Schlüsselwörter

1 Einleitung

Polizeiliche Handlungen sind rechtfertigungsbedürftige Eingriffe in die (Grund- und) Menschenrechte, die sowohl völker- als auch unionsrechtlich verankert sind. Menschenrechte gelten unmittelbar und sind auch im Rahmen einer völkerrechtsfreundlichen und -konformen Auslegung und Anwendung nationalen Rechts, einschließlich des Verfassungsrechts, stets im Blick zu halten. In diesem Beitrag liegt der Fokus auf dem menschenrechtlichen Diskriminierungsverbot aufgrund der Rasse, das insbesondere in den letzten zwei Jahrzehnten sowohl in den höchstrichterlichen Entscheidungen als auch in den Arbeiten von Menschenrechtsausschüssen eine Belebung, Konturierung und nicht zuletzt eine Dogmatisierung erfahren hat.Footnote 1 Menschenrechtliche Diskussionen und höchstrichterliche Entscheidungen hatten vor allem die Praxis des Diskriminierungsverbots aufgrund der Rasse sowie rechtswidrige Anwendung der Gewalt zum Gegenstand. Auch im Kontext neuer Sicherheitsrechtsarchitektur bleibt das Diskriminierungsverbot aufgrund der Rasse im Hinblick auf die Gefahrenabwehr relevant.

Dieser Beitrag wird die menschenrechtlichen Vorschriften, die für die polizeiliche Praxis relevant sind, systematisch darstellen und im Hinblick auf die im jeweiligen Normbereich entwickelten Grundsätze diskutieren. Zu diesem Zweck werden zwei menschenrechtsrelevante Normebenen herangezogen: Völker- und Unionsrecht. Bevor die Regelwerke dieser beiden Ebenen detailliert ausgearbeitet werden, ist zu fragen, inwiefern das Diskriminierungsverbot aufgrund der Rasse auch zwingendes Völkerrecht ist (Abschn. 2.1). Auf völkerrechtlicher Ebene wird der Fokus insbesondere auf der Antirassismuskonvention (Abschn. 2.2) liegen, nicht zuletzt, weil diese eine praktikable Definition von rassischer Diskriminierung bietet, die die Bundesregierung für ihre Würdigung nationalrechtlicher Vorschriften zugrunde legt (Abschn. 2.2.1). Außerdem werden die einschlägigen Allgemeinen Empfehlungen (General Recommendations) des UN-Antirassismusausschusses, insbesondere die letzte Allgemeine Empfehlung zu „Preventing and Combating by Law Enforcement Officials“ (2020), diskutiert (Abschn. 2.2.2).

Des Weiteren werden die zu Art. 2, 3 und 14 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) entwickelten Grundsätze in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) im Hinblick auf polizeiliches Handeln thematisiert. In dieser sehr umfangreichen Rechtsprechung werden die menschenrechtlichen Maßstäbe anhand von Beispielen von polizeilicher Gewaltanwendung, Tötung und Gewahrsam eruiert. Hier wird anhand des Verständnisses des Diskriminierungsverbots in seinen materiellen und prozeduralen Aspekten, der Rechtfertigungsanforderungen und der Beweislastregelung gezeigt, dass der EMRK – wie auch der Antirassismuskonvention ein strukturelles Verständnis von Rassismus zugrunde liegt (Abschn. 2.3).

Auf unionsrechtlicher Ebene werden das Diskriminierungsverbot aus Art. 21 EU-Grundrechtecharta GRC und die Rechtsprechung zum Schengener Grenzkodex vorgestellt. Die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union bietet für die Interpretation nationaler Polizei- bzw. Sicherheits- und Ordnungsgesetze eine wichtige menschenrechtliche Orientierung.

