Schlüsselwörter

1 Einleitung

Versucht man, Schulleitungen für die Teilnahme an Forschungsvorhaben zur datengestützten Schulentwicklung zu gewinnen, hört man von diesen häufig, datengestützte Schulentwicklung „mache man ja eigentlich nicht“. Die Anekdote verdeutlicht eine begriffliche Engführung, die sich in der Literatur zu datengestützter Schulentwicklung häufig findet: Der Begriff wird – nicht nur im deutschen Sprachraum – vielfach auf die Nutzung von extern generierten Daten über den Leistungsstand der Schüler*innen zum Zweck der Optimierung unterrichtlicher Prozesse begrenzt (vgl. Mandinach & Schildkamp, 2021).

Selten wird bisher die Nutzung mehrdimensionaler Datenbestände als Element iterativer Entwicklungsprozesse einer komplexen und vielschichtigen professionellen Organisation Schule betrachtet. Demgegenüber verweisen Befunde aus der internationalen Schulentwicklungsforschung darauf, dass erfolgreiche Schulen (im Sinne der kognitiv-fachlichen Leistungen der Schüler*innen) sich in der Regel nicht nur an einem Datum orientieren, sondern mehrperspektivische Datenbestände nutzen, um in unterschiedlichen Phasen ihrer Arbeit das eigene Handeln systematisch zu unterfüttern (vgl. z. B. Mandinach & Schildkamp, 2021; Muijs et al., 2004; Rutledge et al., 2015). Muijs et al. (2004) bezeichnen diese Schulen als „data-rich“ (S. 158). Allerdings liegt bislang keine differenzierte Deskription unterschiedlicher Dimensionen zur Analyse einer solchen „Data Richness“ vor.

Der Beitrag hat vor diesem Hintergrund das Ziel, eine theoretische Ausdifferenzierung unterschiedlicher Dimensionen von Data Richness vorzunehmen und anhand von Interviews mit Schulleiter*innen empirisch auszuschärfen. Das Ziel besteht in der Entwicklung eines Analyserasters, mit dessen Hilfe Data Richness an Schulen systematisch beschrieben werden kann.

Es ist davon auszugehen, dass Data Richness vor allem in erfolgreichen Schulen empirisch beobachtet werden kann. Wir greifen deshalb auf Interviews mit Schulleiter*innen von Schulen zurück, die den Deutschen Schulpreis gewonnen haben bzw. für diesen nominiert waren. Insofern wird das Merkmal „erfolgreich“ mit Blick auf Schulen in unserem Beitrag vielfältiger definiert, als dies in der internationalen Schulentwicklungsforschung der Fall ist, da für die Vergabe des Schulpreises neben guten Fachleistungen der Schüler*innen auch Prozessmerkmale auf der unterrichtlichen und organisationalen Ebene der Schulen relevant sind (zur Anlage des Deutschen Schulpreises und seinen Qualitätsbereichen vgl. Abschn. 3).

2 Was bedeutet Data Richness in der Schulentwicklung?

Während der Begriff der Data Richness im Schulentwicklungsdiskurs bislang nur vereinzelt genutzt wird, um Merkmale datengestützter Schulentwicklung zu beschreiben, ist er im forschungsmethodologischen Kontext bereits fest etabliert. In der qualitativen Methodologie beschreibt der Begriff die Fokussierung auf die inhaltliche Validität von Datenbeständen. Datenbestände, die „rich“ sind, basieren demnach auf unterschiedlichen methodischen Zugängen, die eine vertiefende Beschreibung von Phänomenen und ihren Umgebungsfaktoren ermöglichen (vgl. im Überblick Abrams et al., 2015). Dabei wird bewusst in Kauf genommen, dass Informationen nicht nur aus verobjektivierten Datenquellen stammen, womit Data Richness auch einen Gegensatz zur „Data Objectivity“ bildet (vgl. ebd.). Data Richness meint insofern nicht die Anhäufung von großen Datenmengen, sondern die Zusammenstellung von Daten, die möglichst viel Aussagekraft und Relevanz für die jeweils fokussierte Fragestellung beinhalten. Der Begriff ist also nicht im Sinne eines quantitativen „Reichtums“ an Daten zu übersetzen, sondern bezieht sich auf die qualitative „Reichhaltigkeit“ der Daten.

Eine der wenigen direkten Bezugnahmen auf das Konzept der Data Richness in der Schulentwicklungsliteratur findet sich in einem Review zu erfolgreichen Schulen an sozialräumlich benachteiligten Standorten von Muijs et al. (2004). Den Autor*innen zufolge ist das Konzept wie folgt definiert:

“Being data-rich means that data can be turned into information used as a basis for school and classroom decision-making […]. Data-rich schools collect and centralise a wide variety of data, including exam results, standardised and teacher-made test results, questionnaires, and qualitative data, but this is of no use if it is not used to improve schooling” (Muijs et al., 2004, S. 158).

Die Definition greift ebenfalls die Perspektive auf, dass nicht die quantitative Menge der Daten entscheidend ist, sondern ihre qualitative Reichhaltigkeit. Diese Reichhaltigkeit ergibt sich der Definition zufolge erstens aus der Kombination unterschiedlicher Daten und zweitens aus deren konkreter, zielorientierter Nutzung im Schulentwicklungsprozess. Das Konzept umschreibt insofern eine Perspektive auf datengestützte Schulentwicklung, welche berücksichtigt, dass Schulentwicklung eine strukturierte, adaptive und von den involvierten Akteur*innen systematisch ausgewählte Fülle an mehr oder weniger verobjektivierten Informationen verschiedenster Art braucht. Damit wird der Tatsache Rechnung getragen, dass sowohl schulische Entwicklungsprozesse als auch die Rezeption und Nutzung von Daten komplexe, iterative und mehrdimensionale Prozesse sind (vgl. Mandinach & Schildkamp, 2021).

2.1 Mehrperspektivische Datenbestände

In ihrem Beitrag über Fehlvorstellungen im Kontext von „Data-based Decision-Making“ verweisen Mandinach und Schildkamp (2021) darauf, dass mit dem „Data-Begriff“ sowohl in der bildungswissenschaftlichen Literatur als auch im bildungspolitischen Kontext und nicht zuletzt in der Schulpraxis häufig eine Engführung auf Leistungsdaten von Schüler*innen verknüpft sei. Die Autorinnen plädieren demgegenüber für die Kombination von formellen Daten, womit verobjektivierte Leistungsdaten und andere quantitative Befunde gemeint sind, und informellen Daten bzw. „‚on-the-fly‘ data“ (S. 5), womit die Autorinnen Informationen aus der Beobachtung von und aus Gesprächen mit Schüler*innen beschreiben. Eine Triangulation beider Datentypen sei wichtig, um den betrachteten Fall in seiner Gänze und Komplexität erfassen zu können, dabei aber nicht Gefahr zu laufen, aus einer rein subjektiven Warte zu bewerten. Insofern spiegelt sich hier die Juxtaposition von „möglichst objektiven Daten“ und „möglichst reichhaltigen Daten“, die auch in der forschungsmethodologischen Konzipierung von Data Richness zum Tragen kommt.

