Schlüsselwörter

Innerpolizeiliche Chatgruppen, die rassistische, menschenfeindliche und NS-verherrlichende Inhalte teilen, Weitergabe von sensiblen Daten aus Polizeicomputern an Rechtsextreme, Polizeiangehörige, die durch Rassismus auffallen und offen Sympathien für Rechtsaußenformationen hegen, Verbindungen von Polizeibeamt:innen in die sogenannte Reichsbürgerszene und zu sogenannten „Preppern“, Polizeiangehörige, die Waffen und Munition zur Vorbereitung eines Umsturzes („Tag X“) zur Seite schaffenFootnote 1 oder als Redner auf Kundgebungen von Corona-Pandemieleugner:innen auftreten und sich als „Polizisten für Aufklärung“ ausgebenFootnote 2.

In den vergangenen fünf Jahren thematisierten Medienberichte fast im Wochentakt, phasenweise fast täglich, tatsächliche oder vermeintliche rechtsextreme Erscheinungsformen und Vorfälle in deutschen Polizeibehörden. Allein 2019 soll es journalistischen Recherchen zufolge zu „mehr als 200 Fälle[n] mit rechtsextremem Hintergrund in der deutschen Polizei“ gekommen sein.Footnote 3 Vorkommnisse auf verschiedensten Organisationsebenen sind aus vielen Bundesländern und von Bundespolizeibehörden berichtet worden: Auszubildende im mittleren Dienst und Studierende des gehobenen Dienstes an den Polizeifachhochschulen der Länder traten genauso in Erscheinung wie Angehörige aus Landeskriminalämtern, von Spezialeinsatzkräften oder ganz normaler Polizeidienststellen. Zuletzt rückte sogar die Polizei des Deutschen Bundestages in den Fokus kritischer Berichterstattung.Footnote 4 Neben Presseberichten liegen aus kritischer Perspektive einige z. T. umfangreiche aktuelle publizistische Arbeiten vor.Footnote 5 Generell lässt sich festhalten, dass „der Umfang des Phänomens ‚Rechtsextremismus in der Polizei‘ gegenwärtig nicht datenfundiert eingegrenzt werden kann“Footnote 6. Dennoch dürfte bei aller Unterschiedlichkeit der jeweils skandalisierten Begebenheiten mittlerweile klar sein: Von einer bloßen Häufung von „Einzelfällen“ lässt sich kaum mehr sprechen. Zu Recht spricht Hans-Gerd Jaschke von „Alarmsignalen[n], die […] nach Erklärungen verlangen“Footnote 7. Thomas Feltes und Holger Plank rechneten – mit Blick auf entsprechende und weit verbreitete Relativierungen – zudem vor, was es bedeute, wenn 99 % aller Polizeivollzugsbediensteten auf dem Boden des Grundgesetzes stehen: „Rechnet man mit dieser Annahme, dann wären es dennoch bei annähernd 280.000 Polizeibeamt*innen in Deutschland rund 2.800, die Grenzen überschreiten.“Footnote 8 Angesichts der Tatsache, dass diese Personen sowohl Zugang zu sensiblen Daten, als auch zu Waffen haben und überdies über „taktische und operative Kenntnisse“ verfügen, wird deutlich, dass „hieraus eine erhebliche Gefahr für den Staat und die Gesellschaft“ entsteht.Footnote 9

1 Lagebilder, Zahlen, Definitionen

Das Bundesamt für Verfassungsschutz kommt 2020 in einem Lagebild zu naturgemäß weit niedrigeren Zahlen, da dieses nur „solche Sachverhalte“ berücksichtigt, „aufgrund derer im Zeitraum vom 01. Januar 2017 bis zum 31. März 2020 dienst- und arbeitsrechtliche Maßnahmen oder Verfahren wegen des Verdachts von rechtsextremistischen Einstellungen oder Verhaltensweisen eingeleitet wurden“.Footnote 10

Das berücksichtigt also nur das ausgesprochene Hellfeld, also die Vorfälle, die a) den Behördenleitungen überhaupt bekannt wurden bzw. so eingestuft worden sind, und bei denen b) seitens der Behördenleitungen arbeits-, disziplinar- oder beamtenrechtliche Schritte bzw. Strafermittlungen eingeleitet worden sind.

