Deutlich wurde bereits, dass soziale Ziele bei der bislang beschriebenen Neuausrichtung der Auftragsvergabe am Leitbild des ‚Guten Dienstleisters‘ in den beiden untersuchten Branchen von nachgeordneter Bedeutung sind. Das heißt aber nicht, dass hier keinerlei Bewegung zu verzeichnen ist. Im Folgenden wollen wir diese Bewegungen nun näher in den Blick nehmen. Dazu erweitern wir auch unseren Blickwinkel: Während bislang vor allem die kommunale Politik und Verwaltung im Fokus standen, sollen nun auch die nichtstaatlichen Akteure einbezogen werden, die in Deutschland traditionell eine wichtige Rolle bei der Aushandlung und Durchsetzung von Löhnen und weiteren Arbeitsstandards spielen, nämlich Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände sowie Einzelunternehmen. Auch sie mischen sich, wenngleich mit unterschiedlicher Intensität, in die Praxis der Auftragsvergabe in den beiden Branchen ein.

Hier sind also neue Aushandlungsprozesse zu beobachten, und zwar jenseits der traditionellen Arenen der industriellen Beziehungen (v. a. Tarifverhandlungen und betriebliche Mitbestimmung). Das bedeutet auch, dass die Akteure nicht auf angestammte Beteiligungsrechte und eingespielte Strategien zur Durchsetzung ihrer Interessen zurückgreifen können, sondern sich neue Wege erschließen müssen. Nicht nur die Verwaltungsakteure müssen also experimentieren und lernen, wenn sie Arbeitsstandards bei der Auftragsvergabe berücksichtigen wollen, sondern auch die Akteure der industriellen Beziehungen. Um die Strategien und ‚Experimente‘ aller beteiligten Parteien und ihr Zusammenspiel geht es in diesem Kapitel.

1 Wechselwirkungen zwischen alten Arenen industrieller Beziehungen und neuem ‚Experimentierraum‘

Die Aushandlungsprozesse rund um die öffentliche Auftragsvergabe lassen sich gewissermaßen als einer von mehreren ‚Experimentierräumen‘ verstehen, die in Reaktion auf zahlreiche Leer- und Bruchstellen bisheriger Formen der Arbeitsregulierung entstanden sind. Als solche Bruchstellen („fault lines“) führen Murray et al. (2020) etwa die Entstehung zunehmend transnationaler Produktionsnetzwerke an, die vertikale Desintegration von Firmen, die zunehmende Individualisierung, neue disruptive Technologien oder schließlich globale Pandemien wie Covid 19. Diese Bruchstellen „disrupt traditional modes of work regulation, compelling actors in the world of work to come up with strategies as best they can, but also opening up spaces for experimentation in the major arenas for the regulation of work and employment.“ (Murray et al. 2020, S. 4). Die Autoren unterscheiden dabei zwischen organisatorischem und institutionellem Experimentieren. Ersteres umfasst Bemühungen von Akteuren, ihre eigene Organisation zu erneuern, neue Netzwerke und Allianzen zu knüpfen. Letzteres sind Versuche, diese Experimente und Lern-Prozesse zu institutionalisieren, also auch in dauerhafte und allgemeinere Normen und Regeln zu überführen. In diese Perspektive fügt sich auch die Ausgangsfrage unserer Untersuchung ein, nämlich inwieweit sich der neue ‚Experimentierraum‘ rund um die Auftragsvergabe zu einer neuen ‚Arena‘ der industriellen Beziehungen im Sinne des Arenenkonzeptes von Müller-Jentsch (2017) entwickelt, also inwiefern sich hier relativ dauerhafte und formale Verhandlungsstrukturen herausbilden. Es sei an dieser Stelle vorweggenommen, dass die gegenwärtig zu beobachtenden ‚Experimente‘ in der Vergabepraxis noch weit davon entfernt sind. Dennoch, oder gerade deswegen, lohnt ein näherer Blick auf sie, um ihre Charakteristika und Reichweite zu beleuchten und begünstigende und hemmende Faktoren zu identifizieren.

Dabei liegt auch hier zunächst ein Blick auf die Ressourcen der Akteure nahe: Inwieweit gelingt es den Akteuren der industriellen Beziehungen, ihre Fähigkeiten zur Interessendurchsetzung in die Aushandlung von arbeitsbezogenen Standards in der öffentlichen Auftragsvergabe einzubringen? Inwieweit hängt ihre Durchsetzungsfähigkeit im neuen Experimentierraum überhaupt von ihren Handlungskapazitäten in den traditionellen Arenen des Interessenausgleichs ab? Die umfangreiche Literatur zu gewerkschaftlichen Machtressourcen und Strategien der gewerkschaftlicheren Erneuerung (u. a. Wright 2000; Frege und Kelly 2004; Haipeter und Dörre 2011; Schmalz und Dörre 2013; Doellgast et al. 2018) verdeutlicht, dass beides keineswegs eng miteinander verbunden sein muss. Vielmehr kann Stärke in etablierten Arenen des Interessenausgleichs sogar in Schwäche im Angesicht neuer Herausforderungen umschlagen – und umgekehrt. So können hohe Tarifbindung, institutionalisierte Beteiligungsrechte und Konsens-Orientierung von etablierten Gewerkschaften ihre Bemühungen und Fähigkeiten minimierten, organisationsübergreifende Netzwerke zu neuen prekären Randbelegschaften zu knüpfen, wie etwa Benvegnú et al. (2018) am Beispiel des österreichischen Transport- und Logistiksektors zeigen. Die Ausstattung mit institutioneller Macht bremst in diesem Fall also die Mobilisierung von Organisationsmacht und lässt dadurch auch strukturelle Marktmacht ungenutzt, über die Erwerbstätige im Transportsektor aufgrund ihrer Möglichkeiten zur Blockade störanfälliger ‚just-in-time‘-Lieferketten grundsätzlich verfügen. Und umgekehrt belegen viele Studien, dass innovative Strategien zur Mobilisierung von Organisationsmacht und diskursiver Macht auch und gerade dort entstehen und partiell auch erfolgreich sind, wo es den Erwerbstätigen an institutioneller und struktureller Macht mangelt (u. a. Mrozowiecki et al. 2018; Stiehm und Weinkopf 2021).Footnote 1 Beides bestätigt, dass die Durchsetzungsfähigkeit von Akteuren in neuen Handlungsfeldern nicht allein von gegebenen Machtressourcen abhängt, sondern auch von ihrem Willen und Geschick, vorhandene und neue Ressourcen zu erschließen und kontextadäquat zu nutzen (Lévesque und Murray 2010).

Dies ist für viele Dienstleistungsbrachen besonders relevant. Denn die industriellen Beziehungen sind dort vergleichsweise weit entfernt von ‚konfliktpartnerschaftlichen‘ Strukturen, bei denen repräsentative und konfliktfähige Akteure auf Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite miteinander verhandeln und dabei trotz antagonistischer Interessen auf „Kompromisse zum beiderseitigen Vorteil“ (Müller-Jentsch 2016, S. 520) hin orientiert sind. Stattdessen gestaltet sich der Interessenausgleich im Dienstleistungssektor vielfach deutlich asymmetrischer, antagonistischer und fragmentierter (u. a. Artus 2010; Bahl 2014; Rehder 2016). Geringe Marktzugangsbarrieren und ein geringer Organisationsgrad, insbesondere auf Beschäftigtenseite, zum Teil aber auch auf Arbeitgeberseite, stehen der kollektiven Selbstregulierung des Arbeitsmarktes dort entgegen und setzen Preise, Löhne und Arbeitsbedingungen einem starken Unterbietungswettbewerb aus. Das gilt auch für die beiden von uns untersuchten Branchen. Für diejenigen, die diesem Unterbietungswettbewerb entgegenwirken möchten – und dies kann gerade auch tarifgebundene Unternehmen einschließen – kann der Umweg über die öffentliche Auftragsvergabe daher eine lohnende Alternative oder zumindest Ergänzung zu bisherigen Strategien der uni- und bilateralen Arbeitsregulierung sein.

Die Frage ist, ob und wie dies den Interessenvertretungen von Beschäftigten und Unternehmen auch jenseits institutionalisierter Beteiligungsrechte gelingt; also ob und welche Ressourcen beide Seiten hier bei ihren Bemühungen um Einflussnahme mobilisieren können. Inwieweit können Akteure beispielsweise neue Koalitionen und Netzwerke mit gesellschaftlichen Akteuren auch außerhalb ihrer eigenen Klientel bilden und nutzen oder sich auf narrative Ressourcen, wie das Leitbild des ‚Guten Auftraggebers‘ bzw. ‚Guten Dienstleisters‘ stützen? Eine bislang in der einschlägigen Literatur bislang kaum thematisierte Ressource ist zudem die in unserem Kontext besonders relevante Ressource ‚Expertise‘ – rechtliche Expertise wie auch Wissen über Marktstrukturen und technische Standards. Schließlich bedarf es auch ganz basaler infrastruktureller Ressourcen wie Zeit und Personal, um diese verschiedenen potenziellen Strategierepertoires zu entwickeln. Zudem stellt sich die Frage, inwieweit die traditionellen Arenen des Interessenausgleichs auf die Strategien im neuen Experimentierraum abfärben. Inwieweit stützen oder hindern Strukturen und Ergebnisse des Interessenausgleichs in den traditionellen Arenen – etwa (fehlende) Tarifnormen oder verfestigte Kulturen von Konflikt und Kooperation – das Handeln der Akteure im neuen Experimentierraum?

Neben diesen Strategien der Akteure der industriellen Beziehungen interessieren uns zudem die Wechselwirkungen mit den Strategien der kommunalen Akteure. Letztere könnten besonders dort einen Unterschied machen, wo kollektive Arbeitsstandards nur rudimentär vorhanden sind, wo öffentliche Auftragsvergabe also eine kompensatorische Rolle für die fehlende kollektive Selbstregulierung des Arbeitsmarktes übernehmen würde. Unsere Analyse der detaillierten kommunalen Praktiken und Strategien der sozialverantwortlichen Auftragsvergabe in diesem Kapitel bestätigt jedoch tendenziell die Annahme, die wir zu Beginn dieses Buchs formuliert haben, nämlich zum komplementären Verhältnis von Auftragsvergabe und kollektiver Selbstregulierung. Dies wird durch die Detailanalyse einzelner Fälle wie auch durch den Vergleich zwischen den beiden von uns untersuchten Branchen deutlich. Die Sicherheitsbranche weist hier, wie zu sehen sein wird, mit einem Grundgerüst an kollektiver Selbstregulierung insgesamt etwas bessere Voraussetzungen auf. Während der Machtressourcenansatz solche Unterschiede in erster Linie auf die je nach Branche und Land unterschiedlichen Stärken der arbeitnehmerseitigen Akteure zurückführt, macht im vorliegenden Fall insbesondere die höhere Organisationsfähigkeit der arbeitgeberseitigen Akteure in der Sicherheitsbranche den Unterschied aus.

Von den Entscheidungsinhalten her geht es im Folgenden nicht um neue gesetzliche Standards (vergabespezifische Mindestlöhne) oder die gesetzliche Erstreckung von tariflichen Standards (Tariftreue), die wir im ersten Teil des Buches beleuchtet haben. Aushandlungsgegenstand in diesem Experimentierraum auf kommunaler Ebene ist vielmehr, wie diese Standards selbst angewandt und umgesetzt werden, sowie weitere Aspekte, die nicht durch gesetzliche oder tarifvertragliche Regelungen abgedeckt sind.

Konkret behandeln wir in den folgenden Abschnitten vier Arten von Aushandlungsgegenständen bzw. Stellschrauben, über die in der kommunalen Vergabepraxis auf die Arbeitsqualität in beauftragten Betrieben eingewirkt wird:

  • Angemessene Löhne: Zum einen geht es um die Frage, ob und wie bei der Ausgestaltung der Ausschreibungen auf gesetzliche oder tarifliche Lohnstandards Bezug genommen wird (Tarifverträge, vergabespezifische Mindestlöhne, gesetzliche Mindestlöhne); wie diese also verwaltungsseitig umgesetzt werden (Abschn. 9.3)

  • Angemessene Preise: Zum zweiten geht es um die Frage, wie Kommunen bei der Bewertung oder Vorgabe von Preisen den Kostenfaktor Arbeit berücksichtigen. Inwieweit fließen beispielsweise Marktlöhne oder extern gesetzte Lohnstandards in die behördenseitige Kalkulation marktgängiger Preise ein? Damit können Kommunen das Lohnniveau in ihren beauftragten Firmen zwar nicht direkt beeinflussen, aber es ihnen mehr oder weniger erleichtern, extern gesetzte Lohnstandards anzuwenden – oder im Gegenteil indirekt Anreize setzen, den Kostenfaktor Arbeit auch durch niedrige Löhne zu begrenzen (Abschn. 9.4)

  • Angemessene Arbeitsbedingungen: Des Weiteren geht es um Praktiken, mit denen Kommunen ihren beauftragten Firmen Auflagen machen oder Anreize setzen in Bezug auf weitere Dimensionen ‚guter Arbeit‘; insbesondere zu Arbeitszeit (Umfang und Lage), und zur Rolle von Subunternehmen (Abschn. 9.5).

  • Kontrollen: Eine weitere wichtige Stellschraube sind schließlich Maßnahmen zur Kontrolle der vertraglich vereinbarten Auflagen, eine zentrale Bedingung für die Wirksamkeit aller bisher genannten Praktiken (Abschn. 9.6).

Bevor wir diese spezifischen Stellschrauben näher analysieren, wirft der folgende Abschnitt zunächst einen Blick darauf, wie die grundlegenden Strukturen der industriellen Beziehungen in beiden Branchen die vergabespezifischen Strategien von Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden in beiden Branchen prägen.

2 Branchenspezifische industrielle Beziehungen: Lücken und Schatten für den neuen Experimentierraum

Viele Branchen des privaten Dienstleistungssektors sind durch niedrige Organisationsgrade von Gewerkschaften und zum Teil auch Arbeitgeberverbänden, eine vergleichsweise geringe Tarifbindung, fragmentierte sowie lückenhafte Strukturen der betrieblichen Mitbestimmung gekennzeichnet, und wo es überhaupt bilaterale Verhandlungen gibt, sind diese oftmals stark antagonistisch (u. a. Birke 2010; Artus 2010; Rehder 2016). Diese Merkmale treffen, wenngleich in unterschiedlichem Maße, auch auf die beiden hier betrachteten Marktsegmente zu: Während in der Schulverpflegung betriebliche Mitbestimmung und Tarifverträge absolute Ausnahmen sind, sind die Tarifstrukturen und auch der Organisationsgrad von Arbeitgebern im Bereich der Sicherheitsdienstleistungen deutlich stärker ausgebaut; die Beziehungen zwischen Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden sind dennoch recht konfliktbehaftet.

Diese Strukturen werfen auch ihre Schatten für die vergabespezifischen Strategien der verbandlichen Akteure. Dies gilt gerade in Hinblick auf die geringen infrastrukturellen Ressourcen, die insbesondere den Aktionsradius der Gewerkschaften in diesem Feld einschränken – die Machtasymmetrien in den klassischen Arenen machen sich also auch hier bemerkbar. Es gilt zudem auch im Hinblick auf die Tarifnormen, die in dieser Arena geschaffen werden: Wo diese existieren, wie in der Sicherheitsbranche, können sie auch einen Bezugspunkt für die Lobbying-Bemühungen der Akteure bilden. Schließlich gilt dies auch im Hinblick auf die schwach ausgeprägten (Catering) bzw. von Misstrauen und Konflikten (Sicherheitsdienstleistungen) geprägten Kulturen der Kooperation bzw. Interaktion zwischen den Parteien. Trotz faktischer Interessenüberschneidungen im Hinblick auf die Ausschreibungsbedingungen verfolgen die Akteure weitgehend getrennte und nicht-koordinierte Strategien der Einflussnahme. Dies wird anhand der einzelnen Aushandlungsgegenstände in den nachfolgenden Abschnitten noch im Detail erörtert, soll in diesem Abschnitt aber für einen Überblick in groben Zügen beleuchtet werden.

2.1 Schulverpflegung

2.1.1 Strukturen und Strategien der kollektiven Selbstregulierung

Für die Unternehmen in der Schulverpflegung haben Tarifverträge, und erst recht allgemeinverbindliche Tarifverträge, so gut wie keine Bedeutung. Dies liegt zum Teil in der Anbieterstruktur begründet. Neben einigen großen Unternehmen wie Sodexo, Apetito oder RWS sind in diesem Segment viele kleine und mittelständische Betriebe tätig, die zudem gerade in Westdeutschland erst im Zuge des Ausbaus von Ganztagsschulen in den Markt eingetreten sind. Auch ein geringes Betriebsalter ist neben der geringen Unternehmensgröße ein Faktor, der grundsätzlich mit einer geringeren Häufigkeit von Tarifbindung und Betriebsräten einhergeht (u. a. Schulten et al. 2021). Zwar existieren in allen 18 Tarifregionen Flächentarifverträge für das Hotel- und Gaststättengewerbe zwischen der Gewerkschaft Nahrung-Genussmittel-Gaststätten (NGG) und dem Arbeitgeberverband Deutscher Hotel- und Gaststättenverband (DEHOGA). Jedoch sind nur wenige Unternehmen mit Schwerpunkt Schulverpflegung Mitglied des DEHOGA. So gibt es auf Bundesebene zwei DEHOGA-Fachabteilungen (‚Catering‘ und ‚Gemeinschaftsgastronomie‘), unter den Mitgliedern befinden sich aber nur sehr vereinzelt Catering-Unternehmen mit einem Standbein in der Schulverpflegung (DEHOGA 2015, 2017). Weil der DEHOGA in zahlreichen Landesverbänden die Möglichkeit einer OT-Mitgliedschaft bietet, sind zudem nicht einmal diese Unternehmen unbedingt an den Flächentarifvertrag gebunden.Footnote 2 Der 2019 gegründete ‚Verband Deutscher Schul- und Kitacaterer e. V.‘ (VDSKC) versteht sich wiederum lediglich als Sprachrohr der Teilbranche gegenüber Politik und Öffentlichkeit und betreibt keine eigene Tarifpolitik. Seine Mitgliedsbasis beschränkt sich zudem bislang auf Berliner Unternehmer; aus diesem Kreis ist auch der Vorgänger, der Verband der Berliner und Brandenburger Schulcaterer (VBBSC) hervorgegangen.

Auf Seiten der NGG ist der Bereich der Gemeinschaftsgastronomie ebenfalls ein marginaler Bereich. Das hat zum einen mit dem breiten Spektrum an Wirtschaftsbereichen zu tun, das die NGG vertritt (neben Hotel- und Gaststättengewerbe auch die Ernährungsindustrie), zum anderen mit dem sehr niedrigen Organisationsgrad in dem Segment. Die Arbeit der Gewerkschaft konzentriert sich hier auf die wenigen großen und überregional tätigen Catering-Unternehmen mit Schwerpunkt in der Betriebsgastronomie. Nach einer älteren Studie aus dem Jahr 2007/2008 lag der Organisationsgrad im deutschen Catering-Gewerbe bei gerade einmal 3 % (Stettes 2010); aktuellere Zahlen sind nicht verfügbar. Die Mitgliederrekrutierung der Gewerkschaft und die Mobilisierung von Mitgliedern wird nicht zuletzt durch den hohen Anteil Teilzeitbeschäftigter mit niedrigem Stundenvolumen erschwert, denn dies begrenzt „auch die Identifikation mit dem Betrieb und die Bereitschaft, etwas an der eigenen Beschäftigungssituation zu verbessern. Außerdem ist es in einer Belegschaft, die aus vielen Teilzeitstellen und Minijobs besteht, auch wesentlich schwieriger, sich untereinander abzustimmen und zu solidarisieren“ – wie eine Studie zum Bremer Gastgewerbe festhält (Salot 2018, S. 94). Nach den Zahlen der DEHOGA waren vor der Corona-Pandemie knapp 40 % der Arbeitnehmer*innen im Catering-Segment insgesamt geringfügig beschäftigt (DEHOGA 2020). Im Segment der Schulverpflegung kommt erschwerend die dezentrale Leistungserbringung hinzu, denn neben den Zentralküchen arbeitet ein erheblicher Teil der Beschäftigten in den Ausgabeküchen an den Schulen. Die geringe Mitgliederbasis im Hotel- und Gastgewerbe insgesamt beschränkt wiederum auch die personelle Ausstattung und damit die infrastrukturellen Ressourcen der Gewerkschaft stark. Auf der Ebene der insgesamt 5 Landesbezirke der NGG sind jeweils nur eine Handvoll hauptamtlicher Gewerkschaftssekretär*innen für die Tarifarbeit in sämtlichen Teilbranchen der Nahrungsmittelindustrie und des Hotel- und Gaststättengewerbes zuständig, hinzu kommen 50 regionale Büros, in denen jeweils 1–2 hauptamtliche Mitarbeiter*innen für die Betreuung der Mitglieder vor Ort zuständig sind.

Die Tarifbindung dürfte entsprechend im Segment der Schulverpflegung noch deutlich unter dem Wert für das Gastgewerbe insgesamt liegen, der 2018 bei lediglich 40 % aller Beschäftigten lag (Ellguth und Kohaut 2019, S. 293).Footnote 3 Entsprechend dieser nahezu ‚flächendeckenden Lücken‘ der kollektiven Selbstregulierung werden die Arbeitsbedingungen in der Branche weitgehend durch gesetzliche Regelungen bestimmt. Die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns im Jahr 2015 hat hier nach einheitlicher Darstellung der im Projekt befragten Vertreter*innen von Unternehmen und Gewerkschaften zu deutlichen Lohnsprüngen geführt. Dies hat auch mit der Beschäftigungsstruktur zu tun: Ein Großteil der Arbeitsplätze wird als ‚Hilfstätigkeiten‘ geführt, die keiner Ausbildung bedürfen,Footnote 4 und deren Stundenlöhne vor 2015 zum Teil deutlich unter 8,50 € lagen.Footnote 5

Die Lohnentwicklung wird entsprechend seit 2015 stark durch die regelmäßigen Mindestlohnerhöhungen geprägt – sowie durch vergabespezifische Mindestlöhne, wo sie existieren. Dem interviewten Betriebsrat eines in Ostdeutschland tätigen Unternehmens zufolge hat die Einführung des Mindestlohns dort auch zu einer starken Lohnkompression geführt, weil die Löhne der Hilfskräfte hier überproportional stiegen und dies vom Unternehmen nicht durch entsprechend starke Lohnsteigerungen für Köch*innen und andere ausgebildete Kräfte begleitet wurde. Dies spiegeln auch die tarifvertraglichen Lohnstrukturen wider: In drei ostdeutschen Bundesländern (Sachsen-Anhalt, Thüringen, Mecklenburg-Vorpommern) betrug der Unterschied zwischen den Monatslöhnen von Hilfskräften und Fachkräften mit Ausbildung in den regionalen Tarifverträgen in den Jahren 2018/2019 gerade einmal rund um die 100 € (Bosch et al. 2019, S. 255). Der Fachkräftemangel für ausgebildete Kräfte, den Wirtschaftsverbände immer wieder auch und gerade für das Gaststättengewerbe insgesamt feststellen (u. a. DIHK 2018, S. 10), und der auch von Gesprächspartner*innen aus den im Rahmen der Fallstudien befragten Unternehmen bestätigt wird, hat in den Vergütungsstrukturen in der Gemeinschaftsverpflegung bislang offenbar wenig Spuren hinterlassen. Möglicherweise wird der Fachkräftemangel auch dadurch gemildert, dass die Arbeitszeiten in der Gemeinschaftsverpflegung planbarer und familienfreundlicher als im Gastgewerbe insgesamt sind. Gerade in der Schulverpflegung sind Arbeitszeiten auf die Werktage und die Tageszeiten beschränkt. Im Gegensatz zum Gastgewerbe insgesamt, wo Beschäftigte laut Maack et al. (2013, S. 97) durchschnittlich nur zwei bis drei Jahre in einem Betrieb bleiben, ist das Catering offenbar eine Art Auffangbecken gerade für ältere Arbeitnehmer*innen aus der Gastronomie; rund ein Drittel der Beschäftigten sind hier über 50 Jahren (ebda., S. 83 ff.).

Weniger die Lage der Arbeitszeit, wohl aber der geringe zeitliche Umfang vieler Stellen, und damit verbunden die geringen Verdienstmöglichkeiten, sind jedoch ein Aspekt, der ihre Attraktivität für Beschäftigte mindert – zumindest für Beschäftigte, die auf einen mehr als geringfügigen Verdienst angewiesen sind. Dies gilt insbesondere für die Stellen in den Ausgabeküchen, die mitunter nur 2–3 Stunden am Tag umfassen. Der Monatslohn liegt auch bei diesen Stellen seit Einführung des Mindestlohns damit knapp oberhalb der Geringfügigkeitsgrenze und ist insofern steuer- und abgabepflichtig. Nach Auskunft einer Unternehmensvertreterin (Unternehmen SchuCat [1], D-BRÜCK) hat dies die Rekrutierungsschwierigkeiten auch für diese Stellen erhöht. Hinzu kommen die langen, üblicherweise unbezahlten Freistellungen in den Schulferien.

2.1.2 Im Schatten der alten Arenen: Vergabespezifische Strategien von Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden

Die Aktivitäten der Verbände in Bezug auf Vergabepolitik und -praxis sind in dem Segment insgesamt gering ausgeprägt. Wie auf Bundesebene, so fehlt es auch auf Landesebene und erst recht auf kommunaler Ebene weitgehend an Akteuren, die sich mit dem Thema befassen.

