevant ist. 1999 sprach Mohrs von zwei Hauptsträngen in der Rezeptionsgeschichte des 20. Jahrhunderts: zum einen von denjenigen Interpretationen, die „die Frage nach dem Macht- und Souveränitätsgedanken im Mittelpunkt“ hätten und Hobbes demnach als Theoretiker begreifen würden, „der vor dem Hintergrund des englischen Bürgerkrieges (1640−48) die unhintergehbare Notwendigkeit einer staatlichen Ordnung sowie souveräner politischer Macht nachgewiesen hat“ (55). Zu den Vertretern dieser Rezeptionslinie zählte Mohrs Schmitt, Schelsky und Willms. Die des anderen Stranges, wie Mohrs ihn verstand, waren von einer ganz anderen Einstellung zur Geschichte selber: Für sie war der Bürgerkrieg „nur ein (revolutionärer) Aspekt eines übergeordneten sozio-ökonomischen Prozesses, der in England seit der Mitte des 16. Jahrhunderts einsetzte“ (ebd., 55 f.). Es liegt nahe, dass unter den Vertretern dieser Deutungslinie Mohrs auch Crawford B. Macpherson verortete (außerdem Ulrich Weiß und Michael Esfeld). Nach Macphersons Deutung war der Bürgerkrieg in Hobbes’ Augen „ein Versuch […], die alte Verfassung zu zerstören und sie durch eine den neuen Marktinteressen günstigere zu ersetzen“ (2008, 121). So wurde Hobbes zum „frühe[n] Vertreter der neuzeitlichen Subjektivitätsphilosophie des Individualismus“, der die ersten Phasen der Entwicklung einer der Eigentumsmarktgesellschaft spezifischen Mentalität und des Verhaltens „auf den Begriff zu bringen“ versuchte (Mohrs 1999, 55 f., mehr zu der Hobbes-Deutung Macphersons auf S. 191, vgl. auch mit der Interpretation Tönnies’, S. 27).

Zusätzlich zu den vier Gruppen der Deutungsansätze (naturrechtlich-theologisch vs. liberal-rechtspositivistisch; etatistisch-machttheoretisch vs. soziologisch-bürgerlich) möchte ich noch auf einen weiteren verweisen, der sich mit den erwähnten teils überschneidet, teils quer zu ihnen steht. Man kann aus allen Hobbes-Interpretationen diejenigen hervorheben, die ihn in Verbindung zum Phänomen totalitärer Herrschaft bringen. Zwar spielen sie in den heutigen Hobbes-Diskussionen keine erhebliche Rolle; jedoch müssen sie in dieser Arbeit allein deswegen erwähnt werden, weil sie den Fokus und die Argumentation Schmitts in seinem Text „Die vollendete Reformation“ beeinflusst haben.

1935 hat Joseph Vialatoux in La Cité de Hobbes. Théorie de l’État Totalitaire die provokative These aufgestellt, Hobbes habe ein theoretisches Modell eines modernen, totalitären Staates entworfen (Hinnant 1980, 111). Sie mag der Leserin unserer Zeit anachronistisch und erzwungen erscheinen, zumal ihr Autor heutzutage kaum einer Person ein Begriff ist (anders in der Zeit Schmitts − 2.2 Hobbes-Deutung bei Schmitt in ihrem zeithistorischen Forschungskontext). Anders verhält es sich mit Hannah Arendt, deren Hobbes-Interpretation zuerst als „Expansion and the Philosophy of Power“ erschien und später in Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft eingegliedert worden ist. Ihre Wahrnehmung von Hobbes überschneidet sich mit derjenigen von Macpherson, insofern sie die These vertritt, dass das Hobbes’sche Bild des Menschen in Wahrheit das einer Bourgeoise sei. Die Weltanschauung bürgerlicher Gesellschaft sei, so Arendt, von Hobbes nicht nur entworfen, sondern „nahezu endgültig formuliert worden“ (1991, 241). Der „Vorausblick“ auf die Entwicklung moderner Gesellschaft zeige das Aufkommen eines Menschentypus, der einerseits „von nichts mehr geschmeichelt sein würde, als wenn man ihm seine Machtinstinkte bescheinigte“, und andererseits „mit der gleichen zahmen Impotenz sich jedem Befehl unterwerfen werde, und handele es sich darum, aus ihm undurchsichtigen Gründen einer höheren Gewalt seinen besten Freund zu ermorden“ (ebd., 252).

Mit der Behauptung, dass Hobbes zeichnete, „wie der Mensch sein muss und wohin er […] gehen muss, um den Forderungen einer kommenden Gesellschaftsordnung, die er nicht nur ahnte, sondern bis ins Detail durchschaute, zu genügen und in ihr sich zu bewegen“ (ebd., 242), stand Arendt quer zu allen Hobbes-Interpretationen, denen die Annahme zugrunde liegt, dass es Hobbes darum ging, den Menschen an sich zu verstehen und zu erklären. Hobbes war es, so Arendt im Gegenteil, „nirgends um solche Einsichten oder Feststellungen“ gegangen (ebd., 242). Seine Postulate über die Natur des Menschen und der Gesellschaft entsprachen den radikalen wirtschaftlichen, sozialen und politischen Entwicklungen, die Arendt als fortschreitende Besitzakkumulation und Akkumulation von Macht bezeichnete (ebd., 248). Die Vernichtung (und letztlich Selbstvernichtung) sei dabei zur radikalsten Form der Macht und des Besitzes geworden: Es sei demnach konsequent, dass Hobbes „die Gleichheit der Menschen auf das Tötenkönnen gründete“ (ebd., 251).

Nach einem Überblick über die einflussreichen Stränge und Positionen der Hobbes-Rezeption, die die Zeit von Schmitt und Strauss sowie die unsere geprägt haben, möchte ich zu guter Letzt die wesentlichen Punkte festhalten, bei denen die Interpretationen von Schmitt und Strauss mit denjenigen der führenden Hobbes-Interpretinnen ihrer und unserer Zeit auseinanderklaffen.

Im Fall von Strauss gründet die Sonderstellung seines Hobbes-Verständnisses darauf, dass einerseits eine gemeinsame Grundlage zwischen seiner Deutung und den maßgebenden naturrechtlichen Hobbes-Interpretationen erkennbar ist. Andererseits ging Strauss den eigenen, in einem nicht unerheblichen Ausmaß abweichenden Weg. Worin sein Hobbes-Verständnis mit dem von Taylor und Warrender übereinstimmt, ist die These, dass die Hobbes’sche Pflichtlehre nicht anhand der mechanistisch-deterministischen Psychologie erklärt werden könne. Die Abweichung besteht vor allem darin, dass sich Strauss ein ambivalentes Bild des Verhältnisses von Hobbes zum naturrechtlichen Denken sowie zur Religion/Theologie gemacht hatte. Er war weit davon entfernt, Hobbes schlechthin als Fortsetzer der naturrechtlichen Denktradition, die das Naturrecht letztlich als Gottesrecht legitimiert, zu deuten und sich mit dieser Zuordnung (die immerhin vieles an Hobbes erhellt) zufriedenzugeben. Vielmehr versuchte Strauss, Hobbes im Spannungsfeld zwischen Kontinuität und Brüchen, Schnitt- und Abstandspunkten in und zu der naturrechtlichen Tradition zu verstehen.

Die Eigenart des Bildes von Hobbes, das Strauss zeichnete, gründet auf seiner Annahme über die grundlegende Rolle der Hobbes’schen Religionskritik für dessen politische Lehre und für seine bahnbrechend neue moralische Gesinnung. Dank ihrer konnte Strauss dem Dilemma naturrechtlicher Hobbes-Interpretationen entkommen, das ich bei der Besprechung der Interpretation Taylors erwähnt habe: dass Hobbes den Gebotscharakter des Naturgesetzes (nicht des positiven Gesetzes!) und die Wirkmächtigkeit der Vernunft durch die Voraussetzung der Anerkennung von Heiliger Schrift selbst relativierte.

Wenn Hobbes’ Pflichtlehre in ihrer Begründung da an ihre Grenzen stößt, wo die Grenze zwischen Atheismus einerseits und allen Formen christlichen Glaubens andererseits verläuft, dann bedeutet es eine erhebliche Beschränkung des Hobbes’schen Anspruches auf universelle Geltung und Wirksamkeit seiner Lehre. Gerade aber die universelle Anwendbarkeit war für den Hobbes’schen Bruch mit der klassischen politischen Lehre, so Strauss, maßgebend. Seine Lesart von Hobbes umging das auf Taylor und Warrender zutreffende Dilemma, indem er sein Augenmerk auf Hobbes’ Religionskritik in ihren unterschiedlichen Prägungen legte. Nach der Lehre der Elements sei „das Naturgesetz nicht erst auf Grund der Offenbarung, sondern schon auf Grund der natürlichen Gotteserkenntnis obligatorisch“. Es verpflichte „also alle Menschen als vernünftige Wesen, und insbesondere die Obrigkeit“ (Strauss 2008 b, 87 f.). In Der Religionskritik des Hobbes machte Strauss darauf aufmerksam, dass bei Hobbes „Gott […] seinen Willen sowohl auf natürliche als auch auf übernatürliche Weise kundtun [kann]. Das Erstere geschieht dann, wenn die Menschen auf Grund der ihnen von Natur zukommenden Kräfte zur Erkenntnis des natürlichen Sittengesetzes gelangen“ (meine Hervorhebung, 2008 d, 337 f.).

Bei der Möglichkeit rein vernünftiger Kenntnis des Naturgesetzes blieb es für Hobbes aber nicht. Was die „übernatürliche Weise“ des „Kundtuns“ angeht, so habe er in seinen späteren Werken „mit fortschreitender Religionskritik die natürliche Theologie durch eine vorgeschobene offenbarte Theologie“ verdrängt (Strauss 2008 b, 95). „Jegliche natürliche Gotteserkenntnis, die mehr sein will als das Wissen, dass eine erste Ursache von schlechthin unerkennbarer Machtfülle existiert“, habe Hobbes später „für unmöglich gehalten“ (ebd., 94; mehr zu Strauss’scher Interpretation der Religionskritik Hobbes’ auf S. 183, 220).

Dies war vor allem für seine Souveränitätslehre wichtig. Anders als in den naturrechtskritischen, liberal-positivistischen Hobbes-Deutungen hat Strauss die Religionskritik Hobbes’ nicht einfach mit der Verwerfung des naturrechtlichen Denkens gleichgesetzt − vor allem nicht mit der Verwerfung der natürlichen Moral. Im Gegenteil erkannte Strauss im Zentrum von Hobbes’ Politikwissenschaft dessen moralische Gesinnung, die nicht theologisch begründet war − vielmehr war sie ein integrer Teil seiner Religionskritik. Aus seiner neuen moralischen Gesinnung herausFootnote 15 füllte Hobbes die übermittelten Kategorien des Naturrechtes mit neuem Inhalt. Auf den Glauben war dieses nicht angewiesen. Das qualifizierte Hobbes auf der einen Seite zum Vertreter und Anhänger der naturrechtlichen Denktradition, andererseits zu ihrem Kritiker. Einerseits, bemerkte Strauss, stimme Hobbes mit der sokratischen Tradition überein, „indem er die Ansicht vertritt, dass sich die politische Philosophie mit dem Naturrecht beschäftigt“ (1977, 174). Andererseits musste das klassische Naturrecht auf den Kopf gestellt, radikal neu gedacht werden − gerade als „zum Teil eine Reaktion auf die Absorption des Naturrechts durch die Theologie“ (ebd., 169). Diese Erwägungen Strauss’ sollten die Leserin vor der pauschalen Zuordnung Hobbes’ zu der einen oder anderen philosophischen Tradition warnen und zur Auseinandersetzung mit der Frage auffordern, was Hobbes mit und aus den überlieferten Traditionen konkret machte.

Auch Schmitts Hobbes-Deutung hebt sich von der Gesamtheit der damals und heute aktuellen Interpretationsansätze ab. Sie weist in unterschiedliche Richtungen zeigende Narrative auf, wie ich in dieser Arbeit zu veranschaulichen versuche. Beinhaltet sind Aspekte der naturrechtlich-theologischen, der naturrechtskritisch-positivistischen, der etatistisch-machttheoretischen Deutungen. Mit keiner davon ist sie jedoch identisch. Zum einen interpretierte Schmitt in Dem Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes jenen als Machttheoretiker, der die theologische Begründung der souveränen Macht dezidiert verworfen habe (siehe z. B. 1982, 50 f.). Gleichermaßen wurden von Schmitt Züge des individualistischen, religionskritisch-positivistischen Denkens bei Hobbes hervorgehoben, an denen die liberalen Deutungen ansetzen. Dazu gehören der individualistische Charakter des Sozialvertrags (ebd., 51), die faktische Schutzleistung als Raison d’Être des Staates (ebd., 53), das positivistische Rechtsverständnis (ebd., 67−69, 103, 106), der aufklärerische Glaube an die Vernunft (ebd., 56 f.) und die Kritik des Wunderglaubens (ebd., 81 f.). Dieses Bild wurde von Schmitt selbst infrage gestellt, indem er den dezisionistischen und absolutistischen Charakter des Hobbes’schen Denkens herausstellte (ebd., 82, 102). Dagegen schien er sich für die naturrechtliche Interpretation Hobbes’ nicht sonderlich zu interessieren (ebd., 126).

In Der Diktatur ist zwar vom naturwissenschaftlichen Naturrecht und Hobbes als seinem Vertreter die Rede (Schmitt 1989, 21 f.); wie das naturwissenschaftliche Naturrecht von Schmitt verstanden wurde, hat es mit naturrechtlichem Denken allerdings nichts zu tun − eher mit Dezisionismus par excellence (siehe S. 125). Weshalb Schmitt von naturwissenschaftlichem Naturrecht sprach, obwohl er Dezisionismus meinte, erklärt sich dadurch, dass er in der Zeit, in der diese Publikation entstand, möglicherweise noch keinen Dezisionismus-Begriff an der Hand hatte. Erst in Politischer Theologie wurde Hobbes zum „klassischen Vertreter des […] dezisionistischen Typus“ erklärt (Schmitt 1990, 44). 1938 deutete Schmitt die Interpretation der Lehre Hobbes’ als politische Theologie an, ab 1963 hielt er an ihr fest (siehe 1982, 126 f.; 1991, 121 f., 1982 a). In dieser Interpretation glaubte er die Vereinbarung der dezisionistischen, theistischen und positivistischen Elemente im Hobbes’schen Denken leisten zu können. Die Annäherung an die naturrechtlich-theologischen Hobbes-Interpretationen und das zur Zuspitzung getriebene Bild von Hobbes als politischem Theologen sind auch deswegen eigenartig, weil Schmitt dabei das Verhältnis der Kategorien „natürlich“ und „künstlich“ sowie die Rolle der Sprache bei Hobbes problematisierte (1982 a, 141−143).

Was die Diskussion über die Rolle der naturwissenschaftlichen Argumentation bei Hobbes anbelangt, lässt sich eine relativ klare Stellung Schmitts zu dieser Frage nur dann identifizieren, wenn man seine eigene Position von denjenigen, die er nur um der Polemik willen darstellte, unterscheidet.Footnote 16 Diese „eigene“ Position lautet, dass „Hobbes zwar modern-wissenschaftliche Argumente benutze, aber nur deshalb, weil ihm im Streit der theologischen Kontroversen jede andere Möglichkeit einer einleuchtenden Argumentation verlorengegangen war“ (ebd., 166; bestätigt wird diese Position durch Aussagen auf S. 168 f.).

Exkurs: Schmitt und Strauss auf dem Pfad von Ferdinand Tönnies

Wenn es einen Autor gibt, ohne den die Vorstellung der Hobbes-Forschung im Europa der 1930er Jahre – in jener Zeit also, in der Schmitt und Strauss ihre Hauptwerke zu Hobbes verfasst haben − unmöglich ist, dann ist es Tönnies. Seine Hobbes-Forschung ist ein wichtiger Teil des Hintergrundes, vor dem Schmitt und Strauss ihre Hobbes-Deutungen entwickelten. Die Überlieferungen, Anknüpfungen, Gemeinsamkeiten und Distanzierungen von Tönnies sind im Folgenden thematisch aufgegliedert und bearbeitet worden. Dass Schmitt und Strauss in ihren Hobbes-Deutungen Abschnitte des von Tönnies betretenen Weges – in Anlehnung an oder Ablehnung von dessen Entdeckungen – gingen, lässt sich sowohl auf Basis der direkten Bezugnahmen als auch mittels des davon unabhängigen Vergleichs der vertretenen Ideen und Ansätze beweisen.

Besonders im Fall von Strauss, wie man gleich sehen wird, ist ein solcher Vergleich sinnvoll, denn auf diese Weise lässt sich feststellen, was an seiner Deutung von besonderem Mehrwert, weil von der vorgefundenen Forschungslage abweichend, ist. Von Grund auf betrachtet, kann behauptet werden, dass Strauss’ Polemik gegen die naturalistische Deutung Hobbes’, seine Interpretation von Hobbes als einem Naturrechtslehrer auf den Einsichten Tönnies’ über die Hobbes’sche Auffassung des Naturrechtes sowie über die Wichtigkeit von moralischen und politischen Grundlagen in der Hobbes’schen Lehre fußen.Footnote 17 Auch lehnte Strauss, wie auch Tönnies, die theistischen Deutungsansätze ab, wie sich in einem wichtigen Verweis auf den Letzteren in einer Fußnote in Hobbes’ politischer Wissenschaft in ihrer Genesis erkennen lässt: „Vgl. hierzu die Gegenüberstellung der atheistischen und der theistischen Weltentstehungslehren […], woselbst Hobbes offensichtlich die erstere bevorzugt. Die gelegentliche Anerkennung der Teleologie ist, wenn sie aufrichtig ist, nur als Residuum der Tradition zu erklären, das im Widerspruch zu Hobbes’ gesamter Philosophie steht. Ähnlich urteilt Tönnies“ (Strauss 2008 b, 143).Footnote 18

In seinem Hauptwerk zu Hobbes verwies Strauss mehrmals auf das damals zum dritten Mal herausgegebene Werk Thomas Hobbes. Leben und Lehre. Allerdings ging er in meisten Fällen nicht explizit darauf ein, ob der eine oder andere Verweis seine eigene These bestätigen, seiner Argumentation etwas hinzufügen soll oder aber eine gegensätzliche Haltung darstellt. Die Leserin sieht sich dazu aufgefordert, die Auflage des Tönnies’schen Werkes von 1925 aufzuschlagen und dies selbst festzustellen. Sein Interesse an und Wertschätzung von den Hobbes-Untersuchungen Tönnies’ hat Strauss schon 1933 bekundet: Dessen wichtige Thesen in Bezug auf Hobbes wurden in „Einigen Anmerkungen über die politische Wissenschaft des Hobbes“ eingeblendet (2008 a, 249 f., 252, 255). Dass sich Tönnies’ Hobbes-Werk für Strauss als unumgänglich bewährt hat, geht aus seiner Korrespondenz, Anfang 1934, mit Jacob Klein hervor. Strauss hat sich bei diesem wiederholt erkundigt, wie viel das Buch koste, mit dem Hinweis, dass es für seine Forschung zum noch nicht publizierten Hobbes’schen Nachlass in der Grafschaft Derbyshire gebraucht werde. Anscheinend hat Tönnies’ Forschung ihn überzeugt und seine eigene sollte darauf aufbauen: Er brauche nämlich das Buch, „um nicht unnötige Arbeit zu haben“, so seine Erklärung in dem kurz vor einer Reise nach Derbyshire verfassten Brief, in dem er Klein bat, ihm das besagte Buch „umgehend“ zu schicken (Strauss 2008 e, 489 f., 493 f.).

Der Strauss’schen Korrespondenz mit Karl Löwith ist wiederum ein Hinweis darauf zu entnehmen, für welchen inhaltlichen Aspekt genau der Rückgriff auf Tönnies’ Hobbes-Studium für Strauss in der entsprechenden Zeit von besonderem Belang war. 1933 empfahl Löwith Strauss, sich wegen der Publikation von dessen Religionskritik des Hobbes an Tönnies zu wenden, und bot ihm an, des Letzteren Adresse zu vermitteln (Strauss 2008 f, 640). In jener Studie würdigte Strauss die Tönnies’sche Ansicht, die sich gegen die in der damaligen Hobbes-Forschung vorherrschende Überzeugung auflehnte, dass die Religionskritik Hobbes’ nur „ein notwendiges Abfallsprodukt“ seiner Naturphilosophie sei (2008 d, 267), die wiederum mit einer materialistischen Metaphysik, d. h. mit der naturwissenschaftlichen Weltsicht, gleichzusetzen sei.Footnote 19 Aus diesem Grund sahen die Zeitgenossen von Strauss keinen Grund, die Hobbes’sche Religionskritik einer grundlegenden Analyse zu unterziehen. Tönnies habe wiederum gezeigt, so Strauss, dass „Hobbes’ Naturphilosophie nicht so sehr eine materialistische Metaphysik als eine Grundlegung der modernen Naturwissenschaft ist“ (meine Hervorhebung, ebd., 267 f.).Footnote 20 Das mache die „hervorragende[] Bedeutung“ Hobbes’scher Religionskritik aus (ebd., 268).