„Zu den 319 Verdachtsfällen wurden insgesamt 303 Verfahren eingeleitet. Es wurden. 237 disziplinarrechtliche Verfahren (78 %), 48 Verfahren mit dem Ziel der Entlassungen/Nichternennungen in das Beamtenverhältnis auf Probe (16 %) sowie 18 arbeitsrechtliche Maßnahmen (6 %) eingeleitet. In dem genannten Zeitraum wurden zudem 261 strafrechtliche Verfahren eingeleitet.“Footnote 11 Interessant ist bei diesen Zahlen, die sich übrigens summarisch auf alle Sicherheitsbehörden der Bundesländer – also auch der Verfassungsschutzämter bzw. -abteilungen – beziehen, noch, dass es überwiegend um „sonstige[n] rechtsextremistischen Handlunge[n] (68 %)“ geht. „Darunter zählt etwa der Austausch von Chatnachrichten mit verfassungsfeindlichen Symbolen oder Äußerungen mit verfassungsfeindlichem Inhalt.“ In nur sehr wenigen Verfahren ging es um Mitgliedschaft in oder Kontakten zu einer rechtsextremen Organisation.Footnote 12

Doch was heißt das eigentlich, „Rechtsextremismus in der Polizei“? Von welchem Begriff von „Rechtsextremismus“ wird ausgegangen? Geht es um das Vorhandensein oder die Verbreitung entsprechender Haltungen und Einstellungen? Geht es um Mitgliedschaft in Organisationen, die vom Verfassungsschutz als rechtsextremistisch eingestuft sind? Oder geht es um Handlungen und zielgerichtete Organisationsversuche, etwa um Bildung entsprechender Zellen und Netzwerke?Footnote 13 Polizeiintern werden entsprechende Vorkommnisse offenbar zusätzlich noch nach „Handlungsformen: Digital und analog“ aufgeschlüsselt.Footnote 14

Das Problem beginnt schon mit der Begrifflichkeit. Der Begriff „Rechtsextremismus“ umfasst viele Ebenen, ist in Teilen umstritten und wird sehr unterschiedlich definiert. Seine Alltagsverwendung ist nicht deckungsgleich mit der der Sicherheitsbehörden und den in der Wissenschaft vorzufindenden Definitionen und Definitionsangeboten.

Wenn man von dem in den Sicherheitsbehörden allgemein verwendeten vergleichsweise engen Extremismusbegriff ausgeht, der als vermeintliche Hauptzielrichtung des Rechtsextremismus die Ablehnung der FDGO ausmacht, wird man hier vor allem Bedienstete in den Blick nehmen, die eindeutig rechtsextremen Vereinigungen, Parteien oder sonstigen Gruppierungen angehören oder mit diesen offen sympathisieren. Zwar gab es in der Vergangenheit immer wieder einzelne Suspendierungen und Entlassungen, darunter zum Teil relativ prominente „Einzelfälle“ wie der 1976 aus dem baden-württembergischen Polizeidienst entlassene NPD-Politiker Jürgen SchützingerFootnote 15, man wird aber insgesamt eher doch von wenigen Fällen ausgehen müssen.