2 Völkerrechtliche Grundlagen

Das Verbot der Diskriminierung aufgrund der Rasse ist im Völkerrecht allgegenwärtig. Neben der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (AEMR) enthalten nahezu alle UN-Konventionen ein Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Rasse innerhalb ihrer allgemeinen Diskriminierungsklauseln, exemplarisch sei hier auf Art. 2, 26 UN-ZivilpaktFootnote 2 sowie Art. 2 Abs. 2 UN-Sozialpakt verwiesen. Im Bereich von rassistisch motivierter Gewalt, einschließlich solcher Gewalt, die im Kontext von Polizeiarbeit auftreten kann, rücken insbesondere das Internationale Übereinkommen zur Bekämpfung aller Formen rassischer Diskriminierung (ICERD 1965) und die europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK 1950) in den Vordergrund. Die wichtigen Beiträge des MenschenrechtsausschussesFootnote 3 sowie des Ausschusses gegen Folter sollten an dieser Stelle ebenso Erwähnung finden.Footnote 4

2.1 Das Diskriminierungsverbot aufgrund der Rasse als zwingendes Völkerrecht

Über seinen völkergewohnheitsrechtlichen Charakter hinaus, stellt sich die Frage, inwiefern das Verbot rassischer Diskriminierung auch als zwingendes Völkerrecht (ius cogens) gilt. Das ist insofern wichtig, weil Menschenrechte mit einem ius cogens Charakter abwägungsfest sind.Footnote 5 In der deutschen Fachliteratur, wird der ius cogens Charakter des Diskriminierungsverbots aufgrund der Rasse nicht eindeutig beantwortet.Footnote 6 Der Internationale Gerichtshof hat dem Verbot der Diskriminierung aufgrund der Rasse eine erga omnes Wirkung zugeschrieben.Footnote 7 Weitere Belege lassen sich in den Arbeiten von dem International Law Committee finden.Footnote 8 Auch in der internationalen Literatur findet diese Rechtsauffassung weitgehend Zustimmung.Footnote 9

Teilweise wird argumentiert, dass lediglich dem Verbot von systematischen, staatlich geförderten Formen von rassischer Diskriminierung wie etwa Apartheid der Charakter des ius cogens zukommt. Dies kann schon deshalb nicht überzeugen, weil die Geschichte des Rassismus an Belegen überfüllt ist, dass Rassismus nur strukturell erfasst werden kann und erst durch staatliche Diskriminierungspolitiken begründet wurde und wird: paradigmatisch und exemplarisch: Segregation, Apartheid, NS-Rassenpolitik. Genau das ist der wesentliche Grund, warum völkerrechtliche – und auch verfassungsrechtliche – Diskriminierungsverbote primär vor staatlichen Ungleichbehandlungen schützen sollen. Eine Grenzziehung zwischen krassen (z. B. Apartheid) und vermeintlich weniger gravierenden Formen staatlicher Diskriminierungspraktiken ist außerdem historisch und sachlich kaum zu rechtfertigen. Zudem können „weniger krasse“ Formen von rassischer Diskriminierung ebenso systematisch erfolgen, etwa – und gerade – beim Racial Profiling oder bei anderen kriminalpolitischen Maßnahmen, die entlang der Einteilungen nach Rasse, ethnischer Herkunft, Hautfarbe und in der neuen Sicherheitsarchitektur aufgrund des Merkmals Religion gestaltet werden.Footnote 10 Die Historie der Völkermorde veranschaulicht nicht zuletzt, dass diesen immer eine Phase von Staatspraktiken mit „weniger krassen“ rassischen Diskriminierung und Entrechtungen vorangingen.Footnote 11 Daher spricht Vieles dafür, das Diskriminierungsverbot aufgrund der Rasse kategorisch als zwingendes Völkerrecht zu verstehen. Folglich scheidet eine Rechtfertigung von rassischer Diskriminierung aus. Aus dem ius cogens Charakter des Diskriminierungsverbotes aufgrund der Rasse lässt sich zudem schlussfolgern, dass dieses auch für Staaten, die menschenrechtliche Verträge mit einem solchen Diskriminierungsverbot nicht ratifiziert haben, verbindlich ist.Footnote 12

