Auf gesetzlicher Ebene wie auch im Soft law hat sich, wie gesehen, ein Wandel vollzogen, der die Vergabe nach dem niedrigsten Preis delegitimiert und stattdessen andere Prinzipien und Kriterien, einschließlich sozialer Kriterien, legalisiert und legitimiert hat. Dies ist allerdings noch nicht gleichbedeutend mit einem entsprechenden Wandel der Handlungsorientierungen in der Vergabepraxis. Sowohl die Ermessensspielräume, die der Gesetzgeber in Form der vielen Kann-Regelungen vorsieht, als auch die Pluralität von informellen Normen und Handlungsleitfäden, die Orientierung im Umgang mit den Ermessensspielräumen bieten, lassen erwarten, dass Kommunen und einzelne Vergabezuständige hier unterschiedliche Schwerpunkte setzen. Diese empirisch vorfindbaren Werthaltungen in der kommunalen Vergabepraxis beleuchtet dieses Kapitel nun näher. Neben der Frage nach dem Wandel von Werthaltungen geht es dabei in Anknüpfung an die Forschungsperspektive der ‚street-level bureaucracy‘ insbesondere um die Handlungsdilemmata und Herausforderungen, denen sich Vergabepraktiker*innen aufgrund von Zielkonflikten oder wahrgenommener Diskrepanzen zwischen Zielen und Ressourcen ausgesetzt sehen. Um den praktischen Umgang mit diesen Herausforderungen wird es dann im nachfolgenden Kapitel gehen.

Tatsächlich zeichnet sich, wie zu sehen sein wird, in den Fallstudien ein recht deutlicher, branchen- und ortsübergreifender Trend ab, und zwar zugunsten einer stärkeren Gewichtung der Qualität der eingekauften Dienstleistungen, sowie weiterer ‚klientenzentrierter‘ Ziele, die sich auf den Adressatenkreis der Dienstleistungen beziehen. Das Leitbild des Staates als ‚Guter Dienstleister‘ ist also, wenngleich in unterschiedlichen Schattierungen und mit unterschiedlicher Intensität, auf dem Vormarsch – selbst in diesen beiden Branchen, in denen lange Zeit nach einmütiger Einschätzung aller Befragten das billigste Angebot stets als wirtschaftlichstes Angebot galt und den Zuschlag erhielt. Demgegenüber besitzen sowohl die Förderung wettbewerblicher Verfahren als auch die Sicherstellung angemessener Arbeitsbedingungen nachgeordnete Bedeutung. Die Bewegung vom Preis zur Qualität als Auswahlprinzip scheint insofern auch in der Praxis weder mit dem Leitbild des Staates als ‚Guter Auftraggeber‘ noch als ‚Hüter des Wettbewerbs‘ eine enge Wahlverwandtschaft einzugehen. Vielmehr sind unterschiedliche Verbindungen in der Praxis vorfindbar.

Der folgende Abschnitt (7.1) arbeitet zunächst die primären Ziele und Dilemmata heraus, die für die zuständigen Verwaltungskräfte bei der Vergabe von Dienstleistungen in den beiden ausgewählten Segmenten – Schulverpflegung und Sicherheitsdienstleistungen für Flüchtlingsunterkünfte – im Vordergrund stehen. Deutlich priorisieren diese im Einklang mit dem Leitbild das Ziel einer guten Dienstleistungsqualität. Im Anschluss (Abschn. 7.2) wird beleuchtet, wie die Kernziele der beiden anderen Leitbilder (‚Guter Auftraggeber‘ und ‚Hüter des Wettbewerbs‘) in das Aufgabenverständnis der Verwaltungskräfte integriert werden: Gelten sie eher als Hürden und damit als Quellen weiterer Dilemmata, oder als ‚Erfüllungsgehilfe‘, die die Verwirklichung der primären Ziele stützten?

1 Das primäre Leitbild ‚Guter Dienstleister‘: branchenspezifische Ziele und Dilemmata

Die befragten Verwaltungskräfte nehmen im Falle beider Dienstleistungsbereiche in Anspruch, die Auftragsvergabe auf eine gute, oder jedenfalls bessere Dienstleistungsqualität als in der Vergangenheit auszurichten. Entsprechend dieser neuen Prioritäten bezieht sich auch die Mehrzahl der von den Befragten angesprochenen Herausforderungen und Handlungsdilemmata auf dieses Ziel. Die folgenden beiden Abschnitte konkretisieren zunächst, was die Verwaltungskräfte unter einer ‚guten Qualität‘ für die jeweilige Dienstleistung verstehen, und erläutern im Anschluss daran die zentralen Herausforderungen und Dilemmata, die das neue Augenmerk für Qualität mit sich bringt. In beiden Bereichen sehen die Befragten zum Teil einen Zielkonflikt zwischen der Qualitätssteigerung und dem traditionellen Ziel der Mittelstandsförderung; übereinstimmend die größere Herausforderung aber in der (vergaberechtlich kompatiblen) Messbarkeit und Kontrolle von Qualität. Ein weiterer Zielkonflikt tritt in der Schulverpflegung hinzu mit dem Anliegen, die Teilnahme am Schulessen weiterhin möglichst allen Schüler*innen zu ermöglichen (Qualität vs. soziale Inklusion). In der Sicherheitsbranche erschweren die Angebotsstrukturen des Marktes für Sicherheitsdienstleistungen zusätzlich eine qualitätsorientierte Vergabe.

Eine geringe Rolle, dies sei hier vorweggenommen, spielen demgegenüber die Herausforderungen, die sich aus knappen öffentlichen Haushaltsmitteln ergeben könnten. Sie werden in den untersuchten Kommunen zumindest kaum thematisiert. Dies dürfte mit zweierlei Rahmenbedingungen zu erklären sein: Zum einen die deutlich verbesserte Haushaltslage in den untersuchten Kommunen, die sich in Übereinstimmung mit dem bundesdeutschen Gesamttrend in den Jahren vor den Fallstudien deutlich verbessert hatte (s. Kap. 5.4.1). Zum anderen werden die Dienstleistungen in beiden Fällen nur zum Teil aus dem kommunalen Haushalt finanziert. In der Schulverpflegung werden die Kosten des Mittagessens üblicherweise vollständig oder überwiegend von den Eltern getragen, die Kommunen (oder andere öffentliche Haushalte) tragen hier lediglich Zuschüsse. In den Sicherheitsdienstleistungen spielen die Kosten eine wichtige Rolle, die das Land den Kommunen mehr oder weniger großzügig für die Unterbringung von Geflüchteten und insbesondere für den Sicherheitsdienst refinanziertFootnote 1. Beide Gründe dürften den untergeordneten Stellenwert von knappen finanziellen Ressourcen als Hürde für mehr Qualität mit erklären. In anderen Branchen und in einer anderen Lage der öffentlichen Haushalte (z.B Post-Corona) dürften diese Restriktionen stärker ins Gewicht fallen.

1.1 Der ‚Gute Dienstleister‘ in der Schulverpflegung

Bei der Vergabe von Schulverpflegungsleistungen ist in den vergangenen Jahren in den untersuchten Kommunen insbesondere die Essensqualität sowie die Zufriedenheit von Schüler*innen, Eltern und Schulen stärker in den Fokus der Vergabepraxis gerückt.

  • Hohe Priorität genießt in Einklang mit den fachlichen Standards von DGE und anderen Verbänden zum einen eine gesunde Ernährung, die sich durch einen ausgewogenen Speisenplan auszeichnet, durch höhere Frischkostanteile oder neue Zubereitungsformen wie Cook and Chill, welche die Zubereitung in Zentralküchen und Anlieferung in Warmhaltebehältern ersetzen.

  • Ein höherer Anteil von Produkten aus biologischer Landwirtschaft gehört ebenfalls häufig zu den qualitativen Anforderungen in Ausschreibungen für die Schulverpflegung;

  • sowie die Berücksichtigung individueller Bedarfe und Vorlieben (gesundheitlich, religiös oder anderweitig motivierter Verzicht auf bestimmte Lebensmittel), etwa durch Alternativ-Angebote und Möglichkeiten zur individuellen Essenszusammenstellung (Buffetform anstelle von Tellerausgabe).

  • Schließlich wird die Essensverpflegung zunehmend auch als Ort und Gegenstand von Ernährungsbildung betrachtet. Von den Caterern werden entsprechende Konzepte verlangt, die das Schulessen pädagogisch in Wert setzen – etwa durch Aktionswochen oder die gelegentliche Einbeziehung von Schüler*innen bei der Essenszubereitung.

Treiber dieses Trends vor Ort sind sowohl verwaltungsinterne als auch -externe Akteure. Verwaltungsintern fungieren nicht zuletzt die Gesundheitsämter und Lebensmittelüberwachungsämter gewissermaßen als institutionalisierte Fürsprecher von Qualitätsstandards in der Gemeinschaftsverpflegung. Sie bringen die nötige fachliche Expertise (Kenntnisse der einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen und Normen) mit. Daneben stützen sich auch die Fachämter selbst mehr oder weniger stark auf externe Leitfäden der DGE und anderer Institutionen wie den regionalen Vernetzungsstellen für die Schulverpflegung (VNS). Der Einfluss der oben beschriebenen Professionalisierung der Dienstleistungen ist insofern deutlich erkennbar. Der direkte Einfluss der jüngsten Vergaberechtsreformen erscheint demgegenüber begrenzt. Das hat auch damit zu tun, dass der Beginn der Zielverschiebung zugunsten von Qualität in den untersuchten Kommunen auf einen Zeitpunkt deutlich vor dieser Vergaberechtsreform datiert wird. Eine wichtige Rolle spielten bei der Mobilisierung für das Thema der Essensqualität stattdessen konkrete Beschwerden von Eltern und Schulen vor Ort sowie Skandale bzw. Havarien bei der Essensversorgung, die die Risiken eines hohen Preisdrucks und geringer Qualitätsansprüche einer breiteren Öffentlichkeit vor Augen führen. Eine besonders große Reichweite hatte hier der in der Fachgemeinde sogenannte ‚rote Oktober‘ im Jahr 2012, als die bundesweit tätige Firma Sodexo mit einer Brechdurchfall-Epidemie in Berlin und anderen ostdeutschen Kitas und Schulen infolge verseuchter Erdbeeren aus China in die Schlagzeilen geraten war.

Insbesondere drei Dilemmata werden von den Verwaltungskräften in Bezug auf das neue Ziel der verbesserten Essensqualität thematisiert.

1.1.1 Qualität vs. Soziale Inklusion

Zum einen kann die höhere Essensqualität in Konflikt mit dem Ziel der sozialen Inklusion geraten. Das liegt daran, dass höhere Essenspreise infolge gestiegener Essensqualität vollständig oder zu größeren Teilen von den Eltern getragen werden müssen. Anders als bei anderen Dienstleistungen gehen höhere Qualitätsanforderungen also weniger mit einer Belastung der öffentlichen Haushalte (hier: in Form von Essenszuschüssen), als mit einer Belastung privater Haushalte einher.

