Wie gesehen begreift zumindest ein Teil der Verwaltungsmitarbeiter*innen auch die Qualifikation und Arbeitsbedingungen des Personals von beauftragten Firmen als einen Ansatzpunkt für eine qualitative Wende bei der Vergabe wenig komplexer Dienstleistungen. Die Zustimmung zu bestimmten Zielen ist für sich genommen aber noch kein Garant für Praktiken, die diese Ziele auch umsetzen. Darum soll es nun in diesem und im nachfolgenden Kapitel gehen. Um das Vorgehen der Behörden zu verstehen, ist es auch hier erforderlich, ihre Praktiken in Bezug auf soziale Kriterien im Gesamtkontext zu betrachten, also zu fragen, wie sie sich in den Wandel zugunsten einer höheren Qualität von Dienstleistungen einschreiben. Bevor im nachfolgenden Kapitel die spezifischen Strategien und Aushandlungsprozesse im Hinblick auf die Arbeitsbedingungen näher in den Blick genommen werden, liegt der Fokus daher in diesem Kapitel zunächst auf den Vorgehensweisen und Lernprozessen der Verwaltung in ihrem Bemühen, sich zugunsten der Dienstleistungsqualität vom ‚Diktat des billigsten Preises‘ zu entfernen, sowie auf den Schwierigkeiten und Gelingensbedingungen für diese Lernprozesse.

Von zentraler Bedeutung ist dabei ganz allgemein die Ausstattung der Verwaltungsakteure mit Ressourcen. Wie vielfach für die klassischen Dienstleistungsbereiche der ‚street level bureaucracy‘ herausgearbeitet worden ist, haben sich dort chronisch knappe Geldmittel und Sparziele, gepaart mit steigenden Fallzahlen und komplexeren sozialen Problemen, spätestens seit den 1980er Jahren vor allem in einen Mangel an zeitlichen Ressourcen übersetzt, die den Fachkräften für ihre Aufgaben zur Verfügung stehen. Die Fachkräfte bewirtschaften diesen Mangel mit sehr verschiedenen Routinen und Strategien, um alltagstaugliche Kompromisse zwischen den eigenen Kapazitäten, professionellen Normen und Organisationsvorgaben zu finden.

In der Praxis der öffentlichen Auftragsvergabe ist vor allem Expertise eine zentrale und zugleich knappe Ressource, und zwar sowohl rechtliche Expertise als auch fachliche Expertise zur jeweils ausgeschriebenen Leistung und den dazugehörigen Marktstrukturen. Auch von dieser Ressource oder dem Umgang mit ihr ist anzunehmen, dass sie die Strategien von Kommunen und einzelnen Vergabebeauftragten bei der Umsetzung ihrer vergabespezifischen Ziele prägen. So gehen Sack et al. (2016) davon aus, dass die Bündelung von Expertise durch eine Zentralisierung von Entscheidungsbefugnissen auch die Bereitschaft und Kompetenzen auf Seiten des Verwaltungspersonals zur Umsetzung sozialer Ziele in der Auftragsvergabe fördern. Diese Zentralisierung bietet „die Möglichkeit für das Personal, sich weit überwiegend, wenn nicht gar ausschließlich auf diese Verwaltungstätigkeit einzulassen, sich entsprechend zu schulen, und damit um die unterschiedlichen Möglichkeiten zu wissen, rechtsfeste Vorgaben durchzusetzen. Darüber hinaus wird ein besonderes professionelles Ethos ausgebildet“ (Sack et al. 2016, S. 75). Die Spezialisierung und Schulung versetzt das Personal demnach in die Lage, sich auch im Anblick klagebereiter Unternehmen vom „einfachsten Verfahren mit der höchsten Rechtsfestigkeit“ (ebda.) – also der Vergabe nach dem niedrigsten Preis – zu lösen und neue Wege zu beschreiten.

Diese plausible Annahme ist, wie in Kap. 6 gesehen, ein weithin geteilter Konsens. Sowohl in Deutschland, wie auch in vielen anderen Ländern, ist die Professionalisierung und Zentralisierung der Vergabepraxis zudem ein realer Trend, wie im Folgenden auch noch zu sehen sein wird. Auf der anderen Seite sprechen verschiedene Überlegungen gegen einen allzu engen und unidirektionalen Zusammenhang zwischen Professionalisierung und Innovationen zugunsten strategischer, einschließlich sozialer Ziele. Denn zum einen haben unsere Auswertungen im vorigen Kapitel verdeutlicht, dass die vergaberechtliche Professionalisierung aufgrund der wettbewerbsrechtlichen Prägung des Vergaberechts in der administrativen Praxis auch das Bewusstsein und Wissen um wettbewerbsrechtliche Hürden für eine qualitativ ausgerichtete Auftragsvergabe erhöht. Dies kann zumindest theoretisch die Entwicklung neuer Praktiken hemmen oder auch bisherige (nun als rechtswidrig erkannte) Praktiken unterbinden, die den Bieterwettbewerb in der Vergangenheit beschränkt und damit faktisch den Druck auf Arbeitsbedingungen reduziert haben. Ein weiteres Argument weckt Zweifel daran, dass die vergaberechtliche Professionalisierung, also der Aufbau von Expertise für vergaberechtskonformes Handeln, für sich genommen Verfahrensinnovationen fördert: Die dynamische Rechtsentwicklung und der damit verbundene chronisch unvollständige Charakter vergaberechtlicher Expertise dürfte dazu beitragen, dass trotz Zentralisierung und Professionalisierung gerade in der Vergabepraxis das Handeln unter Unsicherheit ein zentrales Merkmal von Entscheidungsprozessen bleibt.

Nun ist das Handeln unter Unsicherheit kein Spezifikum der Vergabepraxis, sondern wird von Seiten der Verwaltungswissenschaft angesichts einer zunehmenden Volatilität und Komplexität von Sachlagen in der jüngeren Zeit als Merkmal von Verwaltungshandeln allgemein thematisiert (u. a. Winkler 2014; Hill 2018). Unter diesen Umständen kann sich die Verwaltung zwar verschiedener Mittel bedienen, um Wissensdefizite auszugleichen, etwa den Rückgriff auf die Expertise Dritter. Ein ‚agiles‘, fehlertolerantes und experimentelles ‚Auf Sicht‘-Fahren, das ebenfalls als angemessene Strategie im Umgang mit Unsicherheit empfohlen wird, kollidiert allerdings grundsätzlich mit dem traditionellen Verwaltungshandeln:

„Indessen sind Experimente und die häufig geforderte ‚Fehlerfreundlichkeit‘ kein Wesensmerkmal der öffentlichen Verwaltung. Der Grundsatz der Rechtmäßigkeit drängt eher nach sorgfältiger und umfassender Prüfung und Abwägung bis hin zur Perfektion, häufig gepaart mit Absicherung.“ (Hill 2018, S. 165)

Dies wirft die empirische Frage auf, wie Kommunen und Vergabepraktiker*innen mit dieser doppelten Herausforderung umgehen, also der notwendigen Aneignung von Expertise für vergaberechtkonformes Handeln und dem Umgang mit dennoch verbleibender Rechtsunsicherheit; und wie beides sich auf die Strategien zugunsten von ‚mehr Qualität‘ auswirkt.

Unser empirisches Material bietet reiches Anschauungsmaterial für diese Fragen. Denn die beiden Branchen, die hier im Fokus stehen, haben in punkto Professionalisierung der Auftragsvergabe Nachholbedarf. Anders als im Falle komplexer Leistungen (beispielsweise IT–Dienstleistungen) oder Leistungen mit hohem Auftragsvolumen (beispielsweise Bauleistungen) sind die administrativen Kapazitäten für die Auftragsvergabe bei diesen beiden standardisierten Leistungen mit eher geringem Auftragsvolumen vergleichsweise schwach ausgebaut und erst in jüngerer Zeit im Aufbau begriffen. Das gilt insbesondere für die Schulverpflegung, aber auch für den stark gewachsenen Teilbereich der Sicherheitsdienstleistungen für Flüchtlingsunterkünfte, den wir hier näher in den Blick nehmen.

Die folgenden Ausführungen erläutern zunächst die Veränderungen in den Entscheidungsstrukturen in der kommunalen Auftragsvergabe (Abschn. 8.1). Die Fallstudien erlauben dabei einen detaillierteren Blick auf die Veränderungen, die mit der verwaltungsseitigen Professionalisierung einhergehen, und arbeiten unterschiedliche Herangehensweisen heraus, wie sich die Kommunen neue Entscheidungsspielräume zugunsten einer Vergabe nach Qualitätsgesichtspunkten auch unter der Bedingung von Rechtsunsicherheit erschließen. Diese Herangehensweisen prägen ihrerseits auch die detaillierten Praktiken der qualitätsorientierten Auftragsvergabe (Abschn. 8.2) Hier dokumentieren die Fallstudien eine relativ große Bandbreite an Verfahrensinnovationen, mit denen der Preiswettbewerb eingeschränkt wird. Anders als in der Schulverpflegung liegt das Augenmerk bei den Sicherheitsdienstleistungen für Flüchtlingsunterkünfte dabei auch auf dem Personal als Dreh- und Angelpunkt von Qualität.

1 Strukturen: Professionalisierung im Spannungsfeld von Rechtskonformität und Rechtsunsicherheit

Die Anforderung nach einer Professionalisierung der öffentlichen Beschaffung, die, wie beschrieben, von verschiedenen Seiten an die Kommunen in Deutschland herangetragen wird (s. Kap. 6), hat in einem breiten Umfang auch eine Reorganisation kommunaler Verwaltungsstrukturen und -abläufe ausgelöst (OECD 2019). Dies schließt allen voran die Zentralisierung von Kompetenzen und Beschaffungsvorgängen ein. Zum einen haben viele Kommunen zwecks Bündelung der vergaberechtlichen Expertise zentrale Vergabestellen eingerichtet. Sie beraten und unterstützen die verschiedenen Fachämter in der Kommunalverwaltung bei der Ausgestaltung und Durchführung von Vergabeprozessen, prüfen Vergabedokumente auf ihre vergaberechtliche Zulässigkeit, treten zum Teil auch als Ansprechpartner für die Bieter auf, und unterstützen schließlich Fachämter im Falle vergaberechtlicher Rügen und Beschwerden von Bietern. Zudem sind sie typischerweise dafür zuständig, den Wandel von Vergabegesetzen und Richtlinien zu beobachten und intern zu kommunizieren. Die Einrichtung einer separaten Instanz, die neben dem jeweiligen Fachamt für die ordnungsgemäße Durchführung von Vergabeverfahren zuständig ist, dient zur Erhöhung der juristischen Expertise, aber auch als Beitrag zur Vorbeugung von Korruption. Die Fachämter sind demgegenüber gemeinsam mit den Bedarfstellen, für die die Leistung ausgeschrieben wird (bspw. eine Schule, für die Schulverpflegungsleistungen benötigt werden), für die Bedarfserhebung und exakte Beschreibung der einzukaufenden Leistung, sowie für die fachliche Bewertung der Angebote zuständig.

Neben Fachabteilungen, Bedarfstellen und zentraler Vergabestelle sind darüber hinaus inneradministrativ zwei weitere Akteure zumindest mittelbar an den Vergabeprozessen beteiligt, die über Rechtskonformität und haushaltsrechtliche Prinzipien wachen. Dies ist zum einen die kommunale Rechnungsprüfung, zu deren Aufgaben je nach landesrechtlichen und örtlichen Regelungen auch die Prüfung von Vergaben unter dem Aspekt der Rechtmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit der Mittelvergabe zählen kann (Fiebig und Zeiss 2018, S. 63 f.). Dabei besitzt die Rechtmäßigkeit – also die Konformität mit dem Vergaberecht – Vorrang vor der Wirtschaftlichkeit (ebda., S. 352).

Mit der Einführung des subjektiven Bieterschutzes durch die europäischen Vergaberichtlinien sind zudem seit Ende der 1990er Jahre die Vergabekammern und Vergabegerichte als Akteure hinzugetreten. Diese werden zwar erst zum Ende des Verfahrens und nur bei Bieterbeschwerden aktiv. Je nachdem wie häufig es zu Klagen kommt, dürfte diese Prüfmöglichkeit aber von den Akteuren mehr oder weniger stark antizipiert werden, und bereits bei der Ausgestaltung der Vergabeprozesse die Orientierung am Prinzip der Rechtskonformität verstärken. Denn die schwerwiegenden Konsequenzen im Falle einer Einschaltung der Vergabekammern legen es nahe, vergaberechtliche Angriffsflächen zu minimieren. Selbst wenn am Ende rechtskonformes Verhalten festgestellt wird, bringt bereits die Einleitung des Nachprüfungsverfahren für den Auftraggeber neben dem zusätzlichen Verwaltungsaufwand noch eine weitere, im Einzelfall sehr unangenehme Begleiterscheinung mit sich: Er darf nämlich (nach § 115 Abs. 1 GWB) bis zum Ende der Beschwerdefrist nach der Entscheidung der Vergabekammer keine Zuschlagsentscheidung treffen. Dadurch droht sich die Aufgabenerfüllung zu verzögern – was im Falle der untersuchten Branchen eine relativ hohe Anzahl von Personen und Einrichtungen betreffen kann, die dann ohne Mittagessensverpflegung (Schulen) oder ohne Sicherheitsdienstleistungen (Flüchtlingsunterkünfte) auskommen müssen. Neben den praktischen Folgeproblemen durch den Leistungsausfall und dem erhöhten Verwaltungsaufwand für die Ausschreibung droht dadurch auch ein hoher immaterieller Schaden (Legitimitätsverlust) für die kommunale Politik und Verwaltung.

Die institutionellen Strukturen setzen also für das Verwaltungspersonal, das mit Auftragsvergaben betraut ist, starke Anreize, sich an den alten vergaberechtlichen Prinzipien der Rechtskonformität und der Wirtschaftlichkeit zu orientieren – Voraussetzungen, die zumindest in der Vergangenheit eine Vergabe nach dem niedrigsten Preis eher begünstigt haben. Inwieweit eine stärkere Professionalisierung des Verwaltungspersonals dieses in die Lage versetzt, innerhalb dieser Strukturen neue Wege zu beschreiten, soll nun für unsere beiden Dienstleistungsbereiche anhand von Fallstudien näher untersucht werden.

Die Fallstudien beleuchten, dass neben der Zentralisierung von Entscheidungskompetenzen weitere Trends, wenngleich in unterschiedlichem Ausmaß, die verwaltungsseitigen Organisationsstrukturen und -abläufe verändern: insbesondere eine Standardisierung von Vergabeunterlagen, eine konsultative Öffnung und teilweise auch Politisierung von Entscheidungsprozessen. Diese prägen auch die Strategien zur Bewirtschaftung der Ressource ‚Expertise‘ und schlagen sich in unterschiedlichen Herangehensweisen im Umgang mit der doppelten Herausforderung Rechtskonformität und Rechtsunsicherheit nieder. Dabei zeigt sich, dass eine Strategie der maximalen Absicherung mithilfe vergaberechtlicher Expertise (‚Perfektionismus‘) keineswegs innovationshemmend sein muss, dass jedoch auch bei anderen Varianten (‚progressiver Pragmatismus‘) Handlungsblockaden überwunden werden können.

1.1 Das Beispiel Schulverpflegung

Als Kontrastfolie, aber auch zur empirischen Einordnung der Reorganisation von Vergabeprozessen in der Schulverpflegung, hilft zunächst ein Blick auf den Status quo ante. Bis vor 10–15 Jahren war es in den untersuchten Kommunen üblich, dass die Schulen selber für die Suche und Auswahl eines Essensanbieters zuständig waren oder diesen aus einer vom Schulamt erstellten Liste geeigneter Caterer auswählten; das Schulamt fungierte in beiden Fällen dann lediglich als Vertragspartner. In einem Fall (C-FURT) beruhte die Essensversorgung laut Schulamt zum Teil sogar auf rein mündlichen Absprachen zwischen Schule und lokalem Anbieter. Auch die Vertragslaufzeiten waren oftmals länger als die nach Vergaberecht zulässigen 3–4 JahreFootnote 1, oder wurden ohne neue wettbewerbliche Vergabe immer wieder verlängert.

Eine solche starke Dezentralisierung und geringe Formalisierung mag zwar ein Auslaufmodell sein, scheint aber auch in der Gegenwart keine Ausnahme zu sein. In einer der Fallstudien-Kommunen (E-HAUSEN) liegt die Bieterauswahl zum Untersuchungszeitpunkt hauptsächlich weiter bei den Schulen; hier stehen durch die Einführung der neuen kommunalen Vergabeordnung, die die neuen Vergaberichtlinien umsetzt, gerade erst Veränderungen an.Footnote 2 Demgegenüber ist die Reorganisation der Schulverpflegung in den anderen drei untersuchten Städten bereits weiter fortgeschritten.

Die nachfolgende Tab. 8.1 gibt zunächst einen Überblick über die aktuellen Entscheidungsstrukturen und Verfahrensweisen in den untersuchten Kommunen, die im weiteren Verlauf des Abschnitts näher erläutert werden. Die Einstufung als ‚gering‘, ‚mittel‘ und ‚hoch‘ bezieht sich dabei zunächst nur auf den Binnenvergleich zwischen den Kommunen; soweit als möglich nehmen wir anhand von weiteren Quellen im Text eine Einschätzung vor, inwieweit diese Praktiken auch im gesamtdeutschen Vergleich in der jeweiligen Dimension als ‚gering‘ oder ‚hoch‘ einzustufen sein dürften.

Tab. 8.1 Entscheidungsstrukturen und Umgang mit Rechtsunsicherheit: Schulverpflegung

1.1.1 Professionalisierung und Standardisierung: Vergabemanager*innen als Intermediäre

In den drei Kommunen, wo die Zentralisierung und Professionalisierung weiter fortgeschritten ist, umfasst sie einerseits den Übergang zu einer regelmäßigen wettbewerblichen Vergabe, also einer Neuausschreibung alle 3–4 Jahre. Die Ausschreibungen erfolgen dabei zum Teil gebündelt für mehrere oder sogar alle Schulen, wobei sich Bieter in der Regel auch nur auf einzelne Teillose (=Schulen) bewerben können. Begleitet wird dies durch den bereits einleitend skizzierten Auf- oder Ausbau von zentralen Vergabestellen. Zudem werden die Entscheidungskompetenzen in einer weiteren Hinsicht zentralisiert, nämlich von den Schulen (Bedarfsstellen) auf die Schulämter übertragen. Die Schulämter sind nun als Fachämter für die Erstellung der Ausschreibungsunterlagen und die Bewertung der eingegangenen Angebote zuständig. Sie stehen dabei für die vergaberechtliche Prüfung und Beratung aber in mehr oder weniger engem Austausch mit den zentralen Vergabestellen. Zudem bleiben auch die Schulen bzw. Eltern – und damit vergaberechtliche Laien – weiterhin in die Bewertung der Angebote einbezogen, nun allerdings auf vergaberechtlich konforme Weise; eine Herausforderung, auf die unten noch näher einzugehen sein wird.

Das zuständige Personal in den Fachämtern verfügt in den untersuchten Kommunen mehrheitlich über eine allgemeine Verwaltungsausbildung ohne besondere vergabespezifische Kenntnisse; zum Teil sind hier auch Quereinsteiger*innen mit fachfremder Ausbildung (z. B. eine Bibliothekarin) tätig. Hinsichtlich ihrer Ausstattung mit vergaberechtlicher Expertise nehmen die Vergabezuständigen in den Fachämtern also eine Mittelstellung ein – zwischen den vergaberechtlichen Laien (Schulen/Eltern) einerseits und den vergaberechtlichen Expert*innen in den zentralen Vergabestellen und teilweise weiteren übergeordneten Behörden andererseits. Das Kooperationserfordernis mit beiden Seiten versetzt sie zudem in eine Art Mittlerrolle, verlangt ihnen also die Kompetenz zur wechselseitigen Vermittlung der beiden Perspektiven ab.

