Im Zentrum von Kapitel 3 steht die Beschreibung und Begründung des methodischen Vorgehens. Dafür wird zunächst Mixed-Methods-Forschung in Abschnitt 3.1 definiert. In Abschnitt 3.2 wird die Diskussion weiter vertieft und das gewählte Mixed-Methods-Design als sequenzielle, explanative Studie typisiert. In Abschnitt 3.3 erfolgt die Herleitung der übergeordneten Forschungsfragen, die für das Gesamtprojekt von zentraler Bedeutung sind. Im Anschluss wird das gewählte Untersuchungsdesign in Abschnitt 3.4 illustriert und die zeitliche Abfolge der quantitativen und qualitativen Phase skizziert. Der Zusammenführung der beiden Datensätze und damit der Beschreibung der Integration wird mit Abschnitt 3.5 ein eigenes Kapitel gewidmet. Zudem erfolgt in Abschnitt 3.6 eine Darstellung der wissenschaftstheoretischen Grundannahmen, die dem Forschungsprojekt zugrunde gelegt wurden. Die Beschreibung des methodischen Vorgehens umfasst überdies die Darlegung der computergestützten Auswertung in Abschnitt 3.7 und den Verweis auf die angewandten ethischen Standards in Abschnitt 3.8

3.1 Definition Mixed Methods

Die Kombination oder Integration von quantitativen und qualitativen Daten in einem Studiendesign wird Mixed-Methods genannt (Guetterman, Creswell & Kuckartz, 2015, S. 151; Guetterman, Fetters & Creswell, 2015, S. 554). Viele Forschende sprechen in diesem Zusammenhang vom dritten wissenschaftstheoretischen Paradigma (Döring & Bortz, 2016, S. 80; Johnson et al., 2007, S. 120; Tashakkori & Teddlie, 2003, S. 5). Bei der Mixed-Methods-Forschung handelt es sich um eine verhältnismäßig junge Disziplin, die Ende der 1980er-Jahre durch mehrere Forschende aus unterschiedlichen Fachrichtungen beschrieben wurde (Creswell & Plano Clark, 2018; Guetterman, Creswell & Kuckartz, 2015, S. 153). Der Ansatz liegt im Trend und erfreut sich großer Beliebtheit. Mayring beschreibt ihn mit den Worten: „Mixed Methodology is the new star in the social science“ (Mayring, 2011). Aus einer Vielzahl an Bezeichnungen scheint heute die Begrifflichkeit Mixed-Methods Research die größte Akzeptanz zu finden (Johnson et al., 2007, S. 120). Ursprünglich geht dieser auf John Creswell und Vicki Plano Clark zurück (Creswell & Plano Clark, 2007). Eine weitverbreitete Definition stammt von Johnsen, Onwuegbuzie und Turner 2007. In einer Studie baten sie führende Mixed-Methods Expertinnen und Experten um ihre Definitionen. Die Antworten führten sie anschließend in einer Synthese zusammen. Daraus resultierte folgende Definition:

„Mixed methods research is the type of research in which a researcher or team of researchers combines elements of qualitative and quantitative research approaches (e.g., use of qualitative and quantitative viewpoints, data collection, analysis, inference techniques) for the broad purposes of breadth and depth of understanding and corroboration.“ (Johnson et al., 2007, S. 125)

Folglich scheint es einen Konsens zu geben, dass sich Mixed-Methods aus der Kombination von unterschiedlichen qualitativen und quantitativen Perspektiven, Datenerhebungen, Analysetechniken und Schlussfolgerungen zusammensetzt. Mixed-Methods Studien liefern zudem häufig sowohl breite als auch tiefe Erkenntnisse über ein Forschungsproblem.

Aktuellere Definitionen betonen stärker die Intention und spezifische Charakteristika. Creswell und Plano Clark (2018) sehen diese in (1) der Datensammlung und Analyse von qualitativen und quantitativen Daten, (2) der Integration bzw. Kombination, (3) der Organisation in einem Forschungsdesign und (4) der wissenschaftstheoretischen Fundierung. Allerdings kann sich die Zielsetzung von Mixed-Methods-Studien je nach Core-Design unterscheiden, z. B. kann ein Design auf Erweiterung, Vertiefung, Erklärung oder Vergleiche ausgelegt sein (Creswell & Plano Clark, 2018; Döring & Bortz, 2016, S. 28).