Neben diesen wichtigen Annäherungen und Übereinstimmungen gab es auch Aspekte, bei denen zwischen der Hobbes-Deutung von Strauss und derjenigen von Tönnies keine Einigkeit bestand. So einen Aspekt stellt der deterministische Charakter der Hobbes’schen Anthropologie dar, mit dem sich Tönnies sehr detailliert befasst hat. Das sechste Kapitel seines Hobbes-Werkes gibt den Austausch zwischen Hobbes und seinem Kritiker Bischof Bramhall wieder. Dabei verteidigte Hobbes seine Meinung zum Thema Willensfreiheit gegen Bramhalls Atheismus-Vorwürfe. Die Kontroverse zwischen dem Bischof und dem Gelehrten, die sich in schriftlicher Form zum Großteil in Hobbes’ Questions concerning Liberty und Bramhalls Castigations of Mr Hobbes wiederfindet, rekonstruierte Tönnies Argument für Argument, Gegenargument für Gegenargument, um zu der Schlussfolgerung zu kommen, dass „die Lehre von der Notwendigkeit menschlicher Handlungen oder […] von der Unfreiheit des Willens“ bei Hobbes zwar „den Kernpunkt in der Betrachtung des Menschen“ bildete (1971, 153), jedoch keine der ethischen Implikationen enthielt, die ihm vom Bischof vorgeworfen wurden, und daher weder seinen Atheismus bewies noch seine Morallehre untergrub.

Dass Tönnies auf der Qualifizierung der Hobbes’schen Lehre als deterministisch bestand und Strauss solche Deutung überzeugt ablehnte („Die für Hobbes charakteristischen Lehren“, so Strauss, „sind etwa auch und gerade unter der indeterministischen Voraussetzung lebensfähig“; 2008 b, 15), lässt sich dadurch erklären, dass Tönnies Determinismus grundlegend anders als Strauss dachte. Die Entzweiung der Positionen von Tönnies und Strauss an dieser Stelle sagt also mehr darüber aus, wie sie den Begriff „Determinismus“ verwendet, als darüber, wie sie Hobbes verstanden haben. Für Strauss wäre die Leugnung der Willensfreiheit nämlich mit der Behauptung identisch gewesen, „dass der Mensch unter allen Umständen mehr durch seine sinnlichen Eindrücke und durch seine zwangsläufigen Reaktionen auf diese Eindrücke (seine Begehrungen und Leidenschaften) als durch seine Vernunft bestimmt ist“ (ebd., 15). In der Theorie Hobbes’ sah Tönnies aber gerade das Gegenteil davon: Der einzelne Willensakt war für Hobbes „viel mehr durch die Natur des Menschen, und d. h. doch also durch seinen vorhandenen und bis dahin ausgebildeten Willen bedingt, als durch die gelegentliche, relativ zufällige Anregung äußerer Gegenstände“ (1971, 179). Darin bestehe für Hobbes, Tönnies zufolge, die Essenz und Geltung der eigentlichen menschlichen Freiheit, die die Unterscheidung zwischen Wollen und Handlungsfreiheit, Begehren und Tat voraussetze. Dadurch, dass er den Unterschied zwischen Wollen und Handlungsfreiheit in der Hobbes’schen Anthropologie hervorgehoben hat,Footnote 21 konnte er Hobbes einen gewissen Determinismus zuschreiben, der den Begriff der Moral, die die Handlungsfreiheit zur Bedingung hat, nicht hohl machen würde. „Notwendig sein“ bedeutete für Hobbes in der Lesart von Tönnies „eines und dasselbe“ wie „wirklich sein“ (ebd., 172). Nur weil die Wirklichkeit für Hobbes „ein unendlicher Zusammenhang“ war (ebd., 172), sei es falsch, anzunehmen, dass die Mittel, bestimmte Wirkungen zu erlangen (z. B. rechtliche Maßnahmen, mit denen Gehorsam erzwungen wird), überflüssig seien (ebd., 158).

Es bedarf der Kenntnis von zwei weiteren Thesen Tönnies’, um seine Position akzeptieren zu können, dass Hobbes von seiner deterministischen Anschauung des Ganzen nicht abweichen musste, um seine normativ geprägte Anthropologie aufrechtzuerhalten. Zum einen war es der Hobbes’sche Begriff des Gottes als Willen, aus dem alle Notwendigkeit fließe (ebd., 165): „Alle Dinge und alles Geschehen“, alle Kausalreihen würden auf Gott beruhen und daher sei die Welt in sich „logisch“ (ebd., 155), auch wenn es den meisten Menschen an Vernunft mangele, dies einzusehen.Footnote 22 Zum anderen war es die Vorstellung Hobbes’, dass die einzige wahre Freiheit des Menschen nur „als ein psychologisches Ergebnis der Hingebung an das Erkennen“, als Einigkeit „mit dem Ewigen und Unendlichen“ (ebd., 156), d. h. mit der ersten Ursache, zu verstehen sei. Auf diese Weise sei Hobbes’ deterministische Sicht des Ganzen mit der Idee menschlicher Freiheit vereinbar.

Was die Frage der menschlichen Freiheit anbelangt, schätzte Strauss die Erklärung von Tönnies insofern, als diese die in Strauss’scher Sicht irrtümliche Trennung zwischen logischer und psychologischer Begründung der Pflicht in der Lehre Hobbes’ für nicht aufrechtzuerhalten auswies:Footnote 23 „Hobbes ist, wie bereits Tönnies in einem ähnlichen Zusammenhang bemerkt hat, bemüht, diese Begründungen nicht etwa bloß zu vereinbaren, sondern zur Koinzidenz zu bringen“ (Strauss 2008 a, 255; vgl. auch 2008 b, 15). Gleichzeitig ging Strauss über Tönnies hinaus, indem er sich der Herausforderung stellte, hinter die Unterscheidung zwischen der logischen und der psychologischen Begründung durchzudringen, um den eigentlichen Gedanken Hobbes’ zu erfassen (2008 a, 255). Das vollzog Strauss, indem er demonstriert hat, dass beide Begründungen bei Hobbes auf dessen Morallehre zurückzuführen seien (ebd., 255).

Die logische Begründung − „jedes bonum, als bonum für den Menschen, setzt voraus, dass der Mensch lebt; daher ist die Erhaltung des Lebens bonorum primum“ − löse sich nämlich durch das Argument auf, dass bei Hobbes „der Tod unter gewissen Umständen unter die Güter gezählt werden könne. Die Erhaltung des Lebens könne also gerade nicht die Norm einer allgemeingültigen Ethik sein“ (ebd., 255). Die psychologische Erklärung wiederum habe keine Antwort auf die Frage, warum Hobbes die Vernunft mit dem Pflichtbewusstsein und nicht mit dem Selbsterhaltungsdrang identifizierte. „Die Furcht vor gewaltsamem Tod − voilà jenes Hindernis oder jener Zwang, den die ,psychologische‘ Begründung der Pflicht sucht“ (ebd., 256 f.). So stellte Strauss fest, dass „diese angeblich nur von der ,psychologischen‘ Begründung gesuchte Tatsache […] keine andere als die [ist], mit der es auch und im selben Sinn die ,logische‘ Begründung zu tun hat: die Erkenntnis des gewaltsamen Todes als des größten Übels ist notwendig Furcht vor ihm; eben darum ist diese Erkenntnis ,zwingend‘“ (ebd., 257). Geht man hinter die von Tönnies und Strauss verworfene Unterscheidung zurück, komme man auf die für Hobbes maßgebende Gesinnung − die moralische Antithese von Furcht und Eitelkeit, in der die Erstere als der einzige Grund der Pflicht verstanden werden müsse, der „den Menschen ganz und von Grund auf“ bestimme (ebd., 257).

Die Antithese von Eitelkeit und Furcht verweist auf einen Grundsatz des Hobbes’schen Denkens, der von Tönnies anders als von Strauss interpretiert wurde – die Auffassung über die Ursachen des Krieges bzw. des Naturzustandes.Footnote 24 Auch wenn es, wie in den letzten Absätzen ersichtlich, auf keinen Fall richtig wäre, zu behaupten, dass Tönnies die Hobbes’sche Anthropologie ganz und gar anders als Strauss deutete, ist nicht zu übersehen, dass er in seiner Interpretation andere Akzente setzte. Er unterschied drei Hauptursachen zwischenmenschlichen Streits, von denen er als erste den Wettbewerb hervorhob. Eitelkeit wurde von ihm erst an dritter Stelle erwähnt (Tönnies 1971, 178). Dass Tönnies Wettbewerb als erste Ursache einführte, dürfte kein Zufall gewesen sein: Als er sich mit den Hobbes’schen Postulaten der menschlichen Natur auseinandersetzte, merkte er an, dass sich aus dem „gemeinschaftlichen Besitz für die Menschen, die um dessen Benutzung mit Gewalt streiten würden“, laut Hobbes notwendigerweise Krieg ergebe (ebd., 218). Dementsprechend identifizierte Tönnies das erste Postulat Hobbes’ – die natürliche Begierde – nicht als Eitelkeit, wie Strauss, sondern als eine Eigenschaft, die sich als Habsucht bezeichnen lässt: „Die natürliche Begierde, wonach jeder seinen eigenen Gebrauch der gemeinsamen Güter fordert“ (ebd., 218).

Dass Tönnies der Habsucht die primäre Bedeutung in Bezug auf den Krieg eines jeden gegen jeden zuteilte, ist nicht verwunderlich, wenn man sich zwei folgende Aspekte seiner Deutung vergegenwärtigt: Erstens hob er in seinem der Persönlichkeit Hobbes’ gewidmeten Kapitel dessen Aussage hervor, dass niemand ein Bösewicht sein könne, der nicht habsüchtig sei (ebd., 68).Footnote 25 Zweitens widmete sich Tönnies in seiner Deutung gründlich dem Verhältnis der Hobbes’schen Lehre zum sozialhistorischen Kontext. Allerdings ging es ihm nicht um den politischen Hintergrund im engen Sinne, sondern um einen tiefgründigeren sozialen Wandel, im Laufe dessen die organischen Theorien sozialen Lebens unter den Zeitgenossinnen Hobbes’ an Glaubwürdigkeit verloren. Diese Entwicklung beschrieb Tönnies als den Ursprung liberaler (Markt)Gesellschaft: „Der Einzige und sein Eigentum wird immer mehr Typus des sozialen Menschen. Er denkt, er rechnet, er berechnet seinen Vorteil. Ihm wird alles Mittel zum Zweck.“ Und: „Er löst und schließt Verträge und Bündnisse nach seinem Interesse“ (ebd., 265). Dieser Transformation intersubjektiver Verhältnisse schloss sich die Wandlung in der Wahrnehmung des Staates und des Verhältnisses vom Individuum zum Staat an: Nicht nur die Individuen entfremdeten sich voneinander, indem sie sich von traditionellen Bündnissen loslösten, sondern auch der Staat isolierte sich von den Individuen. Die Essenz davon, wie die „modernen“ Bürgerinnen ihren Staat dächten, sei, dass der Kern dessen Beschaffenheit in den Finanzen, in seiner „privatrechtlichen Persönlichkeit als Fiskus“ liege (ebd., 265 f.). Sich darauf beziehend stellte Tönnies fest, dass die umwälzende Qualität Hobbes’scher Staatsvorstellung nicht darin bestand, dass er die Quintessenz des Gemeinwesens als einen Vertrag sah – das Konzept des sozialen Vertrags war eine „uralte Volksanschauung“ –, sondern dass Hobbes das Element des Vertrages der natürlichen oder religiös geschaffenen „Heiligkeit“ entzog und „das rationale“ als „alleiniges Fundament“ „herausschälte“ (ebd., 265).

Im Gegensatz zu Tönnies deutete Strauss Eitelkeit − und eben nicht Habsucht − als den Hauptgrund böser Handlungen und aggressiven Verhaltens: „Das natürliche Begehren ist nach Hobbes nicht Streben nach ,Lebensförderung‘, sondern, wie die genauere Analyse ergibt, das Streben des Menschen, sich selbst zu gefallen, indem er von anderen Menschen als ihnen überlegen anerkannt wird, also die Eitelkeit“ (2008 a, 258 f.). Das grenzenlose Verlangen nach immer größerem Triumph über andere Menschen war für Strauss etwas anderes als die Forderung des eigenen Anteils (Eigentums) an gemeinsamen Gütern, worin für Tönnies die natürliche Begierde und die erste Ursache des Naturzustandes zwischen den Menschen bestand. „Man kann“, so Strauss, „die fundamentale Bedeutung der Begründung des Naturrechts […] nicht erkennen, wenn man […] davon ausgeht, dass das ,natürliche Begehren‘ das Streben nach ,Lebensförderung‘ ist“ − vielmehr „genügt“ „die verkehrte Bestimmung des natürlichen Begehrens als Streben nach ,Lebensförderung‘“, „um das Verständnis der Hobbesschen Politik prinzipiell unmöglich zu machen“ (2008 a, 258).

Ein weiterer Beweis, dass sich die Interpretationen von Strauss und Tönnies hinsichtlich der Anthropologie Hobbes’ unterschieden haben – trotz deren Anerkennung des Postulates der Todesfurcht in ihrem Verhältnis zur natürlichen Begierde –, findet sich in dem Hobbes-Kapitel in Der Religionskritik Spinozas. Darin unterschied Strauss bei Hobbes zwischen dem Streben nach Genuss, nach Macht und nach Ehre. Beides, Streben nach Macht und Streben nach Genuss – das, was bei Tönnies als Habsucht bezeichnet wird –, deutete Strauss als von der Vernunft, von dem Vorausblick auf die Zukunft gerechtfertigt – gar als das, was „das Streben nach Geltung, Ehre, Ruhm – kurz und in Hobbes’schem Sinne gesagt: die Eitelkeit“ − entrechte (2008 k, 129–131).

Die Tönnies’sche Akzentsetzung auf Wettbewerb und Habsucht, seine Überlegung zur Hobbes’schen Bewusstheit über das Aufrücken des Kapitalismus und die damit verbundene These, Hobbes sei Urvater der politischen Ökonomie (Hinnant 1980, 76), rechtfertigt ohne Weiteres keinesfalls die Schmitt’sche Empörung, die er in Dem Begriff des Politischen zum Ausdruck brachte, dass Tönnies im Hobbes’schen Pessimismus nichts mehr als die „Philosophie einer auf der freien ,Konkurrenz‘ sich aufbauenden bürgerlichen Gesellschaft“ sah (1991, 64 f.). Tatsächlich merkte Tönnies am Ende seines Werkes an, dass sich bekannte von Hobbes verwendete Formeln „der Mensch dem Menschen ein Wolf“ und „Krieg Aller gegen Alle“ auf das Emporkommen der kommerziellen Gesellschaft, der wilden Konkurrenz, der kapitalistischen Ausbeutung bezögen (1971, 275). Dass Tönnies von einem empirischen Begriff des Naturzustandes bei Hobbes sprach, als er feststellte, dass sich für Hobbes der status naturae im täglichen Leben überall und jederzeit beobachten lasse (ebd., 302), muss allerdings nicht zugleich bedeuten, dass er damit nur oder vor allem das Urbild eines homo oeconomicus meinte − eines Individuums, das sich in seinem Verhalten und Umgang mit seinen Mitmenschen nur von der kruden Dynamik des freien Marktes lenken lässt und pure Zweckrationalität verkörpert.

Für Hobbes gehörte nach dem Verständnis von Tönnies zum Naturzustand als einer grundlegenden Dynamik zwischenmenschlichen Umganges auch jede Form unvernünftigen Zusammenlebens, die sich durch die Abwesenheit kollektiven Bewusstseins − kollektiver Selbstbeherrschung − auszeichne. Dies schließe alle direkten Herrschaftsverhältnisse zwischen konkreten Personen(gruppen) ein, weil dadurch die „abstrakte, also gedachte“ Persönlichkeit des Staates negiert werde (ebd., 214). Darunter falle auch „das Recht des Siegers und das Mutterrecht über die Leibesfrucht“ (ebd., 215 f.).Footnote 26 Es bestehe also eine Parallele zwischen einem despotischen und dem Naturzustand. Damit drängt in aller Schärfe der Anspruch auf ein gewissen Gerechtigkeitskriterien unterworfenes bürgerliches Zusammenleben ans Licht: Der Hobbes’sche Souverän sei selbst dem „Billigkeitsgebot“ unterworfen (ebd., 221). Wenn er unvernünftig handele – d. h. seine Pflichte nicht erfülle und gegen das Gesetz der Natur verstoße (ebd., 229) –, versetze er sich in den Naturzustand. Zugleich könne es, den Überlegungen Hobbes’ folgend, nie im eigenen wohlverstandenen Interesse sein, sich gegen die vorhandenen Regeln aufzulehnen, auch wenn sie ungerecht erscheinen (ebd., 220): Eine Rebellin, die aus ihrer Vernunft heraus einem unvernünftigen Gesetz widerstrebe, liefere sich dem Naturzustand aus (ebd., 229). Da ein solcher Zustand mit Aussicht des unmittelbaren oder wahrscheinlichen Todes verbunden sei, könne er, so Tönnies, prinzipiell von niemandem gewollt sein. Eine ähnliche Interpretation findet sich in Dem Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes, in dem Schmitt den Hobbes’schen Leviathan als einen „unwiderstehlich funktionierenden Befehlsmechanismus“ bezeichnete (1982, 61).

Es lässt sich eine Parallele erkennen zwischen den Erwägungen Schmitts über die liberalen Attribute des Hobbes’schen Denkens im Zusammenhang mit der Entwicklung eines von jeglicher Substanz entleerten, positivistischen Rechtsstaates, der unvermeidlich zu einem Mechanismus innerer Sicherheit degradiere, und den Tönnies’schen Betrachtungen über den (natur)wissenschaftlich, liberal denkenden Hobbes. Auf Tönnies bezog sich Schmitt immer wieder an denjenigen Stellen seiner Argumentationen, in denen er Hobbes als Begründer eines aus dem individualistischen Ansatz heraus gerechtfertigten Rechtsstaates, als geistigen Ahnen eines Staatstypus, der „im 19. Jahrhundert auf dem europäischen Kontinent zur Herrschaft gelangte“ (ebd., 103 f.), deutete: „Ferdinand Tönnies feiert ihn [= Hobbes] als einen Begründer des modernen Rechtsstaats“ (1982 a, 157); „Tönnies hat darauf aufmerksam gemacht, dass […] Hobbes […] Staat als ein Menschenwerk […] unterscheidet, den man in der Tat auch als ,konstitutionellen‘ Rechts- und Verfassungsstaat bezeichnen kann“ (1982, 103 f.). „Inzwischen sind, vor allem durch die Arbeit von Ferd. Tönnies, die rechtsstaatlichen Elemente seiner Lehre herausgearbeitet und ist Hobbes als Theoretiker des ,positiven Rechtsstaates‘ anerkannt“ – und nicht etwa erst, wie üblich, John Locke (ebd., 111).

Allerdings nahm Tönnies, wie auch Strauss, den Hobbes’schen Anspruch, Naturrecht (neu) zu denken, ernst:Footnote 27 „Der Geist der [Hobbes’schen] Theorie ist die Darstellung des Rechtsstaates, der Bestimmung des Staates, das Naturrecht zu verwirklichen durch Gesetze“; „so kommt immer wieder die Lehre darauf zurück, dass die Geltung der Rechtsbegriffe unabhängig vom Staate sei“; „Hobbes ist zwar zugleich Vertreter des Wohlfahrts- oder Polizeistaates; er anerkennt auch kein Eigentum unabhängig vom Staatswillen […] aber in der Hauptsache scheint ihm doch offenbar die bestehende, des staatlichen Schutzes sich erfreuende Verteilung des Eigentums als ,natürlich‘ und richtig dem allgemeinen Interesse zu entsprechen“ (1971, 221 f.). Wie man es auch von Strauss kennt, unterschied Tönnies zwischen dem „erloschenen“ und dem „späteren“ Naturrecht. Das spätere, das von Hobbes initiiert wurde, hat Tönnies dem Liberalismus zugeordnet – ohne, im Gegensatz zu Schmitt, gegen das mit diesem Begriff gekennzeichnete Phänomen zu polemisieren.Footnote 28 Der „wahre Sinn“ des so aufgefassten Naturrechtes liege, so Tönnies, in der Gedankenvorstellung, dass „das Individuum gegen Individuum als Macht stehe, und zwar prinzipiell auf dem Fuße der Freiheit und Gleichheit“ (ebd., 199).