Ähnliches gilt im Prinzip auch für die fachliche Expertise, in deren Ausbau die Kommunen ebenfalls investieren. Denn für die Erstellung der detaillierten Leistungsbeschreibungen und die Kontrolle der Leistungen sind genaue Kenntnisse der Produktionsprozesse und diesbezüglicher Standards (hier: vor allem Hygiene- und ernährungsphysiologische Standards) erforderlich. Diese fachliche Expertise wird aber nicht in den Fachämtern angesiedelt, sondern in den Gesundheitsämtern; so werden in zwei Fallstudienkommunen (C-FURT und BERLIN) zusätzliche Ökotropholog*innen für die Schulverpflegung eingestellt. Mit diesen Expert*innen müssen die Fachämter ebenfalls bei der Erstellung der Vergabeunterlagen in den Austausch treten. Zugleich sind diese fachlichen Qualitätsstandards auch den Schulen zu vermitteln, um sie zu einer Mitwirkung bei der Bewertung der eingegangenen Angebote zu befähigen.

Im Unterschied zum Weber’schen Berufsbeamten zeichnet sich das Anforderungsprofil der Vergabekräfte in den Fachämtern also nicht in erster Linie durch ihre spezialisierten Wissensbestände aus, sondern durch die Aufgabe, unterschiedliche Wissensbestände und Wünsche, und auch unterschiedliche Niveaus von Wissensbeständen (Experten vs. Laien), zu verbinden. Sie sind, mit anderen Worten, Intermediäre, die in einem multiprofessionellen Kontext die Fäden zusammenführen müssen.

Neben diesem Neuzuschnitt von Kompetenzen und Aufgabenprofilen ändern sich aber auch die Verfahrensabläufe recht stark, insbesondere durch eine Standardisierung der Entscheidungsprozesse. Wenngleich in Inhalt und Detaillierungsgrad unterschiedlich, sind alle vier untersuchten Kommunen dazu übergegangen, standardisierte Leistungsverzeichnisse oder ganze Musterausschreibungsunterlagen zu entwickeln. Diese müssen also nicht für jedes einzelne Verfahren immer wieder von Grund auf neu erarbeitet werden. Die Standardisierung kommt insofern einer prozeduralen Zentralisierung gleich.

In diesen standardisierten Ausschreibungsunterlagen fließen verschiedene Ziele zusammen: Sie dienen einerseits der Vereinheitlichung von VergabeverfahrenFootnote 3. Insbesondere wird die Standardisierung aber genutzt, um nicht bloß einheitliche Standards, sondern gestiegene Ansprüche an vergaberechtliche und fachliche Standards in den Ausschreibungsprozessen zu verankern. Zum Dreh- und Angelpunkt wird dabei eine detailliertere Beschreibung des Vertragsgegenstandes. Zuvor enthielten die Verträge mit den Caterern nach Darstellung mehrerer Interviewpartner lediglich einige Kernangaben zu Essens-Mengen, sowie organisatorischer und finanzieller Abwicklung, jedoch kaum zu den Eigenschaften der Leistung selbst.

„Also seinerzeit sind auch die Ausschreibungsbedingungen der Stadt relativ simpel gewesen. So ungefähr, ‚Wir geben bloß mal ein paar Rand-Parameter, ihr macht das schon. Und euer Angebot akzeptieren wir, was auch immer ihr macht‘. Ich habe das dann mal alles ein bisschen strukturiert und in die Hand genommen und von Anfang [an] auch in Zusammenarbeit mit den beteiligten Akteuren hier geführt. (…) Und mit jeder Ausschreibung wieder ein Stückchen angebaut und erweitert in unserem Aufgabendefinitions-Portfolio.“ (Schulamt, D-BRÜCK)

„(…) und alle Vertragsunterlagen waren im Prinzip Schrott, also überhaupt nicht die Leistung beschrieben. Da gab’s noch ein bisschen eine Prosabeschreibung: ‚Es gelten die Kriterien für die Deutsche Gesellschaft für Ernährung‘, aber es wurde gar nicht detailliert beschrieben, was die leisten.“ (Schulbehörde, BERLIN).

Beide Zitate veranschaulichen, dass hier verschiedene Prozesse ineinandergreifen und sich gegenseitig verstärken: Die unterdeterminierte Leistungsbeschreibung wird zum einen als Hindernis für die Dienstleistungsqualität wahrgenommen und gerät insofern infolge der Professionalisierung der Gemeinschaftsverpflegung ins Visier. Sie verstößt aber auch gegen grundlegende Prinzipien einer professionellen Beschaffung, zu der die Leistungssteuerung und -kontrolle auf Basis präziser vertraglicher Vereinbarungen zählt.

Die Standardisierung der Ausschreibungsunterlagen ergänzt insofern den Aufbau der verwaltungsinternen Expertise; sie kommt nicht nur einer prozeduralen Zentralisierung, sondern auch Professionalisierung der Vergabe gleich. Zum Teil wurde sie sogar ganz bewusst mit Blick auf die begrenzte Expertise auf Ebene der Fachämter und einzelner Vergabestellen vorangetrieben. So waren in BERLIN bei der Erstellung von Musterausschreibungsunterlagen für die Ausschreibungsrunde im Jahr 2014 auch die zu diesem Zeitpunkt geringen vergaberechtlichen Kompetenzen des Verwaltungspersonals in den Bezirken

„der Auslöser, dass wir gesagt haben, wir brauchen eine Musterausschreibung für alle und die wird von einer Vergaberechts-Anwaltskanzlei für alle bearbeitet.“ (Schulbehörde, BERLIN)

Hier habe zuvor aus vergaberechtlicher Sicht zum Teil das „blanke Chaos“ regiert (Wirtschaftsbehörde, BERLIN). Insbesondere eine weiterhin starke Delegation der Anbieterauswahl an die Schulen habe in der ersten Phase nach dem Übergang zu stärker formalisierten Ausschreibungen (ab Mitte der 2000er Jahre) mitunter zu Nachprüfungsverfahren geführt, die bis zum zuständigen Oberlandesgericht gingen.

Die Beauftragung einer spezialisierten Anwaltskanzlei mit der Erstellung der Musterausschreibungsunterlagen ist dabei nur eine Variante im Umgang mit Rechtsunsicherheit, wie weiter unten noch zu sehen sein wird. In zwei Hinsichten ähneln sich jedoch die Prozesse der Standardisierung in den untersuchten Kommunen: Zum einen entwickeln sich diese Standards auch als Ergebnis von Lernprozessen, in die Erfahrungen vorangegangener Ausschreibungsrunden einfließen (im Falle von BERLIN: Erfahrungen mit Gerichten und klagebereiten Unternehmen). Zum zweiten gehen sie mit einer Öffnung der Entscheidungsprozesse für verwaltungsexterne Akteure (in BERLIN: u. a. eine Anwaltskanzlei) einher.

1.1.2 Konsultativ-partizipative Öffnung und Politisierung

Eine solche konsultative Öffnung der Entscheidungsprozesse kommt auch in dem oben aufgeführten Zitat aus D-BRÜCK zum Ausdruck, welches die schrittweise Weiterentwicklung des „Aufgabendefinitions-Portfolios“ beschreibt. Im Laufe dieses Prozesses wurden dort sowohl die Ausschreibungsunterlagen präziser gefasst, als auch ein Format zur Einbeziehung verschiedener Beteiligter entwickelt: Halbjährlich findet ein Austausch zwischen Schüler- und Elternrat, Gesundheits- und Lebensmittelüberwachungsamt, beauftragtem Caterer und Schulamt über die aktuelle Verpflegungssituation statt. Dies dient sowohl dazu, Wissen und Wünsche der Beteiligten ex ante einzubeziehen, also in Vorbereitung der Ausschreibungen, als auch als fortlaufendes System des Qualitätsmanagements, das Detailfragen und Probleme bei der Umsetzung des Auftrags zu klären hilft.

Ebenso illustriert das Vorgehen in C-FURT die Öffnung für externe Expertise und die Akkumulation von Erfahrungswissen: Für die Durchführung des ersten Vergabeverfahrens im Rahmen des Pilotprojektes und bei der Ausgestaltung der Vergabeunterlagen erhielt das Schulamt wichtige Unterstützung von der regionalen Vernetzungsstelle Schulverpflegung, wie auch von eigenen ‚peers‘, also Verwaltungseinheiten anderer Kommunen mit gleicher Funktion. Die zuständige Verwaltungsmitarbeiterin habe

„dann auch ganz viel aus dem Netz geholt, von anderen Städten. Und wir sind auch in [Nachbarstadt] zum Beispiel gewesen, haben uns informiert, wie die in [Nachbarstadt] die Ausschreibungen machen. Und so hat sich das dann von ganz klein entwickelt.“ (Schulamt, C-FURT)

Gestützt wird die Öffnung aber auch durch eine Politisierung der Prozesse: Gerade dort, wo, wie in D-BRÜCK und BERLIN, Eltern- und Schülervertretungen das Thema Essensqualität öffentlichkeitswirksam problematisieren, wird ihre Einbindung in die Erarbeitung neuer Verfahren bewusst auch mit dem Ziel der Legitimationsbeschaffung unterstützt (s. auch SenBJF 2017).Footnote 4 Die öffentlichkeitswirksame Kritik begünstigt auch eine weitergehende formale Politisierung – hier zunächst verstanden als Beteiligung politischer Akteure, die bislang üblicherweise nicht in die Detailsteuerung der kommunalen Ausschreibungspraxis einbezogen waren.

  • So beschränken sich in D-BRÜCK die Vertreter*innen von Schulen, Eltern und Schülerschaft nicht darauf, ihre Kritik an der Qualität der Essensversorgung in den halbjährlichen Austausch mit der Verwaltung (im Rahmen des erwähnten konsultativen Qualitätszirkels) einzubringen, sondern tragen diese auch an die lokale Presse-Öffentlichkeit und an die Parteien im Stadtrat heran. In der Folge bringt sich die politische Behördenspitze (Schuldezernent) sehr aktiv in die Reorganisation der Vergabe des Schulmittagessens ein. Mehrfach befasst sich zudem der gesamte Stadtrat mit der Angelegenheit – und eben nicht nur der zuständige Vergabeausschuss, der üblicherweise bei einzelnen Ausschreibungsverfahren den Auswahlvorschlag der Verwaltung bestätigen muss. In dieser Position am Ende des Verfahrens sind die Einflussmöglichkeiten nach einheitlicher Einschätzung mehrerer Ausschuss-Mitglieder in der Regel gering und die Zustimmung zur Zuschlagsentscheidung eher eine Formalie. Demgegenüber zielen die Interventionen im Stadtrat darauf, sich ex-ante, also vor Beginn des Vergabeverfahrens, über grundlegende Ziele und Rahmenbedingungen bei der Vergabe des Schulessens zu verständigen. Im Falle von D-BRÜCK steht dabei, wie erläutert, das Dilemma ‚Essensqualität versus soziale Inklusion‘ im Zentrum der Auseinandersetzung. Die formale Politisierung im Sinne einer Beteiligung politischer Akteure und Gremien verschafft auf diese Weise der inhaltlichen Politisierung, im Sinne einer Infragestellung der bisherigen Praxis und einer bewussten Abwägung konkurrierender Ziele, größeren Raum.

  • Ähnliches gilt in BERLIN; auch dort nimmt der Bruch mit der vorherigen Vergabepraxis den Weg über eine formale Politisierung. Dabei sind es gleich mehrere übergeordnete Behörden auf Landesebene, die die Reorganisation der Vergabeprozesse in der Schulverpflegung an sich ziehen und die Entscheidungsprozesse so aus der bisherigen kommunalen und verwaltungsseitigen Steuerung herauslösen. Diese Politisierung geht ihrerseits auf öffentlichkeitswirksame Kritik sowohl seitens der Cateringunternehmen wie auch seitens Elternvertretungen an der Praxis der Niedrigpreis-Vergabe zurück. Dies veranlasste das Landesbildungsministerium im Jahr 2011 dazu, zunächst eine externe fachliche Expertise in Form einer Studie zu den Angebots- und Preisstrukturen in der Berliner Schulverpflegung einzuholen (Arens-Azevedo und Tecklenburg 2012) und auf dieser Basis eine qualitätsorientierte Neuordnung der Vergabe einzuleiten. Das schließt, wie erwähnt, auch die Erarbeitung von Musterausschreibungsunterlagen ein. Die Politisierung ist in diesem Fall also ein starker Treiber hinter dem Prozess der Standardisierung.Footnote 5

Von der engen Einbindung der Schulen und Elternvertretungen bei dieser Standardisierung verspricht man sich in beiden Städten eine erhöhte Akzeptanz des Ergebnisses:

„Ja, bei der Erstellung des Leistungsverzeichnisses haben wir hier über ein Jahr, anderthalb Jahre fast (…) zusammengesessen, um das Leistungsverzeichnis möglichst nahe an das, was sich alle Beteiligten wünschen und worauf alle Wert legen, zu bringen (…). Und deswegen ist es hier so wichtig zu sagen: Das ist nicht das Ergebnis irgendeiner Expertenkommission aus dem Hinterzimmer, sondern tatsächlich direkt mit allen Beteiligten und möglichst auf breiten Schultern entstanden. Und da sind alle Für und Wider erwogen worden und jeder hatte eine Chance sich einzubringen. Dann haben Sie hinterher etwas, was besser trägt.“ (Schulamt, D-BRÜCK)

Auch in BERLIN sind Elternvertretungen und VNS eng in die Erarbeitung der neuen standardisierten Unterlagen einbezogen; auch dort betont der Vertreter der Berliner Schulbehörde den konsensstiftenden Wert des Verfahrens.

1.1.3 Umgang mit Rechtsunsicherheit: Zwischen vergaberechtlichem Perfektionismus und Tiefflug

Wie schon mehrfach anklang, sind die oben genannten Trends in den untersuchten Kommunen unterschiedlich ausgeprägt. Darin spiegeln sich auch unterschiedliche grundsätzliche Herangehensweisen wider, wie die Kommunen mit den gestiegenen Ansprüchen an die Qualität der Dienstleistungen bei gleichzeitiger Unsicherheit über ihre vergaberechtlichen Spielräume umgehen – bzw. wie sie sich diese vergaberechtlichen Spielräume aktiv erschließen.

Dabei lassen sich drei Varianten identifizieren. Der größtmögliche Kontrast besteht zwischen einem vergaberechtlichen ‚Perfektionismus‘, wie er in BERLIN praktiziert wird, und einer Art vergaberechtlichem ‚Tiefflug‘, also einer Fortbewegung ‚unter dem Radar‘ des Vergaberechts, wie er unter den untersuchten Fällen am ehesten in E-HAUSEN praktiziert wird. Dazwischen bewegen sich die beiden Kommunen D-BRÜCK und C-FURT, deren Vorgehensweise sich als vergaberechtlicher ‚Pragmatismus‘ kennzeichnen lässt. Gemeinsam ist allen drei Varianten aber, dass sie die Sicherung und Erschließung von vergaberechtlichen Entscheidungsspielräumen unter den neuen Bedingungen zum Ziel haben – seien es informelle oder formelle Spielräume.

Auffälligstes Merkmal der ‚perfektionistischen Herangehensweise in BERLIN ist die bereits erwähnte Beauftragung einer spezialisierten Anwaltskanzlei mit der Erstellung der Vergabeunterlagen. Daneben legt man hier aber auch intern – vor allem auf Ebene der Wirtschaftsbehörde des Landes (Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe (SenWEB)) – großen Wert darauf, sich eigenes vergaberechtliches Urteilsvermögen anzueignen und die dynamische Entwicklung des Vergaberechts im Blick zu behalten. Dabei hilft, wie der in die Reorganisation der Vergabeprozesse in der Schulverpflegung eng involvierte Beamte erläutert, auch die digitale Dokumentation des Rechtsgebiets und der digitale fachliche Austausch mit peers:

„Seitdem der europaweite Vergaberechtsschutz eingeführt wurde, ist das Vergaberecht eigentlich das am besten dokumentierte Rechtsgebiet überhaupt in Deutschland. Weil von Anfang [an] alles ins Internet gestellt wurde. Man muss also normalerweise keine alten Kommentare flöhen, und die Vergabegemeinde ist unglaublich gut vernetzt. Da gibt es einen Blog, der sehr wichtig ist. Es gibt zwei Foren, in denen sich alle verknüpft haben. Sowohl die Anwälte als auch die Richter, als auch die Vergabekammern, die ganzen Praktiker, die Kommunen, die Länder, der Bund, die sind alle da mit drin und diskutieren miteinander.“ (Wirtschaftsbehörde, BERLIN)

Anders als man vermuten könnte, führt der vergaberechtliche Perfektionismus eben nicht zur Einengung von Handlungsspielräumen, indem er in erster Linie das Bewusstsein für die Schranken des rechtlich Machbaren erhöhen würde. Im Gegenteil scheint der Rückgriff auf eigene und externe Expertise eher den vergaberechtlichen Wagemut zu stärken und es den Akteuren zu ermöglichen, sich neue oder zuvor unbekannte vergaberechtliche Optionen zu erschließen, die ihnen eine stärkere Gewichtung qualitativer Kriterien erlaubt. Mit der Entscheidung, den Preis als Auswahlkriterium vollständig auszuschalten und die Angebote stattdessen zu 100 % nach ihrer Qualität zu bewerten, setzt man sich in BERLIN sogar bewusst über die Rechtsprechung hinweg und nimmt damit eine spätere gesetzliche Neuregelung im Rahmen der Vergaberechtsmodernisierung 2015 vorweg, wie der Beamte erläutert:

„Es gab damals eine Entscheidung des Bundesgerichtshofes, die gesagt hat: ‚Nein, der Preis muss immer ein Zuschlagskriterium sein. Zumindest zu 30 %.‘ Und das war von Anfang an eine rechts-irrige Entscheidung. Und ich bin noch nicht mal Jurist. Ich habe nur Erfahrung. (…) Und hier, wir waren der Meinung, wir werden diese BGH-Entscheidung einfach ignorieren. Diese wurde dann auch später durch die vergaberechtliche Novelle letztendlich aufgehoben. Und seitdem ist dieses Vorgehen legal. Damals war es entgegen BGH.” (Wirtschaftsbehörde, BERLIN)

Die Einschaltung der Vergaberechtskanzlei dient dabei dazu, diese radikale Verfahrensinnovation zugunsten ‚weicher‘ Zuschlagskriterien anstelle des ‚harten‘ Kriteriums Preis auch auf vergaberechtlich saubere Weise umzusetzen. Dies habe man sich fachlich nicht selbst zugetraut; dass dies letztlich gelungen sei, sei der Vergaberechtskanzlei zu verdanken, die die Unterlagen „Wort für Wort für uns erstellt“ habe (Schulbehörde, BERLIN). Der Rückgriff auf vergaberechtliche Expertise (sowohl externe als auch behördeninterne) bleibt dabei keine einmalige Sache, sondern prägt auch die Durchführung der Ausschreibungen und die Weiterentwicklung der Unterlagen im Rahmen der nachfolgenden Ausschreibungsunterlagen.