Vorteile von Mixed-Methods Studien. Die Vorzüge des Mixed-Methods-Ansatzes liegen mehreren Expertinnen und Experten zufolge in dem erweiterten Forschungsspektrum. Mit anderen Worten: Durch Mixed-Methods-Forschung können zeitgemäße Probleme in Tiefe und Breite analysiert werden (Guetterman, Fetters & Creswell, 2015, S. 555). Überdies können Forschungsfragen formuliert werden, die mit einer einzelnen Erhebung nicht beantwortet werden können (Fetters et al., 2013, S. 2135; Johnson et al., 2007, S. 124). Als größte Stärke wird meistens die Zusammenführung, also die Integration der Datensätze genannt (Guetterman, Fetters & Creswell, 2015, S. 554). In der Konsequenz ist Mixed-Methods-Forschung deutlich mehr als nur die Summe der einzelnen Erhebungen (Bryman, 2007, S. 8; Creswell & Plano Clark, 2018; Kuckartz, 2017, S. 161).

Herausforderungen in Mixed-Methods-Untersuchungen. Mixed-Methods Studien gelten als herausfordernd, weil sie voraussetzen, dass Forschende sowohl Kenntnisse im Bereich qualitativer als auch quantitativer Methoden mitbringen (Creswell & Plano Clark, 2018). Dazu kommt ein erhöhter zeitlicher, finanzieller wie personeller Aufwand in der Datenerhebung und Analyse. Dieser Mehraufwand muss oftmals erklärt und gerechtfertigt werden (Creswell & Plano, 2018) ebenso wie der Untersuchungsaufbau, der bei Mixed-Methods Studien durchaus komplexe Formen annehmen kann.

Begründung Auswahl Forschungsparadigma. Die Entscheidung in der vorliegenden Studie mit einem Mixed-Methods-Design zu arbeiten, erfolgte aufgrund der Zielsetzungen des Forschungsprojektes. Diese wurde in der Einleitung mit Grundlagenforschung im Bereich schriftsprachlicher Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern mit dualer Schriftnutzung beschrieben. Dazu soll erforscht werden, wie sich schriftsprachliche Kompetenzen in einem dualen Schriftspracherwerb entwickeln und wie die Schülerinnen und Schüler im Lernprozess unterstützt werden können (vgl. hierzu Kapitel 1). Um diese Ziele zu erreichen, braucht es mehr als eine Datenerhebung, weshalb ein Mixed-Methods-Design zur Umsetzung des Projektes ausgewählt wurde. Dabei wird für gewöhnlich noch zwischen bestimmten Core Designs unterschieden. Darunter versteht man Grundformen von Mixed-Methods-Designs, die häufig in der Forschung angewendet werden. Im Folgenden soll darauf näher eingegangen werden.

3.2 Core Designs

In der dritten Auflage ihres Buches Designing and Conducting Mixed Methods Research typisieren Creswell und Plano Clark (2018) drei sogenannte Core Designs. Diese können als idealtypische Studiendesigns angesehen werden. Unterschieden werden (1) convergent designs, (2) explanatory sequential designs und (3) exploratory sequential designs hinsichtlich Zielsetzung, Aufbau und Durchführung. In der Scientific Community besteht ein weitestgehender Konsens, die Typologie von Creswell und Plano Clark zu verwenden, was die Kommunikation deutlich erleichtert (Creswell & Plano Clark, 2018; Fetters et al., 2013, S. 2134; Guetterman, Fetters & Creswell, 2015, S. 555; Kuckartz, 2014, S. 65). In Anlehnung an diese Einteilung wird die vorliegende Studie als sequenziell und explanativ bezeichnet. Creswell und Plano Clark definieren dieses Core Design wie folgt:

„The explanatory sequential design (also referred to as the explanatory design) occurs in two distinct interactive phases […]. This design starts with the collection and analysis of quantitative data. This first phase is followed by the collection and analysis of qualitative data in order to explain or expand on the first-phase quantitative results.“ (2018)