Eine Ausdifferenzierung dessen, was Mandinach und Schildkamp (2021) im Sinne „formaler“ Daten beschreiben, schlägt Demski (2017) im Rekurs auf Demski et al. (2012) vor; letztere beziehen sich explizit auf „systematisch generierte, verobjektivierte und explizierte Informationen und Wissensbestände zur Wirksamkeit von Bildungsprozessen und ihren spezifischen Rahmenbedingungen“ (Demski et al., 2012, S. 132). Innerhalb dieses Schemas unterscheidet Demski (2017) zwischen „1) externen Informationsquellen, 2) vermittelten Evidenzen, wie sie in Zeitschriften bzw. Zeitungen vorliegen, und 3) internen Informationsquellen“ (S. 231).

Verschiedene Forschungsbefunde verweisen darauf, dass schulische Akteur*innen tatsächlich meist nicht nur eine Datenquelle nutzen, sondern unterschiedliche Datenquellen miteinander kombinieren, um hieraus Informationen für sich abzuleiten (vgl. Wurster & Gärtner, 2019).

Dabei schreiben schulische Akteur*innen den unterschiedlichen Datenquellen auch eine unterschiedliche Relevanz bzw. Nützlichkeit für die eigene Arbeit zu. So konnte beispielsweise Demski (2017) zeigen, dass interne Informationsquellen in Schulen insgesamt positiver eingeschätzt wurden als extern generierte Daten, wobei Schulleitungen extern generierten Daten gegenüber aufgeschlossener waren als Lehrkräfte ohne Leitungsfunktion (ebd.; vgl. hierzu auch Abschn. 2.3). Wurster et al. (2017) zeigen, dass Daten aus internen Evaluationen tendenziell eher Entwicklungsmaßnahmen auslösen. Erhebungen von Besa und Gesang (2020) zeigen auf, dass selbst dort, wo den Schulen eine Vielzahl unterschiedlicher externer Daten zur Verfügung gestellt werden, interne Datenquellen eine höhere Bedeutung für die Schulen haben als externe. Daneben zeigt sich, dass Ergebnisse externer Evaluation teilweise zur Nutzung weiterer interner Verfahren führen (Wurster et al., 2013). Dabei erweist sich die wahrgenommene Nützlichkeit von Daten in verschiedenen Studien als relevanter Prädiktor für deren tatsächliche Nutzung (z. B. Demski, 2017; Wurster et al., 2016), allerdings wird dabei meist nicht unterschieden, wofür – d. h. an welchem Punkt des Entwicklungsprozesses – die Datenquellen nützlich sind bzw. sein können. Insgesamt liegen bislang nur vereinzelte Befunde dazu vor, wann und wie Schulen intern generierte Datenquellen nutzen (vgl. Berkemeyer et al., 2016).

2.2 Funktionen von Daten in einem iterativen Entwicklungsprozess

Die Frage nach dem „wofür“ ist gleichwohl bedeutsam, wenn Schulentwicklung als zielorientierter Prozess verstanden wird, in dem Daten unterschiedliche Funktionen erfüllen können. Im Sinne einer Bestandsaufnahme (Buhren, 2017) oder Standortbestimmung (Müller, 2017) können Daten der Schule oder der Lehrkraft zunächst Bereiche aufzeigen, in denen Handlungsbedarf besteht; sie dienen somit der Klärung von Entwicklungsbedarfen und liefern Impulse für die Formulierung von Entwicklungszielen. Werden Daten als Mittel der Diagnose genutzt (z. B. Müller, 2017), so lässt sich hieraus auch ableiten, wie Schritte aussehen können, um Entwicklungsziele zu erreichen. Ihre Nutzung dient dann dazu, datenbasiert über sinnvolle Entwicklungsmaßnahmen zu entscheiden. Demgegenüber beschreibt die Nutzung von Daten im Sinne der Evaluation eine Überprüfung, inwiefern vorab festgelegte Entwicklungsziele erreicht wurden bzw. inwiefern die getroffenen Maßnahmen tatsächlich Wirksamkeit entfalten, und an welchen Stellen nachgesteuert werden muss (Buhren, 2017). Auch Mandinach und Schildkamp (2021) unterscheiden die Nutzung von Daten zur Bestandsaufnahme, zur Klärung von Maßnahmen und schließlich für die Bewertung der Wirksamkeit. Sie verweisen darauf, dass der Prozess iterativ sei und schulische Akteur*innen zwischen den verschiedenen Schritten wechseln, indem sie Maßnahmen erproben und evaluieren und dann entsprechend nachsteuern.

Diese unterschiedlichen Funktionen von DatenFootnote 1 als Veränderungsimpuls bzw. Mittel zur Zielbeschreibung, als Grundlage zur Entwicklung und Auswahl von Maßnahmen oder als Information über die Wirkungen und Nachtsteuerungsbedarfe der gewählten Zugänge werden in der Literatur allerdings bislang nur selten differenziert. In verschiedenen Studien zur datengestützten Schulentwicklung aus dem deutschsprachigen Raum wird jeweils nur eine dieser verschiedenen Phasen adressiert – meist die Phase der Bestandsaufnahme bzw. Zielbeschreibung auf Basis der Impulse (z. B. Bach et al., 2014; Wurster & Richter, 2016) oder Diagnostik (Kuper et al., 2016) auf der Basis externer Daten. Andere Studien explorieren Prozesse, die durch die Auseinandersetzung mit Daten angeschoben werden, ordnen diese aber keiner spezifischen Funktion im Entwicklungsprozess zu, sondern sortieren sie thematisch (z. B. Wurster et al., 2016, 2017). Eine Annäherung an die verschiedenen Funktionen, die Daten im Entwicklungsprozess haben können, findet sich bei Besa und Gesang (2020), die drei Funktionen der Nutzung von Daten – als „Reflexionsanlass“ (S. 121), zur Identifikation von Förderanlässen (ebd.) und zur Entwicklung von „Maßnahmen individueller Förderung“ (ebd.) – unterscheiden; die Autor*innen zeigen dabei, dass die untersuchten Schulen Daten vor allem als Reflexionsanlass erwähnen, aber kaum im Zusammenhang mit konkreten Maßnahmen.