Dafür, dass sich diese perfektionistische Variante in BERLIN herausbildet, kommen mehrere Gründe infrage: Zum einen ist die Landesebene in Stadtstaaten räumlich, organisatorisch und personell enger mit der kommunalen Ebene verbunden als in den Flächenstaaten, und kann so ihre umfangreichere Expertise in vergaberechtlichen Fragen leichter in eine Zusammenarbeit einbringen. Zum anderen dürfte auch die Marktsituation dies begünstigen: Die hohe räumliche Konzentration von Schulen und damit der hohe Umfang ausgeschriebener Leistungen macht den Berliner Markt auch für größere Firmen attraktiv, die durchaus den Willen und die Ressourcen mitbringen, ihr ‚Stück vom Kuchen‘ durch die Nutzung ihrer vergaberechtlichen Beschwerde- und Klagemöglichkeiten einzufordern. Das Schulamt im untersuchten Bezirk schildert hier zahlreiche Erfahrungen mit Firmen, die die Bezuschlagung von Konkurrenten in Zweifel zu ziehen suchen. So versuchten unterlegene Firmen beispielsweise, die genaue Punkteanzahl der bezuschlagten Firmen in Erfahrung zu bringen, was das Schulamt jedoch nach Rückversicherung bei der Anwaltskanzlei ablehnte:

„Weil, es ist ja so: Sie können ja bei bestimmten Punktkonstellationen genau erkennen, was der für eine Warmhaltezeit oder für einen Bio-Anteil angeboten hat. Und das wollten wir vermeiden. (…) Sonst hätten die gesagt: ‚Nee, der hat doch niemals so einen Bio-Anteil‘. Oder: ‚Der kann die Warmhaltezeit nicht einhalten‘. Und dann war das aber blöderweise so: als wir unsere [bezirksübergreifende] Arbeitsgruppe hatten, hat sich herausgestellt, dass da schon wieder einige Bezirksämter vorgeschnellt sind und denen schon diese Werte mitgeteilt hatten.“ (Bezirks-Fachamt, BERLIN)

Das Gegenstück zum vergaberechtlichen Perfektionismus auf Verwaltungsseite sind also Firmen, die das vergaberechtliche Spiel beherrschen, oder jedenfalls aktiv ihre Möglichkeiten nutzen – in diesem Fall die Koordinationslücken zwischen den Bezirken. Ob dies Folge oder Ursache des ‚perfektionistischen‘ verwaltungsseitigen Pfades ist, ist schwer zu beurteilen; so oder so stabilisieren sich beide Haltungen jedoch vermutlich wechselseitig.

Mit dem vergaberechtlichen Perfektionismus kontrastiert die Praxis in E-HAUSEN, die hier in etwas zugespitzter Weise als vergaberechtlicher ‚Tiefflug‘ bezeichnet werden soll. Die Zuständigkeit liegt zwar auch hier formal beim Schulamt, dieses „begleitet“ Ausschreibungsverfahren nach eigenen Worten aber eher; hauptsächlich treffen die Schulen selbst die Bieterauswahl. Die zentrale Vergabestelle der Kommune ist nicht einbezogen; dies hängt damit zusammen, dass es sich um Konzessionen handelt, die bis zur Vergaberechtsreform 2016 nicht unter das Vergaberecht fielen. Diese Praxis wäre allerdings unzulänglich verstanden, wenn man sie als bloßes Festhalten an eingeübten Praktiken interpretieren würde. Vielmehr ist sie das Ergebnis intentionaler Strategien, die dem Erhalt von Spielräumen unter geänderten Bedingungen dienen. Denn zur Nutzung von Konzessionen anstelle von Aufträgen hatte sich das Schulamt erst vor etwa 10 Jahren entschieden. Dafür entstand nach dem Streichen von öffentlichen Essenszuschüssen (die nach Vergaberecht eine Ausschreibung als Dienstleistungs-Auftrag erforderlich machen) ein Gelegenheitsfenster. Dabei hatte das Schulamt ganz bewusst die größeren rechtlichen Freiräume von Konzessionen im Blick:

„Und da haben wir gedacht: ‚Mensch, es muss ja noch was Anderes geben als Ausschreibung nach VOL‘, wo ja im Grunde genommen immer das wirtschaftlichste Ergebnis über den Zuschlag entscheidet. Und sind darauf gekommen, ja, eine Dienstleistungskonzession zu vergeben. Da sind Sie nicht an die strikten Vorgaben der VOL gebunden, sondern können ja doch ein Stück weit, ja wie soll ich sagen, das lockerer handhaben. Natürlich müssen Sie bestimmte Kriterien berücksichtigen und einhalten, wie Gleichbehandlung, und dass auch alles transparent ist“ (Fachamt, E-HAUSEN)

Ziel der Verfahrenswahl war es hier also, mehr Spielräume für die Auswahlkriterien zu bekommen, anstatt zu einem Zuschlag für das „wirtschaftlichste Ergebnis“ gezwungen zu sein – wobei dem Gesprächskontext zu entnehmen ist, dass damit hier das preislich günstigste Angebot gemeint ist.

Die neuen Spielräume werden dann weitgehend an die einzelnen Schulen weitergereicht – entsprechend der primären Zielsetzung, die Zufriedenheit der zahlenden Eltern durch größtmögliche Wahlfreiheit beim Essensanbieter zu erhöhen. Mit der gleichen Begründung steht das Schulamt auch einer weitergehenden Standardisierung von Ausschreibungsunterlagen, die den einzelnen Schulen etwa bestimmte Auswahlkriterien vorgibt, ablehnend gegenüber.Footnote 6 Die Standardisierung beschränkt sich hier auf ein Bewertungsformular, das die Schulen für jeden Anbieter auszufüllen haben, um ihre Auswahl zu begründen; Vorgaben für bestimmte Kriterien und ihre Gewichtung macht das Schulamt dabei nicht.

Zwischen diesen beiden Extremen – der Maximierung formeller Entscheidungsspielräume auf der einen Seite (‚Perfektionismus‘), der Maximierung informeller Entscheidungsspielräume auf der anderen Seite (‚Tiefflug‘) – ist die Praxis in den beiden anderen Kommunen angesiedelt, die wir als vergaberechtlichen ‚Pragmatismus bezeichnen. Kennzeichnend für diese Praxis ist, dass hier ebenfalls eher nach formellen Spielräumen innerhalb des modernen Vergaberechts gesucht wird; dieser Suchprozess aber weniger durch externe Expertise oder vergaberechtliche Weiterbildung des Verwaltungspersonals angeleitet wird, sondern auf einem ‚learning by doing‘ fußt. Die Ansammlung von Erfahrungswissen im Rahmen jeder Ausschreibungsrunde ist eine wichtige Quelle für die sukzessive Verbesserung der standardisierten Unterlagen und Prozesse. Neue Verfahrensweisen werden dabei nicht ex ante bis in den letzten Winkel hinein auf ihre vergaberechtliche Zulässigkeit hin durchleuchtet, sondern auch unter bewusster Inkaufnahme vergaberechtlicher Zweifelsfälle und dem Risiko von Klagen erprobt:

„Wir nutzen das [externe Angebot vergaberechtlicher Schulungen] jetzt halt nicht so forciert, das heißt, wir laufen jetzt nicht immer sofort los und sagen: ‚Okay, dann müssen wir uns da schulen‘. Sondern, wir sind da eher so: selbst es versuchen und dann eben eigene Rahmenbedingungen setzen, und dadurch dann die Erfahrung machen und dann eben nachsteuern. Und sagen: ‚Ja okay, müssen wir da noch vielleicht [etwas] anders machen‘. Und das geht dann schon auch so weit, dass wir natürlich auch Vergaberügen, Beschwerden und auch bis zu Nachprüfungsverfahren gegebenenfalls haben. Aber bislang, muss ich sagen, sind wir da ganz gut gefahren. Also das heißt, wir haben da jetzt nicht so große Fehler gemacht, dass uns da wer auch immer so dermaßen an den Karren fährt, dass wir da jetzt alles komplett neu überdenken müssen. (…) Vergaberecht oder Vergabe ist ja eigentlich ein Erfahrungsthema. Das hört man allerorten, dass man über lange Jahre Erfahrung diese Entwicklung ja dann mitbegleiten müsste. (…). “ (Vergabestelle, C-FURT)

Diese Herangehensweise kontrastiert wie gesehen deutlich mit dem Vorgehen in BERLIN, wo die Vermeidung vergaberechtlicher Prüfverfahren einen deutlich höheren Stellenwert zu besitzen scheint. Anders als in BERLIN ist es in C-FURT zumindest im Segment der Schulverpflegung allerdings auch noch zu keinen Bieter-Klagen gekommen. Dies kann auch mit der relativ kurzen Vergabe-Historie (2 Ausschreibungsrunden) zu tun haben; spiegelt sich aber auch in den Aussagen zweier befragter Catering-Firmen wider, die vergaberechtlich zweifelhafte Vorgehensweisen der Verwaltung im Vertrauen auf ein langfristiges Geben und Nehmen tolerieren und auf den Klageweg verzichten (s. ausführlicher Abschn. 8.2.1.2).

Diese drei unterschiedlichen grundsätzlichen Herangehensweisen im Umgang mit interner und externer Expertise prägen, wie noch zu sehen sein wird, auch die Detailsteuerung bei der Gestaltung der Vergabeverfahren.

1.2 Das Beispiel Sicherheitsdienstleistungen für Flüchtlingsunterkünfte

Im Vergleich zur Schulverpflegung sind öffentliche Auftragsvergaben für Sicherheitsdienstleistungen schon vor längerer Zeit formalisiert worden. Vergaben zum Schutz von Flüchtlingsunterkünften stellen allerdings eine Besonderheit dar, da mit dem rasanten Anstieg der Fluchtmigration ab dem Jahr 2014 die Anstrengungen in Land und Kommunen zunächst darauf konzentriert waren, ein schnelles Dach über dem Kopf bereit zu stellen. Händeringend wurden Heimbetreiber, sozialpädagogische Kräfte und Sicherheitsdienste gesucht. Diese Herausforderungen trafen öffentliche Auftraggeber weitgehend unvorbereitet; die Leistungen wurden in der gebotenen Flexibilität der ersten Zeit teils freihändig, überwiegend in Form von DringlichkeitsvergabenFootnote 7 eingekauft. Auch fachlich habe man, wie uns die Interviewpartner*innen in zwei Kommunen mitteilten, mehr oder weniger Neuland betreten und die folgenden Ausschreibungsverfahren auf Basis der ersten Erfahrungen formal und qualitativ weiterentwickelt. Nicht zuletzt vor dem Hintergrund der oben skizzierten Negativschlagzeilen, aber auch aufgrund vergaberechtlicher Grundsätze, sind die Kommunen zudem dazu übergegangen, auch für extern betriebene Unterkünfte die erforderlichen Sicherheitsdienstleistungen selbst auszuschreiben, anstatt dies den Heimbetreibern zu überlassen. Hiermit sicherten sie sich auch eigene Gestaltungsmöglichkeiten, um in diesem sensiblen Bereich höhere Anforderungen an die Dienstleister geltend zu machen.

Die nachfolgende Tab. 8.2 gibt erneut zunächst einen Überblick über die Entscheidungsstrukturen und Herangehensweisen in den untersuchten Kommunen, die im weiteren Verlauf des Abschnitts näher erläutert werden.

Tab. 8.2 Entscheidungsstrukturen und Umgang mit Rechtsunsicherheit: Sicherheitsdienstleistugsn für Flüchtlingsunterkünfte

1.2.1 Professionalisierung und Standardisierung

Aufbau und interne Ansiedlung der erforderlichen vergaberechtlichen Kompetenzen waren auch in diesem Dienstleistungsbereich in der jüngeren Zeit in Bewegung. Zum einen wurden, wie in anderen Geschäftsbereichen auch, in allen untersuchten Städten im Laufe der Zeit zentrale Vergabestellen mehr oder weniger weitreichend in die Vergabe von Sicherheitsdienstleistungen eingebunden. Diese Zentralisierung ist in den meisten Kommunen bereits mindestens 10 Jahre vor dem Untersuchungszeitraum erfolgt; nur in C-FURT ist dies erst wenige Jahre vor dem Untersuchungszeitraum erfolgt und nach eigenen Angaben noch nicht abgeschlossen. Zentrales Motiv war auch hier, angesichts der dynamischen Entwicklung des Vergaberechts die Verfahren der Ausschreibung und Angebotsbewertung mit vergaberechtlichem Know-How prüfend zu begleiten oder die Fachämter diesbezüglich zumindest zu beraten.

Auch auf Seiten der Fachämter wurden Kompetenzen ab dem Jahr 2015 stärker zentralisiert, um dem allerorts stark gestiegenen Bedarf nach Unterbringungsmöglichkeiten für Geflüchtete effektiver begegnen zu können. Hierzu sind zunächst in den zuständigen Fachbehörden, den Sozialämtern, temporäre Umstrukturierungen, zum Teil mit Ausgliederungen zu neuen Verwaltungseinheiten, vorgenommen worden. In zwei Kommunen (A-BURG und E-HAUSEN) sind die vergabespezifischen Aufgaben des Sozialamtes verlagert worden auf eine weitere Fachbehörde, das Immobilien-Ressort, welches in der Regel zuständig ist für die Vergaben der meisten anderen Arten von Sicherheitsdienstleistungen. Durch diese Umstrukturierung wurden die Entscheidungsprozesse insoweit professionalisiert, als vom Immobilien-Ressort durch langjährige Erfahrungen mit unterschiedlichen Bereichen für Sicherheitsdienstleistungen ein entsprechend breiteres Marktwissen erwartet werden kann.

Auf Seiten des Personals ist die fachliche Spezialisierung bislang noch nicht besonders ausgeprägt. Ein Teil der Verwaltungsbeschäftigten in den Fachämtern hat eine kaufmännische Ausbildung, in einem Fall kombiniert mit einem berufsbegleitenden Master-Studium im Facility Management (Immobilien-Ressort) absolviert. Ein anderer Teil sind Sozialpädagog*innen (Sozialämter) oder auch Quereinsteiger*innen mit Bezügen zum Gegenstand der einzukaufenden Dienstleistungen. Manche von ihnen profitieren von Erfahrungen, die sie einige Jahre lang in einer Vergabestelle gesammelt haben. Auch in den Vergabestellen haben die Verantwortlichen zum Teil eine klassische Verwaltungsausbildung oder den Diplom-Studiengang zum/zur Verwaltungswirt*in durchlaufen. Der Vertreter einer Vergabestelle ist zwar studierter Jurist, bezeichnet sich dennoch als „Sachbearbeiter im Bereich Vergabe“ (C-FURT). Lange Zeit war die juristische Ausbildung keine Voraussetzung für eine Tätigkeit in der Vergabestelle. Zumindest auf Leitungsebene beginnt sich dies allerdings zu ändern – zumindest in einer der untersuchten Kommunen (A-BURG), deren Organisation und Prozesse wir als vergleichsweise professionalisiert bewerten, werden zumindest Führungspositionen seit einiger Zeit schrittweise mit Jurist*innen besetzt.

Wie in der Schulverpflegung ist zudem auch eine prozedurale Zentralisierung in Form von standardisierten Verfahrensabläufen zu beobachten. Der Grad dieser Entwicklung kann hier sogar als ‚mittel‘ bis ‚hoch‘ gelten (s. Tab. 8.2), da sich überall professionellere Prozesse eingespielt haben und standardisierte Ausschreibungsunterlagen vorhanden sind, die zwar nach neuen Bedarfen angepasst, aber als bewährte ‚Technologie‘ aufgerufen werden. Die Vergabeverantwortlichen profitieren insbesondere dort von routinierten Arbeitsteilungen und verwaltungsinterner Fachexpertise, wo Sicherheitsdienstleistungen auch schon für andere Zwecke als die Unterbringung von Geflüchteten eingekauft worden sind bzw. werden (A-BURG und E-HAUSEN). In A-BURG haben sich auch der Ausschreibung vorgelagerte Prozesse insoweit professionalisiert, als eine standardisierte und zertifizierte RisikoanalyseFootnote 8 fester Bestandteil der Bedarfsermittlung ist. In den anderen Fällen greifen die in dieser Hinsicht weniger erfahrenen Sozialämter auf landespolitische Vorgaben (D-BRÜCK und C-FURT) und sogar Musterunterlagen (D-BRÜCK) zurück.

Jenseits dieser formalen Ähnlichkeiten in Bezug auf die Zentralisierung, die (bislang eher geringe) fachliche Spezialisierung und enge Kooperationserfordernisse zwischen Fachamt und Vergabestelle unterscheiden sich die Kommunen wahrnehmbar im Hinblick auf die konkrete Aufgabenverteilung und Ausgestaltung der Zusammenarbeit zwischen den beteiligten Verwaltungseinheiten. Diese Unterschiede schlagen sich zum Teil auch in den grundsätzlichen Herangehensweisen im Umgang mit Rechtsunsicherheit, die weiter unten noch näher erläutert werden. Sie betreffen insbesondere die Einbindung der zentralen Vergabestelle: Eine eher geringe Rolle spielt sie in C-FURT und D-BRÜCK. Hier sind die Sozialämter weitgehend eigenständig mit der Gestaltung des Verfahrens und des Vertrags betraut. Die Vergabestellen wirken durch punktuelle Beratung eher im Hintergrund, sorgen für die Veröffentlichung der Ausschreibungen auf elektronischen Plattformen und leisten mal mehr, mal weniger technischen Support (u. a. Weiterleitung von Bieterfragen, Preisranking eingegangener Angebote). In A-BURG und E-HAUSEN hingegen interveniert die zentrale Vergabestelle deutlich stärker in die einzelnen Ausschreibungen.

Weder die eine noch die andere Konstellation ist jedoch für sich genommen Garant für eine stärkere Berücksichtigung qualitativer Aspekte. Beides hängt vielmehr auch vom Aufgabenverständnis der Beteiligten ab. Die Vergabestelle in C-FURT, die im Rechtsamt der Kommune angesiedelt ist, sieht sich selbst als „neue Instanz“, die den Fachämtern mit Beratungsleistungen zuarbeitet und Vergabeprozesse begleitet, dabei aber kein Interesse daran hat, „mit erhobenem Zeigefinger“ eingespielte Praktiken zu unterbinden. Vielmehr käme es darauf an, durch vertrauensvolle Zusammenarbeit von den Fachämtern zu lernen und gemeinsam nach Lösungen für auftretende Probleme zu suchen. Das Sozialamt hat nach übereinstimmender Schilderung in dieser Kommune weitgehende Handlungsfreiheit in Bezug auf die formale und inhaltliche Ausgestaltung des Vergabeverfahrens. Das gilt auch in haushaltsbezogenen Fragen, also auch dann, wenn qualitative Kriterien die ausgeschriebene Dienstleistung absehbar verteuern; hier mische sich die Vergabestelle von vorneherein nicht ein, da die Budgetverantwortung beim Fachamt liegt, so der interviewte Vertreter des Fachamtes. Er begrüßt diese Zurückhaltung der Vergabestelle und nutzt die weitgehenden Entscheidungsfreiheiten auch für die Verfolgung von Qualitäts- sowie auch sozialen Zielen (s. Abschn. 8.2.2 und Kap. 9).