Neben der empirisch zu beobachtenden Bedeutung als vernunftwidrige Herrschaftsformen der Individuen unter sich hatte der Naturzustandsbegriff für Hobbes, so Tönnies, auch eine zweite, nämlich eine „wesentlich theoretische und doktrinäre Bedeutung, ein Schema, an dem die Kultur durch den vollkommenen Staat gemessen werden soll“. Dieser theoretische Begriff des Naturzustandes hatte das Bild „der allgemeinen Gleichheit und des allgemeinen Krieges“ inne (ebd., 215 f.). Das Erfassen des Individuums in seiner Gleichheit mit anderen Individuen war für Tönnies also nicht nur eine Reflexion der marktbürgerlichen Gesellschaft in ihrer Entstehung und Bestandteil einer Pflichtenlehre, sondern, in erster Linie, eine Lösung dafür, was Tönnies als das „Kardinalproblem“ bezeichnete: „die Einigung und Einheit einer Volksmenge“, die Bildung „einer einheitlichen Nation“ (ebd., 216). Die Hobbes’sche Lösung, für deren Herausstellung Schmitt Tönnies gepriesen hat (1982, 103 f.), bestehe in dem Konstrukt einer konstituierenden Versammlung, auf Grund derer „der Staat erst ins Leben“ trete und die „einen schöpferischen Akt“ vollziehe, der „naturrechtlich gültig ist“ und der darin bestehe, dass jedes Glied mit jedem anderen Glied in ein Vertragsverhältnis eintrete. Der Vertrag, der auf diese Weise zustande komme, könne von der Versammlung nicht infrage gestellt werden, weil die Person, die dadurch Vollmacht über die Versammlung bekomme, an diesen Vertrag nicht gebunden sei. „[I]n dem Augenblicke, wo sie [die Versammlung] diese Vollmacht gibt“, höre die Versammlung auf, zu existieren, ihr „Mandat“ „erlischt“, „auch wenn sie eine Demokratie einrichtet“. „Dieser“, so Tönnies, „ist der springende Punkt der ganzen Deduktion“ (1971, 302–305).

In diesem Sinne, also als Idealgegensatz zum Staat und nicht als Beschreibung der sich parallel zum bürgerlichen Verhalten vollziehenden Umgangsformen, entstammte der Hobbes’sche Begriff des Naturzustandes, so Tönnies, der herrschenden theologischen Lehre, die, vom Mythos des Paradieses ausgehend, den bürgerlichen Zustand dem Paradies entgegenstellte. Tönnies zufolge wendete Hobbes, „in Anknüpfung an die epikureische Überlieferung“ (ebd., 200), den Mythos des Paradieses in sein Gegenteil – den Zustand der Wildheit und Rohheit. Strauss behauptete zwar auch, dass Hobbes das Paradies-Bild auf den Kopf stellte, aber auf eine ganz andere Art und Weise: Hobbes solle das Konzept des Gnadenzustandes durch den Zustand der bürgerlichen Gesellschaft ersetzt haben, um diese als Gegenbild zum Naturzustand zu veranschaulichen (1977, 191 f.). Diese und ähnliche Interpretationen des Naturzustandskonzeptes als säkulare Kehrbilder biblischer Erzählung würden sich, wie von McCormick bemerkt, von der Hobbes-Deutung Schmitts insofern unterscheiden, dass dieser den Naturzustand als immerwährende politische Gefahr wahrnahm – im Sinne der Auflösung des Staates und der Gesellschaft durch den Bürgerkrieg (1994, 624 f.).

Außer der empirischen und doktrinären Bedeutung des Naturzustandsbildes gab es für Hobbes, laut Tönnies, auch eine geschichtliche Entwicklung der Menschheit von einem „tierähnlichen Zustande“ zur Zivilisation (1971, 190) – eine Entwicklung mittels Aufklärung, Erziehung und Zucht, die wiederum wissenschaftlich gewonnener Erkenntnisse bedürfen würden. Diejenigen Gesellschaften, die diese Evolution von der Barbarei zur Zivilisation erfahren hätten, würden diesen Fortschritt, so die Erklärung Hobbes’, vor allem der Geometrie verdanken (ebd., 192). Wie Tönnies bemerkte, sei in Hobbes’scher Politik- und Morallehre mit dem Ideal „der Reform des Menschentums“ (ebd., 194) ein Element humanistischen Fortschrittsglaubens enthalten. Das impliziert im Hobbes’schen Fall allerdings nicht, dass er die menschliche Natur selbst für veränderbar hielt. Tönnies übersah nicht, dass Hobbes keine idealistischen Erwartungen in Bezug auf den Nutzen hegte, den „die vermehrte und verbesserte Kenntnis der Natur“ bringen werde (ebd., 192). Dies erinnert an Schmitts ausdrückliche Wertschätzung des anthropologischen Pessimismus von Hobbes in Dem Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes. Darin stellte Schmitt bejahend fest, dass sich Hobbes „über die menschliche Natur keine großen Illusionen“ (1982, 56 f.) gemacht hatte, dass er „von solchen Vorstellungen“ wie der von Condorcet „entworfene[n] Schilderung eines durch Vernunft und Erziehung herbeigeführten Paradieses der Menschheit“ (ebd., 55) weit entfernt gewesen war, dass Hobbes mit seiner Staats- und Morallehre keine „hintersinnige“ Absicht gehabt hatte, „eine geheime Nebentür zu dem Traumland ausschweifender Phantasien zu öffnen“ (ebd., 55).

Im Gegensatz zu Schmitts vorwiegend politischer Deutung der Zerbrechlichkeit und Korrumpierbarkeit menschlicher Verhältnisse fasste Strauss die Situation des Menschen, ohne sich der angstauslösenden Rhetorik über politische Alternativlosigkeit zu bedienen, als eine fundamentale Unruhe auf (siehe S. 179). „Die Idee der Zivilisation“, deren Urheber Hobbes „in viel höherem Grad als etwa Bacon“ war (Strauss 2008, 224), „setzt“ laut Strauss jedoch „voraus, dass sich der Mensch kraft seines Geistes aus der Natur herausstellen, gegen die Natur auflehnen kann“ (2008 b, 190). Die von Hobbes – wenn auch sehr zurückhaltend – vertretene Idee der Möglichkeit der Aufklärung und der Erziehung des Menschen, die für Strauss aber mit der Idee des Fortschritts der menschlichen Natur „ins Unübersehbare“, mit der Idee der Überwindung der Naturschranke einherging, trete in Gegensatz zu den traditionellen Vorstellungen und „dem gesunden Menschenverstand“. Für antike politische Philosophen waren die wichtigsten „Eigentümlichkeiten des Menschen − Sprache, Vernunft, Sozialität“ (ebd., 189 f.) – ihm von Natur aus gegeben. Das Ideal staatlichen Lebens war als Vervollkommnung menschlicher Natur und nicht als ihre Bekämpfung konzipiert. Es wurde in der klassischen Lehre nicht von einem Individuum her gedacht, das in der Isolation, außerhalb der Gemeinschaft und jeglicher sozialen Beziehungen, betrachtet werden müsse, um festzustellen, wie es „wirklich ist“.

Auch Tönnies vertrat die These, dass die Lehre Hobbes’ vielmehr einen Bruch als Kontinuität mit der klassischen Tradition politischen Denkens darstelle. Seine Worte, dass die „allgemeine Bedeutung“ der Lehre Hobbes’ „zuerst in der Negation der überlieferten Lehren“ liege (Tönnies 1971, 264 f.), erinnern unmittelbar an mehrere Äußerungen Strauss’, mit denen dieser den Hobbes’schen Bruch mit der Tradition thematisierte (wie z. B. in 2008 d, 268–270, um nicht einmal sein Hauptwerk zu Hobbes zu erwähnen). Während Strauss die traditionellen Lehren von den modernen vor allem durch die traditionelle Vorstellung des Menschen als von Natur aus Gemeinschaftswesen sowie durch die Auffassung des Naturrechtes als Pflicht unterschied, sprach Tönnies wohl aus einem ähnlichen Gedanken heraus davon, dass die von Hobbes verworfenen Lehren „einheitlich dahin charakterisiert werden“ könnten, „dass sie die Gebilde des sozialen Lebens als organische zu begreifen versuchen“ (1971, 264 f.). Das Eigentümliche an Hobbes war an diesem Punkt, so Tönnies, die Idee, organische Körper als Mechanismen zu begreifen (ebd., 307).

1.2 Die kontextualisierenden Interpretationen der Hobbes-Deutung Schmitts und Hobbes als dessen Selbstbild

Unter den Schmitt-Interpretinnen, die sich mit seiner Hobbes-Deutung befasst haben, ist nicht selten die Meinung anzutreffen, dass Schmitts Interesse an und Lesart von Hobbes von seinen politischen Einstellungen sowie Fragen, die er für die politische Lage seiner Zeit relevant hielt, geprägt waren. Geht man davon aus, dass der politische Kontext für sowohl die Hobbes-Deutung Schmitts von maßgeblicher Bedeutung gewesen ist als auch für die Lehre von Hobbes selbst, wird man – im Fall, dass man eine kontextuelle Parallele zu erkennen glaubt – auch ein Urteil darüber haben, ob zwischen beiden Denkern eine ideelle Nähe bestehe oder ob Hobbes für Schmitt lediglich eine Projektionsfläche für die Auseinandersetzung mit den ihn beschäftigenden politischen Kalamitäten seiner Zeit gewesen sei. Daraus leitet sich ab, wie man Schmitts Selbstidentifizierung mit Hobbes bewertet – ob man seine Selbstbezeichnung als Bruder Hobbes’ (1950, 64) für den Ausdruck einer Wahlverwandtschaft hält, der man von außen her eine Substanz zuerkennen kann, oder ob, im Gegenteil, von einer (ob bewussten oder nicht) Missdeutung Hobbes’ bei Schmitt die Rede sein kann, die hinter dieser Eigenbezeichnung steckt.

Jedenfalls ist sich die Schmitt-Forschung einig, dass sein Hobbes-Studium kein rein geistesgeschichtliches Projekt gewesen sei. Laut Voigt wollte „Carl Schmitt […] nicht in erster Linie die Lehre von Thomas Hobbes darstellen“, sondern diese war für ihn „vielmehr […] lediglich der Anlass“, „staatstheoretische Fragen seiner Zeit […] zu beantworten“ (2009, 14). „Im Spiegel der Klassiker“, so Mehring, „wurde [bei Schmitt] Gegenwart verhandelt“ (2009, 381). Und Maschke: Das Leviathan-Buch sei „nur partiell eine Deutung Hobbes’“ – „es ist vor allem eine esoterisch bleibende Diskussion der Wiederkehr Hobbes’scher Themen in einer neuen historischen Lage“ (1982, 204). Der Fragestellung, wie Schmitt über Hobbes in einem bestimmten politischen und ideologischen Kontext schrieb, ging Jänicke nach (1969). Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass das Interesse Schmitts an der Lehre Hobbes’ über 40 Jahre lang fortbestand,Footnote 29 thematisierte er die Frage, weshalb Schmitt sein Hauptwerk über Hobbes gerade 1936–1938 verfasste. Darin sah er einen Fall allgemeiner Hobbes-Aktualisierung − sowohl im Westen als auch in Deutschland − in der Ära des Faschismus. Schmitts Interesse an Hobbes sei im Zusammenhang mit seinen Erörterungen zum Konzept des „totalen Staates“ gestiegen, das Schmitt als Übertragung des italienischen stato totalitario entwickelte (Jänicke 1969, 403).Footnote 30

Da Jänicke richtig gesehen hat, dass Schmitt Hobbes’ mechanistisches Bild des Staates in erster Linie wegen der damit angestoßenen Neutralisierung des Staates problematisierte (ebd., 407), bleibt man über seine irrige Einschätzung verwundert, dass Schmitt den individualistischen Vorbehalt von Hobbes „ganz offensichtlich“ teilte (ebd., 408). Um seine These zu unterstützen, zog Jänicke zwar zwei Zitate aus Schmitts Leviathan-Buch heran, die er als „doppeldeutig“ bezeichnete (ebd., 408). Von Doppeldeutigkeit kann aber nicht die Rede sein, wenn man die Gesamtlinie der Schmitt’schen Argumentation, die die Trennung des Inneren vom Äußeren und des Sichtbaren vom Unsichtbaren kritisierte, im Auge behält. Für Schmitt war diese Trennung, die Hobbes in das politische System des Leviathan eingeführt hat, deswegen entscheidend, weil sie „den mächtigen Leviathan von innen her zerstört“ habe (1982, 86), weil sie ihm zum Verhängnis wurde (ebd., 79). Und nicht nur dem Staat wurde sie zum Verhängnis, sondern zugleich dem Individuum, dessen Privatsphäre dem Staat entzogen wurde, um es den unkontrollierten und verantwortungslosen Mächten der Gesellschaft auszuliefern (ebd., 117; mehr dazu in den Abschn. 2.5 Der Fehlschlag Hobbes’scher Lehre am Symbol und am Individualismus und 2.6 Hobbes’ zwiespältiger Individualismus).

Schmitts kritischer, urteilender Ton, mit dem er die Entwicklung des modernen Liberalismus aus der „Einbruchstelle“ der individuellen Gedankenfreiheit, die zum formgebenden Grundsatz wurde (ebd., 86–88), schilderte, ist nicht zu verkennen. Sein Bedauern des Scheiterns von Hobbes’ politiktheoretischem Projekt, seine Rhetorik über das Zurückdrängen des innerlichen Glaubens ins Private, über den Vorrang der Gesinnung gegenüber der Haltung scheinen mir − im Gegensatz zu Jänicke – ganz klar keine Bejahung, sondern eine negativ konnotierte Feststellung zu sein.

Im Kontrast dazu ist es schwieriger, die These Jänickes einzuschätzen, dass Schmitt durch seine Überlegungen zu Hobbes seinen persönlichen inneren Vorbehalt gegen das NS-Regime äußerte (1969, 413 f.). Meiner Ansicht nach sollte man bei solchen und ähnlichen Thesen, die dem (erst durch die Leserin zu interpretierenden) Kontext die Rolle eines starken Erklärungsfaktors zumessen, größte Vorsicht walten lassen. Die „Entdeckung“ eines aufgrund von Zensur und politischer Repression „verborgenen“ Sinnes sei, so auch Mehring, eine Versuchung, die der nüchternen Erkenntnis nicht standhalte, dass der Spielraum des Sagbaren, auch unter dem Nationalsozialismus, „gar nicht so gering, und doppelbödige Esoterik […] oft nur literarische Spielerei“ war (2009, 381). Zweifellos lassen sich in Dem Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes Aussagen finden, die man als Kritik des nationalsozialistischen Regimes (oder zumindest einen inneren Vorbehalt dagegen) lesen kann. Jedoch wäre es erheblich verkürzend, die Abhandlung nur über diesen Zusammenhang zu interpretieren. Ob zutreffend oder nicht, scheinen mir solche Überlegungen für das in dieser Arbeit verfolgte Ziel des Verständnisses und Rekonstruktion der Hobbes-Deutung Schmitts von zweitrangiger Bedeutung zu sein, denn sie tragen kaum Erklärungswert dazu bei, was sich aus dem Werk auch ohne sie erschließen lässt. Was für das Verständnis dieser Deutung im Gegenteil von primärer Bedeutung ist, ist die Identifikation der Fragen, die Schmitt lebenslang beschäftigt haben, wie z. B. die nach den über die Politik hinausweisenden Maßstäben und der Substanz einer politischen Einheit, und nicht die dem NS-Regime exklusive Problematik.

Lässt man sich jedoch darauf ein, das Leviathan-Buch, wie Jänicke es tut, als Ausdruck der eigenen Abgrenzung gegenüber der NS-Diktatur zu lesen, ist zu unterstreichen, dass Schmitt nicht trotz, sondern wegen seiner Erfahrung eines totalitären Staates, der mit seiner Vorstellung eines „totalen Staates“ brach, Hobbes’ individualistischen Vorbehalt ablehnen musste. Ein nach dem Hobbes’schen Modell individualistisch gerechtfertigter Staat, so zeigte Schmitt in Dem Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes, sei zum Scheitern verurteilt − und der Versuch, dieses Scheitern durch totalitäre Durchdringung und totalitäre Gewalt umzukehren, könne die Trennung des Privaten und des Äußeren genauso wenig überwinden wie eine sittliche und geistige Einheit im Staat herbeiführen (dazu mehr im Abschn. 2.6 Hobbes’ zwiespältiger Individualismus).

Den Vorwurf, dass Hobbes „einen solchen Riss im auf Totalität angelegten Staat hingenommen hat“, bezeichnete Rumpf als eine „totalitäre Kritik an Hobbes“, mit der Schmitt seine „Aussage in die Zeit“ vorgetragen habe (1972, 68). Voigt und Jänicke voraus, war Rumpf derjenige, der Schmitts Interesse an Hobbes für keinen „Selbstzweck und kein philosophisches Anliegen“, „sondern Anlass zur Beantwortung staatstheoretischer Fragen seiner Zeit aus dem Geist und der Erfahrung des Hobbes“ erklärte (ebd., 62). So sei Schmitts Hobbes-Abhandlung nicht nur „vom Einfluss des Zeitgeistes nicht frei“ gewesen – sie könne auch „nicht gerade als Dokument des inneren Widerstandes qualifiziert werden“ (ebd., 61). Damit war die Grundlage für die „Fama eines Machttheoretikers“ gegeben, die Schmitt, so Rumpf, mit Hobbes teilte: „Beide haben ganze Glaubens- und Weltanschauungsgruppen durch ihre Thesen und spitzen Formulierungen immer wieder provoziert: Hobbes die Theologen, Schmitt vor allem die liberale Intelligenz“ (ebd., 60).Footnote 31

So wie Rumpf die zeitkontextuelle und biographische Einordnung des Schmitt’schen Hobbes-Werkes beschäftigte, stellte sich ihm auch die Frage nach dem Vergleich zwischen der in dem Leviathan-Buch und der in „Der vollendeten Reformation“ sowie dem Hobbes-Kristall (der Essenz Schmitts theologisch-dezisionistischer Hobbes-Interpretation, siehe 1991, 122) vorgelegten Hobbes-Deutung. Die Kontinuität zwischen 1938 und 1965 bestand für Rumpf in Schmitts Ablehnung der Verfemung von Hobbes als Vordenker des totalitären Staates und „Zyniker der Machtvergötzung“ (1972, 73). Andererseits sprach er von der „Akzentverschiebung und eine[r] etwas andere[n] Bewertung“, von dem „Gradunterschied zur früheren Beurteilung“ (ebd., 71), und diesen konstituierte für ihn Schmitts veränderte Bewertung der liberal-rechtstaatlichen Elemente Hobbes’schen Denkens. 1965 wurden diese im Licht der Vorstellung von Hobbes als dem „erfolgreichen Vollender der Reformation“, dem „Theoretiker des cuius regio eius religio“ (ebd., 74) gedeutet. Diese „Evolution der Beurteilung“ erklärte Rumpf als schwindende Absicht Schmitts, „Hobbes’ Staatslehre für das Bestreben nach Überwindung des liberal-pluralistischen Staates durch den nationalen Einheitsstaat“ zu verwerten (ebd., 74). Ihre (Re)Interpretation als politische Theologie war die Antwort darauf, dass das die Furcht hervorrufende Naturzustandsnarrativ von Schmitt „letzten Endes nicht für ausreichend [für die Aufrechterhaltung souveräner Einheit] befunden [wurde], da ih[m] das als Schreckbild wirkende Symbol im Wege stand und die Mächte der Auflösung handfeste Ansatzpunkte oder Bruchstellen fanden“ (ebd., 74).

Wenn es zutrifft, dass die Hobbes-Interpretation Schmitts auf seine politischen Überzeugungen hindeutet, dann möge sich aus ihr über den Deutenden viel mehr als über den Gedeuteten erschließen. Eine solche Einschätzung findet sich auch in den Ausführungen Maschkes. Auf seine 1982 aufgeworfene Frage (in Bezug auf den Untertitel des Schmitt’schen Hobbes-Werkes), ob „sich von Sinn und Gebrauch des Symbols her überhaupt ein Zugang zu Hobbes finden“ lasse oder ob Schmitt „lediglich seine Fragestellungen in Hobbes’ Werk hinein“ projiziere (1982, 203 f.), gab er 27 Jahre später eine Antwort, dass Schmitt „Theorien und Gedankengänge Hobbes’ und Donosos recht eigenwillig und höchst selektiv rezipierte, dass er seine Meisterdenker verzeichnete, stilisierte, gar verfälschte“, dass „er es ist, der durch den Mund Hobbes’ oder Donosos (oder auch Bodins) spricht“ (2009, 186; siehe auch Mehring 2009, 13 f., 146, 223, 226). Für Maschke stellte Der Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes den „Schlüssel zum Gesamtwerk Schmitts“ dar, auch wenn dieser Schlüssel selber „der rätselhafteste“ sei (1982, 204; vgl. Meier 2012 a, 263 f.: „die Deutung Schmitts [steht und fällt] mit der Interpretation seines Buches über den Leviathan“, ähnlich 2013 b, 168). Dass der geistesgeschichtliche Rekurs auf Hobbes für Schmitt nur „ein Vehikel seiner aktuellen Argumentation“ war, wunderte ihn nicht, weil er davon überzeugt war, dass die „Klassiker“, zu denen er Schmitt offenbar zählte, „selten das Talent oder auch nur den Willen zu einer akademischen Standards genügenden monographischen Genauigkeit“ besäßen – „ihnen geht es nicht um die möglichst getreue Rekonstruktion der Werke vergangener Epochen, sondern um deren Nutzung als Steinbruch für eigene Zwecke“ (Maschke 2009, 186).

