Im Unterricht von heterogenen Schüler*innengruppen sind Lernschwierigkeiten ein konstitutiver Bestandteil. Besonders im Fach Mathematik ist diese Thematik Gegenstand zahlreicher Diskussionen und Untersuchungen geworden (vgl. zusf. Gold 2018; Moser Opitz 2013). Der Umgang mit den Lernschwierigkeiten von Schüler*innen ist besonders vor dem Hintergrund der Forderung nach der Berücksichtigung von Verschiedenheit und der Förderung der Potentiale aller Schüler*innen eine zentrale Herausforderung für Lehrkräfte (vgl. z. B. Kultusministerkonferenz 2018).

Schwierigkeiten beim Mathematiklernen können für betroffene Schüler*innen mit zahlreichen Nachteilen verbunden sein. Diese umfassen deutlich langsamere und geringere Lernfortschritte, entsprechend schwache Mathematikleistungen und Defizite in verschiedenen Bereichen des Mathematiklernens wie dem Basisstoff oder dem Problemlösen (vgl. Moser Opitz 2013). Schwierigkeiten beim Mathematiklernen weisen negative Zusammenhänge zu verschiedenen Voraussetzungen erfolgreichen Lernens, wie Aufmerksamkeits- und Gedächtnisfunktionen, Vorwissen und Strategienutzung sowie zu verschiedenen motivationalen Variablen, wie der Selbstwirksamkeit, dem akademischen Selbstkonzept und Attributionen für Erfolge und Misserfolge auf (vgl. Hasselhorn und Gold 2017; Schunk und DiBenedetto 2016; Marsh et al. 2005; Graham und Taylor 2016). Diese Schwierigkeiten können aus kognitiven Einschränkungen der Schüler*innen oder unangemessener Beschulung resultieren (vgl. Moser Opitz 2013).

Lehrkräfte, die diese speziellen Ausgangsbedingungen von Schüler*innen mit Schwierigkeiten beim Mathematiklernen berücksichtigen wollen, müssen einige Besonderheiten bei der Gestaltung von Lernangeboten beachten. Diese Besonderheiten umfassen auf mathematischer Ebene eine Fokussierung auf mathematischen Basisstoff und nutzvolle Lern- und Lösungsstrategien (vgl. Schipper 2005; Moser Opitz 2013). Aus motivationspsychologischer Perspektive liegt das Ziel der Förderung auf einem Aufbau von Selbstwirksamkeit, Selbstkonzept und günstigen Kausalattributionen (vgl. Bandura 1997; Marsh und Shavelson 1985; Weiner 2010). Darüber hinaus gelten die Qualitätskriterien der Effizienz der Klassenführung, der kognitiven Aktivierung und konstruktiven Unterstützung wie für mathematischen Regelunterricht (vgl. Kunter und Voss 2011; Gold 2016).

Vor dem Hintergrund dieser spezifischen Herausforderungen gewinnt die Frage nach den professionellen Kompetenzen von Lehrkräften, Schüler*innen mit Schwierigkeiten bei Mathematiklernen individuell fördern zu können, an Relevanz. Kompetenz wird mit Blömeke et al. (2015) und Hammer (2016) als latente Disposition definiert, die einer Bewältigung praktischer Anforderungssituationen zugrunde liegt und umfasst dabei Weinert (2014) folgend sowohl kognitive als auch affektiv-motivationale Aspekte. Nach dem Ansatz von Blömeke et al. (2015), die Kompetenz als Kontinuum konzeptualisieren, werden Kompetenzfacetten auf drei Ebenen unterschieden: Die kognitiven und affektiv-motivationalen dispositionalen Faktoren, die situationsspezifischen Fähigkeiten der Wahrnehmung, Interpretation und Entscheidungsfindung und das konkrete beobachtbare Handeln.