Nicht zufällig genießt insbesondere in den beiden untersuchten ostdeutschen Kommunen das Ziel einer im Hinblick auf die Leistung einheitlichen Versorgung aller Schüler*innen mit einem preislich erschwinglichen Mittagessen neben der Essensqualität ebenfalls hohe Priorität; in E-HAUSEN explizit mit Verweis auf die DDR-Tradition der „Schülerspeisung“. Steigende Qualitätsansprüche kollidieren hier mit dem Anspruch, Schüler*innen unabhängig von ihrer sozialen Lage eine Teilnahme am Schulmittagessen zu ermöglichen:

„Ja, das ist eine ganz große Diskussion gewesen: ‚Damit das Akzeptanz finden kann, wäre es doch gut, wenn wir trotz aller gewünschten Qualitätszugewinne auch mit dem Preis noch in einem für den Großteil erreichbaren Range bleiben.‘ (…) Die Problemgruppe, die eigentlich die größten Probleme hat, sind gar nicht unbedingt die Professoren und auch nicht die Hartz-IV-Empfänger. Beide Gruppen sind eigentlich relativ entspannt, was den Preis angeht. Die, die knapp oberhalb von irgendwelchen Sozialleistungen liegen, das ist die Problemgruppe. (…) Also ich habe mit ganz, ganz vielen Muttis und Vatis gesprochen, die haben gesagt: ‚Ja das ist ein Problem, 60 Cent pro Kind und Tag mehr, sind für uns wieder am Ende des Weges 100 € mehr im Monat.‘“Footnote 2 (D-BRÜCK, Schulamt)

Eng damit verbunden ist auch das Ziel, im Hinblick auf Qualität und Preise einheitliche Verhältnisse zu schaffen, die soziale Unterschiede nicht zum Tragen lassen kommt. Einen besonders hohen Stellenwert besitzt dieses Ziel in D-BRÜCK. Dort gerät es jedoch in Konflikt mit Forderungen seitens Elternvertretungen und Schulen, sowie Teilen der lokalen Politik, auch kleinere Anbieter bei der Vergabe zu berücksichtigen. Bislang wurden in der Stadt die Essensverpflegung für alle Schulen gebündelt ausgeschrieben und an einen einzigen großen Dienstleister vergeben. Die Forderung nach losweiser Vergabe und damit Öffnung für kleinere Anbieter begründen die Akteure in erster Linie mit der erwarteten Verbesserung der Qualität des Essens, in zweiter Linie auch mit dem Ziel der Mittelstandsförderung. Die lokale CDU-Fraktion greift damit auch entsprechende Beschwerden aus dem Kreis der kleineren Catering-Unternehmen auf. Die Stadt hält demgegenüber an der zentralisierten Vergabepraxis fest. In einer schriftlichen Stellungnahme im Stadtrat begründet dies der Schuldezernent im Kern mit drei Argumenten: Dass alle kommunal getragenen Schulen erstens unabhängig von ihrer Größe und Lage im Stadtgebiet überhaupt mit Mittagessen versorgt werden;Footnote 3 dass alle Schülerinnen und Schüler zweitens „den gleichen Preis für die gleiche Leistung“ entrichten sollen und dass drittens „alle Schulspeisungsprodukte nachweislich und einforderbar den ‚Qualitätsstandards für die Schulverpflegung‘ der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) entsprechen und deren Überprüfung einheitlich erfolgen kann“.

Die Essensqualität ist hier also neben dem Preis durchaus Teil des städtischen Zielkanons geworden. Als Lösung für den Zielkonflikt Qualität vs. soziale Inklusion werden anstelle eines freien Qualitäts-Wettbewerbs dabei jedoch einheitliche und überprüfbare Mindest-Qualitätsstandards priorisiert. Denn diese sind auch mit dem mindestens ebenso stark gewichteten Ziel eines einheitlichen und sozial vertretbaren Preises vereinbar.

1.1.2 Qualität vs. Mittelstandsförderung

Darüber hinaus thematisieren die Schulämter und Vergabestellen auch Schwierigkeiten, die konsumentenzentrierten Ziele in Einklang mit dem (alten wie neuen) Vergaberecht zu bringen. So wird vereinzelt bedauert, dass die gestiegenen formalen Anforderungen bei Vergabeverfahren wie auch höhere Qualitätsanforderungen an das Essen und hygienische Bestimmungen die Berücksichtigung kleinerer Anbieter erschwert, die mit diesen Anforderungen überfordert seien (C-FURT). Die Professionalisierung der öffentlichen Beschaffung und der Dienstleistungen erweist sich somit mitunter als Herausforderung für das traditionelle Ziel der Mittelstandsförderung.

1.1.3 Qualität vs. (vergaberechtskonforme) Messbarkeit von Qualität

Größeren Raum nimmt in den Schilderungen aber eine weitere Herausforderung ein, nämlich die Schwierigkeit, die Qualität der Dienstleistung in vergaberechtlich konformer Weise zu bestimmen. Dies beginnt bei der Essensverpflegung schon mit der Schwierigkeit, die Qualität einer Leistung zu bewerten, die in hohem Maße vom – im wahrsten Sinne des Wortes – subjektiven Geschmack abhängig ist. Das gilt zumindest dann, wenn nicht lediglich objektiv messbare Nährwerte oder ein abwechslungsreicher Menüplan berücksichtigt werden sollen, sondern auch, ob das Endprodukt den Geschmack der Konsument*innen trifft. Auch vor diesem Hintergrund sehen die Kommunen in der möglichst weitgehenden Partizipation der Schulen eine Lösung; zum Teil explizit als eine Art prozedurale Operationalisierung von ‚Qualität‘, wie der Vertreter der VNS in BERLIN erörtert:

„Wir haben sehr lange überlegt und auch mit den Vergabeexperten gerungen darum, wie man die Schulen in eine aktive mitgestaltende Rolle bringen kann. Weil allen Beteiligten klar war, dass man sich den Partner für das Essen genauso aussuchen können muss als Schule, wie die Partner für die Sportangebote, für die Musikangebote und anderes. Und weil wir eben auch wussten aus der Vergangenheit, dass es gar nicht den besten Caterer gibt. Es gibt immer wieder die Frage: ‚Können Sie mal so eine Art Caterer-Liste machen?‘ ‚Stiftung Warentest für Caterer‘ oder so – die keinen Sinn macht, weil die Schulen eben das gleiche Angebot des gleichen Caterers auf ganz unterschiedliche Art und Weise wahrnehmen. (…) Und deswegen muss halt jede Schule ihren Caterer finden.“ (VNS, BERLIN)

Andernorts wird die Partizipation der Eltern auch mit ihren Ansprüchen als zahlende Kunden begründet und zugleich als Garant für eine reibungslose Abwicklung des Vertrags und die Vermeidung kundenseitiger Beschwerden befürwortet:

„Wer die Musik bestellt, bezahlt auch dafür, ne? Weil, es ist ja auch so, die müssen zufrieden sein am Ende, die Eltern. Ansonsten haben wir ja hier die Beschwerden auf dem Tisch. Und das bringt es auch nicht. (Schulamt, E-HAUSEN)

Ob pragmatisch motiviert, als grundsätzlicher Anspruch oder instrumentell als Indiz für Qualität: Das Ziel einer möglichst breiten Partizipation von Eltern, Schüler*innen und Schulpersonal birgt in jedem Fall nicht nur praktische Herausforderungen (Wie können die Verfahrensbeteiligten zu einer zuverlässigen Qualitätsbewertung kommen?), sondern kann auch mit den vergaberechtlichen Grundregeln in Konflikt geraten:

„Ich sehe das immer von Seiten des Vergaberechts und ich bin der Meinung – weil es ja auch von unserer (...) Senatorin für Bildung die Aussage gab: ‚Es können sich alle Schulen ihre Caterer aussuchen‘ – ganz so ist es nicht. Wir sind im EU-Bereich, es gibt ein normales Vergabeverfahren, es gibt Vorschriften, es gibt eine Informationspflicht, es gibt auch Rügemöglichkeiten der Caterer“ (Vergabestelle, BERLIN).

Vergaberechtlich angreifbar und insofern auch den Rügemöglichkeiten der Bieter ausgesetzt kann die Partizipation von Schulgremien je nach Ausgestaltung des Verfahrens vor allem aus zwei Gründen sein: zum einen, weil es sich bei den Schulen nicht um die auftragsvergebende Stelle handelt, sie also formal keine Zuschlagsentscheidung treffen dürfen. Selbst wenn ein Partizipations-Verfahren gefunden ist, dass formal den vergaberechtlichen Anforderungen entspricht, stellt sich allerdings die Schwierigkeit, dass damit die Bewertung von Angeboten mindestens partiell in die Hände von vergaberechtlichen ‚Laien‘ gelegt wird. Das Risiko, dass diese – sei es aus Unkenntnis oder auch Voreingenommenheit gegenüber einem Bieter – die vorgesehenen Verfahrensweisen nicht exakt befolgen, ist insofern höher als bei einer reinen Durchführung durch die Vergabestelle selbst.

Die Schwierigkeiten, Qualitätsbewertung und Elternpartizipation mit dem Vergaberecht in Deckung zu bringen, bezeugen einerseits den hohen Stellenwert des traditionellen Werts der Rechtskonformität. Allerdings erhält dieser Wert paradoxerweise erst durch die neuere Entwicklung Gewicht. Denn, das verdeutlichen die Interviews ebenfalls: Das Bewusstsein, dass die Delegation der Auswahlentscheidung an Schulen vergaberechtlich problematisch ist, hat sich erst mit der Professionalisierung der öffentlichen Beschaffung in der Schulverpflegung allmählich eingestellt und die Kommunen zur Entwicklung neuer Lösungsansätze angeleitet (s. Kap. 8).

1.2 Der ‚Gute Dienstleister‘ in den Sicherheitsdienstleistungen

Die Qualität von privatwirtschaftlichen Sicherheitsdienstleistungen zum Schutz von Flüchtlingsunterkünften erfährt spätestens seit den Vorfällen im nordrhein-westfälischen Burbach im Jahr 2014 besondere politische Brisanz und mediale Aufmerksamkeit. In der Folge verbreiteten sich weitere Meldungen über Sicherheitskräfte, die Flüchtlinge misshandelten und drangsalierten oder von ihren Arbeitgebern ohne behördliche Zuverlässigkeitsprüfung, spezifische Schulung oder unter Missachtung tariflicher und arbeitsrechtlicher Standards in den Unterkünften eingesetzt wurden (u. a. Bader 2016; Böcking 2014; Faigle 2014; Dowideit 2016; Müller und Schröder 2016; Rech 2015, 2016). Vor diesem Hintergrund erscheint die Frage nach einem Wandel des beruflichen Ethos in der kommunalen Auftragsvergabe hin zu mehr Qualität oder sogar ‚guter Arbeit‘ in diesem Marktsegment besonders eindringlich.

Nicht zuletzt vor dem Hintergrund des beschriebenen Image-Problems der privaten Sicherheitsbranche ist es in allen untersuchten Kommunen oberstes Ziel, einen seriösen Dienstleister mit einer öffentlichen Aufgabe zu beauftragen, der zudem behördlich überprüftes, zuverlässiges und fachlich geschultes Personal für den Auftrag einsetzt. Die Aufgaben der Sicherheitskräfte in den Flüchtlingsunterkünften umfassen eine Reihe von Tätigkeiten, die von den untersuchten Kommunen in recht unterschiedlichem Detaillierungsgrad gefordert werden. Zu nennen sind hier in erster Linie:

  • Zugangskontrolle (Verhinderung des Zutritts unberechtigter Personen)

  • Schlüsselausgabe und -empfang + Postempfang und – verteilung

  • Führung eines Wachbuchs (Dokumentation der Dienstzeit sowie besonderer Vorkommnisse)

  • regelmäßige Kontrollgänge im Gebäude sowie Kontrolle der Außenanlage

  • Aufrechterhaltung bzw. Durchsetzung des Hausrechts/der Hausordnung

  • Sicherstellen eines störungsfreien Betriebs unter Berücksichtigung möglicher Gefährdungen aufgrund von Vandalismus, technischen Ursachen oder Naturereignissen

  • Schutz der Bewohner*innen und des dienstausübenden Personals vor Übergriffen + deeskalierendes Verhalten im Konfliktfall

  • ggf. Alarmierung von Polizei, Feuerwehr, Rettungsdienst

  • ggf. Durchführung von Erste-Hilfe-Maßnahmen

  • Informationsübermittlung an Einrichtungsleitung

  • Bedienung und Kontrolle der Brandschutzanlagen

  • Ansprechpartner*in für Bewohner*innen und Besucher*innen während der Abwesenheit des Sozialdienstes.