Es wird der Sache aber kaum gerecht, nur die im eigentlichen Sinne neonationalsozialistischen Positionen in den Blick zu nehmen. Überhaupt, darauf hat unlängst Alexander Bosch hingewiesen, könne „ein zu stark an der juristischen Praxis orientierter Begriff von Rechtsextremismus […] den Blick“ verzerren und „zu einer Engführung bei der Problemanalyse“ führen.Footnote 16 Schließlich geht es nicht allein um straf- und disziplinarrechtlich relevante Vorkommnisse. Eine solche Engführung, so ließe sich vermuten, könne auch die Zahlen des „Lagebildes“ des BfV erklären. Der inzwischen vorliegende Abschlussbericht der hessischen „Experten-Kommission Verantwortung der Polizei in einer pluralistischen Gesellschaft“ orientiert sich an einem sozialwissenschaftlichen Rechtsextremismusbegriff, wie er in den sogenannten „Mitte-Studien“ Verwendung findet: „,Rechtsextremismus‘ wird in diesem Zusammenhang auf der Einstellungsebene als Muster verstanden, ‚dessen verbindendes Kennzeichen Ungleichwertigkeitsvorstellungen darstellen‘, die einerseits auf der politischen Ebene (Befürwortung diktatorischer Regierungsformen, chauvinistische Einstellungen, Verharmlosung oder Rechtfertigung des Nationalsozialismus) und andererseits auf der sozialen Ebene (antisemitische, ausländerfeindliche und sozialdarwinistische Einstellungen) nachzuweisen sind.“Footnote 17 Der jüngst vorgelegte Bericht der „Sonderkommission zu institutionellem Antisemitismus, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit in der Landespolizei Sachsen-Anhalt vom März 2021“ konnte zwar keine „Hinweise auf institutionellen, das heißt durch gesellschaftliche oder institutionelle Strukturen bedingten Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit oder Rassismus“ feststellen, bemängelte aber die Verbreitung von antisemitischen Klischees und rassistischen Bezeichnungen für einzelne Gruppen. Die Sonderkommission habe „die Überzeugung gewonnen, dass die unbefangene Verwendung antisemitischer Stereotype wie ‚Jude‘ für eine ‚geschäftstüchtige‘ Person, ‚Faschistendienstag‘ für die gezielte Kontrolle von Ausländern oder auch ‚Kanacke‘ oder ‚Neger‘ für Ausländer und Schwarze verbreitet ist“Footnote 18.

2 Rechtsextremismus in der Polizei – Eine Frage der Einstellungen?

Viele Diskussionen und Spekulationen in letzter Zeit drehten sich also vorrangig um die Frage, wie verbreitet rechtsextreme Einstellungen innerhalb der Polizei und weiterer Sicherheitsbehörden sind und ob, bzw. wie sich diese in irgendeiner Form messen lassen können. Die Diskussion über das Vorhandensein rechtsextremer, xenophober oder rassistischer Einstellungen innerhalb der Polizei ist allerdings nicht neu. Sie wurde in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten immer wieder geführt. Meist waren es bestimmte medial bekannt gewordene Skandale, Vorkommnisse und Vorfälle, die entsprechende Debatten befeuerten. Hier ist vor allem an die frühen 1990er-Jahre zu erinnern. Denn die ersten Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung waren auch geprägt von der Entgrenzung und Popularisierung menschenfeindlicher Einstellungen in weiten Teilen der Gesellschaft sowie einer Welle schwerer rechtsmotivierter Gewalttaten und Anschläge. Konfrontiert mit massiver Fremdenfeindlichkeit und Rassismus, einer schon während des Zerfalls der DDR entstandenen rechtsextremen Jugendszene, die sich zunächst vor allem in Ostdeutschland rasch ausbreiteteFootnote 19 und einem sprunghaften Anstieg schwerer GewalttatenFootnote 20, wirkten Einsatzkräfte (vor allem die in dieser Zeit im Auf- und Umbau befindliche Polizei der neuen Bundesländer) in vielen Fällen sichtlich überfordert.Footnote 21 Durch umstrittene Einsätze, taktische Fehleinschätzungen und mangelnde Präsenz bei pogromartigen Krawallen usw. stand die Polizei wiederholt in der öffentlichen Kritik. Das betraf keinesfalls nur die ostdeutsche Polizei. Kritische Stimmen führten die zu beobachtenden „polizeilichen Verhaltensmuster“ auch auf die Beharrlichkeit alter Feindbilder und neuer Stereotype zurück: So sei das polizeiliche Versagen – etwa in Rostock-Lichtenhagen 1992 oder beim ersten erfolgreichen Rudolf-Hess-Marsch 1995 – „die fatale Folge einer jahrzehntelangen Fixierung auf und Konditionierung gegen links. Das alte Feindbild erweist sich als resistent. Verschärfend kommt hinzu, dass die fremdenfeindliche Stimmung in der Bevölkerung sich offenbar rasch und in weiten Teilen innerhalb der traditionell eher konservativ ausgerichteten Polizei durchgesetzt hat.“Footnote 22