Die Bezeichnung Hobbes’ als Schmitts „Steinbruch“ verwendete auch Kersting. Schmitt solle „die ihn interessierenden Stücke [der politischen Theorie Hobbes’] aus ihrer natürlichen, gänzlich ihren Sinn bestimmenden argumentativen Umgebung“ gelöst und sie sich einverleibt haben; „für Schmitt ist Hobbes wenig mehr als ein alter Steinbruch, in den er auf der Suche nach wilden schönen Blumen hinabsteigt“ (2009, 99).

So wie Kersting scheinen viele Schmitt-Interpretinnen entweder explizit oder implizit zu der einen oder anderen Haltung gegenüber der Frage des theoretischen Verhältnisses der Ideen Schmitts und Hobbes’ zu neigen oder diese Haltung gar offen zu vertreten. In seiner Abhandlung, in der er die Lehre Hobbes’ in der Polemik zwischen liberalem und konservativem Denken zu verorten suchte, ging Voigt der Frage nach, worin „die innere Verbindung zwischen Thomas Hobbes und Carl Schmitt“ bestehe (2009, 14 f.). Man müsse, so auch Rumpf, die unentwirrbare Vermischung von „Überlieferung und Deutung, Einfluss und Geistesverwandtschaft, Spiegelung und Distanzierung“ hinterfragen und prüfen, wieweit sich Schmitt „zu Recht“ auf Hobbes’ „Erkenntnisse und Gesinnungen“, auf seine „Positionen und Begriffe“ berief (1972, 56). Das Ergebnis seiner Einschätzung lautet, Schmitt sei der geistige Nachfahre Hobbes’ im 20. Jahrhundert gewesen (ebd., 56; zu einer ähnlichen Formel griffen Maschke 2009, 186 und Thomsen, 1997). Jedoch sei seine politiktheologische Hobbes-Interpretation „cum grano salis“ zu genießen: In dem sie zusammenfassenden Hobbes-Kristall fänden sich zwar „die geistigen Orte“, an denen sich Schmitts „Gedankenlinien“ mit denen von Hobbes überschneiden und „die Grundlagen ihrer ideellen Konvergenz“ bilden würden, sie bringe aber genauso auch Schmitts eigene politische Lehrsätze zum Ausdruck (Rumpf 1972, 74 f.). Ein eindeutigeres Urteil findet sich bei Kersting, der die vermeintliche Parallele Schmitts und Hobbes’ für einen Schein erklärt, der die wahre Substanz Hobbes’scher Lehre, nämlich das kontraktualistischen Selbstbegründungsargument, verfehle (2009, 103).

Fragt man nach der Grundlage solcher Urteile über die Nähe zwischen Ideen und Denkweisen Schmitts und Hobbes’, trifft man immer wieder auf die Stichworte „Souveränitätsbegriff“, „Herrschaftsbedürftigkeit“, „anthropologischer Pessimismus“. Sie kreisen um die Frage nach der Einstellung Schmitts zum Aspekt der individuellen Sicherheit, die von dem souveränen Staat gewährt und außerhalb des Bereiches seiner Macht gefährdet werde. Einerseits räumte Kersting ein, dass Schmitt und Hobbes die Motive des Sicherheits-Schutz-Axioms im Innerstaatlichen und des Feindlichkeitsmodus des Außerstaatlichen in ihren Lehren mit gleichem Nachdruck einsetzten; andererseits sah er dahinter einander entgegengesetzte Logiken stehend. Für Hobbes war die Sicherheit, der Deutung Kerstings gemäß, das primäre und auch einzige den Staat rechtfertigende sowie den Souverän beschränkende Gut. Zwar sei, wie auch in der Lehre Schmitts, das Souveränitätskonzept unmittelbar und intrinsisch mit dem Feindkonzept verbunden − „durch entschiedene Feindfähigkeit“ komme die Souveränität „zu sich“, die „Feinderklärung der Souveränität ist ein unerlässliches Mittel der politischen Selbsterhaltung“ (ebd., 114 f.) − , aber dieses sei gegenüber dem Innerpolitischen nur ein Mittel und habe keine Bedeutung an sich, die nicht auf die eigene Überwindung ausgerichtet wäre.

So gebe es zwischen beiden Denkern eine oberflächliche Übereinstimmung in Bezug auf die Angst „vor Unregierbarkeit, vor Demokratisierung und der damit verbundenen Erosion des Staatlich-Politischen“, hinter der „die Hobbessche Furcht vor dem Rückfall in den Naturzustand eines ,Krieges aller gegen alle‘ steht“ (Voigt 2009, 17). Jedoch könne der „Hostilitätsrhetorik“ bei Hobbes rein instrumentelle Bedeutung zugemessen werden – die einer „rationale[n] Naturzustandsprophylaxe“ –, während ihr in dem Politikverständnis Schmitts ein normatives Gewicht gebühre: In Worten Kerstings gehe es um die „Nobilitierung des Naturzustandes“, die „Aufwertung der Hostilitätsatmosphäre zum wahren Biotop des Politischen“ (2009, 115).

Die „Hostilitätsrhetorik“ beider Autoren führe auf anthropologische Annahmen zurück, die nicht unterschiedlicher sein könnten. Für Hobbes war die Gefährlichkeit des Menschen, die ihn zur Flucht in die Sicherheit bewegte, keine Bosheit im moralischen Sinne, sondern „das Resultat einer selbsterhaltungsrationalen Analyse seiner natürlichen Lebenssituation, einer Zusammenarbeit von Selbsterhaltungswunsch und Vernunft unter Naturzustandsbedingungen“ (ebd., 118). Der „Jedermannsfeind“ sei „eine methodologische Konstruktion, ein Gedankenexperiment“ (ebd., 115), mit dem die „rationale Vorzugswürdigkeit staatlicher Ordnungspolitik und bürgerlichen Gehorsams“ erwiesen werden solle. Das Ziel sei eine solche Änderung der Lebensverhältnisse, „dass die Gewalt aus dem zwischenmenschlichen Leben verschwindet und die Menschen keinerlei Furcht mehr haben, keinerlei Angst vor einander mehr haben müssen“ (ebd., 120 f.). Mit seiner Erörterung, worin die ideelle Kluft zwischen Schmitt und Hobbes bestehe, näherte sich Kersting der Strauss’schen Kritik an Schmitt an, nämlich seiner einwendenden Offenlegung, dass Schmitt dasjenige Konzept Hobbes’ (den Naturzustand) bejaht habe, das Hobbes selbst nur um seiner Negation willen konstruiert hatte.Footnote 32 Die beiden Schmitt-Kritiker – Strauss und Kersting – wären sich in der Einsicht einig, dass Schmitt Hobbes’ grundsätzlich liberale Anlagen nicht richtig eingeschätzt oder bewusst verdrängt habe. Sie würden sich jedoch an dem Urteil Strauss’ trennen, dass der Schmitt’sche Umgang mit Hobbes in der liberalen Denklogik verstrickt blieb.

Für Kersting setzte sich die existenzialistische Denkweise Schmitts über alle Liberalität hinweg, was Strauss anders empfand, weil er in dem Schmitt’schen Dezisionismus sowie in dem Liberalismus Hobbes’ den Modus modernen Denkens aufspürte, der sich durch die Abweisung der transpolitischen Maßstäbe für die Orientierung im Politischen auszeichnete. Für Kersting bestand der Existenzialismus Schmitts in der Absicht, die Gefährlichkeit des Menschen, im Sinne von Bosheit, nicht zu überwinden, sondern, im Gegenteil, am Leben zu halten. Sich, in Worten Kerstings, den „Domestikationsanstrengungen“ zu widersetzen, die den Menschen für die „liberale[] Illusion von den Koordinationsleistungen institutioneller anreizkompatibler Rahmenordnungen“ anfällig machen würden (ebd., 120 f.). Diese Einschätzung trifft zu; gleichwohl muss hinzugefügt werden, dass für Schmitt die Gefährlichkeitsprämisse nur als eine Garantie dafür von Wert war, dass die Frage nach der eigenen „Gestalt“ gestellt werde (siehe 2015, 184). Die Beantwortung dieser Frage stelle die Quelle der Gewissheit und somit wiederum des Konflikts mit anders Lebenden.

Wie Kersting erkannte auch Schönherr-Mann bei Schmitt die Ablehnung des Sicherheitsbedürfnisses und hob sie als Grundzug von dessen Vorstellung von der politischen Ordnung hervor: „Das Individuum unterwirft sich dem Leviathan nicht, um die eigene Existenz zu sichern“ (2009, 67). Für ihn stellte sie das Ergebnis Schmitt’scher Verlagerung der Grundlage einer staatlichen Ordnung auf die Ebene des Zwischenstaatlichen dar: „Der Staatszweck [liegt für Schmitt] offensichtlich nicht im Schutz des Individuums […], sondern darin, zwischenstaatliche Konfrontationen vor allem militärisch zu bestehen“ (ebd., 67). Daran machte er auch die Hobbes-Schmitt-Antithese fest: „Die primäre Aufgabe des Staates stellt dabei [= in der Theorie Schmitts] weder die Beendigung des Kriegszustandes dar, noch kann das Individuum einen prinzipiellen Schutz seines Lebens gegenüber einem möglichen Souverän geltend lassen, dem es sich nach Hobbes um eines solchen Schutzes willen unterwirft“ (ebd., 68). Für Schmitt finde „die Macht allemal keinen Zweck wie bei Hobbes im Lebensschutz der Beherrschten“ (ebd., 84).

Es ist nicht zu bezweifeln, dass die außenpolitische Ebene seines Souveränitätsverständnisses für Schmitt nicht unerheblich war − andernfalls hätte er das Politische nicht definiert über die Entscheidung über Freund und Feind, durch die sich eine souveräne Macht als solche beweise. Dennoch stellt das Axiom pro protectione oboedientia die Basis und den Kern der in Dem Begriff des Politischen zusammengefassten Erwägung Schmitts über das tragfähige Verhältnis zwischen dem Individuum und seinem Staat dar. Wenn Schmitt behauptet, dass „der Schutzherr […] den Feind [bestimmt], kraft des ewigen Zusammenhangs von Schutz und Gehorsam“ (1991, 53), dann bedeutet das, dass Schutz sowohl als innerpolitischer Frieden als auch als außenpolitische Wehrhaftigkeit gemeint ist und die beiden sich gegenseitig zur Voraussetzung hätten. Das heißt, dass Schmitts Bejahung der politischen Souveränität, anders als von Schönherr-Mann gedacht, in keinem prinzipiellen Widerspruch zum Postulat der Sicherheit des Individuums steht, weil der Souverän für den Gehorsam Sicherheitsleistung zu erbringen habe. Aus diesem Grund kann man der Darstellung Schönherr-Manns nicht zustimmen, die auf dem Primat des Zwischenstaatlichen auf Kosten der totalen Auslöschung des Schutzgebots bei Schmitt beharrt.

Trotz all der Schmitt’schen Abneigung gegen das bürgerliche Sekuritätsbedürfnis mag es also zwar naheliegend, aber trotzdem irrig sein, die Rolle der Sicherheit in Schmitts politischer Lehre zu missachten. Allerdings ist es zutreffend, dass die Sicherheit der bloßen Existenz für ihn keine vollständige normative Orientierung darstellte: Die Sicherung der eigenen Existenz, so Schönherr-Mann, scheine „für Schmitt keine ausreichende Motivation zu sein, um das soziale Band festzuzurren“ (2009, 67). Der Hobbes’sche Staat, so liest man in Schmitts Leviathan-Schrift, sei „mehr und eigentlich etwas anderes […], als ein von bloßen Individuen geschlossener Vertrag bewirken könnte“. Die „in angsterfüllter Feindschaft sich versammelnden Menschen können aus den Voraussetzungen ihres Zusammenkommens heraus die Feindschaft nicht überwinden“ (Schmitt 1982, 51). Mag die Sicherheit des Individuums für Schmitt keine „ausreichende Motivation“ staatlichen Zusammenlebens gewesen seinFootnote 33 und ist auch sein Begriff des Politischen kein Ergebnis der Suche nach dem besten Regime, „über das sich die Herrscher wie noch in der klassischen Philosophie nach Strauss primär Gedanken machen“ (Schönherr-Mann 2009, 84), und das Schutz-Sicherheits-Axiom keine Formel eines solchen, stellte individuelle Sicherheit für Schmitt immerhin eine notwendige Voraussetzung dessen dar. Dem entspricht, dass das Schutz-Gehorsam-Axiom gerade derjenige Baustein Hobbes’ politischer Theorie ist, durch den sich Schmitt mit Hobbes als politischem Denker verbunden sah. An ihm erweist sich der hohe Stellenwert, den Schmitt Hobbes als Bezugsfigur seiner politischen Theorie zugemessen hat, denn ihm ist der innenpolitische Teil seiner Souveränitätsauffassung entnommen.

Im Gegensatz zu Schmitt lassen sich in der Strauss-Literatur kaum kontextualistische Interpretationen seiner Hobbes-Deutung finden. Sein Interesse am theologisch-politischen Problem wird jedoch als Ergebnis seiner Auseinandersetzung mit der politisch-religiösen Lage deutscher Jüdinnen und des eigenen Verhältnisses zum Zionismus gesehen (vgl. Kauffmann 1997, 10–26; Tanguay 2007, 5 f.). Erwähnen kann man dabei auch McCormicks Lesart von Strauss’ Kommentar zu Schmitts Begriff des Politischen als Radikalisierung der Kritik des Letzteren am Liberalismus (1994; mehr zu dieser Deutung in 1.3 Die Hobbes-Deutung Schmitts und Strauss’ in dem theologisch-politischen Schema und dessen Kritik). In diesem Zusammenhang sprach Söllner vom „Glück“, dass Strauss seinen politischen Überzeugungen in seinen Abhandlungen kaum Stimme verschaffte – denn „wäre dies nicht der Fall gewesen, hätte er sich zur politischen Konkretion seiner Optionen bereitgefunden, so wären sie mit Sicherheit antidemokratisch, wenn nicht autoritär ausgefallen“ (1996, 199).

1.3 Die Hobbes-Deutung Schmitts und Strauss’ in dem theologisch-politischen Schema und dessen Kritik

Meier ist ein einflussreicherFootnote 34 Beitrag zur Deutung von Schmitt sowie eine gründliche Auseinandersetzung mit Strauss und seinem Verhältnis zu Schmitt in Bezug auf ihre Hobbes-Deutungen gelungen. In dem zehn Jahre nach der Erstauflage seiner 1994 erschienenen Schrift Die Lehre Carl Schmitts. Vier Kapitel zur Unterscheidung Politischer Theologie und Politischer Philosophie verfassten Nachwort merkte Meier an, dass eine „Auseinandersetzung mit der Analyse des verwickelten Verhältnisses von Schmitt und Hobbes und insbesondere mit der Interpretation“, die er „zu Schmitts Traktat Der Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes vorlegte“, „bisher“ nicht stattfand − trotz seiner „Einladung“, „die in der Feststellung des EpilogsFootnote 35 enthalten ist, dass die Deutung Schmitts mit der Interpretation seines Buches über den Leviathan steht und fällt“ (2012 a, 263 f.). Für eine Person, die sich eine Auseinandersetzung mit den Hobbes-Deutungen durch Schmitt und Strauss vorgenommen hat, kann es wohl keine klarere Einladung geben. Es ist jedoch zu beachten, dass zu dem Zeitpunkt, als der Epilog verfasst wurde, einige Studien, die dieses Thema zumindest anrissen, schon erschienen waren. Zu erwähnen sind vor allem die von McCormick (1994, 1997), Kauffmann (1997), Söllner (1996) und Bohlender (1995). Andererseits sind seit 2000 neue Beiträge zu verzeichnen, wie z. B. die in dem 2009 erschienenen Sammelband Voigts.

Die Auseinandersetzung Meiers mit dem Erbe Schmitts und Strauss’ nahm ihren Anfang mit dem Erscheinen von Carl Schmitt, Leo Strauss und ,Der Begriff des Politischen‘. Zu einem Dialog unter Abwesenden im Jahr 1988. Das Werk, welches Meiers eigener Einschätzung zufolge „dem historischen Dialog von Schmitt und Strauss Stimme verleiht“ (2013 a, 192), stellt das erste von dreien dar, deren andere zwei die Ergebnisse Meiers vertiefter Analyse von jeweils Schmitt und Strauss in Bezug auf das theologisch-politische Problem sind: Die Lehre Carl Schmitts (1994) und Das theologisch-politische Problem. Zum Thema von Leo Strauss (2003).

Darüber hinaus hat Meier erheblich zu der Bekanntmachung von Strauss’ Erbe im deutschsprachigen Raum beigetragen. Die von ihm herausgegebene Bandreihe von Strauss’ Schriften, deren 4., 5. und 6. Band auf ihre Publikation noch warten, umfasst Strauss’ Bücher und kleinere Abhandlungen zu Spinoza (Bd. 1) und Hobbes (Bd. 3), Philosophie und Gesetz sowie die frühen Schriften, inkl. der Dissertation Das Erkenntnisproblem in der philosophischen Lehre Fr. H. Jacobis (Bd. 2), und die schriftlichen Korrespondenzen mit Krüger, Klein, Löwith und Scholem (Bd. 3). Letztlich ist auf Meier auch die Veröffentlichung von Strauss’ Vorträgen „Reason and Relevation“ (1948) sowie „The Living Issues of German Postwar Philosophy“ (1940) zurückzuführen, die der englischen Ausgabe von Meiers Theologisch-politischem Problem beigefügt worden sind.

Die Quintessenz davon, wie Meier Schmitt verstand, besteht in seiner These, „dass das Zentrum und der Zusammenhang von Schmitts Denken als Politische Theologie zu bestimmen sei“ (2013 b, 159)Footnote 36 und dass sein Verhältnis zu der Denkweise Strauss’ seinem Wesen nach das theologisch-politische Problem darstelle. Das Motiv der Lehre Hobbes’, das für Schmitt zunehmend an Bedeutung gewann und dem in „Der vollendeten Reformation“ sowie in dem Hobbes-Kristall eine Schlüsselrolle zugewiesen worden ist, war das Bekenntnis „Jesus is the Christ“.Footnote 37 Vor diesem Hintergrund mag man sich über die Entscheidung Meiers wundern, „Die vollendete Reformation“ in seine Schmitt-Deutung nicht expliziter einzubeziehen. Allerdings begründete Meier sie als Strategie, seine Deutung weder am Früh- noch vom Spätwerk von Schmitt, sondern an dessen „beiden wichtigsten Büchern“ (Dem Begriff des Politischen und Dem Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes) zu gewinnen. Die beiden seien Werke, die nicht als Zeugnisse der „katholischen Grundeinstellung“ Schmitts herangezogen werden könnten – was deswegen von Vorteil sei, weil die an ihnen ausgewiesene Geltung theologischer Deutung Schmitts von der Frage seiner persönlichen religiösen Empfindungen unabhängig werde (2013 b, 168).

Wie auch im Fall Schmitts analysierte Meier das Hobbes-Studium von Strauss im Rahmen der theologisch-politischen Problematik. So findet die These, Schmitt habe Hobbes als politischen Theologen gelesen, ihr Gegenstück in derjenigen von der Hobbes-Interpretation Strauss’ als Teil von dessen politischer Philosophie. Zwar stellte Hobbes’ politische Wissenschaft in ihrer Genesis, Meier zufolge, „unter den Büchern von Strauss […] gewissermaßen die größte Annäherung an die Konventionen und Standards einer ,ideengeschichtlichen‘ Untersuchung und die weiteste Entfernung von Strauss’ eigenem, charakteristischem Zugriff“ dar (2008, xvf.). Jedoch sei auch sie kein seinen Wert und sein Ziel nur in sich selbst tragendes geistesgeschichtliches Unterfangen gewesen, sondern vielmehr Strauss’ „großem Projekt“ zuzuordnen – dem Projekt „einer ebenso weitausgreifenden wie tiefreichenden Revision der Geschichte der Philosophie, einer kritischen Neuverhandlung des Streits der Alten und der Modernen, eines radikalen Unternehmens der Überprüfung und mithin der schließlichen Befreiung von den vermeintlichen Selbstverständlichkeiten, den eingeschliffenen Denkgewohnheiten, von den zu Vorurteilen geronnenen Grundannahmen und den unbefragten geschichtlichen Entscheidungen in der Philosophie der Gegenwart wie in der philosophischen Tradition“ (ebd., xvi). Was Strauss zu dieser „Wiederaufnahme“ bewegt hat, war, so Meier, seine kritische Einstellung zur „Kulturphilosophie“ (zu dieser siehe Strauss 2008, 220–225). Diese sei der Herausforderung des theologisch-politischen Problems, ohne deren Ernstnehmen Philosophie nicht bestehen könne, nicht gewachsen, weil sie es schlechthin verdränge (Meier 2008, xxvi). Meiers Deutung zufolge kam Hobbes ins Visier Strauss’ als eine an dem Ursprung der Kulturphilosophie entscheidend beteiligte Figur, die die Emanzipation der Politik von der Theologie bewirkte, damit aber eine Entwicklung freisetzte, die schließlich und wider den „ursprünglichen Sinn der theologisch-politischen Kritik“ in einen „Zustand der Verständnislosigkeit und der Gleichgültigkeit“ führte (ebd., xxvii).