Aus der Definition gehen Aufbau und Zielsetzung hervor. Auf eine erste quantitative Datenerhebung folgt eine zweite qualitative Phase, die darauf abzielt, die erste Erhebung zu erweitern und zu erklären. Döring und Bortz nennen dieses Design auch Vertiefungsmodell (2016, S. 28). Die Vorteile des explanativen, sequenziellen Designs sind nach Ivankova (2006, S. 5) die unkomplizierte Umsetzung, die vertiefenden Einsichten in das Forschungsproblem und das Herausarbeiten von Erklärung. Durch das sequenzielle Vorgehen bleibt dem Forschenden genügend Zeit zur Durchführung und Analyse. Dies ist insbesondere bei begrenzten personellen und zeitlichen Ressourcen vorteilhaft. Zudem bleiben beide Untersuchungsteile unterscheidbar und können zunächst getrennt und später gemeinsam analysiert und interpretiert werden. Ein Nachteil des gewählten Designs besteht in dem erhöhten zeitlichen Aufwand, der durch die Erhebungsreihenfolge entsteht (Creswell & Plano Clark, 2018).

3.3 Übergeordnete Forschungsfragen

Forschungsfragen werden durch die Zielsetzung, das Design, die Methoden und die philosophischen Grundhaltungen beeinflusst und geformt (Johnson et al., 2007, S. 124; Tashakkori & Creswell, 2007, S. 207; Teddlie & Tashakkori, 2009, S. 116). Prinzipiell wird eine einzige übergeordnete Fragestellung für Mixed-Methods-Studien empfohlen (Creswell & Poth, 2018; Teddlie & Tashakkori, 2009, S. 119). Die Autorinnen und Autoren stimmen jedoch überein, dass insbesondere in sequenziellen Erhebungen mehrere Forschungsfragen angemessener sein können (Creswell & Plano Clark, 2018; Tashakkori & Creswell, 2007, S. 208). Den Empfehlungen von Creswell und Plano Clark (2018) folgend werden nachfolgend die Forschungsfragen in QUAN für quantitativ, QUAL für qualitativ und MM für Mixed-Methods unterschieden. Für das Forschungsvorhaben wurden vier übergeordnete Fragen formuliert.

F1:

Welche schriftsprachlichen Kompetenzen zeigen die dual Schriftnutzenden im Vergleich zu den nur Braille Lesenden und der Normierungsstichprobe ohne Sehbeeinträchtigung? (QUAN)

F2:

Welche Brailleschriftsysteme lernen dual Schriftnutzende und welche Hilfsmittel nutzen sie? (QUAN)

F3:

Wie entwickeln sich die schriftsprachlichen Kompetenzen von dual Schriftnutzenden und wie können sie gefördert werden? (QUAL)

F4:

Welche Erklärungen und Erkenntnisse liefern die qualitativen Fallstudien für das Abschneiden der dual Schriftnutzenden in der quantitativen Kompetenzerhebung? (MM)

Der quantitative und der qualitative Untersuchungsteil werden nachfolgend als gleichbedeutend angesehen und in der Integration zusammengeführt. Die Fragen F1, F2 und F3 werden jeweils in den Untersuchungsteilen noch durch Teilfragen ergänzt und präzisiert (siehe hierzu für die Kompetenzerhebung Abschnitt 4.1.2 und für die Fallstudien Abschnitt 5.1.1). Die Beantwortung der Fragen F1 und F2 erfolgt in Abschnitt 4.3, während die Frage F3 in Abschnitt 5.2 individuell für jeden Fallstudienteilnehmenden beantwortet wird.

Bei Forschungsfrage F4 handelt es sich um eine Mixed-Methods Forschungsfrage, die gemäß den Empfehlungen von Teddlie und Tashakkori (2009, S. 118) auf Integration ausgelegt ist. Bei der Formulierung wurde eine Kombination aus Methoden- und Inhaltsorientierung gewählt (Creswell & Plano Clark, 2018). Zudem wird Bezug zu den Core-Designs hergestellt und die Intention der Forschung beschrieben. Beantwortet wird die Frage F4 in Kapitel 6 Integration der Ergebnisse.

3.4 Untersuchungsdesign

Wie bereits dargelegt, handelt es sich bei dem Untersuchungsaufbau um ein sequenzielles, explanatives Mixed-Methods-Design (Creswell & Plano Clark, 2018). Abbildung 3.1 illustriert den Aufbau, der im Folgenden beschrieben wird.