  • Offizielle Stellungnahmen der DEHOGA zum Thema Vergabepolitik und Tariftreue gab es bislang weder auf Bundes- noch auf Landesebene. Die vier untersuchten Kommunen sind in dieser Hinsicht typisch: Nach den Interviews mit den regionalen DEHOGA-Geschäftsstellen zu urteilen, haben die hauptamtlichen Vertreter*innen über ihre Verbands-Mitglieder kaum Berührungspunkte mit dem Thema der öffentlichen Auftragsvergabe.

  • Die Gewerkschaft NGG ist auf Bundesebene bislang ebenfalls nicht mit speziellen Stellungnahmen zum Thema Vergabepolitik und Tariftreue in Erscheinung getreten; eher schon sind einzelne Landesverbände in diesem Themenbereich aktiv. Die geringe personelle Ausstattung beschränkt allerdings auch dort den Umfang der Aktivitäten stark. Stellungnahmen und weitere Aktionen konzentrieren sich auch aus diesem Grund auf die Landesvergabepolitik, insbesondere das Thema Tariftreue. An die Adresse der lokalen Vergabepolitik richten sich allenfalls Aktionen, die über landespolitische Regelungen aufklären bzw. zu deren Einhaltung auffordern. Beispielsweise hat die NGG in dem Bundesland, in dem eine der Fallstudienkommunen liegt (C-FURT), sich für die Einführung und gegen die Abschaffung des vergabespezifischen Mindestlohnes positioniert. Zusätzlich zu den Stellungnahmen des Landesverbandes haben sich regionale NGG-Geschäftsstellen in dem Bundesland mit überregional abgestimmten Öffentlichkeitskampagnen in der Zeit vor (2011) bzw. nach (2019) Geltung des Landes-Vergabemindestlohnes mehrfach über wortgleiche Pressemitteilungen an Städte und Kreise in ihrem Zuständigkeitsbereich gewendet und diese dazu aufgefordert, dafür Sorge zu tragen, dass öffentliche Aufträge im Bereich des Caterings und der Gemeinschaftsverpflegung nur an Unternehmen gehen, die mindestens den Vergabemindestlohn zahlen (2011), bzw. nur an tarifgebundene Unternehmen (2019).

Weitergehende Versuche der direkten Einflussnahme auf die kommunale Vergabepolitik oder sogar einzelne Ausschreibungen mit dem Ziel einer besseren Berücksichtigung von Arbeitsbedingungen bei der Auftragsvergabe gibt es hingegen so gut wie gar nicht. Eine Ausnahme stellt hier, wie unten zu sehen sein wird, lediglich das Fallbeispiel BERLIN dar. Dies wird unter anderem dadurch begünstigt, dass hier wichtige Entscheidungen auf Landesebene getroffen werden, und Landes- und kommunale Ebene (Bezirke) in der Ausgestaltung der Vergabepraxis eng miteinander kooperieren. Mit der Fokussierung auf die Landesebene können die Verbände hier daher die relevanten Akteure erreichen.

2.2 Sicherheitsdienstleistungen

2.2.1 Strukturen und Strategien der kollektiven Selbstregulierung

Im Vergleich zur Schulverpflegung sind die eingespielten Formen der industriellen Beziehungen in der Sicherheitsdienstleistungsbranche stärker ausgeprägt und angesichts einer zentralisierten Tarifstruktur für eine Niedriglohnbranche vergleichsweise robust. Über Entgelt- und Manteltarifverträge verhandelt der Arbeitgeberverband BDSW (Bundesverband der Sicherheitswirtschaft) sowohl auf Bundes- als auch Landesebene mit der Gewerkschaft ver.di, in wenigen Bundesländern (Niedersachsen und Sachsen) jedoch mit der als ‚arbeitgeberfreundlich‘ bekannten Gewerkschaft GÖD. Laut Angaben des BDSW vertrat er mit seinen 957 Mitgliedsunternehmen im Jahr 2020 zwar nur rund 16 % aller auf dem Markt tätigen Unternehmen im Bereich der Sicherheitsdienstleistungen (neben großen Anbietern wie Securitas und Kötter auch eine Vielzahl mittelständischer Unternehmen), bei ihnen waren jedoch 58 % der Beschäftigten in der Branche angestellt (BDSW 2020, S. 23). Da die Branche zu den wenigen zählt, in denen die die Sozialpartner für die Lohntarifverträge ganz oder wenigstens teilweise die Allgemeinverbindlichkeit beantragen (siehe unten), ist die faktische Tarifbindung in der Branche hoch. Nach Angaben des BDSW lag die Tarifbindung 2014 sogar bei rund 67 % der Beschäftigten und damit deutlich über dem gesamtdeutschen Durchschnitt (58 %) (BDSW 2020, S. 22), der im Jahr 2019 weiter auf 52 % abgesunken war (Ellguth und Kohaut 2015, 2020).Footnote 6 Der gewerkschaftliche Organisationsgrad von Sicherheitsbeschäftigten wird hingegen auf lediglich 8–15 % geschätzt und fällt je nach Tätigkeitsbereich zum Teil sehr unterschiedlich aus (Briken 2011, S. 57; Schröder und Weinkopf 2017).

Die Sicherheitsbranche gilt mit Ausnahme einzelner Teilbereiche als Niedriglohnbranche. Vor Einführung des gesetzlichen Mindestlohns im Jahr 2015 hatten selbst die tariflichen Vergütungsgruppen bundesweit noch zu 58 % unterhalb von 8,50 € Stundenlohn gelegen (Bispinck und WSI-Tarifarchiv 2017, S. 2).Footnote 7 Inzwischen kam es jedoch zum Teil zu deutlichen Tariflohnsteigerungen, die auch von den Arbeitgebern angesichts des sich zuspitzenden Fachkräftemangels bereitwilliger mitgetragen wurden als in der Vergangenheit. Der tarifliche Grundlohn liegt je nach Bundesland mittlerweile (Stand: Jan 2022) 9–18 % über dem derzeit gültigen gesetzlichen Mindestlohn von 9,82 €, aber noch unterhalb der Niedriglohnschwelle.Footnote 8 Für die hier im Fokus stehenden Sicherheitsbeschäftigten in Flüchtlingsunterkünften existieren überwiegend entweder eine separate Tariflohngruppe oder eine Zulage zum Grundlohn, womit der tarifliche Stundenlohn um 10–37 % über dem gesetzlichen Mindestlohn liegt (Stand: Januar 2022).

Bemerkenswert sind die Bemühungen des Arbeitgeberverbandes, die Branche im Eigeninteresse seiner Mitglieder zu regulieren und den Wettbewerb mit der ‚Billigkonkurrenz‘ zu entschärfen. So setzt sich der BDSW seit vielen Jahren für die Allgemeinverbindlicherklärung (AVE) seines Tarifgitters ein – allein 40 % aller auf Landesebene gestellten Anträge habe die Sicherheitsbranche eingebracht (BDSW 2019). Dem Verband zufolge ist die AVE von Tarifverträgen wesentlich für das Gewerbe, da sie mit der Stärkung der Tarifbindung auch „gewährleistet, dass die Arbeitsplätze zur Existenzsicherung tauglich sind“ (Olschok 2008, S. 111). Auch kritisierte der BDSW die lange anhaltende „Blockadehaltung“ der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) öffentlich als „willkürlich“ (ebda.). Seit der Aufhebung des 50 %-Quorums im Zuge des Tarifautonomiestärkungsgesetzes sowie dem Beitritt des BDSW in die BDA im Jahr 2014 ist es den Tarifpartnern zunehmend gelungen, ihre Ländertarifverträge zumindest in großen Teilen für allgemeinverbindlich erklären zu lassen. Dies trifft in erster Linie auf die Entgelttarife zu, während die in den Manteltarifverträgen geregelten Lohnzulagen und weiteren Bestimmungen weitgehend nur für die qua Mitgliedschaft im Verband tarifgebundenen Unternehmen gelten. Zum Stand Dezember 2020war in 14 Bundesländern der Entgelttarifvertrag, oder zumindest Teile davon, allgemeinverbindlich, sodass zumindest die unteren Tariflöhne nahezu flächendeckend in Deutschland verpflichtend sind.

Die tarifliche Regelung des seit 2015 bedeutsamer werdenden Geschäftsfeldes Schutz von Flüchtlingsunterkünften ist entschieden vom Arbeitgeberverband mitgetragen worden. Wo heute ca. 10 % der Beschäftigten in der Branche eingesetzt werden (nach Objekt- und Werkschutz sowie Empfangsdiensten das bedeutsamste Einsatzgebiet; BDSW 2020, S. 33), mussten anfangs starke Anreize geschaffen werden, um Personal für die als sensibel geltenden Tätigkeiten gewinnen zu können. Dies gilt umso mehr, als das politisch ‚heikle‘ Geschäft mit Flüchtlingsunterkünften, wie ein befragter BDSW-Landesverband berichtete, auch auf viele Verbandsunternehmen nicht gerade attraktiv gewirkt hatte. So sei das Risiko von öffentlich-medialen Skandalen unkalkulierbar, die Gesinnung des Personals stets eine ‚black box‘ (angespielt wird hier auf einen latenten Rechtsextremismus, der immer wieder im Zusammenhang mit der Branche diskutiert wird) – „normale Leute“ hätten die Arbeit kaum aus freien Stücken gemacht.

Trotz dieser hohen Tarifabdeckung gelten die Arbeitsbedingungen in der Branche nach wie vor als problematisch. Sie sind nicht nur durch die geringe Bezahlung, sondern auch häufig extrem lange Arbeitszeiten, Dauerbefristungen und eine Reihe betrieblicher Probleme geprägt, die von systematisch-fehlerhaften Lohnabrechnungen über die mangelhafte Gewährung von Erholungspausen bis hin zu Repressionen gegenüber nur marginal vorhandenen Betriebsräten reichen (Briken 2011; Schröder und Weinkopf 2017). Auch ist der Anteil von Minijobs in der Branche mit 31 % vergleichsweise hoch; etwa jede*r vierte geringfügig Beschäftigte ist mindestens 55 Jahre alt (BDSW 2020, S. 18). Einem interviewten ver.di-Landesverband zufolge bestehe die Branche, anders als vom BDSW dargestellt, aus einer Reihe von grauen Schafen in unterschiedlicher Schattierung, da sich auch keines der Verbandsunternehmen vollumfänglich an den Tarifvertrag halte. Entsprechend gestaltet sich die Beziehung zwischen den Sozialpartnern eher konfliktlastig und über das engere Handlungsfeld Tarifpolitik hinaus wenig konstruktiv.

Erschwerend kommt hinzu, dass die infrastrukturellen Ressourcen der Gewerkschaft nur begrenzten Spielraum für die Vertiefung spezieller Themen zulassen. Zwar verzweigen sich die insgesamt 10 Landesbezirke von ver.di in eine z. T. recht große Zahl von Bezirken und weiteren Geschäftsstellen. Anders als der BDSW ist ver.di jedoch nicht nur zuständig für Sicherheitsdienstleistungen: Der Fachbereich 13 „Besondere Dienstleistungen“ umfasst ein ausgesprochen heterogenes Feld von bis zu 13 Branchen, die den drei Fachgruppen ‚Touristik, Freizeit, Wohlbefinden‘, ‚Forschung, Kommunikation und Sachverständige, Verbände und Parteien, Dienstleistungen für Unternehmen‘ sowie ‚Immobilien, Sicherheit, Facility‘ zugeordnet sind. Je nach Region erlaubt die vom Organisationsgrad abhängige personelle Ausstattung hier unterschiedlich arbeitsteiliges Vorgehen. Während im zuständigen Landesfachbereich von C-FURT zwei Gewerkschaftssekretäre ihren Schwerpunkt auf die Sicherheitsbranche legen und im Austausch mit je 1–2 Hauptamtlichen aus einer vergleichsweise größeren Zahl an regionalen Büros stehen, ist andernorts nur ein*e Gewerkschaftssekretär*in für das gesamte Spektrum der Dienstleistungen im ganzen Bundesland (E-HAUSEN) verantwortlich, wenn nicht sogar noch für einen zusätzlichen Fachbereich (D-BRÜCK). Die insgesamt knappen Ressourcen werden neben der Tarifpolitik übergreifend darauf konzentriert, überhaupt Zugänge zu den Beschäftigten vor Ort herzustellen, denn die von Vereinzelung geprägte dezentrale Struktur des Arbeitseinsatzes beim jeweiligen Kunden erschwert die Gewerkschaftsarbeit. Über das Angebot von Grillfesten, Stammtischen oder auch digitalen Formate werden Anstrengungen unternommen, die Sicherheitsbeschäftigten zu vernetzen, den Austausch möglichst zu verstetigen und darüber eine solidere Mitgliederbasis herzustellen.

2.2.2 Im Schatten der alten Arenen: Vergabespezifische Strategien von Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden

Gewerkschaftsseitig war die öffentliche Auftragsvergabe im Untersuchungszeitraum auch im Bereich der Sicherheitsdienstleistungen ein wenig bearbeitetes Thema. Die gewerkschaftliche Einflussnahme der zuständigen Gewerkschaft ver.di beschränkt sich in unseren Fallstudien auf Auskünfte zu geltenden Tarifbestimmungen oder zu Erfahrungen mit einzelnen Unternehmen, in den seltenen Fällen in denen sich öffentliche Auftraggeber an die Gewerkschaft wenden. Darüberhinausgehende Initiativen treten isoliert auf und sind, wenn, dann von eher kurzzeitigem Erfolg. Zudem wird am ehesten auf bereits erfolgte Vergaben reagiert, die wegen problematischer Arbeitsbedingungen im laufenden Auftrag auffallen: „Wir kriegen es natürlich immer erst mit, wenn das alles schon gelaufen ist.“ (ver.di Landesverband, C-FURT). Einzig der für C-FURT befragte Landesverband wird selbst aktiv, wenn es um arbeits- und tarifrechtliche Verstöße, etwa infolge undurchsichtiger Subunternehmerstrukturen geht (s. Abschn. 9.5.2) Auch setzte dieser Landesverband in einer weiteren Initiative auf öffentliche Skandalisierung und direkte Ansprache der öffentlichen Auftraggeber, um deren Marktmacht als (Groß-)kunden zu mobilisieren – und zwar für den Interessenausgleich in der traditionellen Arena:

  • Im Zuge stockender und langwieriger Tarifverhandlungen mit dem BDSW hat die Gewerkschaft Briefe an zahlreiche Kunden großer Mitgliedsunternehmen verschickt, um auf das verbreitete Argument aufmerksam zu machen, höhere Tariflöhne seien gegenüber den Kunden und ihrem Interesse an niedrigen Preisen nicht zu rechtfertigen. Die Aktion zielte darauf ab, die Auftraggeber mit an den Verhandlungstisch zu holen und sie Stellung beziehen zu lassen. Immerhin einzelne, überwiegend positive Reaktionen habe dies provoziert. Unklar bleibt allerdings, welchen Einfluss die Aktion auf den erfolgten, vergleichsweise hohen Tarifabschluss letztlich hatte.

  • Einmal habe der Landesverband auch versucht, unmittelbar die Landespolitik mit Problemen der Vergabe in Flüchtlingsunterkünften zu adressieren. Im Gespräch mit dem Arbeitsministerium sei auf dubiose Unternehmen mit teils offen rechtsextremem Personal in Flüchtlingsunterkünften hingewiesen worden, die insbesondere bei der Untervergabe von Subunternehmen aus dem Blickfeld geraten.

Mit Ausnahme dieser wenigen und lokal begrenzten Beispiele bewegt sich ver.di allerdings kaum strategisch oder gestaltungsorientiert auf dem Feld der öffentlichen Auftragsvergabe – anders als der Arbeitgeberverband BDSW.

Mit der in Kap. 6 als Professionalisierungs-Strategie beschriebenen Erarbeitung und Veröffentlichung von Handbüchern bzw. Positionspapieren für eine qualitätsvolle Vergabe von Sicherheitsdienstleistungen betreiben der Arbeitgeberverband und seine Landesgruppen reges Lobbying in Richtung Politik und öffentliche Auftraggeber. Auf unterschiedlichen Ebenen besteht eine Reihe weiterer Bemühungen, weshalb von einer ‚Politik der tausend Nadelstiche‘ gesprochen werden kann. Als die Nachfrage nach Sicherheitsdienstleistungen für den Schutz von Flüchtlingsunterkünften im Jahr 2015 sprunghaft anstieg und zahlreiche neue Unternehmen auf den Markt strömten, bildete der BDSW einen Fachausschuss, der sich seither mit Qualitätsstandards sowie Fragen der Arbeitssicherheit und Entlohnung in diesem Segment beschäftigt. Hauptanliegen sind der Aufbau eines Netzwerks mit Entscheider*innen auf landespolitischer Ebene sowie in öffentlichen Verwaltungen sowie die Vereinheitlichung von Vergabebedingungen auf zumindest regionaler Ebene:

„Da gibt es auf Bundesebene einen Vorstandsbeschluss, dass (…) wir in den einzelnen Bundesländern Multiplikatoren einsetzen. (…) Die sollen dann (…) auch diese Stabstelle bilden hin zu den Ministerien. Das ist sehr zeitintensiv. (…) Wenn sich in den Ministerien irgendwelche Zuständigkeiten ändern, fängst du wieder von vorne an. Du musst also ständig deine Kontakte aktualisieren, auf dem Laufenden halten. Und nur, wenn man da reinkommt und, sage ich einmal, auch wirklich das Konzept vorstellt und sagt ‚Lasst uns überlegen, was wir noch tun können‘, dann wird man irgendwann mal von dieser Ausschreibungssituation ‚Weg vom Billigsten‘ was verändern. Vorher wird nix passieren.“ (BDSW Fachausschuss zum Schutz von Flüchtlingsunterkünften)

In einzelnen Regionen, so im Bundesland von A-BURG, habe dieses Vorgehen bereits Erfolge verbuchen können. Hier hatten verschiedene Vorfälle in Flüchtlingsunterkünften (u. a. Erpressungsversuche durch Sicherheitsbeschäftigte) den Handlungsdruck sowohl auf Seiten des Verbandes als auch der Landespolitik erzeugt und den Weg für kooperatives Vorgehen geebnet:

„Dann habe ich dann das erste Mal gesagt: ‚Okay, jetzt ist einmal eine Grenze erreicht. Dann habe ich um einen Termin gebeten bei [zust. Ministerium] und der kam auch innerhalb von anderthalb Wochen zustande. Und das war relativ einfach, die Situation: Wir konnten uns jetzt entweder vor den Kameras abwatschen: ‚Ich schimpfe auf die Politik und öffentliche Hand‘ und umgekehrt – oder: ‚Wir finden gemeinsam Lösungen‘. Und keine fünf Minuten hat das gedauert, bis es klar war: Wir wollen eigentlich beide Qualität und sie [Ministerin] hat dann auch sofort den Arbeitskreis ins Leben gerufen, bei dem ich dann beratend mit dabei sein sollte. Dass man sagt: ‚Okay, wie ist das eine oder andere aus unserem Positionspapier zu verstehen?‘. Es wurden Anwälte eingeschaltet, die das Vergaberecht beleuchten sollten, was ist machbar, was ist nicht machbar.“ (BDSW Fachausschuss zum Schutz von Flüchtlingsunterkünften)

Man verlässt sich hier also nicht auf die Macht des geschriebenen Wortes in Gestalt von Positionspapieren, sondern ist im Austausch mit öffentlichen Auftraggebern auch darum bemüht, für ihre Berücksichtigung zu werben.

Auch verfügt der Arbeitgeberverband über eigene vergaberechtliche Expertise. Der zuständige Jurist bietet neben Rechtsberatung in Kooperation mit einer Anwaltskanzlei und dem ‚Behörden-Spiegel‘Footnote 9 branchenspezifische Seminare für Verwaltungsbeschäftigte an, in denen öffentlichen Auftraggeber im Hinblick auf die Spezifika der Vergabe von Sicherheitsdienstleistungen weitergebildet und ihnen dabei BDSW-Positionen nahegelegt werden, wie vor allem der Einbezug qualitativer Wertungskriterien. Hinzu kommen Beiträge in entsprechenden Fachzeitschriften, in denen für die Positionen des BDSW geworben wird (z. B. VergabeFokus 2017). Die negativen Erfahrungen aus der Zeit des „Auftragsbooms“, die durch Skandale um schlechte Qualität und Billigstvergaben begleitet war (BDSW 2016), nutzt der BDSW im Rahmen seiner Beratungstätigkeit, um von großen Qualitätsunterschieden zwischen den eigenen Verbandsunternehmen und dem vielfach beschriebenen Gegenbild des unprofessionellen sowie dubiosen „3-Mann-Unternehmens“ zu überzeugen, vor dem die Branche nur so wimmele. Hierbei wird großer Wert darauf gelegt, die besondere Bedeutung des Einkaufsgegenstandes ‚Sicherheit‘ als „höchst schützenswerten Rechtsgutes“ zu betonen, die eine qualitätsorientierte Ausschreibung entsprechend erforderlich mache. In dieser Überzeugungsarbeit müsse man immer wieder neu ansetzen „Das ist eine Sisyphos-Arbeit“ (Interview BDSW Bundesverband, Geschäftsstelle).

Neben diesen und den in Kap. 6 ausführlicher beleuchteten langfristigen Strategien zur Einführung von Qualitätsstandards und Steigerung des Qualitätsbewusstseins verfolgen die Landesverbände bzw. die ihnen vorstehenden Unternehmen auf regionaler Ebene eher anlassbezogene Strategien, insbesondere mit der Kontaktaufnahme zu kommunalen Auftraggebern und direkter Kritik an deren Ausschreibungspraxis. Auch werden in diesem Zusammenhang Beratung angeboten oder – wie in einem Fall berichtet wurde – sogar Verstöße außerverbandlicher Konkurrenten gemeldet:

„Wir haben schon viel, viel Schlechtes über die Firma gehört. Und da werde ich natürlich meine Kontakte schon spielen lassen, um herauszubekommen: Zahlen die auch wirklich Tariflohn? Oder kann ich dann mal irgendwann hinfahren und kann sagen: ‚Hier, ihr habt den genommen. DAS zahlen die wirklich‘. Es ist zwar nicht schön, diese Praxis, aber es ist nun mal so, und wir müssen uns auch schützen ein bisschen.“ (BDSW Landesverband, E-HAUSEN)

Diese Art von Strategien, sich punktuell und auf informellem Wege an öffentliche Auftraggeber zu wenden, wird vom hier zitierten BDSW-Landesverband als “zwar nicht schön“ – aber durchaus legitim erachtet.

Umgekehrt werden die Akteure der industriellen Beziehungen – nach Auskunft der Interviewpartner*innen seltener ver.di, häufiger jedoch der BDSW – insbesondere dann in Entscheidungsverfahren einbezogen, wenn es um die Erweiterung des bei den Vergabeverantwortlichen zum Teil geringen Marktwissens geht.

Eine Zusammenarbeit zwischen ver.di und dem BDSW findet, wie bereits oben erwähnt, über das engere Feld der Tarifpolitik hinaus nicht statt. Im Unterschied zur europäischen Ebene, wo für die Sicherheitsbranche gemeinsame Stellungnahmen und ein Handbuch für qualitätsvolle Auftragsvergaben von den Sozialpartnern UNI Europa und CoESS erarbeitet worden sind (s. Kap. 6), wird dieser neue Experimentierraum weder auf Bundesebene noch regional kooperativ genutzt. Der BDSW führt dies auf eine, seiner Wahrnehmung nach, mangelnde Bereitschaft der Gewerkschaft zur Sozialpartnerschaft zurück; dazu zähle auch,

„dass ich auch branchenbezogene Themen mit dem Sozialpartner gemeinsam angehe und für eine gewisse Lobbyarbeit in der Politik sorge, fachspezifische Themen bearbeite“. Ver.di sei jedoch eine „Streikgewerkschaft“, die „in ihrer Ausrichtung in den 70er Jahren stehen geblieben ist: Klassenkampf ist das Motto (…). Und das macht für mich keine Sozialpartnerschaft aus, sondern das ist nur eine Tarifpartnerschaft.“ (BDSW Bundesverband, Geschäftsstelle.)

Die interviewten ver.di-Vertreter*innen mehrerer Landesverbände führen hingegen eine gewisse Scheinheiligkeit des Arbeitgeberverbandes ins Feld, dessen eigene Mitglieder sich nicht einmal konsequent an tarifvertragliche Regeln und Mitbestimmungsrechte (u. a. Blockade von Betriebsratswahlen) hielten. Vor dem Hintergrund einer Vielzahl von Verstößen und gerichtlichen Auseinandersetzungen, die längst nicht nur die nicht organisierten und als ‚schwarze Schafe‘ gebrandmarkten Außenseiter der Branche praktizierten, tue sich die Gewerkschaft schwer, offiziell mit dem BDSW zu kooperieren und gemeinsame Positionen zu beziehen. Dass die Gräben zwischen den Akteuren der industriellen Beziehungen offenbar zu tief sind, belegt folgendes (vorläufiges) Fazit eines Landesverbandes:

„Also ich hatte die Idee, als ich hier reingekommen bin, dass wir mit dem BDSW bestimmte Probleme bereden können und die dann auch ein Eigeninteresse haben, sich um die schwarzen Schafe im Verband zu kümmern. Ich wurde eines Besseren belehrt. (…) Mit dem Arbeitgeberverband erlebe ich da keinen Partner (…) die agieren für mich zu wenig.“ (ver.di-Landesverband, C-FURT)

Zusammengefasst zeigt sich, dass in dem Interessendreieck öffentlicher Auftraggeber – Arbeitgeber – Beschäftigte bislang in erster Linie die Dyade Arbeitgeber – Auftraggeber mit Interaktionen belebt wird, jedenfalls dort, wo, wie im Fall der Sicherheitsbranche, der Arbeitgeberverband solche Interaktionen offensiv initiiert und anbietet. Die anderen beiden Dyaden liegen hingegen weitgehend brach. Die Gewerkschaften beider Branchen waren in den untersuchten Regionen, von wenigen punktuellen Ausnahmen abgesehen, weder indirekt, also vermittelt über eine Kooperation mit dem Arbeitgeberverband, noch direkt im Austausch mit den Auftraggebern in die Ausgestaltung der Vergabepraxis eingebunden. Dazu trägt ihre geringe Ausstattung mit infrastrukturellen Ressourcen bei, aber auch eine (möglicherweise auch darauf zurückzuführende) geringere Neigung seitens der Auftraggeber, die Expertise der Gewerkschaften einzubeziehen; und schließlich Konflikte in den ‚alten‘ Arenen des Interessenausgleichs, die einer engeren Zusammenarbeit von Arbeitgebern und Gewerkschaften entgegenstehen.