Generell lässt sich festhalten, dass „es nur sehr wenige wissenschaftliche Studien gibt, die rechtsextremistische Tendenzen in der Polizei in den Blick genommen haben“Footnote 23. Die Frage, inwieweit oder wie weit innerhalb der Polizei selbst fremdenfeindliche und rechtsextreme Einstellungen verbreitet sind, wurde aber bereits in den 1990er-Jahren durch erste Studien aufgegriffen. So untersuchten Sozialwissenschaftlerinnen und Sozialwissenschaftler Zusammenhänge zwischen Belastungssituationen im polizeilichen Alltag und rechten Grundhaltungen sowie zwischen individuellen Einstellungen von Beamtinnen und Beamten und deren Verbreitung innerhalb der Behörden. Mit Blick auf die in dieser Zeit durchgeführten Studien und Untersuchungen unterschied der Sozialwissenschaftler Frank Gesemann vier maßgebliche Forschungsansätze:

  • Der erste Forschungsansatz konzentrierte sich auf individuelle Einstellungen von Polizeibeamt:innen und versuchte mit Hilfe von Befragungen, die Verbreitung fremdenfeindlicher und rechtsextremer Einstellungen und Orientierungsmuster in der Polizei zu ermitteln.

  • Im zweiten Ansatz wurde ein möglicher Zusammenhang zwischen polizeilichen Belastungen und Fremdenfeindlichkeit in der Polizei im städtischen Raum untersucht.

  • Der Dritte widmet sich der Analyse des Einflusses von Risikokonstellationen im Polizeialltag auf das Verhältnis von Polizei und „Fremden“. Damit verbunden war die Frage, ob spezifische Risikokonstellationen zum Entstehen fremdenfeindlicher Aktivitäten bei Polizeibeamt:innen beitragen.

  • Im vierten Forschungsansatz wurde in Abgrenzung zu den persönlichkeitsbezogenen Ansätzen, die eine individuelle Diskriminierung von Fremden durch Polizeibeamt:innen in den Blick nehmen, Ethnizität als diskriminierendes Selektionskriterium von Organisationen betrachtet.Footnote 24

Große Resonanz erhielt das von der damaligen Polizei-Führungsakademie (PFA) – der heutigen Deutschen Hochschule der Polizei – in Münster-Hiltrup in Auftrag gegebene Forschungsprojekt „Polizei und Fremdenfeindlichkeit“, dessen Titel von den beauftragten Wissenschaftler:innen wenig später zur Fragestellung „Fremdenfeindlichkeit in der Polizei?“ präzisiert wurde.Footnote 25 In der 1996 veröffentlichten Studie wurden Erfahrungen und Sichtweisen von Polizeibeamtinnen und -beamten im Umgang mit ethnischen Minderheiten erfasst und umfassend ausgewertet. Die Ergebnisse verwiesen zwar auf „einen deutlichen Zusammenhang zwischen alltäglichen Belastungen und Überforderungen im Dienst, die die Gefahr von Übergriffen erhöhen“Footnote 26, brachten jedoch keine Ergebnisse hervor, die pauschale Rückschlüsse zuließen, um der Polizei strukturell oder systematisch Fremdenfeindlichkeit zu attestieren. Dies führte zu widersprüchlichen Urteilen innerhalb und außerhalb der Polizei, die von positiven („sehr realistisch“) bis hin zu negativen Beurteilungen („eine weitere pauschale Diffamierung der Polizei“, „eine Bagatellisierung und Entschuldigung polizeilicher Übergriffe“) reichten.Footnote 27