Die Untersuchung gliedert sich in zwei unterscheidbare, aufeinanderfolgende Datenerhebungen und die Zusammenführung dieser Teile. Bei der Konzeption waren die in Abschnitt 3.3 aufgestellten Forschungsfragen (F1, F2, F3 und F4) leitend.

Die quantitative Untersuchung (QUAN) startete im Jahr 2017. Bei ihr handelt es sich um die Kompetenzerhebung aus der Studie Zukunft der Brailleschrift (Hofer et al. 2019b). Für diesen Untersuchungsteil waren die Forschungsfragen F1 und F2 leitend. Mithilfe eines Fragebogens, mit psychometrischen Testverfahren und mit informellen Assessments wurden Daten zu den schriftsprachlichen Kompetenzen (z. B. Leseflüssigkeit, Rechtschreibung, Leseverstehen und Hörverstehen) von 36 dual Schriftnutzenden aus Deutschland, Österreich und der Schweiz im Alter zwischen 11 und 22 Jahren gewonnen und mit den Ergebnissen von 119 nur Braille Lesenden verglichen. In den Bereichen Leseflüssigkeit und Rechtschreibung konnten zudem weitere Vergleiche mit einer Normierungsstichprobe ohne Sehbeeinträchtigung aufgestellt werden. Dazu wurden deskriptive und inferenzstatistische Methoden genutzt. Im Detail werden Stichprobe, Erhebungsinstrumente und Auswertung in Kapitel 4 beschrieben.

Abbildung 3.1
figure 1

Untersuchungsdesign

Der qualitative Untersuchungsteil (QUAL) startete Anfang 2018 mit dem Ende der quantitativen Datenerhebung. Leitend für diese Phase war die Forschungsfrage F3. Zur Erklärung, Vertiefung und Illustration der ersten Erhebung wurde ein holistischer Fallstudienansatz nach Yin (2014) gewählt. Die Auswahlkriterien der Teilnehmenden stammten aus dem quantitativen Teil, der parallel zu den Fallstudien ausgewertet wurde, und aus einer sechsmonatigen Pilotfallstudie, die im Vorfeld der Fallstudien durchgeführt wurde. In einer sich anschließenden zwölfmonatigen Langzeiterhebung wurden vier dual Schriftnutzende in der Schule und im Elternhaus begleitet. Im Untersuchungszeitraum wurden mehrere schriftsprachliche Kompetenzen (z. B. Leseflüssigkeit, Rechtschreibung, Lese- und Hörverstehen) dokumentiert, ebenso wie die Lernbiografie und die Fördersituation der Teilnehmenden. Dabei wurden nach Möglichkeit die Erhebungsinstrumente aus dem ersten quantitativen Teil genutzt. Es wurde zudem mit Time Series (Yin, 2014, S. 150) zur Dokumentation der Lesegeschwindigkeit in beiden Schriftmedien gearbeitet. Dazu wurden Unterrichtsbeobachtungen und Interviews durchgeführt. Zusätzlich wurden Fördermaterialien konzipiert und mit den Teilnehmenden erprobt. Mitte 2019 endete die Datenerhebung der qualitativen Fallstudien. Das genaue methodische Vorgehen, die verwendeten Erhebungsinstrumente, Auswertungsmethoden sowie die gewonnenen Erkenntnisse aus den Fallstudien werden in Kapitel 5 dargestellt.

In der Integrationsphase (MM) wurden beide Untersuchungsteile miteinander verknüpft. Leitend war in diesem Prozess die Forschungsfrage F4. Umgesetzt wurde die Integration durch ein Joint-Display (Guetterman, Creswell & Kuckartz, 2015, S. 158). Durch die Gegenüberstellung der quantitativen Ergebnisse und der qualitativen Erkenntnisse konnten neue Erkenntnisse, so genannte „meta-inferences“ (Teddlie & Tashakkori, 2009, S. 152) gewonnen werden. Diese erklären, illustrieren und erweitern die Ergebnisse der Kompetenzerhebung. Das Joint-Display mit den integrierten Schlussfolgerungen aus beiden Untersuchungsteilen findet sich in Kapitel 6. Aufgrund der zentralen Bedeutung der Integration für das Untersuchungsdesign wird diese Phase nachfolgend noch genauer beschrieben.