3 Vergabepraktiken, Aushandlungs- und Lernprozesse zu angemessenen Löhnen

Normen zu angemessenen Löhnen oder jedenfalls Mindestlöhnen werden zwar außerhalb der kommunalen Vergabepraxis gesetzt, vor Ort entscheidet sich aber erst, inwieweit extern gesetzte Lohnstandards auch zur Geltung gebracht werden. Hier treten deutliche Unterschiede zwischen den beiden Marktsegmenten zu Tage: In der Schulverpflegung kommen extern gesetzte Standards jenseits des allgemeinen Mindestlohns kaum zur Anwendung oder werden im besten Fall mit zeitlicher Verzögerung eingearbeitet. Die Kommunen bleiben hier also hinter den extern gesetzten Standards zurück. Im Bereich der Sicherheitsdienstleistungen hingegen sind die Bemühungen um eine verbindliche Anwendung der Tarifnormen deutlicher ausgeprägt. Unterstützung erfahren sie dabei zum Teil durch Unternehmen und Verbände, die dies ausdrücklich einfordern, weil sie grundsätzlich die Anwendung von Tarifverträgen auch als Schutz gegen Billigkonkurrenz begrüßen.

3.1 Catering: Begrenzte Wirkung externer Lohnstandards

Anders als in der Branche Sicherheitsdienstleistungen haben Flächentarifverträge, und erst recht allgemeinverbindliche Tarifverträge, für die Unternehmen in der Schulverpflegung wie gesehen so gut wie keine Bedeutung. In drei der vier Fallstudien-Kommunen ist die Tarifsituation insofern branchentypisch: Weder Manteltarifvertrag noch Lohntarifvertrag sind dort allgemeinverbindlich, und laut Auskunft der örtlichen Gesprächspartner*innen der NGG sind die Cateringfirmen, die vor Ort in der Schulverpflegung tätig sind, auch nicht an einen Flächen- oder Haustarifvertrag gebunden. Insofern treffen die Vergabestelle kaum auf Firmen, die aufgrund ihrer Bindung an einen Tarifvertrag bei öffentlichen Ausschreibungen Wettbewerbsnachteile hätten gegenüber nicht-tarifgebundenen Betrieben. Einzige Ausnahme ist die vierte Stadt (C-FURT), wo immerhin eine Firma tarifgebunden ist und wo zudem zum Zeitpunkt der Studie die untersten Lohnstufen des Flächentarifvertrags zwischen NGG und DEHOGA für allgemeinverbindlich erklärt waren – auch dies eine Ausnahmesituation. Zwei der drei weiteren Kommunen (D-BRÜCK, BERLIN) liegen aber in Bundesländern, in denen es bereits vor Einführung des gesetzlichen Mindestlohnes einen vergabespezifischen Mindestlohn von 8,50 € gab.

In drei der vier Kommunen existieren also Lohnstandards vor und jenseits des allgemeinen Mindestlohns, an die kommunale Auftraggeber grundsätzlich gebunden sind. Zwei Aspekte schränken ihre Effektivität aber ein: Zum einen werden diese Lohnstandards von dem allgemeinen Mindestlohn im Jahr 2015 zum Teil eingeholt oder nur in geringem Umfang und mit zum Teil erheblicher zeitlicher Verzögerung knapp über das Niveau des allgemeinen Mindestlohns angehoben. Zum zweiten ist die Existenz dieser Lohnstandards aber auch noch kein Garant dafür, dass diese auch für die Beschäftigten in der Schulverpflegung gelten. Denn aus verschiedenen Gründen kommen die Lohnstandards in den Ausschreibungsunterlagen nicht zur Anwendung: In einer Kommune (D-BRÜCK) wird trotz der freiwilligen Übernahme des Landesvergabemindestlohns für städtische Aufträge dieser für Konzessionen in der Schulverpflegung nicht zur Auflage gemacht. Die Beschränkung des Landesgesetzes auf ‚Aufträge‘ wird dabei ohne weitere Erörterung übernommen. In einer anderen Stadt (BERLIN) sehen die Ausschreibungsunterlagen aus dem Jahr 2017 lediglich die Verpflichtung zur Zahlung des alten vergabespezifischen Mindestlohns von 8,50 € vor, da der Vergabemindestlohn (9 €) zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der Ausschreibungsunterlagen noch nicht verabschiedet worden war. In der dritten Kommune (C-FURT), wo die unteren Lohngruppen des Tarifvertrags für allgemeinverbindlich erklärt sind, fehlt es schließlich an klaren und eindeutigen Hinweisen in den Ausschreibungsunterlagen. Sowohl die befragten Vertreter der Gewerkschaft NGG als auch der lokalen Unternehmen bezweifeln hier, dass die ausschreibenden Stellen Kenntnis von dem allgemeinverbindlichen Tarifvertrag hätten, zumal in den Ausschreibungsunterlagen nur die Einhaltung des Mindestlohnes gefordert werde. Erst eine überarbeitete Fassung des einschlägigen Formblattes aus dem Jahr 2017 sieht auch die allgemeine Pflicht zur Einhaltung von Tarifverträgen vor, die nach Tarifvertragsgesetz für allgemeinverbindlich erklärten wurden. Dabei wird allerdings in den Ausschreibungsunterlagen lediglich das allgemeine Formblatt verwendet; die Tarifverträge des Hotel- und Gaststättengewerbes finden also keine explizite Erwähnung.

So ist selbst dort, wo Lohnstandards jenseits des gesetzlichen Mindestlohns existieren, ihr Effekt sehr begrenzt; zum einen wegen ihrer relativ geringen Höhe, zum anderen aber auch wegen ihrer mangelnden Anwendung und wenig präzisen Vorgaben in der Vergabepraxis.

3.1.1 Sonderfall Berlin: Narrative Ressourcen und neue Netzwerke zur ‚Fairen Auftragsvergabe‘

Eine größere Bedeutung externer Lohnstandards zeichnet sich im Schulcatering erst in jüngster Zeit mit den Entwicklungen in BERLIN ab, die allerdings auch Parallelen in anderen Bundesländern hat, in denen der vergabespezifische Mindestlohn auf ein Niveau substantiell über dem gesetzlichen Mindestlohn angehoben haben (s. Kap. 4). Mit der Novellierung des Vergabegesetzes im Jahr 2019 und der beträchtlichen Anhebung des vergabespezifischen Mindestlohns auf 12,50 € wird auch der Lohn für die Beschäftigten in der Schulverpflegung sprunghaft auf ein Niveau deutlich oberhalb des gesetzlichen Mindestlohns gehoben. Allerdings wiederholt sich im Jahr 2020 zunächst das gleiche Muster wie im Jahr 2017: Weil die Erhöhung des vergabespezifischen Mindestlohnes zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der Ausschreibungsunterlagen zwar beschlossen, aber noch nicht in Gesetzesform gegossen ist, fehlt eine Rechtsgrundlage, auf die die Vergabeunterlagen zu diesem Zeitpunkt hätten verweisen können. Daher enthalten die Ausschreibungsunterlagen lediglich die veraltete Erklärung zu Tariftreue und Mindestentlohnung und verpflichten damit die Caterer faktisch lediglich zur Einhaltung des allgemeinen Mindestlohns (von zunächst 9,35 €).

Nach Auskunft des Gewerkschaftssekretärs der NGG hatte sich dieser zwar gemeinsam mit dem DGB erfolgreich um einen Termin mit der Bildungsbehörde bemüht, um sicherzustellen, dass der neue vergabespezifische Mindestlohn in Musterausschreibungsunterlagen für die neue Ausschreibungsrunde eingearbeitet wird. Mit diesem Anliegen dringt man jedoch nicht durch, die Ausschreibungen werden Ende Januar 2020 auf Basis der bestehenden Rechtslage veröffentlicht. Eine Verschiebung lehnt die zuständige Behörde auch mit dem Argument ab, dass man keine Versorgungslücke riskieren wolleFootnote 10 und der höhere Vergabemindestlohn nachrangige Priorität gegenüber dem Ziel besitzt, neue Verträge mit höherer Essensqualität (u. a. höherer Bio-Anteil am Essen von 50 %) abzuschließen.Footnote 11 Der Übergang zu einer öffentlichen Auftragsvergabe, die in punkto Entlohnung substantielle Verbesserungen für die Beschäftigten in der Schulverpflegung – und in anderen Branchen mit niedriger Entlohnung – mit sich bringt, gestaltet sich mithin holprig und spiegelt die Nachrangigkeit dieses Ziels zumindest in Teilen der Verwaltung wider.

Dennoch markieren diese Entscheidungen zur Erhöhung und Anwendung des vergabespezifischen Mindestlohnes auch für die Schulverpflegung eine Wende: Erstens weil der Stadtstaat wie auch andere Bundesländer mit diesen hohen vergabespezifischen Löhnen einen Weg einschlagen, der für Niedriglohnbranchen eine ernstzunehmende zweite Arena der Lohnsetzung eröffnet (s. Kap. 4); zweitens, weil es der Gewerkschaft hier erstmals wenigstens ansatzweise gelingt, vorhandene narrative Ressourcen und neue Netzwerke für ihre Zwecke zu mobilisieren. Eine wichtige Weichenstellung dafür ist, dass das Thema der sozialverantwortlichen Auftragsvergabe seit langem einen vergleichsweise hohen Stellenwert in der Politik des Stadtstaates genießt – zu erinnern ist hier an die bereits ausführlicher beschriebene Vorreiterrolle bei Tariftreueregelungen und Vergabemindestlöhnen.Footnote 12 Dies übersetzt sich wie gesehen nicht automatisch in eine entsprechende Vergabepraxis, erlaubt aber, das Verwaltungshandeln an dem im Koalitionsvertrag von 2016 explizit formulierten Anspruch „öffentliches Geld nur für gute Arbeit“Footnote 13 zu messen und erleichtert eine Skandalisierung gegenteiliger Praktiken. Zudem bieten sich mit der Vielzahl an zivilgesellschaftlichen Initiativen und Organisationen, die sich im Laufe der Zeit zum Thema der fairen Vergabe lokal herausgebildet haben, Koalitionspartner für die Gewerkschaften an.

Diese Mobilisierung neuartiger Ressourcen soll daher hier noch etwas näher beleuchtet werden. Ein bemerkenswerter Unterschied zur Situation im Jahr 2017 ist nämlich, dass diese Entscheidung keine bloße verwaltungstechnische Angelegenheit bleibt, von der Öffentlichkeit unbemerkt und von den beteiligten Akteuren lediglich zur Kenntnis genommen, sondern eine presseöffentliche Skandalisierung und damit Politisierung nach sich zieht. Kurz nach der Veröffentlichung der Ausschreibungsunterlagen greift die Presse dieses Thema breit auf, was auch durch entsprechende Stellungnahmen von DGB und NGG, sowie vom Verband der Schulcaterer befeuert wird. Das Problem betrifft nicht nur Ausschreibungen in der Schulverpflegung, sondern auch in anderen Bereichen, etwa Trockenbau oder Wachschutz. In der Folge kommt es zu einer erneuten Verhandlung in der Senatsverwaltung darüber, auf welche Weise man sicherstellen kann, dass die Lohnsteigerungen auch bei den Beschäftigten ankommen. Im Ergebnis stellt die Senatsverwaltung den ausschreibenden Bezirken nachträglich eine „Kalkulationsvorgabe“ zur Verfügung, die Caterer ihrem Angebot beilegen sollen, um zu dokumentieren, dass es auf der Basis des neuen Vergabemindestlohns kalkuliert ist. Weil die Ausschreibung bereits läuft, ist diese Kalkulationsvorgabe allerdings „rechtlich nicht absolut verbindlich“, wie ein Sprecher der Senatsverwaltung für Bildung einräumt.Footnote 14 Für zahlreiche der im Jahr 2020 geschlossenen Verträge bleibt es daher dabei, dass die Anwendung externer Lohnvorgaben nicht gesichert ist – umso mehr, als sowohl Unternehmen wie auch Gewerkschaft und der befragte Betriebsrat eines Großunternehmens die zugleich beschlossene Preiserhöhung als unzureichend bewerten, um die Lohnerhöhung daraus faktisch zu refinanzieren. Ein Ergebnis der öffentlichen Skandalisierung ist aber nach Angaben der NGG, dass manche Bezirke ihre Ausschreibung zurückgezogen haben und somit auf Basis des nunmehr verbindlich erhöhten Vergabemindestlohnes neu ausgeschrieben werden können.

Darüber hinaus ist die Gewerkschaft NGG anders als einige Jahre zuvor mittlerweile zu den Schulen der Stadt und anderen Akteuren hin etwas besser vernetzt, auch infolge entsprechender Unterstützung durch den DGB Berlin-Brandenburg. Neben Stellungnahmen zum Berliner Vergabegesetz allgemein hatte sich der DGB bereits früh auch mit eigenen Stellungnahmen zum Thema guter Arbeitsbedingungen in der Schulverpflegung eingebracht (u. a. DGB Berlin-Brandenburg 2013). Der zuständige Gewerkschaftssekretär der NGG war zudem seit 2017 auf mehreren vom DGB mitveranstalteten Tagungen aktiv vertreten, die die Vergabe von Schulverpflegungsleistungen oder allgemeiner das Thema ‚Faire Vergabe‘ zum Thema hatten. Ein erster Versuch, gemeinsam mit dem DGB auch Schulen für das Thema der Arbeitsbedingungen in der Schulverpflegung zu sensibilisieren, war nach der Neuordnung der Vergabe in der Schulverpflegung noch weitgehend erfolglos geblieben.Footnote 15 Dies hat sich rund um die jüngste Novellierung des Berliner Vergabegesetzes im Jahr 2019 etwas geändert, insofern es nun einen Austausch mit der Schwestergewerkschaft GEW dazu gibt, bei der im Schwerpunkt die Lehrer*innen und Schulleitungen organisiert sind.Footnote 16 Dass das Thema für die Lehrerschaft bzw. die GEW wichtig geworden ist, hängt indes auch mit der unzureichenden räumlichen und technischen Ausstattung der Schulmensen zusammen, die im Zuge der Einführung des kostenlosen Essens im Sommer 2019 nun noch deutlicher als zuvor zutage treten (Anstieg der Essensteilnehmer*innen). Zudem haben die DGB-Region Berlin-Brandenburg gemeinsam mit NGG und der GEW die Stärkung der Tarifbindung bei der Schulverpflegung als Kernthema ihrer Aktivitäten im Rahmen der bundesweit vom DGB initiierten Kampagne „Zukunftsdialog-Aktivitäten TARIF.GERECHT.FÜR ALLE“ vorgestellt und ihre Forderungen auf dem SPD-Landesparteitag im Herbst den Delegierten, einschließlich der Schulsenatorin, mit auf den Weg gegeben.Footnote 17

Zudem profitiert die Gewerkschaft zum aktuellen Rand hin von einem sich verdichtenden Netzwerk von weiteren gesellschaftlichen Akteuren, die sich für das Thema der ‚fairen Vergabe‘ auch im Bereich der Schulverpflegung engagieren. So trug zur öffentlichen Thematisierung der Arbeitsbedingungen in der Schulverpflegung und einer Vernetzung der verschiedenen Akteure im Untersuchungszeitraum auch ein Projekt im Auftrag der Senatsverwaltung Integration, Arbeit und Soziales (SenIAS) bei, das dazu einen Bericht veröffentlichte (SenIAS 2017a) sowie eine Tagung organisierte (SenIAS 2017b), an der die Gewerkschaft NGG, der Verband der Schulcaterer VBBSC, die regionale VNS und weitere Akteure aus Politik und Verwaltung teilnahmen. Darüber hinaus hatte sich bereits 2007 ein Bündnis (FairGabe-Bündnis Berlin) gegründet, in dem neben mehreren entwicklungspolitischen Organisationen (u. a. Christliche Initiative Romero (CIR); WEED e. V.) und umweltpolitischen Verbänden auch der regionale DGB vertreten ist. Das Bündnis setzt sich mit Pressemitteilungen, Briefen an Politik und Verwaltung, Veranstaltungen (u. a. Podiumsdiskussionen mit Zuständigen aus Politik und Verwaltung) und gemeinsamen Stellungnahmen für eine Stärkung sozialer und ökologischer Kriterien in der Vergabepolitik der Stadt ein, in jüngster Zeit auch teilweise gezielt bezogen auf die Schulverpflegung‘ (CIR 2019).Footnote 18 Die Kernforderungen des Bündnisses zur Reform des Landes-Vergabegesetzes im Jahr 2019 beziehen sich zwar auf fair gehandelte Produkte und ökologische Kriterien. Jedoch enthält der Forderungskatalog auf der Webseite auch einen Absatz zu Tariftreue und Mindestlohn und fordert, dass der Vergabemindestlohn zukünftig dynamisch an die Höhe der untersten Entgelt-Gruppe im Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst gekoppelt wird.Footnote 19 In einem anderen Positionspapier wird zudem in Ergänzung zur Novelle des Vergabegesetztes die Einrichtung einer Kompetenzstelle gefordert, die „eine zielgerichtete Unterstützung und Beratung öffentlicher Auftraggeber in der praktischen Umsetzung einer nachhaltigen Beschaffung“ leisten soll, unter anderem auch durch „Information über Tarifregelungen und sonstige beachtliche Sozialstandards im Geltungsbereich des [Landesvergabegesetzes]“ (FairGabe-Bündnis Berlin 2019).

Nicht nur der eigeninitiative Versuch der Gewerkschaft, auf die Erstellung der Musterunterlagen Einfluss zu nehmen, ist also eine neue Strategie, die ihre Lernprozesse im Vergleich zur vorherigen Ausschreibungsrunde unter Beweis stellt. Auch die Vernetzung mit anderen Akteuren hat sich auf dem Weg zur aktuellen Ausschreibungsrunde weiterentwickelt, sowohl durch eigenes Zutun als auch durch die vermehrten Aktivitäten anderer Akteure. Wenngleich der Schulterschluss zwischen Gewerkschaften und anderen Akteuren punktuell bleibt und in seiner Wirkung vermutlich nicht überschätzt werden sollte, dürfte die Einarbeitung gewerkschaftlicher Positionen in den Forderungskatalog eines breiteren gesellschaftlichen Bündnisses mit dazu beigetragen haben, diesen Forderungen höhere Legitimität und Sichtbarkeit zu verleihen. Wie die Prozesse rund um die Einführung des höheren Vergabemindestlohns verdeutlichen, ist die Berücksichtigung dieser Belange selbst in einer rot-rot-grün geführten Verwaltung keine Selbstverständlichkeit.

3.2 Sicherheitsdienstleistungen: Anwendung externer Lohnstandards mit ‚Mut zum Risiko‘

Die Situation in den vier Fallstudien zur Vergabe von Sicherheitsdienstleistungen unterscheidet sich von der Schulverpflegung bereits dadurch, dass in drei der vier Fallstudien-Kommunen (A-BURG, C-FURT und D-BRÜCK) der regionale Branchentarif allgemeinverbindliche Gültigkeit nach § 5 Tarifvertragsgesetz besitzt – also die branchentypische hohe Tarifbindung aufweisen. Entsprechend werden die Auftragnehmer in den Ausschreibungsunterlagen zur Einhaltung des Tarifs verpflichtet. In E-HAUSEN sind weder die Entgelt-, noch Manteltarifbestimmungen, die die sonstigen Arbeitsbedingungen und Lohnzuschläge regeln, zum Untersuchungszeitpunkt allgemeinverbindlich. In den Kommunen A-BURG und C-FURT haben hingegen beide Tarifwerke (zumindest in Teilen) Allgemeinverbindlichkeit, während dies in D-BRÜCK nur auf den Entgelttarif zutrifft.

Mit diesen tarifpolitischen Gegebenheiten gehen die Kommunen im Rahmen der in den Vergabeunterlagen getroffenen Formulierungen allerdings unterschiedlich um. Zum Teil schränken sie damit das Wirkungspotential der vorhandenen Regelungen ein, zum Teil erweitern sie es aber auch. Die Unterschiede betreffen zum einen die Präzision der Verweise:

  • In C-FURT wird lediglich recht allgemein auf die Pflicht zur Einhaltung der „jeweils geltenden Bestimmungen des Tarifvertrags für das Wach- und Sicherheitsgewerbe“ (C-FURT) verwiesen. Während es dort den Bietern überlassen bleibt, sich präzisere Informationen zu tariflichen Regelungen zu beschaffen – etwa darüber, ob sich die Tariftreue auch auf Lohnzulagen bezieht – treffen D-BRÜCK und A-BURG eindeutigere Bestimmungen.

  • In D-BRÜCK sind die „für allgemeinverbindlich erklärten Regelungen des Entgelttarifvertrages für Sicherheitsdienstleistungen (…) zu beachten und umzusetzen“.

  • Noch unmissverständlicher und den tarifrechtlichen Rahmen ausschöpfend sind die Bestimmungen in A-BURG, in deren Tarifregion sowohl Bestimmungen des Entgelt- als auch des Manteltarifvertrags allgemeinverbindlich sind. So ist der Stundenverrechnungssatz dort sowohl auf Basis des tariflichen Grundlohnes, inklusive der Zulage für den Einsatz in Flüchtlingsunterkünften, als auch unter Berücksichtigung der „Höhe des Nacht-, Sonntags- und Feiertagszuschlags (…) nach dem gültigen Manteltarifvertrag“ zu kalkulieren.

Nach Einschätzung des zuständigen ver.di-Landesverbands stellt diese Marktkenntnis in A-BURG eher die Ausnahme dar; viele Auftraggeber würden den Branchentarif zum Teil anders interpretieren und die Zulagen nicht berücksichtigen. Dass manche Unternehmen mit dem Verweis auf die ausbleibende Refinanzierung ihren Beschäftigten folglich nicht den vollen Lohn zahlen, sei im Zuge von Rechtsstreitigkeiten gelegentlich aufgetreten. Ver.di hat die vollständige Lohnzahlung in solchen Fällen jedoch bereits mehrfach erfolgreich von den Unternehmen eingeklagt, wie Vertreter der beiden zuständigen Ver.di-Landesverbände für A-BURG und C-FURT berichten.

Deutlich wird an diesem Beispiel die Verschränkung von traditioneller Arena und neuem Experimentierraum: Die Wirksamkeit der Tarifnormen hängt auch von Willen und Fähigkeit der auftraggebenden Stellen ab, diese in präzise Auflagen in den Vergabeunterlagen und Verträgen zu übersetzen und dadurch Interpretationsspielräume bzw. bewusste Umgehungsstrategien der beauftragten Firmen auszubremsen. Wo eine solche Präzisierung unterbleibt oder wo selbst das nicht ausreicht, hängt es von den Beschäftigten, also der Mitgliedsbasis der Gewerkschaft und deren Willen und Fähigkeiten ab, die institutionellen Ressourcen (hier: Einklagung von Lohnansprüchen über Gewerkschaft und Rechtsweg) zu mobilisieren.

Neben den mehr oder wenigen präzisen Vorgaben zur Berücksichtigung der extern gesetzten obligatorischen Lohnstandards, die die deklaratorische Tariftreue mit Leben füllen, unterscheiden sich die Kommunen aber auch in Bezug auf die Einforderung darüberhinausgehender, nicht-allgemeinverbindlicher Tarifnormen, also die konstitutive Tariftreue. Seit dem Rüffert-Urteil gilt dies als Verstoß gegen das europäische Vergaberecht. In zwei Kommunen (E-HAUSEN und A-BURG) gehen die Vergabeverantwortlichen hier dennoch Risiken ein, insofern sie Vorgaben zur Entlohnung machen, die sich auch auf nicht-allgemeinverbindliche Tarifverträge oder nicht-allgemeinverbindliche Bestandteile des Branchentarifs beziehen.

  • Dass solche Vorgaben vergaberechtlich heikel sind, wird in E-HAUSEN reflektiert, wenn auch erst auf Nachfrage. Zwar äußert sich die Vergabestelle sehr skeptisch gegenüber Lohnvorgaben auf Basis nicht-allgemeinverbindlicher Tarifverträge. Dennoch entschied sich das Fachamt, die Verpflichtung auf den zum Untersuchungszeitpunkt nicht allgemeinverbindlichen Tarifvertrag in den Vergabeunterlagen beizubehalten. Bislang sei auch „Gott sei Dank“ jedes Angebot auf Basis des Tariflohns kalkuliert worden; die Ausschreibungsunterlagen fordern die Bieter explizit dazu auf (Fachamt, E-HAUSEN). Biete jedoch ein Unternehmen einen Preis auf Grundlage des gesetzlichen Mindestlohns an, müsse dieses billigere Angebot rechtmäßig ausgewählt werden.