Demgegenüber wünscht sich der interviewte Fachamtsvertreter in D-BRÜCK eine stärkere, sogar dominante Beteiligung der Vergabestelle. Hinter diesem Wunsch steht nicht zuletzt das Bedürfnis nach mehr Rechtssicherheit:Footnote 9

„Wir sind keine Juristen, wir sind einfache Verwaltungsleute, und müssen dann irgendwelche Verträge ausarbeiten. Das führt natürlich dann zu Rechtsunsicherheit bei uns. Ja. Also ich würde mir mehr Einsatz der Vergabestelle wünschen (…). Heißt natürlich im Umkehrschluss, dass ich damit leben muss, dass ich wenig Einfluss hab. Aber damit kann ich auch leben, weil, mich interessiert es eh nicht, sag ich mal, wer gewinnt, sondern ich will, DASS jemand gewinnt. Und dass ich einen Vertragspartner [habe]“ (Fachamt D-BRÜCK)

Auch in den beiden Städten (A-BURG und E-HAUSEN) mit stärker zentralisierten Beschaffungsprozessen hängt die konkrete Vorgehensweise stark vom jeweiligen Aufgabenverständnis, insbesondere der Vergabestelle ab. In beiden Fallstudien ist nicht das Sozialamt, sondern das Immobilien-Ressort das zuständige Fachamt, das in Zusammenarbeit mit dem die jeweiligen Flüchtlingsunterkünfte betreuenden Sozialamt die Bedarfe ermittelt und ein Leistungsverzeichnis erstellt. In E-HAUSEN sind die Prozesse der Verfahrensgestaltung sowie der Angebotsbewertung auch vorrangig beim Immobilienressort gebündelt; die Vergabestelle nimmt aber stichprobenartig formale Prüfungen vor und wird bei Bedarf beratend tätig. Anders als in C-FURT begreift die Vergabestelle ihre Aufgabe dabei auch in der Wahrung der Haushaltsgrundsätze der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit, was nicht zuletzt mit ihrer organisatorischen Eingliederung in die Stadtkämmerei (nicht im Rechtsamt, wie in C-FURT) zu tun haben dürfte. Sie legt daher auch häufiger Einspruch ein, wenn die Fachämter mit Ideen für qualitative Zuschlagskriterien von rein preisbasierten Verfahren abrücken wollen:

„Muss man immer auch ein Augenmerk darauflegen: Das, was man damit erzeugt, kann man das auch dann bezahlen? Gerade die Gewichtung. Manchen ist, glaube ich, gar nicht klar, wenn die das wirklich einfach auch selten machen, wie die prozentuale Verteilung am Ende ist. Können sie sich das leisten? Und manchmal ist es wirklich so: Mit minimalen Punktverteilungen kommt dann ein Ergebnis raus, können die sich nie leisten. Also, wo wir dann auch den Hinweis geben und sagen ‚Da müssen sie sich nochmal Gedanken machen. Sie müssen den dann nehmen, sie können dann nicht sagen, der ist zu teuer‘.“ (Vergabestelle, E-HAUSEN)

Mit den Detailfragen der Punkteverteilung spricht die Vergabestelle hier die – auch in Fachkreisen als überaus komplex und entsprechend fehleranfällig geltende – Wertungsarithmetik bei Einschluss qualitativer Auswahlkriterien an, also ein vergabetechnisches Wissen, das vergaberechtlich wenig Erfahrenen („die das wirklich einfach auch selten machen“) tatsächlich wenig vertraut sein dürfte. Im vorliegenden Fall zieht – dies legt auch die Schilderung des Fachamtes in E-HAUSEN nahe – die Vergabestelle daraus vor allem die Konsequenz, den Einsatz qualitativer Kriterien als Wertungskriterien nach Möglichkeit zu minimieren.

Anders agiert demgegenüber die Vergabestelle in A-BURG, die am stärksten in die Durchführung der Ausschreibungen involviert ist. Dies ist die einzige Fallstudie, in der auch die Angebotsbewertung bis hin zur Entscheidung über den Zuschlag in die Verantwortung der Vergabestelle fällt. Wenngleich die Kritik im Interview implizit bleibt, sieht sich das Fachamt zu wenig eingebunden in den Bewertungsprozess. Dennoch bedeutet die dominante Position der Vergabestelle nicht, dass dadurch eine wettbewerbsrechtliche Logik dominiert. Vielmehr sieht sich auch der interviewte Vertreter der Vergabestelle in hohem Maße dem Leitbild des ‚Guten Dienstleisters‘ verpflichtet und nutzt, wie weiter unten noch zu sehen sein wird, seine Möglichkeiten, um dies in der Vergabepraxis umzusetzen.

Die Professionalisierung der Vergabe von Sicherheitsdienstleistungen für Flüchtlingsunterkünfte übersetzt sich also sowohl in dezentralere als auch in stärker zentralisierte Entscheidungsstrukturen. In beiden Varianten kommt es aber in hohem Maße auf das Aufgabenverständnis von Fachamt und Vergabestelle an, inwieweit das Mehr an Expertise im Vergleich zum Status quo ante auch in die Verfolgung qualitativer und sozialer Ziele fließt.

1.2.2 Politisierung: zwischen Routineübung und aktiver Intervention

Die Vergabe öffentlicher Aufträge unterliegt im Vergleich zum privatwirtschaftlichen Pendant einer gewissen Politisierung. So ist unseren Interviewpartner*innen zufolge gerade auch der Einkauf von Sicherheitsdienstleistungen für kommunale Bedarfe einer höheren öffentlichen und politischen Aufmerksamkeit ausgesetzt. Dies manifestiert sich etwa in Form von kritischen Nachfragen der Stadträte im Rahmen des formalen Entscheidungsverfahrens, welches ab einem bestimmten Auftragsvolumen die Zustimmung der Finanz- oder Vergabeausschüsse im Stadtrat erfordert.Footnote 10 In diesem Zusammenhang sind die auftraggebenden Stellen dazu angehalten, aufkommende Fragen zum Verfahren zu erläutern und Zuschlags-Entscheidungen zu rechtfertigen. Hier sind klare parteipolitische Unterschiede zu erkennen:

„Also es kommt immer mal wieder [vor], das ist dann auch Kommunalpolitik, da gibt es dann die eine oder andere Spitze: ‚Warum macht ihr dies, warum habt ihr das?'. Ist immer so. ‚Warum habt ihr den genommen, der ist doch viel teurer als andere?' Dann erklärt man jedes Mal wieder (…): ‚Qualität vor Preis‘, also nicht vor, aber relativ hoch. (…) Dann sagt die CDU: ‚Nee, ist uns zu teuer, warum brauchen wir das überhaupt?‘ Und die Linke sagt: ‚Auf jeden Fall‘.“ (Fachamt, D-BRÜCK)

Aus diesem Zitat klingt heraus, dass die Nachfragen oft vorhersehbaren Mustern folgen und aus Sicht der Verwaltungskräfte eher eine folgenlose Routineübung zwecks politischer Profilierung bleiben. Dies bestätigen auch Interviews mit Ausschuss-Vertreter*innen selbst, denen zufolge die politischen Einflussmöglichkeiten auf die Vergabe nur sehr begrenzt sind, da sie zumindest in drei der Fallstudien erst zuletzt zum „Abnicken“ der Entscheidungen einbezogen werden:

„Wir als Ausschuss sitzen ganz zum Schluss. (…) Das wirtschaftlichste Angebot wird dem Stadtrat dann vorgelegt. Und wir als Ausschuss haben dann nur die Möglichkeit, ja oder ja zu sagen. Wir als Ausschuss sollen dann nur mal überprüfen, ob das Verwaltungshandeln in Ordnung war. (…) Und da gibt es die Frage, dass wir uns als Ausschuss eigentlich ein bisschen missbraucht fühlen. Wo wir sagen: ‚Also bitte, was sollen wir denn?‘ Wenn wir es nur abnicken können, und keine andere Möglichkeit haben, dann brauchen wir doch den Ausschuss nicht.“ (Vergabeausschuss-Mitglied der Partei ‚Die Linke‘, E-HAUSEN)

Anders gestaltet sich die Einflussnahme des Stadtrates in A-BURG. Dort ist der Vergabeausschuss bei einer Auftragssumme von über 1 Million Euro bereits insofern involviert, als sowohl das Leistungsverzeichnis als auch ggf. weitere Zuschlagskriterien ‚abgesegnet‘ werden müssen. Auch hier machen einzelne Vertreter*innen von ihrem Auskunftsrecht regen Gebrauch. In der Vergangenheit sei sogar ein Prüfantrag an das Fachamt in Bezug auf Möglichkeiten der Kommunalisierung von Sicherheitsdienstleistungen und des Aufbaus einer umfangreichen Public–Private-Partnership gestellt worden.Footnote 11 Auch fasst der Stadtrat Beschlüsse zur Ausgestaltung von Verfahren und übt somit unmittelbaren Einfluss auf das Vergabegeschehen (ausführlicher s. Abschn. 8.2.2). Diese deutlicher ausgeprägte Politisierung bezieht sich überwiegend allgemein auf die kommunale Vergabepraxis, nicht spezifisch auf Sicherheitsdienstleistungen.

Über die kommunale Ebene hinaus ist zudem auch die Landesebene ein verwaltungsexterner Akteur, der auf die Ausgestaltung der Vergabeprozesse neuerdings Einfluss nimmt. Ähnlich wie in der Schulverpflegung steht diese formale Politisierung auch hier in enger Wechselwirkung mit der Standardisierung von Vergabeprozessen und -unterlagen. Denn die Medienberichte zu Übergriffen von Sicherheitspersonal auf Geflüchtete hatte auf der Landesebene im Falle von zwei unserer Fallstudienkommunen eine inhaltliche Politisierung zur Folge, die schließlich in Gestaltungsvorgaben für öffentliche Auftraggeber resultierten. Während diese in D-BRÜCK verbindlich anzuwenden sind, ging C-FURT dazu über, die jeweiligen Landesvorgaben freiwillig zu adaptieren. In D-BRÜCK tritt die Landesbehörde für Migration dabei als vergleichsweise dominanter Akteur auf. Sie stellt nicht nur Musterunterlagen und Preiskalkulationen für die Ausschreibungen verbindlich zur Verfügung, sondern nimmt vor Veröffentlichung der Ausschreibung auch Einsicht in das angepasste Leistungsverzeichnis. Zuletzt sind der Behörde die Angebotsauswertung und der Vergabevorschlag vorzulegen.

Darüber hinaus refinanzieren die Länder die Mittel für die Unterbringung der Geflüchteten, einschließlich der Sicherheitsdienstleistungen, und stecken damit den finanziellen Rahmen für die Gestaltung der Vergabeverfahren ab. Die Landesmittel sind nicht pauschaliert, sondern Gegenstand von Aushandlungen zwischen Kommunen und Landesverwaltung für jede Unterkunft. Die Aushandlungen nehmen insofern auch einen wichtigen Einfluss auf Verfahrensgestaltung und Personalbemessung in den Unterkünften (s. Abschn. 8.2.2.1).

1.2.3 Umgang mit Rechtsunsicherheit: Zwischen Perfektionismus und gebremstem Pragmatismus

Innerhalb dieser Entscheidungsstrukturen haben sich in den Kommunen unterschiedliche Herangehensweisen herausgebildet in Bezug auf die Bewirtschaftung der knappen Ressource Expertise und den Umgang mit Rechtsunsicherheit. Die Kommunen unterscheiden sich hier etwa im Hinblick auf den Stellenwert von Erfahrungswissen (versus formales, in Schulungen vermitteltes Wissen), Erfahrungsaustausch in der Fachcommunity und den Einbezug externer Expertise. Von einem ‚progressiven Vollzug‘ (D-BRÜCK) über einen ‚gebremsten‘ (E-HAUSEN) sowie gegenteilig: ‚progressiven Pragmatismus (C-FURT) bis hin zu einem ‚Perfektionismus‘ (A-BURG) ist eine erhebliche Bandbreite vertreten.

Am stärksten wird Rechtsunsicherheit als Problem in D-BRÜCK wahrgenommen, wo Zentralisierung und vergaberechtliche Professionalisierung am wenigsten fortgeschritten sind. Die vom Fachamtsvertreter vermisste Unterstützung seitens der zentralen Vergabestelle ist hier möglicherweise auch darauf zurückzuführen, dass die fachliche Spezialisierung dort wenig ausgeprägt ist. In der Vergabestelle seiner Kommune arbeiten „nur Verwaltungsleute oder Menschen, die das schon sehr lange machen. (…) Zumindest der Sachgebietsleiter sollte Jurist sein, damit man da auch eine Anlaufstelle hat“. (Fachamt, D-BRÜCK). Diese Situation setzt auf Seiten des Fachamtes allerdings keine Bemühungen um größtmögliche rechtliche Absicherung (durch punktuelles Einholen von externer Expertise, Ausbildung eines Netzwerks etc.) in Gang. Vielmehr geht das Fachamt, auch wegen der ansonsten wenig kooperativen Beziehung zwischen den Verwaltungseinheiten, mit dem Thema Rechtsunsicherheit eher distanziert um: Da im Zweifel niemand geeignet erscheint, die Unsicherheit zu begrenzen, erscheinen rechtliche Fragen dem Vergabeverantwortlichen in D-BRÜCK wie ein ‚blinder Fleck‘; sie liegen schlichtweg nicht in seinem Zuständigkeitsbereich, sodass sein Handeln eher einem Vollzug verbindlicher Landesvorgaben zur Steigerung der Dienstleistungsqualität gleicht (‚progressiver Vollzug‘). Anders als im Falle der Schulverpflegung in E-HAUSEN, wo sich das Fachamt ebenfalls wenig mit rechtlichen Fragen befasst (‚Tiefflug‘), sieht das Fachamt in D-BRÜCK in einer stärkeren Standardisierung aber eine Lösung und begrüßt daher auch die aktive Rolle der Landesebene in Form von obligatorischen Standards und Musterunterlagen für die Ausschreibungen als Hilfestellung. Denn sie kann die fehlende Unterstützung durch die eigene zentrale Vergabestelle ein Stück weit kompensieren: „Also hätten wir das Land nicht, das irgendwelche Musterverträge und Kalkulationen zur Verfügung stellen würde, hätten wir gar nichts.“ (Fachamt, D-BRÜCK). Erneut unterstreicht dies den Wert von konkreten politischen Vorgaben in einer Konstellation, in der Rechtsunsicherheit zugleich vergleichsweise hoch ist und das eigene Aufgabenverständnis – im Fachamt von D-BRÜCK auch mangels zeitlicher Ressourcen – eher auf rechtskonformes Handeln und den Vollzug hierarchischer Weisungen ausgerichtet ist. Ob dies den Weg für eine qualitative Wende ebnet, hängt dann in hohem Maße auch von den inhaltlichen Vorgaben ab, die in diesem Beispiel immerhin eine Öffnung des Wettbewerbs zugunsten von Qualitätskriterien (u. a. Anzahl höher qualifizierter Beschäftigter) begünstigen, im Hinblick auf die Eignung von Bietern jedoch sehr gering sind (s. Abschn. 8.2.2.1).

Demgegenüber entwickeln Fachämter und Vergabestellen in den anderen drei Kommunen stärker proaktive Strategien in der Bewältigung von Rechtsunsicherheit. Eine wichtige Rolle spielen dabei die Akkumulation von Erfahrungswissen und der Erfahrungsaustausch. Wenngleich die Vergabeakteure sich mit dem Durchlaufen von Schulungen für ihre Tätigkeiten ‚fit‘ gemacht haben, wird der Stellenwert von Erfahrungen, dem praxisbegleitenden Lernen, gegenüber dem Erwerb formalen Wissens häufig hervorgehoben:

„Wie gesagt, ich mach das noch nicht so lange und Vergaberecht oder Vergabe ist ja eigentlich ein Erfahrungsthema. Das hört man allerorten, dass man über lange Jahre Erfahrung diese Entwicklung ja dann mitbegleiten müsste.“ (Vergabestelle, C-FURT)

„Und das kriegt man im Grunde nur mit Erfahrung, weil, das kann man sich nicht vorher alles ausdenken, was passieren könnte. (…) Das Leistungsverzeichnis ist mit jeder Ausschreibung in den letzten Jahren immens gewachsen, weil wir jedes Mal wieder gedacht haben: ‚Oh Mist, das müssen wir beim nächsten Mal wieder beachten. Das müssen wir bei der Ausschreibung mit reinschreiben. Das wollen wir nicht‘, oder ‚Das und das wollen wir aber‘.“ (Fachamt, C-FURT).

Die hier zu Wort kommenden Vertreter von C-FURT verhalten sich zum Thema Rechtsunsicherheit folglich auch eher ‚progressiv pragmatistisch‘: Dem Sammeln von Erfahrungen bei der Durchsetzung qualitativer Vergabeziele wird der Vorrang gegenüber einer hohen Rechtskonformität gegeben, was sich in der Praxis in einem gewissen Mut zum Risiko niederschlägt (s. Abschn. 8.2.2).

Ein regelmäßiger Wissens- oder Erfahrungsaustausch mit ‚peers‘, also Kolleg*innen in Fachämtern und Vergabestellen anderer Kommunen, findet in den untersuchten Städten nicht statt. Zum Teil wird indirekt auf Wissensbestände zurückgegriffen, wenn im Zuge der Erstellung eines Leistungsverzeichnisses oder der Suche nach geeigneten Qualitätskriterien öffentlich zugängliche Ausschreibungsunterlagen anderer Kommunen recherchiert werden – wenngleich kaum eine Kommune für den neuen bzw. stark gewachsenen Bereich der Flüchtlingsunterkünfte über entwickelte Vorlagen verfügte und alle mehr oder weniger zum ‚learning by doing‘ gezwungen waren. In Bezug auf die Erfahrungen mit bestimmten Dienstleistern findet zudem punktuell auch ein direkter Austausch mit anderen Kommunen statt, sowohl informell als auch im Rahmen der Eignungsprüfung von Bietern. Die Vergabeverantwortlichen berichten hier zumindest von einzelnen Kontakten, „wo man mal den einen oder anderen anrufen kann“, die sich jedoch nicht zu einem funktionierenden Netzwerk verstetigt habenFootnote 12.

Ein koordinierter Erfahrungsaustausch zu vergaberechtlichen und -praktischen Themen findet in den Kommunen eher verwaltungsintern statt und geht durch die sehr unterschiedliche Frequenz derartiger Interaktionen mit einer unterschiedlich nachhaltigen Wissenssicherung einher. Während in der einen Kommune für die jährlich stattfindenden Dienstberatungen gelegentlich Fach-Inputs zur vergaberechtlichen Entwicklung gewonnen werden können, verfügt die größte der untersuchten Kommunen in ihrer Vergabestelle mit eigenem juristischen Know-How und häufigeren Meetings über ein professionelles internes Netzwerk:

„Hier sitzen die Abteilungsleiter einmal in der Woche am Montag zusammen und tauschen sich aus. Wir haben Juristen bei uns im Haus dafür, d. h. das fachliche Knowhow, was das Vergaberecht angeht, ist wesentlich höher heute hier in der Vergabestelle, als [es] im [Fachamt] damals gewesen ist (…). Wir haben jetzt auch einen Juristen, der jetzt Abteilungsleiter ist und wir werden dann einen Stabsstellenjuristen bekommen dafür und da ist dann die Kommunikation schon da. Weil, das Entscheidende ist: Wir wollen es einheitlich machen. Wir wollen ja nicht unterschiedlich arbeiten.“ (Vergabestelle, A-BURG)

Auch wird mit diesem Zitat deutlich, dass das Ziel eines regen Erfahrungsaustauschs in A-BURG nicht nur darin besteht, Wissenslücken zu schließen und vorhandenes Wissen zu festigen, sondern auch die Vergabestrategien letztlich insoweit zu professionalisieren, dass branchenübergreifend einheitliche Standards gelten.