2.2 Antirassismuskonvention

Das Internationale Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von rassischer Diskriminierung vom 21. Dezember 1965 (ICERD, Antirassismuskonvention)Footnote 13 gilt seit der Ratifikation Deutschlands als Bestandteil des bundesdeutschen Rechts und erzeugt damit unmittelbare Wirkung.Footnote 14

2.2.1 Art. 1 Abs. 1 ICERD: Diskriminierungsverbot aufgrund der Rasse

Die Antirassismuskonvention ist der erste rechtsverbindliche Text mit einer Legaldefinition von rassischer Diskriminierung.Footnote 15 Gemäß Art. 1 Abs. 1 ICERD ist unter „rassischer Diskriminierung“ jede auf der Rasse, der Hautfarbe, der Abstammung, der nationalen oder ethnischen HerkunftFootnote 16 beruhende Unterscheidung, Ausschließung, Beschränkung oder Bevorzugung zu verstehen, die zum Ziel oder zur Folge hat, dass dadurch ein gleichberechtigtes Anerkennen, Genießen oder Ausüben von Menschenrechten und Grundfreiheiten im politischen, wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen oder in jedem sonstigen Bereich des öffentlichen Lebens vereitelt oder beeinträchtigt wird. Der Anwendungsbereich der Antirassismuskonvention erstreckt sich auf den politischen, wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und jeden sonstigen öffentlichen Bereich (Art. 1 Abs. 1 ICERD).Footnote 17

Aus Art. 1 Abs. 1 ICERD lassen sich folgende Strukturmerkmale ableiten: Erstens die Diskriminierungsmerkmale Rasse, Hautfarbe, Abstammung, nationale oder ethnische Herkunft, die als Tatbestandsmerkmale rassische Diskriminierung (umfassend) erfassen sollen. Diese sind in der Konvention nicht näher definiert. Merkmale wie Religion und Sprache fehlen, obwohl diese rassistische Handlungen mitbedingen oder begründen können. Zudem normiert die Konvention eine Ausnahme für Ungleichbehandlungen aufgrund der Staatsangehörigkeit.Footnote 18 Eine unterschiedliche Behandlung muss zweitens in einer Unterscheidung, Ausschließung, Beschränkung oder Bevorzugung liegen. Dies soll anhand eines Vergleiches zweier Sachverhalte festgestellt werden. Drittens muss ein Zusammenhang bzw. Kausalität zwischen Handlung und Diskriminierungsmerkmal vorliegen, das heißt, die Ungleichbehandlung muss auf dem Diskriminierungsmerkmal „beruhen“ (based on) bzw. „aufgrund von“ (on the grounds of) dem Diskriminierungsmerkmal erfolgen.Footnote 19 Dabei genügt es, wenn die Ungleichbehandlung nicht ausschließlich auf das Diskriminierungsmerkmal Rasse zurückgeführt werden kann, sondern Rasse neben weiteren Faktoren die Ungleichbehandlung mit sich bringt. Dies ist im Lichte des Zwecks der Konvention, umfassenden Schutz vor Diskriminierung zu garantieren, zu sehen. Eine vierte Voraussetzung für das Vorliegen einer rassischen Diskriminierung ist Absicht oder diskriminierende also nicht notwendigerweise intendierte Wirkung sowie Nachteil bzw. Schaden, welcher in der Vereitelung oder Beeinträchtigung der Anerkennung des Genusses und der Ausübung von Menschenrechten und Grundfreiheiten liegen kann.Footnote 20 Der Ausschuss sieht im Tatbestandsmerkmal der „diskriminierenden Wirkung“ den Verweis auf mittelbare Diskriminierung, auch wenn die mittelbare Diskriminierung nicht in der Definition der „rassischen Diskriminierung“ in Art. 1 Abs. 1 ICERD enthalten ist. Für diese weite Auslegung spricht auch Art. 2 Abs. 1 lit. c ICERDFootnote 21 (sogleich unten) sowie Allgemeine Empfehlungen des CERDFootnote 22. Eine mittelbare Diskriminierung liegt dann vor, wenn ein Verfahren, ein Kriterium oder eine Maßnahme zunächst neutral erscheinen, faktisch aber eine bestimmte Gruppe benachteiligt.