Dem Personal kommt also bei der Vergabe von Sicherheitsdienstleistungen besondere Aufmerksamkeit zu, da seine Fähigkeiten und Eigenschaften sehr wesentlich mit der Dienstleistungsqualität in den Flüchtlingsunterkünften in Zusammenhang gebracht werden. Den befragten Vergabefachkräften geht es darum, einen Dienstleister zu finden, der Sicherheit und Ordnung zwar möglichst preisgünstig gewährleistet. Es überwiegt jedoch das Ziel, in diesem Rahmen eine qualitativ hochwertige Leistung einzukaufen, mit der man sich als öffentlicher Auftraggeber ‚keinen Ärger einhandelt‘, insofern a) öffentliches Ansehen wahrt und b) den sensiblen Bedürfnissen und Problemlagen der Klient*innen gerecht wird, also den durch ihre Fluchterfahrungen teils traumatisierten Bewohner*innen.

Die untersuchten Kommunen bringen diese grundsätzlichen Zielstellungen mehr oder weniger explizit auch in ihren Vergabeunterlagen zum Ausdruck:

„Das [Fach]amt der Stadt [C-FURT] (…) versteht sich als kundenorientierter Dienstleister. Das Verhalten der im Sicherheitsdienst eingesetzten Mitarbeitenden muss während der Dienstzeit stets so gestaltet sein, dass das Ansehen der Stadt [C-FURT] in der Öffentlichkeit nicht geschädigt wird. Das Auftreten der eingesetzten Mitarbeitenden gegenüber den Bewohnenden soll stets freundlich und hilfsbereit sein, aber auch geprägt von einer professionellen Bestimmtheit und Distanz.“ (Ausschreibungsunterlagen für Sicherheitsdienstleistungen, C-FURT)

In A-BURG wird bezogen auf die Sicherheitskräfte größter Wert auf „ein ausgeprägtes interkulturelles Verständnis“ gelegt. Entsprechend enthalten die Unterlagen zwar abstrakte, dennoch eindringliche Aussagen zur erforderlichen Geisteshaltung des Personals, das „jederzeit für eine demokratische Grundordnung und demokratische Werte eintreten“ müsse. „Jegliche extremistische, rassistische, gewaltverherrlichende oder bestimmte Bevölkerungsteile diskriminierende Verhalten bzw. Äußerungen sind zu unterlassen.“ (Ausschreibungsunterlagen für Sicherheitsdienstleistungen, A-BURG).

In E-HAUSEN betont der zuständige Fachamtsvertreter die besondere Sensibilität von Sicherheitsdienstleistungen in Flüchtlingsunterkünften, die „Fingerspitzengefühl“ erfordere:

„Also es ist ja nicht mal eben: ‚Ich schreib eine Gebäudeleistung aus, wenn der Dienstleister mir nicht passt, schmeiß ich ihn nach drei Monaten wieder raus und hol mir einen neuen‘. Das ist ja bei Bewachung von Flüchtlingsunterkünften (…) doch ein bisschen sensibler, nicht nur was das Thema angeht, sondern halt: Der muss Kontakt zum Sozialarbeiter haben, (…) der muss sich einarbeiten etc. und wenn es dann sozusagen heißt ‚Wir haben einen Dienstleister gefunden, der gar nicht in der Lage ist, die Leistung abzustecken‘, haben wir natürlich den Ärger am Hals.“ Als Auftraggeber müsse man daher „schon versuchen diesen Grad zu finden zwischen: ‚Die Flüchtlinge sollen sich betreut fühlen und nicht überwacht fühlen‘ bis hin zu: ‚Der Wachdienst ist dazu da, sowohl die internen Konflikte zu lösen als auch zu versuchen, externe Gefahren abzuwenden‘. Aber soll auch kein Gefängniswärter sein in dem Fall.“ (Fachamt, E-HAUSEN)

Die geflüchteten Bewohner*innen sind als Klient*innen durchgängig ein wesentlicher Bezugspunkt der befragten Verwaltungsfachkräfte. Vom privaten Sicherheitsdienst wird dadurch eine ambivalente Aufgabenwahrnehmung erwartet: So soll das eingesetzte Sicherheitspersonal zwar einerseits das Hausrecht der Unterkunft durchsetzen und für ‚Ordnung‘ und ‚Ruhe‘ sorgen,

„mit den Bewohnern aber auch respektvoll umgehen. (…) Die Bewohner sollen ja keine Angst vor dem Sicherheitsdienst haben, vor allem die, die sich an die Regeln halten. Sondern, das soll ja nur im Grunde eine Back-up-Lösung sein für die Leute, die sich nicht an die Regeln halten können oder wollen. Für die soll ja der Sicherheitsdienst da sein. Für alle anderen sollte der eigentlich gar nicht auffallen.“ (Fachamt, C-FURT).

Gefragt ist insofern eine Leistung, von der man sich eigentlich wünscht, sie sei nicht notwendig – und die in der Wahrnehmung der Auftraggeber auch das Risiko birgt, selbst eine Quelle der Unsicherheit für die Bewohner*innen von Flüchtlingsunterkünften zu werden.

Wichtige Impulse dafür, dass die Kommunen sich am Leitbild des ‚Guten Dienstleisters‘ orientieren, gehen zum Teil von politischen Vorgaben aus, auf die immerhin drei der untersuchten Kommunen bei der Vergabe von Sicherheitsdienstleistungen für Flüchtlingsunterkünfte Bezug nehmen. D-BRÜCK bezieht sich dabei auf eine obligatorische Weisung des Landes zur Bewachung der Unterkünfte, die kommunalen Auftraggebern sowohl die Personalstärke für die Sicherheitsdienstleister vorgibt als auch Angaben zu den nötigen Personalqualifikationen macht. Auch wurde auf Landesebene ein Mustervertrag erarbeitet, an dem sich Kommunen orientieren sollen. In C-FURT sind entsprechende Landesvorgaben noch weiter gefasst und orientieren sich teils deutlich am Positionspapier des BDSW zum Schutz von Flüchtlingsunterkünften (s. Abschn. 6.3.1.2). Auch wenn diese Weisungen sich hier in erster Linie auf Landesvergaben beziehen und von den Kommunen nur fakultativ anzuwenden sind, machen sich die Vergabepraktiker*innen in C-FURT die dahinterliegenden Ziele jedoch zu eigen und beziehen sie in die Gestaltung ihrer Unterlagen ein. Wenn auch für einen anderen Einsatzbereich von Sicherheitsdienstleistungen, so sind schließlich die Vergabepraktiker*innen in A-BURG auch auf Weisung des Stadtrates dazu übergegangen, die Vergabeverfahren im Hinblick auf qualitative Zuschlagskriterien (hier u. a. die Höherbewertung von anspruchsvolleren Qualifikationen als die geforderte Mindestqualifikation) zu öffnen.

Analog zu diesen primären Zielen beziehen sich auch zahlreiche der von den Vergabefachkräften thematisierten Herausforderungen und Dilemmata auf die Qualität der Sicherheitsdienstleistung, die sich in erster Linie daran bemisst, dass der Auftragnehmer ‚seriös‘ ist und das eingesetzte Personal zuverlässig, fachlich qualifiziert und im Hinblick auf die Bedürfnisse der Klient*innen sensibilisiert ist.

1.2.1 Qualität vs. Angebotsstruktur

Dem stehen in der Wahrnehmung aller befragten Vergabepraktiker*innen zunächst die Angebotsstrukturen des Marktes für Sicherheitsdienstleistungen entgegen. Auch nach Auffassung des Branchenverbandes BDSW ist der Markt überwiegend von „schwarzen Schafen“ geprägt, als Ergebnis der geringen gesetzlichen Zugangshürden in die Branche. Der „Flüchtlingshype“ in den Jahren 2015 und 2016 habe nicht nur zu einem Anstieg der Umsatzzahlen um ca. 40 % geführt (BDSW 2017), sondern auch dazu beigetragen, dass eine Vielzahl von nicht-tarifgebundenen „Kleinstunternehmen“ auf den Markt gedrängt worden seien. Oftmals hätten diese Tarifaußenseiter ihr Personal teils illegal, d. h. ohne behördliche Zuverlässigkeitsüberprüfung, teils auch ohne Schulung (Unterrichtung nach § 34a GeWO) eingesetzt sowie weitere Nachunternehmen beauftragt, um die Auftragsgröße leisten zu können. Von den ca. 7000 privaten Sicherheitsdiensten, die der Verband im Jahr 2017 schätzte, seien „rund 5000 zu viel“ (BDSW 2017).

Die kommunalen Auftraggeber stehen bereits beim Sichten der eingegangenen Angebote vor den Herausforderungen des Marktes, auf dem sich Briefkastenfirmen und undurchsichtige Firmennetzwerke finden:

„Und am Ende war dann von, naja, ich sag mal, der Drückerkolonne bis hin zur ukrainischen Mafia, möchte ich jetzt fast unterstellen, wahrscheinlich alles dabei gewesen, die gerne hätten den Auftrag an Land ziehen können. Und deswegen, das war uns dann am Ende nichts, und deswegen sind die alle rausgeflogen und wir hatten am Ende natürlich keine Vergabe.“ (Fachamt, E-HAUSEN)

Hinzu kommt, dass die Arbeit der Sicherheitsbeschäftigten „gemeinhin als so genannte Jedermann-Arbeit eingestuft [wird], also als Tätigkeit, die keine oder nur geringe formale Qualifikation erfordert“ (Briken 2011, S. 22). Dies wird in unseren untersuchten Kommunen durchaus differenzierter gesehen. Dem Personal wird dennoch ein eher niedriger Bildungsstand attestiert, der für sich genommen Konfliktpotential bei der Gewährleistung einer qualitativ hochwertigen Leistung im Sinne der Klient*innen birgt:

„Und also ich für meinen Teil bin relativ zufrieden eigentlich. Also wir haben (…) weder irgendwelche geknebelten Asylbewerber oder irgendwelche – dass geschlagen wird oder/Sicherlich wird mal ein böses Wort fallen, ja, und dass auch Worte fallen, wo man sagt, als studierter Mitteleuropäer würde man das nicht sagen. Ja, das ist einfach so, aber ich muss eben auch darauf achten, mit welchen Menschen – (…), dass das nicht unbedingt die Menschen sind, die das vielleicht immer überblicken können, was sie da gerade tun. Wenngleich ich die Arbeit aber total wertschätze, also ich bin jetzt keiner, der sagt, ‚Ach, das ist nur Bewachung, naja‘.“ (Fachamt, D-BRÜCK)

Eine zentrale Herausforderung stellt der anhaltende Personal- und Fachkräftemangel in der Branche dar, der sich selbst im Zuge des Nachfragerückgangs im Jahr 2017, als zahlreiche Notunterkünfte geschlossen und geschultes Personal auf den Markt gespült worden war, nicht entspannte.Footnote 4 Kommunen stehen vor dem Problem, dass der Markt insbesondere qualifiziertere Fachkräfte derzeit kaum hergibt. Selbst die sehr niedrigschwellige Weiterqualifizierung mittels Sachkundeprüfung sei gegenwärtig auf dem Markt kaum vorzufinden, während Fälschungen entsprechender Nachweise verbreitet seien.