Einen weiteren Aspekt im Umgang mit Rechtsunsicherheit stellt die Inanspruchnahme von vergaberechtsbezogenen Schulungs- und Beratungsangeboten dar, die von externen Akteuren angeboten werden. Begrenzter Gebrauch wird von kostengünstigen Weiterbildungsangeboten öffentlicher Körperschaften gemacht, in der die Kommune Mitglied ist (Städte- und Gemeindebund). Seminare und Beratungsleistungen durch spezialisierte Kanzleien oder privatwirtschaftliche Anbieter werden in den untersuchten Kommunen dagegen mit Skepsis betrachtet, was mal mit Blick auf die hohen Kosten, mal hinsichtlich der unklaren Absichten der Anbieter begründet wird:

„Da muss man, glaube ich, auch höllisch aufpassen, was man ja auf so einem Blatt Papier nicht immer erkennt (…): Gehst du zu Rechtsanwälten, die ja auch sich in irgendeiner Art und Weise, denke ich mal, schmackhaft machen? (…) Oder Beratungsunternehmen? Da ist ja, glaube ich, nicht nur der Gedanke einen zu schulen. Sondern, das ist halt für die eine Werbeveranstaltung (…). Aber in der Regel sind es wirklich auch die Preise, die sind jenseits, finde ich persönlich, von Gut und Böse. Also es ist ein sehr, sehr teures Rechtsgebiet.“ (Vergabestelle, E-HAUSEN)

„Also was mich ein bisschen wundert (…): Es gibt halt Schulungen ohne Ende natürlich (…)], wir werden hier überschüttet von Angeboten (…). Man muss natürlich dann immer auch sehen: Woher kommt der Mensch, der dann da schult oder wo ist der angesiedelt, (…) warum fühlt der sich jetzt berufen, da Einfluss zu nehmen? (…) Die Schwierigkeit ist eben, find ich persönlich immer, bei so Angeboten, zu gucken: Was ist jetzt die Ehrlichkeit dahinter? Wenn das jetzt ein Rechtsanwalt anbietet und da irgendwie beratend unterwegs ist, dann ist das, ich sag mal: ein Drittel Information und zwei Drittel Eigenwerbung.“ (Vergabestelle, C-FURT).

Die Einstellungen zur Nutzung externer Expertise, insbesondere in diesen beiden Kommunen, sind im Kontext eines pragmatischen Umgangs mit Rechtsunsicherheit zu sehen. In C-FURT nutzt man entsprechende Angebote auch deshalb „nicht so forciert“, weil man größeren Wert auf das Sammeln eigener Erfahrungen legt, verbunden mit einer betont offenen Haltung zum Risiko von vergaberechtlichen Fehlern, die geahndet werden könnten (‚progressiver Pragmatismus‘). In E-HAUSEN wird das Seminarangebot eines öffentlichen Trägers genutzt. Die Quintessenz, die der Vergabeverantwortliche daraus zieht, ist ein pragmatischer Umgang mit dem Vergaberecht, nach dem auch innovative Herangehensweisen möglich sind, solange man gut dokumentiert:

„Ich glaube, das meiste, was ich bei ihm gelernt habe: ‚Es ist egal, wie Sie sich am Ende entscheiden, es muss nur (…) nachvollziehbar dokumentiert sein und von daher wird Dir am Ende auch jede Vergabekammer wahrscheinlich Recht geben.‘ (…) Das versuche ich immer mir zu Gemüte zu führen und entsprechend: Wer schreibt, der bleibt.“ (Fachamt, E-HAUSEN)

Diese pragmatische Haltung, die für neue Verfahren zugunsten von mehr Qualität durchaus offen ist, wird allerdings durch die örtliche Vergabestelle ausgebremst, wie weiter unten noch zu sehen sein wird, daher fügt sich dies hier zum Gesamtbild eines ‚gebremsten Pragmatismus‘.

Externe Akteure können darüber hinaus auch in anderer Hinsicht eine Rolle spielen. Die Herstellung von Handlungssicherheit ist in den untersuchten Kommunen nicht nur auf vergaberechtliche Passung angelegt, sondern auch zum Teil darauf, die ‚Black Box‘ des Marktes mit Licht zu füllen. So ist der Vergabeverantwortliche in D-BRÜCK besonders dankbar über den „guten Telefonkontakt“ mit der Landesbehörde für Migration, die in dieser Kommune, wie erwähnt, über obligatorische Landesvorgaben die Auftragsvergabe von Sicherheitsdienstleistungen für Flüchtlingsunterkünfte mitgestaltet. Hier spielt ein externer Akteur insofern keine geringe Rolle, als er seinerseits aktiv auf den Vergabeprozess einwirkt und das Fachamt sich nicht erst, wie in den anderen Kommunen, selbst auf den Weg machen muss, um Fachwissen einzuholen. Die Landesbehörde teile auch mal Erfahrungen mit einzelnen Bietern, die etwa im Zuge eigener Ausschreibungen oder in der Zusammenarbeit mit anderen Kommunen gesammelt worden sind:

„Also ich weiß jetzt nicht, wenn sich jetzt die und die Firma bewirbt, ob das jetzt irgendwo ein schwarzes Schaf ist oder nicht. (…) Da gibt es dann auch einen Hinweis vom Land, manchmal: ‚Wenn der und der Bewerber dabei ist, guckt da mal genauer hin. Wir wissen, da ist die und die Kalkulation vielleicht nicht ganz in Ordnung.‘“ (Fachamt, D-BRÜCK)

Auch die Marktteilnehmer selbst werden mitunter mit ihrer Expertise einbezogen, so vor allem in A-BURG. Kontakte zum BDSW und einzelnen Verbandsunternehmen werden bemüht, um fachliche Fragen zu klären:

„Man tauscht sich telefonisch aus, man lernt sich ja kennen auf irgendwelchen Messen oder auf irgendwelchen Fortbildungsmaßnahmen, also der Kontakt wird da vertieft. Und es ist ja praktisch, wenn man dann einfach zum Telefonhörer greifen kann und mal fragen kann: ‚Ich hätte da mal eine Frage, können Sie mir das erklären?‘. Also eigentlich läuft das schon ganz gut.“ (Vergabestelle, A-BURG)

Dies passt gut in das Gesamtbild der Kommune, die sich nicht nur durch weitgehend professionalisierte Entscheidungsstrukturen im Vergabeprozess, sondern auch im Hinblick auf einen ‚perfektionistischen‘ Umgang mit Rechtsunsicherheit abhebt. Rechtliche und praktikable Spielräume werden einerseits durch eine vergleichsweise hohe verwaltungsinterne juristische Expertise als auch durch die zumindest informelle Konsultation von Branchenexpert*innen ausgelotet.

Die vorstehende Analyse zeigt insgesamt, dass mit der Zentralisierung neue Kooperationserfordernisse zwischen verschiedenen Verwaltungseinheiten entstanden sind; dabei treffen auch unterschiedliche Perspektiven im Hinblick auf Wünsch- und Machbarkeit von ‚mehr Qualität‘ aufeinander und müssen in Ausgleich gebracht werden. Die Fallstudien lassen aber keine durchgängigen Interessengegensätze nach dem Muster eines Konflikts zwischen ‚professionals‘ und ‚managers‘ erkennen – hier die primär an Dienstleistungsqualität orientierten Fachämter, dort die Vergabestellen, die je nach organisatorischer Anbindung als vergaberechtliche oder haushaltsrechtliche Bremsen wirken. Dem steht nicht zuletzt die zumeist recht weitgehende Autonomie der Fachämter entgegen. Und auch dort, wo zentrale Vergabestellen oder auch andere übergeordnete Landesbehörden durch standardisierte Unterlagen stark in die Ausschreibungsprozesse intervenieren, sind diese Interventionen teilweise auch dem Ziel der Qualitätssicherung verpflichtet. Hier kommt es in hohem Maße auf Aufgabenverständnis und Wertekanon der Beteiligten an, sodass sich innerhalb ähnlicher Strukturen unterschiedliche Varianten im Umgang mit dem Spannungsfeld von Rechtskonformität und Rechtsunsicherheit herausbilden.

Wichtig festzuhalten ist dabei, dass es auch jenseits einer Strategie der Maximierung von vergaberechtlicher Expertise (‚Perfektionismus‘) andere Varianten gibt, die Züge eines ‚agilen‘ Handlungsverständnisses tragen, und die grundsätzlich ebenso geeignet erscheinen, Lernprozesse anzustoßen und Lösungen für die zahlreichen Hürden und Herausforderungen in der Vergabepraxis zu entwickeln.

2 Strategien: Gute Qualität statt billigster Preis – aber wie?

Um die Lernprozesse und Lösungen, also die detaillierten Praktiken der Auftragsvergabe, soll es nun gehen. In beiden Segmenten entwickeln die Akteure hier Strategien, die den Preiswettbewerb einzuschränken suchen. Sie finden dabei unterschiedliche Antworten auf die im vorigen Kapitel angeschnittenen Herausforderungen – insbesondere die Schwierigkeit einer überprüfbaren und vergaberechtskonformen Qualitätsdefinition, der Qualitätsmessung ex ante sowie der Qualitätskontrolle ex post unter den jeweils besonderen Bedingungen der beiden Marktsegmente (v. a. Einbindung von vergaberechtlichen Laien in der Schulverpflegung, unseriöse Anbieter und Fachkräftemangel in den Sicherheitsdienstleistungen).

Auch wenn diese Strategien nur begrenzt und indirekt auf die Arbeitsbedingungen des eingesetzten Personals Einfluss nehmen, sollen sie auf den nachfolgenden Seiten etwas näher beleuchtet werden. Denn diese Detailanalyse verdeutlicht mehrerlei:

  • Mit dem Leistungsbestimmungsrecht greifen die kommunalen Auftraggeber erstens zunehmend tief in die Abläufe der Dienstleistungsproduktion ein und beschränken den Markt als Suchverfahren für Preis und Qualität zum Teil stark.

  • Zweitens mobilisieren sie dafür erhebliche Ressourcen und nehmen dafür auch höhere Transaktionskosten in Kauf, sowohl zum Zeitpunkt der Vergabe als auch während der Vertragslaufzeit.

  • Schließlich entwickeln sie drittens kreative Lösungen im Umgang mit Rechtsunsicherheit und weiteren Herausforderungen.

All dies gilt, wie wir noch sehen werden, für die sozialen Kriterien weit weniger; aber nicht, weil dies an einer grundsätzlich konservativen, auf rechtliche Absicherung fixierten Herangehensweise scheitert, sondern jedenfalls auch, weil diese primären qualitätsorientierten Strategien erhebliche Ressourcen und Aufmerksamkeit des Verwaltungspersonals in Anspruch nehmen. Zugleich bereitet die qualitätsorientierte Reorganisation aber in Teilen auch den Boden für die stärkere Berücksichtigung auch sozialer Kriterien.

2.1 Das Beispiel Schulverpflegung

Die unterschiedlichen Entscheidungsstrukturen und grundsätzlichen Herangehensweisen in den Fallstudien-Kommunen eröffnen auch unterschiedliche Wege zu ‚mehr Qualität‘ in der Schulverpflegung. Tab. 8.3 gibt zunächst einen Überblick über die jeweiligen Praktiken in der Auftragsvergabe in den vier Fallstudienkommunen, die nachfolgend näher erläutert werden.

Tab. 8.3 Strategien der Auftragsvergabe: Schulverpflegung

2.1.1 Verfahrensgestaltung: Innovationen zugunsten der Essensqualität

Am wenigsten Impulse in Richtung ‚mehr Qualität‘ gehen in E-HAUSEN von der Behördenseite aus. Hier hat das Schulamt mit der Verfahrenswahl ‚Konzession‘ und den damit verbundenen größeren vergaberechtlichen Freiräumen aber immerhin sichergestellt, dass der Preis nicht das einzige Kriterium sein muss. Dies eröffnet dezentrale Spielräume für das – nach Aussage des Schulamtes von Schule zu Schule sehr unterschiedlich ausgeprägte – Engagement von Schulleitungen und Eltern zugunsten der Essensqualität. Auch Bieter selber können sich mit eigenen Vorschlägen zur Qualitätsverbesserung einbringen und damit den Professionalisierungstrend an die Schulen herantragen. Dies illustriert der Fall des interviewten Unternehmens in E-HAUSEN, das im Rahmen eines ‚Pilotprojektes‘ an einer Schule von der Warmverpflegung zu einer Mischverpflegung übergegangen ist, bei der ein Teil der Speisen vor Ort von Ausgabekräften nachgegart oder frisch zubereitet wird. Diese Misch-Versorgungsform war keine Auflage in den Ausschreibungsunterlagen; vielmehr kam der Impuls hierfür laut Unternehmensinhaberin nicht zuletzt durch die entsprechende Öffentlichkeitsarbeit insbesondere der Vernetzungsstelle Schulverpflegung. Dadurch begünstigt habe sich dies „im Laufe des Ausschreibungsvorgangs (…) so mit der Schule im Gespräch entwickelt, mit den Elternvertretern: ‚Mensch, wir wollen eine Verbesserung. Wie können wir was machen?‘“ (Unternehmen SchuCat, E-HAUSEN).

Die weitgehende Delegation der Entscheidungsprozesse an die Schulen bietet also erhebliche Flexibilität, Impulse von außen (VNS) und von ‚unten‘ (Schulen, Eltern, Firmen) in Richtung mehr Qualität aufzunehmen und umzusetzen.Footnote 13 Eine stärker von oben steuernde Herangehensweise charakterisiert hingegen die Verfahrensinnovationen in den drei anderen Kommunen. Dort kommen drei verschiedene Verfahren zum Einsatz:

  1. 1.

    Die vollständige Ausschaltung des Preises als Auswahlkriterium (BERLIN);

  2. 2.

    eine hohe anteilige Gewichtung von Qualität als Auswahlkriterium (C-FURT);

  3. 3.

    und schließlich die Aushandlung von Preis und Qualität im Verhandlungsverfahren (D-BRÜCK).

Eine Vergabe, die den Preis als einziges Bewertungskriterium mit 100 % gewichtet, gibt es also in keiner Fallstudienkommune mehr, anders als im Bereich der Sicherheitsdienstleistungen.

Mit der vollständigen Ausschaltung des Preises als Auswahlkriterium greift man in BERLIN zu der radikalsten Innovation. Der Preis, zu dem die Caterer das Schulmittagessen anbieten müssen, wird hier – wiederum unter Rückgriff auf externe fachliche Expertise – vorab ermittelt. Bieter dürfen diesen Preis weder unter- noch überschreiten. Stattdessen sind sie gehalten, auf dieser Kalkulationsbasis ihr Angebot zu konzipieren; dies wird ausschließlich nach Qualitätsgesichtspunkten bewertet.

Grund für diese radikale Innovation war nach Darstellung des zuständigen Referenten in der Schulbehörde die Einschätzung, dass bei einer bloß anteiligen Gewichtung von Qualitätskriterien (oft mit weniger als 50 %) der Preis letztlich das dominante Auswahlkriterium bleibe. Zur Qualitätsbewertung legen die Musterausschreibungsunterlagen Mindestbedingungen und Zuschlagskriterien fest (Testverkostung: 50 %, schulbezogenes Umsetzungskonzept: 25 %, Warmhaltezeit: 15 %, Bio-Anteil: 10 %). Anders als in den anderen Kommunen macht das Leistungsverzeichnis die DGE-Qualitätsstandards dabei nicht nur zum Bewertungsmaßstab, sondern zur verbindlichen Auflage, und erhebt die dort enthaltenen Empfehlungen zum Vertragsbestandteil – in Übereinstimmung mit dem hier besonders stark berücksichtigten Leitgedanken des New Public Management, Leistungen mithilfe engmaschiger vertraglicher Vereinbarungen zu steuern und zu kontrollieren:

„Wir wissen in Berlin einfach: Alles, was wir vom Mittagessen erwarten, muss in die Vergabeunterlagen rein. Also kein ‚Ach bitte, machen Sie mal‘, sondern, ‚Die Dinger sind unsere Vertragsgrundlage‘.“ (Schulbehörde, BERLIN)

Neben diesen leistungsbezogenen Kriterien enthalten die Ausschreibungsunterlagen zudem detaillierte Verfahrensvorgaben zur partizipativen Qualitätsbewertung unter Mitwirkung der Schulen.

Für eine anteilige Gewichtung von Preis und Qualität hat man sich in C-FURT entschieden; qualitative Kriterien haben hier mit insgesamt 70 % (40 % Servicekonzept, 30 % Essensqualität) ein relativ hohes Gewicht. Die Schulen sind dabei zuständig für die Bewertung des Servicekonzeptes, auf Basis eines vorgegebenen Bewertungsschemas mit Schulnoten, die sie stichwortartig begründen müssen. Die Bewertung der Essensqualität im Hinblick auf ernährungsphysiologische Aspekte erfolgt demgegenüber durch das städtische Gesundheitsamt auf Basis von Musterspeiseplänen, die die Bieter dem Angebot beilegen müssen. Das Gesundheitsamt zieht dazu eine Checkliste von Kriterien auf Basis der DGE-Qualitätsstandards heran und vergibt Punkte, mit denen der „Erfüllungsgrad“ dieser Standards beziffert wird. Auch der Preis bleibt dabei nicht dem freien Wettbewerb der Bieter ausgesetzt, sondern muss in einem vorgegebenen Korridor landen und wird innerhalb dieses Korridors gemäß einer Punkteskala bewertet.

Anstelle einer festen Gewichtung von Qualität und Preis hat man demgegenüber in D-BRÜCK, wie bereits erwähnt, bei der letzten Ausschreibungsrunde erstmals von dem Verhandlungsverfahren Gebrauch gemacht, welches die neue Konzessionsvergabeordnung vorsieht. Das bietet aus Sicht des Schulamtes insbesondere den Vorteil, Qualitätsanforderungen und Preis auch in direkter Aushandlung mit den Anbietern ausbalancieren zu können, ohne sich dem Vorwurf der Wettbewerbsverzerrung oder Korruption auszusetzen. Zudem bietet das Verhandlungsverfahren erneut die Möglichkeit, die zu Beginn relativ weit auseinanderliegenden Interessen von Schulen und Eltern einerseits (Qualitätssteigerung bei bezahlbarem Essenspreis) und städtischer Politik andererseits (Primat der sozialen Inklusion) innerhalb des Verfahrens auszuhandeln und auf diese Weise zur Legitimationsbeschaffung beizutragen. Wesentliche Neuerung ist hier im Ergebnis die Umstellung von Warmverpflegung auf Kühlkost (‚Cook and Chill‘). In den Ausschreibungsunterlagen wurden die Bieter zudem aufgefordert, die DGE-Qualitätsstandards „als Grundlage bzw. Orientierung“ bei der Lebensmittelauswahl und Portionsgröße heranzuziehen. In Bezug auf den Preis schreiben die Unterlagen außerdem vor, dass mehrere preisgleiche Menüs pro Schule angeboten werden müssen. Damit wird an dieser Stelle dem Ziel der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse – durch die Unterbindung einer sozialen Segregation der Schüler*innen entlang unterschiedlich teurer Menülinien – Rechnung getragen. Dem gleichen Ziel dient die Ausschreibung als Gesamtlos und damit die Vergabe sämtlicher Schulen an einen einzigen großen Bieter.

