Im Folgenden werden die Ergebnisse der qualitativen Auswertung der Unterrichtsvideos berichtet. Dazu wird zunächst der strukturelle Rahmen der betrachteten Unterstützungssituationen hinsichtlich der Merkmale Anlass, Art des Problems und personeller Rahmen beschrieben (Abschnitt 13.1). Anschließend werden die aus den Unterrichtsvideos identifizierten isolierten Unterstützungsmuster charakterisiert, voneinander abgegrenzt, illustriert und deren Vorkommen quantifiziert (Abschnitt 13.2; 13.3). Im Anschluss an diese isolierte Darstellung der Unterstützungsmuster wird abschließend anhand von Fallbeispielen verdeutlicht, wie die Unterstützungsmuster im Kontext auftreten können und zusammenwirken. Dabei wird der Beobachtungsfokus auf zwei über die bisherigen Analysen hinausgehende Aspekte erweitert, für die gezeigt werden konnte, dass sie einen zentralen Einfluss auf die Unterstützungspraxis der Studierenden genommen haben: Die Interaktion und die Materialauswahl (Abschnitt 13.4).

13.1 Ergebnisse zu Anlass, personeller Rahmen und mathematisches Problem

Hinsichtlich des Ausgangspunktes oder des Anlasses einer Unterstützungssituation wurde zwischen lehrer*innenseitigen und schüler*innenseitige Anlässen unterschieden. Die lehrer*innenseitigen Ausgangspunkte umfassen Situationen, in denen die Lehrkraft einen Unterstützungsbedarf wahrnimmt, beispielsweise, wenn ein*e Schüler*in einen Fehler macht, nicht zeitnah auf eine Frage antwortet oder untätig herumsitzt. Wenn von außen kein ersichtlicher Grund hervorgeht, wird ebenfalls angenommen, dass die Lehrkraft die Situation veranlasst. Schüler*innenseitige Anlässe sind in der Regel das Bitten um Unterstützung und das Stellen von Fragen. Es kann vorkommen, dass in einer Unterstützungssituation mehrere Anlässe kodiert wurden, beispielsweise, wenn ein*e Schüler*in eine Frage stellt und die Lehrkraft nach der Beantwortung noch einen anderen Aspekt fokussiert oder die*der Schüler*in beim direkten Weiterarbeiten einen Fehler macht. Insgesamt wurden 120 lehrer*innenseitige und 88 schüler*innenseitige Anlässe identifiziert und kodiert.

Hinsichtlich des personellen Rahmens wurde zwischen Unterstützungssituationen

  • im Plenum, wenn alle Schüler*innen beteiligt sind (77 Codes),

  • in der Kleingruppe, wenn nur ein Teil der Schüler*innen beteiligt ist (16 Codes) und

  • Eins-zu-Eins-Situationen, wenn die Lehrkraft mit einer*m Schüler*in allein spricht (100 Codes), unterschieden.

In den Unterstützungssituationen wurden drei Arten von Problemen diskutiert:

  • Inhaltlich-mathematische Probleme, wie dem Verfahren schriftlicher Addition oder einer Kopfrechenaufgabe (167 Codes),

  • prozessorientierte Probleme, wie Fragen nach Präsentations- oder Problemlösestrategien (7 Codes) und

  • Probleme mit unklarer Unterrichtsstruktur oder Aufgabenstellungen, bei denen Schüler*innen unklar ist, was aktuell zu tun ist oder wie eine Aufgabe zu verstehen ist (65 Codes).

In manchen Unterstützungssituationen werden mehrere Probleme bearbeitet, beispielsweise, wenn ein*e Schüler*in eine Frage zum Verständnis einer Aufgabe hat und die Besprechung der Aufgabe dann auch inhaltlich-mathematische Probleme aufwirft oder innerhalb einer Situation zwei verschiedene mathematische Probleme bearbeitet werden. Inhaltlich-mathematische Probleme sind erwartungsgemäß die häufigsten.

13.2 Charakterisierung und Illustration der Unterstützungsmuster

Im Rahmen der an Kuckartz (2018) angelehnten qualitativen Inhaltsanalyse, welche in Abschnitt 12.1.3 beschrieben wurde, konnten in den 193 Unterstützungssituationen insgesamt 9 verschiedene Unterstützungsmuster identifiziert werden:

  1. 1.

    Unterstützung durch Klassenführung

  2. 2.

    Motivationaler Zuspruch

  3. 3.

    Informationen über Aufgabenstellung oder Arbeitsauftrag

  4. 4.

    Bereitstellung von Informationen über Richtigkeit/Falschheit einer Lösung

  5. 5.

    Aufmerksamkeitslenkung

  6. 6.

    Strukturgebung und strukturiertes Zerlegen

  7. 7.

    Thematisierung mathematischer Zusammenhänge / Verfahren / Begriffe (außerhalb der bearbeiteten Aufgabe)

  8. 8.

    Informationen über mögliche Lösungsstrategien

  9. 9.

    Vorgabe von richtigen / fertigen (Teil-)Lösungen

Im Folgenden werden die einzelnen Unterstützungsmuster charakterisiert und exemplarisch durch Transkriptstellen illustriert.

1. Unterstützung durch Klassenführung

Unter dieses Unterstützungsmuster fallen alle Unterstützungsansätze, in denen die Lehrkraft unter den anwesenden Schüler*innen für Ruhe sorgt und in denen die Lehrkraft gerade inaktive Schüler*innen bei Nebentätigkeiten und -gesprächen unterbricht. Dies dient i. d. R. dazu, dass sich die gerade aktiven Schüler*innen konzentrieren können oder, dass Schüler*innen ihre Nebentätigkeiten einstellen. Die Lehrkräfte sichern dies auf verschiedenen Wegen, welche nonverbale Gesten, Psst-Geräusche, die Bitte um Ruhe, die Aufforderung den*die aktive*n Schüler*in überlegen und arbeiten zu lassen sowie Ermahnungen und Androhungen von weiteren Maßnahmen umfassen. Unter diese Kategorie fallen insgesamt 20 StellenFootnote 1.

Unterstützungssituation 1: Anika 2 Z. 496–497 (Aufforderung den*die aktive*n Schüler*in überlegen/arbeiten zu lassen und Bitte um Ruhe)

1

B:

(S1 und S4 unterhalten sich) Jetzt seid mal leise,

2

 

damit S3 sich konzentrieren kann, bitte.

Unterstützungssituation 2: Lisann 1 Z. 375 (Androhungen von weiteren Maßnahmen)

1

 

(S1 und S2 sprechen über die Handbemalung von S2)

2

B:

(kommt zu den SuS an den Tisch) S1, möchtest du sonst

3

 

gleich einmal auf die andere Seite des Tisches gehen?

4

S1/S2:

Nein.

5

S2:

Eine letzte Chance.

6

B:

Besser zuhören können. (.) Ja wirklich, ne. Sonst

7

 

sitzt S1 dort (zeigt auf den Platz gegenüber). (.) Ich

8

 

kann S1 auch dahin setzen (zeigt auf einen anderen

9

 

Tisch)

Unterstützungssituation 3: Elif und Johannes Z. 259–261 (Psst-Geräusch)

1

 

(S4 berechnet die Aufgabe acht mal sieben und ist dabei

2

 

bereits einmal gescheitert)

3

B:

Was ist denn acht mal sieben, wenn du ganz scharf

4

 

nachdenkst?

5

S5:

Acht mal sieben.

6

S2:

Wenn acht mal acht 64 sind was sind

7

B1:

(unterbricht S2) Psst.

In US1 ermahnt die Förderlehrerin die Schüler*innen S1 und S4, die gerade keine Aufgabe haben, zur Ruhe und ermöglicht somit dem hier unterstützten gerade aktiven Schüler S3 eine ruhigere Lernumgebung. Die Unterstützung von S3 geht in diesem Fall einher mit einer Sanktionierung von S1 und S2. Die Unterstützung ist hier eher indirekt, weil dem aktiven Schüler nicht direkt bei seinem Problem geholfen wird, sondern ein hinderlicher Reiz negiert wird. In US2 hingegen werden die sich anderweitig beschäftigten Schüler*innen selbst direkt unterstützt, indem sie zum Zuhören ermahnt werden. Hervorzuheben ist, dass dieses Unterstützungsmuster nicht nur bei im Allgemeinen unerwünschtem Verhalten auftritt, sondern auch wie in US3 bei i. d. R. erwünschtem, z. B. wenn S2 einen hilfreichen Strategieansatz für die Lösung der Aufgabe skizziert und die Lehrkraft diesen als Störquelle ausbremst.

2. Motivationaler Zuspruch

Unter dieses Unterstützungsmuster fallen alle Unterstützungssituationen, in denen die Lehrkraft den Schüler*innen Mut zuspricht, den Glauben an ihre Fähigkeiten signalisiert, Hilfe ankündigt, eine positive Deutung bei Misserfolgen vornimmt, negative Selbstbilder der Schüler*innen thematisiert, sich auf vergangene Erfolge beruft oder positive Folgen ankündigt. Die Schüler*innen sollen dadurch i. d. R. zur (Wieder-)Aufnahme der Aufgabenbearbeitung animiert werden. Zech (2002) nennt diese Unterstützungsform Motivationshilfen (vgl. S. 316). Unter diese Kategorie fallen insgesamt 48 Stellen.

