Zusammenfassung
Im Kontext ethnografischer Forschung ist teilnehmende Beobachtung eine etablierte Forschungsmethode. Doch welche Herausforderung bringt diese mit sich, um implizite Bildungsdimensionen oder (Bewegungs-)Vollzüge im Kontext Kultureller Bildung zu erforschen? Ziel dieses Beitrages ist es, einen Einblick in methodologische Herausforderungen dieses Forschungszugangs anhand forschungspraktischer Einsichten aus dem Forschungsprojekt „Kulturelle Bildungsforschung im Tanz (KuBiTanz)“ zu geben und für die Möglichkeiten und Herausforderungen teilnehmender Beobachtung zu sensibilisieren. In Abschn. 1 wird kurz in ethnografische und praxeologische Forschung sowie die Forschungsmethode der teilnehmenden Beobachtung eingeführt. Im Anschluss werden in Abschn. 2 zwei methodologische Herausforderungen herausgestellt, die im Forschungsprojekt besonders zum Tragen kamen. Der Beitrag schließt in Abschn. 3 mit einem Fazit, in dem auf mögliche Konsequenzen für die sportpädagogische Forschung eingegangen wird.
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Notes
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Dies führte zu der Entscheidung, keine videographischen Daten im Rahmen des Projekts zu erheben. Zwar können videographische Daten einen praxeologischen Forschungszugang bereichern und Praxisvollzüge in ihrer komplexen Relationalität ‚einfangen‘ (Rode, 2019). Im Rahmen dieses Projekts war jedoch gerade die leiblich-affektive Involviertheit der Forschenden ausschlaggebend, um Praxis multisensorisch und in Bewegung ‚am eigenen Leib‘ mitzuerleben.
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Für den hier vorliegenden Forschungsprozess zeigt sich bereits in diesen Ausführungen die Anschlussfähigkeit an den Forschungsstil der Grounded Theory, der durch sein iterativ-zyklisches Vorgehen in Kombination mit dem offenen, prozesshaften theoretischen Sampling einen Rahmen bietet, der das ethnografische Vorgehen methodisch informieren kann. Umso mehr, insofern „Ethnografie treiben bedeutet […], immer wieder zwischen Beobachtungsphasen zu wechseln sowie Fragestellungen und das theoretische Gerüst zu überarbeiten und zu korrigieren“ (Breidenstein et al., 2015, S. 9). Dies spiegelt sich auch in dem der Grounded Theory zugrunde liegenden, vergleichenden Vorgehen, das durch verschiedene Kodierverfahren zunehmende Theoretisierungen erlaubt.
- 3.
In der zweiten Phase wurden darauf aufbauend vier domänenspezifische Erhebungsinstrumente an den verschiedenen Standorten entwickelt: ein Selbstreflexionstool für Tanzvermittelnde (Spahn & Stern, 2019), eine Forschungs- und Beobachtungsheuristik für weiterführende Tanz(vermittlungs-)forschung, ein tänzerischer Selbstkonzeptfragebogen und ein tanzspezifischer Kreativitätstest für 9- bis 12-Jährige (Pürgstaller et al., 2020).
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Gerade in (leib-)phänomenologischen Forschungsarbeiten ist dies bereits diskutiert worden (Abraham, 2002; 2011; Gugutzer 2015; 2017; Schäfer & Daniel, 2015) wie auch in Arbeiten zu (tanz-)künstlerischer Forschung (Gillette & Pietsch, 2016; Martin, 2017; Seitz, 2015), die diesen Beitrag informiert haben.
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In dieser analytischen Differenzierung formen sich Praktiken je spezifisch „in der situationsgebundenen Eigendynamik der Praxis aus“ (Alkemeyer et al., 2015b, S. 29), in der unterschiedliche Partizipanden sich wechselseitig und fortlaufend auf einander beziehend hervorbringen.
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In diesem Fall war die Aufgabe zu einem kollektiven Bewegungsvollzug zu finden, was hieß, dass die Bewegungen zu Anfang verlangsamt und raumgreifend – also sichtbar – durchgeführt wurden. In anderen Settings könnte es ein künstlerisch-generatives Prinzip werden, gerade mit der Geschwindigkeit der Bewegung zu experimentieren und zu variieren. Dabei wäre jeweils herauszuarbeiten, inwiefern dadurch im Verlauf der Vermittlung Bildungspotenziale entstehen und sich realisieren, bspw. durch Reflexionen oder körperliches Feedback.
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Vgl. dazu insbesondere das Postskiptum.
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Pürgstaller, E. et al. (2023). Chancen und Herausforderungen der teilnehmenden Beobachtung – Methodische Reflexion am Beispiel tänzerischer Vermittlungskontexte. In: Zander, B., Rode, D., Schiller, D., Wolff, D. (eds) Qualitatives Forschen in der Sportpädagogik. Bildung und Sport, vol 27. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-38038-0_12
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