Art. 1 Abs. 1 ICERD legt also ein differenziertes Verständnis von Diskriminierung zugrunde, insbesondere verdeutlicht dieser, dass danach Rassismus kein Problem individueller Vorurteile darstellt, sondern institutionell und strukturell in der Gesellschaft verankert ist, einschließlich in staatlichen Einrichtungen. Die Kategorien Rasse und Ethnizität sind als soziale Konstruktion zu verstehen und beruhen deshalb gerade nicht auf der Vorannahme, es existierten homogene oder biologische rassische und ethnische Gruppen.Footnote 23

2.2.2 Art. 2 Abs. 1 ICERD: Staatliche Verpflichtungen

Art. 2 Abs. 1 ICERD normiert staatliche Verpflichtungen in Bezug auf die Bekämpfung von rassischer Diskriminierung und ist damit charakteristisch für ein Menschenrechtsregelwerk. Nach Art. 2 Abs. 1 ICERD sind rassisch diskriminierende Handlungen und Strukturen in allen staatlichen Behörden zu beseitigen. Die Antirassismuskonvention begründet keine unmittelbaren subjektiven Rechte, sondern verpflichtet lediglich die Vertragsstaaten, umfangreiche Maßnahmen zu ergreifen.Footnote 24 In Bezug auf staatliche Handlungen inklusive solche der Polizei sind insbesondere lit. a, der sowohl eine Unterlassungs- als auch Gewährleistungspflicht normiert, und lit. cFootnote 25, der die Vertragsstaaten dazu verpflichtet staatliche Politiken im Hinblick auf Rassendiskriminierung zu überprüfen, von Bedeutung.Footnote 26

Art. 2 Abs. 1 lit. a ICERD verpflichtet die Staaten einerseits mit allen geeigneten Mitteln unverzüglich eine Politik der Beseitigung der rassischen Diskriminierung in jeder Form und der Förderung des Verständnisses unter allen rassischen bzw. ethnischen oder nationalen Gruppen zu verfolgen und zu diesem Zweck „Handlungen oder Praktiken der Rassendiskriminierung gegenüber Personen, Personengruppen oder Einrichtungen zu unterlassen“ (sog. Unterlassungspflicht), und andererseits „dafür zu sorgen, dass alle staatlichen und örtlichen Behörden und öffentlichen Einrichtungen im Einklang mit dieser Verpflichtung handeln“ (sog. Gewährleistungspflicht). Adressat der Pflichten aus Art. 2 Abs. 1 lit. a ICERD ist der Vertragsstaat. Er muss gewährleisten, dass Behörden auf nationaler und lokaler Ebene das Diskriminierungsverbot einhalten. Der Begriff der „staatlichen und örtlichen Behörden“ ist im Hinblick auf den Zweck der Konvention weit und unabhängig vom nationalen Verständnis von „Behörden“ auszulegen. Mit „Behörden“ im Sinne der Konvention sind staatliche Verwaltungsorgane gemeint, die unter einem unmittelbaren oder mittelbaren Weisungsrecht stehen.Footnote 27 Für die Polizei ist dies unproblematisch zu bejahen. Die Unterlassungspflicht umfasst sowohl die mittelbare als auch die unmittelbare Diskriminierung.Footnote 28

Art. 2 Abs. 1 lit. c ICERD normiert die staatliche Verpflichtung zur Überprüfung von staatlichen Politiken. Die Vertragsstaaten müssen also wirksame Maßnahmen treffen, um das Vorgehen der Behörden zu überprüfen, und alle Gesetze und sonstige Vorschriften ändern, aufheben oder für nichtig erklären, die eine rassische Diskriminierung – oder dort, wo eine solche bereits besteht, ihre Fortsetzung – bewirken.