Unterstützungssituation 4: Anna & Sophie Z. 348 (Hilfe ankündigen und Glaube an die Fähigkeiten)

1

 

(im Plenum rechnen die Schüler*innen an der Tafel

2

 

einzeln jeweils eine Spalte von Subtraktionsaufgaben

3

 

mit mehreren Subtrahenden vor, S2 hat als Einziger noch

4

 

nicht vorgerechnet)

5

B1:

Eine Aufgabe ist noch übrig. S2 möchtest du es nicht

6

 

auch einmal versuchen mit den Einern? (S2 nickt) Wir

7

 

würden dir auch auf jeden Fall helfen und die anderen

8

 

bestimmt auch. (S2 steht auf und geht zur Tafel)

9

 

Schaffst du.

Unterstützungssituation 5: Lisann 1 Z. 369–373 (Beispiel Thematisierung negativer Selbstbilder der Schüler*innen und Berufung auf vergangene Erfolge)

1

 

(S1 und S2 sprechen darüber, wie viel Zeit sie für

2

 

die vorangegangene Aufgabe benötigt haben und, dass

3

 

sie die nächste Aufgabe voraussichtlich nicht

4

 

schaffen werden)

5

B:

Kommt, reißt euch zusammen. Das kriegen wir hin. Ihr

6

 

habt doch schon ganz andere Dinge geschafft (.)

7

 

(guckt zu S1) Konntest du Skaten von Anfang an?

8

S1:

Ja.

9

B:

Ja, ne, du hast dich daraufgestellt und dann erstmal

10

 

(.) irgendetwas Tolles gemacht, ne?

11

S1:

Ja.

12

B:

Ja, ne. Nein, konntest du auch nicht.

13

S1:

Ich bin schon zehnmal hingefallen.

14

B:

(guckt zu S2) Und S2 konnte auch nicht von Anfang an

15

 

perfekt zeichnen.

In US4 versucht B1 für S2, der sich bisher nicht von sich aus zum Vorrechnen gemeldet hat, einen entspannten und förderlichen Rahmen für das Vorrechnen zu schaffen. Sie kündigt sowohl die Hilfe beider Förderlehrerinnen als auch die erhoffte Unterstützung der Mitschüler*innen an. Sie kommuniziert damit gleichermaßen eine Erwartungshaltung an die Gruppe der Mitschüler*innen. Die Förderlehrerin in US5 nimmt die von den beiden Schüler*innen kommunizierten negativen Selbsteinschätzungen, dass sie bei zukünftigen Aufgabenbearbeitungen voraussichtlich scheitern werden, zum Anlass, die Schüler*innen zu ermutigen. Sie verweist dabei auf vorangegangene Erfolge beider Schüler*innen in anderen Domänen als der Mathematik (Skaten und Zeichnen) und deutet an, dass sich Erfolge nicht sofort einstellen und es daher erwartungsgemäß sei, nicht direkt hervorragende Leistungen zu erbringen.

3. Informationen über Aufgabenstellungen oder Arbeitsauftrag

In diesem Unterstützungsmuster stellt die Lehrkraft Informationen und Wissen über die zu lösenden Aufgaben oder zu bearbeitenden Arbeitsaufträge zur Verfügung, indem sie bei Verständnisproblemen und Nachfragen diese (erneut) erklärt, sie präzisiert oder Fragen zur Aufgabe (nicht zur Lösung dieser) beantwortet. Dabei werden keine inhaltlichen-mathematischen Hilfen gegeben. Unter diese Kategorie fallen insgesamt 54 Stellen.

Unterstützungssituation 6: Hanna und Emily Z. 203–207 (Aufgabenstellung erklärt)

1

S3:

(an B1, die nach S3s Meldung zu ihm kommt) Ich verstehe

2

 

das nicht. (zeigt dabei auf sein Aufgabenblatt)

3

B1:

Lesen wir erst einmal die Aufgabe. (4) Hast du dir die

4

 

Aufgabe durchgelesen? (S3 nickt) Du hast hier ein Brett,

5

 

so zu sagen, wenn du keine Schere hast und Kleber kannst

6

 

du dir hier auch Zahlen dranschreiben. Also diese eins

7

 

bis sechzehn, glaube ich sind das. Kannst du beschriften

8

 

und dann schreibst du hier dran, wozu eins gehört und

9

 

wozu zwei gehört und das sind die Puzzleteile. Und diese

10

 

Puzzleteile gehören jeweils auf diese Felder.

11

S3:

Ach so, ok.

12

B1:

Du musst dann immer das passende dazu finden. Also du

13

 

kannst gerne auch ausschneiden und dann legen.

14

S3

Ok.

Die Förderlehrerin in US6 erklärt auf Anfrage von S3 was in der von ihm ausgesuchten Zuordnungs-Aufgabe gemacht werden muss, ohne einen mathematischen Hinweis zu geben. Sie versucht ihm damit einen klaren Rahmen vorzugeben, in dem S3 dann selbstständig die Karten mit Zahlen in unterschiedlichen Schreibweisen (Stellenwerte, Zahlwort, Zahl) zuordnen kann.

4. Bereitstellung von Informationen über Richtigkeit/Falschheit einer Lösung

Das am häufigsten auftretende Unterstützungsmuster ist die Rückmeldung auf einen Lösungsversuch eines*r Schüler*in. Dabei werden Informationen über die Richtigkeit oder Falschheit der angebotenen Lösung gegeben. Hier lassen sich solche Rückmeldungen mit und ohne Begründung unterscheiden. Einfache Rückmeldungen (465 Stellen) geben lediglich eine Information über Richtigkeit oder Falschheit, während unter Begründungen (83 Stellen) Aussagen darüber gemacht werden, warum die Lösung richtig oder falsch ist oder wie sie richtig zu lösen wäre. Darüber hinaus wurden Stellen erfasst, in denen die Förderlehrkräfte nur implizit deutlich machen, dass die Lösung nicht korrekt ist oder Korrekturen vornehmen, ohne zuvor zu verdeutlichen, dass die Lösung nicht korrekt ist. Bei Zech werden einfache Rückmeldungen unter dem Terminus Rückmeldungshilfen gefasst (vgl. Zech, 2002, S. 316).

Rückmeldungen mit Begründungen grenzen sich von anderen Unterstützungsmustern, wie der Vorgabe von richtigen / fertigen (Teil-)Lösungen dadurch ab, dass sie nur als Reaktion auf Lösungsvorschläge oder Äußerungen von Schüler*innen auftreten.

Unterstützungssituation 7: Anna und Sophie Z. 543 (Begründung für die Falschheit einer Lösung)

1

 

(S1 und S3 haben in einer Wettkampf-Spielsituation eine

2

 

Subtraktionsaufgabe mit Lücke ausgefüllt, B2 rechnet

3

 

daraufhin die korrekte Lösung an der Tafel vor)

4

B2:

Dann können wir die Aufgabe auch nochmal kurz

5

 

nachrechnen. Als erstes rechnen wir ja: Null, ach

6

 

(korrigiert) zwei minus null, das ist zwei, (zeigt an

7

 

der Tafel) man braucht also keinen Übertrag. Und rechnet

8

 

dann irgendwas minus eins ist gleich zwei. Und das hat

9

 

S3 hier richtig ausgefüllt, da würde dann hier die drei

10

 

hinkommen. (S3 macht eine Siegerpose) Genau, und (schaut

11

 

auf die Aufgabe von S1 die eine falsche Lösung, 1,

12

 

angeschrieben hatte) ja. Und deswegen kriegt euer Team

13

 

den ersten Punkt.

Unterstützungssituation 8: Anna und Sophie Z. 281–281 (Begründung für die Falschheit einer Lösung)

1

 

(im Plenum rechnen die Schüler*innen an der Tafel

2

 

einzeln jeweils eine Spalte von Subtraktionsaufgaben

3

 

mit mehreren Subtrahenden vor, S3 ist an der Reihe)

4

S3:

Drei minus die sieben?

5

B2:

Nicht ganz. Du musst immer die untere von der oberen

6

 

Zahl abziehen. (…) Also musst du nur quasi rechnen:

7

 

sieben minus drei.

Beide Unterstützungssituationen beginnen mit dem Lösen einer (Teil-)Aufgabe durch einen oder mehrere Schüler*innen. In US7 lösen zwei Schüler*innen eine Aufgabe an der Tafel, welche daraufhin von B2 geprüft wird. Die Förderlehrerin rechnet die gesamte Aufgabe im Plenum für alle Schüler*innen vor. In diesem Zuge begründet sie die Richtigkeit bzw. Falschheit der Schüler*innenlösungen im Abgleich mit ihrer eigenen richtigen Lösung. In US8 stellt der Schüler S3 mündlich einen nicht korrekten Teillösungsschritt vor. Die Förderlehrerin reagiert darauf mit dem Hinweis, dass die Lösung nicht ganz richtig sei und S3 darauf achten solle, dass er die untere von der oberen Zahl abziehe. Der erste allgemein für alle Aufgaben dieses Typs geltende Hinweis, wird nach einer kurzen Pause nochmal auf die aktuelle Aufgabe spezifiziert.