Im Verlauf der wissenschaftlichen Auseinandersetzung kam es zu einer Erweiterung des kritischen Blicks. Fortan stand auch die Interaktion der Polizei mit Teilen der Gesellschaft im Fokus. Vermehrt wurden nun beide Perspektiven analysiert – die der Beamtinnen und Beamten und die ihres Gegenübers. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte sich die deutsche Polizeiforschung in erster Linie auf Einstellungen und Orientierungsmuster von Angehörigen der Polizei sowie auf institutionelle Anpassungsprozesse konzentriert. Das Interaktionsgeschehen etwa zwischen Polizei und Minderheiten war dabei „kaum, und wenn, dann lediglich einseitig aus der polizeilichen Perspektive betrachtet“ worden.Footnote 28 Eine weitere Verschiebung und gleichzeitige Differenzierung der Debatte bildet die in den letzten Jahren vermehrt geführte Auseinandersetzung über institutionellen Rassismus und „Racial Profiling“ Generell kann zunächst festgehalten werden, dass „unzulässiges Racial Profiling rechtsextremistische Hintergründe haben“ kann, aber nicht zwingend haben muss.Footnote 29 Bei „Racial Profiling“ handelt es sich um eine polizeiliche Kontrollpraxis, „bei der ohne konkrete Indizien für einen Verdacht das äußere Erscheinungsbild, etwa die Hautfarbe oder andere sogenannte ethnische Merkmale, als Entscheidungsgrundlage für bestimmte polizeiliche Maßnahmen herangezogen wird. Den kontrollierten Personen werden pauschal bestimmte polizeilich relevante Verhaltensmuster zugeschrieben.“Footnote 30 Eng verbunden mit der kritischen Diskussion um Racial- bzw. Ethnic Profiling ist der Vorwurf der Existenz eines „institutionellen Rassismus“ in den Polizeibehörden. Schon in den 1990er Jahren wurde über institutionellen Rassismus in der deutschen Polizei diskutiert. Dies geschah jedoch fast ausschließlich in kritischen Teilen der Öffentlichkeit und kaum innerhalb der polizeilichen Institutionen. Eine erste große Studie untersuchte 2010 empirisch, ob auch für die deutsche Polizei von institutionellem Rassismus als einem stabilen Phänomen gesprochen werden könne.Footnote 31 Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler stellten fest, dass in allen Gesprächen mit Polizeiverantwortlichen diskriminierendes Verhalten abgelehnt werde und man sich keiner Benachteiligung von bestimmten Personengruppen bewusst sei. Die Autorinnen und Autoren der Studie bezweifelten die Glaubhaftigkeit dieser Aussage zwar nicht, gaben jedoch zu bedenken, „dass es dabei gar nicht ‚um den Vorwurf bösabsichtlichen Handelns‘ geht, sondern darum, dass diskriminierendes Verhalten von Polizeibeamten gegenüber gesellschaftlichen Randgruppen ‚ganz überwiegend nicht explizit und intentional, sondern durch die vorhandenen Strukturen und Regelungen, also implizit und kaum merklich‘ geschieht“.Footnote 32

Auch weitere aktuelle Veröffentlichungen zu Racial Profiling und institutionellem Rassismus widmen sich kritisch der polizeilichen Praxis. In ihren Analysen gehen die Autorinnen und Autoren einem strukturellen Rassismus nach, der aufgrund gesamtgesellschaftlicher Zustände in den Institutionen „eingeschrieben ist, also sich in deren Praxen und Anordnungen systematisch organisiert“Footnote 33. Auch die Frage, inwieweit institutioneller Rassismus eine Rolle beim Nichtentdecken der Mord- und Terrortaten des sogenannten Nationalsozialistischen Untergrundes eine Rolle gespielt hat, ist in den zahlreichen parlamentarischen NSU-Untersuchungsausschüssen breit erörtert worden. Bezogen auf das Versagen von Polizei und Nachrichtendiensten bei den Ermittlungen zur NSU-Anschlags- und Mordserie fand der erste Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages fraktionsübergreifend deutliche Worte. Er konstatierte „schwere behördliche Versäumnisse und Fehler sowie Organisationsmängel bis hin zum Organisationsversagen bei Behörden von Bund und Ländern vor allem bei Informationsaustausch, Analysefähigkeit, Mitarbeiterauswahl und Prioritätensetzung“Footnote 34. Um einiges schärfer formulierte die Menschenrechtsorganisation Amnesty International: „Der Unwillen der deutschen Polizei, dem mutmaßlichen rassistischen Hintergrund der Morde angemessen nachzugehen, […] deutet auf einen zugrunde liegenden institutionellen Rassismus hin. Das soll nicht heißen, dass einzelne Polizeibeamt_innen […] selbst Rassist_innen waren oder die Behörden […] rassistische Methoden anwendeten, sondern dass die Behörden als Institution ihrer Pflicht nicht nachgekommen sind, Menschen ungeachtet ethnischer Zugehörigkeiten oder rassistischer Zuschreibungen gleich zu behandeln.“Footnote 35 Die Debatte hatte 2020 auch unter dem Eindruck tödlicher rassistisch motivierter Polizeigewalt in den USA hier deutlich an Fahrt aufgenommen.