3.5 Integration

Das Herzstück eines Mixed-Methods Projekts ist die Verbindung des quantitativen und qualitativen Untersuchungsteils, was als Integration bezeichnet wird (Bazeley, 2009, S. 206; Creswell & Plano Clark, 2018; Guetterman, Fetters & Creswell, 2015, S. 554). Creswell definiert diese wie folgt:

„Integration is the point in the research process in which the quantitative data and the qualitative data meet. From this integration additional insight (meta-inferences) results beyond the quantitative and qualitative data.“ (Creswell, 2020)

Damit ist Integration ein Schlüsselmerkmal von Mixed-Methods-Studien (Guetterman, Fetters & Creswell, 2015, S. 555). Man könnte auch sagen: Keine Mixed-Methods-Studie ohne Integration (Teddlie & Tashakkori, 2009, S. 126). Die Relevanz wird auch darin ersichtlich, dass viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler den Begriff der Integration direkt in ihre Definition von Mixed-Methods-Forschung aufgenommen haben (Bazeley, 2019; Creswell & Plano Clark, 2018; Guetterman, Fetters & Creswell, 2015, S. 554; Johnson et al., 2007, S. 124). Im methodischen Diskurs kritisieren jedoch einige Forschende, dass die Integration in der Praxis häufig nicht im wünschenswerten Maß thematisiert und umgesetzt wird (Bazeley, 2010, S. 432; Bryman, 2007, S. 8; Kuckartz, 2017, S. 158).

Aufgrund der hohen Bedeutung soll nachfolgend genauer beschrieben werden, wie und wo Integration im vorliegenden Projekt umgesetzt wurde. Dabei wird auf die Systematik von Fetters et al. (2013, S. 2134) Bezug genommen. Demnach kann Integration auf drei Ebenen in einer Studie auftreten: (1) im Design, (2) den Methoden, (3) bei der Ergebnisdarstellung und Interpretation. Hierbei ist zu beachten, dass die drei Ebenen nicht trennscharf sind und sich gegenseitig bedingen.

  1. 1)

    Integration durch das Design (Fetters et al., 2013, S. 2136) wird in der vorliegenden Arbeit bereits durch die Wahl des Core Design ersichtlich. Laut Creswell und Plano Clark (2018) zeigt sich die Integration in sequenziellen, explanativen Designs an mehreren Stellen. Als Beispiel nennen sie die Zielsetzung, die sie wie folgt beschreiben: „The intent of the integration in an explanatory sequential design is to connect the quantitative and qualitative phases of the study so that the follow-up qualitative phase provides a strong explanation of specific results from the initial quantitative phase“ (Creswell & Plano Clark, 2018). Weitere Aspekte, an denen sich die Integration zeigt, sind die Auswahl der Teilnehmenden für die zweite Erhebung (Sampling), das Aufstellen einer Mixed-Methods Forschungsfrage und die Zusammenführung der Ergebnisse in einem eigenen Untersuchungsteil (Creswell & Plano Clark, 2018). Die von Creswell und Plano Clark genannten Punkte wurden alle in der vorliegenden Studie umgesetzt. Die qualitativen Fallanalysen zielen darauf ab, die Ergebnisse der dual Schriftnutzenden in der quantitativen Kompetenzerhebung zu erklären (vgl. hierzu Einleitung). Diese Zielsetzung geht auch eindeutig aus der formulierten Mixed-Methods-Forschungsfrage hervor (vgl. hierzu Abschnitt 3.3). Dazu beeinflusste die Kompetenzerhebung die Auswahl der Teilnehmenden für die Fallstudien (vgl. hierzu Abschnitt 5.1.3). Zu guter Letzt existiert mit dem Kapitel 6 ein Untersuchungsteil, in dem die Ergebnisse zusammengeführt werden.