Verfahrenswahl und genaue Ausgestaltung der Verfahren spiegeln also die unterschiedlichen Akzentuierungen bei den prioritären Zielen (soziale Inklusion,  Qualität), sowie die unterschiedlichen grundsätzlichen Herangehensweisen (‚Perfektionismus‘, ‚Tiefflug‘, ‚Pragmatismus‘) wider. Letzteres kommt insbesondere im unterschiedlichen Detaillierungsgrad der in den Ausschreibungsunterlagen enthaltenen Vorgaben zum Ausdruck. Im Ergebnis dokumentieren diese Fälle eine große Brandbreite an Verfahrensinnovationen, die den Preiswettbewerb zugunsten der prioritären Ziele deutlich beschränken. Weder der Preis noch die Qualität wird hier letztlich dem Suchverfahren ‚Markt‘ überlassen, sondern in hohem Maße durch mehr oder weniger politisch ausgehandelte Vorgaben in den Ausschreibungsunterlagen gesetzt.

Über die verschiedenen Verfahren hinweg sehen sich die Kommunen mit der Hinwendung zur Qualität aber insbesondere zwei Herausforderungen ausgesetzt: Zum einen, wie sie bei der Bieterauswahl ex ante die Qualität der Angebote bewerten; zum anderen, wie sie diese Qualität ex post, also nach dem Zuschlag, kontrollieren und das Qualitätsversprechen damit auch gewährleisten können. Im Umgang mit diesen Herausforderungen investieren die Kommunen erhebliche Ressourcen und experimentieren mit verschiedenen Verfahrensweisen.

2.1.2 Vor dem Zuschlag: Partizipative Qualitätsdefinition und -bewertung

Die Qualitätsdefinition selbst stellt die Akteure im Falle der Schulverpflegung nicht vor allzu große Schwierigkeiten, zumal mit den einschlägigen fachlichen Standards recht präzise und objektiv überprüfbare Qualitätsmaßstäbe vorliegen. Dies gilt zumindest für das Produkt selbst, also das Essen, dem die Qualitätsanforderungen auch schwerpunktmäßig gelten. So beziehen sich die Anforderungen in den Ausschreibungsunterlagen der untersuchten Kommunen in erster Linie auf eine gesunde und abwechslungsreiche Speisen-Zusammensetzung (gemäß DGE-Standard), auf den Anteil biologischer und/oder regionaler Lebensmittel, auf ein inklusives Angebot durch Wahloptionen bei religiös oder gesundheitlich bedingten Lebensmittel-Unverträglichkeiten. Mit den ‚Service-Konzepten‘ oder ‚Umsetzungs-Konzepten‘, die die Bieter einreichen müssen, fließen aber auch dienstleistungsbezogene Qualitätskriterien ein; etwa die Nutzerfreundlichkeit des Bestell- und Abrechnungssystems, Ideen für ergänzende ernährungspädagogische Aktionen in der Schule, und – sehr zentral – Ausführungen zum Qualitäts- und Beschwerdemanagement.

Eine Besonderheit der Schulverpflegung ist, dass zur Bewertung dieser Produkt- und Servicequalität neben dem Votum durch die verwaltungsseitigen Expert*innen in den Gesundheits- und Schulämtern partizipative Verfahren der Qualitätsbewertung unter Beteiligung von Bedarfsträgern und Vertreter*innen der Verbraucherseite treten. Diese wirken somit nicht nur bei der Erstellung der Ausschreibungsunterlagen mit, wie oben erläutert (s. Abschn. 8.1.1), sondern auch bei der Bewertung der Angebote. Verwaltungsseitig wird diesem ‚Verbraucher-Wahlrecht‘ zum Teil auch performative Wirkung zugesprochen, wie bereits ausgeführt, gemäß dem Credo: Am besten schmeckt, was man selbst ausgewählt hat. Damit verbindet sich auch die Hoffnung auf eine stärkere implizite Vertragsbindung der Verbraucher*innen (hier: vor allem der Eltern), und als Folge weniger Beschwerden und damit weniger verwaltungsseitiger Aufwand während der Vertragslaufzeit.

Dafür entsteht allerdings zum Zeitpunkt der Anbieterauswahl die Herausforderung, dass nicht nur die Behörden selbst neue Verfahren entwickeln müssen, sondern auch vergaberechtliche Laien die neuen Gepflogenheiten in dem wettbewerblichen Verfahren erlernen müssen. Zur größten Herausforderung wird dies bei der Variante ‚Perfektionismus‘ in BERLIN, wo der Anspruch an Rechtskonformität, wie gesehen, hoch ist und zugleich dem Votum der Schulgremien ein besonders starkes Gewicht bei der Auswahlentscheidung zukommt.Footnote 14 Um die Mitwirkung in vergaberechtskonformer Weise zu ermöglichen, enthalten die Musterausschreibungsunterlagen überaus detaillierte Vorgaben zur Vorgehensweise. Sie zielen im Kern darauf, erstens die Schulgremien zu einer nicht-diskriminierenden Auswahlentscheidung anzuleiten, die also nicht auf Vorlieben und vorgefassten Einschätzungen beruht, sondern auf den in den Ausschreibungsunterlagen minutiös vorgegebenen Kriterien zur objektiven Qualitätsbeurteilung. So enthalten die Unterlagen zum Beispiel ein Schema für die Bepunktung der sensorischen Essenqualität, die nochmal nach Geschmack, Geruch, Mundgefühl und Aussehen des Essens differenziert. Zweitens zielen die Vorgaben darauf, die Mitsprache der Schulen auf das vergaberechtlich zulässige Maß zu beschränken, die Vergabeentscheidung also zumindest formal nicht zu delegieren. Ein Kniff ist hier die Einsetzung einer ‚Ersatzjury‘, bestehend aus Mitarbeiter*innen des Schulamtes, die zusätzlich zu den Essensausschüssen der Schulen an den Testverkostungen teilnehmen und zu einer eigenständigen Qualitätsbewertung kommen, welche als Ersatz-Votum greift, wenn es Zweifel an der objektiven Qualitätsbeurteilung seitens der Schulgremien gibt. Damit ist hier eine Kontrollinstanz geschaffen, die den Schulgremien bei ihrer Auswahl(-empfehlung) gewissermaßen auf die Finger schaut.

Auf diese Weise trägt das neue Verfahren in BERLIN den bezirklichen Schulämtern und Vergabestellen auch die Aufgabe auf, für eine Professionalisierung (i.S.v. Objektivierung der Bewertung) der Entscheidungsfindung in den Schulgremien Sorge zu tragen und deren Mitsprache in vergaberechtlich zulässige Bahnen zu lenken. Aus dieser Mittlerrolle – der Aufklärung vergaberechtlicher Laien und der Berücksichtigung ihrer Wünsche – entstehen für die Vergabestelle mit die größten Herausforderungen. Mehrfach, so das Schulamt im ausgewählten Schulbezirk, habe es sich gezwungen gesehen, Schul-Voten durch das Votum der Ersatzjury zu ersetzen, was regelmäßig zu erheblichem Unmut auf Seiten der Schulen führe. Für das Schulamt verursacht dies viel kommunikative Nacharbeit, um für Aufklärung und Verständnis zu sorgen. Ein Problem stellt dabei aus Sicht der Behörde auch die Tatsache dar, dass sowohl die Elternvertreter*innen als auch das zuständige Schulpersonal häufig wechseln, sodass das Schulamt immer wieder vor der Aufgabe steht, Laien mit dem Prozedere vertraut zu machen und deren Fehler zu korrigieren.

Ergänzend oder anstelle solcher stark formalisierten Beteiligungsverfahren bei der Bieterauswahl haben sich in den Fallstudienkommunen aber auch Strategien und Praktiken herausgebildet, die die Ausbalancierung von Schul-Wünschen und Vergaberecht auf weniger formelle Weise bewältigen, zum Teil auch durch informelle Kompromisse am Rande des vergaberechtlich Zulässigen. Ein anschauliches Beispiel hierfür bietet der Fall C-FURT. Nach anfänglichen Versuchen mit dem Instrument des Probe-Essens hat man hier wegen vergaberechtlicher Zweifel, aber auch wegen des hohen organisatorischen Aufwandes darauf verzichtet und die Mitwirkung der Schulgremien auf die Bewertung des schriftlichen ‚Servicekonzepts‘ beschränkt (40 % Gewichtung). Mehrfach ist es dadurch auch hier vorgekommen, dass Schulen nicht ihren ‚Wunsch-Caterer‘ bekamen oder behalten durften, da die anderen Gewichtungskriterien (30 % Essensqualität, bewertet durch das Gesundheitsamt; 30 % Preis) stärker wiegen. Vermutlich auch, um daraus resultierende Konflikte zu vermeiden, bemüht sich das Schulamt daher, die Wünsche der Schulen im Vorfeld der Bieterauswahl, also bei der Ausgestaltung des Leistungsverzeichnisses, so weit als möglich zu berücksichtigen. Auf diese Weise lässt sich die Passförmigkeit der eingehenden Angebote mit den Schulwünschen ex-ante steigern – selbst unter Inkaufnahme vergaberechtlich umstrittener Kriterien. So werden zum Teil Bedingungen und Kriterien aufgenommen, die den Teilnehmerkreis de jure oder de facto deutlich beschränken. Nach Auskunft des Schulamtes kommt man beispielweise dem Wunsch einer Schule nach, wenn diese fordere, dass der Caterer binnen „fünf Minuten“ Ersatzlieferungen machen könne. Dies schränkt den Bieterkreis auf das unmittelbare örtliche Umfeld ein und ist sachlich – und damit vergaberechtlich – eher schwer zu begründen. Nach der Einschätzung beider befragten Unternehmen in C-FURT werden solche Vorgaben auch genutzt, um a priori bevorzugte Unternehmen bezuschlagen zu können. Der Vertreter eines Unternehmens schildert seine Erfahrung mit einer Ausschreibung, bei der eine Anfahrtszeit von 10 min in den Ausschreibungsunterlagen als Bedingung genannt wurde.Footnote 15 An dieser habe er sich ursprünglich beteiligen wollen, habe durch Gespräche im Vorfeld mit der Schulleitung aber erfahren, dass diese unbedingt den – nur wenige Fahrtminuten entfernten – bisherigen Anbieter behalten wollte. Daher habe er hier kein Angebot abgegeben; man wolle schließlich nicht mit Schulen zusammenarbeiten, die sich gegen die Zusammenarbeit mit dem neuen Caterer sperren würden. Zugleich schildert er einen ähnlich gelagerten Fall, bei dem ein anderes Unternehmen sein Angebot zurückgezogen habe, weil die Schule sein eigenes Unternehmen bevorzugt habe.

Informell hat sich hier in C-FURT also offenbar ein stillschweigender Konsens unter den Marktteilnehmern herausgebildet, auch vergaberechtlich fragwürdige Praktiken nicht zu beanstanden, weil man an einer guten Zusammenarbeit mit den Bedarfsträgern interessiert ist. Vermutlich wird diese Haltung wiederum dadurch begünstigt, dass sich in C-FURT bislang kaum externe, bundesweit tätigen Caterer an den Ausschreibungen beteiligt haben und das Marktsegment damit recht stabil unter wenigen regional angesiedelten Unternehmen aufgeteilt ist. Die zum Teil recht wohlwollende Auslegung des Vergaberechts durch das Schulamt zugunsten der Schulwünsche wird informell offenbar von allen Beteiligten mitgetragen – eine Voraussetzung die, wie gesehen, im Falle BERLINs fehlt und insofern den dortigen Formalismus zu erklären hilft.

2.1.3 Nach dem Zuschlag: Qualitätskontrollen und kooperative Qualitätsproduktion

Neben den Verfahren zur prospektiven Qualitätsbewertung haben die Kommunen umfangreiche Maßnahmen zur Qualitätskontrolle nach der Bezuschlagung, also während der Vertragslaufzeit, entwickelt. Bereits die Vorschriften im Rahmen der allgemeinen amtlichen Lebensmittelüberwachung verpflichten die Unternehmen zu Eigenkontrollsystemen mit umfangreichen Dokumentations-Pflichten (etwa zu Warmhaltezeiten, Temperaturkontrollen), die stichprobenhaft überprüft werden. Die Bemühungen der Kommunen im Rahmen der Vergabeprozesse gehen aber noch deutlich über diesen engen Fokus auf die Lebensmittelsicherheit hinaus und zielen auf die Durchsetzung der vertraglich zugesicherten Essensqualität (z. T. auch -quantität). Am stärksten sticht hier wiederum das Beispiel BERLIN heraus. Eine spezielle Stelle zur Qualitätskontrolle auf Landesebene, die die Essensqualität stichprobenhaft überprüfen, wurde hier auch als vertrauensschaffende Maßnahme gegenüber Schulen und Eltern eingeführt und ist zugleich aus Sicht des zuständigen Behördenmitarbeiters das nötige Gegenstück zur detaillierten vertraglichen Fixierung des Qualitätsversprechens:

„Und wir konnten damals mit der Neuordnung [den Eltern] auch schon etwas versprechen, dass wir eine völlig neue Art der Qualitätskontrolle im Land Berlin einziehen, die arbeitet jetzt schon. Wir haben eine Qualitätskontrollstelle in Berlin errichtet mit drei Ernährungsberatern, die nur das Mittagessen in Berliner Schulen kontrollieren. Die gehen in die Schulen, die probieren, die gehen in die Produktionsküche, die gucken sich die Speisepläne an und es werden sogar auch Laborproben des Essens bezogen, auch bundesweit einmalig. So dass wir also nicht nur ausschreiben und sagen: ‚Genau das wollen wir haben‘, sondern dass wir auch kontrollieren.“ (Schulbehörde, BERLIN)

Auch andernorts ist jedoch, wie in C-FURT, eigens dafür abgestelltes städtisches Personal während der Vertragslaufzeit beratend und kontrollierend in den Schulen tätig. Die Unternehmen müssen hierfür auch umfangreiche Einsicht in ihre Unterlagen gewähren und Nachweise beibringen, etwa Rechnungsbelege, die den vertraglich zugesicherten Anteil von Bio-Lebensmitteln am Gesamt-Wareneinsatz dokumentieren (C-FURT, BERLIN). Darüber hinaus verpflichten die Auftraggeber die bezuschlagten Bieter auch zu einer Art ‚kooperativem Qualitätsmanagement‘ unter Beteiligung der Schulgremien. So fließen die Qualitätsmanagementkonzepte der Bieter und darin vorgesehene Mitwirkungsmöglichkeiten der Schulen in die Bewertung der Angebote ein (C-FURT, BERLIN); oder die Bieter werden per Vertrag zur Durchführung regelmäßiger Zufriedenheits- Befragungen unter Schüler*innen verpflichtet, die wiederum auch in den halbjährlichen Qualitätsdialog auf städtischer Ebene unter Beteiligung von Schulen, Caterer sowie Schul- und Gesundheitsbehörde einfließen (D-BRÜCK).

Die befragten Unternehmen bewerten diese engen Kooperationsformen grundsätzlich positiv, weil dies im besten Fall auch zur Steigerung der Kundenzufriedenheit beiträgt und damit die Chance für positive Referenzen, eine Vertragsverlängerung oder sogar erneute Bezuschlagung bei Neuausschreibung erhöht. Häufige Wechsel auf Seiten der involvierten Schul- und Elternvertreter*innen begrenzen nach Einschätzung einer Unternehmensvertreterin (die sich auf ihre Erfahrungen an mehreren Standorten des Unternehmens bezieht) allerdings die Bindungswirkung solcher partizipativen Verfahren. Durch diese Wechsel stünde man immer wieder erneut unter Rechtfertigungsdruck in Bezug auf Kernparameter des Auftrags, also vor allem Preishöhe und Leistungsumfang, die während der Vertragslaufzeit vom Unternehmen selbst eben nur in engen Grenzen angepasst werden könnten. Hier wünscht sich das Unternehmen Entlastung durch eine kontinuierliche „Aufklärung“ der Eltern durch Politik und Behörden, die das Verständnis für vergaberechtliche Zusammenhänge, wie auch für produktionsseitige Abläufe und Kosten, und damit auch für den angemessenen Preis der Leistung, erhöhen könnten:

„Also, da muss grundsätzlich viel mehr aufgeklärt werden, das finde ich sehr schade. Auch, wie sich der Preis zusammensetzt, was die Mitarbeiter betrifft. Weil, das können auch ganz viele nicht nachvollziehen, was diese Vor- und Nachbereitungsarbeiten betrifft, was die Dokumentation betrifft, dass es schwierig ist, Personal für zwei Stunden zu finden, dass ich dementsprechend auch mehr bezahlen muss, damit ich auch Personal finde.“ (Geschäftsführung Cateringunternehmen, D-BRÜCK)

Auch für die Unternehmen fällt also – nicht zuletzt als Folge steigender Preise für gestiegene Qualitätsanforderungen – mitunter erhebliche kommunikative ‚Aufklärungsarbeit‘ im Zusammenhang mit den Verfahren der Qualitätsbewertung und -kontrolle an.

Insgesamt setzen die Kommunen gewissermaßen auf kooperative Qualitätsproduktion, anstelle der bloßen Kontrolle vertraglich vereinbarter Bestandteile. Dies verdeutlicht, dass man selbst dort, wo man sich bereits im Vorfeld intensiv um die präzise Vermessung und vertragliche Fixierung von Qualität bemüht hat, nicht allein auf das Steuerungsinstrument Vertrag verlässt, sondern erhebliche Ressourcen aufwendet, um diese Verträge mit Leben zu füllen und das Qualitätsversprechen damit wirksam zu erfüllen.

2.2 Das Beispiel Sicherheitsdienstleistungen für Flüchtlingsunterkünfte

Auch im Bereich der Sicherheitsdienstleistungen für Flüchtlingsunterkünfte entwickeln die Vergabepraktiker*innen durchaus kreative Praktiken, in denen sich auch die unterschiedlichen grundsätzlichen Umgangsweisen mit Rechtsunsicherheit niederschlagen. Tab. 8.4 gibt dazu zunächst einen Überblick.

Tab. 8.4 Strategien der Auftragsvergabe: Sicherheitsdienstleistungen für Flüchtlingsunterkünfte

2.2.1 Verfahrensgestaltung: Mehr Gewicht für die Qualität

Die Ausschreibungen für Sicherheitsdienstleistungen für Flüchtlingsunterkünfte gestalten sich in den vier Fallstudienkommunen übergreifend als offene, EU-weite Verfahren, wobei einzelne, auf die jeweiligen Unterkünfte bezogenen Aufträge in Lose gebündelt werden. Im Hinblick auf die Sicherstellung von Qualität bei der Ausführung der Sicherheitsdienstleistung nutzen die Auftraggeber zwei Möglichkeiten:

  1. 1.

    Bei der Angebotsbewertung ist der Preis das einzige Zuschlagskriterium; Qualitätsaspekte werden über die Festlegungen bestimmter Eignungskriterien sowie Bestimmungen im Leistungsverzeichnis mehr oder weniger weitreichend vorgegeben (A-BURG, C-FURT, E-HAUSEN).

  2. 2.

    In die Angebotsbewertung fließen auch Qualitätskriterien ein, etwa die Anzahl qualifizierter Kräfte, die zum Einsatz kommen (D-BRÜCK).