5. Aufmerksamkeitslenkung

Unter der Kategorie Aufmerksamkeitslenkung werden 6 Subkategorien zusammengefasst, die alle gemeinsam haben, dass die Lehrkraft die Aufmerksamkeit der Schüler*innen auf eine mehr oder weniger bestimmte Sache lenkt. Dabei werden Aufmerksamkeitslenkungen im weiteren Sinne, bei denen die Lehrkraft die Aufmerksamkeit der Schüler*innen durch Wiederholen und Anschreiben der aktuell bearbeiteten Aufgabe und durch Visualisierungen lenkt, von denen im engeren Sinne unterschieden, bei denen die Lehrkraft die Aufmerksamkeit durch Hindeuten oder Fragen auf einen Sachverhalt lenkt. Dabei werden in keinem Fall über die reine Lenkung der Aufmerksamkeit, z. B. über das Stellen von Fragen oder das Hindeuten auf interessierende oder bereits bekannte Aspekte, inhaltliche Hilfen oder neue Informationen gegeben. Insgesamt fallen 266 Stellen unter die Kategorie Aufmerksamkeitslenkung.

Die Studierenden lenken die Aufmerksamkeit ihrer Schüler*innen im weiteren Sinne zum einen durch das Wiederholen und Anschreiben der aktuell bearbeiteten Aufgabe und zum anderen durch Visualisierungen mit den Händen oder an der Tafel. Im ersten Fall gibt die Lehrkraft keine weitere Hilfe als die Aufgabe (mehrfach) zu wiederholen oder an der Tafel schriftlich festzuhalten (52 Stellen). Im zweiten Fall unterstützt die Lehrkraft die Schüler*innen, indem sie genannte Zahlen mit den Fingern zeigt, beim Aufsagen von Einmaleins-Reihen zeigt, bei welcher Zahl sie aktuell sind, Tafelbilder zu den bearbeiteten Aufgaben erstellt oder eigene Aussagen / Erklärungen visuell untermalt (23 Stellen).

Unterstützungssituation 9: Elif & Johannes Z. 245–259 (Wiederholen der Aufgabe)

1

 

(In einem Einmaleins-Spiel zieht S4 die Karte mit

2

 

acht mal sieben)

3

B1:

Wie lautet die Aufgabe?

4

S4:

acht mal sieben sind (4) äh keine Ahnung

5

B1:

acht mal sieben sind?

6

S4:

Weiß ich nicht.

7

 

[…]

8

B1:

Was ist denn acht mal sieben, wenn du ganz scharf

9

 

nachdenkst?

Unterstützungssituation 10: Lisann 1 Z. 138–147 (Visualisierung)

1

 

(S1 soll die Dreier-Reihe im kleinen Einmaleins aufsagen)

2

S1:

Drei, sechs, neun (B zeigt mit ihren Fingern, an

3

 

welcher Stelle der 3er-Reihe S1 gerade ist) (5) zwölf.

4

B:

Mhm. (bestätigend, zeigt ‚vier‘ mit den Fingern)

5

S1:

Fünfzehn.

6

B:

Mhm. (bestätigend, zeigt ‚fünf‘ mit den Fingern)

7

S1:

Achtzehn.

8

B:

Mhm. (bestätigend, zeigt ‚sechs‘ mit den Fingern)

9

S1:

Einundzwanzig.

10

B:

Stopp (hebt ihre Hände hoch, deren Finger noch die

11

 

sieben zeigen). (.) So wir haben jetzt im Prinzip die Zahl…

In US9 gibt die Förderlehrkraft außer einer zweifachen Wiederholung der zu bearbeitenden Aufgabe keine darüber hinaus gehenden Hinweise. In US10 nutzt die Förderlehrerin bei der Erklärung intensiv ihre Hände. Zuerst gibt sie per Fingerzeig jeweils an, mit welcher Zahl die drei multipliziert wird, um auf das von S1 genannte Ergebnis zu kommen. Danach unterstützt sie ihr gesprochenes ‚Stopp‘ (Z. 10) zusätzlich durch eine Geste und nutzt erneut den Fingerzeig, um deutlich zu machen, an welcher Stelle der Dreierreihe sie sich befindet.

Die Förderlehrkräfte lenken die Aufmerksamkeit ihrer Schüler*innen im engeren Sinne auf unterschiedliche Aspekte: Aufmerksamkeitslenkung auf den aktuellen Prozess (unspezifisch), auf Aufgabenaspekte, auf sonstige Materialien und Aufgaben sowie auf Zurückliegendes oder Zusammenfassungen.

Bei der unspezifischen Lenkung auf den aktuellen Prozess (42 Stellen) fordern die Lehrkräfte ihre Schüler*innen zu Konzentration, zu (erneutem) Überlegen über die Aufgabe oder die Lösung und zum Aufpassen auf. Dabei wird nicht genauer spezifiziert, worauf die Aufmerksamkeit gelenkt werden soll.

Unterstützungssituation 11: Benjamin und Britta Z. 466 (Einfordern von Konzentration)

1

B2:

(an S5, der sich mit etwas anderem beschäftigt) Guck

2

 

mal. Damit du gleich weißt, was du machen sollst.

Unterstützungssituation 12: Lisann 2 Z. 108 (Aufforderung zu Überlegen und Wiederholen der Aufgabe)

1

B2:

(an S2, die beim Lösen der Aufgabe sieben mal sechs

2

 

mehrere Zahlen (72, 56, 48, 32, 53) rät) Denk vielleicht

3

 

noch mal nach und wirf nicht einfach Zahlen in den Raum.

4

 

Dann ist es vielleicht einfacher. (…) Was war sechs

5

 

mal acht?

In US11 führt die Förderlehrkraft die Aufmerksamkeit von S5 zurück auf das aktuelle Unterrichtsgeschehen. Sie weist damit Ähnlichkeiten zu der Unterstützung durch Klassenführung auf, weil ein abgelenkter Schüler unerwünschtes Verhalten zeigt und davon abgebracht werden soll. Der Kern dieser Situation liegt aber primär in der Rückführung der Aufmerksamkeit und nicht im Ruhigstellen dieses Schülers. In US12 macht die Schülerin den Eindruck als würde sie Ergebnisse raten. Die Lehrkraft fordert sie daraufhin auf, zuerst nachzudenken. Darüber hinaus gibt sie, außer der Wiederholung der Aufgabe, keine weiteren Hinweise.

Bei der Aufmerksamkeitslenkung auf Aufgabenaspekte (67 Stellen) deuten die Lehrkräfte verbal oder nonverbal auf aktuell wichtige oder bisher nicht beachtete Stellen der Aufgabe oder der Aufgabenbearbeitung, fordern ihre Schüler*innen auf, an gezielten Stellen (weiter) zu überlegen und stellen Beobachtungsaufträge i.S.v. „Was fällt dir auf?“.

Unterstützungssituation 13: Anna und Sophie Z. 90 (Hindeuten auf wichtige Aspekte)

1

 

(die Schüler*innen sortieren einen zerschnittenen

2

 

Lösungsweg einer Subtraktionsaufgabe)

3

S3:

Das passt nicht.

4

B2:

Doch, das gehört alles zusammen. Guckt euch doch mal

5

 

hier die Rechnungen an. (zeigt auf den Schnipseln etwas,

6

 

S3, S4 und S5 schauen genauer zu)

Unterstützungssituation 14: Hanna und Emily Z. (Beobachtungsauftrag)

1

 

(S6 sucht in einer Zahlenreihe nach Beziehungen zwischen

2

 

den Elementen)

3

S6

Danach habe ich hier jetzt plus gerechnet. Soll ich das

4

 

hier denn dann hier hinschreiben. Also, aber ich weiß

5

 

ja nun nicht hier. (zeigt auf ihrem Blatt)

6

B1

Ja, dann guck dir die ganze Reihenfolge an und guck was

7

 

passiert. (zeigt auf das Blatt)

In US13 sollen die Schüler*innen in einer Kleingruppe durcheinander geratene Schnipsel mit Teilschritten einer Subtraktionsaufgabe mit mehreren Subtrahenden in die richtige Reihenfolge bringen. Als S3 äußert, dass die Zettel nicht zueinander passen würden, interveniert B2, indem sie einen Hinweis gibt, auf welchen Aspekt die Schüler*innen bei der Sortierung der Schnipsel besonders achten sollen. In US14 gibt die Förderlehrerin, nachdem die Schülerin das Muster in der Zahlenreihe nicht von allein findet, den Beobachtungsfokus, auf die gesamte Reihe zu schauen und nach dem Muster zu suchen.

Bei der Aufmerksamkeitslenkung auf sonstige Materialien und Aufgaben (14 Stellen) verweisen die Lehrkräfte auf hilfreiche Arbeitsblätter und bereits erstellte Tafelbilder oder auf der aktuell bearbeiteten Aufgabe ähnliche Aufgaben, die nicht von den Schüler*innen selbst bearbeitet wurden.

Unterstützungssituation 15: Hanna und Emily Z. 583 (Verweis auf hilfreiche Arbeitsblätter)

1

 

(S2 überlegt welche Stelle nach der Hundert-Millionen-

2

 

Stelle kommt)

3

B1:

Weißt du nicht mehr? Dann guck mal hier. (zeigt auf dem

4

 

Arbeitsblatt) Was haben wir hier?

Unterstützungssituation 16: Lisann 2 Z. 111 (Verweis auf ähnliche Aufgaben und Wiederholung der Aufgabe)

1

 

(S2 versucht die Aufgabe sieben mal sechs zu lösen)

2

S2:

Sechsundfünfzig?

3

B:

Nein, das sind sieben mal acht. Wir wollen sieben mal

4

 

sechs.

In den beiden Beispielen wird deutlich, dass die Förderlehrerinnen die Aufmerksamkeit ihrer Schüler*innen auf einen Aspekt außerhalb der gerade zu lösenden Aufgabe lenken. In US15 ist dies ein hilfreiches Arbeitsblatt und in US16 eine ähnliche Aufgabe, deren Ergebnis der Schüler fälschlicherweise genannt hat.