  2. 2)

    Integration durch Methoden (Fetters et al., 2013, S. 2139) wird durch das Verbinden („connecting“) und den Aufbau („building“) der beiden Untersuchungsteile geschaffen. Ersichtlich wird dies in der vorliegenden Studie anhand der gewählten Sampling-Kriterien für die Fallstudien-Teilnehmenden, die aus der ersten Erhebung abgeleitet wurden (vgl. hierzu auch Abschnitt 5.1.3). Weitere Überschneidungen werden im Untersuchungsaufbau und bei den verwendeten Erhebungsinstrumenten in den Fallstudien ersichtlich (vgl. hierzu auch Abschnitt 5.1.4). Nach Möglichkeit wurden in den Fallstudien dieselben Testverfahren wie im quantitativen Teil angewendet. Zudem ist eine unterbewusste Integration (Bazeley, 2019), wie sie bei sequenziellen Erhebungen häufig vorkommt, wahrscheinlich.

  3. 3)

    Auf der Ergebnis- und Interpretationsebene (Fetters et al., 2013, S. 2142) wird Integration in Kapitel 6 durch einen systematischen Vergleich beider Untersuchungsteile und der Organisation und Gegenüberstellung der Erkenntnisse in einer Tabelle umgesetzt. Diese Form der Auswertung nennt sich Joint-Display und wird von der Mehrheit der Expertinnen und Experten empfohlen (Creswell & Plano Clark, 2018; Fetters et al., 2013, S. 2143; Guetterman, Fetters & Creswell, 2015, S. 558; Kuckartz, 2014, S. 21). Nach Kuckartz repräsentieren Joint-Displays Integration, weil durch sie in einer einzigen Tabelle beide Datensätze zusammengeführt werden (2017, S. 169). Die so gewonnenen Erkenntnisse werden anschließend in Textform narrativ beschrieben (Fetters et al., 2013, S. 2142), wodurch die Mixed-Methods-Forschungsfrage aus Abschnitt 3.4 beantwortet wird.

Folglich wird die Integration im vorliegenden Projekt auf mehreren Ebenen umgesetzt. Nachfolgend sollen noch die philosophischen Grundannahmen dargelegt werden, die dem Mixed-Methods-Projekt zugrunde gelegt wurden.

3.6 Philosophische Grundannahmen

Hinter jedem Untersuchungsdesign verbergen sich implizit oder explizit sogenannte „worldviews“ (Creswell & Plano Clark, 2018) des Forschenden, die manchmal auch als „paradigm“ (Lincoln, 2018, S. 199) bezeichnet werden. Übereinstimmend empfehlen mehrere Autorinnen und Autoren diese philosophischen Grundannahmen (ontologische und epistemologische), die dem Aufbau eines Mixed-Methods-Projektes zugrunde liegen, kenntlich zu machen (Creswell & Plano Clark, 2018; Kuckartz, 2014, S. 13). Aufgrund dieser Empfehlung werden nachfolgend die philosophischen Grundannahmen beschrieben. In der Konzeption des Designs waren dies vor allem pragmatische und postpositivistische Theorien.

Bei dem Pragmatismus handelt es sich um eine Theorie menschlichen Handelns und Denkens, die auf mehrere angloamerikanische Philosophen des 19. und 20. Jahrhunderts zurückgeht (z. B. John Dewey, Charles Sanders und William James) (Johnson et al., 2007, S. 114). Im Gegensatz zu anderen Wissenschaftstheorien wie dem Konstruktivismus oder dem Positivismus wird der Pragmatismus nicht mit einem Paradigma (QUAN oder QUAL) assoziiert. Teddlie und Tashakkori charakterisieren Pragmatisten wie folgt:

„Pragmatists […] believe that either method is useful, choosing to use the full array of both QUAL and QUAN methods. Pragmatists believe that decisions regarding the use of either (or both) methods depend on the current statement of the research questions and the ongoing phase of the inductive-deductive research cycle.“ (2009, S. 81)

Infolgedessen ist der Pragmatismus in vielerlei Hinsicht nicht festgelegt und deshalb auch offen für eine Kombination von unterschiedlichen Datenquellen, induktiven und deduktiven Vorgehensweisen, objektiven und subjektiven Sichtweisen und wissenschaftlichen Gütekriterien. Metaphysische Konzepte, wie Wahrheit und Realität, spielen nur eine untergeordnete Rolle (Döring & Bortz, 2016, S. 82; Tashakkori & Teddlie, 2003, S. 713). Im Mittelpunkt des Pragmatismus als Wissenschaftstheorie stehen die Forschungsfrage und das Forschungsproblem und die sich daraus ergebenden praktischen Konsequenzen (Denzin & Lincoln, 2018, S. 736). Aus den genannten Gründen empfehlen viele Forschende den Pragmatismus als philosophisches Fundament für Mixed-Methods-Studien (Creswell & Plano Clark, 2018; Johnson et al., 2007, S. 115; Teddlie & Tashakkori, 2009, S. 99).