Die Gründe für diese Strategien sind verschieden: In E-HAUSEN trägt sowohl die ablehnende Haltung der Vergabestelle gegenüber qualitativen Kriterien dazu bei; als auch eine stärkere Orientierung am finanziellen Rahmen, der durch die Aushandlungen zwischen Sozialamt und Land zur Kostenerstattung mit beeinflusst wird. Weil der refinanzierte Personalschlüssel und der zeitliche Bewachungsumfang – und damit der größte Kostenfaktor – in diesen Aushandlungen vorab festgelegt werden, sieht das Immobilienressort keinen Raum für qualitative Kriterien, welche zur Bezuschlagung von Angeboten mit höherem Stundenvolumen zwingen könnten, die dann nicht vollständig refinanziert würden.Footnote 16 Qualität wird hier daher über verbindliche Vorgaben versucht zu berücksichtigen. Folgendes Zitat macht deutlich, dass es bei dieser Variante der Preisgewichtung zu 100 % darauf ankommt, Qualität ex ante möglichst detailreich vorzudefinieren und dabei stets das Auftreten möglicher Probleme zu antizipieren:

„Ich sage immer meinen Auszubildenden als praktisches Beispiel: Wenn Sie ausschreiben, in dem Sie sagen: ‚Ich möchte einen Stuhl kaufen, der Günstigste kriegt das Angebot‘. Da kriegen Sie einen Stuhl, und der hat nur ein Bein, das ist das Problem. Und dann sage ich: ‚Ach stimmt, habe ich nicht dabei gesagt‘. Also müssen Sie aufschreiben: ‚Ein Stuhl, der vier Beine hat‘. Und dann kriegen Sie einen Stuhl mit vier Beinen, aber der hält nur 40 kg. Und dann, das ist ja genau der Punkt, dass man vorher genau alles wissen muss, was hinterher auftreten könnte.“ (Fachamt, C-FURT)

Auch in A-BURG ist den Interviewten sehr daran gelegen, die Entscheidung für eine 100 %ige Preisgewichtung gegenüber der verbreiteten Annahme zu verteidigen, dies begünstige Mängel in der Auftragsausführung:

„Standard geht bei uns der Zuschlag nach dem Preis. Also der billigste Anbieter kriegt den Zuschlag. Das heißt aber nicht, weil das immer falsch verstanden wird, dass wir nur auf den Preis schauen, sondern es müssen eine Reihe von Qualitätskriterien erfüllt werden.“ (Vergabestelle A-BURG)

Anders als in den drei anderen Kommunen hat sich in D-BRÜCK das zuständige Fachamt gerade erstmals für eine Öffnung des Preiswettbewerbs zugunsten leistungsbezogener Wertungskriterien entschieden.Footnote 17 Begünstigt hat die Entscheidung für diese progressivere Vergabestrategie keine umfassende vergaberechtliche Bewertung oder der Einbezug eines multiprofessionellen Netzwerks, wie im Falle der Schulverpflegung zum Teil der Fall, sondern der „Hinweis vom Land, der besagt: ‚Nein, nicht 100 % nach dem Preis‘“ (Fachamt, D-BRÜCK). Hintergrund ist die bereits erwähnte, vergleichsweise umfangreiche landespolitische Finanzierung zur Unterbringung von Geflüchteten, die auch die Ausstattung mit einem Sicherheitsdienst beinhaltet (s. Abschn. 8.1.2.2). Auch wolle man Anreize für einen höheren Anteil qualifizierter und im Hinblick auf die zu veranschlagenden Personalkosten teurerer Kräfte schaffen. Bei der üblichen, rein preisbasierten Strategie stehe man, so der Interviewte, vor dem Problem, dass die Bieter dazu geneigt sind, eher die billigeren Kräfte einzupreisen.Footnote 18 Zugleich biete die gewählte Variante zumindest theoretisch den Vorteil, das Unternehmen mit den meisten qualifizierten Mitarbeiter*innen zu bezuschlagen. Was die Gewichtung von Preis (70 %) und Qualität (30 %) angeht, zeigt sich der Vergabeverantwortliche noch nicht zufrieden. Eine höhere Bewertung qualitativer Leistungskriterien sei jedoch gegenüber dem kommunalen Vergabeausschuss nicht durchzusetzen.

Auch bei dieser Variante kommt es aber nicht allein auf die quantitative Gewichtung an, sondern auch auf die Auswahl geeigneter Gewichtungskriterien, weiterer Vorgaben und Kontrollen (siehe die folgenden beiden Abschnitte).

2.2.2 Vor dem Zuschlag: Qualitätsprüfung jenseits bloßer Nachweispflichten

Bei der Formulierung von Qualitätsanforderungen und ihrer Prüfung und Bewertung in den eingegangenen Angeboten stehen die Kommunen im Bereich der Sicherheitsdienstleistungen insbesondere vor zwei Herausforderungen: Die Angebotsstrukturen des Marktes, sprich ein Engpass in Bezug auf seriöse Unternehmen sowie zuverlässiges und fachlich qualifiziertes Personal, sowie Hürden des Vergaberechts. So zieht das neue Vergaberecht wie erläutert enge Grenzen für einen Ausschluss von Bietern aufgrund von Schlechtleistungen bei früheren Aufträgen (s. Abschn. 7.1.2.3).

Diesen Herausforderungen begegnen die Kommunen zunächst mit Anforderungen, die in die Eignungskriterien sowie das vertraglich bindende Leistungsverzeichnis der Vergabeunterlagen integriert sind. Zwischen den Fallstudien variieren die Anforderungen an die Unternehmen zur Sicherung einer qualitätsvollen Performanz ex ante zum Teil recht stark, wie Tab. 8.4 veranschaulicht. Die hinsichtlich ihres Umfangs und Detaillierungsgrades geringsten Vorgaben werden in D-BRÜCK getroffen, wo Bieter lediglich auf Nachfrage die Auskömmlichkeit des Angebots bestätigen müssen. D-BRÜCK ist zwar die einzige Kommune mit qualitativen Zuschlagskriterien, bildet in Bezug auf detaillierte Bieter-Vorgaben jedoch das Schlusslicht. Die umfassendsten und stringentesten Regelungen trifft dagegen A-BURG. Zum einen bilden die vielen Nachweispflichten im Rahmen der Eignungsprüfung ein erstes wichtiges Qualitätssieb, zum anderen wird mit einem detaillierten Leistungsverzeichnis eine vertragliche Bindung des Dienstleisters an das erwartete Qualitätsniveau fixiert.

Von den bietenden Unternehmen werden in den verschiedenen Kommunen (z. T. nachweispflichtige) Angaben zu einer großen Bandbreite von Kriterien gefordert, die in erster Linie dem Nachweis der wirtschaftlichen und finanziellen Leistungsfähigkeit dienen.Footnote 19 Die technische und berufliche Leistungsfähigkeit wird neben dem bereits erwähnten Nachweis von Referenzen über die Zugehörigkeit zur Berufsgenossenschaft inkl. ausgestellte Unbedenklichkeitsbescheinigung, eine Angabe zur Anzahl der Beschäftigten nach Qualifikation bzw. betrieblicher Position, sowie einer Beschreibung von Unternehmensstruktur, Qualitätsmanagement oder teils auch Personalauswahlverfahren sowie Aus- und Weiterbildung abgefragt. Eine Kommune verlangt von den Bietern die Zertifizierung nach DIN 77200 und sichert sich insofern durch formale Branchenstandards ab. Des Weiteren werden Seriosität und Zuverlässigkeit der Bieter in Form von Eigenerklärungen zu einer Reihe von Strafbeständen überprüft, deren Vorliegen fakultative und zwingende Ausschlussgründe darstellen, u. a. Geldwäsche, Betrug, Bestechlichkeit und Bestechung sowie Steuerhinterziehung (zwingend) und Verstöße gegen geltende umwelt-, sozial- und arbeitsrechtliche Verpflichtungen oder gravierende Schlechtleistung in einem vorherigen Auftrag, die zu vorzeitiger Beendigung des Vertrags geführt haben (fakultativ).

Diese schriftlichen Nachweise alleine gelten den Fachämtern aber zumeist nicht als ausreichende Grundlage, um unseriöse Anbieter auszuschließen. Ein weiteres Mittel, um die Leistungsfähigkeit und Qualität von Bietern ex ante beurteilen zu können, ist daher die Prüfung der nachzuweisenden Referenzen. In drei Kommunen wurde nicht nur eine Liste vorheriger, ähnlicher Aufträge von den Bietern abgefragt, sondern zusätzlich mithilfe eines Fragebogens bei den jeweiligen Auftraggebern recherchiert, „ob der Dienstleister überhaupt im Stande ist, nach Treu und Glauben sozusagen, die Dienstleistung zu erfüllen“ (Fachamt, E-HAUSEN). Die Fragen zielen mit unterschiedlichem Detailierungsgrad etwa darauf ab, ob sich der Auftragnehmer an Absprachen hielt, wie er auf Anregungen oder Beschwerden des Auftraggebers reagierte, oder ob das eingesetzte Personal unzuverlässig arbeitete. Diese Form der Qualitätskontrolle wirkt den Vergabeverantwortlichen zufolge im doppelten Sinne: Die Auftraggeber gewinnen durch das Teilen von Erfahrungen mit Peers gesichertes Wissen zur Qualität einzelner Dienstleister. Ebenso sind die Unternehmen auf gute Referenzen angewiesen, sodass sie selbst ein Interesse daran haben, eine qualitativ hochwertige Leistung zu erbringen.

Allerdings setzt das modernisierte Vergaberecht wiederum Grenzen bei der Verwertung dieser Informationen, die bei der Prüfung der Referenzen eingeholt werden; die Hürden für einen Ausschluss vom Verfahren sind relativ hoch gesetzt (Geitel 2018; Soudry 2019).Footnote 20 Auch damit müssen die Kommunen also einen Umgang finden. Zum Teil legen die Strategien zur Prüfung der Zuverlässigkeit und Seriosität der Unternehmen dabei einen risiko-bewussten Umgang mit der Vergaberechtskonformität offen. So hatte der Vergabeverantwortliche in E-HAUSEN in der Vergangenheit mit einem Bieter aufgrund seines sehr verzweigten und schlecht nachvollziehbaren Firmengeflechts „kein gutes Gefühl“ und schloss das Angebot vom weiteren Verfahren aus:

„Und da weiß man im Vornherein: Das kann nichts werden. Deswegen haben wir die dann auch ausgeschlossen, einfach aufgrund fehlender Eignung. (…) Also ich bin jetzt so ehrlich, (…) wir haben dann einfach in unserem Vergabevorschlag die Begründung reingeschrieben, dass der Bieter nicht vollumfänglich seine Leistungsfähigkeit nachweisen konnte uns gegenüber, und der deswegen ausgeschlossen wurde. Hätte der Bieter geklagt, wären wir wahrscheinlich bei der Vergabekammer hinten runtergefallen. Also er hat wirklich alle Unterlagen, die wir gefordert haben, konnte er nachweisen. Aber wir hatten am Ende halt wirklich kein gutes Gefühl bei dem Bieter. Und wir sind an der Stelle hier einfach auf Risiko gegangen.“ (Fachamt, E-HAUSEN)

Eine andere Variante stellt die progressiv-pragmatische Herangehensweise von C-FURT im folgenden Beispiel dar, bei der rechtliche Spielräume bei der Verfolgung von Qualitätszielen allenfalls retrospektiv hinterfragt werden. Das zuständige Fachamt beschreibt hier, wie es im Rahmen der Referenzprüfung Bieter ausschließt, die entweder in früheren Aufträgen nur kurzzeitig tätig waren oder Kündigungen erfahren haben:

„Und wenn nur eine dieser (…) Fragen mit ‚Ja‘ beantwortet wird, ist der Anbieter sofort raus, das habe ich so reingeschrieben. (…). ‚Wurde der Auftrag vorzeitig vom Referenzgeber gekündigt?‘. Also, wenn dem schon mal gekündigt wurde, will ich den auch nicht bei uns haben, ne. Kündigungsgrund ist mir dann sogar egal im Grunde gewesen. Wobei da sogar die Frage wäre im Nachhinein, wenn ich jetzt darüber nachdenke, ob das rechtens überhaupt haltbar ist, weil theoretisch müsste man ja sagen, wenn jetzt aus betrieblichen Gründen gekündigt wurde, dann wäre das ja kein Grund den Bewerber abzulehnen. Also das ist vielleicht/Beim nächsten Mal Überarbeiten fällt mir das auf (lacht).“ (Fachamt, C-FURT)

Um auch im Hinblick auf das einzusetzende Personal möglichst Seriosität und Zuverlässigkeit zu sichern, werden von den Unternehmen ebenfalls bestimmte Nachweise verlangt und formale Anforderungen gestellt (u. a. eintragungsfreie, erweiterte Führungszeugnisse nach § 30a Bundeszentralregister). Auch hier stehen die Kommunen jedoch vor der Schwierigkeit, dass die entsprechenden Angaben und Nachweise der Unternehmen nur bedingt verlässlich und ex ante überprüfbar sind; und zu hohe Anforderungen zudem das Risiko bergen, dass sie die Firmen überfordern.

  • In Bezug auf die formale Qualifikation entwickeln die Auftraggeber der untersuchten Kommunen unterschiedliche Lösungsansätze im Umgang mit dem Problem des Fachkräftemangels, der sich schon darin äußert, dass nur wenige über die niedrigschwellige Sachkunde gemäß § 34a GewO verfügen. Ungeachtet dessen fordern die Kommunen C-FURT und E-HAUSEN für alle zum Einsatz kommenden Sicherheitskräfte einen Nachweis zum erfolgreichen Abschluss der Sachkundeprüfung und üben damit, wenn auch unintendiert, einen gewissen Druck auf die Branche aus. Die Kommunen A-BURG und D-BRÜCK legen hingegen im Wissen um die Marktschwierigkeiten lediglich für eine Kraft je Schicht (mit Koordinationsaufgaben vor Ort) eine höhere Qualifikation als die Unterrichtung festFootnote 21 – wobei D-BRÜCK einen Anreiz für zusätzliche qualifizierte Kräfte setzt, indem deren Anteil in die Qualitätsbewertung einfließt. Alle Kommunen teilen aber die Erfahrung, dass die Auftragnehmer Schwierigkeiten damit haben, ihren vertraglichen Pflichten nachzukommen; entsprechend wird oftmals eine Übergangszeit von 3–6 Monaten gewährt, in der Mitarbeiter*innen mit einfacher Unterrichtung („Sitzschein“, s. Abschn. 6.3.1) für den Auftrag eingestellt werden können.

  • Neben den formalen Qualifikationsanforderungen betreffen die Anforderungen an das Personal Fragen der Berufserfahrung – mindestens ein Jahr in einem einschlägigen, publikumsbezogenen Objektbereich – sowie spezifische Kompetenzen bezogen auf den Einsatz in Flüchtlingsunterkünften – u. a. Wissen um Asylverfahren, Recht und Pflichten von Geflüchteten, Umgang mit traumatisierten Menschen und konfliktarme sowie -mindernde Kommunikation. Zwei Kommunen machen, gemäß den Empfehlungen des BDSW (s. Abschn. 6.3.1), vorab die Teilnahme an einer entsprechenden Schulung zur Auflage, die an einer „unabhängigen“ oder „vom BDSW zertifizierten“ Sicherheitsfachschule durchgeführt wird.

Gerade in Bezug auf die weichen, nicht zertifizierten Kompetenzen ist eine Überprüfung ex ante allerdings so gut wie nicht möglich, und findet auch nicht statt. In Ergänzung zu den verschiedenen Ansätzen, Qualitätsgesichtspunkte bei der Bezuschlagung der Angebote, also ex ante, zu messen und zu berücksichtigen, treten daher in den untersuchten Kommunen verschiedene Strategien der Qualitätssicherung ex post, die also nach dem Zuschlag die Unternehmen dazu anhalten sollen, das Qualitätsversprechen einzuhalten.

2.2.3 Nach dem Zuschlag: Kontrollen, Anreize und indirektes Personalmanagement als Instrumente der Qualitätssicherung

Im Gegensatz zum Aufwand bezüglich der Messbarkeit und Bewertung von Qualität im Vorfeld der Zuschlagserteilung fallen die Bemühungen um eine Qualitätskontrolle ex post fast durchweg geringer aus (s. Tab. 8.4), zumindest auf den ersten Blick. Die Gesprächspartner*innen verweisen im Wesentlichen auf anlassbezogene Überprüfungen nach Meldungen der Sozialarbeiter*innen in den Flüchtlingsunterkünften, wenn es etwa zu Abweichungen im vertraglich vereinbarten Personaleinsatz kommt oder Sicherheitsmitarbeiter*innen sich nicht angemessen verhalten. Da die Qualität der Dienstleistung sehr eng mit der Arbeitskraft von Sicherheitsbeschäftigten verknüpft ist, führt Schlechtleistung häufig zunächst zum Austausch einzelner Mitarbeiter*innen. Die Fachämter und Vergabestellen haben insgesamt eher wenig Berührungspunkte mit der Dienstleistung vor Ort. Bis auf klärende Gespräche mit den Unternehmensleitungen einzelner Auftragnehmer und sehr vereinzelte vorzeitige Vertragskündigungen scheint es hier keine größeren Erfahrungen oder gar systematisches Vorgehen in Bezug auf Ausführung der Leistung vor Ort zu geben.

Gegenstand von Kontrollen ist dagegen eher das Vorhandensein von Qualifikationsnachweisen, wie es einzig in A-BURG regelmäßig vom Sozialamt geprüft wird. Die Nichtvorlage trotz Aufforderung wird mit Bußgeldern und ggf. weiteren Sanktionen geahndet. In D-BRÜCK ist dagegen zu Beginn versäumt worden, die vergleichsweise hohen Qualifikationsanforderungen in der Praxis zu überprüfen. Eher zufällig war im laufenden Vertrag aufgefallen, dass der Anbieter in diesem Punkt nicht die geforderte Leistung erbrachte. Auf Nachfrage habe das Unternehmen zwar zugesichert, den entsprechenden Lehrgang für das Sicherheitspersonal nachzuholen. Da dieser jedoch zeitintensiv ist, reagierte die Kommune mit Kündigung und Neuausschreibung des Vertrages.

Auch an diesem Punkt wird deutlich, dass die Gewichtung des Preises allein kein hinreichendes Indiz für die Qualitätsorientierung öffentlicher Vergabepraktiken darstellt, sondern auch der Umgang mit Kontrollen entscheidend ist. Auch wenn sich der Zuschlag auf das Angebot in A-BURG zu 100 % am Preis orientiert, investiert die Kommune in eine systematische Kontrolle der eingeforderten Qualität unter Einbezug der Bedarfsstellen – diese sind dazu angehalten, Abweichungen und Auffälligkeiten an das Fachamt zu melden. Unterstützend haben Vergabestelle und Fachamt gemeinsam eine Checkliste entwickelt, die den Bedarfsstellen Anhaltspunkte für gezielte Qualitätsüberprüfungen bietet.Footnote 22

Neben der Kontrolle von vertraglich zugesicherten Qualitätsvorgaben ist eine weitere Maßnahme, Qualität im laufenden Vertrag zu sichern, beim Auftragnehmer diesbezüglich Anreize zu schaffen, und zwar durch den Gebrauch von Vertragsverlängerungsoptionen. In A-BURG ist dies in manchen Bereichen von Sicherheits- und Reinigungsdienstleistungen Bestandteil, um nach zufriedenstellender Auftragserfüllung nicht gleich neu ausschreiben zu müssen und ähnlich flexibel wie private Kunden zu sein:

„Und haben da ganz positive Erfahrungen gemacht. Wenn wir mit der Firma frei verhandeln, also eine Option, einfach sagen können: ‚Wenn du das gut machst, dann kriegst du noch mal ein Jahr dazu‘, das ist ja im privaten Bereich gang und gäbe. Wenn ein privater Auftrag existiert und der läuft gut, dann ist die Chance sehr gut, dass der nicht neu ausschreibt, sondern dass er einfach sagt ‚Mach noch mal ein Jahr‘. Das kann ich aber als öffentlicher Auftraggeber, wenn ich keine Option vereinbart habe, nicht machen.“ (Vergabestelle, A-BURG)

Schließlich nutzen die Kommunen ihr Leistungsbestimmungsrecht – also ihr Recht, die ausgeschriebene Leistung minutiös zu beschreiben – auch für eine Art indirektes Personalmanagement, mit dem sie sich während der Vertragslaufzeit Interventionsmöglichkeiten schaffen. Ob sie diese auch nutzen, steht auf einem anderen Blatt; zumindest erfüllen diese Rechte aber den Zweck einer Drohkulisse, die die Unternehmen zum vertragskonformen Handeln anhalten soll. So versuchen die Kommunen, Transparenz durch umfangreiche Leistungskataloge herzustellen. Diese reichen von der monatlichen Vorlage der voraussichtlichen Personaleinsatzplanung (mit Namen und geplanten Dienstzeiten) bis hin zum Muster des zu führenden Wachbuchs, welches der Dokumentation sämtlicher Vorgänge in den Flüchtlingsunterkünften dienen, aber auch die Dienst- und Pausenzeiten des eingesetzten Personals offenlegen soll.