  • Auch in A-BURG werden im Zweifel die nicht-allgemeinverbindlichen Bestandteile eines Tarifvertrags verteidigt. Rückendeckung hierfür komme vom Stadtrat, der viel Verständnis für Niedriglohnbezieher*innen angesichts der vergleichsweise hohen Lebenshaltungskosten in A-BURG aufbringe. Man wolle, so der Vertreter der Vergabestelle, zwar den „billigsten, machbaren Preis“, sich aber insofern von anderen Städten absetzen, als Tariflöhne gewährleistet sein müssten.Footnote 20 Und noch in einer weiteren Frage schert A-BURG aus, wenn auch eher aus Unkenntnis der Rechtslage, nämlich im Umgang mit Unternehmen aus benachbarten Tarifregionen mit teils deutlich niedrigeren Lohnstandards. In vielen Tarifregionen, so auch in dieser, gilt das Erfüllungsortprinzip nicht; in diesem Fall sind Unternehmen aus benachbarten Tarifregionen nicht an den allgemeinverbindlichen Tarifvertrag am Erfüllungsort der Dienstleistung gebunden (siehe auch Noch 2018). Nach Einschätzung des örtlichen BDSW für das Bundesland, in dem A-BURG liegt, werden schätzungsweise 4 von 10 Aufträge an Unternehmen aus dem günstigeren Umland vergeben. Der Vertreter der Vergabestelle geht hier jedoch irrigerweise von der Geltung des Erfüllungsortprinzips aus und prüft alle Angebote auf Einhaltung des eigenen regionalen Tarifs.

Neben den skizzierten Maßnahmen zu deklaratorischer und konstitutiver Tariftreue betreiben einige Kommunen zudem eine Art indirekte Tarifpolitik in Eigenregie, indem sie Anreize zugunsten des Einsatzes höher qualifizierten du damit auch höher entlohnten Personals setzen. Der Sicherheitsdienstleistungs-Markt hält mit den erst in jüngerer Zeit vereinzelt gestiegenen Anforderungen allerdings bislang kaum Schritt. Es mangelt nach Darstellung unserer Gesprächspartner*innen nicht nur an Fachkräften mit Ausbildungsabschlüssen, sondern bereits an sachkundezertifiziertem Personal – nicht zuletzt aufgrund hoher Durchfallquoten bei entsprechenden Prüfungen (Hirschmann 2016, S. 174).

  • In A-BURG beschäftigen sich die Vergabeverantwortlichen intensiv mit dem Fachkräftemangel und versuchen dabei auch, auf die Tarifpolitik in der Branche einzuwirken. So war in den Gesprächen mit Fachamt und Vergabestelle eines der dominierenden Themen, wie es gelingen kann, die Sachkunde als Mindestqualifikation durchzusetzen. Ein Hebel wird in der Tarifstruktur des Sicherheitsgewerbes ausgemacht, weswegen schon häufiger an die Sozialpartner appelliert worden sei, das Tarifgitter an unterschiedliche Qualifikationsniveaus anzupassen. Zwischen Tätigkeiten, die die einfache Unterrichtung nach § 34a GewO erfordern und den bereits tarifierten Ausbildungsberufen sei die Spanne zu groß; mindestens die Sachkunde müsse dazwischen aufgenommen und höher bewertet werden, um einen Anreiz für Qualifizierung zu schaffen. Diese Forderung trifft jedoch bei den Verbänden offenbar nicht auf Unterstützung. Der interviewte Vertreter von ver.di hält dies für das falsche Signal, da der Unterschied zwischen Sachkundeprüfung und normaler Unterrichtung im Hinblick auf die vermittelten Kenntnisse gering sei; vielmehr sollte es aus seiner Sicht darum gehen, die bestehenden zwei- und dreijährigen Ausbildungsabschlüsse in der Branche (‚Servicekraft für Schutz und Sicherheit‘; ‘Fachkraft für Schutz und Sicherheit‘) einzufordern, für die bereits höhere tarifliche Lohngruppen bestehen. Den Lohnabstand hält die Vergabestelle wiederum für zu hoch und schätzt die Bereitschaft der Stadt, diese Mehrkosten zu finanzieren, gering ein.

  • In D-BRÜCK werden über die Bewertungskriterien Anreize zugunsten des Einsatzes von qualifiziertem Personal gemacht: Mit 30 % wird die Qualität des Angebots gewichtet, und ihre Bewertung bemisst sich dabei an der Anzahl der im Angebot vorgesehenen qualifizierten Kräfte. Für die jeweiligen Qualifikationsstufen, die für den Auftrag gefordert werden, gibt die Kommune den Bietern dabei eine Kalkulationsgrundlage vor, die direkt auf die jeweilige tarifliche Entgeltgruppe verweist. Eine gute Benotung der Qualität ist insofern in der Regel nur durch einen deutlichen Preisaufschlag zu erzielen, was angesichts der immer noch dominanten Gewichtung des Preises mit 70 % das Risiko birgt, in der Gesamtbewertung hinter preislich günstigeren Angeboten zurückzubleiben. Hier kommt es also entscheidend wieder auf die genaue Wertungsarithmetik,Footnote 21 wie auch das Verhalten der Wettbewerber an, ob sich der Einsatz höher qualifizierten und besser bezahlten Personals lohnt – ein für die Unternehmen schwer zu kalkulierendes Risiko.

Ein noch grundlegenderer Einwand betrifft den Fachkräftemangel in der Branche. Der Geschäftsführer eines beauftragten BDSW-Unternehmens in D-BRÜCK vermutet im Interview, dass die Strategie, den Anteil höherer Qualifikationen zum Wettbewerbsfaktor zu machen, zwar gut gemeint, aber insgesamt nicht tragfähig sei. Sie führe nur dazu, dass unseriöse Unternehmen falsche Angaben machen und seriöse, insbesondere klein- und mittelständische Unternehmen sich mangels vorhandener bzw. kurzfristig rekrutierbarer Fachkräfte nicht mehr am Verfahren beteiligen. Diese Entwicklung sei Teil der vom Bundesverband des BDSW selbst initiierten Qualitätsoffensive, um den Markt zugunsten der großen Mitgliedsunternehmen zu bereinigen – eine Strategie, die bei diesem mittelgroßen BDSW-Unternehmen auf Skepsis stößt.

Zusammenfassend wird an diesen Beispielen deutlich, dass in diesem neuen Experimentierraum verschiedene lohnpolitische Maßnahmen ergriffen werden, die die Wirksamkeit von Tarifnormen erhöhen oder verringern können; wobei durchaus kontroverse Einschätzungen zum Nutzen einzelner Maßnahmen aufeinandertreffen. Hier von Aushandlungen zu sprechen, ginge an der Realität vorbei; es kennzeichnet aber die in dieser Hinsicht besonders engagierte A-BURG, dass hier jedenfalls punktuell zu einem Austausch zwischen Verwaltung und Verbänden über solche unterschiedlichen Einschätzungen kommt. Deutlich wird zudem, wie stark selbst die ‚nur‘ deklaratorische Tariftreue von entsprechenden Detailkenntnissen und Umsetzungswillen des Vergabepersonals abhängt, um zur Geltung zu kommen.

4 Vergabepraktiken, Aushandlungs- und Lernprozesse zu angemessenen Preisen

Neben der direkten Bezugnahme auf Tarifstandards oder andere extern gesetzte Lohnstandards können diese auch auf indirekte Weise im Vergabeverfahren Berücksichtigung finden. Denn öffentliche Auftraggeber müssen bereits bei der Schätzung des Auftragswertes, bei der Prüfung der Angebote gemäß § 60 VgV (ungewöhnlich niedrige Angebote) und erst recht bei der Vorgabe von Maximalpreisen oder Preiskorridoren einen Maßstab entwickeln, was ein angemessener Preis ist. Dabei stellt sich die Frage, welche Parameter sie dabei einschließen. Gerade im Bereich personenintensiver Dienstleistungen wie dem Schulcatering und den Sicherheitsdienstleistungen fallen die Personalkosten stark ins Gewicht, die Lohnkosten sind daher hier ein wichtiger Parameter. Implizit oder explizit müssen Vergabestellen also Annahmen zur Höhe der Löhne und Lohnnebenkosten bei ihrer Ermittlung angemessener Preise treffen.

Die Vergabestellen in den beiden hier betrachteten Branchen unterscheiden sich dabei jedoch deutlich darin, inwieweit sie zur Lohnhöhe Informationen einholen und explizit abwägen, und inwieweit sie sich dabei auf Vergütungsnormen wie Tariflöhne stützen. Neben der Preishöhe zu Vertragsbeginn ist auch die Verankerung von Preisgleitklauseln über die Dauer der Vertragslaufzeit eine Stellschraube: Damit können Verwaltungen es Unternehmen erleichtern, gestiegene Kosten infolge von Tariflohnsteigerungen bzw. anderen externen Lohnstandards an den Auftraggeber weiterzureichen. Auch mit diesen preispolitischen Entscheidungen können Vergabestellen es mithin auf indirekte Weise Unternehmen erleichtern oder erschweren, sich an Tarifverträge oder andere Lohnstandards zu binden, diese im eigenen Betrieb korrekt anzuwenden und nicht durch Abstriche bei anderen Arbeitsbedingungen gegenzufinanzieren.

Zum Teil mischen sich dabei auch Vertreter*innen von Unternehmen und Beschäftigten sowie weitere verwaltungsexterne Akteure in diese preispolitischen Entscheidungen ein. Im Falle des Schulcaterings geschieht dies in erster Linie rund um die Festlegung des Essenspreises, den die Eltern zu entrichten haben; bei den Sicherheitsdienstleistungen sind die Stundenverrechnungssätze die Stellschraube. Auch hier gilt: Diese Versuche der Mitgestaltung sind deutlich weniger ausgeprägt als in Branchen, die auf eine lange Tradition korporatistischer Strukturen der Selbstverwaltung zurückgreifen können – wie insbesondere die Baubranche.Footnote 22 Vor allem aber schlägt sich die unterschiedlich starke Verankerung von Tarifnormen in den beiden hier betrachteten Branchen in den verschiedenen Praktiken der indirekten vergabespezifischen Lohnpolitik nieder.

4.1 Catering: Zwischen Erfahrungswerten, Wunschpreisen und wissenschaftlicher Expertise

Im Falle des Schulcaterings kommt eine besondere Praxis zum Tragen, die zwar nicht auf dieses Segment beschränkt, hier aber besonders verbreitet ist: In den Ausschreibungsunterlagen wird üblicherweise ein Essenspreis vorgegeben, zu dem Cateringunternehmen das Schulmittagessen anbieten sollen.Footnote 23 Der Preis muss sämtliche Kosten abdecken, einschließlich Steuern, Gewinn sowie Lohn- und Produktionskosten. Bieter müssen ihre Kalkulationen und die Ausgestaltung des Angebots an diese Preise anpassen, um überhaupt bei der Auswahl berücksichtigt zu werden; die Preisermittlung fällt bei einem solchen Verfahren also besonders stark ins Gewicht.

Neben der Höhe des Preises ist dabei auch entscheidend, welche Kosten dieser Preis genau abdecken soll. In unterschiedlichem Umfang subventionieren Kommunen den Essenspreis nämlich indirekt, etwa in Form einer Übernahme der Investitions- und Betriebskosten für die Ausgabeküchen. Auch diese indirekten Subventionen zählen mithin zu den preispolitischen Entscheidungen, mit denen Kommunen den Preisdruck auf Unternehmen erhöhen oder senken können. Zum Portfolio preispolitischer Entscheidungen gehören schließlich auch direkte Preissubventionen, also kommunale Essenszuschüsse an alle oder einen Teil der Schüler*innen, auch über die Leistungen des Bildungs- und Teilhabepaketes (für Schüler*innen aus Haushalten im Bezug von bedürftigkeitsgeprüften Sozialleistungen). Diese Zuschüsse können nicht nur den Druck zur Absenkung des vorgegebenen Preises auf ein möglichst niedriges, sozialverträgliches Niveau mildern, sondern auch dazu führen, dass anteilig mehr Schüler*innen am Mittagessen teilnehmen. Für die Caterer bedeutet dies aufgrund des Skaleneffektes bei gleichbleibendem Preis in der Tendenz eine bessere Ertragslage.

In zwei der untersuchten Kommunen (D-BRÜCK, BERLIN) sind einige dieser preisbezogenen Gestaltungsfaktoren keine rein ‚preistechnischen‘, von der Vergabeverwaltung getroffenen Entscheidungen, sondern haben sich zu einem Politikum entwickelt. Es lässt sich mithin durchaus von ‚preispolitischen‘ Entscheidungen sprechen, an der weitere verwaltungsexterne Akteure beteiligt sind oder zumindest darauf Einfluss zu nehmen suchen. Dabei treffen unterschiedliche Ziele aufeinander, die zum Teil zusammenlaufen, zum Teil miteinander konkurrieren und in Balance gebracht werden müssen.

  • Zum einen geht es um die Sozialverträglichkeit von Essenspreisen, die von den Eltern übernommen werden;

  • zum zweiten geht es um die Frage, welcher Essenspreis erforderlich ist, um eine gute Essensqualität zu gewährleisten, die den Qualitätsstandards der DGE berücksichtigt und meist auch einen gewissen Bio-Anteil ermöglicht.

  • Zum dritten geht es um die Auskömmlichkeit des Essenspreises für die Anbieter und die Gefahr eines Angebotsmangels, welches die grundlegende Aufgabe der Kommunen, die Verpflegung von Schüler*innen mit Mittagessen, gefährdet.

  • Schließlich geht es, wenngleich an letzter Stelle, auch um die Frage, inwieweit der Essenspreis es auch ermöglicht, angemessene Arbeitsbedingungen bzw. die in den Vergabegesetzen zur Auflage gemachten Mindestlöhne zu refinanzieren.

Sowohl was die Entscheidungsprozesse anbelangt (Grad der Öffentlichkeit, Breite der Beteiligung von Akteuren), als auch was die Ergebnisse anbelangt, hebt sich das Fallbeispiel BERLIN deutlich von den drei übrigen Fällen ab. Bevor dieser Sonderfall näher betrachtet wird, geht es im Folgenden zunächst um typische Verfahrensweisen und wiederkehrende Konflikte rund um die Ermittlung angemessener Preise und weitere preispolitische Entscheidungen. Eine wichtige Rolle kommt dabei auch externer Expertise zu, insbesondere von Seiten der regionalen Vernetzungsstellen Schulverpflegung (VNS) sowie in Form von Studien zu den Kostenstrukturen in der Schulverpflegung, die durch die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) und das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMEL) seit 2008 in Auftrag gegeben wurden (Tecklenburg et al. 2010; zuletzt Tecklenburg et al. 2019).

Während in Branchen mit allgemeinverbindlichen Tarifverträgen oder mit einem nennenswerten Deckungsgrad durch reguläre Tarifverträge damit zu rechnen ist, dass Bieter ihren Preis auf der Basis solcher höheren Lohnstandards kalkulieren und miteinander in Konkurrenz treten, ist dies im Cateringsegment eben nicht der Fall. Dies dürfte jedenfalls einer der Gründe sein, aus denen Verwaltungskräfte die Tariflohnentwicklung bei der Festlegung von Preisvorgaben auch weitgehend ignorieren. Stattdessen orientieren sie sich in den untersuchten Fallstudien an einer Mischung aus Erfahrungswerten und Wunschpreisen – also einem Preis, der die geschätzte oder ermittelte Zahlungsbereitschaft und -fähigkeit der Eltern nicht überfordert. Als Erfahrungswerte dienen dabei die bislang gezahlten Preise in der eigenen Kommune, zum Teil auch im regionalen Umfeld.

Für letztere bieten die regionalen Vernetzungsstellen für Schulverpflegung ihre Expertise an: In mehreren der untersuchten Regionen führen sie eigene Recherchen bis hin zu Umfragen unter Schulen zu den aktuellen Essenspreisen durch und stehen mit diesem Wissen den Schulen oder Schulträgern auf Anfrage beratend zur Seite. Ihre Beratung zielt in erster Linie darauf, innerhalb des regional üblichen Preisniveaus den Schulen zu einem realistischen Abgleich mit den Wunschvorstellungen in Bezug auf die Qualität und Preis des Essens zu verhelfen. Exemplarisch illustriert dies folgende Schilderung einer regionalen Vernetzungsstelle:

„(…) wenn wir in einer Beratung mit dabei sind, dann weisen wir natürlich auch darauf hin: ‚Okay, für 2,80 €, wenn ihr das und das haben wollt, dafür kriegt ihr es nicht‘. So, dass man da auf alle Fälle dann auch noch mal nachfragt bei den Eltern, dass teilweise auch vorher Befragungen durchgeführt wurden: ‚Wie viel würdet ihr mehr bezahlen wollen oder könnt ihr mehr bezahlen?‘ (…). Aber eigentlich ist es abhängig von dem bestehenden Preis in den meisten Fällen, (…) und dann kommen noch mal so zwanzig Cent drauf.“ (regionale VNS, D-BRÜCK)

In einer der Fallstudien-Kommunen (C-FURT) findet diese Abwägung zwischen Erfahrungswerten und Wunschpreisen verwaltungsintern statt; hier schreibt die Schulverwaltung die Preise von Ausschreibungsrunde zu Ausschreibungsrunde im Wesentlichen mit prozentualen Aufschlägen für Kostensteigerungen fort. In D-BRÜCK hingegen findet diese Abwägung im Rahmen des dort genutzten Verhandlungsverfahrens unter Beteiligung externer Akteure, insbesondere der Eltern, punktuell auch der regionalen VNS und der Bieter selbst statt. Dort war bereits im Jahr 2015 zeitgleich mit der Einführung des nationalen Mindestlohnes der Essenspreis um mehr als 50 Cent angehoben worden. Das nun von Elternvertretung und Stadt für die neue Ausschreibung bevorzugte ‚Cook-and-Chill‘-Verfahren geht wegen höherer Herstellungskosten absehbar mit einer nochmaligen Preissteigerung einher. Das Ausmaß der erneuten Preissteigerung wird im Vorfeld intensiv mit den Eltern diskutiert und dabei eine „Schallmauer“ (Schulamt, D-BRÜCK) von 4 € definiert. Die eingegangenen Angebote der Caterer im Rahmen des Teilnahmewettbewerbs liegen dann zwar zum Teil auch über dieser ‚Schallmauer‘; im Verhandlungsverfahren gelingt es jedoch, sich unterhalb dieses Maximums zu einigen, durch Abstriche bei Leistungsumfang und -qualität (u. a. durch Verzicht auf die teurere Variante einer Büffet-Ausgabe). Im Ergebnis steigt der Preis hier noch einmal um 50 Cent auf 3,75 € und bleibt damit unter der kritischen Marke, auf die man sich zuvor verständigt hat.

Trotz dieser starken Preissteigerungen innerhalb eines relativ kurzen Zeitraums sind auch für diese Kommune erhebliche Zweifel angebracht, ob der Preis auskömmlich ist, oder aber den Unternehmen starke Anreize zu kostensparenden Maßnahmen setzt, die auch zulasten der Arbeitsbedingungen gehen können. Dies gilt nicht nur hier, sondern auch für die übrigen Kommunen. Zur Beurteilung der Auskömmlichkeit der Preise lassen sich verschiedene Indikatoren heranziehen. Ein – wenngleich nicht unparteiischer – Indikator sind die Einschätzungen der beauftragten Unternehmen selbst. In den Interviews mit ihnen kommen dabei verschiedene preispolitische Entscheidungen zur Sprache, die aus Sicht der Unternehmen problematisch sind und den Preisdruck erhöhen. So sind zum einen in den beiden ostdeutschen Kommunen (D-BRÜCK; E-HAUSEN) im Laufe der letzten Ausschreibungsrunde indirekte Subventionen abgebaut worden und die Investitionen in die Küchenausstattung an den Schulen ganz oder teilweise auf die Caterer übertragen worden.Footnote 24 Die Investitionskosten relativieren in diesen Fällen die Preissteigerungen und sind nach Auskunft der befragten Caterer in beiden Städten auch deswegen problematisch, weil sie sich über die Vertragslaufzeit von 3–4 Jahren nicht rentieren.

In C-FURT beteiligt sich die Kommune zwar in erheblichem Umfang mit indirekten Subventionen am Essenspreis, indem sie das Personal in den Ausgabeküchen stellt. Hier führen jedoch nach Erfahrungen des interviewten tarifgebundenen Unternehmens nicht zuletzt die Preisvorgaben zu einem deutlich intensiveren Preiswettbewerb als im Umland der Stadt, und dies, obwohl der Preis mit insgesamt 40 % nur relativ gering gewichtet wird. Allerdings gibt die Stadt – anders als viele Kommunen im Umland einen engen und zudem insgesamt niedrig angesetzten Preiskorridor vor. In den vorliegenden Ausschreibungsunterlagen ist der Korridor maximal 20 Cent breit. Ein Angebot, das also einen um 20 Cent günstigeren Essenspreis bietet als der Maximalpreis, erhält die volle Punktzahl, und kann damit gegenüber einem Bieter, der sich eher am geringfügig höheren Maximalpreis orientiert, viele Defizite und entsprechend niedrige Punktzahlen bei den qualitativen Aspekten wettmachen. Für die Anbieter ist der Anreiz daher hoch, sich eher am unteren Preis zu orientieren; dies beherzigt auch das tarifgebundene Unternehmen:

„Das ist natürlich klar. Wenn ich für den niedrigsten Preis acht Punkte kriege, dann gehe ich automatisch – ich gehe nicht auf acht Punkte. Das kann ich nicht. Aber ich gehe in der Regel eben auf sechs Punkte.“ Im Ergebnis liegen die vorgegebenen Essenspreise in der Stadt mit maximal 2,90 € um etwa 10 % unter dem, was der Unternehmensinhaber als einen „fairen Wunschpreis“ bezeichnet (3,20 €), also einen Preis „da würde ich sagen, da kann ich wirklich tatsächlich eine gute Arbeit leisten mit vernünftigen Produkten ohne- weil, das ist ja immer die große Gefahr – ohne das Personal zu überfordern. Sondern, da kann ich tatsächlich eine vernünftige Arbeit leisten und auch noch alle Auflagen erfüllen, die da eben da sind.“ (Unternehmen SchuCat [1], C-FURT)

Dass dieser „faire Wunschpreis“ eines tarifgebundenen Unternehmens kein ‚Mondpreis‘ mit übertriebenen Gewinnzielen ist, lässt der Abgleich mit einem zweiten Maßstab für die Beurteilung der Angemessenheit der Preise erkennen, nämlich die bereits erwähnten Studien zu den Kostenstrukturen in der Schulverpflegung. Diese wurden von der DGE und dem BMEL in Auftrag gegeben, als eine von verschiedenen Maßnahmen, die die Bundesregierung seit Mitte der 2000er Jahre infolge des Wachstums von Ganztagsschulen zur Förderung von mehr Qualität in der Mittagessensverpflegung ergriff (s. ausführlich Kap. 6.3.2). Auch hier stand und steht also in erster Linie das Ziel im Vordergrund, durch mehr Transparenz im Hinblick auf Kosten und Leistungen Schulträger bei ihren Entscheidungsprozessen so zu unterstützen, dass diese „eine gesundheitsförderliche und kosteneffiziente Verpflegung“ in den Schulen gewährleisten können, wie es im einleitenden Grußwort der Ministerin Julia Klöckner heißt (BMEL 2019, S. 5). Mehr als Nebenprodukt, und ohne dass dies je Gegenstand einer öffentlichen Debatte war, werden dabei jedoch ungeachtet der geringen Tarifbindung in dem Segment Tariflöhne zwischen NGG und DEHOGA für die Modellkostenrechnungen verwendet.

Die wissenschaftlichen Studien (Tecklenburg et al. 2010, 2019) sowie die darauf basierenden kürzeren Handreichungen für Schulträger (DGE 2010; BMEL 2019) beschränken sich also nicht auf bloße Bestandsaufnahmen, sondern berechnen für die verschiedenen Verpflegungsarten und Schulgrößen „kalkulatorische Preise“, unter Einschluss aller tatsächlich anfallenden Kosten und unter Zugrundelegung von bestimmten normativen Setzungen zum Wareneinsatz (unter Einhaltung von DGE-Qualitätsstandards) wie auch zum Personaleinsatz (Zeitrichtwerte, Tariflöhne). Diese sollen auf allen Seiten auch das Bewusstsein dafür schärfen, dass der Verkaufspreis in den Schulen typischerweise ein „politisch gesetzter und oft auch in der Höhe gedeckelter Preis“ ist (Tecklenburg et al. 2019, S. 89), der deutlich unter den tatsächlich anfallenden Kosten liegt.

Auf Basis ihrer Umfrage zu realen Verkaufspreisen und den eigens errechneten kalkulatorischen Preisen kommt die jüngste Studie hier zu einer Differenz von durchschnittlich 2 € pro Essen bei der Fremdbewirtschaftung mit Warmverpflegung, der bislang häufigsten Verpflegungsform. Sowohl die Studie wie auch die Handreichung interpretieren dies als Beleg, dass die niedrigen Verkaufspreise in hohem Maße durch indirekte und direkte Subventionen der Kommunen gestützt werden. Nicht explizit thematisiert wird hingegen, dass auch Unternehmen bzw. die Beschäftigten selbst diesen Preis in gewisser Weise indirekt subventionieren, nämlich dadurch, dass die tatsächlichen Abgabepreise der Unternehmen in der Regel deutlich unterhalb der von der Studie errechneten kalkulatorischen Preise der Essensanbieter liegen – mindestens um rund 25 %, in vielen der betrachteten Fälle jedoch sogar um über 50 % (ebda., S. 87 f.). Neben Skaleneffekten und einem geringwertigeren Wareneinsatz ist eine mögliche und wahrscheinliche Erklärung für diese enormen Preisdifferenzen, dass die Unternehmen eine niedrigere Gewinnmarge als die von der Studie zugrunde gelegten 8 % haben; dass den Beschäftigten ein niedrigerer Stundenumfang für ihre Aufgaben zur Verfügung stehen, dass mehr Hilfskräfte anstelle von Fachkräften zum Einsatz kommen als von der Studie veranschlagt; und schließlich, dass die Beschäftigten eben nicht mit Tariflöhnen entlohnt werden.