Die pragmatische Orientierung wird im vorliegenden Forschungsprojekt auf mehreren Ebenen deutlich: (1) Bei der Konzeption waren die Forschungsfragen leitend. (2) Beide Untersuchungsteile sind gleichermaßen gewichtet. (3) Erkenntnisse werden deduktiv und induktiv gewonnen und (4) von der Verbindung beider Erhebungsteile werden neue Erkenntnisse erhofft.

Bei näherer Betrachtung können aber auch postpositivistische Tendenzen im Forschungsdesign ausgemacht werden. Der Postpositivismus wird stärker dem quantitativen Paradigma zugerechnet, jedoch unter Berücksichtigung von qualitativen Methoden (Creswell & Plano Clark, 2018). Postpositivisten sind um objektive, reliable Ergebnisse bemüht, die sich falsifizieren und generalisieren lassen. Dazu werden möglichst valide Untersuchungsmethoden ausgewählt, um eine Theorie zu bestätigen oder zu widerlegen (Creswell & Plano Clark, 2018; Lincoln et al., 2011, 99 ff.).

Der postpositivistische Einfluss wird im vorliegenden Projekt deutlich: (1) im quantitativen Teil (z. B. durch die Stichprobenziehung und die Anwendung von Signifikanztests und somit Hypothesen); (2) in der Erhebungsreihenfolge und der erklärenden Funktion des qualitativen Teils (Creswell & Plano Clark, 2018); (3) in den qualitativen Fallanalysen, die in Anlehnung an Robert Yins Empfehlungen konzipiert wurden, der dem Postpositivismus zugerechnet wird (Harrison et al., 2017); (4) der starken Orientierung an den klassischen Gütekriterien in beiden Untersuchungsteilen (Objektivität, Reliabilität und Validität); (5) durch ein möglichst systematisches Vorgehen in den Fallanalysen (z. B. durch Fallstudienprotokolle, Falldatenbank, Pilotfallstudie); (6) durch die Minimierung der Subjektivität in den Fallstudien (z. B. durch die Berechnung der Intercoder-Übereinstimmung in den Interviews und Beobachtungen).

Insgesamt zeigt der Überblick, dass die Zuweisung einer einzelnen Weltsicht (oder eines Paradigmas) im vorliegenden Mixed-Methods-Projekt schwierig ist. Nach Creswell und Plano Clark (2018) ist das nicht ungewöhnlich, weil durchaus auch mehrere Paradigmen in einem Forschungsprojekt angewendet werden können. Das geht aus folgendem Zitat hervor: „We believe multiple paradigms can be used in mixed methods studies […]“ (Creswell & Plano Clark, 2018). Aus diesem Grund wird davon gesprochen, dass im vorliegenden Forschungsprojekt sowohl pragmatische als auch postpositivistische Weltsichten leitend waren.

3.7 Computergestützte Auswertung

In beiden Untersuchungsteilen wurde Forschungssoftware eingesetzt. Diese diente dem Datenmanagement, der Analyse, der Integration und Dokumentation aller Arbeitsschritte und hatte somit im Gesamtprojekt eine unterstützende Funktion.

Statistische Auswertungen. Die deskriptiven und inferenzstatischen Analysen wurden mit SPSS von IBM gerechnet. Die Software ist weitverbreitet und gilt als Marktführer im Bereich statistischer Auswertungen (Leonhart, 2010, S. 15). Zusätzlich wurden EffektstärkenFootnote 1 mit Excel und Poweranalysen mit G*Power berechnet.