Die Vergabepraktiker*innen sehen das Problem der mangelnden Qualifikation dabei nicht nur als exogenes Problem des Marktes, sondern zum Teil auch durch die öffentliche Auftragsvergabe mitverursacht oder zumindest zugespitzt: Zum einen vermuten die Vergabeverantwortlichen, dass Unternehmen ihre besser qualifizierten Beschäftigten bevorzugt bei ihren in der Regel lukrativeren Aufträgen aus der Privatwirtschaft einsetzen, die schlechter entlohnten öffentlichen Aufträge hingegen mit weniger kompetenten Mitarbeiter*innen besetzen (Vergabestelle A-BURG). Zum anderen schafft das Outsourcing einer Dienstleistung aufgrund ihres immer nur befristeten Einkaufs das grundsätzliche Problem eines diskontinuierlichen Personaleinsatzes. Die befragten Vergabepraktiker*innen gehen daher zum Teil davon aus, dass nach Ende eines Auftrags gerade die qualifizierten Kräfte, die sich im Verlauf der Vertragszeit bewährt haben, von ihrem Arbeitgeber gehalten werden und zu einem anderen Auftrag mitziehen (Fachamt, D-BRÜCK).

1.2.2 Qualität vs. Mittelstandsförderung

Um Qualität ex ante messbar zu machen, ist die Abfrage von Referenzen früherer Auftraggeber branchenübergreifend ein gängiges Instrument. Ein Teil der Vergabepraktiker*innen steht diesem Instrument aber zwiespältig gegenüber, aufgrund von Vorbehalten, die sich vor allem aus dem traditionellen Ziel der Mittelstandsförderung speisen, partiell aber auch mit der seit langem geltenden vergaberechtlichen Norm eines offenen wettbewerblichen Verfahrens begründet werden. Solche Referenzen versperrten neuen Marktteilnehmern den Weg in einen fairen Wettbewerb um öffentliche Aufträge:

„Neulich war jemand da, der sagte so nach dem Motto: ‚Das ist ja wie dieser Kreislauf - Ohne Arbeit keine Wohnung, ohne Wohnung keine Arbeit‘. Also, sprich, ohne die Erfahrung krieg ich hier keinen Auftrag, aber ohne den Auftrag kann ich nicht die Erfahrung machen und die dann nachweisen. Und das ist teilweise dann auch berechtigt.“ (Vergabestelle, C-FURT)

Ähnliche Bedenken werden zum Teil gegen Bieterbeschränkungen zur Durchsetzung von Qualitätszielen mithilfe der Einforderung bestimmter Zertifikate (v. a. zu Leistungen wie Notruf- Serviceleitstelle und Alarmprovider, Interventionsstelle sowie DIN 77200) geltend gemacht. Gerade kleinere und mittlere Unternehmen sowie ‚Newcomer‘ würden durch die damit entstehenden Kosten belastet, so die Vergabestelle in E-HAUSEN. Auch wird der grundsätzliche Mehrwert von Zertifikaten und ihre wettbewerbsrechtliche Zulässigkeit angezweifelt:

„Wenn jetzt bestimmte Firmen sich ein Zertifikat einkaufen, was einfach Geld kostet, was ja viele Kleinere nicht können. (…). Und wenn wir das jetzt fordern und lassen aber auch nichts Gleichwertiges zu, ist das ein Eingriff in den Wettbewerb. Wir müssten aber schon begründen können, warum ist das uns jetzt so wichtig. Ich glaube, da scheitern wir dran. Vielleicht schaffen wir es auch und es passiert auch nichts. Es ist immer nur die Frage: was ist aber dann, wenn sich einer beschwert? Können wir dann dem Stand halten mit unserer Begründung?“ (Vergabestelle, E-HAUSEN)

Das Sicherheitsgewerbe hebt sich aus Sicht der Vergabestelle hier mit seiner Vielzahl an Nachweisen besonders ab.

1.2.3 Qualität vs. (vergaberechtskonforme) Messbarkeit und Kontrolle der Qualität

Eine weitere wesentliche Herausforderung, vor der sich die untersuchten Kommunen stehen sehen, betrifft die grundsätzliche Frage, wie sich die Qualität einer Sicherheitsdienstleistung im Vorfeld bestimmen und im Rahmen des Vergabeverfahrens möglichst sicherstellen lässt. Testverfahren wie ein Probeessen im Bereich des Schulcaterings oder eine Probereinigung im Rahmen der Vergabe von Gebäudereinigungsleistungen sind für die Gewährleistung bzw. Herstellung von Sicherheit eher undenkbar. Sicherheit fällt in der Regel erst dann auf, wenn sie gefährdet ist, die dahinterliegende Dienstleistung nur unzureichend erbracht wird. Der augenfälligste Beweis einer erbrachten Sicherheitsdienstleistung ist die physische Anwesenheit von Sicherheitsbeschäftigten, die tatsächliche Eignung des Personals lasse sich ex ante hingegen kaum bestimmen:

„Physische und psychische Belastbarkeit in besonderen Stresssituationen – das sind Dinge, die man vorher nicht unbedingt nachweisen kann.“ (Fachamt, C-FURT)

Die zwischen Auftraggebern und Anbietern geschlossenen Verträge, die in der Regel Leistungskataloge mit mehr oder weniger detaillierten Bestimmungen zur Qualität der Dienstleistung enthalten, haben insofern den Charakter von Versprechen. Damit entsteht die Aufgabe, diese Versprechen entweder ex-ante (bei der Auswahl) oder ex-post (während der Vertragslaufzeit) zu überprüfen. Dies wiederum kann zum einen erheblichen Mehraufwand bedeuten, wie die Vergabestelle in A-BURG anhand einer gerade erfolgten Ausschreibung mit qualitativen Wertungskriterien schildert:

„Ich bin sehr gespannt, was das für einen Verwaltungsaufwand dann erfordert. Weil, Sie haben viele Versprechen, also haben Sie viele Möglichkeiten, Vertragsstrafen zu verhängen. Und wenn ich bei jeder Rechnung erst mal fünf Stunden lang darüber diskutieren muss: ‚Ja, was stimmt jetzt in dem Vertrag in diesem Monat nicht?‘ - Dann ist das ein gigantischer Verwaltungsaufwand. Weil, zunächst haben wir das Versprechen und die Firma muss dann gucken und wir müssen gucken, wie die Versprechen dann eingehalten werden. Also das ist nach wie vor ein Thema. Ich bin sehr gespannt.“ (Vergabestelle, A-BURG)

Insbesondere bei dem Versuch, die Qualitätsversprechen bereits ex-ante, bei der Auswahl, zu bestimmen stellt sich zum anderen die Schwierigkeit, diese auch in vergaberechtskonformer Weise in die Prüfung und Bewertung der Angebote einfließen zu lassen. Dies beginnt schon bei der Einforderung von Referenzen aus vorherigen Aufträgen:

„Weil, eine Referenz ist ja immer schwer steuerbar. Heißt das ‚Ich hab für die gearbeitet, ich hab eine gewisse Zeit für die gearbeitet‘ - Muss ich da eine schriftliche Bestätigung haben des Referenzgebers ‚Ja, das war toll‘? Reicht es, dass ich da mal irgendwie einen Kollegen anrufe, der sagt: ‚Ja, das war super‘ oder der sagt: ‚Nee, das war nicht so super, der hat uns nur Chaos gemacht‘? Wie kann ich dann da Punkte verteilen […]? (Vergabestelle, C-FURT)

Um qualitative Elemente auch in die Wertung der Angebote mit einzubeziehen, sehen sich Kommunen mitunter nicht in der Lage, geeignete Ideen zu entwickeln, die den vergaberechtlichen Anforderungen in punkto Messbarkeit und Objektivität gerecht werden:

„Also das wird immer gerne gewünscht, wegen mir auch auf politischer Ebene, aber es gibt ja keine Ideen. (…) Also, es geht nicht darum, dass die Ämter das nicht wollen. Die würden sich ja viele Dinge auch anders wünschen. Die Frage ist aber: Wie? Es muss ja messbar sein. (…) Wenn wir das auch [Fach-]Ämtern manchmal mitgeben, die das vielleicht jetzt auch nicht so oft gemacht haben, die dann einfach Ideen haben, die gut klingen. Aber wir bekommen dann immer [zu hören]: ‚Machen Sie es mal vergleichbar. Machen Sie es messbar‘. Und dann wären wir beim Preis.“ (Vergabestelle, E-HAUSEN)

Den Kommunen ist in unterschiedlichem Grad daran gelegen, sich rechtskonform zu verhalten und sich gegenüber Vergaberügen oder sonstigen Überprüfungen zu wappnen. Vor diesem Hintergrund erscheint der Preis als alleiniges Wertungskriterium als sicherste Variante:

„Wir haben dann natürlich immer die Sache, wenn Sie verschiedene Kriterien ansetzen, dass diese ja gerichtlich überprüfbar sind, und eventuell anders ausgelegt werden könnten. Weil, wie bewerten Sie ein Kriterium dann? (…) Bewertung ist ja (…) niemals hundert Prozent objektiv. Und das ist ja nun mal das Problem. Aber der Preis ist immer hundert Prozent objektiv. Weil, der steht fest, und da gibt es nichts zu diskutieren. (…) Da kann man ganz genau sagen ‚Der ist einen Cent teurer, der ist einen Cent günstiger‘.“ (Fachamt, C-FURT)

Dem Anspruch, neben dem Preis auch Qualitätsaspekte zu berücksichtigen stehen aus Sicht der Vergabepraktiker*innen die Herausforderungen eines komplexer werdenden und zudem durch Rechtsprechung dynamischen Vergaberechts entgegen. Die Zeit sei meist gar nicht da, aufwendig zu recherchieren, wie man es anders machen könnte:

„Da bist du ja froh, wenn du dein Regelwerk hinkriegst und kannst dann meinetwegen sagen ‚Aus fachlicher Sicht oder vergaberechtlicher Sicht, das können wir so machen‘.“ Eine absolute Gewissheit, ein Verfahren rechtssicher durchgeführt zu haben, gäbe es nicht, „weil es auch so kompliziert ist und so viele Sachen ja auch Auslegungssache sind. (…) Oder es gibt unterschiedliche Urteile zum gleichen Thema. Also, das heißt, da werden Sie nie eine Unterlage haben, wo nicht irgendeine Firma ein Haar in der Suppe finden könnte.“ (Vergabestelle, E-HAUSEN).

Mit der Ausdifferenzierung des Vergaberechts sind auch Regelungen getroffen worden, die durch ihre paradoxen Wirkungen von den Vergabepraktiker*innen als wenig sinnvoll wahrgenommen werden. Vergaberecht führe zum Teil vom „ursprünglichen Ziel“ weg; es gehe „gar nicht mehr um die Sache“, wenn etwa durch hohe formale Hürden (z. B. eine vergessene Unterschrift) gute Angebote vom weiteren Verfahren ausgeschlossen werden müssen (Vergabestelle, E-HAUSEN). Auch das Gegenteil, der Ausschluss von Schlechtleistung, sei erschwert worden. „Allein die Tatsache, dass du eine Firma hast, mit der du mehrere Verträge hast, die schlecht laufen, reicht nicht mehr für einen Ausschluss.“ (Vergabestelle A-BURG). Zudem hätten sich die Bedingungen dafür, eine Kündigung auszusprechen, insofern verschlechtert, als es nunmehr „gerichtsfester“ Gründe bedürfe. Tatsächlich hat das neue Vergaberecht auf europäischer Ebene und im Anschluss daran auf nationaler Ebene die Möglichkeiten für einen Ausschluss von Bietern aufgrund von Schlechtleistungen bei früheren Aufträgen erstmals gesetzlich kodifiziert (§ 124 GWB), dabei aber zugleich enge Grenzen gesetzt, die von der einschlägigen Rechtsprechung weiter konkretisiert wurden (Geitel 2018; Soudry 2019). Erforderlich ist insbesondere, dass die Schlechtleistung auch durch Vertragskündigung oder eine andere Rechtsfolge sanktioniert wurde; und auch dies reicht jedoch nicht aus, da es Möglichkeiten zur „Selbstreinigung“ (§ 125 GWB) von Unternehmen gibt.Footnote 5 Als öffentlicher Auftraggeber sieht man sich damit gegenüber privaten Kunden deutlich im Nachteil, was die Möglichkeiten zur Sanktionierung schlechter Qualität anbelangt.