In der öffentlichen Debatte nahm 2020/2021 die Frage der Notwendigkeit einer breit angelegten Einstellungsstudie („Rassismusstudie“) innerhalb der Polizei breiten Raum ein. Befürworter:innen sehen hierin einen Schlüssel zum Verständnis des Phänomens „rechtsextremistischer Vorfälle in der Polizei“; Kritiker:innen warnten vor Vorverurteilung und der Stigmatisierung einer ganzen Berufsgruppe. Inzwischen haben sowohl der Bund, als auch einige Länder entsprechende Studien veranlasst oder in Auftrag gegeben.

3 Rechtsruck in der Gesellschaft: Die extreme Rechte im Aufwind

Klar scheint: Die Art und Weise der gesellschaftlichen Auseinandersetzungen etwa um die Fragen von Sicherheit, Migration oder Globalisierung haben auch Wirkungen auf Haltungen innerhalb der Polizei. Zu erörtern wäre, welche Auswirkungen der in Teilen der bundesdeutschen Gesellschaft zu beobachtende gegenwärtige Rechtsruck auf die Sicherheitsbehörden und die Polizeiorganisation jeweils genau hat. Aus dem bisher Gesagten ist abzuleiten, dass Polizeivollzugsbedienstete für autoritäre ordnungspolitische Positionen offenbar eher empfänglich sind als andere Berufsgruppen. Geht man davon aus, dass unter Polizeibeamt:innen konservative Parteien vergleichsweise mehr Zustimmung erfahren, als andere, stellt sich die Frage, wie die Situation zu bewerten ist, wenn diese Parteien sich zu rechtsextremen Parteien wandeln. Diese Frage stellte sich in den 1980er Jahren bei der Partei DIE REPUPLIKANER und sie stellt sich aktuell bei der Alternative für Deutschland (AfD). Beide Parteien entstanden maßgeblich am rechten Rand der Union und radikalisierten sich in der Folge nach rechts und beiden Parteien wurde und wird eine vergleichsweise große Zustimmung innerhalb der Sicherheitsbehörden nachgesagt.

Für eine erhöhte Präferenz der AfD innerhalb der Polizei spricht die überdurchschnittliche Repräsentanz von Polizeiangehörigen in den Parlamentsfraktionen der Rechtsaußenpartei.Footnote 36 Allein in der Bundestagsfraktion der AfD der vergangenen Legislaturperiode befinden sich sieben freigestellte oder ehemalige Polizeibeamte. Unter den von der AfD in den Bundestag bzw. in die Länderparlamente entsandten Parlamentariern finden sich Polizeibeamte verschiedener Dienstränge vom einfachen „Vollzugsbeamten bis hin zu dem Rang eines Kriminaloberrats“Footnote 37. Die in der AfD organisierten Polizeivollzugsbediensteten sehen sich dabei freilich selbst als letzte verbliebene parlamentarische Fürsprecher einer von allen Seiten angefeindeten Behörde.Footnote 38 Traditionell bezieht sich die extreme Rechte – trotz klarer Frontstellung gegen den menschenrechtsorientierten demokratischen Verfassungsstaat oder die Republik und trotz Aufstands- und Umsturzrhetorik – positiv auf den Staat als Ordnungssystem und Machtmittel. Dies lässt sich auch bei der AfD beobachten, die es schafft, einerseits die fehlende Rückendeckung und den mangelnden Respekt für die Polizei zu beklagen und andererseits tagtäglich an der Demontage des Vertrauens in die staatlichen Institutionen mitzuwirken.