Bei der Aufmerksamkeitslenkung auf Zurückliegendes oder Zusammenfassungen (68 Stellen) verweisen die Lehrkräfte auf von den Schüler*innen bereits gelöste, ähnliche Aufgaben oder bei komplexen Aufgaben auf bereits gelöste Teilschritte, aktivieren (bereits erarbeitetes) Vorwissen, z. B. aus vorangegangenen Förderstunden oder fassen bereits Erarbeitetes zusammen.

Unterstützungssituation 17: Anika 2 Z. 107 (Verweis auf vorangegangene Förderstunden)

1

 

(S2 war in der Förderstunde zur Rechenstrategien bei

2

 

der Division nicht anwesend, B fasst die verpassten

3

 

Inhalte zusammen)

4

B:

Aber du erinnerst dich noch, wie wir das bei Addition

5

 

und Subtraktion immer gemacht haben? Wir haben uns die

6

 

Zahlen immer aufgeteilt, sozusagen. S4's Ansatz war da

7

 

schon echt gut. Also so würde ich es auch im Kopf

8

 

rechnen. Ich würde es mir auch erst aufteilen und dann

9

 

die Zahlen immer kleiner sozusagen machen. Wie wir das

10

 

bei der Subtraktion auch gemacht haben. ja?

Unterstützungssituation 18: Lisann 1 Z. 181 (Verweis auf bereits gelöste Teilschritte)

1

 

(bei der halbschriftlichen Division von 204 geteilt

2

 

durch drei wurde die 204 bereits in 180 + x aufgeteilt,

3

 

gesucht ist nun das x)

4

B:

Wie viel haben wir denn bisher verrechnet? Wir haben

5

 

von den zweihundertvier haben wir hundertachtzig erst

6

 

genommen.

In US17 werden für eine in der vorangegangenen Förderstunde abwesende Schülerin die verpassten Inhalte wiederholt. Thema der Förderstunde waren Rechenstrategien beim Dividieren im Kopf. Die Förderlehrerin greift zuerst die Ergebnisse aus den Förderstunden zur Addition und Subtraktion zusammen und verweist auf einen Lösungsansatz von S4, der zu einem früheren Zeitpunkt in dieser Förderstunde eine Divisionsaufgabe aufgeteilt hatte. In US18 fasst die Förderlehrerin die vorangehenden Lösungsbemühungen der Schüler*innen zu einem Zwischenfazit zusammen, um eine gemeinsame Grundlage für das Weiterarbeiten zu schaffen.

6. Strukturgebung und strukturiertes Zerlegen

Die Kategorie Strukturgebung umfasst zum einen alle Situationen, in denen die Förderlehrkräfte mehrschrittige Aufgaben oder mehrere Aufgaben hintereinander gemeinsam, Schritt für Schritt mit den Schüler*innen durchgehen (59 Stellen) und zum anderen die i. d. R. deutlich kürzeren Stellen, in denen die Förderlehrkräfte den nächsten Lösungsschritt benennen (207 Stellen) oder danach fragen (22 Stellen). Zu beachten ist, dass das Benennen des folgenden Lösungsschrittes immer auch Vorwegnahme von Teillösungsschritten ist, sie werden jedoch nicht unter der Kategorie Vorgabe von richtigen / fertigen (Teil-)Lösungen gefasst.

Bei der Kategorie des schrittweisen Durchgehens von Aufgaben kommt es zwangsläufig zu Überschneidungen mit anderen Handlungsmustern, da ein schrittweises Durchgehen einer Aufgabe nicht ohne die anderen Handlungsmuster, wie dem Benennen von Lösungsschritten oder Rückmeldungen über Richtigkeit oder Falschheit auskommt. Das erste Beispiel zur Strukturgebung besteht aus hintereinander geschalteten Rückmeldungen, das zweite aus dem sukzessiven Fragen nach dem nächsten Lösungsschritt.

Unterstützungssituation 19: Anna und Sophie Z. 382–391 (Schrittweises Durchgehen einer Aufgabe mittels hintereinander geschalteter Rückmeldungen)

1

 

(im Plenum rechnen die Schüler*innen an der Tafel

2

 

einzeln jeweils eine Spalte von Subtraktionsaufgaben

3

 

mit mehreren Subtrahenden vor, S4 ist an der Reihe)

4

S4:

Und danach plus äh (korrigierend) minus dreizehn. Ja,

5

 

oder? (schaut zu B2) Und dann kommt da eine zwei.

6

 

(schreibt 2 an die Tafel) Dann wird das zur dreizehn.

7

B2:

Genau.

8

S4:

Und danach muss man dreizehn minus elf.

9

B2:

Ja.

10

S4:

Und dann kommt da eine zwei.

11

B1:

Ja, genau.

12

S4

Und danach muss da eine eins.

13

B2:

Ja genau.

Unterstützungssituation 20: Anna und Sophie Z. 272–280 (Beispiel für schrittweises Durchgehen einer Aufgabe mittels sukzessiver Fragen nach dem nächsten Lösungsschritt)

1

 

(im Plenum rechnen die Schüler*innen an der Tafel

2

 

einzeln jeweils eine Spalte von Subtraktionsaufgaben

3

 

mit mehreren Subtrahenden vor, S3 ist an der Reihe)

4

B1:

Was müsstest du denn jetzt als erstes machen?

5

S3:

Die eins und zwei.

6

B1:

Genau, was musst du damit machen?

7

S3:

Plus rechnen.

8

B1:

Genau. Was ist das?

9

S3:

Drei.

10

B1:

Genau.

11

B2:

Und was musst du dann?

In beiden Unterstützungssituationen sieht man die enge Verzahnung der Aussagen von Schüler*innen und Förderlehrkräften. Beide Unterstützungen sind aus der gleichen Phase der Förderstunde von Anna und Sophie, in der die Schüler*innen an der Tafel jeweils eine Spalte einer Subtraktion mit mehreren Subtrahenden vorrechnen. In US19 bietet S4 Teillösungen an, die von den Förderlehrerinnen jeweils mittels einfacher Rückmeldungen über die Richtigkeit bestätigt werden. Die Schülerin bekommt so ein sofortiges Feedback über jeden ihrer Rechenschritte. In US20 geht die Kommunikation eher von den Förderlehrerinnen aus und der Schüler S3 reagiert auf die von beiden Förderlehrerinnen gestellten Fragen. Die Förderlehrerinnen nehmen ihm so die Strukturierung seines Lösungsweges ab.

7. Thematisierung mathematischer Zusammenhänge / Verfahren / Begriffe (außerhalb der bearbeiteten Aufgabe)

Unter diese Kategorie fallen Stellen, in denen die Lehrkräfte inhaltlich-mathematische Zusammenhänge, Verfahren oder Begriffe klären, die nicht im direkten Zusammenhang zu den aktuell bearbeiteten Aufgaben stehen oder vertiefend darüber hinausgehen. Insgesamt fallen 21 Stellen unter diese Kategorie.

Unterstützungssituation 21: Jannis und Ann-Christin Z. 459–466 (Beispiel für das Thematisieren mathematischer Zusammenhänge)

1

S4:

(zu B1, die neben ihr am Tisch sitzt) Gab es bei

2

 

irgendeiner Aufgabe eine Zahl wo man die null zum

3

 

Beispiel, zum Beispiel die null aufgeschrieben hat und

4

 

dann irgendeine Zahl zu den Einern kam? Noch nie, oder?

5

B1:

Ne, du rechnest die immer zur nächst höheren Stelle.

6

S4:

Ja aber ich meine (S4 zeigt nochmal auf dem Blatt, was

7

 

sie meint; B1 beugt sich etwas ran), gab es irgendwann

8

 

mal eine Zahl, die mal hier. (.) Also hierhin kam. Also

9

 

zu den Einern.

10

B1:

Ne, ne. Das ist nur, manche die schreiben immer den

11

 

Übertrag unter die eigene Stelle.

12

S4:

Ach so.

In US21 stellt die Schülerin S4 eine mathematische Frage, die nichts mit der Lösung der eigentlichen Aufgabe zu tun hat. Vermutlich fragt sie nach einem Übertrag der Zehntelstelle auf die Einerstelle (vgl. Z. 3–4 und 8–9). Dieser ist nur bei Additionen rationaler Zahlen möglich, daher beantwortet B1 die Frage für den Zahlenraum der natürlichen Zahlen korrekt, indem sie sagt, dass der Übertrag immer zur höheren Stelle gerechnet wird und da es keine tiefere Stelle als die Einerstelle gibt, kann es auch keinen Übertrag dahin geben. Sie thematisiert nicht die Möglichkeit eines Übertrags an die Einerstelle in den rationalen Zahlen.

8. Informationen über mögliche Lösungsstrategien

Unter die Kategorie Informationen über mögliche Lösungsstrategien fallen alle Stellen, in denen die Lehrkräfte ihren Schüler*innen mehr oder weniger produktive Strategien an die Hand geben, die Aufgaben zu lösen. Die Strategien umfassen beispielsweise das Rückwärtsarbeiten, das Nutzen schriftlicher Rechenverfahren, das Aufteilen im Sinne der halb-schriftlichen Rechenverfahren, die Nutzung von Nachbaraufgaben im kleinen Einmaleins und Analogiebildung. Dabei ist zu beachten, dass die Strategien dabei nicht zwangsläufig expliziert werden müssen. Es reicht aus, dass sie implizit verwendet werden. Insgesamt fallen 63 Stellen unter diese Kategorie. Zech (2002) unterscheidet bei den strategischen Hilfen zwischen allgemein-strategischen und inhaltsorientiert-strategischen Hilfen (vgl. S. 316f). Diese Unterscheidung findet sich so nicht in den Daten wieder.