Die große Bedeutung, die Meier bei seiner Analyse der Hobbes-Deutung von Strauss und von Schmitt den „Anmerkungen zu Carl Schmitt, Der Begriff des Politischen“ zumaß, basiert auf seiner These, dass Strauss die Absicht Schmitts besser zum Ausdruck kommen ließ, als dies dem Letzteren selber gelang, und dass Schmitt Strauss’ Argumentation nicht nur akzeptierte, sondern gar verinnerlichte: „Man wird kaum sagen können, Schmitt antworte auf die Argumente von Strauss. Er macht sie, in diesem Falle, ersichtlich zu seinen eigenen“ (Meier 2013, 43). Meiers Projizierung der Strauss’schen Sicht auf die Hobbes-Wahrnehmung Schmitts setzt zwei nicht ohne Weiteres selbstverständliche Denkschritte voraus.

Die erste Annahme betrifft die vermeintliche konzeptionelle Identität von Schmitts Begriff des Politischen und Hobbes’ Bild des Naturzustandes. In seinem Kommentar stellte Strauss die These auf, dass für Schmitt der Naturzustand den „eigentlich politische[n] Stand“ darstelle (2008, 223). Dieser Feststellung geht die Erklärung voraus, status naturalis sei „die Art und Weise, wie sich der Mensch vor aller Kultur zu den anderen Menschen verhält“ (ebd., 222 f.). Kultur bedeute wiederum nicht nur „jede Pflege der Künste und Wissenschaften“, sondern schon die ihr zugrundeliegende „Disziplinierung des menschlichen Willens“ − mit anderen Worten die Ausbildung der natürlichen Anlagen des Menschen (ebd., 222 f.). Demzufolge entspreche der Begriff des Politischen deswegen dem Naturzustand, weil das Politische der Kultur zugrunde liege.

So wie der Naturzustand bei Hobbes den Krieg einer jeden gegen jede bedeutet, ist das menschliche Verhalten in Schmitts Konzept des Politischen von der immerwährenden Möglichkeit des Krieges bestimmt. Daraus folge die These von Hobbes’ und Schmitts Politikverständnis als einem gegensätzlichen – die Opposition darin bestehend, dass Hobbes sein Konzept des Naturzustandes auf dessen Negation in Gestalt eines status civilis ausrichtete und Schmitt die den status civilis auszeichnende Sekurität negierte, um status naturalis zu ehren. Meier ist Recht zu geben, dass Schmitts Bejahung des Politischen in Strauss’scher Auslegung die Bejahung des Hobbes’schen Naturzustandes war (2013, 47). Dass diese These Strauss’ auch der eigenen Sicht Schmitts entsprach, ist damit allerdings nicht bewiesen worden.

Die zweite Annahme bezieht sich eng auf die erste. In der Schilderung Meiers geht aus der Identität von Hobbes’ status belli und Schmitts Politischem hervor, dass Hobbes, indem er status belli in status civilis aufhob, zugleich auch das Politische verneinte. Die Negation des Politischen bedeute, so die Strauss’sche Deutung, die Position der Zivilisation. Strauss „zeigt, dass die individualistischen Prinzipien, die Hobbes veranlassen, das Politische im Sinne Schmitts zu negieren, ebendieselben Prinzipien sind, die, historisch entwickelt, am Ende jenem Projekt der restlos entpolitisierten und neutralisierten ,Einheit der Welt‘ zugrunde liegen, gegen das Schmitt die ,Unentrinnbarkeit des Politischen‘ zu verteidigen sucht“ (ebd., 41).

Der individualistische Ansatz, der den Tod als des Individuums größtes Übel behauptet und daraus die Daseinsberechtigung eines Staates ableitet, sowie die damit einhergehende Verneinung des Politischen sind − vor dem Hintergrund der These des Politischen als Naturzustand − die zwei von Meier festgehaltenen Motive Strauss’scher Herausforderung an Schmitt. Dass Meier die Denkweise Strauss’ authentisch abbildete, lässt sich nicht bestreiten. Die These, dass der Hobbes’sche Individualismus letztlich zum Ideal der „restlos“ entpolitisierten und neutralisierten Zivilisation führe, ist folgerichtig und entspricht Strauss’scher Denkweise. In „Anmerkungen“ bezeichnete Strauss Hobbes als „Urheber des Ideals der Zivilisation“ und Zivilisation identifizierte er über die Faktoren der planmäßigen Kalkulation (der Produktion und des Konsums), der Sicherheit als größtes Gut (2008, 224) und der pazifistischen Gesinnung (ebd., 233). Es ist diese Bejahung der Zivilisation, „die von Hobbes eingeleitet worden ist“ (ebd., 224), auf die die Behauptung Strauss’ verweist, dass Hobbes „eben damit der Begründer des Liberalismus“ sei.Footnote 38 Diese Bejahung (zugleich die Negation des Naturzustandes) beruhe auf dem Prinzip der Sicherheit des Volkes, salus populi, von der Hobbes im Leviathan beteuerte, dass sie die Aufgabe des Gemeinwesens, des Leviathan sei (Einleitung, 5).

Die Sicherheit als die primäre und letzte, als die einzige sich rechtfertigen lassende Aufgabe und Zuständigkeitsbereich des Staates galt für Strauss deswegen als Voraussetzung des Liberalismus („gesetzt, dass sie ihn nicht sogar erforderlich macht“, 2008, 224 f.), weil die Sicherheit bloß die „Sicherung des nackten Lebens“ (ebd., 224 f.) bedeute. Die naturrechtliche Begründung des Anspruches auf die Sicherung des nackten Lebens „legt den Fortgang zu dem ganzen System der Menschenrechte im Sinn des Liberalismus nahe“ (ebd., 224 f.). Er wurzele in dem individualistischen Prinzip des Vorranges des Rechts vor der Pflicht als politischer Grundtatsache (Strauss 1977, 188). Dieser Vorrang lasse sich nur dann aufrechterhalten, wenn, wie Strauss in Naturrecht und Geschichte erläuterte, das Individuum in sich selbst, als einer Gemeinschaft vorausgehend und von ihr getrennt, gedacht werde.

Der im Gegensatz zum Leben in einer Gemeinschaft verstandene Naturzustand müsse überwunden werden; durch diese Negation werde die Natur des Menschen vergessen. Die Negation der Natur, die den Kern der Kulturphilosophie ausmache, war (wie auch der Individualismus) für Strauss eine den Liberalismus definierende Grundannahme. Wenn die Sicherheit des Individuums und nicht seine moralisch und sozial verstandene Natur das alleinige anzuerkennende Gemeingut bleibe, werde eine politische Gemeinschaft hohl und orientierungslos − und letztlich lasse sie sich weder als politisch noch als Gemeinschaft bezeichnen. Dass Strauss mit seinem Kommentar zum Begriff des Politischen Schmitt vor Augen zu führen beabsichtigte, dass dieser „seinen theoretischen Antipoden als Antipoden gar nicht erkannt hat“ (Meier 2013, 42) und dass dieser Gegensatz auf dem Zusammenhang zwischen individualistischem und antipolitischem Denken vor dem Hintergrund der Auffassung des Politischen als status naturalis basiere, hat Meier also zu Recht betont.

Die Frage, ob man sich auch von der Beweisführung Meiers (siehe z. B. 2013, 67) überzeugen lässt, mit der er vorführte, dass sich Schmitt von der Strauss’schen Argumentation so mitreißen ließ, dass er dessen Argumente in der dritten Fassung von Dem Begriff des Politischen „zu seinen eigenen“ machte (ebd., 43), muss allerdings offen gelassen werden. Es lässt sich darüber streiten, ob die kaum zu merkenden Änderungen in der dritten Fassung genügen, um von einer Anerkennung Strauss’scher Argumente oder gar Veränderung der eigenen Hobbes-Wahrnehmung zu reden.

Was eine solche Veränderung allerdings eindeutig konstituiert, ist die in Dem Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes fünf Jahre später vorgelegte Interpretation. Dass die Hobbes-Deutung von Strauss für diese Interpretation von Einfluss war (allerdings nicht unbedingt seine „Anmerkungen“), ist direkt einsehbar (Schmitt 1982, 20 f.; mehr dazu in der Fußnote Nr. 18 in 2.2). Wiederum dürfte man aus Meiers Argumentation ohne Weiteres nicht schließen, dass Schmitts Wertschätzung der Strauss’schen „Anmerkungen“ für seine Meinung über Hobbes ausschlaggebend war oder dass die Feststellung eines Antipoden-Status zwischen Schmitt und Hobbes seitens Strauss’ der Sicht des Ersteren entspricht.

In der Tat hinterfragte Meier in Zu einem Dialog und Der Lehre Carl Schmitts selbst die Annahmen, auf denen Strauss’ Verständnis von Schmitt und Hobbes als theoretischen Antipoden basierte (2013, 42). In seinem Schmitt-Werk erläuterte Meier, dass das Konzept des Politischen sowohl „vom Gemeinwesen her gedacht“ als auch „beim Individuum ansetzend“ (2012, 59) verstanden werden könne − Individualismus an sich führe, anders als von Strauss behauptet, also keineswegs unvermeidlich zur Negation des Politischen. Das Politische vollziehe sich sowohl auf der Ebene des Gemeinwesens, insoweit dieses Wesen eine Assoziation darstelle, die einen gemeinsamen Feind habe, als auch auf der individuellen, weil es die Rahmenbedingungen für individuelles Denken und Handeln schaffe. Die Wirkungsdynamiken des Politischen − einerseits die der politischen Einheit zukommende Macht, ihre Glieder auf Leben und Tod zu verpflichten, die gesamte Wirklichkeit zu durchdringen, andererseits die Unentrinnbarkeit der Entscheidung, vor die das Individuum als Ganzes gestellt werde und sich zur Bejahung seiner Identität gezwungen sehe − würden insoweit ineinandergreifen, als das Individuum für seine bloße Sicherheit auf das Gemeinwesen angewiesen und andererseits ein geistiges Wesen sei. Der Kern von Schmitts Behauptung, dass das Politische das Schicksal sei, bestehe nicht in der Tatsache, dass „der Einzelne notwendig einem Gemeinwesen begegnet, das ihn in Anspruch nimmt und dem gegenüber er selbst, ob er will oder nicht, Stellung beziehen, seinen Standort bestimmen muss. Vielmehr so, dass ihm die richtige Unterscheidung von Freund und Feind als die schlechthinnige Entscheidung über das eigene Leben abverlangt wird“ (ebd., 32 f.).

An der Einsicht, dass sich das Politische von beiden Ausgangspunkten her begründen lasse, machte Meier keinen Halt − er argumentierte vielmehr, dass Schmitt den individualistischen und nicht den kollektivistischen Ansatz wählte (ebd., 59). Diese Wahl war laut Meier nicht zufällig und nicht ohne entscheidende Bedeutung: „Wenn der Mensch in der politischen Teilnahme ganz und existentiell erfasst werden soll, muss unser Feind ohne Einschränkung zu meinem Feind werden […] Andernfalls beträfe mich das Politische nur in einer besonderen Eigenschaft, ich würde lediglich in einem Aspekt meines Wesens erfasst, es bliebe stets ein nichttrivialer ,Rest‘, der politisch inkommensurabel und unerreichbar wäre“ (ebd., 81). Die ontologisch-existenzielle Deutung des Politischen, d. h. des Politischen als des Totalen, wie sie von Schmitt, Meier zufolge, vertreten wurde, müsse einen individualistischen Ansatz voraussetzen − der „politische Totalismus“ Schmitts sei also „das Ergebnis einer originär individualistischen Perspektive“ (ebd., 62 f.).

Diese stand, so Meier, in einem Zusammenhang mit dem Verständnis des Politischen als Intensitätsgrad, für das Schmitt die ursprüngliche Forderung eines autonomen Sachgebietes für das „reine“ Politische, die in dem ersten Begriff des Politischen von 1927 noch vorherrschend war, verwarf (2013, 32 f.). In der zweiten Fassung rückte Schmitt von der Rhetorik über das Volk in seinem exklusiven Status ab (Meier 2012, 60 f.). Die existenzielle Deutung des Politischen verlange die Herauslösung seines Konzeptes aus „seiner festen Bezogenheit auf das Gemeinwesen“, die Entledigung „aller natürlichen Vorgaben“ (ebd., 100). Erst wenn das Politische nicht länger an substanziell, natürlich oder historisch begründete Gegensätze gebunden bleibe, könne es konzeptionell auf den „Glaubenskampf“ ausgerichtet werden und „es liegt in der Konsequenz einer solchen Orientierung, die koinonia politike schließlich selbst wesentlich oder in ihrer höchsten Vollendung als eine Glaubensgemeinschaft zu begreifen“ (ebd., 100). „Auf dem Höhepunkt der großen Politik streitet“ für Schmitt „der Glaube gegen den Irrglauben“ (ebd., 99), und die Sphäre des Glaubens sei diejenige, in der jedes Individuum seine Identität und Existenz betreffende Entscheidungen machen müsse.

Schmitts individualistische „Wendung“ zum Politischen als Totalen, so wie Meier sie sah, vollzog sich also zum ersten durch Schmitts Loslösung des Feindeskonzeptes aus seiner Verwurzelung in einem fest definierbaren Gemeinwesen und zum zweiten durch die zunehmende Distanz zu der Idee, dass die Feindschaften einer natürlich gegebenen Art und natürlichen Ursprungs seien, d. h. dass die Unentrinnbarkeit des Politischen auf einer natürlichen Abschließungstendenz der Menschen beruhe. Beide Aspekte seien unerlässlich, um den Feind als „Werkzeug der Providenz“ denken zu können (Meier 2013, 79). Die Annahme einer „prästabilisierten Zuordnung des Feindes“ (Meier 2012, 80), die Strauss, wie aus seinem Brief an Schmitt vom September 1932 hervorgeht, als eine mit der menschlichen Natur gegebene Abschließungstendenz, eine primäre Tendenz zur Bildung exklusiver Gruppen deutete (2013, 132 f.), ist bei Schmitt Meiers Deutung nach also nicht anthropologisch, sondern vielmehr theologisch zu verstehen. Der Ernstfall, in dem sich Menschen unter sich als Freunde und Feinde aufteilen würden, bedürfe der Entscheidung, die an keine gegebenen, sich als objektiv ausweisenden Faktoren gebunden sei und befreie das Individuum nicht von der Last der eigenen Entscheidung (Meier 2012, 65; 2013, 67). Nennt man einen solchen sich mit der politischen Theologie vertragenden Ansatz individualistisch, muss man Schmitt auch die Möglichkeit einräumen, trotz Strauss’ Antipoden-These in der ideellen Nähe zu Hobbes geblieben sein zu können.Footnote 39

Zwar ist Meier zuzustimmen, dass Schmitts Konzept des Feindes kein essenzialistisches gewesen ist, aber dies führt nicht zwangsläufig zu der Interpretation, dass Schmitts Begriff des Politischen in der Tat theologisch und nicht rein dezisionistisch fundiert war.Footnote 40 Denn wie verhält es sich vor dem Hintergrund der These Meiers über Schmitts im Kern individualistischen Ansatz samt dessen Äußerung, dass die Negation des Politischen in jedem konsequenten Individualismus enthalten sei (1991, 68), mit der Aussage über Hobbes als politischen Denker (ebd., 64 f.) und andererseits über dessen Individualismus (bspw. 1982, 51, 84−86)?

Dies leitet zu dem nächsten sowie entscheidenden, obwohl teilweise im Hintergrund stehenden Aspekt der Deutung Meiers über, nämlich zu der Darstellung des ideellen Verhältnisses von Schmitt und Strauss als einer Opposition, deren Parteien nur vorläufig und nur auf der Oberfläche koalieren konnten. „Die Kluft zwischen Politischer Theologie und Politischer Philosophie“ sei „unaufhebbar“ und trenne Schmitt und Strauss auch dort, „wo beide in ihren politischen Positionen übereinzustimmen scheinen oder in der politischen Kritik eines gemeinsamen Gegners in der Tat übereinstimmen“ (Meier 2013, 51).

Meier zufolge „lockt“ der „Angriff“ Strauss’ mit seinem Kommentar zum Begriff des Politischen „Schmitt so weit aus der Reserve, dass die theologischen Voraussetzungen zum Vorschein kommen, die Schmitt sowohl an die Unentrinnbarkeit des Politischen glauben lassen als auch sein moralisches Urteil gegen jeden Versuch bestimmen, die Welt ohne Ernst, den Zustand vollkommener diesseitiger Sicherheit, den allgemeinen Betrieb ins Werk zu setzen“ (ebd., 76). „Strauss’ Herausforderung bewirkt, dass der Autor des Begriffs des Politischen 1933 mehr von seiner Identität als politischer Theologe zu erkennen gibt als 1927 oder 1932“ (ebd., 59). Woran sich erkennen lasse, dass Strauss das theologische Fundament der Schmitt’schen Lehre aufgespürt habe, hat Meier allerdings nicht gezeigt. Schmitts allzu subtile Distanzierung von Hobbes in der dritten Fassung von Dem Begriff des Politischen unter Einsicht dessen Beitrages zum liberalen Denken muss nicht zwangsläufig bedeuten, dass Schmitt 1933 „mehr von seiner Identität als politischer Theologe zu erkennen“ gab. Außerdem hat er mit seiner späteren theologischen Interpretation von Hobbes in „Der vollendeten Reformation“ und in dem Hobbes-Kristall gezeigt, dass er unter dem Strich nicht die Hobbes’sche Theorie an sich, sondern nur ihre davon teilweise unabhängige liberale Auslegung ablehnte. Anstatt Hobbes als Liberalen aus der eigenen politischen Theologie sowie aus einer solchen im Generellen auszuschließen, holte Schmitt ihn vielmehr in den Kreis seiner theoretischen „Verwandten“ zurück.

Wenn man die These Meiers akzeptiert, dass sich Schmitt durch den Kommentar von Strauss herausgefordert sah, den theologischen Bestandteil seiner politischen Lehre zu entblößen, dann mit zwei Zusätzen: zum einen, dass sie, contra Meier, erst für 1963 und 1965 und nicht bereits 1933 eindeutig bewiesen werden kann; zum zweiten, dass es unklar bleibt, ob Strauss tatsächlich theologische Voraussetzungen im Sinn hatte, wenn er Schmitt zur ehrlichen Prüfung und Bekundung seiner Denkvoraussetzungen aufforderte. Strauss schrieb über Schmitts Politisches als das Maßgebende nämlich unter Verweis nicht auf den Glauben, sondern auf die Moral („Die Bejahung des Politischen ist zuletzt nichts anderes als die Bejahung des Moralischen“; Strauss 2008, 233) sowie eine anthropologische Haltung („Es [= das Politische] ist notwendig, weil es mit der menschlichen Natur gegeben ist. Daher führt sich der Gegensatz zwischen der Negation und der Position des Politischen auf einen Streit über die menschliche Natur zurück“, ebd., 228).

Dass Strauss, für den das theologisch-politische Problem seit seiner Auseinandersetzung mit der Religionskritik Spinozas, die er zwei Jahre vor dem Erscheinen der zweiten Fassung von Dem Begriff des Politischen niederlegte, „das Thema“ seiner Untersuchungen gewesen war (2008 b, 8), von diesem Element Schmitt’scher Mentalität ahnte, schimmert bloß an einer fast am Ende der „Anmerkungen“ zu findenden Stelle durch. Da bezeichnete er die hinter der Polemik gegen den Liberalismus sich verbergende Gesinnung Schmitts als einen Geist und Glauben, „der, wie es scheint, noch keinen Namen“ habe, aber in dessen Namen der „Entscheidungskampf zwischen dem ,Geist der Technizität‘, dem ,Massenglauben eines antireligiösen Diesseits-Aktivismus‘“ ausgetragen werden solle (Strauss 2008, 237). Dass Strauss die Worte „Religion“ und „Theologie“ mied und der Gesinnung Schmitts keinen Namen zu geben wusste, kann als ein Zeichen dafür gehalten werden, dass er bei Schmitt ihre Begründung vermisste. Dann müsste man Strauss’ Rede von der „primäre[n] Tendenz der menschlichen Natur […], exklusive Gruppen zu bilden“ in dem Brief an Schmitt vom 4. September 1932 (2013, 132) als eine Provokation durch vorgetäuschtes Missverständnis deuten. Dass dies so gelesen werden könnte, wird indirekt durch einen Brief Strauss’ an Krüger gestützt, dem er im August 1932 seine „Anmerkungen“ beigefügt hat. In diesem Brief bedankt er sich für die Rücksendung von Schmitts Römischem Katholizismus und politischer Form (2008 i, 399). Im Licht dieser Schrift, die Strauss, wie aus dem Brief hervorgeht, nicht entgangen sei, erscheint Schmitts dezisionistischer und existenzialistischer Grundmodus als ein mit einer eigenartigen Interpretation katholischer Theologie verwobener. Da der Brief aber Strauss’ „Anmerkungen“ folgt und nicht vorausgeht, kann er zwar über seine Intention in dem Brief an Schmitt von Aussagekraft sein, aber nicht bereits über seinen Kommentar zum Begriff des Politischen.