Eine Mischung dieser Faktoren dürfte auch die Differenzen zwischen Verkaufspreis und kalkulatorischen Abgabepreisen in unseren Fallstudien begründen; der Verkaufspreis liegt zwischen 18 % und 40 % unter diesem kalkulatorischen Preis (s. Tab. A-9-1 im Anhang). Legt man die in der Branche durchaus übliche Gewinnmarge von 2 % zugrunde (Tecklenburg et al. 2019, S. 89), bewegt sich demgegenüber der „faire Wunschpreis“ des tarifgebundenen Unternehmens in C-FURT jedoch recht nah an dem kalkulatorischen Preis der Studie.

Zusammenfassend verdeutlichen diese Berechnungen und Einblicke in die Vergabepraxis, dass die Vorgabe von Preisen und weitere Entscheidungen der Verwaltung zu preisbezogenen Aspekten kaum auf einer expliziten Abwägung von Lohnkosten beruhen. Wo überhaupt Verhandlungen oder Gespräche zu den Verkaufspreisen unter Einschluss verwaltungsexterner Akteure stattfinden, dienen sie dem Ziel, die absehbaren Preissteigerungen infolge erwünschter Qualitätssteigerungen in Ausgleich mit der Zahlungsbereitschaft der Eltern zu bringen. Die Ergebnisse stoßen zwar vereinzelt auf Kritik von Seiten der Unternehmen. Beschwerden oder Gegenvorschläge in Gestalt eigenständiger Musterkalkulationen kommen von dieser Seite jedoch, zumindest unseren Fallstudien nach zu urteilen, so gut wie nicht. Diese Lücke füllen die wissenschaftlichen Expertisen im Auftrag von DGE und BMEL. Diese leisten auch dem eigenen Anspruch nach Aufklärungsarbeit Genüge und dienen als Korrektiv zu den üblichen Verfahren der Preisbildung in den Kommunen. Auch wenn die stärkere Verankerung von extern gesetzten Lohnstandards nicht primäre Intention dieser Expertisen ist, ist sie dennoch eine Ressource, auf die auch Interessenvertretungen von Unternehmen und Beschäftigten zur Legitimation ihrer „fairen Wunschpreise“ zurückgreifen könnten. Der Sonderfall BERLIN veranschaulicht, unter welchen Voraussetzungen dies gelingt bzw. scheitert.

4.1.1 Sonderfall Berlin: Politisierung und rechtliche Auseinandersetzungen um einen angemessenen Preis

Der Fall BERLIN ist deswegen auch mit Bezug auf die preispolitischen Entscheidungen eine Ausnahme, weil es hier anders als in den übrigen Fallstudien-Kommunen zu einer expliziten Abwägung der Preishöhe unter Einschluss verwaltungsexterner Akteure kommt und hier auch die Lohnhöhe mitberücksichtigt wird. Dabei fließt auch wissenschaftliche Expertise zu den Kostenstrukturen in der Schulverpflegung ein. Begünstigt wird diese recht starke Politisierung des Essenspreises erneut dadurch, dass sich die Praxis der Auftragsvergabe in BERLIN allgemein zu einem Thema entwickelt hat, zu dem ein überaus breites Spektrum von Akteuren mit vergleichsweise hoher Kontinuität und unter hoher medialer Aufmerksamkeit Forderungen und Gestaltungsvorschläge eingebracht hat. Dies gilt auch für die Schulverpflegung. Neben den Parteien und den zuständigen Landesministerien (für Bildung und Wirtschaft) sind in dieser Arena der Entscheidungsfindung der Schulcaterer-Verband VBBSC, die regionalen Gewerkschaften (NGG, DGB) sowie weitere Nichtregierungsorganisationen aktiv. Zu letzteren gehören vor allem der Landeselternrat (LEA), die Vernetzungsstelle Schulverpflegung (VNS), die 2003 von Elternvertreter*innen bundesweit als erste ihrer Art ins Leben gerufen wurde.

Die Höhe des Essenspreises ist dabei ein Politikum, das die Akteure seit 2011 beschäftigt, und bei dem es zum Teil deutliche Interessenüberschneidungen zwischen diesen verschiedenen Akteuren gibt. Auslöser für die ‚Politisierung‘ des Essenspreises war im Jahr 2011 eine Ausschreibung, bei der ein Berliner Bezirk einen Maximalpreis von 2,10 € vorgab. Diese Ausschreibung wurde presseöffentlich von einigen großen Catering-Unternehmen boykottiert. Dies mündete in die Gründung des Verbandes Berliner und Brandenburger Schulcaterer (VBBSC).Footnote 25 Dieser Boykott gab neben einer bereits seit längerem „schwelenden“ (Senatsverwaltung BJF, Berlin) Unzufriedenheit der Eltern mit der Essensqualität der Stadt Anlass, eine eigene Studie zu den Preisstrukturen in der lokalen Schulverpflegung bei den Autorinnen in Auftrag zu geben, die bereits die bundesweite Studie im Auftrag von DGE und BMEL erstellt hatten (Arens-Azevedo und Tecklenburg 2012). Auch dabei wurden für die Kalkulation der Personalkosten die „durchschnittlichen Tariflöhne“ für das Berliner Hotel- und Gaststättengewerbe der Jahre 2010/2011Footnote 26 zugrunde gelegt. Zugleich legte die Kalkulation deutlich höhere Wareneinstandskosten gemäß den Qualitätsstandards der DGE zugrunde.

Auf dieser Grundlage entschied sich die Stadt zur bereits beschriebenen grundlegenden Neuordnung des Vergabeverfahrens unter Vorgabe eines Festpreises, der zumindest im Grundschulbereich mit 3,25 € nahezu exakt dem damals empfohlenen bzw. kalkulatorisch ermittelten auskömmlichen Preis entsprach. Trotz einer damit verbundenen deutlichen Anhebung der Elternbeiträge (von 23 € auf 37 €) fand diese Erhöhung des Essenspreises auch die Zustimmung des Landeselternausschusses (LEA). Dabei dürfte auch eine Rolle gespielt haben, dass der Essenspreis von Seiten der Stadt mit 30 % subventioniert wurde; der Eigenanteil der Eltern also mit rechnerisch rund 2,28 € pro Essen immer noch niedriger lag als andernorts. Zudem wurde zugleich eine Stelle zur Qualitätskontrolle des Essens verankert (mit drei angestellten Ernährungsberater*innen), die die Essensqualität stichprobenhaft überprüft; auch das nach Auskunft des Vertreteres der Bildungsbehörde im Interview mit dem Ziel, die Zustimmung der Elternvertretungen zu sichern.

Dieser Tausch – höherer Essenspreis gegen höhere Dienstleistungsqualität – wäre natürlich auch denkbar gewesen, ohne zugleich auch höhere Löhne bei den Produzenten in das Paket aufzunehmen. Tatsächlich bildete sich aber im Vorwege der Entscheidung zumindest eine punktuelle Interessenkoalition zwischen Elternschaft (vertreten durch LEA und VNS) und Gewerkschaft, die die Paketlösung begünstigte, wie beide Seiten im Interview berichten.Footnote 27 Die Unterstützung von LEA und der regionalen VNS war dabei insofern wichtig, als diese über den Facharbeitskreis bei der Senatsverwaltung BJF auch fest in die formale Entscheidungsfindung rund um die Erstellung der Musterausschreibungsunterlagen eingebunden waren, anders als die Gewerkschaft und VBBSS. Das Ergebnis entsprach so einem breit getragenen Konsens. Auch die im VBBSC zusammengeschlossenen Catering-Unternehmen bewerteten den Festpreis laut Auskunft des interviewten Vertreters bei seiner Einführung als auskömmlich und begrüßten die Deckelung des Preises nach unten.

Der Fall BERLIN ist allerdings nicht nur ein Beispiel für einen Interessenausgleich, der die Interessen aller beteiligten Parteien, sowohl auf Seiten der Konsumenten wie auch auf Seiten der Produzenten, berücksichtigt. Vielmehr ist er auch ein Beispiel dafür, wie der Effekt einer solchen Konsensbildung verpuffen kann, durch ein Zusammenspiel aus mehreren Ursachen:

  • Zum einen findet dieser Konsens keine Entsprechung in den traditionellen Arenen des Interessenausgleichs: Die Cateringunternehmen nehmen diese Preiserhöhung in den Folgejahren nicht zum Anlass, dem Arbeitgeberverband (DEHOGA) beizutreten und sich selbst damit an Tariflöhne zu binden; entsprechende Aufforderungen von Seiten der NGG bleiben ohne Wirkung, wie der NGG-Vertreter im Interview berichtet. Trotz einer Interessenüberschneidung beim Punkt Essenspreis gab es zudem keinen Austausch und kein koordiniertes Vorgehen zwischen Gewerkschaft und Cateringunternehmen; dies bestätigt auch der VBBSC im Interview. Stattdessen habe man sich bemüht, mit Pressearbeit und im direkten Kontakt mit Landeselternvertretung und politischer Ebene (Senat) die Interessen der Mitgliedsunternehmen geltend zu machen. Aus Sicht des interviewten NGG-Vertreters blieb damit die Chance ungenutzt, mit Unterstützung der NGG tarifliche Strukturen für den Bereich der Schulverpflegung einzuziehen und dadurch auch eine bessere Verhandlungsposition gegenüber der Politik aufzubauen. Die fehlende Tarifbindung dürfte ein Teil der Erklärung sein, warum in den Folgejahren eine tarifliche Entlohnung des Personals als Orientierungsmarke auch für die Verwaltung an Bedeutung verliert.

  • Zudem trägt zur nachlassenden Bindungskraft des Konsenses eine Besonderheit des Berliner Verfahrens bei, die als handwerklicher Fehler zu bezeichnen ist und die die Zurückhaltung der Schulcaterer in punkto Tarifbindung wenigstens partiell auch erklären mag: Der Festpreis wurde per Gesetz festgelegt, dabei jedoch versäumt, ein Verfahren zur Anpassung des Festpreises an steigende Personal-, Energie- und Lebensmittelkosten vorzusehen. Preisanpassungsklauseln sind daher in den Verträgen nicht erhalten, und auch bei Neuausschreibungen haben die Bezirke als ausschreibende Stellen keine Möglichkeit, den Festpreis zu erhöhen, weil dieser per Gesetz fixiert ist. Die Neuausschreibung in der zweiten Ausschreibungsrunde im Jahr 2017 erfolgt daher auf Basis des unveränderten Festpreises von 3,25 € in Grundschulen. Der VBBSC hatte nach eigenen Angaben zuvor das Gespräch mit der Senatorin für Bildung, Jugend und Familie gesucht, um auf die notwendige Änderung des Festpreises im Schulgesetz hinzuwirken, dies blieb allerdings erfolglos.

Auch die nachfolgende rechtliche Auseinandersetzung belegt, dass der ursprüngliche Konsens möglicherweise nur oberflächlich oder fragil war, jedenfalls bereits wenige Jahre später bröckelt. Ein Mitgliedsunternehmen des VBBSC legt im Jahr 2017 Beschwerde bei der Vergabekammer ein und fordert eine Anhebung des Preises um 10 Cent, sowie generell die Einführung einer Preisanpassungsklausel. Es unterliegt damit jedoch.Footnote 28 Als Gründe machen der beklagte Bezirk und die Vergabekammer dabei unter anderem geltend, dass der kalkulatorische Preis von 3,25 € noch Puffer enthalte, weil bei der Kalkulation des Preises nicht Mindestlöhne, sondern Tariflöhne zugrunde gelegt worden seien; eine Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns (auf 8,84 €) sei damit faktisch bereits eingepreist. Dieser Argumentation schließen sich im Interview auch die VNS und die LEA an. Allerdings ergibt ein genauerer Blick in die ursprüngliche Studie, dass bei dem früheren Kalkulationspreis lediglich ein tariflicher Stundenlohn von 8,57 € für Hilfskräfte – die der Studie zufolge um 70 % des Personals ausmachen – zugrunde gelegt wurde (Arens-Azevedo und Tecklenburg 2012; Anhang 4). Entsprechend würde bereits die in der Vertragslaufzeit (2017–2020) noch zu erwartende Erhöhung des Mindestlohnes eine Preisanhebung in etwa der geforderten Höhe rechtfertigen,Footnote 29 dies spielt in der Argumentation jedoch keine Rolle. Die Höhe der aktuellen Tariflöhne im Jahr 2017 (Hilfskräfte: 9,72 €; Fachkräfte ab 2. Berufsjahr: 12,65 €), oder gar die noch zu erwartenden Tariflohnsteigerungen im Vertragszeitraum 2017–2020, werden erst recht von keinem der Beteiligten als maßgeblicher Indikator herangezogen – schließlich hatte auch das klagende Unternehmen sie mangels Anwendung im eigenen Betrieb gar nicht erst als Argument angeführt.

Im Ergebnis bleibt der Preis in der zweiten Ausschreibungsrunde damit anders als in der ersten Runde deutlich unter dem von der wissenschaftlichen Expertise gestützten kalkulatorischen Preis (siehe Tab. A-9-1 im Anhang.). Dieses Muster wiederholt sich auch in der drauffolgenden Ausschreibungsrunde: Mit der Novellierung des Vergabegesetzes im Jahr 2019 und der beträchtlichen Anhebung des Berliner Vergabemindestlohns auf 12,50 € ab dem Jahr 2020 steht auch die Festlegung der Höhe des Essenspreises wieder auf der Agenda. Mit 4,09 € ab August 2020 (Bio-Anteil von 30 %) bzw. 4,36 € ab 2021 (Bio-Anteil von 50 %) macht er noch einmal einen deutlichen Sprung. Durch die zwischenzeitlich beschlossene vollständige Kostenübernahme durch die Stadt ist ein potenzieller Konflikt mit den Elternvertretungen dabei entschärft. Das gilt aber nicht für den Konflikt mit der Seite der Produzenten. Weder Unternehmen noch Gewerkschaften werden von der Senatsverwaltung für die Berechnung des neuen Preises konsultiert.Footnote 30 Sowohl der Vertreter der NGG Berlin-Brandenburg als auch der Vertreter des Unternehmensverbands VDKSC halten den Preis auf Nachfrage im Interview im Ergebnis für zu gering veranschlagt. Tatsächlich liegt der neue Portionspreis auch in der dritten Ausschreibungsrunde immer noch deutlich unter dem kalkulatorischen Abgabepreis für das Jahr 2017/2018, der je nach Verpflegungsform zwischen 4,23 € und 4,64 € beträgt (siehe Tab. A-9-1 im Anhang A-9). Zudem kritisiert der Schulcaterer-Verband, dass die Caterer nicht mehr nach Anzahl der gelieferten, sondern nach Anzahl der tatsächlich gegessenen Portionen bezahlt werden – eine weitere preispolitische Entscheidung, die aus Sicht des Verbands einer unzulässigen Risikoverlagerung an die Caterer gleichkommt und die Preisanhebung relativiert.

Der Fall BERLIN steht somit insgesamt für vielerlei: für eine in dieser Art seltene, explizite Abwägung verschiedener Interessen, die am ehesten in die Nähe von ‚Quasi-Tarifverhandlungen‘ rücken; für die stützende Wirkung wissenschaftlicher Expertise (in Gestalt der KuPS-Studien) zugunsten angemessener Preise; für eine beachtliche Bandbreite von neuartigen Aktivitäten im neuen Experimentierraum, mit denen sich sowohl Gewerkschaften (Lobbying, Netzwerkbildung, Pressearbeit) als auch der Unternehmensverband (Klage vor Vergabekammer, Lobbying, Pressearbeit) in die Ausgestaltung von Musterausschreibungsunterlagen und die Festlegung angemessener Preise einmischen; für eine ebenso seltene gelungene Konsensbildung zwischen allen beteiligten Parteien rund um die Neuordnung der Vergabeprozesse im Jahr 2013, die das Ende einer extremen Sparpolitik der Stadt zulasten von Essensqualität und Arbeitsbedingungen einleitet; aber schließlich auch für den vorläufigen und fragilen Charakter dieser Konsensbildung und die verpuffte Wirkung für die Arbeitsbedingungen, zumindest vorläufig. Letzteres liegt zu einem guten Teil auch am anhaltenden Ressourcenmangel der Gewerkschaft sowie dem fehlenden Kooperationswillen der Unternehmensseite, die günstigen Rahmenbedingungen, die mit der Neuordnung von politischer Seite geschaffen werden, als Impuls für eine Stärkung traditioneller Formen des Interessenausgleichs zu nutzen.

4.2 Sicherheitsdienstleistungen: Kalkulationsvorgaben mit Signalwirkung

Anders als in der Schulverpflegung werden Preise in der Sicherheitsbranche nicht vorgegeben, sondern üblicherweise im Wettbewerb ermittelt. Auch hier müssen Kommunen jedoch eingehende Angebote daraufhin überprüfen, ob sie ein „ungewöhnlich niedriges Angebot“ im Sinne von § 60 VgV darstellen, das im Zweifelsfall vom Wettbewerb auszuschließen ist. Aufgrund der hohen Tarifbindung der Unternehmen durch die Allgemeinverbindlichkeitserklärungen ist zwar klar geregelt, dass Unternehmen ihrer Preiskalkulation die einschlägigen Tarifwerke zu zugrunde legen müssen. Es gibt hier aber auch einige Unklarheiten, welche Bestandteile (Zuschläge für Mehrarbeit, die Arbeit nachts sowie an Sonn- und Feiertagen; ggf. Lohnzulage für den Einsatz in Flüchtlingsunterkünften) genau einzubeziehen sind. Zudem hegen die Kommunen berechtigte Zweifel mit Blick auf die in dieser Branche tätigen ‚schwarzen‘ oder ‚grauen Schafe‘ unter den Anbietern, ob hier nicht trotzdem Angebote eingereicht werden, die mit untertariflichen Löhnen tarifgebundene Unternehmen zu unterbieten versuchen.

Daher ist es in den Fallstudien-Kommunen (und nach unserer Auswertung zahlreicher weiterer Vergabeunterlagen (siehe Anhang A-5) auch darüber hinaus) eine übliche Praxis, bereits den Ausschreibungsunterlagen als Kalkulationshilfen detaillierte Preisblätter beizulegen, mit denen die Bieter aufschlüsseln sollen, wie sich ihr Stundenverrechnungspreis zusammensetzt. Sie disziplinieren die Bieter damit in gewisser Weise zu einer sauberen Kalkulation auf Basis von Tariflöhnen, was offenbar keine Selbstverständlichkeit ist, wie D-BRÜCK erfährt: Mit der Änderung der Vergabestrategie ist man hier kurz vor dem Untersuchungszeitpunkt erstmals dazu übergegangen, bei den Bietern eine detaillierte Preiskalkulation abzufragen, die nicht nur sämtliche lohnabhängige (u. a. Tariflohn, Zuschläge, Sozialversicherungsabgaben), sondern auch auftrags- und unternehmensbezogene Kosten (u. a. Qualifizierung und Weiterbildung, Ausstattung des Personals, Verwaltungskosten, Wagnis und Gewinn) abbildet. Die Bieter hätten zum Teil große Schwierigkeiten damit gehabt, dies alles offenzulegen; überhaupt sei ihnen sogar die Anfertigung der Detailkalkulation schwergefallen, so das Fachamt.

Längere Erfahrungen haben hier die anderen untersuchten Kommunen; und wieder ist es A-BURG, das eine ‚perfektionistische‘ Herangehensweise am den Tag legt: Um jedes Angebot zu prüfen und nachzurechnen, wurde hier ein Raster entwickelt, mit dem Wirtschaftlichkeit und Angemessenheit des Angebotspreises geprüft werden. Angebote, die mindestens 60 % auf den tariflichen Grundlohn aufschlagen, werden demnach als seriös bewertet. Bieter, die mit weniger als 60 % Aufschlag kalkulieren, bittet man um Aufklärung. Im Zweifel werden diese Angebote ausgeschlossen, um den Wettbewerb nicht ins Bodenlose treiben zu lassen. Bei Bieterbeschwerden habe die Vergabestelle dies immer verdeutlicht, weshalb bislang niemand vor die Vergabekammer gezogen sei:

„Da ging es halt um die Kalkulation, wo ich gesagt habe: ‚Ich will keinen Fünfjahresvertrag, wo null Wagnis und Gewinn in den Unternehmenskosten drinsteht‘. Und solche Fälle habe ich drei-, vier-, fünfmal gehabt. (…) – ‚Dann gehen wir vor die Vergabekammer‘. Sagte ich: ‚Das könnt ihr schon machen‘. Haben es dann aber nicht gemacht. Wir hätten verloren.“ (Vergabestelle A-BURG)

Allerdings lässt sich der Unterbietungswettbewerb und ein langsamer Preisverfall damit nach den Erfahrungen in A-BURG auf längere Sicht nicht unterbinden, da die Unternehmen im Hinblick auf die unternehmensbezogenen Kosten niedrige Werte ansetzen und der Richtwert für den Aufschlag dadurch sukzessive gesunken sei:

„Natürlich unterbieten sich die Firmen immer gegenseitig. Im Bereich Unternehmenskosten sind die Firmen ja relativ frei. Da haben wir das Problem: Im Prinzip kann eine Firma sagen: ‚Meine anderen Aufträge laufen so gut, dass meine Verwaltung komplett von anderen Aufträgen bezahlt ist. Ich setze hier null ein.‘ (…) Früher waren wir bei 65 % Aufschlag, dann bei 63, dann bei 59, und da versuchen die natürlich immer irgendwo zu drehen.“ (Vergabestelle A-BURG)

Dass hier keine absoluten Grenzen gesetzt werden können, die diesen Verfall aufhalten, liegt an rechtlichen Restriktionen. Tatsächlich ist der Ausschluss von Angeboten unterhalb bestimmter Mindestaufschläge vergaberechtlich problematisch, wie mehrere Urteile von Vergabekammern und GerichtenFootnote 31 zeigen. Das gilt auch für die Mindestaufschläge der Zollverwaltung (Bundesfinanzdirektion West), die als zuständige Stelle für die Kontrolle der gesetzlichen Branchenmindestlöhne eine Berechnungsgrundlage benötigte und hierfür im Falle der Gebäudereinigungsbranche einen Aufschlag von 70 % auf den allgemeinverbindlichen Lohn als Untergrenze ansetzte, die es erlaubt, die lohnabhängigen Kosten zu erwirtschaften. Entsprechende Vergabeverfahren, die auf Basis dieser Untergrenze Angebote ausschlossen, wurden jedoch für unzulässig erklärt, etwa, weil dem Bieter keine Gelegenheit gegeben wurde, den niedrigen Preis auf Nachfrage zu begründen (Huland 2012; Herten-Koch 2014). Dies deckt sich mit Urteilen auch in ähnlich gelagerten Fällen im Bereich der Sicherheitsdienstleistungen, die den auftraggebenden Stellen detaillierte Prüfungspflichten zur Auflage machen, bevor sie ein Angebot ausschließe dürfen.Footnote 32

Die Kommunen bewegen sich insofern bei der Anwendung von Stundenverrechnungssätze in einer rechtlichen Grauzone. Wie ein juristischer Kommentar zu einem der Urteile als „Praxistipp“ resümierend festhält, stehen Auftraggeber hier vor dem Problem, dass sie

„plausibel und möglichst durch Fakten unterlegt, einen Ausschluss wegen zu niedriger Stundenverrechnungssätze und damit prognostisch einhergehender Mindestlohnunterschreitungen zu begründen [haben], ohne gleichzeitig tatsächlichen Einblick in die maßgeblichen Unternehmenskennzahlen zu haben. (…) Letztlich dürfte das Dilemma für den öffentlichen Auftraggeber nur dadurch lösbar sein, dass er quasi den Spieß umdreht und dem Bieter einen möglichst detaillierten Fragenkatalog zu den Stundenverrechnungssätzen sowie zu den sich hieraus auf die Wahrung der Mindestlöhne ergebenden Konsequenzen übermittelt und die Beantwortung dieser Fragen ebenso wie seine hieraus gezogenen Schlüsse hinreichend detailliert dokumentiert.“ (Herten-Koch 2014)

Ob angeregt durch diesen Praxistipp oder nicht, erscheint das Vorgehen in A-BURG mit seinen sehr detaillierten Kalkulationsblättern recht nah dran an dieser Lösungsstrategie. Die Preisblätter setzen somit ein Signal, das die Bieter dazu anhält, keine unterpreisigen Angebote abzugeben, und bei Nichtbeachtung implizit mit Ausschluss, zumindest aber mit einer vertieften Prüfung droht.