Unterstützungssituation 22: Anika 2 Z. 630 (Explizites Vorgeben einer Lösungsstrategie)

1

B:

(an S4) Teil dir die Zahl doch einmal auf.

2

 

Dreihundertsechsundsechzig durch drei.

Unterstützungssituation 23: Elif und Johannes Z. 552–557 (Implizite Verwendung einer Lösungsstrategie)

1

 

(S4 muss die Aufgabe sechs mal sieben rechnen und hat

2

 

bereits die von B1 vorgegebene Aufgabe sechs mal sechs

3

 

richtig gelöst)

4

B1:

Und 6 mal 7?

5

S5:

6 dazu.

6

S6:

Einfach plus 6 rechnen.

7

S5:

Du musst nur noch 6 dazurechnen.

8

B1:

(zu S5 und S6) Psst.

9

S4:

Dreizehn?

10

B1:

Nein. Wenn 6 mal 6 36 sind, was sind dann 6 mal 7?

In beiden Beispielen wird mit typischen Rechenstrategien gearbeitet. Während in US22 die Strategie des Aufteilens explizit vorgegeben wird, benennt B1 in US23 die Strategie Einmaleins-Aufgaben über bekannte Nachbaraufgaben herzuleiten nicht direkt, sondern führt S4 durch das Benennen des jeweils nächsten Lösungsschritts durch diese Strategie (vgl. Z. 10).

9. Vorgabe von richtigen / fertigen (Teil-)Lösungen

Unter diese Kategorie fallen alle Stellen, in denen die Lehrkraft (Teil-)Lösungen selbst vorrechnet oder in anderer Weise vorgibt. Dabei differiert insbesondere der Umfang der vorgegebenen Lösung von kleinen Lösungsschritten bis hin zum Vorrechnen ganzer Aufgaben. Insgesamt wurde diese Kategorie 61-mal kodiert. Zech (2002) nennt diese Kategorie inhaltliche Hilfen (vgl. S. 317).

Unterstützungssituation 24: Benjamin und Britta Z. 506–507 (Vorgabe von Teillösungen)

1

 

(S4 vergisst beim Bearbeiten der schriftlichen

2

 

Multiplikationsaufgabe 392 mal 5 den Übertrag)

3

S4:

Fünfundvierzig und da behalte ich die…

4

B1:

Und dann rechnest du da plus eins. Also dann

5

 

sechsundvierzig. Und dann, genau. Und dann behältst du

6

 

die vier im Kopf, wegen von der sechsundvierzig. Dann

7

 

rechnest du fünf mal drei, das sind ja fünfzehn. Und da

8

 

dann die vier zu sind neunzehn.

In US24 hat S4 gerade fünf mal neun als zweiten Rechenschritt bei der schriftlichen Multiplikation berechnet und will gerade die 45 aufschreiben. B1 unterbricht ihn, weil er den Übertrag von der fünf mal zwei vergessen hat und rechnet die Aufgabe komplett für S4 zu Ende.

13.3 Zahlbasierte Auswertung der Unterstützungsmuster

Zwischen den Studierendentandems und -solos lassen sich interindividuelle Unterschiede hinsichtlich der Nutzung verschiedener Unterstützungsmuster herausstellen. In Tabelle 13.1 werden die Häufigkeiten der jeweiligen Unterstützungsmuster für jede Förderstunde angegeben. Beispielsweise haben Elif und Johannes in ihrer Förderstunde sieben Mal das Unterstützungsmuster Klassenführung genutzt.

Um die Fragen nach individuellen Präferenzen hinsichtlich genutzter Unterstützungsmuster zu beantworten, kann man die Studierendensoli (Anika und Lisann) betrachten, bei denen die gleichen Studierenden in zwei Unterrichtsstunden gefördert haben. Dabei fällt auf, dass die Anzahl der einzelnen Unterstützungsmuster in den beiden Förderstunden durchaus stark differieren und daher wohl nur bedingt individuelle Präferenzen abbilden. Die Auswahl an Unterstützungsmustern bei den Studierenden scheint von weiteren Faktoren als der individuellen Präferenz abzuhängen, wie dem Thema der Unterrichtsstunde, den ausgewählten Aufgaben, dem Vorwissen und Verhalten der Schüler*innen oder den jeweils auftretenden Problemen. Eine solche zahlbasierte Auswertung könnte bei einer breiteren Datenbasis wichtige Erkenntnisse zu den bestimmenden Faktoren für die Auswahl von Unterstützungsmustern liefern.

Tabelle 13.1 Absolute Anzahl der Stellen pro Unterstützungsmuster nach Förderlehrkraft (eine Spalte ist jeweils eine Unterrichtsstunde) aufgeteilt

Mithilfe der zahlbasierten Auswertung lässt sich ein Überblick über die verwendeten Unterstützungsmuster geben. In einzelnen (Extrem-)Fällen ist jedoch auch die Einzelbetrachtung spannend. So scheint Lisann im Vergleich zu ihren Kommiliton*innen eine Vorliebe für den motivationalen Zuspruch zu haben, während Benjamin und Britta überdurchschnittlich häufig Lösungen vorgeben. Jannis und Ann-Christin haben in ihrer Stunde vermutlich ein Problem mit unklaren Aufgabenstellungen, die sie nachträglich in dem häufig auftretenden Unterstützungsmuster Information über die Aufgabenstellung kompensieren. Auffällig ist, dass alle Studierenden(-gruppen) fast alle Unterstützungsmuster zumindest einmalig verwenden.

13.4 Analyse von Fallbeispielen zum Einfluss von Kommunikation und Lernmaterial auf Unterstützungssituationen

In der strukturellen Analyse von Unterstützungssituationen (s. Abbildung 12.2) stehen neben den bereits analysierten Aspekten Anlass, personeller Rahmen, mathematisches Problem und Unterstützungsmuster noch Analysen zu den Interaktionsformen und der Auswahl von Lernmaterialien aus. Für die beiden Aspekte wird insbesondere vor dem Hintergrund der theoretischen Analysen (s. Abschnitt 2.3 und Kapitel 4) angenommen, dass sie einen großen Einfluss auf den Verlauf und die Qualität von Unterstützungsmaßnahmen nehmen. Diese Bedeutsamkeit zeigte sich ebenfalls in der Analyse der Unterrichtssituationen. Anhand von Fallbeispielen wird dieser Einfluss exemplarisch illustriertFootnote 2.

13.4.1 Fallbeispiele 1 und 2: Einfluss der Kommunikation auf motivationale Komponenten von Förder- und Unterstützungssituationen

Bei der Analyse der Interaktionen zwischen Lehrkraft und Schüler*innen lassen sich die Interaktionen auf einem Kontinuum zwischen starker Lenkung bis Offenheit darstellen. An dem einen Ende des Kontinuums lassen sich Situationen beobachten, in denen die Kommunikation sehr eng von der Lehrkraft geführt wird, was im Extremfall dazu führt, dass die*der Schüler*in nur noch Ein-Wort-Antworten gibt oder gar nichts mehr beiträgt. Am anderen Ende stehen offenere Formen, in denen die Lehrkraft die Schüler*innen durch offene Fragen dazu anregt, selbstständig zu überlegen. Ein häufig auftretendes Muster ist das bereits genannte Trichtermuster, das die zunehmende Verengung von offenen Formen in geschlossene beschreibt (vgl. Bauersfeld 1978). In Fall 1 lässt sich eine Verengung der Kommunikation nach dem Trichtermuster beobachten, die in einer geschlossenen Kommunikation endet. In Fall 2 kann aufgezeigt werden, wie die Lehrkraft durch Fragen die Schülerin dazu anregt, die Problemlösung selbst anzugehen.

In der Förderstunde von Anna und Sophie zur schriftlichen Subtraktion mit mehreren Subtrahenden (s. Fall 1) sollten alle Schüler*innen drei zuvor angeschriebene Aufgaben bereits bearbeitet haben. Bei der Besprechung der Aufgaben rechnen die Schüler*innen jeweils einzelne Spalten vor. Dabei zeigt sich bei manchen Schüler*innen, dass sie die Aufgaben an der Tafel wie neu gestellte Aufgaben bearbeiten und beim Vorrechnen viel überlegen. S3 ist bei der Hunderter-Spalte einer der Aufgaben dran. Die anderen Schüler*innen schauen ihm dabei zu.

Fall 1: Verengung der Kommunikation bei Anna und Sophie Z. 308–328

1

B1:

Ja, S3. Traust du dich noch einmal?

2

S3:

(geht an die Tafel) Also, ich rechne zehn plus vier.

3

B1:

Ja.

4

S3:

Sind vierzehn. (B1 nickt) Und null plus vierzehn.

5

B1:

Ne (verneinend). Du musst ja jetzt eigentlich von der

6

 

oberen Zahl die Summe von den beiden unteren abziehen.

7

S3:

Das sind ja vierzehn insgesamt.

8

B1:

Genau

9

S3:

Und vierzehn minus null wären.

10

B1:

Ne (verneinend) eigentlich müsstest du ja rechnen null

11

 

minus vierzehn.