2 Sekundäre Leitbilder: Hürde, Wahlverwandtschaft oder Erfüllungsgehilfe für mehr Qualität?

Wie werden, neben den primären Zielen, jene Normen in das Aufgabenverständnis integriert, die mit der Vermarktlichung einerseits und der Sozialen Konditionalisierung andererseits an Bedeutung gewonnen haben? Welchen Stellenwert hat also die Sicherstellung eines wettbewerblichen Verfahrens (Abschn. 7.2.1); welchen Stellenwert die Gewährleistung guter Arbeitsbedingungen in der Schulverpflegung (Abschn. 7.2.2) und im Bereich der Sicherheitsdienstleistungen für Flüchtlingsunterkünfte (Abschn. 7.2.3)? Die Ergebnisse verdeutlichen, dass der Wert der beiden alternativen Leitbilder (‚Hüter des Wettbewerbs‘ und ‚Guter Auftraggeber‘) sich in erster Linie daran bemisst, ob sie als nützlich oder hinderlich für das Ziel der Qualitätssteigerung gelten; eine davon unabhängige Bewertung ist eher die Ausnahme. Mit Blick auf das Leitbild ‚Guter Auftraggeber‘ werden dabei deutliche Unterschiede zwischen den beiden Dienstleistungsbereichen sichtbar: Im Bereich der Sicherheitsdienstleistungen stellen viele Befragte eine dezidiert positive funktionale Beziehung zwischen Qualität der Arbeit und Qualität der Dienstleistung her. Demgegenüber finden sich im Bereich der Schulverpflegung allenfalls lose, und wenn dann eher negative funktionale Bezüge, sowie weitere Vorbehalte gegenüber politischen Vorgaben und gesellschaftlichen Erwartungen zur sozialverantwortlichen Auftragsvergabe.

2.1 Der ‚Hüter des Wettbewerbs‘: Zwischen Hürde und Erfüllungsgehilfe

Zum Teil sind oben bereits Konflikte zwischen dem primären Ziel ‚mehr Qualität‘ und dem wettbewerbsrechtlich geprägten Vergaberecht angesprochen worden (Qualität vs. vergaberechtskonforme Messbarkeit und Kontrolle). In dieser Hinsicht gilt die starke Verdichtung der wettbewerbsrechtlichen Regelungen, die mit der Vermarktlichung einhergegangen sind, eher als Hürde für das neue Primat der Qualität. Der Wunsch, den Preiswettbewerb zugunsten von Qualitätskriterien einzuschränken, geht unter den Befragten aber nicht mit einer grundsätzlich ablehnenden Haltung gegenüber wettwerblichen Verfahren als solchen einher. Aussagen wie die folgende sind eine Ausnahme:

„In meinem Kopf ist Schulessen ein Akt von Grundversorgung. Der hat nix mit Wettbewerb zu tun oder sonst irgendwie, sondern soll die Kinder auf einem möglichst hohen Level gut versorgen mit den entsprechenden Nährstoffen, die sie brauchen, um gut fit durch den Schulalltag zu kommen. Aber sollte nicht sozusagen Schauplatz sein für marktwirtschaftliche Wettkämpfe.“ (Fachamt, D-BRÜCK)

In D-BRÜCK rechtfertigt dies aus Sicht des Schulamtsvertreters klar auch Wettbewerbseinschränkungen, konkret den Verzicht auf Teillose und dadurch den Ausschluss kleinerer Firmen zugunsten einer möglichst einheitlichen Versorgung, dem primären Ziel in D-BRÜCK.

Verbreiteter ist demgegenüber eine qualitätsbezogene Konditionalisierung von Wettbewerb, die wettbewerbliche Verfahren insofern als nützlich erachtet, insofern sie der Dienstleistungsqualität dient. Dies ist etwa der Fall in der Schulverpflegung in E-HAUSEN, wo es jeder einzelnen Schule weitgehend überlassen wird, sich nach eigenen Kriterien in offenen Ausschreibungen einen der Bieter auszusuchen. Die wettbewerbliche Vergabe erfüllt dort in den Augen des Schulamtes in erster Linie eine legitimitätsstiftende Funktion, indem sie Schulen und Eltern ein regelmäßiges Wahlrecht bei der Essensversorgung einräumt.

Eine tragendere Rolle wird wettbewerblichen Verfahren in BERLIN zugesprochen. Hier werden regelmäßige Ausschreibungen grundsätzlich als geeignetes Suchverfahren für mehr Qualität bzw. für ein angemessenes Preis-Leistungs-Verhältnis betrachtet. Dazu zählt beispielsweise auch, den Schulen bei Unzufriedenheit mit der Essens- und Dienstleistungsqualität kurzfristige Kündigungsmöglichkeiten einzuräumen – nach dem Vorbild von Dienstleistungsverträgen in der freien Wirtschaft, etwa Handyverträgen:

„Also normalerweise ist in einer offenen Ausschreibung eine dreijährige Vertragslaufzeit, manchmal eine vierjährige (…). Bestenfalls, wenn alles glatt läuft, hört der Vertrag also nach drei Jahren auf. Aber wir können in Berlin nach jedem halben Jahr ohne Begründung kündigen! (…) Das ist bei vielen, vielen Verträgen, die ich kenne – ich habe mir dann auch mal bundesweit alle Verträge mal angeguckt – ist das gar nicht möglich. (…) Das ist wie mit einem Handyvertrag. (…) Ihr Handyvertrag, da steht die Frist drin, oder Ihr Fitnessvertrag, den kann ich entweder monatlich kündigen, halbjährlich kündigen oder, oder, oder.“ (Schulbehörde, BERLIN)

Eine weitere Grundvoraussetzung dafür ist auch, Leistungen explizit in vertraglicher Form zu fixieren, um so für alle Seiten Transparenz über vereinbarte Leistungen und Preise herzustellen und eine effektive Leistungskontrolle zu ermöglichen. So begrüßt der Vertreter der örtlichen Vernetzungsstellen Schulverpflegung (VNS), der an der Aushandlung neuer qualitätsorientierter Ausschreibungen für das Schulessen in der Stadt beteiligt war,

„dass wir jetzt solche Verträge haben, die relativ gut sind, die sehr umfangreich sind, detailliert sind. Wo auch die Leistungsanforderungen durchaus sehr umfänglich und klar, präzise enthalten sind. Das war ja dann ein notwendiger Schritt zu sagen: Wir müssen jetzt im Bereich Qualitätskontrolle, Qualitätssicherung, etwas machen. Damit eben Caterer auch merken: Nicht nur alle drei Jahre geht es darum den Vertrag zu kriegen, sondern jeden Tag geht es darum, die Qualität zu liefern.“ (regionale VNS, BERLIN)

In Einklang mit Grundgedanken des New Public Management dienen wettbewerbliche Verfahren demnach grundsätzlich der höheren Effektivität und Kundenorientierung des Verwaltungshandelns; vertragliche Vereinbarungen sind dabei ein zentrales Steuerungsinstrument zur transparenten Leistungsdefinition und -kontrolle. Bei der genauen Ausgestaltung der Vergabeprozesse werden aber mit dem gleichen Ziel der Qualitätssteigerung auch erhebliche Einschränkungen des Preiswettbewerbs in Kauf genommen oder sogar intendiertermaßen genutzt, wie in Kap. 8 noch zu sehen sein wird.

Das Leitbild des ‚Hüters des Wettbewerbs‘, das der Gewährleistung wettbewerblicher Verfahren oberste Priorität einräumt, hat in den Werthaltungen der Vergabepraktiker*innen mithin eher geringe Spuren hinterlassen und trifft mitunter sogar auf Ablehnung, wenn dies den primären Zielen einer guten Dienstleistungsqualität entgegensteht. Dies ist aber nicht gleichbedeutend mit einer Ablehnung regelmäßiger Ausschreibungen an sich. Diese werden grundsätzlich als funktional für die Erfüllung der prioritären Ziele (Essensqualität und Wahlrechte der Dienstleistungs-Adressat*innen) angesehen. Zudem hat die Ökonomisierung des öffentlichen Sektors in Gestalt des New Public Management hier insofern zum Teil Spuren hinterlassen, als ein zentrales Steuerungsinstrument dieses Modells – der Vertrag – stärker als zuvor Blaupause für die Interaktionen mit den Leistungsanbietern wird. Auch diese Art von Ökonomisierung steht aber unter dem Primat des Leitbildes ‚Guter Dienstleister‘.

2.2 Der ‚Gute Auftraggeber‘ in der Schulverpflegung

Gegenüber der Essens- und Dienstleistungsqualität besitzt das Thema der sozialverantwortlichen Auftragsvergabe über alle Kommunen hinweg deutlich nachrangige Priorität. Selbst wo, wie in Berlin, auf Landesebene das Thema der Tariftreue einen hohen Stellenwert genießt (s. Kap. 9) schlägt dies zumindest im Bereich der Schulverpflegung in der Vergabepraxis nur bedingt durch: Die Verantwortlichen auf Bezirksebene wie auch in den beiden zuständigen Landesministerien (Schulbehörde, Wirtschaftsbehörde) sehen sich für Arbeitsbedingungen eher nicht in der Zuständigkeit. Zum Teil wird dies mit allgemeinen ordnungspolitischen Schranken begründet, weil dies eine unzulässige Einmischung in Firmenbelange darstelle (Schulbehörde, BERLIN), zum Teil wird auf hergebrachte vergaberechtliche Prinzipien verwiesen:

„Also: Wir Vergaberechtler, wir waren schon immer dagegen. Die Verknüpfung von öffentlichen Aufträgen mit politischen Zielen – früher war das ja gar nicht zulässig, und wir waren schon immer dagegen, weil, das ist eine mittelbare Subventionierung. Man weiß im Grunde genommen ja gar nicht mehr, was man für die Produkte, Leistungen, zahlen muss, da verstecken sich ja jetzt andere Kosten.“ (Wirtschaftsbehörde, BERLIN)

Selbst wenn individuell eine stärkere Ausrichtung an sozialen Kriterien grundsätzlich als legitim eingestuft wird, äußern Befragte Vorbehalte: Dafür, so der Fachamtsvertreter in D-BRÜCK, bedürfte es eines klaren politischen Mandats, das gewissermaßen eine Vorreiterrolle des Staates als ‚guter Auftraggeber‘ legitimieren und den Zielkonflikt mit dem Prinzip der Wirtschaftlichkeit eindämmen könnte (Soziale Kriterien vs. Wirtschaftlichkeit und fehlendes politisches Mandat):

„Also jetzt mal, wenn wir eine Grundsatzdebatte führen, bin ich durchaus der Auffassung, dass es die Aufgabe der öffentlichen Hand ist, nicht nur in ihrem direkten eigenen Bereich die Sozialstandards hochzuhalten, sondern möglichst auch mit ihren Partnern. Allerdings, sage ich mal, bleibt es natürlich auch Erwartungshaltung der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler, dass die Leistung der öffentlichen Hand auch zu vertretbaren Preisen angeboten bleibt. Also das Prinzip der Wirtschaftlichkeit generell außer Kraft setzen, dass wir also sozusagen nach Gutdünken da die Anforderungen noch höher ziehen als gesetzlich vorgegeben, geht aus meiner Sicht nicht. (…) Die Erwartungshaltung darf grundsätzlich jeder Bürger an die öffentliche Hand haben, dass wir gesetzestreu arbeiten und nach Möglichkeit auch darauf achten, dass unsere Partner das tun. Allerdings, sage ich mal, über das gesetzlich geforderte Maß hinaus würde zu einer künstlichen Verteuerung der öffentlichen Aufgaben führen. Das muss dann in einem breiten Konsens gesetzlich vereinbart werden.“ (Fachamt, D-BRÜCK)

Die Vergaberechtsreform als solche vermittelt hier offenbar nicht den Eindruck, dass diese einen ‚breiten Konsens‘ zugunsten der Berücksichtigung sozialer Kriterien in der Auftragsvergabe gesetzlich verankert hat.