Qualitative Auswertung und Mixed-Methods-Analysen. Für die Verwaltung, Organisation und Auswertung des qualitativen Teils sowie die Verknüpfung mit quantitativen Daten wurde MAXQDA genutzt. Die Software wird den Qualitative-Data-Analysis-Programmen (QDA) zugerechnet (Bazeley, 2010, S. 435; Denzin & Lincoln, 2018, S. 124) und eignet sich unter anderem zur Analyse unterschiedlicher Datenarten, Verwaltung multipler Datenquellen, Transkription, zur qualitativen Textanalyse, Visualisierung und neuerdings auch für Mixed-Methods-Analysen (Rädiker & Kuckartz, 2019, S. 5). Aufgrund des erweiterten Funktionsumfangs wird MAXQDA von vielen Forschenden empfohlen. Als Gründe führen sie die verbesserten Möglichkeiten der computergestützten Integration und die damit einhergehende Qualitätssteigerung in der Auswertung an (Bazeley, 2009, S. 205; Guetterman, Creswell & Kuckartz, 2015, S. 153; Kuckartz, 2017, S. 159). Zudem können auch Joint-Displays in MAXQDA erstellt und somit zwei Datensätze zusammengeführt werden. Insbesondere bei der Durchführung der Fallstudien hatte MAXQDA im vorliegenden Projekt eine wichtige Schlüsselrolle (z. B. bei der Datenspeicherung, der Transkription, der inhaltsanalytischen Auswertung und der Triangulation). Auf diese wird noch genauer im methodischen Teil der Fallstudien in Abschnitt 5.1 eingegangen.

3.8 Ethische Grundsätze und Datenschutz

Ethische Standards in der Forschung dienen dazu, die Rechte und das Wohlbefinden der Teilnehmenden zu schützen (American Psychological Association, 2019, S. 21; Döring & Bortz, 2016, S. 123). Leitend für die vorliegende Studie waren dafür die Empfehlungen des APA Ethics Code (American Psychological Association, 2017). Dieser gibt Prinzipien für professionelles, verantwortungsvolles wissenschaftliches Arbeiten vor. Zielgruppe des Ethics Codes sind zwar Psychologinnen und Psychologen, die Standards lassen sich aber auch auf die Sozialwissenschaften und die Sonderpädagogik übertragen.

Zustimmung der Ethikkommission. Für die erste quantitative Erhebung im Rahmen der Studie Zukunft der Brailleschrift wurde das Votum der Ethikkommission der Pädagogischen Hochschule Heidelberg eingeholt (siehe hierzu Anhang A im elektronischen Zusatzmaterial). In dem Schreiben vom 23.03.2015 wird die Zustimmung für die Durchführung ohne Einwände erteilt. Demzufolge steht das Forschungsvorhaben im Einklang mit den institutionellen ethischen Standards.

Einwilligungserklärung. Voraussetzung für die Teilnahme in beiden Studienteilen war die schriftliche Einwilligung der Teilnehmenden oder der erziehungsberechtigten Personen (vgl. hierzu APA Ethic Code 3.10). In einem Begleitschreiben wurde zuvor über die Studienziele, den Aufbau und den Zeitaufwand informiert. Die Teilnahme erfolgte grundsätzlich auf freiwilliger Basis und konnte jederzeit ohne Angabe von Gründen beendet werden. Im qualitativen Teil wurde neben der Einwilligung der Fallstudien-Teilnehmenden auch das Einverständnis der sonderpädagogischen Einrichtung, ggf. der allgemeinen Schule sowie der Eltern eingeholt.

Datenschutz und Anonymisierung. Den Teilnehmenden beider Untersuchungsteile wurde zugesichert, dass ihre Daten gemäß den Richtlinien des Bundesdatenschutzgesetzes (BGH § 40) nur in anonymisierter Form gespeichert und veröffentlicht werden. Diese Vorgehensweise ist ebenfalls konform mit der im Studienzeitraum eingeführten EU-Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO, Art. 89 Abs. 1). Darüber hinaus wurde allen versichert, dass sie durch die Teilnahme keine Nachteile zu befürchten haben. Umgesetzt wurde die Anonymisierung im quantitativen Teil durch Personencodes. In den qualitativen Fallanalysen erfolgte diese durch Pseudonymisierung. Hinweise auf Institutionen, Namen Dritter oder Orte wurden entfernt, um einer Identifizierung der Personen vorzubeugen, aber auch um den Schutz Dritter zu gewährleisten.