Die Rechtsprechung und die geschilderte Praxis in A-BURG führen vor Augen, dass die Berechnung von ‚gerechten‘ Preisen ein relevantes Aushandlungsfeld darstellt, auf dem im Übrigen auch weitere externe Akteure tätig sind, ähnlich wie im Fall des Schulcaterings. In der Sicherheitsbranche hat der Arbeitgeberverband BDSW entsprechende Berechnungen für faire bzw. „seriöse“ Stundenverrechnungssätze angestellt, ähnlich wie die Zollverwaltung für die Gebäudereinigung. Da es in der Sicherheitsbranche bereits vor Einführung des allgemeinen Mindestlohnes in einzelnen Bereichen auch Branchenmindestlöhne nach dem Arbeitnehmerentsendegesetz gab, fand hierzu auch ein Austausch mit dem Zoll zur Frage statt, welcher Stundenverrechnungssatz als Indikator für eine „seriöse Kalkulation“, also die Einhaltung gesetzlicher Lohnvorschriften zu gelten hätte. Dabei galt es zugleich, vergaberechtliche Klippen zu vermeiden, wie ein Vertreter der Geschäftsstelle des BDSW im Interview schildert:

„Und da kam der Zoll zunächst mal auf die Idee: Es könnte ja auch der Faktor 1,7 sein. Und da haben wir dem Zoll aber gesagt, das ist bei uns in der Sicherheitswirtschaft mit 111 Tätigkeiten, die wir haben, viel komplizierter als im Gebäudereinigerhandwerk, wo Sie sehr enge und begrenzte Dienstleistungen vorfinden. Und deshalb haben wir gesagt, können wir nur eine Rahmengröße, eine Spanne angeben, und das wiederum ist abhängig von Bundesland zu Bundesland, vom Objekt, von dem Unternehmen, was sie da kalkulieren, und deshalb ist der Rahmen im Bereich 1,5 bis 1,75 bei uns in der Sicherheitswirtschaft anzusehen. Damit war der Zoll erst mal zufrieden.“ (BDSW Bundesverband, Geschäftsstelle)

Zwar haben diese Gespräche nicht unmittelbar etwas mit der öffentlichen Auftragsvergabe zu tun, sondern mit der Prüfung von Branchenmindestlöhnen allgemein. Dies strahlt aber auf die Preisermittlung bei der öffentlichen Auftragsvergabe aus, denn der BDSW stellt diese Orientierungsgrößen auf Nachfrage auch öffentlichen Auftraggebern zur Verfügung. Tatsächlich machen an diesem Punkt zumindest einzelne Kommunen – unter unseren Fallstudien nur A-BURG, wie oben geschildert – Gebrauch vom Wissen der Tarifakteure. Wie Bundesverband und Landesverbände von BDSW berichteten, kämen aber auch Anfragen von anderen Kommunen zu üblichen Stundenverrechnungssätzen und tariflichen Regelungen sowie zur grundsätzlichen Seriosität einzelner Anbieter.

„Aber danach wird natürlich immer wieder gefragt: „Wie ist denn das? Wann finde ich denn eine seriöse Kalkulation vor?“, fragen viele Auftraggeber, die bei uns anrufen. Und da haben wir gesagt: ‚So ein Orientierungswert ist schon immer dieser Faktor 1,7, also ein 70-%iger Aufschlag auf den nackten Lohn, auf den Stundengrundlohn. Da sind Sie sicherlich dabei, eine seriöse Dienstleistung vorzufinden.‘“ (BDSW Bundesverband, Geschäftsstelle)

Auch wenn hier also kein gerichtsfester Standard für einen angemessenen Preis vorliegt, wird damit den Vergabestellen zumindest ein Prüfmaßstab an die Hand gegeben, der den Ausschluss unterpreisiger Angebote erleichtert, und im besten Fall darüberhinaus bereits im Vorfeld abschreckende Wirkung auf ‚unseriöse‘ Anbieter entfaltet. Enge rechtliche Grenzen und ihre restriktive Auslegung durch die Rechtsprechung mindern aber ihre Wirkung. Im Vergleich zur Preisermittlung in der Schulverpflegung fällt auf, dass der Unternehmensverband hier aktiv von staatlicher Seite bei der Ermittlung angemessener Stundenverrechnungssätze konsultiert wird. Das liegt auch daran, dass hier Voraussetzungen erfüllt sind, die im Schulcatering fehlen, nämlich zum einen, dass sich dieser Unternehmensverband eben auch als Tarifpartner versteht und sich dadurch als Gesprächspartner qualifiziert; und zum zweiten, dass es überhaupt allgemeinverbindliche Tarifverträge gibt, deren Kontrolle (teilweise) dem Zoll obliegt. Erneut also schlägt hier der Unterschied zwischen den beiden Branchen in Hinblick auf die Strukturen in den traditionellen Arenen der Interessenvermittlung zu Buche.

5 Vergabepraktiken, Aushandlungs- und Lernprozesse zu Arbeitszeit und Einsatz von Subunternehmen

Nicht nur auf lohn- und tarifpolitische Aspekte in den beauftragten Unternehmen haben die Entscheidungen der öffentlichen Auftraggeber faktisch Einfluss, sondern auch auf weitere Arbeitsbedingungen. Sehr vereinzelt reflektieren die auftraggebenden Stellen in den Fallstudien-Kommunen diesen Einfluss und versuchen ihn gezielt im Sinne der Beschäftigten zu nutzen. Die folgenden Ausführungen beleuchten insbesondere arbeitszeitbezogene Aspekte sowie den Umgang mit Subunternehmen. Erneut sind in Bezug auf beide Aspekte entsprechende Bemühungen bei der Vergabe von Sicherheitsdienstleistungen stärker ausgeprägt als bei der Vergabe von Schulverpflegungsleistungen; bei Letzteren ist dies so gut wie nicht existent. Die Erklärung für diesen Unterschied ist, anders als im Falle der lohn- und tarifpolitischen Aspekte, weniger bei unterschiedlich starken Impulsen externer Akteure (Zoll, Unternehmensverbände) zu suchen. Vielmehr macht sich hier erneut bemerkbar, dass die Vergabeverantwortlichen in diesem Segment in stärkerem Maße einen positiven funktionalen Zusammenhang zwischen Arbeitsbedingungen und Qualität der Dienstleistung herstellen (s. Kap. 7). Dies hat vermutlich auch mit dem stärker personengebundenen Charakter der Dienstleistung zu tun; mittelbar dürfte dies aber partiell auch Resultat der entsprechenden Lobbyarbeit des Arbeitgeberverbandes in der Sicherheitsbranche sein.

5.1 Arbeitszeit: Kundenbedarfe versus Beschäftigtenbedarfe

In Hinblick auf die Arbeitszeit tritt über verschiedene Branchen hinweg immer wieder ein Spannungsverhältnis auf zwischen Kundenbedarfen und den Präferenzen von Beschäftigten hinsichtlich Umfang, Lage und Planbarkeit der Arbeitszeit. Dies ist in der Privatwirtschaft nicht anders als im Bereich öffentlich finanzierter Dienstleistungen. Dort, wo die Kundenseite aus Einzelpersonen besteht, wie etwa im Falle eines Ladengeschäfts, ist es dem Anbieter innerhalb der gesetzlichen und ggf. tariflichen Bestimmungen selbst überlassen, ob und wie er Kundenbedarfe und Beschäftigtenbedarfe ausbalanciert. Wo die Kundenseite hingegen aus öffentlichen Auftraggebern besteht, enthalten die Ausschreibungsunterlagen und die darauf basierenden Verträge zum Teil sehr detaillierte Vorgaben, die die zeitbezogenen Kundenbedarfe unilateral fixieren. Entscheidungen zur Arbeitszeitorganisation sind somit dem Anbieter faktisch entzogen; er teilt sich diese Verantwortung mit dem Kunden.

Auf den ersten Blick erscheint dies auch kaum vermeidbar: Die Ausgabe von Schulmittagessen bedarf nun einmal der Anwesenheit von Personal in einem klar definierten und beschränkten Zeitfenster, und Sicherheitsdienstleistungen werden synchron zu den Öffnungszeiten öffentlicher Einrichtungen benötigt – im Falle der Flüchtlingsunterkünfte ist dies eben oftmals rund um die Uhr. Gleichwohl gibt es jenseits solcher unverrückbaren zeitlichen Erfordernisse durchaus Gestaltungsoptionen, die sich auch an den Bedarfen von Beschäftigten orientieren können. Ein besonders weitreichendes Beispiel ist hier etwa die Initiative für Tagesreinigung in öffentlichen Gebäuden der Stadt Hamburg.Footnote 33 Die in der Gebäudereinigungsbranche lange Zeit als unvermeidbar angesehene Praxis, die Gebäudereinigung auf die frühen Morgen- oder späten Abendstunden zu legen, also außerhalb der üblichen Nutzungszeiten von Gebäuden, wird hier zugunsten sozialverträglicherer Arbeitszeiten für die Reinigungskräfte aufgegeben.

Wegen der damit verbundenen Eingriffe in die Ablauforganisation auf Seiten sowohl der Anbieter als auch der ‚Kunden‘ bzw. Bedarfsträger (u. a. öffentliche Schulen) erzeugt dies allerdings erhebliche Koordinationsbedarfe und setzt einen entsprechend starken Gestaltungswillen der Behörde voraus. Ähnlich grundlegende Interventionen ließen sich für die beiden hier betrachteten Branchen in den Fallstudien-Kommunen nicht feststellen. Dabei gibt es hier durchaus problematische arbeitszeitbezogene Aspekte. Im Falle der Schulverpflegung ist dies das geringe Stundenvolumen von Beschäftigten, die vor Ort für die Aufbereitung und Ausgabe des Essens zuständig sind, sowie die langen unbezahlten Freistellungen in den Schulferien.Footnote 34 Nach Angaben der befragten Catering-Unternehmen decken sich die unbezahlten Ferien und auch das geringe Stundenvolumen zumeist mit den Präferenzen der überwiegend weiblichen Beschäftigten, insbesondere wenn sie Kinder im schulpflichtigen Alter haben und finanziell anderweitig abgesichert sind. Eine unabhängige Erhebung zu den Präferenzen der Beschäftigten war im Rahmen der Studie nicht möglich. Selbst wenn diese Einschätzung zutrifft, bedeutet dies allerdings zunächst nur, dass sich das Stellenangebot in den Ausgabeküchen auf das traditionelle, institutionell durch Ehegattensplitting und geringfügige Beschäftigung abgesicherte Zuverdiener-Modell stützt und somit allenfalls für einen begrenzten Kreis von Beschäftigten attraktiv ist.

Zumindest in Bezug auf das Stundenvolumen bietet sich den Unternehmen etwas mehr Gestaltungsspielraum, wenn neben der Mittagessensverpflegung auch der Betrieb eines Schulkiosks mit längeren Öffnungszeiten ausgeschrieben wird. Dies ermögliche es den Betrieben, die Ausgabekräfte für ein längeres Zeitfenster an der Schule einzusetzen. Über weitergehende behördenseitige Interventionen, die eine solche Bündelung von Tätigkeiten gezielt unterstützen oder mit den Schulen und Unternehmen darüber in den Dialog treten, wurde in den Fallstudien-Kommunen nicht berichtet. In den Ausschreibungsunterlagen anderer Kommunen, die wir im Rahmen einer umfassenderen Datenbankauswertung gesichtet haben (s. Anhang A-5), fand sich vereinzelt allerdings die Aufforderung an Bieter, nur sozialversicherungspflichtige Beschäftigte einzusetzen. Diese Aufforderungen lassen sich zwar als Indiz interpretieren, dass auf Behördenseite durchaus ein Problembewusstsein vorhanden ist. Der Effekt solcher Forderungen dürfte allerdings begrenzt sein. Denn zum einen bleibt ihr rechtlicher Status meist unklar: So wird in den Leistungsbeschreibungen, Angebotsaufforderungen oder in ‚Allgemeinen Vorgaben‘ zwar festgehalten, dass der Auftragnehmer den Einsatz sozialversicherten Personals zu gewährleisten habe. Aus den Unterlagen ist jedoch nicht ersichtlich, dass dies durch entsprechende Verpflichtungserklärungen oder vertragliche Klauseln zu einer zwingenden Ausführungsbestimmung oder zum Ausschlusskriterium erhoben wird. Möglicherweise schlagen sich in diesen etwas vagen Bestimmungen auch behördenseitige Zweifel nieder, ob diese Auflage vergaberechtlich zulässig ist. Zumindest waren solche Auflagen vor der Vergaberechtsreform durch die Rechtsprechung mit Verweis auf den fehlenden ‚sachlichen Zusammenhang‘ mit dem Auftragsgegenstand als unzulässige Wettbewerbseinschränkung eingestuft worden, weil sich ein positiver Einfluss der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung auf Zuverlässigkeit und Qualität der Leistung nicht begründen lasse,Footnote 35 im Gegenteil ein geringes Stundenvolumen sogar eine höhere Qualität (wegen geringere Ermüdung der Beschäftigten (sic!)) erwarten lasse.Footnote 36 Der ‚sachliche Zusammenhang‘ ist wie in Kap. 4 erläutert spätestens seit der Vergaberechtsreform nicht mehr erforderlich; gleichwohl ist denkbar, dass in der Praxis weiterhin Unsicherheit über die Auslegung des notwendigen ‚Bezugs zum Auftragsgegenstands‘ besteht.

Neben der mangelnden Verbindlichkeit der Auflagen zu sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung widersprechen die übrigen Vorgaben in den gesichteten Ausschreibungsunterlagen aber mitunter auch solchen Forderungen – etwa wenn, wie in einem Fall, ein wöchentlicher Arbeitszeitumfang von lediglich 6 Stunden für eine Küchenkraft vorgegeben wird.Footnote 37 Die Ausschreibungen schaffen mithin nicht selbst die Voraussetzungen für sozialversicherungspflichtige Tätigkeiten im Rahmen des Auftrags, sondern tragen implizit dem Anbieter die Aufgabe auf, durch Kombination mit anderen Aufträgen entsprechende Arbeitsverhältnisse zu schaffen. Derartige Forderungen erfüllen insofern eher vordergründig legitimatorische Zwecke, insofern sie der Norm des ‚Guten Auftraggebers‘ schriftlich dokumentiert Rechnung tragen, dies jedoch kaum selber durch Anpassungen der Nutzerwünsche unterstützen. Das Beispiel verdeutlicht, dass auch die vergaberechtliche Öffnung zugunsten sozialer Kriterien – hier die Möglichkeit, sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zur Auflage zu machen – für sich genommen nicht unbedingt ausreicht, um effektive Hürden für gute Arbeitsbedingungen abzubauen, sondern dass es gerade mit Blick auf die Arbeitszeit auch der Konzessionsbereitschaft auf Nutzerseite und der Koordination zwischen Anbietern und Nutzern bedarf.

Solche Anpassungen auf Seiten der öffentlichen Nutzer zugunsten der Beschäftigten externer Dienstleister erfordern allerdings nicht nur vertiefte Einblicke in die Ablauforganisation auf beiden Seiten, sondern bedürfen auch erheblicher Überzeugungsarbeit seitens der Vergabestellen; oder aber entsprechender politischer Impulse von übergeordneten Stellen.

Dies illustriert auch das Vorgehen in A-BURG im Bereich der Sicherheitsdienstleistungen: Der Mitarbeiter der Vergabestelle erlebt bei der Entscheidung über den zeitlichen Dienstleistungsumfang für Sicherheitstätigkeiten häufiger den Interessenskonflikt, selbst ‚Guter Auftraggeber‘ sein zu wollen, dabei aber das Budget der Bedarfsstellen (Ämter, Träger von Einrichtungen) nicht aus dem Blick zu verlieren. Da diese ihr Budget selbst verwalten, sind sie an einer möglichst engen Kopplung von Bewachungszeiten an die Gebäudeöffnungszeiten interessiert. Hier komme es häufiger zu Aushandlungsversuchen ‚hinter dem Vertrag‘, in denen der Vergabeverantwortliche um einen auskömmlichen Bewachungsumfang ringt:

„Ich bin nach wie vor der Meinung: Wenn Sie Qualität haben wollen, eine gute Leistung (…), dann muss ich als Auftraggeber gucken, dass der Wachmann möglichst zehn Stunden beschäftigt ist. (…) Weil, Sie haben ein Riesenproblem, wenn der Wachmann dann kommen soll und dann tatsächlich nur sechseinhalb Stunden beschäftigt ist. Der bleibt Ihnen nicht. (…) Wir müssen als Auftraggeber auch schauen, dass die Voraussetzung für die Firmen und auch die Mitarbeiter entsprechend gegeben ist. Und der Mitarbeiter will halt zehn Stunden arbeiten und nicht nur sechs. Da kämpfe ich leider nicht so erfolgreich, wie ich es mir wünsche.“ (Vergabestelle, A-BURG)

Das Zitat veranschaulicht zugleich, dass solche Bemühungen um eine Koordination von Kunden- und Beschäftigtenbedarfen in hohem Maße von der Einsicht in einen positiven Nutzen für die Qualität der Dienstleistung getragen werden. In diesem Fall ist es der Fachkräftemangel in der Branche, der eine arbeitnehmerorientierte Arbeitszeitgestaltung aus Sicht der Vergabestelle in A-BURG erforderlich macht, um Qualität in Form „guter Leistung“ und personeller Kontinuität sicherstellen zu können.

Ein mehrfach von Gewerkschaften und Branchenexpert*innen für Sicherheitsdienstleistungen thematisiertes Problem stellen zudem die Pausenzeiten dar, die angesichts der oft überlangen Arbeitszeiten von besonderer Bedeutung sind. Hier komme es häufig zu arbeitszeitrechtlichen Verstößen, weil die Verträge üblicherweise eine durchgehende Präsenz des Personals im vertraglich zugesicherten Umfang einfordern, und die Unternehmen somit eine Pausenablösung in die jeweils von ihr betreuten dezentralen Liegenschaften entsenden müssten. Dieser Umstand bleibt in den Verträgen der Kommunen in der Regel unerwähnt und der personalpolitische Umgang der Auftragnehmer somit ein „blinder Fleck“, wie es ein interviewter Sicherheitsberater feststellt:

„Das Thema Pausen und Sicherheitsgewerbe ist ein ganz, ganz blinder Fleck. Ja, es ist teilweise operativ schwierig, das Pausenrecht umzusetzen, aber das Pausenrecht ist halt nichts, was ich bei Sonnenschein und Rückenwind zu beachten habe, sondern es ist ein extrem starkes Arbeitnehmerrecht. Und es wird häufig nicht beachtet. (…) Natürlich, wenn ich in Anführungsstrichen ‚ohne Not‘ in der Ausschreibung Pausenzeiten einkalkuliere, dann falle ich hinten runter, weil ich dann teurer bin als ein Wettbewerber.“ (private Beratungsfirma 1)

Hingegen findet die Pausengestaltung in den Vergabeunterlagen von A-BURG explizit Berücksichtigung. So wird darauf hingewiesen, dass die gesetzlich vorgeschriebenen Pausen einzuhalten und im Wachbuch genau zu dokumentieren sind. Um den Dienstbetrieb mit dem vertraglich fixierten Personalschlüssel von zwei Sicherheitskräften aufrecht zu erhalten, müsse der bzw. die zweite Mitarbeiter*in auch in der Pausenzeit im Notfall erreichbar und schnellstmöglich verfügbar sein – die Pausenzeit wird hier also gewissermaßen zur Bereitschaftszeit deklariert. Die Pause wird daher durch den Auftraggeber vergütet – im Wortlaut: „Die Pause wird bezahlt und muss der Sicherheitskraft vergütet werden“ (Hervorhebung im Original). In dieser Deutlichkeit sind die Unterlagen im Nachgang unserer Untersuchung nochmals angepasst worden, da es offenbar bei den beauftragten Unternehmen Unklarheiten darüber gegeben hatte, wem diese Vergütung zukommt.

Auch dieses letzte Beispiel unterstreicht, dass die Verantwortung für die Arbeitszeitorganisation der Beschäftigten faktisch zwischen Anbieter und Nutzern der Dienstleistung geteilt ist. Ohne klare Vorgaben und konkrete Vorschläge, wie Beschäftigtenrechte bei der Umsetzung von mitunter zeitlich anspruchsvollen Nutzerbedarfen gewahrt werden können, ist dies gerade in Wirtschaftsbereichen ohne funktionierende Interessenvertretungen auf Beschäftigtenseite kein Selbstläufer, auf den die Auftraggeber vertrauen können. Ausweislich der Fallstudien scheint es bislang aber eher die Ausnahme zu sein, dass die Nutzer (bzw. die stellvertretend für sie handelnden Vergabestellen) sich wie im obenstehenden Fall an der Suche nach praktikablen und beschäftigtenfreundlichen Lösungen beteiligen. Eher ist es üblich, dass diese Aufgabe vollständig an die beauftragten Firmen delegiert wird; und dies selbst wenn es den Vergabeverantwortlichen zum Teil durchaus bewusst ist, dass die Firmen mangels Gegenwehr von ihren Beschäftigten wenig Anreize besitzen, deren Rechte und Bedarfe zu berücksichtigen.

5.2 Einsatz von Subunternehmen: Lernprozesse im engen rechtlichen Rahmen

Der Einsatz von Subunternehmen ist sowohl im Rahmen öffentlicher wie auch privatwirtschaftlicher Auftragsvergabe eine Praxis, die unter dem Aspekt der Arbeitsbedingungen branchenübergreifend seit langem in der Kritik steht, weil Arbeitsbedingungen hier oft besonders prekär sind und es gehäuft zu arbeits- und tarifrechtlichen Verstößen kommt (Siebenhüter 2014; Weil 2019; Bosch et al. 2019; Hertwig und Wirth 2021). Sowohl in Deutschland wie auch in anderen europäischen Ländern hat es daher wiederholt Ansätze gegeben, den Einsatz von Subunternehmen bei öffentlichen Aufträgen zu verbieten oder zumindest zu beschränken – beispielsweise auf einen bestimmten Anteil am Gesamtvolumen des Auftrags, oder auf eine maximale Anzahl an vertikalen Ebenen in der Subunternehmer-Kette zu beschränken (für Belgien z. B. Marique und Wauters 2018).

Allerdings setzen das europäische und entsprechend auch das deutsche Vergaberecht einer solchen Einschränkung enge Grenzen (Deutscher Bundestag 2018), unter anderem mit dem Ziel, die Beteiligung kleiner und mittlerer Unternehmen auch an Großaufträgen zu ermöglichen. So befanden mehrere EuGH-Urteile Regelungen etwa in Italien oder Polen für unzulässig, die den Teil des Auftrags, den der Bieter als Unterauftrag an Dritte vergeben darf, auf einen bestimmten Prozentsatz des Auftragswerts beschränkten.Footnote 38 Allenfalls kann der Auftraggeber für vorab zu bestimmende „kritische Aufgaben“ eine Selbstausführung durch den Bieter verlangen (§ 47 Abs. 5 VgV). Diese explizite Ausnahme ist erst auf der Basis eines entsprechenden Passus in der neuen Europäischen Vergaberichtlinie in das deutsche Gesetz aufgenommen worden, stellt insofern eine gesetzliche Öffnung bzw. eine Kodifizierung der ähnlich lautenden vorherigen Rechtsprechung dar; zuvor enthielt das Gesetz keine entsprechende explizite Regelung. Allerdings ist im Gesetz nicht begrifflich definiert, welche Dienstleistungen als ‚kritische Aufgaben‘ definiert werden dürfen. Diese Klärung fiel nach der Vergaberechtsreform mithin Rechtskommentaren (u. a. Summa 2016; Stolz 2018) und Rechtsprechung zu (u. a. OLG Rostock, Beschluss vom 23.04.2018, 17 Verg 1/18). Dabei hat sich sowohl in den Kommentaren als auch in den Urteilen von Vergabekammern und Gerichten die Auffassung durchgesetzt, dass diese Ausnahme eng auszulegen ist. Konkret bedeutet dies, dass hier allenfalls Teilleistungen, nicht der gesamte Auftrag, von der Untervergabe ausgenommen werden dürfen, und dass die Ausnahmen sachlich begründet werden müssen; dass also die Teilleistung für das Gelingen oder die Qualität der Leistung von besonderer Bedeutung sein muss (Deutscher Bundestag 2018, S. 10 f.). In einer Entscheidung der Vergabekammer Thüringen wurde dies so ausgelegt, dass standardisierte Postdienstleistungen trotz Anerkennung ihrer Bedeutung u. a. für den reibungslosen Ablauf von Verwaltungsvorgängen grundsätzlich nicht als ‚kritische Aufgabe‘ einzustufen sind (VK Thüringen, Beschluss vom 10.07.2019 – 250-4003-15326/2019-E-010-GVK). Im Bereich einfacher, standardisierter Dienstleistungen ist ein Nachunternehmer-Verbot also nach herrschender Auffassung offenbar selbst mit Verweis auf zu befürchtende Qualitätsmängel nur schwer zu begründen. Noch weniger scheinen soziale Erwägungen wie gehäufte arbeits- und tarifrechtliche Verstöße durch Subunternehmen als Begründung infrage zu kommen; weder in Rechtskommentaren noch in den einschlägigen Urteilen finden diese bislang Erwähnung.

Dieser relativ enge rechtliche Rahmen bezieht sich zwar formal nur auf den Oberschwellenbereich, also auf europaweite Ausschreibungen von Aufträgen. Im Unterschwellenbereich verfügt der Auftraggeber hingegen über die uneingeschränkte Befugnis vorzuschreiben, „dass alle oder bestimmte Aufgaben bei der Leistungserbringung unmittelbar vom Auftragnehmer selbst (…) ausgeführt werden müssen“ (§ 26 Abs. 6 UVgO). Diese deutlich weiter gefasste Befugnis entspricht auch der Intention des Gesetzgebers (Deutscher Bundestag 2018, S. 11). Allerdings strahlen in der Praxis, wie bereits in Kap. 3  beschrieben, Regelungen und Rechtsauslegung in ‚kolonialisierender‘ Weise aus dem Oberschwellenbereich auch auf den Unterschwellenbereich sowie auf die Vergabe von Konzessionen aus. Im Einklang damit wird in den einschlägigen Rechtskommentaren die Auffassung vertreten, dass jedenfalls bei Vergaben mit grenzüberschreitender Relevanz Einschränkungen des Einsatzes von Nachunternehmen ebenfalls nur in engen Ausnahmefällen zu rechtfertigen sei, in jedem Fall aber einer sachlichen Rechtfertigung bedürfe (Deutscher Bundestag 2018, S. 10; s. a. OLG Celle, Urteil vom 23.02.2016, 13 U 148/15).