Es überrascht, dass, trotz des steigenden Interesses der mathematikdidaktischen Forschung sich mit motivationalen Prozessen empirisch zu beschäftigen (vgl. Schukajlow et al. 2017), die hinter erfolgreichem Handeln im Handlungsfeld individueller Motivationsförderung im Fach Mathematik stehenden Kompetenzen bislang kaum modelliert und erforscht wurden. Diese Arbeit leistet einen Beitrag dazu, diese Forschungslücke zu schließen, indem sie auf Basis einer Analyse von Anforderungen, denen Lehrkräfte im Rahmen von motivationsförderlichem mathematischen Förderunterricht gegenüberstehen, und einer umfassenden Literaturrecherche dispositionale Facetten einer neu konzeptualisierten professionellen Kompetenz, motiviertes Lernen zu fördern herausarbeitet. Die Facetten umfassen verschiedene Wissensaspekte, motivationale Orientierungen und Überzeugungen zum Lehren und Lernen, die erfolgreichem Handeln in diesem Bereich zugrundeliegen. Diese Facetten stehen theoretisch und empirisch eng im Zusammenhang mit dem Mathematiklernen der Schüler*innen und verschiedenen motivationalen Aspekten.

Das zentrale Erkenntnisinteresse dieser Arbeit bezieht sich auf die dispositionalen Faktoren und die Performanz-Ebene der professionellen Kompetenz, motiviertes Lernen zu fördern. Zu den erfolgreichem Lehrer*innenhandeln zugrundeliegenden dispositionalen Faktoren sind bereits einige große Studien durchgeführt worden (vgl. Blömeke, Kaiser, Lehman 2008; Kunter, Baumert et al. 2011). Allerdings beziehen diese sich auf die gesamte Tätigkeit von Lehrkräften und versuchen, einen allgemeinen umfassenden Überblick über die wichtigsten Dispositionen zu geben. Eine ausführliche Untersuchung der spezifischen Kompetenzen, die motivationsförderlichem Unterrichtshandeln im Fach Mathematik zugrundeliegen, steht noch aus. Hinsichtlich der dispositionalen Faktoren stellt sich aus der Perspektive der Lehrer*innenbildungsforschung insbesondere die Frage nach der Entwicklung dieser Aspekte im Rahmen von universitären Veranstaltungsformaten. Zur Performanz-Ebene, also dem real beobachtbaren motivationsförderlichen Handeln von Lehrkräften im Mathematikunterricht, ist bisher wenig bekannt. Diese Arbeit soll daher einen ersten fokussierten Einblick in das professionelle Handeln von angehenden Mathematiklehrkräften geben. Der Schwerpunkt soll aufgrund der hohen Relevanz für Schüler*innen mit Schwierigkeiten beim Mathematiklernen auf Unterstützungshandlungen gelegt werden. Durch die Bearbeitung dieser Fragen wird ein wichtiger Beitrag für die Erforschung von Lehrer*innenkompetenzen geleistet und es werden neue Ansätze für die Aus- und Fortbildung von Mathematiklehrkräften gewonnen.

Die Dissertation ist eingebunden in ein Teilprojekt des Projekts BiprofessionalFootnote 1, welches Teil der Bielefelder Qualitätsoffensive Lehrerbildung vom Bundesministerium für Bildung und Forschung ist. Im Rahmen dieses Teilprojekts wurde in einer KooperationFootnote 2 von Mathematikdidaktiker*innen und Psycholog*innen ein in der Mathematikdidaktik etabliertes Veranstaltungsformat mit integrierter Praxisphase zur individuellen Förderung von Schüler*innen mit Schwierigkeiten beim Mathematiklernen adaptiert und um motivationspsychologische Aspekte ergänzt. Die Veranstaltung setzt den inhaltlichen Schwerpunkt auf das regelmäßige Ermöglichen von Erfolgen bei den Schüler*innen und bietet einen Handlungsrahmen für angehende Mathematiklehrkräfte zur Umsetzung einer motivationsförderlichen mathematischen Förderung. Inhaltlich werden mathematikdidaktische Elemente der Diagnostik, Grundvorstellungen und individuellen Förderung mit motivations-psychologischen Theorien der Selbstwirksamkeit, Kausalattributionen und Bezugsnormorientierung kombiniert (vgl. Hettmann et al. 2019). Ziel des Projekts ist die evidenzbasierte Evaluation und anschließende Implementation des Veranstaltungskonzepts zur Verbesserung der Lehrer*innenbildung am Standort Bielefeld.