2.3 Verschiedene Akteur*innen und ihre Handlungslogiken

Eine Prämisse von Data Richness, wie sie oben beschrieben wurde, ist die Annahme, dass schulische Akteur*innen in der Lage sind, bewusste Entscheidungen darüber zu treffen, welche Daten sie für welche Zwecke im Schulentwicklungsprozess benötigen und welche nicht, sowie darüber, wann und auf welche Weise sie die Daten nutzen können. Im Gegensatz zu Forschungsansätzen, in denen die Rolle schulischer Akteur*innen auf die der Rezipient*innen extern generierter Daten in eng umrissenen Entscheidungssituationen reduziert wird, impliziert Data Richness professionelles Handeln der datennutzenden Akteur*innen. Dies setzt nicht nur Kompetenzen in der Interpretation der Daten und der Ableitung von Konsequenzen („Data Literacy“, vgl. Gummer & Mandinach, 2015) voraus, sondern auch Akteur*innen, die eigenverantwortlich Entscheidungen auf organisationaler und individueller Ebene treffen können und dabei antinomische Ziele und Strukturen schulischen Handelns (Helsper, 2004) aushandeln müssen. Versteht man schulische Datennutzung in diesem Sinne, so ist sie im Spiegel der Handlungslogiken der verschiedenen Akteur*innen in Schule zu deuten.

Bedeutsam sind in diesem Zusammenhang einerseits die jeweils vorherrschenden Deutungsmuster, die sich in individuellen Überzeugungen und Erfahrungen einzelner Lehrkräfte spiegeln (z. B. Datnow & Hubbard, 2016). Beispielsweise verweisen empirische Befunde darauf, dass Lehrkräfte systematisch „anekdotische Evidenz“ aus der eigenen Profession wissenschaftlichen Befunden vorziehen, weil sie ihnen vertrauenswürdiger erscheint (z. B. Landrum et al., 2002). Lehrkräften fällt es einerseits mitunter schwerer, die Vertrauenswürdigkeit von Daten zu beurteilen, die von Akteur*innen außerhalb der Profession in einer nicht direkt mit der eigenen Handlungslogik kompatiblen Form angeboten werden (vgl. Hendriks et al., 2021). Andererseits spielt hier auch der Habitus von Lehrkräften insofern eine bedeutsame Rolle, als bestimmte Relationen von Habitus und Theorien über Forschung eine Relevanzsetzung von Forschungsergebnissen ermöglichen, andere diese verhindern (Hinzke et al., 2020). Auch Lehrkräfte in Leitungsfunktionen ziehen häufig anekdotische und persönliche Begründungen bei der Entscheidung über Vorgehensweisen verobjektivierten Evidenzen aus der Wissenschaft vor (Hetfleisch et al., 2017). Überzeugungen und Handlungsstrategien von Leitungspersonen mit Blick auf die Nutzung von Daten haben wiederum Einfluss auf die Einstellungen von Lehrkräften gegenüber der Nutzung von z. B. wissenschaftlichen Befunden (z. B. Zlatkin-Troitschanskaia et al., 2016).

Darüber hinaus ist die wahrgenommene „Reichhaltigkeit“ der Daten je nach Akteursebene bzw. Handlungslogik der Akteur*innen unterschiedlich, da bestimmte Datenbestände beispielsweise für die Entwicklung kollektiver Ziele, Strukturen und Prozesse passendere Informationen enthalten als für individuelle Professionalisierungsprozesse. So zeigen Befunde von Demski (2017), dass Schulleiter*innen zwar, wie Lehrkräfte, intern generierte Datenquellen für relevanter halten als extern generierte Daten; letzteren weisen sie aber dennoch deutlich mehr Bedeutung zu als Lehrkräfte (vgl. auch Zlatkin-Troitschanskaia et al. 2016). Die Auseinandersetzung mit direkt unterrichtsbezogenen Daten (z. B. aus Vergleichsarbeiten) findet demgegenüber vielfach auf Ebenen unterhalb der Schulleitung statt (Kuper et al., 2016; Muslic, 2017; Wurster & Richter, 2016), was vermuten lässt, dass deren Relevanz für die Arbeit der Lehrkräfte von diesen als größer eingeschätzt wird als die Relevanz dieser Daten für die von der Schulleitung bearbeiteten schulweiten Fragestellungen.

3 Studiendesign

Die bisherigen Ausführungen haben aufgezeigt, dass Data Richness als ein mehrdimensionales Konstrukt zu verstehen ist. Theoretisch können wir davon ausgehen, dass in Schulen, die „data-rich“ sind, verschiedene Akteur*innen unterschiedliche Daten für diverse Zwecke verwenden, die an ihre jeweiligen Handlungslogiken und ihren spezifischen Handlungskontext adaptiert werden. Nachfolgend sollen Interviewdaten aus dem Forschungsprojekt „Mehrperspektivische Datenbestände in der Schulentwicklung. Eine Analyse der Rahmenbedingungen von Data Richness“ genutzt werden, um die folgende Forschungsfrage zu beantworten: Inwiefern lässt sich die Mehrdimensionalität von Data Richness empirisch präzisieren und systematisieren?

Das Projekt wird im Rahmen des Programms „Wie geht gute Schule? - Forschen für die Praxis“ durch die Deutsche Schulakademie und die Robert Bosch Stiftung gefördert und von den Autorinnen (zunächst an der Universität Duisburg-Essen und der Philipps-Universität Marburg, zuletzt an der Technischen Universität Dortmund) in Kooperation mit dem Institut für Bildungsmonitoring und Qualitätsentwicklung (IfBQ) in Hamburg durchgeführt.

Um besonders erfolgreiche Schulen adressieren zu können, fokussiert die Studie auf Schulen, welche für den Deutschen Schulpreis nominiert waren oder diesen gewonnen haben. Der Deutsche Schulpreis ist ein jährlich von der Robert Bosch Stiftung und der Heidehofstiftung in Kooperation mit der ARD und der ZEIT Verlagsgruppe ausgelobter Wettbewerb, der Schulen mit innovativen Konzepten auszeichnet.Footnote 2 Die Vergabe des Preises erfolgt durch eine Expert*innenjury. Die Schulen werden auf Grundlage der nachfolgenden sechs Qualitätsbereiche bewertet (vgl. hierzu vertiefend Beutel et al., 2016):

  • Unterrichtsqualität;

  • Leistung;

  • Umgang mit Vielfalt;

  • Verantwortung;

  • Schulklima, Schuleben und außerschulische Partner;

  • Schule als lernende Institution.