  • A-BURG fällt hier durch ihren auf Transparenz bedachten, informativen Stil auf, der einzelne Forderungen z. T. mit Hinweisen auf Paragraphen und Absätze der jeweiligen Rechtsordnung untermauert.

  • Dem steht ein überwiegend rigide-fordernder Stil der anderen Kommunen gegenüber. Letzterer wird besonders deutlich im Rahmen der „Dienstanweisungen“, die in den Unterlagen von C-FURT und D-BRÜCK enthalten sind und dazu dienen, die Aufgabenwahrnehmung der Sicherheitsdienstleister vorzudefinieren (u. a. Dienstorganisation, Aufgabendefinition) und damit auch potenziellen Problemen vorzugreifen. Während solche Anweisungen in A-BURG nach Zuschlagserteilung gemeinsam erarbeitet und in die Dienstanweisung der Unternehmen gegenüber ihren Beschäftigten integriert werden, wird in den Kommunen C-FURT und D-BRÜCK auf die „Weisungsbefugnis“ des Auftraggebers hingewiesen und Personen im Falle „besonderer Vorkommnisse“ als weisungsberechtigt gegenüber den Sicherheitskräften bevollmächtigt. In C-FURT willigt der interessierte Bieter laut Vergabeunterlagen sogar ein, „mit der Überprüfung und Überwachung seines Personals (…) einverstanden“ zu sein. Der kommunale Auftraggeber behält sich vor, Personal im Vorfeld abzulehnen bzw. austauschen zu lassen sowie bei Verfehlungen im laufenden Vertrag „vom Arbeitsplatz zu verweisen“. In D-BRÜCK wird den Sicherheitsbeschäftigten, ausgehend von einem offenbar negativ geprägten Bild ihrer Arbeit, etwa untersagt, „Alkohol oder andere berauschende Mittel zu sich zu nehmen“ oder während der Schicht „zu schlafen oder zu ruhen“.

Auch im Hinblick auf die oben genannten ‚weichen‘ und vorab schwer überprüfbare Kompetenzanforderungen an die Sicherheitskräfte sichern sich die Kommunen Mitsprache bei personalpolitischen Entscheidungen:

„Das sind natürlich Dinge, die man vorher nicht unbedingt nachweisen kann. (…) Und deswegen habe ich dies in das Leistungsverzeichnis mit eingebaut: ‚Die Auftraggeberin kann Personal ablehnen beziehungsweise austauschen lassen, welches die (…) genannten Anforderungen nicht oder nicht hinreichend erfüllt‘. Also, wenn ich der Ansicht bin, der ist psychisch nicht ausreichend belastbar, oder der hat nicht das angemessene Erscheinungsbild, die gepflegten Umgangsformen oder beherrscht die deutsche Sprache eben nicht in Wort und Schrift, dann könnte ich den Austausch machen. (…) Also, da ist das so, dass ich da ein bisschen flexibel damit umgehe, das lässt mir im Grunde auch relativ Freiheiten, dass ich da selbst entscheiden kann und sagen kann: ‚So, den tauschen wir aus‘ oder ‚Den tauschen wir nicht aus‘.“ (Fachamt, C-FURT)

Zum Teil werden diese detaillierten Mitspracherechte auch als Verfügungsmasse genutzt, um die Kooperationsbereitschaft des beauftragten Unternehmens zu sichern und im Falle einer schlechten Gesamtleistung genügend Ansatzpunkte für eine Vertragsbeendigung zu haben. So drückte der Vergabeverantwortliche in C-FURT in einem Fall in Bezug auf die Vorgaben einer Geschlechterquotierung ein Auge zu, um sich die Möglichkeit einer einfacheren Vertragsauflösung offenzuhalten, gerade im Falle weiterer Mängel, die als Kündigungsgrund nicht ausreichen würden:

„Das ist etwas, wo ich dem Auftragnehmer entgegenkomme und sage: ‚Okay, ich drücke da momentan die Augen zu, wohlwissend, dass Du diese Anforderung nicht einhältst‘. Weil er sagt: ‚Ich kann es nicht einhalten, ich habe nicht genug weibliches Personal, um das sicher zu stellen‘. Theoretisch könnte ich ja aber sagen: ‚Naja, Du wusstest es ja vorher‘. Und dann hätten sie sich gar nicht bewerben dürfen. Insofern ist das für mich (…) das Ass, was ich noch im Ärmel habe. (…) Also momentan muss ich sagen, läuft es mit dem Sicherheitsdienst dort operativ recht gut. Sollte es aber irgendwo Probleme geben (…), der Sicherheitsdienst nicht kooperieren wollen, dann (…) könnte ich immer sagen: ‚Bitte sofort diese Forderung umsetzen! Wenn Ihr es nicht macht, kündige ich den Vertrag‘. Weil ich genau weiß, das können sie gar nicht erfüllen.“ (Fachamt, C-FURT)

Das Einlenken vor unzureichender Vertragserfüllung illustriert in diesem Fall also nicht nur eine gewisse Abhängigkeit von den Produzenten bzw. dem Markt, der bestimmte Qualitätsanforderungen (noch) nicht hergibt. Es ist auch strategisch motiviert, um bei schwerwiegenden Zweifeln bezüglich der Qualität der Leistung dann doch die „harte Linie“ zu fahren und den Vertrag zu kündigen, wie es das Fachamt in einem anderen Fall auch praktiziert hat.

Aus der Sicht eines interviewten Branchenexperten, der öffentliche Auftraggeber im Zuge ihrer Vergabetätigkeit berät, ist die hier beschriebene, minutiöse Vorgabe von Leistungsaspekten kritisch zu bewerten, insbesondere bei reinen Preisausschreibungen mit unzureichenden Qualitätskontrollen. Die Bieter animiere es dazu, lediglich die geforderten Punkte abzunicken, und seien sie noch so praxisfernFootnote 23, ohne selbst „Gehirnschmalz“ für die Lösung des dargestellten Sicherheitsproblems arbeiten zu lassen. Letztlich verspiele man sich qualitative Impulse von den eigentlichen Experten des Marktes, die dann nur noch als „Personaldienstleister“ agieren:

„Eines der vielen Probleme ist, dass das Gewerbe und die Auftraggeber sich wechselseitig an diesen Punkt getrieben haben, an dem sie heute stehen. Die Auftraggeber machen in ihrer Ausschreibung ganz, ganz dedizierte Vorgaben, wie die Dienstleistung zu erbringen ist. Und alles, was der Dienstleister am Ende des Tages machen muss in der Regel, ist, einen Preis zu kalkulieren und später dafür zu sorgen, dass ein Mitarbeiter zur richtigen Zeit an der Position steht. Das heißt, aufgrund unserer Ausschreibungsmethodik degradieren wir in der Regel den Sicherheitsdienstleister zum Personaldienstleister, Fachrichtung Sicherheit“ (Interview private Beratungsfirma 1)

Aus Sicht des hier zitierten Beraters sind dagegen Umsetzungskonzepte durch die Bieter zu befürworten, mit denen individuelle Lösungen auf Fragen zu Personaleinsatz, Schulungskonzept, Dienstorganisation und Servicequalität erarbeitet werden müssen. Dies sei zwar mit großem Aufwand verbunden und beschränke den Kreis der Bieter vorab – „aber ich will ja eben genau denjenigen, der leistungswillig und leistungsbereit ist“ (ebda.).

3 Fazit: Politisierung der Vergabepraxis und Lernprozesse unter dem Primat der Qualität

Reorganisation und Politisierung

Mit der Reorganisation ihrer verwaltungsinternen Strukturen haben die Kommunen aktiv den internen Aufbau der benötigten Expertise betrieben, die ihnen durch die dreifache Professionalisierung (von Vergaberecht, Dienstleistungen und öffentlicher Beschaffung) zunehmend abverlangt wird. Neben der Zentralisierung von Kompetenzen in Vergabestellen und Fachämtern umfasst die Reorganisation eine Öffnung für die Mitwirkung verwaltungsexterner Akteure, die bislang typischerweise nicht in die Detailsteuerung der Auftragsvergabe involviert waren. Zum Teil sind dies weitere vergaberechtliche und fachliche Expert*innen, zum Teil, wie im Falle der Schulverpflegung, die Adressat*innen oder ‚Kund*innen‘ der Dienstleistung selbst; zum Teil auch politische Akteure (Parteien im Stadtrat, Behördenspitzen, Landesbehörden), die das Interesse an qualitativ besseren Dienstleistungen an die Vergabe-Akteure herantragen. Erleichtert wird diese Öffnung durch die Standardisierung, also eine Verlagerung der Detailsteuerung vom einzelnen Ausschreibungsprozess auf die Erarbeitung standardisierter Unterlagen, die die Vergabepraxis insgesamt steuern. Hier bilden sich also neue, teilöffentliche Entscheidungs-Arenen heraus. Im Unterschied zu den in Deutschland traditionell viel genutzten korporatistischen Formen spielen die Sozialpartner in diesen Entscheidungsarenen aber eine untergeordnete Rolle; in erster Linie erhält hier die Stimme der ‚Kund*innen‘ öffentlicher Dienstleistungen stärkeres Gewicht, weniger die der Produzenten (Unternehmen, Sozialpartner).

Experimente und Lernprozesse unter dem Primat von Qualität

Die Öffnung für Expertise und Beteiligung verwaltungsexterner Akteure wird auch dadurch begünstigt, dass die zuständigen Verwaltungsakteure in geringerem Maße als die klassischen ‚street-level bureaucrats‘ auf einen etablierten und kohärenten Kanon von professionellen Standards als Leitplanken ihres Handelns zurückgreifen können. Denn die fachlichen Standards sind in den beiden untersuchten Branchen erst Produkt jüngerer Professionalisierungs-Bestrebungen; zudem war die vergaberechtliche Expertise in den vergangenen Jahren durch zahlreiche Reformen geprägt und wird durch die Rechtsprechung beständig fortentwickelt. Je mehr das Ziel in den Vordergrund tritt, sich von dem vergaberechtlich und verwaltungspraktisch relativ einfachen Verfahren der Auswahl nach dem ‚billigstem Preis‘ wegzubewegen, desto stärker stehen die Verwaltungsakteure daher vor der Aufgabe, sich neues Terrain zu erschließen, und dabei zugleich dem institutionell besonders stark verankerten Prinzip der Rechtskonformität Genüge zu tun.

In diesem Spannungsfeld aus Rechtskonformität und Rechtsunsicherheit entwickeln die Akteure unterschiedliche grundsätzliche Herangehensweisen, wie sie sich neue Entscheidungsspielräume zugunsten einer Vergabe nach Qualitätsgesichtspunkten erschließen. Unsere Fallstudien bestätigen dabei die Vermutung, dass eine Strategie der Maximierung vergaberechtlicher Expertise und der möglichst weitgehenden rechtlichen Absicherung von Verfahrensweisen (‚Perfektionismus‘) die Akteure nicht nur für Grenzen des vergaberechtlich Möglichen sensibilisiert, sondern sie auch in die Lage versetzt, die Spielräume innerhalb dieser Grenzen so weit es geht auszuschöpfen oder sogar vergaberechtliche Risiken einzugehen, die diese Grenzen ausdehnen. Daneben dokumentieren die Fallstudien jedoch auch verschiedene Varianten eines pragmatischen Umgangs mit Rechtsunsicherheit und Rechtskonformität, bei dem in weniger zentralisierten und professionalisierten Entscheidungsstrukturen Handlungsblockaden durch fehlertolerantes Experimentieren auch an der Grenze des vergaberechtlich Zulässigen überwunden werden. Schließlich kann selbst dort, wo personelle Ressourcen und Risikobereitschaft auf kommunaler Ebene vergleichsweise gering ausgeprägt sind, ein klares politisches Mandat pro Qualität in Form von Leitlinien übergeordneter Behörden den Weg in Richtung qualitätsorientierte Vergabe ebnen (‚progressiver Vollzug‘).

Diese unterschiedlichen grundsätzlichen Herangehensweisen prägen ihrerseits auch die detaillierten Praktiken der Auftragsvergabe. Hier dokumentieren die Fallstudien eine relativ große Bandbreite an Verfahrensinnovationen, mit denen der Preiswettbewerb eingeschränkt wird. Sie reichen von einer anteiligen Gewichtung von Qualität bis hin zu einer völligen Ausschaltung des Preises als Auswahlkriterium. Selbst dort, wo, wie bei den Sicherheitsdienstleistungen, der Preis weiterhin zu 100 % gewichtet wird, muss dies nicht einem Festhalten am Status quo ante der Billigpreis-Vergabe gleichkommen: Hier können über die Eignungskriterien mehr oder weniger engmaschige Qualitäts-Filter eingezogen und durch detaillierte Spezifikationen in der Leistungsbeschreibung Qualitätsstandards zum verpflichtenden Vertragsbestandteil erhoben werden.

Die größten Herausforderungen stellen dabei über die verschiedenen Verfahren hinweg die vergaberechtlich korrekte Definition und Bewertung der Qualität im Auswahlverfahren, sowie die Kontrolle der vertraglichen Qualitätsversprechen während der Vertragslaufzeit dar. Zur Lösung dieser Herausforderungen nehmen die Kommunen nicht selten vergaberechtliche Risiken in Kauf und wenden erhebliche Ressourcen und Kreativität auf. Dies beschränkt sich nicht auf den Zeitpunkt der Bezuschlagung. Auch für den Zeitraum der Vertragsdurchführung entwickeln die Kommune in mehr oder weniger großem Umfang durch Kontrollen, Anreize, Qualitätszirkel oder direktive Weisungen Ansätze eines kommunalen ‚Ko-Managements‘ der Qualitätsproduktion.

Begleiterscheinungen und Implikationen für die sozialverantwortliche Auftragsvergabe

All dies ist insofern bemerkenswert, als es eine recht starke Kontrastfolie bildet zu den Bemühungen in punkto sozialer Kriterien, wie noch zu sehen sein wird. Zugleich sind diese Befunde als Teil der Erklärung zu sehen, warum das gleiche Maß an Kreativität, Risikobereitschaft und Ressourceneinsatz bislang nicht in Bezug auf soziale Kriterien zu sehen ist: Die Umsetzung des primären Leitbildes ‚Guter Dienstleister‘ bindet in hohem Maße die Ressourcen der Verwaltungsakteure. Dass der Aufwand so hoch ist, hat sowohl mit dem wettbewerbsrechtlichen Kontext als auch mit den Marktstrukturen zu tun, in denen sich der Qualitätswandel vollzieht. Denn das wettbewerbsrechtlich geprägte Vergaberecht erhöht den Aufwand für die Kommunen, wenn sie den Preismechanismus einschränken wollen – nicht nur, weil es dazu mehr Expertise bedarf, sondern auch, weil die Verfahren insgesamt zeitaufwändiger werden, und sowohl auf Seiten der Verwaltung als auch auf Seiten der Bieter höhere Transaktionskosten verursachen. Das gilt insbesondere dort, wo die Kommunen sich in perfektionistischer Weise um Vergaberechtskonformität bemühen – man denke beispielsweise an die Organisation des Probe-Essens in der Berliner Schulverpflegung. Durch ‚pragmatische‘ Herangehensweisen kann man diesen Aufwand zwar reduzieren. So oder so bleibt festzuhalten, dass es paradoxerweise die Vermarktlichung der Vergabe – im Sinne ihrer stärker wettbewerbsrechtlichen Durchdringung – ist, die zu erhöhten Transaktionskosten und damit zu einer Bürokratisierung der Auftragsvergabe beiträgt; jedenfalls dann, wenn man mit diesem Wettbewerbsrecht den Markt neuerdings zugunsten von mehr Qualität bändigen möchte.

Diese vergabespezifische Spielart der ‚neoliberalen Bürokratisierung‘ (Hibou 2015) ist zugleich nur ein Faktor in einem ‚Teufelskreis‘ (Doellgast et al. 2018) aus mehreren, sich wechselseitig negativ verstärkenden Elementen: Denn die hohen Transaktionskosten sind zugleich auch eine Folge der Marktstrukturen, genauer der unzureichenden Selbstregulierung des Marktes, die keine effektiven Schranken gegen Billigpreise und billige Qualität hervorgebracht haben. Um in diesem Kontext ein Mehr an Qualität zu bekommen, greifen die Verwaltungen zu einer möglichst präzisen Definition von Leistungen und Qualität, umfassenden Nachweispflichten und Kontrollinstrumenten, anstatt all dies dem freien Qualitätswettbewerb zu überlassen. Dies erschwert es wiederum Unternehmen, mit eigenen Qualitätskonzepten in Konkurrenz zu treten; und es erleichtert im Gegenzug Strategien von Unternehmen, die die ‚per Katalog‘ geforderten Qualitätsstandards pro Forma zusichern, dies aber in ihrer Kalkulation nicht wahrheitsgemäß einpreisen, sodass sich am Ende unter Umständen trotz detaillierter qualitätsbezogener Vorgaben wieder ein Niedrigpreisangebot durchsetzen kann – mit absehbaren Einbußen für die Qualität der Dienstleistung, aber auch für die Qualität der Arbeit.

Aus diesem Teufelskreis einen Ausweg zu finden, ist alles andere als trivial. Vorliegende Vorschläge zielen allgemein auf „weniger Formalismus“ (Porz 2021), auch unter Ausnutzung der größeren Spielräume, die beispielsweise beschränkte Verfahren mit Teilnehmerwettbewerb oder Verhandlungsverfahren bieten. Diese eröffneten mehr Gestaltungsspielräume, um auch unter Einbeziehung der Ideen seitens der Produzenten gemeinsam Lösungen zu erarbeiten. Anstelle der Vorgabe detaillierter Leistungskataloge wird auch die Einforderung von individuellen Umsetzungskonzepten auf Seiten der bietenden Unternehmen als Möglichkeit gesehen, deren Branchenexpertise einzubeziehen und zugleich gewissermaßen die Spreu vom Weizen zu trennen.

All diese Bemühungen zur Überwindung vergaberechtlicher Hürden auf dem Weg zu mehr Dienstleistungsqualität binden zwar die Ressourcen der Verwaltung; dies muss aber nicht unbedingt in ein Nullsummenspiel münden, das entsprechende Bemühungen um die Arbeitsqualität untergräbt. Inwieweit im Kontext dieser qualitative Wende in der Auftragsvergabe auch die Arbeitsqualität profitieren kann, erörtert nun das folgende Kapitel.