Vor diesem Hintergrund ist bemerkenswert, dass im Bereich der Sicherheitsdienstleistungen für Flüchtlingsunterkünfte in zwei der untersuchten Kommunen die Übertragung von Aufgaben auf Nachunternehmen ausgeschlossen wird, und zwar auch bei Vergaben im Oberschwellenbereich. Eine entsprechende Forderung hatte auch der BDSW in seinem Positionspapier zum Schutz von Flüchtlingsunterkünften öffentlich proklamiert. Nach Einschätzung eines interviewten Beraters für die Vergabe von Sicherheitsdienstleistungen ist ein solches Selbstausführungsgebot jedoch selbst im Falle von Flüchtlingsunterkünften eine klar vergaberechtswidrige Bestimmung. In D-BRÜCK ist diese Maßgabe aber sogar – wie vieles – durch das Landesamt für Migrationsangelegenheiten vorgegeben und wird vom Vergabeverantwortlichen der Kommune auch nicht weiter hinterfragt oder begründet.

In C-FURT hingegen wird diese Entscheidung auch eigenständig gegen das Vergaberecht verteidigt, was ein weiterer Beleg für die progressiv-pragmatische Haltung im Umgang mit Rechtsunsicherheit ist:

„Wir hatten in einer Ausschreibung neulich zur Bedingung gesetzt, dass die Auftragsausführung mit eigenem Personal vorzunehmen sei. Sprich, man sollte nicht Nachunternehmer einsetzen, was man ja grundsätzlich nach Vergaberecht darf, sondern man hat gesagt: ‚Das ist uns wichtig als korrektives Kriterium. Die Mitarbeiter, die eingesetzt werden, sollen halt eigene Mitarbeiter sein.“ (Vergabestelle, C-FURT)

Mit diesem „korrektiven Kriterium“ geht es dem Vergabeverantwortlichen erneut nicht primär um die Sicherstellung guter Arbeitsverhältnisse. In erster Linie möchte man hier, wie auch in D-BRÜCK, neben der Kontinuität durch bekanntes Personal zumindest die Option auf Nachvollziehbarkeit der Dienstleistungsqualität sichern („Wir gehen davon aus, dass dann die Steuerung besser ist als bei dem Nachunternehmer“ (Vergabestelle, C-FURT)). Implizit wird mithin in beiden Kommunen damit entgegen des oben zitierten Urteilsspruchs zu den Postdienstleistungen die Rechtsauffassung vertreten, dass auch eine standardisierte Dienstleistung wie im Falle der Bewachung von Flüchtlingsunterkünfte eine ‚kritische Aufgabe‘ darstellen kann.

In den anderen beiden Kommunen wird der Einsatz von Nachunternehmen hingegen ermöglicht. Insbesondere in A-BURG erstrecken sich die Regelungen hierzu jedoch auf mehrere Seiten der Vergabeunterlagen. So wird hier eine Zustimmung zur Untervergabe „nur in begründeten Ausnahmefällen erteilt“, eine weitere Untervergabe durch den Unterauftragnehmer ist durch den Auftragnehmer zu untersagen. Zudem werden Verpflichtungs- und Eigenerklärungen des Unterauftragnehmers inklusive zugehöriger Nachweise eingefordert, mit denen sichergestellt werden soll, dass Unterauftragnehmer die gleichen vertraglichen Pflichten und dieselben Eignungsanforderungen (einschließlich des Nichtvorliegens von Ausschlussgründen) zu erfüllen haben.

Trotz ambitionierter Detailregelungen berichtet der Vergabeverantwortliche von arbeitsrechtlichen Problemen in der Praxis:

„Jeder Subunternehmer, der eingesetzt wird, muss genehmigt werden von uns. Und wir prüfen die Eignung genauso. Das klappt auch. Aber leider Gottes gibt es manchmal Fälle, wo dann ein Subunternehmer – meistens sind es Subunternehmer – weitere Subunternehmer einsetzen, und wir kriegen das nicht so ohne weiteres mit. Und da ist es immer wieder mal vorgekommen, dass die Löhne nicht bezahlt wurden. Also nur ein Teil des Lohns bezahlt. Das ist ein schwieriges Thema, weil wie wollen wir feststellen, wo der Mitarbeiter tatsächlich beschäftigt ist? Das ist so ein bisschen ein Problem, das herauszukriegen. Wir können uns nicht von allen Mitarbeitern den Arbeitsvertrag vorlegen lassen, das geht nicht.“ (Vergabestelle, A-BURG)

In diesem Zusammenhang ist es auch zu Interaktionen mit ver.di gekommen, als sich ein Gewerkschaftssekretär über das Ausbleiben von Lohnzahlungen bei der Vergabestelle beschwerte. Der Vergabeverantwortliche habe daraufhin den Geschäftsführer des beauftragten Unternehmens zur Stellungnahme aufgefordert, der nach eigener Recherche einräumte, dass sein Subunternehmer unrechtmäßig ein weiteres Subunternehmen eingesetzt und dieses seinen Beschäftigten den Lohn vorenthalten habe. Wie ver.di kurze Zeit später der Kommune rückmeldete, sei der Lohn schließlich nachgezahlt worden. Aus dieser Erfahrung hat die Kommune gelernt. Wie uns im Nachgang unserer Gespräche vor Ort mitgeteilt wurde, seien die Regelungen zum Einsatz von Nachunternehmen inzwischen insofern überarbeitet worden, als innerhalb einer Schicht nur Sicherheitskräfte eines Unternehmens eingesetzt werden dürften, um etwaige Unregelmäßigkeiten besser nachvollziehen zu können. Auch sind die Bestimmungen zur Begrenzung auf eine einzelne Untervergabe expliziter gefasst worden.

Das Beispiel von A-BURG veranschaulicht mithin, wie Lernprozesse im neuen Experimentierraum auch durch Interaktionen zwischen Akteuren der industriellen Beziehungen und Vergabestellen angestoßen werden. Eine grundlegende Voraussetzung dafür ist erneut, dass die Akteure der industriellen Beziehungen über die erforderlichen Ressourcen verfügen und diese nutzen; im konkreten Fall also, dass die Gewerkschaft über Mitglieder in den beauftragten Firmen verfügt, die sich bei Missständen an sie wenden und dass die Gewerkschaft diese Missstände über die Kontaktierung des Auftraggebers zu beheben versucht.

Ein anderer ver.di-Landesverband nutzt mit taktischer Medienarbeit schließlich auch die Sorge der Kommunen um ihr öffentliches Ansehen (s. Abschn. 7.3.1), um den Handlungsdruck zu erhöhen. Dies illustriert folgendes Beispiel, in dem es zwar nicht um eine unserer untersuchten Fallstudien, jedoch eine durch ver.di (mit) bewirkte Vertragskündigung geht:

„Und da ist der Auftrag ja geplatzt, weil klar war, die arbeiten wieder mit diesem Subunternehmer zusammen, die nachweislich in [Stadt X] sieben Monate lang die Leute alle komplett schwarz bezahlt haben. (…). Aber das ist nur passiert, machen wir uns nichts vor, weil wir die dran gekriegt haben in der Öffentlichkeit. Weil wir vorher schon mit dem Finger drauf hingewiesen haben: ‚Aber ihr nehmt die schon wieder? Und ihr könnt euch sicher sein, wir sind auch da‘.“ (ver.di Landesverband, C-FURT)

Insgesamt verfolgen die untersuchten Kommunen zumindest im Bereich der Sicherheitsdienstleistungen eine Praxis, die die begrenzten rechtlichen Möglichkeiten zur Einschränkung von Subunternehmen recht weit auslegen und vergleichsweise stark ausschöpfen. Hintergrund für den Unterschied zum Schulcatering, wo keine vergleichbaren Einschränkungen gemacht werden, ist auch hier weniger eine stärker ausgeprägte Verantwortung für das Personal der beauftragten Firmen, sondern die stärker ausgeprägte Überzeugung, dass Mindestanforderungen an die Qualität der Leistung eng mit Mindestanforderungen an die Zuverlässigkeit der beauftragten Firmen und des von ihnen eingesetzten Personals abhängen, und dass die Auswahl dieser Firmen aufgrund dubioser Anbieter in dem Marktsegment einer besonderen Sorgfalt bedarf.

6 Vergabepraktiken, Aushandlungs- und Lernprozesse zur Kontrolle sozialer Vergabekriterien

Der Kontrolle kommt sowohl im Zusammenhang mit der Ausgestaltung als auch mit der Umsetzung sozialer Vorgaben eine Schlüsselrolle zu, wie bereits verschiedentlich zur Sprache kam. Denn ohne effektiv durchgeführte Überprüfungen steigt auch das Risiko, dass entsprechende Vorgaben wirkungslos bleiben und damit auch ihre Legitimität infrage steht. Einschätzungen der Vergabepraktiker*innen, ob bestimmte soziale Vorgaben überhaupt überprüfbar sind und inwieweit für ihre Überprüfung die erforderlichen Ressourcen bereitstehen, spielen daher bereits bei der Ausgestaltung der Vergabeunterlagen eine Rolle. Zweifel der kommunalen Auftraggeber mit Blick auf die Überprüfbarkeit und die Kontroll-Ressourcen tragen durchaus zur Erklärung der noch zögerlichen Anwendung sozialer Kriterien bei (s. Kap. 7).

Zumindest in Bezug auf externe Lohnvorgaben lassen die Landesvergabegesetze solche Zweifel allerdings nicht zu. Sie sehen vor, dass die öffentlichen Auftraggeber die tatsächliche Anwendung der externen Lohnstandards durch Kontrollen sicherstellen. Allerdings mangelt es in vielen Landesvergabegesetzen und den darauf basierenden Verordnungen an detaillierten Regelungen zur Durchführung solcher Kontrollen (Böhlke 2015). Die fehlenden Kontrollmaßnahmen waren daher auch ein zentraler Kritikpunkt von befragten Verbänden und Vergabestellen im Rahmen von Evaluationen der Landestariftreuegesetze (u. a. Kienbaum 2019). Insbesondere bleibt in den Gesetzen offen, wer für die Kontrollen zuständig ist und wann bzw. in welchem Umfang diese durchzuführen sind. Vielfach räumen die Gesetze und Verordnungen den Auftraggebern lediglich das Recht ein, Einsicht in Lohnunterlagen zu nehmen und verpflichten sie, die Möglichkeit dazu vertraglich abzusichern, indem in den Verträgen mit den beauftragten Unternehmen entsprechende Nachweispflichten, Prüfrechte der Auftraggeber und zivilrechtliche Sanktionen (Vertragsstrafen, fristlose Kündigungsrechte, temporärer Ausschluss von öffentlichen Ausschreibungen) verankert werden. Nach unseren eigenen Recherchen sehen mittlerweile weiterhin nur wenige Ländergesetze (Niedersachsen, Brandenburg, Bremen, Berlin) eine Pflicht vor, stichprobenhafte oder verdachtsabhängige Kontrollen durchzuführen. Zudem fehlt es an zusätzlichen personellen Ressourcen. Auf Ebene der Bundesländer haben mittlerweile lediglich die beiden Stadtstaaten Berlin und Bremen sowie das Saarland Einrichtungen geschaffen, die Kontrollen bei beauftragten Firmen durchführen.Footnote 39

Diese Regelungslücken ließen sich auch als Verantwortungsdelegation an die kommunale Ebene bzw. an die einzelnen kommunalen Auftraggeber interpretieren. Ausweislich der Praxis in den untersuchten Fallstudien-Kommunen läuft eine solche Verantwortungsdelegation, insofern intendiert, jedoch weitgehend ins Leere. Über beide Branchen hinweg weisen die Behördenmitarbeiter*innen in den Vergabestellen und in den Fachämtern die Zuständigkeit für die Kontrolle eher von sich, mit unterschiedlichen Argumenten. Zum einen werden rechtliche Bedenken geltend gemacht, Einblick in firmeninterne Dokumente zu nehmen – auch wenn ihnen gerade diese Rechte in den Vergabegesetzen noch relativ eindeutig eingeräumt werden. Zum anderen werden hier ‚wenn überhaupt‘ jeweils andere behördeninterne Akteure in der Pflicht gesehen – das Fachamt sieht die Vergabestelle am Zug und umgekehrt. Drittens herrscht die Auffassung vor, dass man allenfalls anlassbezogen, also auf Basis konkreter Hinweise oder Verdachtsmomente, prüfen könne – sei es aus vermuteten rechtlichen Gründen oder mangels personeller Ressourcen für verdachtsunabhängige Kontrollen. Für solche Verdachtsmomente aber fehle wiederum die Informationsbasis, weil entsprechende Hinweise von Seiten der Beschäftigten oder der Bedarfsstellen (Flüchtlingsunterkünfte, Schulen) nicht kämen.Footnote 40

Diese Mischung aus Argumenten und Motiven resultiert bei den meisten Befragten in einer passiv-agnostischen Haltung zum Thema Kontrollen, wie sie folgende Zitate zum Ausdruck bringen:

„Also die haben alle gesagt, sie zahlen die xy Euro, die vorgegeben sind vom BDSW [-Tarifvertrag] inklusive aller Zuschläge. Und was am Ende tatsächlich bei dem Mitarbeiter ankommt, weiß ich nicht. Also bin ich jetzt ehrlich, es kann natürlich sein, dass die Unternehmen kalkulatorisch (…) die xy Euro vorgeben mit den entsprechenden Zuschlägen und dem Mitarbeiter am Ende doch den Mindestlohn zahlen. Das kann ich aber nicht nachprüfen. Das darf ich auch nicht.“ (Fachamt E-HAUSEN, Sicherheitsdienstleistungen).

„Wir wissen nicht: Was geben die wirklich an die Leute weiter? (…) wenn kein Wachmann kommt und sagt: ‚Ey die zahlen das gar nicht'. (…) Woher soll ich als Auftraggeber wissen, dass sie es eben nicht weitergeben? Weil, unbedingt Lohn- und Gehaltseinsicht machen, mhm, das ist so eine Sache, ne?“ (…) „Also wir sind nicht vor Ort. Wir wissen nicht was abgeht. (…) Interviewerin: Aber wenn es jetzt dazu kommen würde, also ein Beschäftigter wendet sich an Sie und sagt Ihnen: ‚Mein Arbeitgeber hat den Lohn nicht ausgezahlt‘? Dann würden wir losgehen. Ja. Dann würden wir losgehen und das wäre dann auch Aufgabe der Vergabestelle. Würde ich jetzt so sehen. Weil die Herren des Vertrages sind. Und ob die dahingehen, weiß ich nicht.“ (Fachamt D-BRÜCK, Sicherheitsdienstleistungen)

„Wir können da immer schwer was machen, es sei denn, die wenden sich direkt an uns. (...) Und da müsste man dann vielleicht mit dem Caterer sprechen (…). Da will ich mich auch eigentlich gar nicht so reinmischen, weil das ist so eine Sache, das ist nicht unbedingt mein Part. Für mich ist wichtig, dass die Schule ihr Essen bekommt, dass die Kinder ihr Essen bekommen, dass da bestimmte Dinge eingehalten werden und dass es natürlich vernünftig ausgegeben wird an die Kinder“ (Fachamt BERLIN, Schulverpflegung).

Im letztgenannten Falls ist es dem Schulamt auch nicht bewusst, dass mögliche Missstände oder Zweifel in Bezug auf die Einhaltung der vertraglich zugesicherten Arbeitsbedingungen der eigens dafür eingerichteten Kontrollstelle des Landes gemeldet werden sollen. Der Vergabestelle ist dies bewusst, sie wiederum sieht hierfür aber das Schulamt als vertragsdurchführende Stelle in der Pflicht.

Die Behördenmitarbeiter*innen sehen sich also insgesamt eher nicht in der Verantwortung, ‚es sei denn‘ sie erhalten von den Beschäftigten selbst konkrete Hinweise auf Verstöße. Allerdings bleibt jeweils offen, woher die Beschäftigten wissen sollen, an wen sie sich zu wenden haben. Mangels eigener Kontrollbehörden, Ombuds-Stellen oder Informationsmaterialien für die Beschäftigten ist dies nach außen intransparent und bedürfte nicht ganz trivialer Recherchen seitens der Beschäftigten selbst.

Möglicherweise im Bewusstsein solcher tatsächlichen Kommunikationshürden zwischen Behörden und Beschäftigten stützen sich manche der Befragten ergänzend auf die Annahme, dass in den beauftragten Firmen Beschäftigtenvertretungen eine vorgeschaltete Kontrollfunktion übernehmen und bei Bedarf Missstände intern regeln. Dabei handelt es sich allerdings, wie eingangs des Kapitels geschildert, weit überwiegend um eine kontrafaktische Annahme, da kaum ein Unternehmen in den beiden Branchen über Betriebsräte verfügt. Eine solche Annahme ist insofern nützlich als mentale ‚coping‘-Strategie, geht aber an der Realität in den beiden Branchen weitgehend vorbei. Die klassischen Akteure der Interessenvertretung übernehmen aber, wie an dem im vorigen Abschnitt geschilderten Beispiel deutlich wird (Einforderung von Lohnansprüchen für Beschäftigte von Nachunternehmen durch ver.di in A-BURG), in Gestalt der Gewerkschaften jedenfalls punktuell eine unterstützende, oder vielmehr initiative Rolle bei den Kontrollen. Hinweise auf mögliche Verstöße gegen allgemeinverbindliche Tarifverträge durch nicht-tarifgebundene Konkurrenten kommen aber zum Teil auch von den Unternehmensverbänden (s. das Beispiel in Abschn. 9.2.2.2, ebenfalls in A-Burg). Wo solche Zuarbeiten seitens der Sozialpartner ausbleiben, fehlen angesichts der mangelnden Kontrollkapazitäten und der dazu passenden passiv-agnostischen Haltung der Behörden auch die nötigen Informationen über Verstöße.

Gleichwohl gibt es vereinzelt auch hier Lernprozesse und Weiterentwicklungen zu beobachten. So ist in A-BURG auf Initiative einzelner sozialdemokratischer Stadtratsmitglieder ein Gutachten zur Prüfung eines eigenen städtischen Kontrolldienstes für extern vergebene Sicherheitsdienstleistungen erstellt worden, das die Einrichtung zwar empfahl, vom Stadtrat aus Kostengründen aber letztlich nicht angenommen wurde. Immerhin erhielt die Vergabestelle ein, wenn auch sehr kleines, Budget für verdachtsabhängige Personalkontrollen. Laut interviewtem Vertreter der Vergabestelle seien die Überprüfungen im Bereich der Sicherheitsdienstleistungen auch bei den eingesetzten Sicherheitskräften sehr positiv aufgenommen worden, weil es nicht zuletzt auch als Zeichen der Wertschätzung wahrgenommen werde. Bislang sei bei nur einer Überprüfung ein Verstoß festgestellt worden, der sich auf die Zahlung der Zulage für Flüchtlingsunterkünfte bezog und auf Wirken der Kontrollstelle zügig behoben werden konnte.

Unter den Fallstudien zur Schulverpflegung sticht wieder das Beispiel BERLIN hervor. Hier war bereits seit 2016 eine eigene Kontrollstelle eingerichtet worden, die branchenübergreifend auch für Kontrollen zum vergabespezifischen Mindestlohn und zur Tariftreue zuständig war. Das obige Zitat aus dem untersuchten Schulbezirk führt allerdings bereits einen Teil der Anlaufschwierigkeiten vor Augen. Neben Unklarheiten in Bezug auf die konkreten Zuständigkeiten (Fachamt oder Vergabestelle) und die angesprochenen Informationsdefizite haperten die Kontrollen auch daran, dass die Vergabestellen der Kontrollstelle im ersten Schritt die Ausschreibungsunterlagen zur Verfügung stellen müssen. Diese sind zum Teil fehlerhaft und lassen sich dann nicht als Grundlage für die Kontrolle nutzen; so fehlen häufiger die Verpflichtungserklärungen und damit auch die zivilrechtlichen Vereinbarungen, dass die Unternehmen sich kontrollieren lassen müssen (SenWEB 2017, S. 43 f.). Zudem erteilten bislang nur wenige Vergabestellen Prüfaufträge, gerade in den Branchen wie Gebäudereinigung oder Sicherheitsdienstleistungen, die für ihr geringes Entlohnungsniveau bekannt sind (ebda.). Ein Interviewpartner aus der Wirtschaftsbehörde führt die Zurückhaltung der Vergabestellen auch darauf zurück, dass die Vergabestellen befürchten, damit ihre fehlerhaften Ausschreibungsunterlagen gegenüber den übergeordneten Behördenebenen offenzulegen: „Die Auftraggeber haben Angst, dass sie aus vergaberechtlicher Sicht kontrolliert werden“ (Wirtschaftsbehörde, BERLIN). Aus diesen Erfahrungen hat man ebenfalls gelernt. Mit der Novellierung des Vergabegesetzes im Jahr 2019 wurde beschlossen, dass die Kontrollgruppe nun auch eigenständig prüfen darf, ob Firmen die vertraglich vereinbarten Auflagen zu sozialen und ökologischen Aspekten erfüllen. Zudem legt das Gesetz fest, dass pro Jahr 5 % aller Vergaben zu prüfen sind (§ 16, Abs. 1 BerlAVG). Schließlich enthält das Gesetz sehr detaillierte Bestimmungen zum Verfahren, zu den Rechten der Kontrollstelle (einschließlich Verarbeitung personenbezogener Daten) und zu den Konsequenzen im Falle festgestellter Verstöße – etwa, dass dann auch die zuständigen hoheitlichen Kontrollbehörden (Zoll) zu verständigen sind.

Ergänzend zu diesem Aufbau behördenseitiger personellen Kapazitäten erfordern wirksame Kontrollen nach Einschätzung mehrerer im Rahmen unserer Fallstudien interviewter ver.di-Landesverbände nicht zuletzt weitere Lernprozesse im Hinblick auf die nötige Expertise – insbesondere ein solides Branchenwissen in Bezug auf typische Problemfelder und Varianten von arbeits- und tarifrechtlichen Verstößen. Zu unterschiedlich seien vermutlich die Arbeitssituationen, als dass sich öffentliche Auftraggeber in die Lage der Beschäftigten versetzen könnten. Ein Gewerkschaftssekretär bringt dies im folgenden Zitat anschaulich auf den Punkt und plädiert für eine engere Zusammenarbeit zwischen öffentlichen Auftraggebern und Gewerkschaften, die den Blick auf problematische Arbeitsbedingungen schärfen kann und bereits bei der Ausgestaltung von Verträgen ermöglicht, ex-ante Ansatzpunkte für ihre Verbesserung zu schaffen:

„Arbeitszeiten, unterschiedlicher könnten die ja eigentlich gar nicht sein, ne. Da der Öffentliche Dienst ja schon relativ geregelte Arbeitszeiten hat, weiß man, was am Ende des Monats an Gehalt dann auch im Portmonee liegt, sehr planbar einfach. Und dann die Wach- und Sicherheitskräfte, die Schichtdienste haben – manchmal weiß ich nächste Woche nicht, welche Schicht ich habe, dann unter der Woche mal Tagschicht, mal Nachtschicht, also auch im Wechsel und so. So, dass da einfach strukturiertes Familienleben teilweise gar nicht möglich ist (…). Dadurch prallen da auch ein bisschen zwei Welten aufeinander. Deswegen wäre es schon als Appell sinnvoll, wenn man öffentliche Aufträge rausgibt, dass man sich mit dem Arbeitsfeld auch dann vorher beschäftigt hat. Und wenn für ver.di da zumindest einer wäre, den man dann ins Boot holen könnte und wir würden uns dann natürlich auch nicht verschließen. Aber bisher, gab es noch keine Berührungspunkte, was jetzt das Thema angeht“ (ver.di Bezirk, D-BRÜCK)

Auch auf der anderen Seite hat die Beschäftigung mit dem Thema sozialverantwortlicher Auftragsvergabe im Rahmen unseres Forschungsprojektes einen Vergabeverantwortlichen zum Nachdenken gebracht und dazu angeregt, sich künftig vor Ausschreibungsrunden nach Möglichkeit sowohl mit dem BDSW als auch erstmals mit der Gewerkschaft ver.di auseinanderzusetzen und den Kontakt aufzunehmen:

„Was ver.di anbelangt, muss ich ehrlich sagen, habe ich gar nicht dran gedacht. Also, das ist für mich ein ganz neuer Aspekt und das werde ich auf jeden Fall beim nächsten Mal wirklich auch mal so anstoßen.“ (Fachamt, C-FURT)

Zusammenfassend haben mit dem Aufbau eigener Kontrollkapazitäten zwei Fallstudienkommunen begonnen, sich von der dominanten passiv-agnostischen Haltung zu entfernen, die sich für die Umsetzung und Kontrolle sozialer Kriterien im Wesentlichen auf die klassischen Akteure der industriellen Beziehung verlässt, selbst wo diese nur rudimentär vorhanden sind. Sie bauen damit neue Institutionen auf, die die Schwächen des Systems der kollektiven Selbstregulierung und Selbstkontrolle kompensieren. Im oben zitierten Wunsch des ver.di-Gewerkschafters verbirgt sich dabei die Einschätzung, dass diese neuen Instanzen nicht notwendigerweise vollständig separat agieren müssen, sondern eine punktuelle oder auch systematischere Zusammenarbeit zwischen der neuen Kontrollinfrastruktur und Interessenvertretungen der Beschäftigten zielführend sein könnte.