12

S3:

Ja.

13

B1:

Aber das geht ja nicht. (.) Da müssen wir erweitern,

14

 

wie wir das eben auch schon gemacht haben. Das heißt,

15

 

auf welche Zahl würden wir dann erweitern, erstmal?

16

S3:

Eins?

17

B1:

Ne (verneinend).

18

S3:

Zehn?

19

B1:

Genau. Auf zehn erstmal. Aber zehn minus vierzehn, das

20

 

geht ja schon wieder nicht, ne? Also müssen wir noch

21

 

mal erweitern.

22

S3:

Zwanzig?

23

B1:

Ja.

24

S3:

Sind sechs.

25

B1:

Genau.

S3 kommt an die Tafel und beginnt korrekt in zwei Schritten den Übertrag mit den beiden unteren Ziffern der Subtrahenden zusammenzurechnen. B1 gibt jeweils positive Rückmeldungen über die Richtigkeit. Als S3 nun auch die Ziffer des Minuenden dazu addieren will (Fehler 1: Wahl der falschen Operation), verneint B1 mit einer negativen Rückmeldung der Richtigkeit inklusive Erklärung darüber, was eigentlich allgemein bei Aufgaben dieses Typs getan werden müsste, nämlich die Summe der unteren Ziffern von der oberen abzuziehen. Daraufhin unternimmt S3 einen weiteren Lösungsversuch, bei dem er die falsche der beiden Zahlen abziehen will (Fehler 2: Vertauschung Subtrahend und Minuend). B1 verneint erneut und erklärt, was eigentlich getan werden müsste, dieses Mal aber konkreter und mit klarerem Aufgabenbezug: ‚eigentlich müsstest du ja rechnen null minus vierzehn‘ (Z. 10–11).

Es folgt ein strukturgebendes schrittweises Durchgehen der Aufgabe. Dabei übernimmt die Lehrkraft gleich mehrere Lösungsschritte für S3: „eigentlich müsstest du ja rechnen null minus vierzehn. (S3: Ja.) Aber das geht ja nicht.“ (Z. 10–13), „Da müssen wir erweitern, wie wir das eben auch schon gemacht haben.“ (Z. 13–14) oder „Aber zehn minus vierzehn, das geht ja schon wieder nicht, ne? Also müssen wir noch mal erweitern.“ (Z. 19–21). Sie benennt für S3 jeweils den nächsten Lösungsschritt, sodass dieser einzelne Teile der Lösung (Ergebniszahlen) übernehmen kann. Zu den kurzen Schülerlösungen werden entsprechende Rückmeldungen der Richtigkeit gemacht.

In der Förderstunde von Hanna und Emily zum Thema Operieren mit großen Zahlen, arbeiten die Schüler*innen an einer Lerntheke mit AufgabenblätternFootnote 3. S6 muss in der abgebildeten Aufgabe (s. Abbildung 13.1) die Zahlenfolge vervollständigen und anschließend die Rechenvorschrift herausfinden. Dabei holt sie sich Unterstützung von B1, nachdem sie bereits erste Ergebnisse zu der Aufgabe gesammelt hat.

Abbildung 13.1
figure 1

Von S6 bearbeitete Aufgabe. Aufgabentext ist: Gib vier weitere Zahlen der Zahlenfolge an. Wie lautet die Rechenvorschrift?

Fall 2: Offene Form der Kommunikation Hanna und Emily

1

S6:

Muss ich hier hin schreiben was ich mache, also wie ich

2

 

vorgehe?

3

B1:

Genau.

4

S6:

Und hier dann mit fünfzehn und dann bin ich auf

5

 

dreißig gekommen, wie viel das ist.

6

B1:

Genau, aber guck mal ganz genau hin. Ist das denn

7

 

hundert? Ist da nur fünfzehn dazu gekommen oder was ist

8

 

dazu gekommen? Wie viel?

9

S6:

Nein, also da sind ja zweihundert und hier vierhundert.

10

 

Und dann sind, glaube ich, zweihundertfünfzehn nochmal

11

 

Gekommen.

12

B1:

Genau.

13

S6:

Danach wurde es vierhundertdreißig.

14

B1:

Genau.

15

S6:

Danach habe ich hier jetzt plus gerechnet. Soll ich das

16

 

hier denn dann hier hinschreiben. Also, aber ich weiß

17

 

ja nun nicht hier. (zeigt auf ihr Blatt)

18

B1:

Ja, dann guck dir die ganze Reihenfolge an und guck

19

 

was passiert. (zeigt auf das Blatt)

20

S6:

Muss ich hier plus? (B1 stimmt zu) Und danach minus

21

 

eins.

22

B1:

Genau.

23

S6:

Und danach wieder plus.

24

B1:

Plus wieviel?

25

S6:

Plus vierhundertneunundzwanzig und dann also,

26

 

vierhundert. (überlegt 6) Muss ich das dann minus das

27

 

rechnen? (zeigt währenddessen auf zwei Zahlen, B1

28

 

stimmt zu) Ach so.

 

[…]

 

29

S6:

Jetzt habe ich das Ergebnis erhalten, und dann vergesse

30

 

ich immer die Rechnung. Eins und minus sind drei.

31

 

(..) Vierhundertneunundzwanzig.

32

B1:

Ehem (zustimmend) Was fällt dir auf?

33

S6:

Also dass dann wieder plus hier ist. Und danach minus

34

 

eins wieder.

35

B1:

Genau. Schreib dir das über die Pfeile, was du genau

36

 

machst. (zeigt auf S6'Blatt) Also von dem Pfeil, von

37

 

hier nach da. Was passiert da?

38

S6:

Minus eins.

39

B1:

Dann kannst du das da hinschreiben. Was ist hier

40

 

passiert? Erinnerst du dich noch?

S6 veranlasst die Unterstützungssituation, indem sie B1 eine Frage nach der Aufgabenstellung stellt, die B1 kurz beantwortet. S6 formuliert daraufhin ihr Ergebnis für den ersten Pfeil und erklärt korrekt, dass sie in Zehner- und Einerstelle 15 addieren muss, um auf 30 zu kommen. Allerdings lässt sie die Hunderterstelle außer Acht, was ihr im Verlauf der weiteren Förderstunde (nicht abgedruckt) noch an weiteren Stellen passiert. B1 versucht sie durch eine entsprechende Nachfrage dazu anzuregen, über die Hunderterspalte nachzudenken (vgl. Z. 6–8). S6 kann ihre Lösung daraufhin selbstständig korrigieren.

In der folgenden Sequenz formuliert S6 Unsicherheit hinsichtlich einer Stelle der Zahlenfolge, es wird jedoch nicht ganz klar, auf welche Stelle S6 sich bezieht (vgl. Z. 15–17). B1 schlägt ihr als Strategie zur Lösung ihres Problems vor, die gesamte Reihenfolge zu betrachten. S6 kommt dann selbstständig darauf, dass sie zuerst addieren (215 + etwas = 430), anschließend mit 1 subtrahieren (429) und dann wieder addieren muss (429 + etwas = 858). B1 bestätigt die Lösungen mithilfe positiver Rückmeldungen (Z. 20; 22) und fordert S6 bei der zweiten Addition auf, zu präzisieren, wie viel addiert werden muss (Z. 24). Um herauszufinden, welche Zahl addiert werden muss, kommt S6 selbstständig auf den Ansatz, die Umkehrrechnung durchzuführen und die beiden Zahlen miteinander zu subtrahieren. So kommt sie auf das Ergebnis 429.

B1 stimmt zu und fragt anschließend, was S6 auffällt (vgl. Z. 32). Aus dem der abgedruckten Szene folgenden Transkript wird deutlich, dass B1 hier nach der Beobachtung fragt, dass sowohl bei der 215 als auch bei der 429 die Zahl mit sich selbst addiert wird, sich also verdoppelt. S6 formuliert stattdessen erneut ihre Beobachtung, dass abwechselnd addiert und subtrahiert wird. Um S6 zu unterstützen, macht B1 den Vorschlag, die Pfeile mit den jeweiligen Rechnungen zu beschriften, deutet direkt auf einen Pfeil, den S6 beschriften soll (Aufmerksamkeitslenkung) und geht daraufhin die weiteren Pfeile (vgl. Z. 37–40) durch.

Im ersten Fallbeispiel lässt sich beobachten, dass die Lehrkraft dem Schüler zunächst die Freiheit einräumt, seine Rechnung selbst zu strukturieren und zu präsentieren, jedoch nach zwei Fehlversuchen des Schülers zunehmend Großteile der Kommunikation übernimmt. Die Lehrkraft wechselt von einem offenen Format sukzessiv in einem Trichtermuster der Kommunikation hin zu einem immer geschlosseneren Format. S3 wird dadurch zunehmend in eine passive Rezipientenrolle gedrängt. Er liefert dadurch nur noch minimale Kommunikationsbeiträge in Form von Ein-Wort-Antworten, die alle im fragenden Ton formuliert sind und sich bis auf den letzten Beitrag auf das Erraten der passenden Zahl zum Erweitern beziehen. Er ist an dem konzeptuellen Bearbeiten der schriftlichen Subtraktionsaufgabe mit mehreren Subtrahenden nur noch als Zuhörer beteiligt. Die Verengung ist auch im Transkript in der Verteilung der Gesprächsanteile zu Beginn und am Ende zu sehen.