Auch in den anderen Städten nimmt keine der Gesprächspartner*innen Bezug auf die Vergaberechtsreform als etwaigem Impulsgeber sozialer Zielsetzungen. Auch lokale „Beschaffungsleitbilder“ oder „Nachhaltigkeitskonzepte“ für die öffentliche Auftragsvergabe – diese wurden in zwei der vier Kommunen (C-FURT und D-BRÜCK) verabschiedet – haben keine erkennbare Wirkung auf die Handlungsorientierungen von Vergabepraktiker*innen in der Schulverpflegung. Das dürfte auch darauf zurückzuführen sein, dass diese lokalen Beschaffungsleitbilder den Aspekt der sozialen Nachhaltigkeit mit der Beschaffung fair gehandelter und nachhaltig erzeugter Produkte in internationalen Handelsketten übersetzen, nicht mit guten Arbeitsbedingungen in lokal erbrachten Dienstleistungen.Footnote 6 Ein allenfalls schwaches politisches Signal ‚pro Arbeitsbedingungen‘ wird selbst dort gesendet, wo wie in D-BRÜCK auf lokalpolitischer Ebene über die Rekommunalisierung der Essensverpflegung nachgedacht wird. Ein entsprechender Prüfauftrag auf Antrag der SPD-Fraktion im Stadtrat wird hier in erster Linie mit anhaltenden Beschwerden über die mangelnde Qualität des Essens begründet. Mit dem Argument, dass damit auch bessere Arbeitsbedingungen einhergehen würden, wird die Forderung eher angereichert als begründet, die Arbeitsbedingungen stehen hier insofern in ‚entfernter Wahlverwandtschaft‘ zur Qualität.Footnote 7

Weitere Einwände richten sich gegen die mangelnde Wirksamkeit solcher Auflagen mangels Ressourcen zur Kontrolle (Soziale Ziele vs. Kontrollressourcen). So gibt das Schulamt in C-FURT zu bedenken,

„Die Arbeitsbedingungen [zu überprüfen], das sollte, auch wenn es personalintensiver wäre, wirklich gesondert gemacht werden, weil das ist eine Überfrachtung meiner Meinung nach. (…). Wo wir sagen, das wäre eigentlich keine Frage der Schul-, sondern eine Frage der Wirtschaftspolitik.“ (Fachamt, C-FURT]

Zu den grundsätzlichen Haltungen, die dem Thema der sozialverantwortlichen Auftragsvergabe skeptisch gegenüberstehen, kommt noch ein Einwand, der auf einen Zielkonflikt hinweist. So steht die Berücksichtigung sozialer Kriterien nach Auffassung des Schulamtes in E-HAUSEN genauso wie die höheren Qualitätsanforderungen in Konflikt mit dem Ziel der sozialen Inklusion (Soziale Kriterien vs. soziale Inklusion):

„Weil, die Caterer sind ja, je mehr wir verlangen – Mindestlohn, Miete, Trinkwasseruntersuchung und was sie alles zahlen müssen zu ihren Kosten, die sie ja sowieso haben – das treibt alles den Preis hoch. Und irgendwann sagen die Eltern: ‚Ich kann nicht mehr‘.“ (Fachamt, E-HAUSEN).

Hingegen werden vergaberechtliche Hürden (Soziale Kriterien vs. Vergaberecht) kaum geltend gemacht; wenn überhaupt, erst auf Nachfrage und in dritter oder vierter Instanz – so etwa das vergaberechtliche Verbot, Bietern die Nutzung von Nachunternehmern zu untersagen.Footnote 8

Insgesamt ähneln sich die untersuchten Kommunen darin, dass Arbeitsbedingungen als Vergabekriterium nachrangige Bedeutung besitzen oder sogar als Hürde für die prioritären Ziele gelten. Neben den fehlenden Ressourcen zur Kontrolle von Arbeitsbedingungen ist ein wiederkehrender Argumentationskern dabei, dass die erwartbaren Mehrkosten (die „künstliche Verteuerung“ bzw. „mittelbare Subventionierung“ von öffentlichen Leistungen) infolge höherer Anforderungen an die Arbeitsbedingungen als unzureichend legitimiert gelten – mal mit Blick auf die zahlenden Eltern (E-HAUSEN, D-BRÜCK), mal mit Blick auf das Prinzip der Wirtschaftlichkeit (D-BRÜCK), mal mit Blick auf althergebrachte vergaberechtliche Grundsätze (BERLIN). Auf das modernisierte Vergaberecht wird von den Befragten in diesem Zusammenhang demgegenüber kaum Bezug genommen – weder als Impulsgeber noch als Hürde für die Verankerung sozialer Kriterien.

Im Vergleich zu den Sicherheitsdienstleistungen fällt hier auf, dass die Arbeitsbedingungen von keinem bzw. keiner der Befragten in einen positiven funktionalen Zusammenhang mit der Qualität der Schulverpflegung gebracht werden. Eine bessere Bezahlung, die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung von Ausgabekräften, oder eine höhere Qualifikation des Personals gelten nicht als Voraussetzung für die gestiegenen Qualitätsanforderungen. Ein Teil der Erklärung dürfte darin zu suchen sein, dass anders als im Falle etwa der Sicherheitsdienstleistungen die Qualitätsziele sich in erster Linie auf ein Produkt (Essen) beziehen und nicht auf interaktive Dienstleistungsarbeit – die Essensausgabe macht lediglich einen kleinen und für die Essensqualität wenig relevanten Teil der involvierten Arbeit aus. Zudem schlägt sich hier vermutlich auch das weitgehende Fehlen von verbandlichen Stellungnahmen und Selbstregulierungs-Versuchen nieder, die einen Zusammenhang zwischen Qualifikation und Arbeitsbedingungen des Personals und der Qualität ihrer Dienstleistung herstellen (s. Kap. 6). So fehlt auch den öffentlichen Auftraggebern hier eine wesentliche Argumentationsgrundlage.

2.3 Der ‚Gute Auftraggeber‘ bei den Sicherheitsdienstleistungen

Einen höheren Stellenwert genießen Rahmenbedingungen, die gute Arbeit in den beauftragten Betrieben begünstigen, unter Vergabefachkräften im Bereich der Sicherheitsdienstleistungen für Flüchtlingsunterkünfte. Dort spielen sie insbesondere dann eine Rolle, wenn von den Auftraggebern ein positiver Zusammenhang mit dem primären Ziel guter Dienstleistungsqualität wahrgenommen wird. Die grundsätzliche Befürwortung einer sozialverantwortlichen Auftragsvergabe wird also in der Regel im engen Zusammenhang mit funktionalen Argumenten genannt, wie folgende Beispiele veranschaulichen.

Vom Fachamt in E-HAUSEN werden gute Arbeitsbedingungen zunächst grundsätzlich als bedeutsam für öffentliche Aufträge betont. Anlass ist der oben angesprochene Personalmangel im Wach- und Sicherheitsgewerbe, der oftmals sehr hohe Flexibilitätsanforderungen an die Beschäftigten stelle:

„Uns ist aber wichtig - da spreche ich jetzt auch aus persönlicher Erfahrung, ich bin selber Mitglied in der SPD zum Beispiel. Uns ist es auch wichtig, dass die Arbeitsbedingungen stimmen. Also wir wissen, der Markt ist momentan leergefegt, es gibt kein qualifiziertes Personal, das wirklich Leistung erbringen kann (…).Und wir versuchen schon, mit unseren Dienstleistern zusammen den richtigen Weg zu finden, dass auch die Arbeiter entsprechend ohne Druck arbeiten müssen (…) Am Ende: Wir haben mehr Stress damit, Mängel zu beseitigen oder beseitigen zu lassen, als wenn wir im Vorfeld schon vorausschauend agieren würden und den Dienstleistern sagen: ‚Okay, ihr kriegt jetzt zwei Euro mehr die Stunde, dafür weiß ich aber, dass es am Ende auch läuft und ihr eure Mitarbeiter auch ordentlich bezahlt und die sich nicht wie auf der Flucht vorkommen müssen‘, zum Beispiel.“ (Fachamt, E-HAUSEN)

Hier wird deutlich, dass die Berücksichtigung sozialer Kriterien jedenfalls auch dem Selbstverständnis entspringt, ein ‚Guter Dienstleister‘ zu sein, der zugunsten einer zumindest zuverlässigen Dienstleistungsqualität ein angemessenes Preis-Leistungs-Verhältnis im Blick behält.

Auch in A-BURG werden gute Arbeitsbedingungen als geeignetes Mittel zum Zweck der Behebung des Personal- und Fachkräftemangels in der Branche ausgelegt. So bemüht sich die Vergabestelle in Absprache mit dem Fachamt und den Bedarfsstellen darum, die Bewachungszeiten möglichst so zu gestalten, dass sich personalpolitische Spielräume für eine auskömmliche und für die Beschäftigten attraktive Arbeitszeit eröffnen:

„Wenn Sie Qualität haben wollen, eine gute Leistung haben wollen im Bewachungsgewerbe, dann muss ich als Auftraggeber gucken, dass der Wachmann möglichst zehn Stunden beschäftigt ist. (…) Weil Sie haben ein Riesen-, Riesenproblem, wenn der Wachmann dann kommen soll und dann tatsächlich nur sechs Stunden beschäftigt ist. Der bleibt Ihnen nicht. (…) Wir müssen als Auftraggeber auch schauen, dass die Voraussetzung für die Firmen und auch die Mitarbeiter entsprechend gegeben ist. Und der Mitarbeiter will halt zehn Stunden arbeiten und nicht nur sechs.“ (Vergabestelle, A-BURG)

Seltener zu hören sind hingegen Argumente, die explizit die funktionale Notwendigkeit sozialer Kriterien bestreiten, wie sie von der Vergabestelle in E-HAUSEN geäußert werden. Nicht nur in Bezug auf landesrechtliche Vorgaben zur Förderung von Frauen fragt sich die Interviewpartnerin „Was geht mich das eigentlich auch an?“ Also, wie viele Frauen der hat. Ist das jetzt für meinen Auftrag notwendig, dass da mehr Frauen als Männer arbeiten?“ (Vergabestelle, E-HAUSEN). Auch von der Vorgabe von Tariflöhnen hält man hier nicht viel; dies verstoße gegen die „Kalkulations- und Unternehmenshoheit“ der Unternehmen. Die Zahlung von Tariflöhnen sei vielmehr Gegenstand der Aushandlungen zwischen Arbeitgeber und Beschäftigten, nicht jedoch Sache des Auftraggebers:

„Da war eben das große Thema: ‚Ja, warum schreiben wir es nicht einfach vor?‘ - Weil uns das nichts angeht. (…) Also, wie kann ich mir jetzt als öffentlicher Auftraggeber erlauben zu sagen ‚Zahl mehr‘?“ (Vergabestelle, E-HAUSEN)

Die Argumentationsweise der Vergabestelle in E- Stadt stellt damit das spiegelverkehrte Gegenstück zur Bündelung grundsätzlicher und funktionaler Argumente zugunsten der sozialverantwortlichen Auftragsvergabe dar. In dieser Perspektive treten Zweifel am Nutzen von sozialen Kriterien wie auch von Qualitätskriterien (s. Abschn. 7.1.2.2), gebündelt mit einer grundlegenden Zurückweisung des Leitbildes ‚Guten Auftraggeber‘ auf, mit Verweis sowohl auf die Vertragsfreiheit von Unternehmen (soziale Kriterien vs. ordnungspolitische Schranken) als auch auf die fehlende Passung mit dem ‚eigentlichen‘ Zweck der Auftragsvergabe (soziale Kriterien vs. Bedarfsdeckung). Mit der Inklusion sowohl sozialer als auch qualitativer Zielsetzungen drohe die Kernaufgabe in den Hintergrund zu rücken, nämlich die transparente und wettbewerblich gestaltete Vergabe von Leistungen zur Deckung eines öffentlichen Bedarfs. Man solle, so die Gesprächspartnerin, „eher mal wieder zurückgehen: ‚Weniger ist mehr‘ (…) Es geht gar nicht mehr um die Sache.“ Auch vor dem Hintergrund fehlender Einkaufsmacht (in manchen Branchen) wird zumindest die kommunale Auftragsvergabe grundsätzlich nicht als der geeignete Ort gesehen, soziale Ziele durchzusetzen.

Entsprechende Zielsetzungen sollten daher vielmehr auf höherer politischer Ebene angegangen werden. ‚Von oben‘ vermisst die Gesprächspartnerin schließlich nicht nur Ziele, sondern auch konkrete und vor allem rechtssichere Vorgaben zur Ausgestaltung (fehlendes ‚politisches Mandat‘):

„Ich glaube auch nicht, dass wir jetzt der Anker sind, um irgendwas zu ändern. Die Vorgaben, die müssten eigentlich, finde ich, von oben kommen, wer was zu tun hat. Und nicht wir als kleiner Auftraggeber (…) Es ist jede Menge Theorie dazugekommen in den Verordnungen. Finde ich aber nicht praktikabel. Also zwischen der Theorie und Auftraggebern, die das umsetzen sollen, oder denen man das als Möglichkeit eröffnet, müsste man ja aber auch dazu geben: Wie denn? Ist wahrscheinlich Sache der Kreativität des Auftraggebers.“ (Vergabestelle, E-HAUSEN)

Wie bereits im Falle der Schulverpflegung veranschaulicht diese Argumentationsweise, dass zumindest dort, wo Vergabepraktiker*innen aus einer Reihe von Gründen dem ‚market engineering goal‘ der sozialverantwortlichen Auftragsvergabe kritisch gegenüberstehen, Ermessensspielräume eben nicht begrüßt werden. Die Delegation der Lösung dieser komplexen Aufgabe an die Praxis wird hier abgelehnt und an übergeordnete politische Ebenen zurückverwiesen.

Eine solche explizite und starke argumentative Verdichtung gegen die Berücksichtigung sozialer Kriterien blieb unter unseren Interviewpartner*innen gleichwohl die Ausnahme. Dies bedeutet aber nicht, dass dieser Typus von Werthaltungen in der Vergabepraxis insgesamt eine Ausnahme darstellt; das können wir auf Basis unserer Fallstudien nicht einschätzen. Wohl aber veranschaulicht die ausführliche Darstellung der Argumentationsweise den Ursprung einer solchen ablehnenden Haltung: Hier dominieren Argumente, die jedenfalls auch Bestandteil des traditionellen Zielkanons der öffentlichen Auftragsvergabe sind, wie etwa die Förderung von KMU, oder die agnostische Haltung gegenüber ‚vergabefremden‘ Zielen („Was geht mich das an?“), oder schließlich die Fokussierung auf die Bereitstellung von öffentlichen Dienstleistungen als Kernaufgabe der Auftragsvergabe. All dies sind Werte, die auch die Gesprächspartnerin selbst dem bislang geltenden Wertekanon zuordnet. Wir interpretieren dies als Bestätigung dafür, dass die Vermarktlichung der Auftragsvergabe, im Sinne ihrer stärkeren Ausrichtung am Wettbewerbsrecht, an zuvor bestehende Werthaltungen unter Vergabepraktiker*innen jedenfalls zum Teil durchaus anknüpfen kann und sich beides wechselseitig stabilisiert. Der Unterschied zwischen solchen Werthaltungen und den unter unseren Befragten aus dem Bereich der Sicherheitsdienstleistungen weiter verbreiteten Werthaltungen, die sozialverantwortliche Auftragsvergabe als legitimes (wenn auch nicht prioritäres) Ziel einstufen, besteht insofern auch weniger darin, dass Letztere die Konflikte mit bisherigen Prinzipien und mangelnden Ressourcen negieren, sondern dass sie diese als neue Herausforderungen begreifen, für die praktikable Lösungen gefunden werden müssen. Um diese Lösungsansätze geht es in den nachfolgenden Kapiteln.

3 Fazit: Auftragsvergabepraxis im Ziel-Trilemma

Auch in den Verwaltungseinheiten, die mit der Auftragsvergabe im Bereich einfacher Dienstleistungen befasst sind, hat die Orientierung am Preis als einzigem oder zentralem Auswahlkriterium unseren Fallstudien nach zu urteilen an Legitimität verloren. Bei den neuen Prioritäten überwiegen klientenzentrierte Ziele, allen voran die Qualität der Dienstleistungen bzw. ihres Produktes. Während sich die Vergabepraktiker*innen im Bereich des Schulcatering vorrangig an der Essensqualität und der Zufriedenheit seitens Schüler*innen, Eltern und Schulen orientieren, sind es bei den Sicherheitsdienstleistungen für Flüchtlingsunterkünfte in erster Linie Ansprüche an die Seriosität und Zuverlässigkeit von Anbietern und Sicherheitspersonal sowie Qualifizierung und Sensibilität für die Bedürfnisse und Problemlagen der Geflüchteten. In beiden untersuchten Dienstleistungsbereichen gehen Impulse für die Zielverschiebung hin zu mehr Qualität in erster Linie von der Professionalisierung der Dienstleistungen in Gestalt von spezifischen Qualitätsstandards aus. Ferner spielen, insbesondere im Bereich der Sicherheitsdienstleistungen für Flüchtlingsunterkünfte, sowohl landes- als auch kommunalpolitische Leitlinien eine Rolle, die den Vergabepraktiker*innen ein Mandat ‚pro Qualität‘ an die Hand geben.

Diese politischen Signale ‚pro Qualität‘ nehmen ihrerseits gesellschaftliche Erwartungen auf, die nicht zuletzt in öffentlichen Skandalisierungen und konkreten Beschwerden vor Ort über Schlechtleistungen zum Ausdruck kommen. In beiden Bereichen entspringt die Hinwendung zur Qualität mithin nicht zuletzt dem Motiv, sich über die qualitätsvolle Vergabe einer Dienstleistung Legitimität zu sichern, das öffentliches Ansehen der Kommune zu bewahren und sich responsiv zu den Präferenzen von Bürger*innen und Wähler*innen zu verhalten. Zudem versprechen sich manche Vergabepraktiker*innen mit der Hinwendung zur Qualität auch eine reibungslosere Abwicklung der Dienstleistungsverträge – ein weiteres pragmatisches Motiv oder zumindest ein positiver Nebeneffekt, der das neue Primat von Qualitätszielen begünstigen dürfte. Folglich beziehen sich auch viele der wahrgenommenen Herausforderungen und Handlungsdilemmata in erster Linie auf Aspekte, die eine Steigerung der Dienstleistungsqualität erschweren.

Das Leitbild des ‚Guten Dienstleisters‘ – als vergabespezifische Version moderner Verwaltungsleitbilder, die effizientes Verwaltungshandeln, eine stärkere Kundenorientierung und die Gewährleistung guter öffentlicher Dienstleistungen ins Zentrum rücken – hat insgesamt also auch in der Vergabepraxis deutliche Spuren hinterlassen. Bildlich ausgedrückt sehen sich Vergabepraktiker*innen dabei in ihrer Vertretung des ‚Großkunden Staat‘ primär dem ‚Endkunden‘, also den Adressat*innen der öffentlichen Dienstleistungen verpflichtet.Footnote 9

Zugleich erweitert diese qualitative Wende das bisher als Kerndilemma thematisierte Verhältnis von Vermarktlichung und Sozialpolitisierung zu einem Zieltrilemma. Denn der beschriebene Zielwandel in der öffentlichen Vergabepraxis liegt in gewisser Weise quer zu diesen beiden Großtrends. Beide Leitbilder, die diese Großtrends widerspiegeln (‚Guter Auftraggeber‘ und ‚Hüter des Wettbewerbs‘), nehmen dabei einen sekundären Platz im Wertekanon der von uns Befragten ein. Das macht sich zum einen durch eine gewisse argumentative Stille oder De-Thematisierung bemerkbar; insbesondere die Begründungsmuster in punkto sozialer Kriterien zeichnen sich weniger durch Zustimmung, Ablehnung oder Problematisierung aus, als vielmehr dadurch, dass sie wenig Gesprächsraum einnehmen. Der sekundäre Rang der beiden Leitbilder kommt außerdem darin zum Ausdruck, dass beide eher mit funktionalen Argumenten in Verbindung zum primären Ziel der Qualitätssteigerung gesetzt werden, und seltener unabhängig davon abgelehnt oder befürwortet werden. Ihr normativer Wert bemisst sich also in erster Linie daran, ob sie als Hürde oder Erfüllungsgehilfe für die Qualitätssteigerung gesehen werden. Diese funktionalen Verbindungen sind aber keineswegs durchgehend positiv oder negativ, weder im Falle des ‚Hüters des Wettbewerbs‘ noch im Falle des ‚Guten Auftraggebers‘.

Gewährleistung von Wettbewerb – In Maßen nützlich, im Übermaß hinderlich

So nehmen auf der einen Seite Einschätzungen einen gewissen Raum ein, die auf die problematischen Seiten von unbeschränktem Wettbewerb im Allgemeinen und der wettbewerbsrechtlichen Verfasstheit der Auftragsvergabe im Besonderen verweisen. Stärker als zuvor zählt es nun zum vergabespezifischen Aufgabenverständnis, die Adressat*innen der Dienstleistungen besser vor den Zumutungen des freien Marktes in Gestalt von Anbietern qualitativ schlechter Dienstleistungen zu schützen. Dies rechtfertigt auch Einschränkungen wettbewerblicher Verfahren. Die stärkere Ausrichtung des Vergaberechts am Wettbewerbsrecht – in Gestalt zahlreicher Detailvorschriften, die die transparente, offene und diskriminierungsfreie Ausschreibung regeln – erweist sich dabei eher als Hürde. Denn für beide untersuchten Dienstleistungsbereiche sehen Vergabepraktiker*innen eine zentrale Herausforderung darin, die Qualität dieser Dienstleistungen in vergaberechtlich zulässiger, d. h. transparenter und objektiver Weise zu messen und bei der Zuschlagsentscheidung zu berücksichtigen. Der hohe Wert, der hier dem rechtskonformen Handeln zu gemessen wird, mag zwar im traditionellen Staatdiener-Ethos seine Wurzeln haben; dieses gewinnt aber erst mit der Hinwendung zu Qualitätszielen unter der Bedingung der Vermarktlichung, also unter der Bedingung der wettbewerbsrechtlich durchdeklinierten Auftragsvergabe mit ihrer Vielzahl an Detailregeln, an praktischer Relevanz.