Entsprechend der zwei zentralen Erkenntnisinteressen wurden im Rahmen dieser Arbeit zwei Studien durchgeführt und ausgewertet. In der ersten Studie zu den dispositionalen Faktoren der professionellen Kompetenz, motiviertes Lernen zu fördern, wurde eine quantitative Untersuchung mit Mathematik-Lehramtsstudierenden durchgeführt. Dabei sollte überprüft werden, inwieweit es möglich ist, im Rahmen eines universitären Veranstaltungsformats mit integrierter Praxisphase, in der die teilnehmenden Studierenden eine kleine Schüler*innengruppe individuell fördern, die professionellen Kompetenzen zur Motivationsförderung angehender Mathematiklehrkräfte zu entwickeln. Dazu wurden Studierende, die die entsprechende Veranstaltung belegt haben, zu Beginn und am Ende der Veranstaltung zu den oben genannten Kompetenzfacetten befragt. Neben den Kompetenzfacetten wurden als Indikatoren die Akzeptanz der Studierenden gegenüber der Lehrveranstaltung, motivationale Variablen der in der Praxisphase unterrichteten Schüler*innen sowie Selbstberichte der Studierenden zu eigenen Lernzuwächsen und zur Nutzung der Veranstaltungsinhalte in der Praxis verwendet. Darüber hinaus wurde in einem Pre-Post-Kontrollgruppendesign überprüft, ob es einen Unterschied in der Kompetenzentwicklung gibt, wenn gezielt motivationspsychologische Inhalte in das Veranstaltungskonzept integriert werden.

In der zweiten ergänzenden Studie zu der Performanz-Ebene wurde ein exploratives Design verwendet. Im Rahmen des Veranstaltungskonzeptes mit expliziter Förderung motivationsförderlicher Inhalte wurden mehrere Studierendengruppen in der Praxisphase bei einzelnen Förderstunden gefilmt. Die dabei entstandenen Unterrichtsvideos wurden qualitativ strukturierend ausgewertet, um einen Einblick in die Unterstützungspraxis der Studierenden zu gewinnen und die ablaufenden Prozesse zu verstehen. In der Auswertung der Unterstützungssituationen werden Unterstützungsmuster identifiziert und strukturiert und anhand von Fallbeispielen zwei für die Gestaltung von Unterstützungssituationen zentrale Faktoren, Interaktionsstruktur und Lernmaterial, reflektiert.

In den folgenden Absätzen wird der Aufbau der Arbeit dargestellt, um zu verdeutlichen, wie die aufgeworfenen Erkenntnisinteressen bearbeitet werden. Im theoretischen Teil dieser Arbeit werden zwei Ebenen unterschieden: Die Schüler*innenebene und die Lehrkräfteebene. Im zweiten Kapitel werden mathematische Lernschwierigkeiten begrifflich charakterisiert und Besonderheiten von betroffenen Schüler*innen beim Lernen von Mathematik dargestellt. Dabei werden sowohl kognitive Faktoren als auch affektiv-motivationale Aspekte berücksichtigt. Darauf aufbauend werden Kriterien für das effektive Unterrichten dieser Schüler*innengruppe aufgestellt und theoretisch begründet sowie ein Modell zur Förderung mathematischer Leistung und individueller Motivation bei Schüler*innen mit Schwierigkeiten beim Lernen ausgearbeitet.

Das dritte Kapitel befasst sich mit der Ebene der Lehrkräfte. Hier werden zunächst der Begriff der professionellen Kompetenz definiert und verschiedene Ansätze zur Modellierung professioneller Kompetenzen von Lehrkräften vorgestellt. In der Integration der theoretischen Grundlagen mit einer Anforderungsanalyse der spezifischen Herausforderungen einer motivationsförderlichen mathematischen Förderung, werden die professionelle Kompetenz, motiviertes Lernen zu fördern konzeptualisiert und die einzelnen Facetten dieser Kompetenz theoretisch und empirisch begründet. Den Abschluss des Theorieteils bilden Forschungsergebnisse zur Förderung professioneller Kompetenzen von Lehrkräften in Aus- und Fortbildungsformaten.

Der praktische Teil der Arbeit ist entsprechend der zentralen Erkenntnisinteressen zweigeteilt. In den Kapiteln fünf bis zehn werden Methodik, Auswertung, Ergebnisse und Diskussion der ersten quantitativen Studie zu den dispositionalen Aspekten dargestellt und in den Kapiteln elf bis dreizehn die entsprechenden Kapitel der zweiten qualitativen Studie zur Performanz-Ebene. Abschließend werden die Ergebnisse beider Studien zusammengefasst und ein Ausblick für Forschung und Lehre gegeben.