Was Strauss von Schmitts theologischer Gesinnung persönlich auch gehalten hat – er konnte sie auf der theoretischen Ebene nicht ernst nehmen, ehe Schmitt selbst sie als Wesen des eigenen Verständnisses des Politischen offengelegt und begründet hat. Man kann sagen, dass Strauss Schmitts Position als eine unbegründete herausforderte – was nicht begründet ist, braucht auch nicht explizit angesprochen und somit anerkannt zu werden. Mag Schmitts spätere Interpretation von Hobbes’ Philosophie als politischer Theologie eine Art nachgelagerter Antwort auf Strauss gewesen sein, erwies sich dadurch seine Opposition zu Strauss zugleich als gegenüber derjenigen zu Hobbes gewichtiger.

So wie auf der Oberfläche des Strauss’schen Kommentars zum Begriff des Politischen die These von Hobbes und Schmitt als theoretischen Antipoden liegt, so findet sich in der tieferen Schicht Strauss’sche Kritik an Schmitts politisch-polemischer Fundierung der Politik, die in ihrer Inkonsequenz einer Opposition gegen Hobbes nicht gewachsen sei. Auf dieser Ebene argumentierte Strauss aus der Position eines politischen Philosophen heraus, dem es um die Grundlegung der Politik geht. Strauss konnte Schmitts Bejahung des Politischen als status belli nur als eine vorläufige, nicht radikale, nicht konsequente Kritik des Liberalismus anerkennen. Andererseits kam Strauss auch solche Kritik gelegen, weil sie zumindest das zur Geltung brachte, was die „Kulturphilosophie“ in Vergessenheit gebracht habe (Meier 2013, 39) – den Begriff menschlicher Natur. Es war im Schmitt’schen wie Strauss’schen Sinne, „dem Ausweichen vor der wichtigsten Frage, der Frage nach dem richtigen oder dem besten Leben, entgegenzuwirken“ (Meier 2008, xxvii). Andererseits, betonte Meier, war es bei Strauss nicht der Feind und die Feindschaft, was er für nötig gehalten habe, um die Frage nach dem Richtigen aufrechtzuerhalten (2013, 96).Footnote 41

Die Frage nach dem Richtigen stellte sowohl für Schmitt als auch für Strauss, Meier zufolge, den Rechts- und Unabweisbarkeitsgrund des Politischen dar; daher ihre „politische Kritik eines gemeinsamen Gegners“ – der „Kulturphilosophie“ und Entpolitisierungsdynamik (ebd., 51). Der Unterschied bestand jedoch darin, welche Ansätze zur Beantwortung dieser Frage beide Denker vertraten. Während Strauss die Frage nach dem Richtigen als Frage an die menschliche Vernunft wahrnahm, glaubte Schmitt, „dass das Eine, was not tut, nur geglaubt werden kann, weil […] es sich bei der Frage […] nicht um eine Frage des Menschen handelt, sondern um die Frage an den Menschen“ (ebd., 50). Folgt man der Deutung Meiers von dem ideellen Verhältnis Schmitts und Strauss’ als Fall eines theologisch-politischen Problems, wird verständlich, weshalb eine stärkere Bekundung der theologischen Voraussetzungen seines Begriffs des Politischen für Schmitt den einzigen Weg darstellte, der Kritik von Strauss standzuhalten. Der subjektiven Relativierung und „der Gefahr des Selbstbetruges“ ließ sich die Kategorie der Feindschaft nur dank des theologischen Fundaments entziehen (Meier 2012, 79).

Durch seine Interpretation der Lehre Schmitts als politische Theologie und ihres Verhältnisses zu Strauss als Zusammenstoß des philosophischen und des theologischen Verständnisses hat Meier zeigen können, dass die Polemik zwischen Philosophie und „Kulturphilosophie“ das Verhältnis von Schmitt und Strauss in Bezug auf Hobbes nicht vollständig erfasst, dass es eines dritten Gliedes − der politischen Theologie – bedarf. Durch diese eröffnet sich eine Konfliktebene, auf der die Möglichkeit eines überhistorischen philosophischen Wissens, die relativierende „Kulturphilosophie“ und der Glaube an die Offenbarung einander gegenüberstehen. Jedoch muss infrage gestellt werden, ob es in der Hobbes-Deutung von Schmitt und Strauss nicht einige Charakteristika gibt, die die Interpretation Meiers nicht zu erfassen vermag, und ob sie vielleicht durch andere Erklärungsansätze zur Geltung gebracht werden können. Um dies festzustellen, wende ich mich im nächsten Schritt der Kritik an der Deutung Meiers zu.

Meiers Dialog unter Abwesenden wurde von Bendersky (1997), Shell (1991), Gottfried (1993) sowie Münkler (1996) besprochen. Während sich alle vier der Interpretation Meiers aus eigener Perspektive näherten und dabei unterschiedliche Aspekte hervorhoben, kann zusammenfassend gesagt werden, dass Gottfried und Bendersky dabei eine überwiegend ablehnende Stellung einnahmen, während die übrigen zwei seine These über das Verhältnis der Hobbes-Deutungen von Schmitt und Strauss als Kollision zwischen politischer Theologie und politischer Philosophie als solche nicht in Frage stellten und lediglich einzelne Einsichten bezweifelten bzw. präzisierten.

Unter den vorgebrachten Einwänden lassen sich drei Arten von Argumenten unterscheiden − faktische, inhaltliche und biographisch-kontextuelle. Mit „faktisch“ meine ich diejenigen, die die These Meiers über den Bestand des „Dialogs unter Abwesenden“ angreifen. Sowohl Bendersky als auch Gottfried wiesen auf das Fehlen tatsächlicher Beweise für einen solchen Dialog im Stillen hin; für sie war er bloß das Ergebnis einer zu freien Interpretation (Bendersky 1997, 891; Gottfried 1993, 168). Bei diesem Einwand zu verweilen halte ich für nicht nötig, weil sich aus der Beweisbarkeit oder Unbeweisbarkeit des Umfangs des Schmitt-Strauss-Dialoges keine notwendigen Implikationen für die Glaubwürdigkeit der Auffassung der Lehre Schmitts als politische Theologie ergeben, zumal Bendersky selbst der Meinung war, dass sich Strauss in seiner Auseinandersetzung mit dem Begriff des Politischen der theologischen Fundamente Schmitt’schen Denkens nicht bewusst war (1997, 891).

Von größerem Interesse sind dagegen die Argumente, die sich direkt mit der Deutung der Lehre Schmitts als politischer Theologie auseinandersetzen und dabei auf ihre inhaltlichen Züge rekurrieren. Als ein solches Argument lässt sich die Anmerkung Benderskys bezeichnen, dass die Unterstellung eines theologischen „Rückgrates“ für den Begriff des Politischen Schmitts expliziten Äußerungen widerspreche, mit denen er auf dem Vorrang der Erwägung einer konkreten Situation vor abstrakten Theorien und Denksystemen bestand (ebd., 893, vgl. S. 105 dieser Arbeit). Diese Bewandtnis seines Denkens wird von mir unter den Begriffen politische Bestimmung des Politischen und Rhetorisierung bzw. Politisierung der Theorie thematisiert (siehe Abschn. 1.5 Die Zentralität des theologisch-politischen Problems für die Bestimmung des Politischen) und auch aus der Perspektive Strauss’ und vor dem Hintergrund seines Einwandes wegen der Befangenheit Schmitts in der liberalen Denkweise geschildert (S. 65, 288).

Einen anderen Standpunkt nahm Gottfried ein, der die These der politischen Theologie ebenfalls für einen Fehlschluss hielt. Für ihn stellte die theologische Deutung Schmitts einen Fall tendenziöser Interpretation dar, die in dessen Lehre totalitäre Denkzüge hineinprojizierte (Gottfried 1993, 170) und seine Liberalismuskritik ihrer Substanz beraubte. Diese sah er in der Zurückweisung des habgierigen Individualismus, der liberalen „Erniedrigung“ der Kultur zur bloßen Unterhaltung und der Reduktion der Ethik auf eine der Kultursphären. Zurückweisung auch des sozialen Atomismus und uneingeschränkten Fortschrittglaubens sowie der Erosion moralischer und gemeinschaftlicher Autoritäten (ebd., 172 f.). Darin manifestiert sich für Gottfried die Essenz einer moralisch untermauerten Kritik gegen den Liberalismus, in der nach der Meinung des Autors die Wahlverwandtschaft zwischen Schmitt und Strauss bestand. Dagegen setzte Gottfried die Interpretation Schmitts als politischer Theologe mit der Unterstellung religiösen und totalitären Fanatismus sowie heldenmütiger Irrationalität gleich (ebd., 169 − 171).Footnote 42 In Schmitts Ansatz zum Begriff des Politischen sah Gottfried, im Gegenteil, rationale Überlegungen jegliche eschatologischen Spekulationen und mystischen Neigungen überwiegend und sein Verhältnis zum Glauben daher als eher irrelevant (ebd., 176).

Darüber hinaus behauptete der Autor, dass sich Schmitt und Strauss in der Zeit von Dem Begriff des Politischen und Strauss’schem Kommentar dazu in ihrem Hobbes-Verständnis nicht wesentlich unterschieden. Dass ein solcher Unterschied auf Basis der jeweiligen späteren Werke zu Hobbes zu erkennen sei, solle das Urteil über die jeweiligen Positionen im Jahr 1932 nicht beeinflussen (ebd., 170). Sowohl Gottfried als auch Bendersky unterstrichen, dass man bei der Einschätzung dieses Verhältnisses den retrospektiven Aussagen der Autoren Jahrzehnte später nicht allzu viel Bedeutung beimessen sollte (ebd., 170). Insbesondere Bendersky positionierte sich scharf gegen die Heranziehung Schmitt’scher Erwägungen der Nachkriegszeit für die Interpretation seines Begriffs des Politischen und die Untermauerung der theologischen Deutung seiner Lehre. In Schmitts theologischen Bezugnahmen erkannte Bendersky nicht den Ausdruck dessen theoretischer Veranlagung, sondern bloß eine neu entflammte Religiosität, mittels derer Schmitt mit dem in der Nachkriegszeit waltenden „Weltschmerz“ zurechtzukommen versuchte. Bendersky zufolge sei so eine Rück- bzw. Neuhinwendung zum Christentum unter dem Großteil deutschen Bildungsbürgertums in der entsprechenden Zeit keine Ausnahme gewesen − viele konservative Intellektuelle hätten über diese Wendung Zuflucht gesucht (1997, 893). Dass Meier seiner Deutung Schmitts jedoch hauptsächlich Den Begriff des Politischen und Den Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes zugrunde legte, und ein solches Argument als Kritik daher nicht zutrifft, ist bereits erwähnt worden.

Auch McCormick warnte vor der Überbewertung retrospektiver Selbsteinschätzungen und plädierte für die Sensibilität für Zäsuren und Brüche, insbesondere den existentialistisch-historistischen Einschnitt, den er in Schmitts Denken zwischen dem Römischen Katholizismus und politischer Form und Ex Captivitate Salus sich vollziehen sah (1994). Unter den Meier-Kritikern ist er vor allem für seine These über die Hobbes-Deutung von Schmitt und Strauss als existenzialistischen Antiliberalismus hervorzuheben. Zwar bestritt McCormick nicht, dass die moralischen Denkvoraussetzungen beider Autoren von ihrer Affinität zur jeweils Theologie und klassischen Philosophie zeugen würden, aber er stimmte nicht zu, dass diese Affinitäten und die entsprechenden moralischen Ausrichtungen auf ihre Abhandlungen zu Hobbes sowie auf Schmitts Begriff des Politischen Einfluss hatten. Achte man, so sein biographisch-kontextueller Einwand gegen Meier, auf die ideellen Wandlungen und Brüche, die sich im Vergleich unterschiedlicher Schaffensperioden der Autoren erkennen lassen würden, könne man von einer theologischen Prägung in der Lehre Schmitts nur bis 1926 sprechen. Und wiederum könne bei Strauss erst nach seiner Emigration in die USA von einer philosophischen Auseinandersetzung mit der politischen Theorie die Rede sein (McCormick 1997, 263 f.). Anstelle der These Meiers über die Divergenz der Hobbes-Deutungen von Schmitt und Strauss als theologisch-philosophischen Gegensatz entwickelte McCormick die These von zwei sich überbietenden Radikalisierungen des die Todesfurcht zum Leitmotiv erhebenden Mythos. Für Schmitt und Strauss gelte das Motiv der Todesfurcht nicht als Ursprung einer moralischen Gesinnung, sondern sei Ausdruck der Gewaltästhetisierung (McCormick 1994, 643).

Der Dreh- und Angelpunkt der Analyse McCormicks ist die Annahme der Parallelen und Berührungspunkte, so wie dies, ihm zufolge, von Schmitt und Strauss selber wahrgenommen wurde, zwischen ihren eigenen Vorhaben und Hobbes’ „politische[m] Projekt“. Diese Parallele bestand, laut McCormick, im dreifachen Sinne: als Parallele des politischen Kontextes (ebd., 622), der davon herrührenden politischen Zielrichtung sowie der pessimistischen Auffassung menschlicher Natur.

Seinen Leviathan schrieb Hobbes in der Zeit des Bürgerkrieges; Schmitt und Strauss haben sich mit Hobbes in der Weimarer Republik und während des Aufstieges nationalsozialistischer Diktatur auseinandergesetzt. Ihr Zeitalter haben beide als politische und geistige Krise wahrgenommen. Auch wenn Strauss in seiner Wahrnehmung dieser Krise seine Überlegungen über die aktuelle politische Gemengelage viel seltener zum Ausdruck brachte, als Schmitt dies tatFootnote 43 (was mit Rücksicht auf ihren unterschiedlichen beruflichen Hintergrund nicht überraschend ist), brachte er in „Einigen Anmerkungen über die politische Wissenschaft des Hobbes“ klar zum Ausdruck, inwiefern er sich zum Hobbes-Studium gerade durch die politische Lage aufgefordert fühlte: „In einem Augenblick, in dem nach der Meinung vieler der Liberalismus und die liberale Demokratie endgültig gescheitert sind“, schrieb er, „muss sich das Interesse derer, die sich nicht mit halben Lösungen zufrieden geben können, mit einer gewissen Notwendigkeit auf die politische Wissenschaft des Hobbes richten“ (2008 a, 243). Und für Schmitt stellte das Bild des Naturzustandes, laut McCormick, nicht nur eine zugespitzte Abbildung der damaligen politischen Lage dar, in der sich Hobbes’ Heimat befand, sondern auch eine mögliche politische Gegenwart, in die die Weimarer Republik abzugleiten drohte (1994, 624 f.). Wenn McCormick also behauptete, dass die Theorien von Hobbes und Schmitt als Mythen zu funktionieren hatten (ebd., 626), hieß es, dass sie aus einer politischen Zielvorstellung entwickelt worden und als politische Lehren gemeint waren – die Auffassung von Mythos als einer politischen Lehre voraussetzend, die als Antwort auf politische Herausforderungen entstehe.

Ein Mythos, an dem Schmitt besonders interessiert war, war der eines totalen Staates, in dem die Gesellschaft vom Staat getrennt wäre und dadurch ihr „Freilauf“ in Schranken gehalten werden könnte (ebd., 636). So knüpft die zweite Parallele, die McCormick (im Fall von Schmitt begründeterweise) seiner These zugrunde legt, unmittelbar an die erste an. Es sei die politische Absicht Hobbes’, mit der sich beide, Schmitt und Strauss, identifizierten. Die Unterscheidung zwischen Freund und Feind spiele in der politischen Theorie von Schmitt die gleiche Rolle wie der Naturzustand bei Hobbes (ebd., 621) – und zwar die der Begründung der Notwendigkeit staatlichen Gemeinwesens. Diese Zielrichtung wurde, McCormick zufolge, von Strauss nicht nur erkannt, sondern geteilt und aber auf eine eigene Weise realisiert. Von dem Versuch Schmitts, die Notwendigkeit staatlichen Zusammenlebens zu demonstrieren, fühlte sich Strauss nämlich nicht überzeugt (ebd., 627). Die Kritik Strauss’ an Schmitt setzte McCormick also mit der Kritik an der Art der Umsetzung, nicht an der politischen Absicht selbst gleich.

Vor dem Hintergrund ihrer politischen Zielrichtung waren sich Schmitt und Strauss, so McCormick, in ihrer Kritik an der durch den Liberalismus bewirkten Verschleierung des Politischen sowie der menschlichen Natur einig − wie in ihrer Überzeugung, dass es einer offenen Anerkennung dieser zwei Grundlagen bedürfe (ebd., 628). Die Auffassung von menschlicher Natur stellte den dritten Aspekt dar, dem gegenüber McCormick Schmitt, Strauss und Hobbes als gleichgesinnt sah. Der anthropologische Pessimismus bot in den Augen Schmitts die einzige Möglichkeit, ein politisches Gemeinwesen zu stabilisieren − nicht trotz der der menschlichen Natur inhärenten Bosheit, sondern gerade ihretwegen (ebd., 622). Der Hobbes’schen Auffassung, dass die den Menschen von Grund auf bestimmende Gewalt Angst sei, stimmte Strauss laut McCormick zu und erkannte es zugleich als den einzigen Ausgangspunkt, von dem aus der von dieser Angst bestimmte Verhaltensmodus beiseitegelegt werden könne.

Von diesen Parallelen ausgehend argumentierte McCormick − und das ist die Leitlinie seiner Deutung − , dass Schmitt und Strauss in ihrer Deutung von Hobbes ein Gegenmittel zur Bekämpfung der Liberalismus-Krise sahen und dass ihnen dies aus zwei Gründen nicht gelang. Einerseits weil sie das Sicherheits-Schutz-Axiom „überdehnt“ und damit die Gefahren individueller Willkür in die viel gravierenderen Gefahren staatlicher Willkür überführt hätten; andererseits weil sie das „Mythische“ bei Hobbes von dem, was bei ihm „technisch“ sei, abzukoppeln versuchten (ebd., 643 f.; 1997, 250).Footnote 44 Der Mythos musste „funktionieren“, ohne auf das Prinzip der individuellen Freiheit, der individuellen Autonomie angewiesen zu sein (1997, 298).

Wenn McCormick von dem „Mythischen“ bei Hobbes im Gegensatz zum „Technischen“ sprach, war damit das Konzept der Furcht −  „vital and inevitably mythic element of fear“ (1994, 645) − gemeint. Folgerichtig verwies McCormick in seiner These, dass Schmitt und Strauss in ihrer Hobbes-Deutung das Ziel verfolgten, „to retrieve this primal source of political order“, auf nichts anderes als „fear of violent death“ (ebd., 620). Die Todesfurcht als Grundlage der politischen Ordnung musste von den „neutralisierenden“ Elementen der Technik isoliert werden, weil mittels der Naturwissenschaften und des Technischen die Autonomie der Privatsphäre, die von dem Naturrecht der Einzelnen auf Selbsterhaltung herrühre, kultiviert und das Individuum dadurch dem Anspruch des Staates auf substanzielle, d. h. sich inhaltlich und nicht rein funktional legitimierende Herrschaft entzogen werde (ebd., 645).

Dabei hätten Schmitt und Strauss, so McCormick, missachtet, dass Mythos kein Gegenpol des Technischen sei und sich nicht als Grundlage politischer Ordnung eigne – er bediene sich des Technischen und könne genauso wie dieses kein den politischen Mächten transzendentes Kriterium für eine dauerhafte Ordnung generieren. Ein Mythos, der die Todesfurcht zum Leitmotiv der auf die Ästhetisierung der Gewalt setzenden Gehorsamkeitserzwingung mache, vermöge vielleicht eine Alternative zur liberalen Krise des Politischen zu bieten, aber nur eine totalitäre Alternative. Also seien die Hobbes-Deutungen von Schmitt und Strauss ein Fehlschlag gewesen, und zwar weil sie auf die Frage nach dem Politischen eine bloß politische und keine vernunftfundierte Antwort gaben, d. h. weil sie die Lehre des Naturzustandes zum Zweck des durch die Furcht zu gewinnenden Gehorsams instrumentalisierten.

Die Instrumentalisierung und Radikalisierung des Hobbes’schen Mythos des Naturzustandes, die McCormick als Ästhetisierung der Gewalt bezeichnete, bestand im Fall Strauss’, so seine Interpretation, konkret darin, dass dieser das Hobbes’sche Konzept der Todesfurcht als Furcht vor dem gewaltsamen Tod deutete (ebd., 633). Während McCormick richtig erkannte, dass die Substanz Hobbes’scher Lehre für Strauss in dem Postulat der Todesfurcht bestand, interpretierte er dieses Postulat als daseinsmäßig, existenzialistisch und nicht als normativ, wie es der Strauss’schen Hobbes-Interpretation entsprochen hätte (dazu mehr auf S. 209). Demzufolge deutete er das Element der Gewalt aus der vermeintlichen Absicht ihrer Ästhetisierung heraus und nicht als den notwendigen Bestandteil eines Menschenbildes, das sich an dem Leben unter anderen Menschen und nicht an dem Überleben an sich orientiert. Damit trug er Strauss’ Überlegungen über Hobbes’ moralische Gesinnung keinerlei Rechnung.