Im zweiten Fallbeispiel wird trotz der erschwerten Lesbarkeit des Transkripts sehr deutlich, dass die Förderlehrkraft versucht, die Kommunikation zu öffnen. Sie regt S6 über fokussierende Fragen (vgl. z. B. Z. 18–19 und Z. 24) an, darüber nachzudenken, wie sie auf die Lösung der Aufgabe kommen kann. Sie schafft also nicht einen offenen Raum, in dem gerade leistungsschwache Schüler*innen möglicherweise überfordert wären, sondern strukturiert den Lösungsprozess. Immer wieder übernimmt S6 dadurch größere Anteile der Kommunikation und rechnet ganze Abschnitte selbstständig.

Im Vergleich der beiden Fördersituationen wird der Einfluss der Kommunikation auf den Lernprozess der Schüler*innen besonders deutlich. Während S6 einen großen Anteil an der Lösung des Problems hat, ist dieser bei S3 durch das zunehmende Schließen der Kommunikation durch die Förderlehrerin deutlich geringer. Im Sinne kognitiver Aktivierung erscheint ersteres günstiger für den Lernerfolg der Schüler*innen. Die Vermutung liegt nahe, dass, über den reinen Lernerfolg hinaus, S6 am Ende der Situationen eher als S3 zu dem Gedanken kommen wird, die Aufgabe selbstständig bearbeitet zu haben und so für sich das Fazit ziehen könnte, dass sie den Erfolg des Bearbeitens der Aufgabe selbst bewirkt habe. Dieser Gedanke ist für den Aufbau von Selbstwirksamkeit essenziell (vgl. Abschnitt 2.2.1).

Es bleibt offen, inwieweit eine offenere Form der Kommunikation für S3 bei dieser vermutlich nicht adaptiv auf sein Fähigkeitsniveau abgestimmten Aufgabe möglich gewesen wäre. Die Unterstützungshandlungen hängen stark von genutztem Lernmaterial und deren Passung zum Kompetenzstand der Schüler*innen ab. Dies lässt sich auch am folgenden Fallbeispiel verdeutlichen.

13.4.2 Fallbeispiel 3: Einfluss nicht adaptiven Lernmaterials auf motivationale Komponenten von Förder- und Unterstützungssituationen

Im dritten Fallbeispiel werden drei Situationen aus einer Förderstunde hinsichtlich der adaptiven Passung des Lernmaterials und motivationaler Aspekte reflektiert. Bei den drei Situationen handelt es sich um Situationen aus der Förderstunde von Elif und Johannes zum Thema Kopfrechnen im kleinen Einmaleins. Die Situationen stammen aus einem von Kopfrechenaufgaben unterbrochenen Würfelspiel. An diesem Beispiel wird aufgezeigt, dass in nicht adaptiven Fördersettings die Motivation einzelner Schüler*innen und Schüler*innengruppen unter der mangelnden Passung von Aufgaben- und Fähigkeitsniveau leiden kann.

In der Unterrichtsstunde von Elif und Johannes zum Thema Kopfrechnen im kleinen 1 × 1 wurde zunächst in einem Lehrervortrag die Multiplikation als mehrfache Addition eingeführt und von den Schüler*innen das angeschriebene Tafelbild ins Heft übertragen. Daraufhin wird ein Brettspiel eingeleitet, bei dem die Schüler*innen würfeln und, je nach dem auf welches Feld sie kommen, der nächste dran ist oder sie eine Aufgabe aus dem kleinen Einmaleins im Kopf berechnen müssen. Beantworten sie die Aufgabe richtig, dürfen die Schüler*innen zwei Felder vor, beantworten sie sie falsch, müssen sie ein Feld zurück. Das Spiel nimmt einen Großteil der Stunde ein, weil ein Würfel für ein zweites Spielfeld fehlt. In den drei betrachteten Szenen (chronologisch sortiert) berechnen zwei Schüler*innen Aufgaben: S4 in den Szenen 1 und 3 und S1 in Szene 2.

Fall 3 – Szene 1: Elif und Johannes: S4 scheitert an der Aufgabe 7 \(\cdot\) 9–8

1

 

(S4 zieht die Karte sieben mal neun minus acht, B1

2

 

erklärt daraufhin, dass von links nach rechts gerechnet

3

 

werden muss)

4

S4:

Hä, aber das ist voll schwer. (guckt B1 an)

5

B1:

Was ist denn sieben mal neun?

6

S6:

Ich weiß es.

7

S5:

Ich weiß.

8

S4:

Dreiundsechzig?

9

S6:

Richtig.

10

B1:

Und dreiundsechzig minus acht?

11

S4:

Keine Ahnung (S6 stöhnt auf) (.) warte dreiundsechzig

12

 

minus acht (überlegt 13 Sekunden bis B1 hilft)

13

S5:

(flüstert zu S6) Ich weiß es.

14

S6:

Psst die kann das hören. (S3 winkt in die Kamera, S5

15

 

legt ihren Kopf auf den Tisch)

16

B1:

Was hältst du davon jetzt, also wir haben ja hier 63.

17

 

(zeigt auf die Karte) Was sind denn sechzig minus acht?

18

 

(zeigt erneut auf die Karte)

19

S4:

sechzig?

20

B1:

Ja.

21

S4:

Das sind, warte wie ist nochmal die Zahl? (S6 fasst sich

22

 

mit beiden Händen in die Haare) Äh fünf nein.

23

B1:

Sechzig minus acht sind?

24

S4:

Keine Ahnung.

25

B1:

Okay, dann musst du ein Feld zurück.

26

S4:

Okay.

Fall 3 – Szene 2: Elif und Johannes: S1 berechnet 8 \(\cdot\) 10

27

 

(S1 nimmt eine Karte schaut sie zunächst selbst an und

28

 

zeigt sie anschließend B1)

29

B1:

Was ist denn acht mal zehn?

30

S4:

Oh, wie leicht.

31

S1:

Achtzig.

32

B1:

Genau, jetzt darfst du zwei Felder vor.

33

S6:

Wie einfach.

34

S4:

Das ist voll unfair, Alter.

Fall 3 – Szene 3: Elif und Johannes: S4 berechnet 6 \(\cdot\) 7–3

35

 

(S4 kommt auf ein Feld mit einer Aufgabe und sagt „oh

36

 

Nein“)

37

B1:

Sie muss sich kurz konzentrieren. Die Aufgabe lautet?

38

S4:

Oh, das ist voll unfair. sechs mal sieben minus drei.

39

B1:

Okay, und sechs mal sieben sind?

40

S4:

Keine Ahnung.

41

S6:

Die hattest du schonmal.

42

S4:

Warte warte (S1 greift über den Tisch nach dem Würfel)

43

B1:

Warte mal S1 ganz kurz, lass mal S4 kurz überlegen.

44

S4:

(überlegt 6 Sekunden) Weiß ich nicht.

45

B1:

Na, nicht aufgeben.

46

S5:

Rechne doch erstmal die Malaufgabe.

47

B1:

Sechs mal sieben sind was?

48

S4:

Weiß ich nicht, ich habe diese Reihen noch nicht so

49

 

oft gelernt.

50

B1:

Was sind den sechs mal sechs?

51

 

(S1 und S2 unterhalten sich nebenher, S2 nimmt S1

52

 

weiterhin Gegenstände weg)

53

S4:

Sechs mal sechs sind sechsunddreißig.

54

B1:

Und sechs mal sieben?

55

S5:

sechs dazu. Du musst nur noch sechs dazurechnen.

56

S6:

Einfach plus sechs rechnen.

57

B1:

Psst.

58

 

(Während S4 16 Sekunden überlegt, legen sich S6 und S3

59

 

auf den Tisch, anschließend guckt S3 in die Kameras und

60

 

macht Tanzbewegungen, S1 und S2 beschäftigen sich

61

 

weiterhin nebenher, S5 schaut sich ihre Karten an)

62

S4:

Dreizehn?

63

B1:

Wie viel?

64

S4:

Dreizehn?

65

B1:

Nein. Wenn sechs mal sechs sechsunddreißig sind…

66

S4:

Achso.

67

B1:

Was sind dann sechs mal sieben?

68

S3:

Sechs mal sieben.

69

S4:

Also sechsunddreißig plus sechs?

70

B1:

Genau.

71

S4:

Sind ähm zwei und (.) vierzig.

72

B1:

Genau und minus drei.

73

S4:

Äh, sind noch neununddreißig.

74

B1:

Sehr gut, zwei Felder vor.

75

S1:

Geht doch.

76

S5:

Also, geht doch.

77

B1:

Geht doch. S1, du bist dran.

Bevor die Szene 1 startet, gibt B1 S4 Informationen über die Aufgabenstellung, indem sie erklärt, dass die Aufgabe 7 \(\cdot\) 9 – 8 von links nach rechts zu lösen sei. S4 äußert Schwierigkeiten (vgl. Z. 4), woraufhin die Lehrkraft die Aufgabe 7 \(\cdot\) 9 – 8 in die zwei Rechenoperationen Multiplikation (7 \(\cdot\) 9) und Subtraktion (63 – 8) zerlegt (Strukturgebung). Konkret wird die Zerlegung im Benennen des ersten, aktuell zu bearbeitenden Lösungsschritts 7 \(\cdot\) 9. Dieser Lösungsschritt wird von S4 erfolgreich mit der richtigen Lösung bearbeitet und von einer Mitschülerin auch als richtig zurückgemeldet. Von der Lehrkraft wird die Lösung lediglich über das Benennen des folgenden Lösungsschritts 63 – 8 implizit für richtig befunden, wäre die Lösung falsch, würde B1 vermutlich nicht fortfahren.