Es wurden alle allgemein- und berufsbildenden weiterführenden Schulen mit Sitz in Deutschland, die zwischen dem Beginn der Auslobung in 2006 und dem Beginn des Projektes in 2019 für den Deutschen Schulpreis nominiert waren oder diesen gewonnen haben (N = 95), zur Teilnahme eingeladen. Insgesamt haben sich 14 Schulen aus acht Bundesländern an der Studie beteiligt. Die Stichprobe enthält Schulen mit mehreren Bildungsgängen, Realschulen, Gymnasien und berufliche Schulen.

Um die Praxis der datengestützten Schulentwicklung zu erheben, war zunächst eine quantitative Befragung der Lehrkräfte und Schulleitungen geplant, die jedoch aufgrund der COVID-19-Pandemie eine sehr geringe Rücklaufquote aufwies, weswegen Ende des Jahres 2020 zusätzlich problemzentrierte Interviews (Witzel, 2000) mit den jeweiligen Schulleiter*innen durchgeführt wurden. Die nachfolgenden Angaben und Befunde beziehen sich ausschließlich auf diese Erhebung. Die Interviews wurden pandemiebedingt telefonisch oder mithilfe von Videokonferenzsystemen geführt, audiografiert und anschließend transkribiert.

Grundlage aller 14 Interviews war ein Leitfaden, welcher drei Hauptfragen sowie Sondierungsfragen 1) zur Praxis der Schulentwicklung an der jeweiligen Schule, 2) zur Bedeutung und Nutzung unterschiedlicher Datenquellen und 3) zur Wahrnehmung der eigenen Rolle der Schulleiter*innen in diesem Prozess enthielt. Die Fragen waren bewusst offen formuliert, sodass die Schulleiter*innen diejenigen Merkmale und Praxen der (datengestützten) Schulentwicklung thematisieren konnten, die aus ihrer Sicht relevant sind.

Die Auswertung der Interviews erfolgte mit Methoden der qualitativen Inhaltsanalyse in Anlehnung an Mayring (2016). Dabei wurde eine deduktiv-induktive Kategorienbildung gewählt, der die theoretischen Überlegungen in Abschn. 2 zugrunde lagen.

Zunächst wurden alle Interviewpassagen codiert, in denen die Schulleiter*innen die Nutzung von Daten an der Schule beschrieben. Diese wurden in Anlehnung an die Systematisierung von Demski (2017) zunächst in die drei Kategorien interne Datenquellen (Daten, die in der Schule generiert werden, z. B. kollegiale Hospitation oder Schüler*innenfeedback), externe Datenquellen (Daten, die durch die Bildungsverwaltung erstellt werden, z. B. Unterrichtsbesuche durch die Schulinspektion, Vergleichsarbeiten) und Forschungsbefunde (wissenschaftliche Erkenntnisse, die z. B. in Fachzeitschriften veröffentlicht werden, Forschung an den Schulen) unterteilt und hier jeweils in Subcodes codiert, welche unterschiedliche Datenquellen innerhalb der drei Kategorien darstellten (z. B. interne Datenquelle – quantitative Befragung).

In einem zweiten Schritt wurden die so codierten Textstellen auf Informationen zur Phase der Schulentwicklung geprüft; waren diese vorhanden, wurden die Textstellen in Anlehnung an die in Abschn. 2.2 dargestellten Funktionen von Daten als Impuls und Identifikation von Entwicklungszielen, Auswahl und Entwicklung von Maßnahmen oder Überprüfung von Wirkungen codiert. In der Arbeit mit dem Interviewmaterial wurden diese Kategorien zudem weiter ausdifferenziert.

In einem letzten Schritt wurde schließlich geprüft, ob die in Schritt 1 codierten Textstellen Angaben zu den in die Datennutzung involvierten Akteur*innen enthielten, um so auch die Dimension der in Abschn. 2.3 dargestellten Akteursebene mit ihren unterschiedlichen Handlungslogiken und den daran orientierten Datennutzungsverhalten einzubeziehen. Dabei wurde codiert, ob die Textstellen auf den Akteur Schulleitung, auf Teams unterhalb der Schulleitungsebene (z. B. Fach- oder Jahrgangsteams) oder auf individuelle Lehrkräfte verwiesen.

4 Ergebnisse

Um eine Identifikation der teilnehmenden Schulen zu verhindern, werden in der nachfolgenden Darstellung der Ergebnisse bundeslandspezifische Bezeichnungen für bestimmte Instrumente durchgehend durch generische Bezeichnungen (z. B. Schulinspektion, Vergleichsarbeiten) und Projektbezeichnungen durch Platzhalter ersetzt.

4.1 Mehrperspektivische Datenquellen

Betrachtet man zunächst die Nutzung intern generierter Datenquellen, so werden diese von der überwiegenden Mehrheit der Schulleiter*innen als relevant für die eigene Schulentwicklung genannt. So berichten im Rahmen der geführten Interviews 13 der 14 Schulleiter*innen, interne Datenquellen auf unterschiedliche Weise zu nutzen. Dabei werden am häufigsten Strategien zum Einholen von qualitativem Feedback sowie mehr oder weniger umfassende und regelmäßige quantitative Befragungen benannt. Deutlich weniger Schulleiter*innen benennen die Nutzung interner schulischer Statistiken; interne Unterrichtshospitationen bzw. systematische Unterrichtsbeobachtungen wurden nur vereinzelt erwähnt. Die meisten Schulleiter*innen thematisieren mindestens zwei der vorgenannten Datenquellen. Dabei muss darauf hingewiesen werden, dass in den Interviews nicht explizit nach bestimmten Datenquellen gefragt wurde; insofern sagen unsere Befunde zunächst nur etwas darüber aus, inwiefern den Schulleiter*innen diese Datenquellen als relevant für die Schulentwicklung in den Sinn gekommen sind.

Teilweise beschreiben die Schulleiter*innen die Etablierung systematischer Strukturen für Feedback (z. B. Zeiträume, Kontrolle der Durchführung, spezifische Tools und Portale), das regelmäßig eingeholt wird, um immer wieder Rückmeldungen z. B. zum Unterricht zu erhalten; zugleich finden sich auch Hinweise auf spezifische Anlässe, bei denen Feedback eingeholt wurde, um gezielt nachsteuern zu können oder Meinungen zu einer Idee einzuholen.

Daneben spielen in mehreren Schulen auch systematische quantitative Befragungen von Eltern, Schüler*innen und Lehrkräften eine zentrale Rolle, die entweder bereits seit Jahren in regelmäßigen Abständen durchgeführt werden und eine breite Palette von Dimensionen schulischen Handelns abbilden, oder gezielt eingesetzt werden, um Informationen über bestimmte Themen, ein konkretes Projekt oder den Unterricht einzuholen.