Im Gegensatz zu bereits besprochenen Autoren lehnte Susan Shell die theologische Deutung Meiers nicht ab. Vielmehr hob sie die von Meier nicht thematisierte Parallele zwischen liberaler und theologischer Denkweise hervor. Es war, so Shell, die von Schmitt vertretene historistische Version der Theologie, die die Geschichte als Kampf zwischen Katechon − dem Aufhalter − und dem Antichrist verstehe, und nicht die auf Etatismus beruhende Wahlverwandtschaft mit Hobbes, die die Liberalität seines Denkens im Sinne von subjektiver Unbestimmtheit konstituiere. Aus einer solchen Auffassung der Religion und der Geschichte ergebe sich keine Grundlage, sich substanziell mit der Frage der Moral zu beschäftigen − die Moral könne nur bejaht und gelebt, aber nicht begründet werden. So erschöpfe sich auch die Frage nach dem Feind in der Fügsamkeit gegenüber dem Feind (Shell 1991, 222 f.) und nicht etwa der Autorität Gottes (wie in der Deutung Meiers): Was sei das für ein Glauben, fragte Shell, der den Bedarf nach dem Feind vor der Frage stelle, wer dieser Feind sein solle (ebd., 220 f.).

Eine Antwort darauf aus Meier’scher Sicht würde lauten, dass mit der These der Freund-Feind-Unterscheidung Schmitt gegen das Werk des Antichrists vorzugehen glaubte, dessen „sicherste[s] Anzeichen“ die Verneinung der Feindschaft sei (siehe Meier 2012, 207 f., 249). Mit dem Begriff des Politischen stelle sich Schmitt in den Dienst der Providenz, die über die geschichtlichen Feindschaften und Freundschaften regiere (ebd., 256). Wenn bei Schmitt daher der Bedarf nach dem Feind vor der Frage gestellt werde, wer dieser Feind sein solle, dann, zum einen, deswegen, weil die Letztere keine, aus Sicht der Entscheidenden, willkürliche Entscheidung bedeute, sondern vielmehr eine Annahme oder Ablehnung der sich durch das Wirken Gottes und des Antichrist stellenden Herausforderung, zum anderen, weil vorausgesetzt werde, dass die Feindschaft denjenigen gelte, die keine Feinde anerkennen würden. In der so verstandenen politischen Theologie gleiche die Erlöschung der Möglichkeit der Feindschaft der Erlöschung der Möglichkeit des Glaubens und der Erlösung.

Eine solche Auffassung von Schmitts politischer Theologie wird durch seine Hobbes-Deutung bestätigt, und zwar dadurch, dass er bei Hobbes den politischen Feind mit einem Atheisten gleichsetzte. Das geht aus Schmitts Aussage hervor, dass Hobbes einen Atheisten als Feind Gottes definiert habe, und aus der unmittelbar angeschlossenen Frage, wie ein politischer „Hochverräter oder Rebell“ zu verstehen sei, der sich dem Souverän und seiner Feindschaft als Feind stelle (1982 a, 140 f.). Unausgesprochen, aber naheliegend ist hier die These, dass Hobbes einen Atheisten als Feind des Souveräns auffasste.

Meiers These über Schmitt als politischen Theologen vermag dessen Denken auf eine Formel zu reduzieren, die zwar umfassend, aber grob bleibt. Mit ihr lassen sich die unterschiedlichen Gestalten, die Hobbes in der Deutung von Schmitt hauptsächlich in Dem Begriff des Politischen, Dem Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes und „Der vollendeten Reformation“ annahm, nicht gleich gut erklären, zumal das Verhältnis zwischen politischem und theologischem Denken eine Frage an sich darstellt. Der Deutung Meiers eine Chance zu geben bedeutet in Kauf zu nehmen, dass sich die politische Theologie Schmitts als Bild dafür, was eine politische Theologie konstituiert, nicht eignet (siehe Münkler 1996, 274). An sich ist es jedoch noch kein unwiderlegbares Argument, dass das Verständnis der Schmitt’schen Lehre als politische Theologie für die Einsicht in sein Denken nicht fruchtbar sei. Was die Kritik an Meier aber auf jeden Fall nahelegt, ist die Präzisierung der auf Schmitt anzuwendenden Bezeichnung „politische Theologie“ durch solche Attribute wie „historistisch“ und „existenzialistisch“.

Auch die von Meier nicht ausreichend thematisierte Periodisierung der Hobbes-Deutung von Schmitt bietet ein Mittel für einen präziseren Zugriff an.Footnote 45 Sie einzubeziehen schließt Meiers Deutung nicht aus – genauso wenig wie die Bewertung Schmitt’schen Denkens als existenzialistisch zwangsläufig als Widerlegung der These von politischer Theologie verstanden werden muss, vor allem ohne die Möglichkeit erwogen zu haben, dass Meiers theologische Deutung dem existenzialistischen Charakter der Schmitt’schen Lehre auch selbst gerecht werde. Es bedarf also einer Offenheit gegenüber der Frage, ob es nicht eher die Berücksichtigung der Position Meiers sowie der Sichtweisen seiner Kritikerinnen ist, die zu einem möglichst vollständigen Verständnis Schmitt’schen Denkens, insbesondere seiner Hobbes-Interpretation in ihren unterschiedlichen Gestalten, verhelfen kann.

1.4 Die Weiterführung und Abwandlung des theologisch-politischen Interpretationsansatzes. Politische Theologie als Ideengeschichte, die (Ent)rhetorisierung der politischen Philosophie sowie politisches Philosophieren

Außer Meier gab es in den 1990er Jahren einige andere Autoren, die die Hobbes-Deutung von Schmitt und Strauss in Bezug auf das theologisch-politische Problem betrachtet haben. Darunter ist vor allem Clemens Kauffmann (1997) zu nennen. Die Affinität seiner Deutung mit der von Meier besteht in der Überzeugung, dass Strauss das philosophische Leben gegen die Ansprüche seitens der Theologie und gegen das politische Gehorsamsgebot zu verteidigen suchte. Für ihn hatte Strauss’ Auseinandersetzung mit der Spannung zwischen der Autorität des Glaubens oder des Gesetzes und der Autorität der Vernunft in den Erwägungen des „jüdischen Problems“ ihren Ursprung.

Während Meier und Kauffmann (sowie Allan Bloom und Thomas L. Pangle) Strauss vor allem als einen politischen Philosophen lasen, thematisierte eine weitere Grundrichtung der Strauss-Literatur, deren Systematisierung Bluhm vorgeschlagen hat (2002, 19), ihn als einen jüdischen Denker. Darunter fällt auch die Interpretation Söllners von Strauss als einem politischen Theologen.

Wichtig ist, welches Verständnis von politischer Theologie hinter dieser These steht. In Anlehnung an Ottmann fasste Söllner politische Theologie als eine Methode der Begriffsgeschichte auf, die den Säkularisierungsfortgang nachverfolge und die moderne Politiktradition aus ihren theologischen Ursprüngen heraus zu verstehen versuche (1996, 198). Solche Definition ist mit der These von Strauss’ Weimarer Nachlass als politischer Theologie durchaus vereinbar. In diesem Zusammenhang charakterisierte Söllner die Auseinandersetzung von Strauss und Schmitt zum Begriff des Politischen als Abwendung des Ersteren „in die sichere Distanz eines […] ideengeschichtlichen Forschungsprojektes“ (ebd., 192).Footnote 46 Damit näherte er sich einerseits der These Meiers von der in Bezug auf den Begriff des Politischen zwischen Schmitt und Strauss deutlich gewordenen Divergenz: „Strauss folgt Schmitt bis auf den theoretischen Scheitelpunkt seines Antiliberalismus; im Augenblick der größten Annäherung […] erkennt er in ihm den Feind“ (ebd., 192). Gleichzeitig stellte er sie auf den Kopf, indem er Strauss auf der Seite der politischen Theologie verortete.

Söllners Auseinandersetzung mit Strauss’ antiliberalen Denkmomenten der Weimarer Zeit ist eine differenzierte: Sie schlägt sich weder auf die Seite einer übereilten moralischen Entrüstung noch auf die der unglaubwürdigen Apologetik. Zwar mag seine Aussage, dass der Antiliberalismus Strauss’, den Söllner als „jungen und unbekannten jüdischen Religionsphilosophen des antidemokratischen akademischen Establishment“ bezeichnete, „naiv“ gewesen sei, den Anschein der Verschönerung vom Unangenehmen haben (ebd., 192 f.). Dies ist jedoch kein Hindernis für sein Urteil, dass Strauss Schmitts Liberalismuskritik aus der Position politischer Philosophie heraus nicht nur radikalisiert habe, sondern sie gar „überbot“ (vgl. Meier 2013, 13; Bluhm 2002, 92, 98). Strauss hatte, so Söllner, nicht nur „Sympathien“ für Schmitts Antiliberalismus, sondern „unterstützt[e]“ ihn.Footnote 47 Er habe sich „weder an der ,kriegerischen Moral‘ Schmitts noch an seiner ,Bewunderung der animalischen Kraft‘ als solcher“ gestört − vielmehr an der Vermutung, „dass Schmitt bei allem existentialistischen Pathos seiner Metaphern zu einer soliden Begründung des Politischen nicht kommt“ (Söllner 1996, 191). Die Position Söllners stellt einen Mittelweg zwischen der Deutung Meiers und derjenigen von McCormick dar, der die antiliberale Gesinnung Strauss’ so sehr zuspitzte, dass dabei kein Platz mehr für das In-Betracht-Ziehen des theologisch-politischen Problems blieb.

Strauss’ Antiliberalismus, den er mit Schmitt „bis auf den theoretischen Scheitelpunkt“ teilte, sah Söllner auch in seinem Urteil zum Ausdruck kommen, dass Hobbes es mit der Voraussetzung der bösartigen und gefährlichen Natur des Menschen „nicht wirklich ernst meinte“, weil er „diese Voraussetzung durch den zivilisierenden Zwang des ,Leviathan‘ aufheben wollte“ (ebd., 191). Während Schmitt nichtsdestoweniger bei der Bejahung des negativen Ausgangspunktes der Staatskonstruktion verblieb, fragte Strauss im Gegenteil nach der positiven Wesensbestimmung des Politischen (ebd., 191). Diese positive Begründung des Politischen, zu der Schmitt „bei allem existentialistischen Pathos“ (ebd., 191) nicht kam, war ein Stück von Strauss’ politischer Theologie als seines „ideengeschichtliche[n] Forschungsprojekt[es]“. Das daraus resultierende Hobbes-Buch stellte zugleich den „Markstein einer gegenüber Weimar deutlich veränderten Perspektive“ dar (ebd., 200).

In seiner Studie zur Rhetorik des Politischen ging Mathias Bohlender über den von Meier abgesteckten Rahmen des theologisch-politischen Problems hinaus, indem er die Problematik der Rhetorisierung der politischen Theorie miteinbezog. Die auf die Philosophie seitens der Politik zukommende Herausforderung verstand er zugleich als das Eindringen des Rhetorischen (und der damit verbundenen Polemik, Situationsbezogenheit und Relativität) in den Bereich der Philosophie als integres, normatives Wissen.

Indem Meier Strauss als Denker und Hobbes-Interpreten dem Bereich der Philosophie und Schmitt der Theologie zuordnete, implizierte er die Möglichkeit ihrer klaren Verortung hinsichtlich des theologisch-politischen Problems. Dagegen ging Bohlender von der Koexistenz, innerhalb ein und derselben Lehre, des philosophischen (oder des theologischen) und des politisch-rhetorischen Denktypus aus. Die Koexistenz von theoretischen und rhetorischen Elementen hielt er ferner für ein der politischen Theorie inhärentes Problem, das von Hobbes aufgeworfen worden sei, von ihm jedoch nicht zu lösen war und zugleich seine Besonderheit, seine Modernität ausmachte (1995, 192).Footnote 48

Es ist der Umgang mit der Hobbes’schen Rhetorisierung der politischen Theorie und dadurch mit dem grundsätzlichen Problem der Situierung der politischen Theorie in einem rhetorisch-politisch-polemischen Umfeld, an dem sich für Bohlender Hobbes-Interpretationen bei Schmitt und Strauss scheiden. Während Schmitt Hobbes mit „Über den Leviathan hinaus!“ antwortete (ebd., 228), bezeichnete Bohlender die Strategie Strauss’ als „Zurück hinter den Leviathan“. Dieser Gegensatz kann von zwei Standpunkten verschiedenen Gewichtes aus begriffen werden. Auf der Oberfläche kreist der Kontrast zwischen Schmitt und Strauss um die Frage, „ob eine Politische Philosophie jenseits von Hobbes und dem von ihm begründeten Liberalismus möglich sei (Strauss) oder ob man nur mit Hobbes und seiner Rhetorik des Politischen über den Liberalismus hinaus gelangt (Schmitt)“ (ebd., 200). Die Frage: Liberalismus mit oder ohne Hobbes? – verweist allerdings auf eine tiefere Ebene der Unstimmigkeit zwischen beiden Denkern, und die Liberalismuskritiken von Schmitt und Strauss erweisen sich nur als ein Spezialfall, ein Ergebnis der Einwirkung eines „historisch-konkrete[n] Weltbezuges“ (ebd., 203). Der Gegensatz zwischen Schmitt und Strauss ging tiefer als eine unmittelbare Antwort auf die Frage, ob das Hobbes’sche Denken ein im politischen Sinne liberales war.

So reichte die Gemeinsamkeit beider Denker in Bezug auf Hobbes nicht weit, weil sie sich zwar dort einig waren, „wo es um die Diagnose der kulturellen, sozialen und politischen Lage einer liberalen Gesellschaft g[ing]“ (ebd., 197), jedoch fielen ihre „Therapievorschläge“ weit auseinander. Daran erkennt man, dass auch die Krisendiagnose bei beiden nicht denselben Inhalt haben konnte. In der Tat unterschied Bohlender zwischen dem „Kampf gegen den Liberalismus als zeitdiagnostisches Problem“ (die Begründung des Primats des souveränen Staates vor den subjektiven Autonomiebestrebungen) und „Kampf gegen den Liberalismus als philosophisches Problem“ (Kritik der Moderne als eine der zurückgehenden Bindekraft der Moral und wegweisender Autoritäten; ebd., 202). Seiner Ansicht nach würden sich in Schmitts politiktheoretischem Unterfangen Züge beider Problemstellungen finden lassen: Da er die erste Ebene für eine die Hobbes-Deutung von Schmitt dominierende hielt und als Vertreter der zweiten Strauss anerkannte, benannte er den Zwiespalt Schmitts als einen zwischen dem „Hobbisten“ Schmitt, der das Polemische, das Rhetorische favorisierte, und dem „Straussianer“ Schmitt, der an der Idee des integren, philosophischen Wissens festhielt (ebd., 202).

Während Strauss mit „Zurück hinter den Leviathan“ die Rhetorisierung der Philosophie ablehnte (er versuchte, „letztendlich vergeblich“, wie Bohlender bemerkte, sie „stillzulegen“ – ebd., 229 –, und unternahm eine, „antikisierende‘ Entmischung“ der Kategorien Theorie und Rhetorik, ebd., 217), brachte Schmitt sie „zur Geltung“ und radikalisierte (ebd., 287 f., vgl. auch Bluhm 2002, 93). Polemisches bzw. polemisch-rhetorisches Wissen stellte für Strauss das ausschlaggebende Merkmal liberalen Denkens dar (Bohlender 1995, 201). Aus diesem Grund blieb Schmitt in seinen Augen in dem liberalen Denksystem Hobbes’ auch dann gefangen, wenn er wesentliche Elemente Hobbes’scher Lehre wegen ihres liberalen Charakters ablehnte: „Der Abschied von Leviathan ist keiner von seiner Rhetorik“ (ebd., 228). Er habe sich auf die Ebene des normativen Wissens nicht eingelassen, die ihn mit der Frage konfrontiert hätte, wofür (und nicht wogegen) das Politische behauptet werden solle, und sei dadurch auf der Ebene polemischen Wissens geblieben.

In seinen „Anmerkungen zu Carl Schmitt, Der Begriff des Politischen“ nötigte Strauss Schmitt also nicht nur zu einer offenen Bejahung des Politischen, die er bei Schmitt in verhüllter Form erkannte (2008, 229), sondern auch zur Einsicht, dass sich eine Bejahung des Politischen als solches (eine politische Bejahung des Politischen) der liberalen „Kulturphilosophie“ genauso wenig zu entziehen vermöge wie die Verneinung des Politischen als solches (eine politische Verneinung des Politischen).Footnote 49 Hobbes, so Strauss, sei ein falscher Verbündeter im Kampf gegen die Krise der liberalen Moderne als Krise der Philosophie. Nur ging es Schmitt, anders als Strauss, nicht um die Krise der Philosophie, weshalb Hobbes als Gewährsmann für ihn nicht auszuschließen war.

Dagegen erreichte die Instrumentalisierung Hobbes’ im Kampf gegen die Liberalismus-Krise für Strauss da ihre Grenze, wo über Liberalismus nur politisch und nicht auch philosophisch nachgedacht wurde. Die Beantwortung der Frage, worum-willen das Politische bejaht werden müsse, bedeute, der Argumentation Bohlenders folgend, die Entrhetorisierung der Frage nach dem Politischen, das Zurückholen dieser Frage aus dem Blickpunkt, in dem sie auf der konkreten politischen Lage fixiert blieb: denn die Situationsbezogenheit bedeutet, dass das Wissen an Adressatinnen gebunden und daher polemisch ist.Footnote 50

In einer kritischen Distanz (wenn auch nicht Gegensatz) zu Meiers Deutungsvorschlag, Strauss als einen politischen Philosophen zu lesen, dessen Absichten und Überzeugungen von ihrem Bezug zum theologisch-politischen Problem her zu verstehen seien, steht die These Bluhms, Strauss’ Œuvre sei politisches Philosophieren, das im Kern unpolitisch sei (2002, 22 f.). Sie steht im Vordergrund von Bluhms Abgrenzung der Kategorien politische Philosophie, politisches Philosophieren, politische Theorie, political science und politische Theologie (ebd., 12, 73 f., 304 f.). Zufällig oder nicht korrespondiert Bluhms Sicht auf Strauss damit, wie er dessen Deutung von Hobbes las: Bei diesem erkannte Strauss „eine paradoxe Theorieform“, die „starke politische Motive hat, aber in der Substanz jedenfalls beim ,reifen‘ Hobbes szientifisch und unpolitisch ist“ (ebd., 106, vgl. mit der Fußnote Nr. 74).

Dieser Aussage Bluhms kann man aus zwei Gründen schwerlich zustimmen. Zum ersten, weil „starke politische Motive“ bei Hobbes, wie Strauss sie verstand, nicht in dem Sinne politisch waren, dass sie parteiisch waren. Vielmehr beruhten sie auf einer moralischen Gesinnung, die Strauss als Grundlage von Hobbes’ politischer Philosophie herausgearbeitet hat (siehe bspw., aber nicht ausschließlich 2008 b, 27 f., 36, 41). Es wäre aus diesem Grund präziser, von Hobbes’ moralisch-politischer Veranlagung und nicht von „starke[n] politische[n] Motive[n]“ zu sprechen.

Zum zweiten (und dies ist ein gravierenderes Argument), behauptete Strauss in aller Klarheit, dass die Substanz Hobbes’scher Lehre in frühen wie späten Schriften gleich gewesen sei (ebd., 132): Zwar bringe das, „was er in seiner Jugend, d. h. bis zu seinem 41. Lebensjahr, also vor jeder Beeinflussung durch Mathematik und Naturwissenschaft geschrieben hat, seine ursprünglichsten Gedanken besser zum Ausdruck […] als die Werke seiner Reifezeit“ (ebd., 42, siehe auch 192), aber „am wesentlichen Inhalt der Grundlegung und Zielsetzung der Politik“ habe sich bis zu den spätesten Schriften nichts geändert (ebd., 132). Dass Strauss Hobbes’ wissenschaftlichen Anspruch herausgestellt habe, ist zwar zutreffend (siehe bspw. ebd., 158), aber als wissenschaftlich im Sinne von „unpolitisch“ hätte Strauss Hobbes’ Lehre, weder in ihrer frühen noch reifen Form, nicht bezeichnen können, ohne gleichzeitig die gesamte eigene Hobbes-Deutung infrage zu stellen. Denn politische Wissenschaft war für Hobbes eine, „die aus der Moral einerseits, der Politik im engeren Sinne andererseits besteht“ (ebd., 19).

Was Hobbes’ Wahl der mechanistisch-materialistischen Darstellung seiner Lehre anbelangt, sah Bluhm es als seine Reaktion auf den Bürgerkrieg (im Sinne der Suche nach einer neutralen theoretischen Sprache) und empfand es daher als „verwunderlich“, dass für Strauss die Situation des Bürgerkrieges in seiner Hobbes-Deutung kaum eine Rolle spielte (2002, 107). Was die Bemühung um eine politisch neutrale Sprache angeht, darüber äußerte sich Strauss in seiner Interpretation in der Tat anders, als Bluhms eigene Hobbes-Deutung es nahelegt. Denn er hat sie nicht allein auf die Einwirkung des Bürgerkrieges zurückgeführt, sondern sah sie als Hobbes’ prinzipielles Ideal eines politischen Wissens, das a) praktisch umsetzbar wäre;Footnote 51 b) universell, d. h. auch von der jeweiligen Konfession unabhängig, einleuchten würde (Strauss 2008 b, 190). Die Rolle und das Problem der Religion in politischen Angelegenheiten ging im Strauss’schen Verständnis von der Hobbes’schen Lehre weit über die Kriegsvermeidung hinaus − die Kritik der Religion war für Strauss der konstituierende Teil von Hobbes’ politischer Philosophie (2008 d, 270 f.) und keineswegs nur ihr Instrument, wie Bluhm meinte (2002, 107 f.).