Man wird sehen, wie sich der Umgang der Behördenleitungen mit der AfD zugehörigen Polizeivollzugsbediensteten entwickeln wird, gerade weil derzeit kaum davon auszugehen ist, dass irgendwelche „gemäßigten Kräfte“ innerhalb der Partei die weitere rechtsextreme Ausrichtung der AfD werden stoppen können. Es ist eher davon auszugehen, dass die Partei dauerhaft und flächendeckend von den Verfassungsschutzbehörden beobachtet wird. Bemerkenswert ist die inzwischen erfolgte klare Positionierung der Gewerkschaft der Polizei (GdP) in dieser Frage, die eine gleichzeitige Mitgliedschaft in GdP und AfD als für nicht vereinbar beschloss.Footnote 39

4 Rechtsextremistische Bestrebungen oder: Netzwerke, Seilschaften, Cliquen?

Jenseits der Fragen, welche Verbreitung rechtsextreme Gesinnungen in der Polizei haben und auch nicht deckungsgleich mit der Frage von Parteizugehörigkeiten einzelner Beamt:innen ist ein anderer Aspekt von grundsätzlicher Relevanz: Gibt es Anzeichen einer rechtsextremen Netzwerkbildung im Sinne proaktiver Organisationsversuche innerhalb der Polizei? Gibt es eine gezielte Infiltration deutscher Polizeibehörden durch rechtsextreme Gesellungen? Existieren konspirativ arbeitende, abgeschottete „Zellen“ innerhalb der Polizei, die mit Gruppen und Personen der extremen Rechten außerhalb interagieren?

Die bekannt gewordenen Vorkommnisse – etwa die aufgedeckten Umsturzplanungen („Tag X“) des Hannibal-Netzwerkes – zeigen, dass es erste Ansätze solcher Phänomene gibt. Es lassen sich aber bislang keinerlei valide Aussagen machen, inwieweit diese Erscheinungen absolute Ausnahmefälle darstellen oder ob hier im Verborgenen weitere Strukturen existieren, bzw. im Aufbau befindlich sind. Journalistische Aufarbeitungen zeigen einerseits plausibel, dass „die Frage danach, wie tief eine rechtsextreme Vernetzung in der Polizei reicht, […] noch immer unbeantwortet – und auch juristisch keineswegs aufgearbeitet [ist]“Footnote 40 und legen anderseits nahe, dass die Ermittlungsbehörden größeres Aufsehen bis hin zum „Staatsskandal“ zu vermeiden suchtenFootnote 41.

Folgt man den Schlussfolgerungen des Lagebildes der „Stabsstelle Rechtsextremistische Tendenzen in der Polizei NRW“ so sind „konspirative und handlungsorientierte rechtsextremistische Netzwerke nicht nachweisbar“. Die in den als „innerdienstliche ‚Gesinnungsgemeinschaften‘“ charakterisierten Chatgruppen als „dominierende Inhalte“ ausgemachten „typische[n] Merkmale des Rechtsextremismus“ bildeten „sich in dieser Kombination und Konzentration realweltlich nicht ab“.Footnote 42 Mag der Befund aus Behördensicht für NRW zutreffen, sind doch erhebliche Zweifel an dieser Lesart angebracht. Zumindest „weisen die zahlreichen aufgedeckten Gruppen auf ein bedrohliches Potenzial hin, das in dieser Deutlichkeit nie zuvor dokumentiert war“Footnote 43.