Zweifel an der Eignung wettbewerblicher Verfahren zur Gewährleistung guter Dienstleistungen können im Extremfall auch Überlegungen zur Rekommunalisierung Anlass geben, wie in je einer Fallstudie zur Schulverpflegung (D-BRÜCK) und Sicherheitsdienstleistungen (A-BURG). Eine solche weitgehende Distanzierung von den Grundsätzen der wettbewerblichen Vergabe bleibt allerdings zumindest unter den von uns Befragten die Ausnahme. Vielmehr macht sich hier bemerkbar, dass der Wandel hin zu mehr Qualität eingefärbt ist durch die allgemeine Ökonomisierung des öffentlichen Dienstes, sowie durch den noch länger zurückreichenden Trend der Auslagerung einfacher Dienstleistungen aus dem öffentlichen Dienst. Denn die Überzeugung, dass die externe Vergabe von Leistungen und regelmäßige Neuausschreibungen grundsätzlich geboten sind, steht kaum infrage. Im Gegenteil, explizit setzen einzelne Befragte dies in einen positiven funktionalen Zusammenhang mit den primären Zielen. Während im Bereich einfacher Dienstleistungen lange Zeit vor allem Kostenargumente eine externe Vergabe rechtfertigten, treten nun Qualitätsargumente hinzu, eben weil sich ein Wandel vom Preis- zum Qualitätswettbewerb vollzieht. In Übereinstimmung mit NPM-Prinzipien wird dabei der Vertrag, insbesondere darin eingelassene detaillierte Leistungsbeschreibungen, zum wichtigen Steuerungsinstrument, das staatliche Qualitätserwartungen und unternehmensseitige Qualitätsversprechen fixiert. Eine Herausforderung bleibt aus Sicht der Vergabepraktiker*innen gleichwohl, diese Qualitätsversprechen auch zu kontrollieren und durchzusetzen – ein Ziel-Ressourcen-Konflikt, der wie im folgenden Kapitel zu sehen, erheblichen Aufwand verursacht. Auf eine Kurzformel gebracht gilt Wettbewerb in Maßen als funktional für die neue Qualitätsoffensive, im Übermaß hingegen – und als solche gelten uneingeschränkter Preiswettbewerb und manche vergaberechtliche Detailregelung – als dysfunktional oder zumindest als praktische Hürde. Diese Haltung wird nach unserem Eindruck von der Mehrzahl der Befragten geteilt.

Gewährleistung guter Arbeit: Kontraproduktives Beiwerk versus nützliche Herausforderung

Unterschiedlicher sind die Positionen im Hinblick auf die Berücksichtigung sozialer Kriterien. Hier koexistieren grundsätzlich ablehnende Haltungen und solche, die dieses Ziel in einen positiven funktionalen Zusammenhang mit der Qualitätssteigerung bringen. Von der Vergaberechtsreform als solche gehen dabei offenbar nur schwache Signale in Richtung einer stärkeren Akzentuierung sozialer Ziele aus, oder kommen in der kommunalen Praxis jedenfalls nur begrenzt an. Selbst dort, wo auf lokaler Ebene (auch teils unabhängig von der Reform) entsprechende Akzente in der Politik gesetzt werden, besitzen sie in den Vergabestellen und Fachämtern wenig Widerhall. Ein Teil der Befragten macht hier grundsätzliche Vorbehalte geltend. Sie verweisen dabei weniger auf das konkurrierende Ziel, den Wettbewerb möglichst offen zu gestalten, sondern stützen sich vor allem auf etablierte Berufsnormen, die dem Ziel der Sparsamkeit – sowohl in finanzieller als auch regulativer Hinsicht – verpflichtet sind. Die politische Vorgabe der sozialverantwortlichen Auftragsvergabe steht in ihren Augen im Widerspruch zur bisherigen apolitischen Ausrichtung des Vergaberechts, und damit einhergehend zum Verzicht auf regulatives Beiwerk, das für den Kernauftrag der vergebenen Dienstleistung nicht erforderlich erscheint, diese sogar ‚künstlich verteuert‘ und den Verwaltungsaufwand für die Vergabe erhöht.

Dass die Vergaberechtsreform diesen Konflikt zwischen alten und neuen Normen nicht aufgelöst, sondern an die Praxis delegiert hat, interpretieren diese Vergabepraktiker*innen entsprechend nicht als Auftrag, unter Nutzung ihrer Ermessensspielräume kreativ zu werden, sondern als Verschiebung eines Problems an den falschen Ort. Dies umso mehr, als neben Zielkonflikten auch unabweisbare Schwierigkeiten der Umsetzung hinzukommen, insbesondere mangelnde Kontrollressourcen und vergaberechtliche Detailregeln, die die Spielräume begrenzen. Unter diesen Umständen sendet die pauschale Handlungsaufforderung zur Berücksichtigung sozialer Kriterien, wie sie in Gesetzen, Verordnungen und lokalen Beschaffungsleitbildern enthalten ist, aus Sicht von Vergabepraktiker*innen mit traditionellem vergabespezifischen Berufsethos zu schwache politische Signale, um ihre aktive Mitwirkung an diesem Richtungswechsel zu fördern. Die formale Gleichstellung der verschiedenen Ziele durch normative Aufwertung der sozialverantwortlichen Auftragsvergabe auf Gesetzesebene und der pauschale Verweis auf Ermessensspielräume (Kann-Regelungen), mit dem die Ausbalancierung der Ziele an die Vergabepraxis delegiert wird, gilt diesen Vergabepraktiker*innen nicht als ausreichende Legitimationsgrundlage. Dies ist nicht mit Illoyalität gleichzusetzen; vielmehr knüpfen die Verwaltungskräfte ihre Loyalität – also die Umsetzung von politischen Vorgaben auch gegen ihre persönlichen Überzeugungen – an die Voraussetzung einer klareren hierarchischen Richtungsentscheidung sowie detaillierter Handlungsanweisungen, wie das neue ‚market engineering goal‘ mit alten und neuen Prioritäten in Einklang gebracht werden kann und im Kontext des allgegenwärtigen Wettbewerbsrechts umgesetzt werden.

Andere Befragte haben hingegen soziale Ziele in ihr eigenes Aufgabenverständnis integriert und betrachten sie als Instrument zur Sicherstellung von Qualität und reibungsloser Abwicklung. Auffallend ist dabei, dass ein positiver funktionaler Zusammenhang zwischen sozialen Zielen und Qualitätszielen insbesondere von denjenigen befragten Vergabepraktiker*innen hergestellt wird, die soziale Ziele auch grundsätzlich, also aus persönlichen politischen Einstellungen oder mit Verweis auf lokale Beschaffungsleitbilder, befürworten. Wir interpretieren dies als Indiz dafür, dass die Überzeugung vom Nutzen sozialer Ziele häufig politisch induziert oder abgeleitet ist; dass hier also weniger tradierte Berufsnormen und Erfahrungen wirken, sondern politische Vorgaben und außerberufliche politische Identitäten die Suche nach und Empfänglichkeit für funktionale Rechtfertigungen begünstigen. Unter diesen Bedingungen können dann auch schwache politische Mandate ausreichen, um den Umgang mit den Herausforderungen der sozial verantwortlichen Auftragsvergabe in das Aufgabenverständnis zu integrieren. Denn dass es diese Herausforderungen gibt, bestreiten auch diejenigen nicht, die soziale Nachhaltigkeit als grundsätzlichen Anspruch an ihr Handeln formulieren: Dies erfolgt fast immer verbunden mit dem Hinweis auf erforderliche Kontrollen, um entsprechende Ziele nicht ins Leere laufen zu lassen und damit überhaupt erst legitimieren zu können.

Dieser zweite Typ von Werthaltungen ist in unserem Sample wahrnehmbar stärker ausgeprägt unter denjenigen, die im Bereich der Vergabe von Sicherheitsdienstleistungen tätig sind; wohingegen im Bereich der Schulverpflegung vereinzelt auch negative funktionale Bezüge zu den primären klientenzentrierten Zielen hergestellt werden (Arbeitsbedingungen vs. soziale Inklusion). Für diese Branchenunterschiede dürften zwei Faktoren verantwortlich sein: Zum einen der Umstand, dass es sich bei Sicherheitsdienstleistungen um eng personengebundene Dienstleistungen handelt, wo sich Fähigkeiten und Eigenschaften des Personals unmittelbar auf die Qualität der interaktiven Dienstleistungsarbeit niederschlagen, wohingegen sich im Falle der Schulverpflegung die Qualitätsmaßstäbe auf ein Produkt beziehen, die Arbeit daran aber für die Konsument*innen weitgehend unsichtbar bleibt. Um einen positiven funktionalen Zusammenhang zwischen Qualifikation oder Arbeitsbedingungen des Personals und dem Produkt herzustellen, bräuchte es gerade hier Überzeugungsarbeit, die diese Verbindung herstellt. Und hierin liegt der zweite Unterschied zwischen den beiden Branchen: Die Unternehmen und Verbände der Sicherheitsdienstleistungen stellen solche Deutungsangebote der Vergabepraxis proaktiv zur Verfügung; das gilt für die Unternehmen und Verbände in der Gemeinschaftsverpflegung deutlich weniger (s. Kap. 6). Hier macht sich also ein erster Effekt der unterschiedlichen Strategien der Interessenvertretung in den beiden Branchen bemerkbar.

Zusammenfassend ist die Zielverschiebung zugunsten einer guten Qualität staatlicher Dienstleistungen und anderer klientenzentrierter Ziele also für sich genommen weder Türöffner noch Hindernis für soziale Ziele; und gleiches gilt für die Vergaberechtsmodernisierung. Eine von funktionalen Argumenten unabhängige Befürwortung der sozialen Auftragsvergabe, die die Sicherstellung guter Arbeitsbedingungen nicht als Mittel zum Zweck der Qualitätssteigerung, sondern grundsätzlich als fairen Tausch und angemessene Entlohnung für eine Tätigkeit im Dienst öffentlicher Güter betrachtet – wie dies dem Gerechtigkeitsempfinden der Beschäftigten selber entspricht (Vogel und Pfeuffer 2019) – erscheint in der Vergabepraxis bislang kaum verbreitet. Verbreiteter sind hingegen Einwände, die auf Zielkonflikte mit etablierten vergaberechtlichen Prinzipien verweisen und auf zahlreiche Ziel-Ressourcen-Konflikte (Kontrollressourcen, Problem der wettbewerbsrechtlichen Detailregeln, marktspezifische Herausforderungen wie Mangel an Fachkräften und seriösen Firmen). Nur wenn eine positive funktionale Verbindung zwischen sozialen Zielen und Qualität hergestellt wird, werden diese Herausforderungen angenommen und als Handlungsauftrag in das eigene Aufgabenverständnis integriert. Eine Voraussetzung oder jedenfalls ein begünstigender Faktor dafür, dass diese positiven Verbindungen gezogen werden, sind gerade im Bereich der einfachen Dienstleistungen auch die entsprechenden Deutungsangebote seitens organisierter Interessenvertretungen.