Was die Haltung zur Religion von Strauss selbst als Wissenschaftler anbelangte, bestritt Bluhm – und darin besteht seine Übereinstimmung mit der Interpretation Meiers – die Auffassung von Strauss’scher „Rehabilitierung der Bedeutung der Offenbarungsreligion“ als einer politischen Theologie. Eine solche Deutung verfehle, dass Strauss’ primäres Interesse in der Gewinnung der Daseinsberechtigung für politische Philosophie lag (ebd., 87), die aber ohne die Auseinandersetzung mit politischer Theologie nicht erfolgen könne.

Strauss’ Wendung von der Erwägung der politisch-theologischen Gemengelage seiner Zeit zum politischen Philosophieren mit Bezug auf antike Vorbilder (ebd., 334) deutete Bluhm als Distanzierung von Schmitts und Heideggers existenzialistischem Denken, mit dem Strauss’ Position dennoch verknüpft blieb. Dem Denken des Extrems und des Ausnahmefalls habe Strauss das des Normalfalls entgegengestellt (ebd., 75 f.); „Strauss’ Lösung […] ist nicht der zugespitzte Konflikt, sondern der Normalfall einer politischen Ordnung“ (ebd., 95; vgl. mit der Interpretation Söllners, S. 61 und mit Fußnote Nr. 65.). Das, was in der Literatur als Strauss’ Rückgang auf die klassische politische Philosophie bezeichnet wird, war, so Bluhm, die Wende zum normativen Ordnungsdenken (ebd., 75 f.).

Während Strauss seine Radikalität auf das theoretische Denken beschränkte, überführte Schmitt sie „bruchlos“ in die Politik (ebd., 99). Während Schmitt Polemik und Zuspitzung des Konfliktes für unvermeidlich erklärte, störte sich Strauss aus der Sicht eines Philosophen an der Antwort auf die Frage nach dem Politischen, die an eine polemischen Konstellation gebunden wäre. Auch lehnte er Schmitts Idee der theologisch-politischen Durchdringung ab (ebd., 109).Footnote 52 Der philosophische Ansatz Strauss’ schließe aus, dass man gleichzeitig Philosoph und Theologe sein könne (ebd., 88).

Nichtsdestoweniger zeichneten sich für Bluhm die Positionen Strauss’ und Schmitts durch gewisse Gemeinsamkeiten aus, und zwar die einer konservativen Veranlagung − die Annahme der Herrschaftsbedürftigkeit des Menschen (ebd., 98) und die Ablehnung des „Machbarkeitswahns“ (ebd., 26), d. h. der Idee von der weitestgehenden Gestaltbarkeit der Natur und Gesellschaft, die zur Krise der Moderne als Krise des Vertrauens in der leitenden Fortschrittsidee führte (ebd., 323).

Wenn Bluhm das Denken Strauss’ und Schmitts gegenüberstellte, verlieh er denjenigen Charakteristika des Ersteren Nachdruck, die dessen Denken als ein philosophisches auszeichnen. Andererseits ist nicht unbedeutend, dass Bluhm es als Philosophieren und nicht Philosophie bezeichnete. Strauss habe keine systematische philosophische Theorie der Politik entwickelt, auch keine Ethik − auch wenn er sowohl politische Ansichten hatte (z. B. negative Einstellung zum Universalismus, siehe ebd., 324) als auch sich um die „Resubstantialisierung des Verständnisses des Politischen“ (ebd., 96) durch „Ordnungsdenken“ bemühte. Für Bluhm ist das Strauss’sche Denken keine Philosophie im strengen Sinn gewesen, als deren wesentliche Elemente er „Zeitdiagnostik“, „Therapievorschläge“ und das Hinterfragen normativer Grundlagen identifizierte (ebd., 12). Stattdessen unterstrich Bluhm dessen fragenden Ansatz – Strauss „setzt[e] eher auf das Fragen als auf eine systematische Theorie“ (ebd., 12). Sein Ziel war, die politikphilosophischen Probleme in einem Horizont jenseits des Liberalismus zu exponieren (ebd., 97) und dadurch der Verdrängung und dem Vergessen dieser Fragen entgegenzuwirken, und nicht unbedingt, eigene Antworten auf diese Fragen vorzuschlagen.Footnote 53

So richtig das Herausstellen des Strauss’schen Ansatzes, die philosophischen Fragen starkzumachen, auch ist, kann gefragt werden, ob es in der Tat sinnvoll ist, politisches Philosophieren als einen eigenen Begriff zu etablieren, wie Bluhm es tat, oder ob es sich nicht doch unter politischer Philosophie subsumieren ließe.Footnote 54 Während Bluhms Grenzziehung zwischen Philosophie, Theorie, Wissenschaft und Theologie einleuchtet, mangelt es seiner Abgrenzung von Philosophie und Philosophieren, wie mir scheint, an Schärfe. Stellt der systematische Charakter, den Bluhm in Strauss’ ideengeschichtlichen Erwägungen vermisste (ebd., 22 f.), einen solch gewichtigen Unterschied dar, dass er eine definitorische Abgrenzung erfordert? Zumal sich Strauss’ politisches Philosophieren, so Bluhm, an Sokrates und Platon, die gemeinhin als Väter politischer Philosophie gelten, orientierte (ebd., 12). Außerdem ist zu fragen, inwiefern das, was Bluhm als Strauss’ Suche nach der Ordnung der Ordnung bezeichnete − die Suche nach den „Bedingungen, Möglichkeiten und Voraussetzungen nicht einer konkreten politischen Ordnung, sondern einer guten politischen Ordnung schlechthin“ (ebd., 24) − , nicht gerade seiner eigenen Definition politischer Philosophie nahekommt.

Andererseits hat Bluhm Strauss einfach beim Wort genommen, wenn dieser sich nicht als einen politischen Philosophen bezeichnete, sondern als einen „Gelehrten“, „einfachen Denker“, „der politische Philosophie wieder ermöglichen wollte“ (ebd., 22). Die Rede von der Wiederermöglichung der Philosophie ist keineswegs nur (wenn überhaupt) Ausdruck einer Bescheidenheit − für Strauss hatte sie einen theoretisch-kritischen Sinn, der in seiner „Diagnose“ und Kritik der modernen Krise und den Überlegungen über die Möglichkeit der Rückkehr zur klassischen politischen Philosophie liegt. Es ist nur folgerichtig, sich selbst nicht als einen Philosophen zu bezeichnen, wenn man davon überzeugt ist, dass sich Philosophie in so einer tiefen Krise befinde, dass es erst eines ideengeschichtlichen Aufwandes bedürfe, bis man sich wieder in der Höhle finde, von der aus das Aufsteigen von den Meinungen zum wahren Wissen möglich wäre.

Der Nachdruck auf philosophisches Fragen und nicht gerade systematisches Antworten verbindet Bluhms Sicht auf Strauss mit der von Tanguay, dem Autor von Strauss’ intellektueller Biographie (2007). Was für Bluhm „Philosophieren“ ist, ist für den Letzteren „zetetische Philosophie“. Diese führe auf die sokratischen Dialoge Platons zurück und bezeichne eine philosophische Grundhaltung, deren Essenz das Fragen, das Hinterfragen mit dem Ziel der Kenntnis der besten Lebensweise sei (ebd., 7).

Dass Philosophie in ihrer Suche nach dieser Antwort mit derjenigen seitens der Theologie konfrontiert werde, werde in zetetischer Philosophie in Form einer Art Meditation zwischen der theologischen und philosophischen Alternative gewürdigt (ebd., 200). Um dem Rechnung zu tragen, dass es der Philosophie bisher nicht gelungen sei, die Unmöglichkeit der Offenbarung zu beweisen, werde in zetetischer Philosophie deren Möglichkeit nicht ausgeschlossen (ebd., 210 f.). Paradoxerweise entziehe die Unauflösbarkeit des theologisch-politischen Dilemmas der zetetischen Philosophie jedoch nicht die Daseinsberechtigung, sondern begründe diese vielmehr.

Mit dieser fragenden Offenheit gegenüber dem theologisch-politischen Problem hängt zusammen, dass Tanguay Strauss’ Wende zur zetetischen Philosophie als Farabian turn bezeichnet hat. Denn während die jüdischen und arabischen Denker des Mittelalters die Augen vor der theologisch-politischen Herausforderung nicht verschlossen haben, sei die moderne „Kritik“ der Religion eher „Spott und Propaganda“ gewesen (ebd., 195 f.). Durch sein Studium Maimonides’ und al-Fārābīs sei Strauss um ein vormodernes Verständnis der Offenbarung bemüht gewesen, weil die Moderne über ein solches nicht verfügte (ebd., 196 f.). Was es dabei herauszufinden gab, war, ob die mittelalterliche Lehre von Propheten ein Lokus für die Vermittlung zwischen Philosophie und dem Offenbarungsglauben, für ihre Koexistenz zu sein vermochte und was dies für die moderne Religionskritik zu bedeuten hatte (ebd., 198).

Mit seiner These von der Strauss’schen Lehre als zetetischer Philosophie bot Tanguay seine Interpretation der Haltung Strauss’ hinsichtlich des theologisch-politischen Problems, das Tanguay, wie Meier, für das Thema hielt, auf das alle anderen erheblichen Fragestellungen und Stränge im Denken Strauss’ zurückzuführen seien (ebd., 5) – inklusive seiner Spinoza- und Hobbes-Studien (ebd., 99). Denn der bei Hobbes vollzogene Wandel des Menschenbildes erfolgte nicht ohne die Einwirkung durch das theologisch-politische Problem. Die Analyse, die Tanguay zum Thema Hobbes-Deutung bei Strauss angeboten hat, stellt eine Entfaltung der These dar, dass das Interesse Strauss’ an Hobbes vor allem an dessen philosophischer Absicht lag, eine zivile Ordnung ohne Anleihen bei einer Transzendenzvorstellung zu begründen, d. h. eine moderne Lösung für das theologisch-politische Problem zu finden (ebd., 103; dazu vgl. S. 74, 246, 293 dieser Arbeit).

Dabei hob Tanguay einen radikalen Gegensatz zwischen dem Menschenbild beider Denker hervor: Die egalitaristische Auffassung des Individuums beim Ersteren, die jeder ihr Naturrecht auf der Grundlage davon zumesse, dass sie ein bedürfnisgesteuertes Wesen sei (ebd., 106), und die andererseits ihre Verbindung zur christlichen Sicht auf den Menschen nicht abzuschütteln vermöge (ebd., 206), stand dem Strauss’schen Ideal individueller Autonomie diametral entgegen. Diese sei einzig als diejenige einer Philosophin und nicht einer Jederfrau eine wahre (ebd., 214), so wie sich die „wahren“ Überzeugungen − das philosophische Wissen − von den „bloß“ notwendigen − der Kenntnis der Gesetze − unterscheiden würden (ebd., 199) und wie zwischen authentischer Tugend für die Minderheit, die auf Wissen basiere, und der moralischen Tugend für die Mehrheit, die „bloß“ konventioneller Natur sei, zu unterscheiden sei (ebd., 213, siehe auch S. 191 dieser Arbeit). Demzufolge sei das Leben der Philosophin für Strauss als einziges wahrhaft naturgemäß erschienen (ebd., 204).Footnote 55

1.5 Die Zentralität des theologisch-politischen Problems für die Bestimmung des Politischen

Die Vielfalt der in diesem Kapitel gestreiften Standpunkte und Fragestellungen vor Augen haltend, von denen aus die Hobbes-Deutungen von Schmitt und Strauss analysiert werden können, halte ich es für sinnvoll, die Zentralität des theologisch-politischen Problems auf diesem Themenfeld deutlich werden zu lassen. Auf diesem Feld soll heißen: in Schmitts und Strauss’ Auseinandersetzung mit Hobbes’ politischer Philosophie. Diese Auseinandersetzung kann selbst als ein theologisch-philosophisches Unterfangen verstanden werden. Ich deute es als Versuch, die Frage nach dem Politischen zu beantworten oder zumindest den Weg zu ihrer Beantwortung zu ebnen. Unter dieser Frage lassen sich generell alle Fragen subsumieren, die die Grundlage einer politischen Ordnung oder politischer Ordnung per se und/oder das Verhältnis zwischen dem Menschen und einer politischen Ordnung oder politischer Ordnung per se zum Gegenstand haben. Um die Antworten auf diese Fragen einordnen − auch in Bezug zueinander − zu können, schlage ich vor, man stelle sich vor, dass die Frage nach dem Politischen immer und von Grund auf die Frage nach der Verortung des Politischen ist. Mit der Verortung der Frage werden die Annahmen darüber gemeint, mit welchem Bereich der Wirklichkeit das Politische primär in Verbindung stehe und von welchem Bereich der Erkenntnis sich die Bestimmung des Politischen daher ableiten lasse. Unabhängig davon, ob der eigene Sichtpunkt bewusst expliziert wird oder vielmehr unausgesprochen bleibt, setzt jede Überlegung zum Politischen eine Vorstellung voraus, welche Erfahrungsebene dafür wenn nicht unbedingt hinreichend, dann zumindest von primärer und notwendiger Bedeutung sei.

Es scheint mir, dass sich viele Fragestellungen, mit denen man sich bei der Auseinandersetzung mit konkreten Ansätzen und Positionen konfrontiert sieht, leichter klären ließen und sich vielleicht sogar einige Missverständnisse auflösen würden, wenn man diese Ansätze als Erstes innerhalb einer dreigliedrigen Struktur verorten würde, die der Abbildung 1.1 zu entnehmen ist.

Abb. 1.1
figure 1

Die Frage nach dem Politischen. (Den Begriff „Kultur“ wähle ich an dieser Stelle mit Blick auf Strauss’ Verständnis davon (siehe 2008, 220–225), das nahelegt, im Rahmen des theologisch-politischen Problems von der konkreten Praxis als Kultur zu sprechen.)

Die Verortung der Frage nach dem Politischen geht mit einer Positionierung hinsichtlich der Frage nach dem Wesen des Menschen und seinem Verhältnis zum Politischen einher. Wird die Idee einer menschlichen Natur an sich abgelehnt (wie im Fall der transhumanistischen, historisch-kulturalistischen oder ideologiekritischen Essenzialismus-Kritik), verbindet man die Frage nach dem Politischen mit der Betrachtung einer konkreten Wirklichkeit/des sich in der faktischen Politik Vollziehenden − für den Fall, natürlich, dass man überhaupt noch Sinn darin sieht, vom Politischen sui generis zu sprechen und eine inhaltliche Bestimmung zu geben. Denn mit der Verwerfung der Kategorie menschlicher Natur werden zugleich althergebrachte Möglichkeiten ausgeschlossen, das Politische von dem Vorpolitischen, Überpolitischen und Unpolitischen abzugrenzen.

Aus diesem Grund ist die Kluft zwischen der Verortung des Politischen in der Kultur einerseits und im Transzendenten andererseits von einer anderen Art als zwischen der Verortung des Politischen im Transzendenten einerseits und im Natürlichen andererseits: Die kulturalistisch-historische Perspektive lehnt jede Debatte um das Essenzielle am Menschen von vornherein ab, während sich die theologische und die philosophische Perspektive zumindest in einen Streit (den Streit zwischen Athen und Jerusalem, wenn man es nach Strauss benennen möchte) einlassen können. Zwar ist das Menschenbild in den Religionslehren grundsätzlich anders als in den philosophischen. Jedoch ist der (christlichen) Religion die Idee von etwas dem Menschen Wesentlichem im Sinne bestimmter essenzieller, gegebener und unveräußerlicher Anlagen nicht fremd.

Dieser Unterschied in dem Unterschied stellt das grundlegende Motiv von Strauss’scher Kritik der Moderne in ihren gegenläufigen, aber in beiden Fällen gegen die philosophische und die theologische Tradition gerichteten Tendenzen des Positivismus und Historismus dar. Die Modernen hätten den Streit um das Politische mit der Philosophie und mit Theologie − das theologisch-politische Problem − schlechthin verdrängt: Sie „wähnen sich der Antike überlegen, aber ihr faktischer Sieg über die Alten bedeutet nicht, dass sie überlegen sind, sondern nur, dass sie siegreich waren“ (Bluhm 2002, 80). Eine moderne Antwort auf die Frage nach dem Politischen wurzelt in der Annahme von dessen kultureller und historischer Relativität: Die Frage nach dem Politischen könne nur aus einem bestimmten politischen und diskursiven Umfeld heraus beantwortet werden und behalte ihre Gültigkeit nur für einen begrenzten Zeitraum (zu Strauss’ Historismus-Kritik siehe S. 172). Wenn die Verwerfung der Idee menschlicher Natur die Verortung des Politischen im Bereich der Kultur als des durch die menschliche Tat (und mittels Zucht der Vernunft und des Verhaltens) Zustandekommenden erfordert, ist zu fragen, ob sich der Begriff des Politischen dann überhaupt als (den anderen Gebieten des Zusammenlebens gegenüber) unersetzbar aufrechterhalten lässt.

Aus diesem Grund stellt die mittige Tabellenspalte, die ihre volle Kraft erst in der Moderne entfaltete – auch wenn sie teilweise bereits in der konventionalistisch-sophistischen Tradition wurzele (siehe Strauss 1989 a, 170 f., vgl. mit 1977, 111–113, siehe auch 120) –, für die beiden links und rechts liegenden Positionen eine Herausforderung neuer Qualität dar, weil sie deren Streit unter sich den Sinn entzieht. Zwar kann man argumentieren, dass die mittlere Position keine eigenständige darstelle: Sie sei letzten Endes grundlos weil kontingenzorientiert, sich selbst widersprechend weil historistisch und zeitweilig weil modern. Dennoch zeigen gerade die Untersuchungen Strauss’, dass die Rhetorisierung der Philosophie kein ausschließlich modernes Phänomen ist: Im Gegenteil habe die Philosophie ihre Wende zur politischen Philosophie der Herausforderung durch das politische Umfeld zu verdanken, das von dem Offenbarungsglauben noch nichts wusste (siehe Strauss 1943, 70, 81, 94 f.; 1977, 157 f.; 2013 c, 24).

Außerdem, und das ist der ausschlaggebende Grund dafür, kontingentes Wissen und politische Rhetorik als einen eigenen Modus der Beantwortung der Frage nach dem Politischen zu unterscheiden, werden philosophische und theologische Antworten mit Positionen konfrontiert, die weder philosophisch-theoretisch noch theologisch untermauert sind. Die Vielfalt der Antworten auf die Frage nach dem Politischen entsteht dadurch, dass sich die jeweiligen Modi vermengen. Sie wird allerdings auch dadurch gefördert, dass diese sich voneinander abzugrenzen versuchen. Auf jeden Fall führt es nicht besonders weit, bloß festzustellen, dass sowohl politische Philosophie als auch politische Theologie rhetorische Elemente beinhalten und sich auf kontingentes Wissen stützen würden. Nur weil dies unausweichlich ist, bedeutet es nicht, dass es für die Identität, die Selbstwahrnehmung der jeweiligen Ansätze ausschlaggebend ist. Genauso macht es nicht die Essenz der Rhetorik oder der Beschreibung einer jeweiligen Lage aus, dass man dabei Anleihen bei den philosophischen oder theologischen Argumenten macht – ob bewusst oder unbewusst.

Um Aussagen darüber treffen zu können, wie über das Politische gedacht wurde, oder zu verstehen, worin der wesentliche Unterschied zwischen den Denkweisen liegt oder worin sie sich überschneiden, scheint mir das dreigliedrige Schema von Nutzen zu sein. Ein solcher Ausgangspunkt schließt nicht die sich gleich anschließende Feststellung aus, dass sich die jeweiligen Ansätze nie in purer Form finden. Das Schema ist also ein heuristisches Mittel und keine Komplexitätsleugnung.

Wenn ich gesagt habe, dass das theologisch-politische Problem für Schmitts und Strauss’ Auseinandersetzung mit Hobbes zentral war und dass diese Auseinandersetzung teilweise ihr eigenes theologisch-philosophisches Unterfangen gewesen ist, dann meinte ich damit, dass Schmitt und Strauss die Antwort auf die Frage nach dem Politischen unter anderem im Hobbes-Studium suchten. Was für eine Antwort hat Hobbes selbst gegeben und welche Antwort war seiner Gesinnung wesentlich? Die Verortung von Hobbes links, mittig oder rechts in der Tabelle war für die Interpretation seiner Lehre entscheidend, und sie ergibt auch entscheidende Interpretationsunterschiede. Daran, mit welchen Modi des Denkens über das Politische Schmitt und Strauss Hobbes in Beziehung gesetzt haben und wie sie es taten, offenbart sich ihr eigenes Verhältnis zum Politischen. Man kann Hobbes daher als eine Art Vermittler bezeichnen, von dem unterschiedliche Bilder gezeichnet wurden, um das Potenzial der politischen Philosophie, politischer Theologie und politischer Rhetorik zu erkunden. Welche Hobbes-Bilder dabei entstanden sind, schildere ich in den nächsten zwei Kapiteln sowie im Fazit dieser Arbeit.