„Der eine Punkt ist, es gibt regelmäßig, spätestens alle vier Jahre […] eine große Erhebung, in der alle Eltern, Schüler und Lehrer mit unterschiedlichen Fragebögen gefragt werden zur derzeitigen Situation in der Schule. Was wirklich alles betrifft, das kann von Toilettenzustand bis hin zu wie funktioniert der Unterricht gehen. Da ist wirklich alles drin“ (SL 11).

Uneins sind die Schulleiter*innen sich hinsichtlich des inhaltlichen Nutzens von weniger standardisiertem Feedback gegenüber standardisierten Fragebogenbefragungen; dabei zeigen sich durchaus ambivalente Perspektiven auf das Verhältnis von qualitativen und quantitativen Daten, die auf die in Abschn. 2.3 angesprochene Aushandlung des Nutzens von Daten als Teil des professionellen Umgangs mit diesen verweisen. Teilweise werden quantitative Befragungen als „einfache“ Möglichkeit angesehen, bei wenig komplexen Fragen eine schnelle Rückmeldung zu bekommen, wobei wichtig sei, diese quantitativen Daten dann noch mit zusätzlichen qualitativen Daten zu unterfüttern; andere Schulleiter*innen weisen darauf hin, dass quantitative Daten genutzt werden können, um das „qualitative Bauchgefühl“ zu überprüfen und zu schauen, ob wirklich Handlungsbedarf bestehe:

„Also, wir haben sehr viele qualitative Instrumente, was ein bisschen fehlt oder wo wir noch nicht so stark sind, sind quantitative Erhebungen durchführen zu können, weil das gerade ja im pädagogischen Bereich relativ schwammig ist. Man muss ja auch was mit den Daten anfangen können“ (SL 14).

Unterrichtsbeobachtungen bzw. kollegiale Hospitationen werden kaum als relevante Datenquellen genannt, um Schul- und Unterrichtsentwicklungsthemen zu gestalten. Relevanter erscheinen demgegenüber Hospitationen an anderen Schulen. Dabei wird sowohl von eigenen Erfahrungen und daraus generierten Impulsen berichtet, die mit in die Schule eingebracht, dort diskutiert und an die eigenen Gegebenheiten angepasst wurden, als auch von Lehrkräften aus dem Kollegium, die aus Schulbesuchen (national sowie international) Ideen und Konzepte mitgebracht, in der Schule vorgestellt, kritisch diskutiert und an die eigene Situation adaptiert eingeführt haben. Externe Hospitationen werden – im Gegensatz zu quantitativen Befragungen – als besonders motivierend, authentisch und informativ beschrieben:

„Also, dass wir dann lieber sagen, wir fahren an eine Schule und sprechen mit denen, die es wirklich auch live vor Ort erleben. Und verlassen uns nicht nur auf das, was in dem Artikel vielleicht geschrieben steht, weil manchmal diese ganzen persönlichen Erfahrungen dann doch nochmal mehr Informationen geben als nur der Text, das ist ja klar“ (SL 13).

Durch die Hospitation könne man die Maßnahmen „sehen, fühlen“ (SL 03). Die Hospitation an anderen Schulen ist damit nicht nur ein Datum in sich, sondern ‚Evidenz für die Evidenz‘, welche zum Beispiel aus Forschungsbefunden extrahiert wird.

Auch Forschungsergebnisse werden von den Schulleiter*innen in unterschiedlichen Konkretionsgraden thematisiert, wobei es auch wenige Interviews gibt, in denen die Nutzung von Forschungsergebnissen überhaupt nicht vorkommt. Werden Forschungsergebnisse als Datenquelle thematisiert, so umfasst dies einerseits Befunde aus wissenschaftlichen Studien, an denen die Schulen selbst teilgenommen haben. Zum Teil geben die Schulen auch an, dass sie selbst Wissenschaftler*innen an Bord geholt haben, um die Wirksamkeit ihrer Arbeit überprüfen zu lassen (z. B. Wirksamkeit von Fördermaßnahmen). Ein*e Schulleiter*in berichtet, selbst Fragen aus der Praxis in die Forschung zu geben. Die Schule versteht sich hier also nicht nur als Datenlieferantin und -konsumentin, sondern gestaltet aktiv die Frage mit, was untersucht wird, und gibt so auch wiederum Impulse in das Wissenschaftssystem.

Daneben rekurrieren die Schulleiter*innen aber auch auf Erkenntnisse, die sie aus Fachzeitschriften, Netzwerken oder Vorträgen ziehen und die beispielsweise auch als Orientierung dazu herangezogen werden, inwiefern die Schule Merkmale einer „guten Schule“ erfüllt. Dabei wird deutlich, dass die Schulleiter*innen ein durchaus breites Verständnis von Forschung und wissenschaftlicher Evidenz haben (vgl. hierzu auch Otto et al., 2019).

Am seltensten beschreiben die Schulleiter*innen die Nutzung externer, durch die Bildungsverwaltung bereitgestellter Datenquellen. Die Schulleiter*innen, die von der Nutzung dieser Art der Daten berichten, benennen häufiger Vergleichsarbeiten und Abschlussprüfungen; nur vereinzelt werden auch die Befunde aus Schulinspektionsverfahren thematisiert.

Positiv hervorgehoben wird, dass externe Datenquellen wie Vergleichsarbeiten die Vergleichbarkeit mit anderen Schulen bieten; eine inhaltliche Relevanz für die eigene Entwicklungsarbeit wird nur vereinzelt thematisiert. Mit der Schulinspektion verbinden die (wenigen) Schulleiter*innen, welche diese thematisieren, dagegen eine auch für Entwicklungsfragen höhere Relevanz – vor allem dann, wenn die Schulen selbst die Möglichkeit haben, im Inspektionsverfahren inhaltliche Schwerpunkte zu setzen.

Insgesamt illustrieren die Interviews, dass die Schulleiter*innen eine Fülle an unterschiedlichen Datenquellen nutzen, die aber jeweils unterschiedliche Relevanz haben. Die intern generierten Datenquellen haben dabei aus der Sicht der Schulleiter*innen eine bedeutendere Rolle für die Schulen, weil sie direkt auf die spezifischen Bedarfe der Schule und ihrer Schüler*innen eingehen und somit konkret Informationen zu Themen liefern, welche für die Schulen besonders bedeutsam sind:

„Also bei uns ist auf jeden Fall das wichtigste, die internen Daten, die wir erheben. Denn diese sind immer auf der Basis der Bedürfnisse der Schüler erhoben worden und natürlich auch im Rahmen dessen, was auch möglich ist, umzusetzen. Und deswegen sind diese Daten für uns natürlich ganz, ganz wichtig“ (SL 11).

Gerade bei Forschungsbefunden und bei extern generierten Datenquellen prüfen die Schulleiter*innen dagegen sehr genau, welche der Daten für sie relevant sind und welche sie nur nutzen würden, um von außen gestellten Ansprüchen gerecht zu werden.