S4 antwortet darauf mit ‚Keine Ahnung‘ (Z. 11), wiederholt die Aufgabe für sich selbst und überlegt 13 Sekunden lang (in denen sich die Mitschüler*innen sichtbar anderweitig beschäftigen). Die eingeworfenen Zwischenrufe von S5 und S6 (Z. 13–14), das Aufstöhnen von S6 (Z. 11), die Nebenbeschäftigungen von S3, S5 und S6 (Z. 14–15) und das in die Haare Fassen von S6 (Z. 21–22) könnten bei S4 zur Erhöhung des (zeitlichen und emotionalen) Drucks geführt haben und von der eigentlichen Aufgabenbearbeitung abgelenkt haben. Auf den Misserfolg von S4, die Aufgabe trotz langen Überlegens nicht lösen zu können, bietet die Lehrkraft eine Lösungsstrategie des Zerlegens der beteiligten Zahlen an: 63 – 8 = 60 – 8 + 3. Dabei übernimmt sie den ersten Schritt des Lösungsverfahrens selbst, statt das Lösungsverfahren lediglich zu beschreiben (z. B. Zerlege eine der beiden Zahlen): ‚Was hältst du davon jetzt, also wir haben ja hier 63. (zeigt auf die Karte) Was sind denn 60 minus 8?‘ (Z. 16–17). Zweimal fragt S4 daraufhin nach der Aufgabe bzw. der Zahl, woraufhin B1 Entsprechendes jeweils wiederholt und damit die Aufmerksamkeit von S4 auf die Aufgabe lenkt. Als S4 auch die einfachere Aufgabe nicht lösen kann, schließt B1 mit ‚Okay, dann musst du ein Feld zurück‘ (Z. 25). Die Szene schließt somit mit einem Misserfolg für S4. Dass ein*e Schüler*in zurückgehen muss, kommt im gesamten Spiel nur zweimal vor, beide Male muss S4 zurückgehen.

Die Szene 2 schließt fast nahtlos an Szene 1 an und ist exemplarisch für zahlreiche vergleichbare Situationen, in denen die Schüler*innen die gestellten Aufgaben, ohne zu überlegen lösen können. Hier ist S1 auf ein Feld gekommen, bei dem er eine Aufgabe berechnen muss. Die Aufgabe 8 \(\cdot\) 10 wird, nachdem er sie gelesen hat, von B1 wiederholt. S4 kommentiert die Aufgabe mit ‚Oh wie leicht‘ (vgl. Z. 30). S1 löst die Aufgabe korrekt. Die Richtigkeit wird von B1 bestätigt und S1 darf zwei Felder vorgehen. Anschließend kommentiert S6 ebenfalls, wie einfach die Aufgabe sei, und S4 merkt an, dass die Aufgabenverteilung unfair sei.

Die Szene 3 beginnt damit, dass S4 wieder eine Karte mit einer Rechenaufgabe bekommt. B1 fordert die Mitschüler*innen direkt zur Ruhe auf, indem sie sagt, dass S4 sich konzentrieren muss. Auf Nachfrage nennt S4 die Aufgabe 6 \(\cdot\) 7 – 3. B1 zerteilt die Aufgabe direkt in den Multiplikations- und Subtraktionsteil (Strukturgebung, vgl. Fall 3 Szene 1) und benennt den ersten Lösungsschritt 6 \(\cdot\) 7. S4 antwortet mit „keine Ahnung“ (Z. 40), beginnt aber nach einem Hinweis von S6, dass S4 die Aufgabe schon hatte, nochmal nachzudenken. Als S1 nach dem Würfel greifen will, weil er als nächstes an der Reihe ist, hält B1 ihn direkt davon ab, damit S4 überlegen kann (Unterstützung durch Klassenführung, Z. 43). Nachdem S4 überlegt hat, kommt sie noch immer nicht zu dem Ergebnis. B1 fordert sie auf, noch nicht aufzugeben (motivationaler Zuspruch, Z. 45) und wiederholt die Aufgabe erneut. S4 erklärt daraufhin, dass sie die Aufgabe nicht lösen kann, weil sie diese Einmaleins-Reihen noch nicht hinreichend geübt habe. B1 beginnt die Lösungsstrategie Ableiten von bekannten Aufgaben mit S4 durchzugehen (6 \(\cdot\) 7 = 6 \(\cdot\) 6 + 6). Die Aufgabe 6 \(\cdot\) 6 kann S4 direkt lösen, auf das Nennen des Folgeschrittes des Ableitens von 6 \(\cdot\) 7 von 6 \(\cdot\) 6 werden S4 anschließend von S5 und S6 Lösungshinweise gegeben. Diese werden von B1 unterbunden. S4 überlegt daraufhin eine Weile und kommt zu dem Ergebnis 13. Die Vermutung liegt nahe, dass sie 6 + 7 gerechnet hat. B1 verneint diese Lösung und benennt erneut die anstehende Rechnung für die Lösungsstrategie ‚Wenn 6 mal 6 36 sind, was sind dann 6 mal 7?‘ (Z. 65–67). S4 scheint daraufhin den Gedanken zu verstehen und will 36 + 6 rechnen. Sie kommt dann auch schnell zur Lösung und löst auch den letzten Schritt (Subtraktion von 3) schnell. Die Situation schließt mit Lob und Gratulation für S4.

In den drei Szenen wird deutlich, dass das von B1 gewählte Lernmaterial für unterschiedliche Schüler*innen unterschiedlich gut geeignet ist. Während die meisten Schüler*innen mit den Aufgaben mühelos zurechtkommen und ggf. sogar unterfordert sind, hat S4 Probleme, die Aufgaben allein oder sogar mit Hilfe zu lösen. Es kann hier für alle Schüler*innen davon ausgegangen werden, dass sie große Teile dieser Förderstunde nicht auf ihrem optimalen Niveau arbeiten. Unter motivationalem Gesichtspunkt ist diese Beobachtung von großer Relevanz. Das Arbeiten auf einem nicht passenden Niveau hat in beide Richtungen negative Implikationen für die Selbstwirksamkeit der Schüler*innen. Die Schüler*innen, die unterfordert sind, können keine Erfolge erreichen, weil die Aufgaben zu einfach sind und keine Herausforderung darstellen. Für S4 ist die erste Situation aus entgegengesetzten Gründen motivational ungünstig. Abgesehen davon, dass ihre Mitschüler*innen in beiden Szenen eine äußerst ungünstige Lernatmosphäre schaffen (Z. 13–22), kann S4 in der ersten Situation die Aufgabe nicht selbstständig lösen und muss sich trotz Unterstützung von der Förderlehrkraft einen Misserfolg eingestehen. Zu merken, dass man selbst im Förderunterricht, also dem Ort, wo sich in der Regel die leistungsschwächsten Schüler*innen sammeln, noch versagt, ist sicherlich nicht förderlich für den Aufbau eines positiven akademischen Selbstkonzepts. Ärgerlich ist es für S4 an dieser Stelle, dass sie bei dieser Aufgabe an etwas scheitert, das gar nicht Ziel der Förderstunde war, nämlich an defizitär ausgebauten Grund- bzw. Operationsvorstellungen zur Subtraktion. Über die ungünstige Aufgabenverteilung an die Schüler*innen hinaus erschwert die intransparente Hilfestellung der Lehrkraft die Aufgabenlösung durch S4. Beispielsweise erscheint S4 durch den Aufgabenwechsel von 63–8 zu 60–8 zusätzlich verwirrt (Z. 19).

Besonders ist die dritte Szene, in der die Lehrkraft eine zunächst unüberwindbar herausfordernde Aufgabe gemeinsam mit S4 so bearbeitet, dass sie diese zu großen Teilen selbst lösen kann. Hier scheinen die Bedingungen für eine Förderung von Selbstwirksamkeit gegeben zu sein.

Die Lernsituation dieses Brettspiels ist aus noch zwei weiteren Aspekten eher ungünstig für den Aufbau von Selbstwirksamkeit bei leistungsschwachen Schüler*innen. Zum einen werden die Schüler*innen in dieser Organisationsform nur sehr selten aktiviert. Die Schüler*innen berechnen aufgrund des Spielsettings in einer vergleichsweise langen Zeit nur sehr wenige Aufgaben. Die Möglichkeiten, Lernerfolge zu sammeln, sind dadurch rein zeitlich eingeschränkt. Zum anderen ist es durch die Zufälligkeit der Aufgabenverteilung und der Schwierigkeit der Aufgaben nur bedingt möglich, adaptiv passende Aufgaben für eine heterogene Schülerschaft bereitzustellen. Eine bessere Möglichkeit hinsichtlich dieses Aspekts wäre es, Aufgaben unterschiedlichen Schwierigkeitsgrades zur Wahl anzubieten, die dann ggf. unterschiedliche Spielbelohnungen ermöglichen, oder entsprechende Unterstützungsangebote bereitzustellen.

Mit Fall 3 Szene 1 ist ein weiteres Beispiel für eine Situation gegeben, in der die Lehrkraft die Aufgabenbearbeitung nur wenig lenkt und die Unterstützung eher offen gestaltet. S4 wird die Lösung der neuen Aufgabe 60 – 8 selbst überlassen. Es ist zumindest fraglich, ob für S4 ein enger geführter Lösungsweg nicht eher zu einem Abschluss mit Erfolg geführt hätte.