7 Fazit: Potenziale und Grenzen des neuen ‚Experimentierraums‘ in der Vergabepraxis

Das Kapitel hat Aushandlungs- und Lernprozesse rund um die Praxis der sozialverantwortlichen Auftragsvergabe auf kommunaler Ebene beleuchtet. Vorrangig geht es in diesem neuen ‚Experimentierraum‘ auf kommunaler Ebene nicht darum, arbeitsbezogene Standards zu setzen, sondern darum, diesen Standards Geltung zu verschaffen – ein zunehmend wichtiges Betätigungsfeld gerade in Branchen mit schwacher kollektiver Selbstregulierung (u. a. Dickens et al. 2012; Voskoh et al. 2017; Weil 2018; Bosch et al. 2019; Mustchin und Martinez Lucio 2020). Unsere Befunde deuten darauf hin, dass die kommunale Auftragsvergabepraxis diese Schwächen der kollektiven Selbstregulierung bislang nur begrenzt kompensieren. Wie und wo sie dies aber ansatzweise tut, und was strukturell begünstigende und hemmende Faktoren für entsprechende Lernprozesse sind, möchten wir nun zusammenfassend erörtern. Ein Schlüssel zum Verständnis sind dabei die vielfältigen Wechselwirkungen: zwischen den Strategien der Akteure der industriellen Beziehungen in der traditionellen Arena und im neuem Experimentierraum; zwischen den Strategien der Verwaltungsakteure und denen der Interessenvertretungen von Beschäftigten und Unternehmen; und schließlich auch zwischen der Neuausrichtung der Auftragsvergabe an Qualitätszielen und der gleichzeitigen Öffnung des Vergaberechts für soziale Ziele. Mit letzterem beginnen wir.

Lernprozesse zu sozialen Kriterien unter dem Primat der Qualität

Die Neuausrichtung der Auftragsvergabe an Qualitätszielen hat in verschiedener Hinsicht prägende Wirkung auch für die Art und Weise, wie die Kommunen mit der Anforderung umgehen, soziale Belange stärker zu berücksichtigen. Grundsätzlich lässt sich feststellen, dass die Zielverschiebung und die qualitätsorientierte Reorganisation von Strukturen und Abläufen in der Vergabepraxis auch die sozialverantwortliche Auftragsvergabe begünstigen – nicht im Sinne eines Automatismus, sondern in Verbindung mit weiteren Dynamiken.

Das hängt zum einen damit zusammen, dass die Öffnung der Entscheidungsprozesse für externe Expertise und verwaltungsexterne Akteure grundsätzlich auch eine Chance für die Akteure der industriellen Beziehung eröffnet hat, sich hier einzubringen. Diese Chance fällt ihnen allerdings nicht in den Schoß, sondern muss von ihnen aktiv eingefordert werden – vor allem durch Lobbyarbeit, Öffentlichkeitsarbeit und Netzwerkbildung.

Hinzu kommt zweitens, dass auch andere verwaltungsexterne Akteure jenseits von Gewerkschaften und Unternehmensverbänden im Zuge dieser Öffnung konsultiert werden, die mittelbar jedenfalls auch arbeitsbezogene Standards im Vergabeprozess verankern – wie im Falle der Schulverpflegung die Autor*innen der Fachgutachten, die zum Zweck der qualitätsorientierten Neuausrichtung von Bundes- und Landesregierungen eingeholt werden. Ihr primärer Auftrag ist nicht, arbeitsbezogene Standards in die öffentliche Auftragsvergabe einzubringen, sie tun es aber gewissermaßen als Nebeneffekt – möglicherweise in der Überzeugung, dass die Arbeitsqualität funktionale Voraussetzung für mehr Dienstleistungsqualität ist. Die Öffnung für externe Expertise führt gleichwohl nicht zwangsläufig zu einer stärkeren Berücksichtigung sozialer Kriterien. Gerade der Fall der Berliner Schulverpflegung verdeutlicht, dass dies hoch kontingent, also vom Zusammenspiel einer Vielzahl von Ereignissen und Entscheidungen abhängig, die so auch anders hätten ausfallen können: Etwa wenn es gegen die niedrigen Preisvorgaben keinen zunehmenden Protest sowohl von Eltern als auch vom dafür eigens gegründeten Unternehmensverband gegeben hätte; wenn sich die Berliner Senatsverwaltung in der Folge nicht für die Einholung eines eigenen Fachgutachtens entschieden hätte; wenn das BMEL zuvor kein bundesweites Fachgutachten in Auftrag gegeben hätte, das hier als Vorlage hätte dienen können; oder schließlich, wenn die Autor*innen des Fachgutachtens ihrer Kalkulation keine Tariflöhne, sondern Marktlöhne zugrunde gelegt hätten.

Ähnliches gilt auch für die ‚angemessenen Preise‘, auf die sich Zoll und BDSW zwecks Kontrolle der allgemeinverbindlichen Tarifverträge verständigen und damit gewissermaßen von außen einen Standard schaffen, an dem sich auch kommunale Auftraggeber bei der Prüfung unterpreisiger Angebote orientieren können. Denn dass der Zoll und die Arbeitgeberverbände dazu überhaupt Gespräche führen; dass sie sich dabei an einem Beispiel aus einer anderen Branche (Gebäudereinigung) orientieren können; dass der Arbeitgeberverband BDSW diesen Standard auch offensiv nach außen vertritt, und das schließlich mindestens ein Teil der kommunalen Auftraggeber sich ratsuchend an den Arbeitgeberverband wendet – all dies sind Entscheidungen, die so in keiner Durchführungsverordnung stehen oder zwingend auf der Hand liegen.

Aus diesen Beispielen lässt sich schließen, dass die Lernprozesse zur Berücksichtigung sozialer Kriterien keine automatische Begleiterscheinung der qualitativen Wende in der öffentlichen Auftragsvergabe sind, dass diese aber einige günstige Voraussetzungen schafft. Das gilt auch für einen dritten Aspekt, nämlich die zumindest von Teilen der Verwaltungsmitarbeiter*innen geteilte Überzeugung, dass die Berücksichtigung arbeitsbezogener Kriterien letztlich der Qualität der Dienstleistung nützt. Die unterschiedlich starke Ausprägung dieser Überzeugung in den Fachämtern und Vergabestellen scheint uns ein wichtiger Erklärungsfaktor, der auch Unterschiede zwischen einzelnen Fallstudien und zwischen den beiden Branchen zu verstehen hilft. Die ambitionierteren Ansätze im Bereich der arbeitsbezogenen Kriterien werden jedenfalls tendenziell von denjenigen entwickelt, die einen positiven funktionalen Zusammenhang zwischen Arbeits- und Dienstleistungsqualität herstellen – zu denken ist etwa an zahlreiche Bemühungen in A-BURG, wo seitens der Verwaltung um der Qualität der Sicherheitsdienstleistungen willen in Bezug auf Pausenzeiten des Personals, Einsatz von Subunternehmen und Arbeitszeitumfang besonders intensiv nach beschäftigtenfreundlichen Lösungen gesucht wird.

Die Bedeutung dieser Überzeugungen der ‚street level market makers‘ herauszustreichen, heißt nicht, dass das Ausmaß innovativer und kreativer Vorgehensweisen in Bezug auf die sozialen Kriterien letztlich vom Gutdünken der einzelnen Verwaltungsfachkräfte abhängt. Zur Erklärung trägt dieser Befund erst bei, wenn wir uns vor Augen führen, wodurch die Verwaltungskräfte diese Überzeugungen ausbilden und warum genau diese Überzeugung. Dazu sei hier noch mal erinnert, wie in Kap. 7 herausgearbeitet, dass solche Überzeugungen zum positiven Zusammenhang zwischen Qualität der Leistung und Qualität der Arbeit nicht Ausfluss eines traditionellen vergabespezifischen Staatsdiener-Ethos sind. Vielmehr hat sich dies eher in jüngerer Zeit parallel zur und geprägt durch die qualitative Wende herausgebildet. Diese qualitative Wende erzeugt zwar, soweit wir das auf Basis unserer Einblicke in die Praxis beurteilen können, auf Seiten der Verwaltungskräfte keineswegs flächendeckend den Glauben, dass die Sorge um gute Arbeitsbedingungen auch im Bereich einfacher Dienstleistungen zu den Aufgaben des Staates als ‚Guter Dienstleister‘ gehört. Vielmehr werden diese Überzeugungen eher durch individuelle politische Einstellungen sowie durch entsprechende politische Impulse von Kommunen oder übergeordneten Stellen gestützt. Das Leitbild des ‚Guten Dienstleisters‘ ist aber insofern polyvalent: Es erlaubt solchen Überzeugungen in dieser spezifischen Weise, nämlich in Form einer funktionalen Begründung, ‚anzudocken‘ und soziale Kriterien zu rechtfertigen.

Auf der anderen Seite ist nicht zu übersehen, dass die qualitative Wende nicht nur positive, sondern ambivalente oder widersprüchliche Effekt hat für die Berücksichtigung sozialer Kriterien. Denn zum einen wirkt das Primat für die Qualität der Dienstleistungen und für die Interessen der Nutzer*innen der Dienstleistungen bisweilen auch als Bremse für ambitioniertere Bemühungen um angemessene Arbeitsbedingungen. Dies ist insbesondere der Fall bei der Schulverpflegung. Denn die von allen gewünschten Qualitätsverbesserungen führen zwangsläufig zu höheren Kosten; gleichzeitig bemüht sich die Verwaltung im Interesse der zahlenden Eltern (und der sozialen Inklusion der Kinder) darum, keine allzu starken Preissteigerungen im Vergleich zum vorherigen, zumeist sehr niedrigen Preisniveau zuzulassen. Dabei wird der Preisanstieg in den meisten Fällen nicht durch zusätzliche öffentliche Subventionen gedämpft, sondern durch eine Preisdeckelung, an der sich die bietenden Unternehmen orientieren müssen. Ob sich damit angemessene Löhne refinanzieren lassen oder nicht, spielt bei diesen Überlegungen typischerweise keine Rolle. Ergebnis sind weniger ‚Marktpreise‘ als vielmehr ‚Wunschpreise‘, die sich recht weit unterhalb dessen bewegen, was von wissenschaftlicher Seite als auskömmlicher Preis ermittelt wurde. Und auch in Bezug auf die abgeforderten Arbeitszeiten orientieren diese sich typischerweise einseitig an den Nutzerbedarfen, auch wenn diese Beschäftigten-Interessen zuwiderlaufen mögen. Die Lösung dieses Spannungsverhältnisses wird üblicherweise vollständig an die Firmen delegiert, die intern allerdings typischerweise keine Verhandlungspartner auf Seiten der Beschäftigten haben, die deren Interessen geltend machen könnten. Dies gilt auch für die Branche der Sicherheitsdienstleistungen, trotz ihrer insgesamt hohen Tarifbindung, denn auch hier fehlen in der Regel Betriebsräte, die etwa bei der Entwicklung von beschäftigtenfreundlichen und gesetzeskonformen Lösungen für die Pausenzeiten helfen könnten.

Neben solchen Spannungsverhältnissen zwischen den Interessen von Nutzer*innen und Beschäftigten fällt zudem ein Kontrast ins Auge: Die zum Teil sehr innovativen und aufwendigen Herangehensweisen bei der qualitätsorientierten Reorganisation der Auftragsvergabe, wie in Kap. 8 beschrieben, kontrastieren mit deutlich schwächer ausgeprägten Aktivitäten der Verwaltung in Bezug auf arbeitsbezogene Standards. Auch dies gilt insbesondere für die Schulverpflegung. Selbst im Fallbeispiel BERLIN führt der dortige perfektionistische Umgang mit Rechtsunsicherheit, der auch vergaberechtliche Hürden zugunsten einer besseren Essensqualität zu überwinden hilft, eben nicht dazu, dass man hier verwaltungsseitig ähnlich viel Expertise und Energie in bessere Lösungen in punkto Arbeitsbedingungen investiert. Selbst die bloße Anwendung externer – in diesem Fall von der Landespolitik gesetzter – Lohnstandards wird hier durch handwerkliche Fehler verschleppt. Dass die Stadt dennoch als Sonderfall gelten kann, in der auch im Bereich der Schulverpflegung in der öffentlichen Auftragsvergabe eine ernstzunehmende zweite Arena der Lohnsetzung entstanden ist, hat vielmehr mit der langen Geschichte entsprechender politischer Initiativen zur Tariftreue zu tun, die von einem zunehmend breiten Akteursbündnis getragen werden und als starkes politisches Mandat letzten Endes auch auf das Verwaltungshandeln einwirken.Footnote 41 Auch was die Kontrollen anbelangt, und dies gilt in beiden Segmenten, sind die Unterschiede zur Kontrollen der Dienstleistungsqualität deutlich: Während die Vergabestellen und Fachämter, wie in Kap. 8 gezeigt, durch eine Reihe von Maßnahmen auch während der Vertragslaufzeit Ansätze eines kommunalen ‚Co-Managements‘ der Qualitätsproduktion entwickeln, lässt sich gleiches für die Kontrolle der ohnehin begrenzteren arbeitsbezogenen Auflagen nicht sagen.

Binden also die hohen Transaktionskosten für die qualitätsorientierte Vergabe auch Ressourcen, die für soziale Kriterien fehlen? Ja und Nein. Denn immerhin kann – wie insbesondere das Beispiel A-BURG zeigt – die mit viel Aufwand betriebene, perfektionistische Herangehensweise in punkto qualitätsorientierte Vergabe auf Seiten von kommunaler Politik und Verwaltung auch die nötige Bereitschaft und Übung erzeugen, die Spielräume bezüglich sozialer Kriterien auszuschöpfen oder sogar auszudehnen. Das Gegenbeispiel BERLIN zeigt zugleich, dass beides nicht zwingend miteinander verbunden ist; die Maximierung vergaberechtliche Expertise ist also keine hinreichende Voraussetzung. Und sie ist auch keine zwingende Voraussetzung: Auch weniger aufwendige, pragmatische Varianten im grundsätzlichen Umgang mit Rechtsunsicherheit, bringen zugunsten sozialer Kriterien zum Teil innovative und risikobereite Entscheidungen hervor, die sich in der Grauzone des vergaberechtlich zulässigen bewegen.

Wechselwirkungen zwischen traditioneller Arena der industriellen Beziehungen und neuem Experimentierraum

Bislang haben wir auf Seiten der administrativen Praxis nach begünstigenden und hemmenden Faktoren für die sozialverantwortliche Auftragsvergabe gesucht, die die vergleichsweise schwächer ausgeprägten Bemühungen um arbeitsbezogene (versus qualitätsbezogene) Standards erklären können. Diese spiegeln aber nicht nur schwächere Anreize innerhalb des politisch-administrativen Systems wieder, sondern auch schwache Anreize und Verstärkungseffekte aus der Systemumwelt – in diesem Fall aus dem System der industriellen Beziehungen. Unsere Analyse der detaillierten kommunalen Praktiken und Strategien der sozialverantwortlichen Auftragsvergabe in diesem Kapitel bestätigt jedenfalls tendenziell die Annahme, die wir zu Beginn dieses Kapitels formuliert haben, nämlich zum komplementären Verhältnis von Auftragsvergabe und kollektiver Selbstregulierung. Das bedeutet, dass Neigungen und Fähigkeiten kommunaler Akteure zur sozialverantwortlichen Auftragsvergabe wenigstens auch vom Willen und den Handlungskapazitäten zur kollektiven Selbstregulierung auf Seiten der Akteure der industriellen Beziehungen abhängen. Ein Grundgerüst an kollektiver Selbstregulierung in der Sicherheitsbranche legt insgesamt im Vergleich zum Schulcatering auch eine bessere Basis für kommunale Strategien der vergabespezifischen Arbeitsregulierung. Im Schulcatering hingegen fehlt diese Basis; hier drohen solche kommunalen Strategien, wo sie existieren, in ihrer Wirkung zu verpuffen oder jedenfalls abgeschwächt zu werden – siehe wieder den Sonderfall BERLIN. Wir beobachten hier also wechselseitige positive und negative Verstärkungen – oder das, was Doellgast et al. (2018) als Teufelskreis bzw. Tugendkreis bezeichnet haben.

Das hängt zum einem mit den Tarifstrukturen zusammen. Wo Tarifverträge eine große Verbreitung besitzen, wie in der Sicherheitswirtschaft, können sie überhaupt erst zu einem wichtigen Bezugspunkt der Vergabepraxis werden. Vergabestellen können sich bei der Kalkulation angemessener Preise an ihnen orientieren; dies erleichtert den Ausschluss unterpreisiger Angebote. Indem die Zahlung von Tariflöhnen zum Vertragsbestandteil zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer wird, birgt die Unterschreitung von Tariflöhnen zudem das Risiko zusätzlicher privatrechtlicher Sanktionen – sowohl kurzfristige (Vertragskündigung) als auch längerfristige (Ausschluss von künftigen Verfahren). Voraussetzung hierfür sind allerdings effektive Kontrollstrukturen, die weiterhin lückenhaft sind – das gilt sowohl für die Kontrollen allgemeinverbindlicher Tariflöhne und gesetzlicher Mindestlöhne durch den Zoll (Bosch et al. 2019), als auch für die zusätzlichen Kontrollkapazitäten für öffentliche Aufträge, die bislang nur wenige Kommunen und Länder aufgebaut haben. Und auch dort braucht es, wie am Fall BERLIN gesehen, Lernprozesse, um geeignete Verwaltungsabläufe zu installieren und die dominante passiv-agnostische Haltung auf Verwaltungsseite zu überwinden, die sich für die Umsetzung und Kontrolle sozialer Kriterien im Wesentlichen auf die klassischen Akteure der industriellen Beziehung verlässt, selbst in Branchen, in denen diese nur rudimentär vorhanden sind.

Die Wechselwirkungen zwischen alten Arenen des Interessenausgleichs und neuem ‚Experimentierraum‘ hängen zweitens mit den infrastrukturellen Ressourcen von Gewerkschaften und Unternehmensverbänden zusammen. Um jenseits institutionalisierter Beteiligungsrechte ihre Interessen bei der öffentlichen Auftragsvergabe geltend zu machen, bedarf es wie gesehen neuen Wissens um verwaltungsseitige Abläufe (man denke an die Erstellung von Musterausschreibungsunterlagen als wichtigem Ort der Entscheidungsfindung); der Erschließung von narrativen Ressourcen (Öffentlichkeitsarbeit, die an Leitsätze wie „öffentliches Geld nur für gute Arbeit“ (BERLIN) anknüpft); dem Aufbau eigener vergaberechtlicher Expertise zwecks Beratung von Kommunen, oder der Zusammenarbeit mit anderen Organisationen und Initiativen (Elternvertreter*innen; entwicklungspolitische Organisationen), die in Vertretung von Konsument*innen oder auch Produzent*innen öffentlich eingekaufter Güter und Dienstleistungen ebenfalls eine Abkehr von der Billigpreisvergabe einfordern. Aufbau und Mobilisierung dieser Ressourcen erfordern aber eben nicht nur Kreativität, sondern auch Zeit bzw. Personal – dies stößt vor allem auf Seiten der Gewerkschaften ver.di und NGG jedoch auf Grenzen, mit ihrer insgesamt sehr dünnen Personaldecke, die wiederum im Mitgliedermangel auch und gerade in den beiden untersuchten Wirtschaftssegmenten begründet ist.

Demgegenüber besser aufgestellt ist der Arbeitgeberverband BDSW in der Sicherheitswirtschaft, der zwar auch nur über wenig personelle Ressourcen verfügt, aber auch über ein deutlich kleineres Aufgabenspektrum als seine Verhandlungspartner auf Gewerkschaftsseite. Dass der BDSW vergleichsweise viel Energie in die Erziehung der Verwaltung zum ‚Guten Auftraggeber‘ investiert – anders als etwa der Unternehmensverband in der Schulverpflegung – lässt sich wiederum auf sein starkes Eigeninteresse an der Professionalisierung und dem damit verbundenen Image-Wandel der Branche zurückführen. Denn Zweifel an der Seriosität von privaten Sicherheitsdienstleistungen können gerade in diesem Wirtschaftssegment, in dem es um Aufträge an der Grenze zu hoheitlichen Aufgaben geht, sehr grundlegend die Legitimität der externen Vergabe von Sicherheitsdienstleistungen in Frage stellen und damit das gesamte Geschäftsmodell untergraben. In diesem Kontext besitzen Tarifverträge jenseits ihres materiellen Nutzens auch eine symbolische Dimension, die zur Abgrenzung und Ausgrenzung von unseriösen Anbietern genutzt wird. Zur Durchsetzung dieser Tarifverträge – aber auch anderer Abgrenzungsmerkmale – versucht der BDSW ein entsprechendes Nachfrageverhalten von Seiten der privaten wie öffentlichen Auftraggeber zu stimulieren.

Insofern gibt es hier durchaus objektive Interessenüberschneidungen zwischen Arbeitgeber- und Beschäftigtenseite, insbesondere was die adäquate Berücksichtigung und Einhaltung tarifvertraglicher Standards anbelangt. Dass es dennoch bislang nicht zu einer Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeberverband und Gewerkschaften gekommen ist, liegt auch an dem Schatten, den die von Misstrauen und Konflikten geprägten Muster der Interaktion in den ‚alten‘ Arenen der industriellen Beziehungen werfen. Trotz faktischer Interessenüberschneidungen verfolgen die Akteure daher weitgehend getrennte und nicht-koordinierte Strategien, anders als auf der von solchen Konflikten stärker entlasteten europäischen Ebene, wo die einschlägigen Dachverbände auf Unternehmensseite (CoESS) und auf Seiten der Gewerkschaften (Uni Europa) seit langem in dieser Frage kooperieren.

Mit Blick auf den von hier genutzten Machtressourcen-Ansatz legen unsere Befunde eine Weiterentwicklung in drei Hinsichten nahe:

  • Erstens bedarf es einer stärkeren Einbeziehung der Machtressourcen und Strategien der Arbeitgeberseite zur Erklärung etwa von Branchenunterschieden bei der Arbeitsregulierung. Während der Machtressourcenansatz solche Unterschiede in erster Linie auf die unterschiedlichen Stärken der arbeitnehmerseitigen Akteure zurückführt, macht im vorliegenden Fall insbesondere die höhere Organisations- und Handlungsfähigkeit der arbeitgeberseitigen Akteure in der Sicherheitsbranche einen Unterschied – nicht nur in den alten Arenen, sondern wegen der skizzierten Wechselwirkungen und positiven Verstärkungseffekte auch im neuen Experimentierraum. Dies ist keineswegs selbstverständlich; denn auch die Interessenverbände der Arbeitgeberseite, die aufgrund der struktureller Machtasymmetrie zwischen Kapital und Arbeit grundsätzlich durchsetzungsfähiger sind, stehen unter den gewandelten Rahmenbedingungen in vielen Branchen vor erheblichen Schwierigkeiten, gemeinsame Interessen von miteinander konkurrierenden Verbandsmitgliedern zu formulieren (Behrens 2018; Culpepper 2021).

  • Zweitens sind, anders als dies konzeptionell unter anderem von Doellgast et al. (2018) gefasst wird, die Machtressourcen der Arbeitgeberseite nicht unbedingt das spiegelverkehrte Gegenstück zu den Machtressourcen der Arbeitnehmerseite (je geringer diese, desto höher jene). Das liegt daran, dass wir es hier nicht mit der klassischen bilateralen Verhandlungskonstellation, sondern mit einer trilateralen Konstellation zu tun haben, in der sich die Interessen von beauftragten Firmen und Beschäftigten partiell überschneiden können – und dann auch ein handlungsfähiger Arbeitgeberverband mit seinen Mitteln durchaus im Interesse der Beschäftigten handeln kann, selbst wenn man sich nicht auf eine gemeinsame Vorgehensweise mit der Arbeitnehmerseite verständigt.

  • Drittens schließlich unterstreichen unsere Befunde die Bedeutung von Expertise – hier vor allem: branchenspezifisches Marktkenntnisse und vergaberechtliches Wissen – als weitere wichtiger Ressource, die auch und gerade an den bürokratischen Schauplätzen der Entscheidungsfindung jenseits einer breiten öffentlichen Aufmerksamkeit die ‚Währung‘ (Culpepper 2011) der Wahl ist, um Ermessensentscheidungen zu beeinflussen. Voraussetzung hierfür ist, dass die Verwaltung diese Expertise von Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden nicht ignoriert – ob aus mangelnder Kenntnis von geeigneten Ansprechpartner*innen oder aus der Befürchtung heraus, zulasten von Steuerzahlern und Verbrauchern von den Interessen der Produzentenverbände vereinnahmt zu werden (‚state capture‘). Auch wenn letzteres natürlich nie ausgeschlossen werden kann, erscheint es auch für den Aufbau tragfähiger Kooperationsbeziehungen zwischen allen Beteiligten im ‚Gewährleistungsstaat‘ zweckmäßiger, die interessierte Expertise der verschiedenen Seiten einzuholen und explizit abzuwägen. Wie jedenfalls einzelne unserer Beispiele veranschaulichen, lassen sich so auch Schnittmengen zwischen den verschiedenen Interessen identifizieren (Beispiel: Preissetzung in der Berliner Schulverpflegung) und Lernprozesse durch Interaktionen zwischen Akteuren der industriellen Beziehungen und Vergabestellen anstoßen (Beispiel: Umgang mit Subunternehmen von Sicherheitsdienstleistern in A-BURG). Es fehlt allerdings bislang an geeigneten Strukturen und Kommunikationskanälen, insbesondere zu den Gewerkschaften hin, die solche Lernprozesse verbreitern und verstetigen könnten. Unter anderem darin liegt eine Aufgabe für die Weiterentwicklung der Vergabepraxis, die den Anspruch des Staates als ‚Guter Auftraggeber‘ einlösen kann.