4.2 Funktion im Entwicklungsprozess

Die Nutzung von Daten, um Impulse für die Schulentwicklung zu erhalten bzw. Entscheidungen über Entwicklungsziele zu fällen, spielt in allen 14 Interviews eine mehr oder weniger große Rolle. Daten helfen den Schulleiter*innen zu erkennen, „wenn irgendwas vielleicht in eine falsche Richtung läuft“ (SL 04) und tragen dazu bei, die Entwicklungsarbeit zu fokussieren, „dass man nicht einfach irgendwie so wild in so einen Aktionismus verfällt, sondern erst mal sozusagen eine Grundlage und eine Analyse macht, wo drückt eigentlich der Schuh“ (SL 02).

Sprechen die Schulleiter*innen von dieser Phase des Entwicklungsprozesses, so benennen sie vor allem interne Evaluations- und Feedbackstrukturen als Datenquellen. Quantitative Befragungen der verschiedenen Akteursgruppen in der Schule sind die am häufigsten genannte Datenquelle. Betont wird dabei in erster Linie die Einfachheit der Abfrage; online bereitgestellte Befragungstools werden dabei als gute „Einstiegsmöglichkeit“ beschrieben:

„Das war so für den Anfang der Schulentwicklung gut, weil man sich da erstmal so ein Stück dran gewöhnen konnte. Es war digital, es kam von außen, man konnte clustern, man konnte überlegen“ (SL 12).

Vereinzelt wird auf die Aussagekraft der quantitativen Daten verwiesen, die auch angeben können, wie stark verbreitet ein „Problem“ in der Schule tatsächlich ist bzw. aufgrund der man „hinterher sagen kann, okay, 95 % haben gesagt kein Problem, aber bei fünf Prozent haben wir halt Schwierigkeiten, das heißt, wir müssen überlegen, wie gehen wir damit um“ (SL 13).

Ebenfalls von mehreren Schulleiter*innen beschrieben wird die Nutzung von Informationen aus systematischem Feedback sowie der Hospitation an anderen Schulen, um neue Entwicklungsimpulse zu erhalten. Hospitationen an anderen Schulen werden dabei als Möglichkeit angesehen, „um also irgendwo anders zu sehen, wie Schule auch anders gemacht werden kann“ (SL 03).

Für einen kleinen Anteil an Schulen spielen auch Forschungsbefunde, die keinen direkten Bezug zur Schule haben, eine Rolle mit Blick auf die Bestimmung von Entwicklungszielen. So berichten die Schulleiter*innen in den Interviews teilweise, dass ihnen Forschungsbefunde als Impuls dienen, weil sie spezifische Themen adressieren, welche die Schulen ohnehin umtreiben, oder aber, weil sich die Schulen explizit mit der Frage beschäftigen, was empirisch über „gute Schule“ bekannt ist, und dies auch als Orientierung für ihre Entwicklung betrachten.

„Es war November als wir einen Vortrag gehört haben, also aus der Wissenschaft im Grunde genommen die Ideen, gute Schulen berücksichtigen auch [THEMA] und wir gesagt haben, jetzt haben wir so viele Merkmale irgendwie eingeführt, was gute Schule ist, aber dieses eine von den Top zehn haben wir nicht. Dann haben wir abends überlegt, es müsste doch gehen und dann gesagt, wir wollen das“ (SL 03).

Extern generierte Datenquellen spielen als Impulsgeber für die Schulentwicklung nur eine untergeordnete Rolle; so beschreibt von denjenigen Befragten, die angeben, Vergleichsarbeiten und zentrale Abschlussprüfungen als Datenquelle zu nutzen, nur ein kleiner Teil, dass die Ergebnisse für die Bestimmung von Entwicklungszielen herangezogen werden. Dabei wird auch darauf verwiesen, dass die Daten nicht per se hilfreich seien, sondern von den Schulen zunächst eine weitere Interpretation der Daten erfolgen müsse. Die wenigen Schulen, welche die Schulinspektion erwähnen, geben dagegen an, dass aus den Berichten durchaus wichtige Impulse für die Schulentwicklung entstehen.

Die Nutzung von Daten für die Auswahl und Entwicklung von Maßnahmen wird von einer deutlich kleineren Gruppe an Schulleiter*innen beschrieben. Die einzigen Datenquellen, die in diesem Zusammenhang von mehr als nur einem*r Schulleiter*in benannt werden, sind Hospitationen an anderen Schulen sowie Forschungsbefunde mit und ohne Bezug zur eigenen Schule. Insofern wird auch deutlich, dass hier weniger eine Nutzung der Daten als Diagnostik der genauen Problemursachen zur Auswahl der Maßnahmen im Vordergrund steht, sondern die Daten sich bereits auf die Maßnahmen selbst beziehen.

Die bedeutendste Datenquelle für die Entwicklung und Ausgestaltung von Maßnahmen scheinen Hospitationen an anderen Schulen zu sein. Durch die Besuche erhalten die Schulen zum einen überhaupt Impulse, wie sie Maßnahmen gestalten können, zum anderen Beratung zur Umsetzung der Maßnahmen. Andere intern generierte Datenquellen werden nur vereinzelt für diese Phase erwähnt.

Forschungsbefunde werden ebenfalls von (wenigen) Schulleiter*innen für die Entwicklung und Ausgestaltung von Maßnahmen genannt. Hier berichten die Schulleiter*innen, dass sie Maßnahmen adaptiert haben, die in der Forschung als besonders wirksam dargestellt wurden, die allerdings auch dazu passten, wie sich die Schule ohnehin schon aufgestellt hatte.

Die Nutzung extern generierter Daten in dieser Phase der Schulentwicklung wird von keiner der interviewten Schulleiter*innen beschrieben.

Mehrere Schulleiter*innen berichten, die Wirkung ihrer Maßnahmen und Projekte (intern) zu evaluieren und dann eventuell nachzusteuern (oder das Projekt als „gescheitert“ zu betrachten). Daneben benennen einige Schulleiter*innen systematische Feedbackstrukturen an ihren Schulen, um nachzuverfolgen, wie sich Maßnahmen bewähren. Als wichtig werden diese Daten insbesondere für die Adaption und Anpassung der Maßnahmen an die vorliegende Situation empfunden.

„Also wir hatten ein relativ großes Projekt, […] da gab es auch ganz viele unterschiedliche Meinungen. Was da auch ganz gut geholfen hat, dass wir so ganz kurzfristige Rückmeldungen oder Feedbackkulturen eingeführt haben. Zu sagen ok, wir gehen jetzt in Probe, ich möchte jede Woche hören, wo gibt es Schwierigkeiten, wo können wir nachsteuern und da auch die Schüler mit einbezogen haben“ (SL 12).