Grundsätzlich existieren in Sicherheitsbehörden unterschiedliche Formen informeller Strukturen. Diese wären organisationssoziologisch stärker in den Blick zu nehmen: „Es ist noch immer zu wenig bekannt über interne und informelle Gruppenbildungsprozesse in den Sicherheitsbehörden. Welcher Mitarbeiter und welche Mitarbeiterin schließt sich aus welchen Gründen welcher internen Gruppe an? Lassen sich solche Gruppen klassifizieren nach bestimmten Kriterien wie etwa politisch/unpolitisch, freizeitbezogen/dienstbezogen und Ähnlichem. Hierbei wäre ein zentrales erkenntnisleitendes Forschungsinteresse, ob es Andockpunkte gibt für rechtsextreme Orientierungsmuster“, so zusammenfassend Hans-Gerd Jaschke in einem aktuellen Aufsatz.Footnote 44

5 Fazit und Ausblick

Auch wenn die Kette von Vorfällen nicht abzureißen scheint, lässt sich doch ein gewisser Wandel im Umgang mit der Problematik in der Polizei feststellen: „In den 1990er Jahren ist das Problem verharmlost […], auch tabuisiert worden.“ Seit der Jahrtausendwende, ist „das Problembewusstsein gestiegen, […] als klar wurde, Polizei muss mit dem Thema Rechtsextremismus auch in den eigenen Reihen sehr viel sensibler umgehen“Footnote 45. Grundsätzlich wird man aber davon ausgehen müssen, dass eine erhöhte Sensibilisierung auch innerhalb der Behörden für eine verstärkte Sichtbarkeit des Problems gesorgt hat. Schließlich sind nicht alle der „Chatgruppen“ zufällig aufgeflogen, sondern oft sorgten interne Hinweise und Anzeigen aus der jeweiligen Behörde für entsprechende Ermittlungen.

Insgesamt gibt es inzwischen zahlreiche Bemühungen, innerhalb der Polizeibehörden politische, historisch-politische und interkulturelle Bildung zu verstärken.Footnote 46 Diese Bildungsmaßnahmen zielen zum Teil darauf ab, das Wissen um Rechtsextremismus zu verbessern sowie die Toleranz und sozial respektive interkulturelle Kompetenz der Polizistinnen und Polizisten zu stärken. Generell ist seit den 2000er-Jahren das „Bemühen unverkennbar, Fremdenfeindlichkeit bei der Polizei zunehmend offensiver anzugehen“Footnote 47.

Grundsätzlich besteht seit Jahren ein empirisches Forschungsdesiderat: Die meisten validen sozialwissenschaftlichen Untersuchungen zu rechten bis rechtsextremen Einstellungen unter Polizistinnen und Polizisten stammen aus den 1990er-Jahren, neuere Untersuchungen gibt es kaum. Auch ist die strukturelle Dimension des Problems noch zu wenig im Blick: Denn „die Forschung zu Rassismus und Rechtsextremismus und Polizei, das haben Daniela Hunold und Maren Wegner gezeigt, beschäftigt sich überwiegend mit Fragen innerpolizeilicher Einstellungsmuster […]. Wenn Rassismus aber an Herrschaft und subtile Formen von Macht gekoppelt ist, dann wird Rassismus nicht nur von einzelnen Personen praktiziert und verbreitet, sondern reproduziert sich in den Alltagspraxen der Einzelnen und auch der (sicherheitsbehördlichen) Institutionen. Dieser Aspekt wurde aber bisher kaum rassismuskritisch untersucht.“Footnote 48

Man muss kein Prophet sein, um davon auszugehen, dass uns die Problematik weiter beschäftigen wird. Die inzwischen in einzelnen Ländern eingeleiteten Maßnahmen, dem Rechtsextremismus in den Behörden entgegenzuwirken, sind zwar sinnvoll, verbleiben aber vorrangig auf dem Gebiet der individuellen Einstellungsmuster einzelner Beamtinnen und Beamter. Das löst nicht das Problem, wie mit den Polizeivollzugsbediensteten umzugehen ist, die sich bewusst und proaktiv extrem rechten Inhalten zuwenden und in entsprechenden Kontexten vernetzt sind. Und es erspart auch nicht die Debatte darüber, welche strukturelle Rahmenbedingungen und Vorgaben Rechtsextremismus bei der Polizei ermöglichen oder gar befördern.