Am häufigsten beschreiben die Schulleiter*innen die Nutzung von standardisierten Befragungen, um sich über den Stand und die Wirkungen von Projekten und Maßnahmen zu informieren. So berichten sieben der 14 Schulleiter*innen, dass dies teilweise anlassbezogen für spezifische Projekte, teilweise aber auch im Kontext ohnehin regelmäßig stattfindender Befragungen und zum regelmäßigen Monitoring der gewählten Ansätze erfolgt.

„Oder was zum Beispiel oft zu großen Veränderungen geführt hat, das war eine Frage nach [THEMA]. Also, „Halten Sie das was wir machen für ausreichend, ist das in Ordnung?“ Und das war eine relativ pauschale Frage eigentlich. Aber wenn man da am Anfang so bei 60, 65 Prozent Zustimmung landet, naja, dann gibt es einem schon zu denken. Dann macht man Veränderungen, und dann sieht man wie das jährlich steigt eigentlich und wie man zu ganz anderen Werten kommt und dann ist man natürlich entsprechend zufrieden“ (SL 08).

Dabei werden die Schulmitglieder dazu befragt, wie Maßnahmen umgesetzt wurden, welche Probleme aufgetaucht sind, wie zufrieden die Akteur*innen mit der Umsetzung von Maßnahmen sind, usw. Auch in diesem Bereich gibt es wiederum einzelne Schulleitungen, welche von einer sehr weitreichenden Nutzung dieser Datenquelle berichten, während die Mehrheit solche Instrumente nur knapp beschreibt.

Daneben wird externe Forschung an der Schule, beispielsweise im Rahmen einer wissenschaftlichen Begleitung oder der Teilnahme der Schule an wissenschaftlichen Projekten, von einem kleinen Teil der Schulleiter*innen als Datenquelle benannt, die Informationen über die Wirkungen von Ansätzen und die Notwendigkeit und Möglichkeiten der Nachsteuerung liefert. Eine*r der drei Schulleiter*innen, die externe Forschung in diesem Zusammenhang benennen, ist hier besonders aktiv und verweist darauf, dass erst eine solche wissenschaftliche Überprüfung wirklich sicher zeige, wie die getroffenen Maßnahmen wirken; die anderen Schulleiter*innen erwähnen diese Datenquelle eher nebenher.

„So und da sitzen wir zum Beispiel gerade drüber, und beobachten, […] ob das gewissermaßen etwas ist, was jenseits des Zufalls ist oder eine gezielte Förderung ausmacht, das kann ich erst, wenn ich dann mit den Kollegen der Universität so eine Forschung auf den Weg bringe“ (SL 01).

Ein Teil der Schulleiter*innen berichtet außerdem darüber, das eigene Handeln durch die Lehrkräfte evaluieren zu lassen.

Neben der Nutzung der Datenquellen für die Entwicklung der Schule werden auch Situationen beschrieben, in denen die Daten bewusst herangezogen werden, um konkrete Maßnahmen oder das Handeln der Schule insgesamt nach innen oder außen zu legitimieren. Diese Form der Datennutzung wird insgesamt seltener benannt; wenn sie beschrieben wird, dann vor allem im Zusammenhang mit Forschungsbefunden oder extern generierten Datenquellen. Die Daten aus Vergleichsarbeiten und zentralen Abschlussprüfungen dienen hier als Möglichkeit, nach außen zu signalisieren, dass die Schule erfolgreich arbeite, was ihr wiederum auch die Freiheit gibt, Neues auszuprobieren:

„Ich könnte das alles nicht machen, hätte ich nicht so gute Ergebnisse in VERA3 und VERA8 und in anderen Vergleichsarbeiten und in den Abschlussprüfungen“ (SL 07).

Wissenschaftliche Evidenzen werden ebenfalls von einem sehr kleinen Teil der Schulleiter*innen als Mittel thematisiert, das Legitimierung insbesondere für konkrete Maßnahmen schafft. So beziehen sich diejenigen Schulleiter*innen, auf die dies zutrifft, vor allem auf Forschungsbefunde, mit deren Hilfe sie (z. T. auch erst im Nachhinein) die Wirksamkeit ihrer Maßnahmen „beweisen“ konnten. Auch Befunde aus wissenschaftlichen Begleitstudien werden zu diesem Zweck verwendet.

4.3 Akteursebenen

Die Analyse der unterschiedlichen Akteur*innen ist insofern an dieser Stelle begrenzt, als die Schulleitungen in den Interviews erwartungsgemäß vor allem über diejenigen Nutzungsformen von Daten sprechen, in die sie als Schulleitung selbst involviert sind. Dabei berichten die Schulleiter*innen teilweise von einem „wir“, womit sie das Schulleitungsteam oder auch die Schule als Organisation meinen, und teilweise von ihrer eigenen individuellen Nutzung von Daten.

„Also an was ich mich schon orientiert habe, ist zum Beispiel an der Hattie-Studie. Bei der Hattie-Studie habe ich mir überlegt, was hat die größte Wirkung, zum Beispiel das reziproke Lernen“ (SL 07).

In einem Großteil der Interviews gehen die Schulleiter*innen nicht auf die Nutzung von Daten durch einzelne Lehrpersonen oder Teams auf Fach- oder Jahrgangsebene ein; nur sechs der 14 Schulleiter*innen thematisieren explizit die Nutzung von Daten in Teams unterhalb der Schulebene oder durch einzelne Lehrkräfte. Da im Interview allerdings auch nicht explizit nach diesen Ebenen gefragt wurde, ist das Auslassen dieser nicht gleichzusetzen damit, dass an den Schulen entsprechende Formen der Datennutzung nicht relevant sind.

Diejenigen Schulleitungen, die individuelle Lehrkräfte als Nutzende der Datenquellen thematisieren, tun dies im Kontext schulweiter Strukturen oder Richtlinien für diese Nutzung und ausschließlich mit Blick auf intern generierte Datenquellen. So berichten die Schulleiter*innen vereinzelt, dass Lehrkräfte an ihrer Schule dazu verpflichtet seien, in einem regelmäßigen Turnus systematisches Feedback der Schüler*innen zum Unterricht einzuholen.

„Wir haben extra Termine in unserem Jahreskalender, wo wir dann auch tatsächlich erwarten, dass Feedback von allen Lehrern in allen Klassen eingeholt wird. Wir haben die Schüler da auf unserer Seite, die sozusagen mit uns gemeinsam als Schulleitung auch dementsprechend ein gewisses Controlling durchführen“ (SL 10).

Daneben wird auch vereinzelt darauf verwiesen, dass die Schulleitung Forschungsbefunde zu Themen, die relevant erscheinen, für die Lehrkräfte aufbereitet.

Im Zusammenhang mit der Arbeit in Fach- oder Jahrgangsteams werden beispielsweise die Arbeit mit Vergleichsarbeiten und die Auseinandersetzung mit Informationen aus der Hospitation an anderen Schulen genannt.

5 Zusammenfassung: Konfigurationen von Data Richness

Auf der Basis der theoretischen Überlegungen und empirischen Befunde soll im Folgenden versucht werden, eine Systematisierung der verschiedenen Dimensionen von Data Richness und ihrer Konfigurationen an erfolgreichen Schulen vorzunehmen.

  1. 1.

    Welche Daten werden genutzt? (Art der Datenquelle): Die Interviews haben ergeben, dass es zwar Unterschiede in der Nutzung verschiedener Datenquellen in den Schulen gibt und auch in den erfolgreichen Schulen – analog zu früheren Forschungsbefunden – die Nutzung intern generierter Daten in höherem Maße thematisiert wird als die Nutzung extern generierter Daten oder Forschungsbefunde. Keine der Schulleitungen berichtete hingegen eine ausschließliche Nutzung intern generierter Daten. Data Richness äußert sich in den Schulen als eine Verschränkung von unterschiedlichen Datenquellen, wobei auch „formale“ (im Sinne von Mandinach & Schildkamp, 2021) mit weniger formalen Daten verknüpft werden – nicht (nur) um den Fall möglichst umfassend zu beschreiben, sondern auch als „Evidenz für die Evidenz“, z. B. mit Blick auf die praktische Umsetzbarkeit von in Forschungsbefunden als wirkungsvoll beschriebenen Ansätzen.

  2. 2.

    Von wem werden die Daten genutzt? (Akteursebene): In dieser Dimension konnten die Interviews aufgrund ihrer Fokussierung auf die Schulleitung und damit auf die Schulebene nur wenige Anhaltspunkte liefern. Gleichwohl zeigte sich in denjenigen Interviews, in denen die Schulleitungen andere Ebenen als die Schulebene erwähnten, dass hier wiederum spezifische Datenquellen für die unterschiedlichen Ebenen zum Tragen kommen und diese an konkreten Stellen des Entwicklungsprozesses genutzt werden.

  3. 3.

    Wofür werden die Daten genutzt? (Funktion der Daten im Prozess): Die Interviews offenbarten eine Vielzahl von Funktionen, welche verschiedene Datenquellen für die Schulen haben. Diese lassen sich den verschiedenen Phasen des Schulentwicklungsprozesses zuordnen. Darüber hinaus zeigten die Interviews, dass erstens nicht in allen Phasen die gleichen Datenquellen zum Tragen kommen, sondern mitunter sehr spezifische Datenquellen für konkrete Funktionen genutzt werden. Zweitens kristallisiert sich heraus, dass die von uns antizipierten drei Phasen, in denen Daten zum Tragen kommen, weiter auszudifferenzieren sind.

Insgesamt verweisen die Befunde darauf, dass sich die von uns herausgearbeiteten Dimensionen durchaus in den von den Schulleitungen beschriebenen Datennutzungsformen abbilden lassen. Dabei bestätigt sich, dass die Dimensionen in ihrer systematischen Verschränkung zu analysieren sind; die Vielschichtigkeit unterschiedlicher Konfigurationen von Datenquelle, Funktion und Akteursebene allein in den 14 von uns analysierten Schulen weist dabei darauf hin, dass diese Konfigurationen nicht zufällig oder von außen vorgegeben sind, sondern von den schulischen Akteur*innen in der Auseinandersetzung mit den Spezifika der eigenen Situation bewusst hergestellt werden. Diese Auseinandersetzung ist, das legen weitere Befunde aus unseren Interviews nah, eingebettet in organisationale Rahmenbedingungen der Schule, die sich entlang grundlegender Visionen und Ziele, Arbeitsstrukturen und -prozesse sowie schulkultureller Deutungs- und Bewertungsmuster entfalten (vgl. hierzu auch Hubbard et al., 2014). Bedeutsam erscheinen auch die systematischen Rahmenbedingungen des (lokalen und regionalen) Schulsystems, seine Unterstützungsstrukturen, Steuerungsansätze sowie Strukturen und Inhalte der Lehrer*innenaus- und -fortbildung. Letztlich ist auch das Angebot an bereitgestellten Daten durch die Bildungsverwaltung und die Bildungsforschung zu betrachten.

Abb. 1 illustriert die drei hier herausgearbeiteten Dimensionen von Data Richness; die Würfelform soll dabei verdeutlichen, dass die Dimensionen systematisch miteinander verwoben sind und nicht jeweils für sich stehen.

Abb. 1
figure 1

(Eigene Darstellung)

Dimensionen und Bedingungsfaktoren von Data Richness an Schulen.

6 Ausblick

Das Ziel des Beitrags bestand in der theoretischen und empirischen Systematisierung des Data-Richness-Konzepts, anhand derer sich komplexe Strukturen der Datennutzung in Schulentwicklungsprozessen analysieren lassen und die somit eine breitere Erfassung und Analyse der Nutzung unterschiedlicher Daten in Schulen ermöglicht.

Der „Data-Richness-Würfel“ ist dabei nicht so zu verstehen, dass Data Richness nur dann erreicht ist, wenn alle Felder belegt sind. Tatsächlich gibt es in unserem Sample – das immerhin ausschließlich aus sehr erfolgreichen Schulen besteht – keine einzige Schule, bei der sich, gemessen an den Erläuterungen der Schulleitungen, alle elf Felder „abhaken“ ließen; vielmehr beschreibt der Würfel ein Kontinuum der Data Richness. So finden sich in unserem Sample sowohl Schulleitungen, die in allen drei Dimensionen mindestens zu zwei Feldern Angaben gemacht haben, als auch solche, deren Bericht sich auf die Nutzung einiger weniger Daten für einen ganz bestimmten Zweck beschränkt.

Weitere Erhebungen in denjenigen Schulen unseres Samples, die unserem Würfel zufolge über besonders viel Data Richness verfügen, sollen perspektivisch die vertiefende Analyse der konkreten Konfigurationen, ihrer Herstellung in den Schulen, ihrer organisationalen Rahmenbedingungen und ihrer Bedeutung für das Arbeiten dieser erfolgreichen Schulen ermöglichen. Im weiteren Verlauf sollen Implikationen zu förderlichen organisationalen Rahmenbedingungen schließlich auch anderen Schulen, die sich auf den Weg machen möchten, sowie schulischen Unterstützungsakteur*innen für die Ausbildung einer Data Richness zur Verfügung gestellt werden.