Wenn der Vertragsstaat sich Art. 14 unterworfen hat, können Betroffene von Diskriminierung (Individuen oder Personengruppen, einschließlich juristischer Interessenvereine) individuell gegen den Staat verfahren, wenn dieser seinen Verpflichtungen nicht nachkommt in dem Sinne, dass entweder legislativ gar keine Rechte eingeräumt wurden oder im Einzelfall gerichtlicher oder behördlicher Rechtsschutz nicht gewährt wurde, z. B. wenn „die Verweigerung der Strafverfolgung durch die nationalen Behörden offensichtlich willkürlich ist oder auf eine Rechtsverweigerung hinausläuft.“Footnote 29 In diesem Sinne begründet die Antirassismuskonvention über die positiven Verpflichtungen hinaus – jedenfalls in Art. 4, 5 und 6 ICERD – auch subjektive Rechte gegen den Vertragsstaat.Footnote 30 Schließlich ist festzuhalten, dass bei der Erfüllung ihrer Verpflichtungen den Vertragsstaaten ein Ermessensspielraum zukommt.Footnote 31

2.2.3 Art. 4 ICERD: Verpflichtungen zu strafrechtlicher Bekämpfung von Rassismus

Deutschland ist nach Art. 4 ICERD zudem verpflichtet, einen strafrechtlichen Rahmen zur Bekämpfung rassisch diskriminierender Äußerungen und Handlungen zu schaffen.Footnote 32 Dazu gehört die Inkriminierung der Verbreitung von rassistischen Ideen und des Aufreizens oder Unterstützung rassischer Diskriminierung, die gesetzliche Untersagung rassistischer Organisationen oder sonstiger Propagandatätigkeiten, die Unterbindung der Förderung der Diskriminierung durch staatliche Behörden bzw. öffentliche Einrichtungen.Footnote 33 Gerade die Verpflichtung für staatliche Behörden erscheinen im Hinblick auf die zahlreichen Vorfälle in unterschiedlichen landespolizeilichen Behörden, in denen rechtsextreme Chatgruppen Strukturen aufgedeckt wurden, relevant.Footnote 34 Dementsprechend obliegt es nach der Antirassismuskonvention der Bundesrepublik Deutschland, neben dienstrechtlichen Maßnahmen auch einen wirksamen menschenrechtsorientierten strafrechtlichen Rahmen für diskriminierende Praktiken und Propagandatätigkeiten zu schaffen.Footnote 35

2.2.4 UN-Ausschuss gegen Rassismus (CERD)

Im Hinblick auf polizeiliche Praktiken liegen mittlerweile einige Allgemeine Empfehlungen des UN-Antirassismusausschusses vor, die regelmäßig auf die Dringlichkeit und Notwendigkeit einer antirassistischen und menschenrechtsgeleiteten polizeilichen Arbeit hinweisen. In seiner Allgemeinen Empfehlung Nr. 30 zur Diskriminierung von Nicht-StaatsangehörigenFootnote 36 werden die Vertragsstaaten zur Einhaltung der Menschenrechte gegenüber allen ausländischen Personen unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus gemahnt. Speziell müssten die Staaten garantieren, dass Gesetzgebung keine diskriminierenden Auswirkungen auf Nicht-Staatsbürger:innen hatFootnote 37, und insbesondere rassistischem Verhalten von Polizei entgegen zu wirken.Footnote 38 Zu diesem Zweck seien auch menschenrechtsorientierte (Weiter)Bildungsangebote geboten, eine Empfehlung, die bereits in der früheren kurzen Allgemeinen Empfehlung Nr. 13Footnote 39 (1993) enthalten war. Sicherheitsrechtlich relevant verweist der Ausschuss zudem auf mögliche Gefahren der Stereotypisierung und Reproduktion von Vorurteilen, die bei der Terrorismusbekämpfung aufkommen können.Footnote 40

In der Allgemeinen Empfehlung Nr. 31 des Ausschusses zur Rassismusprävention in der Verwaltung und im Strafrechtssystem von 2015Footnote 41 werden die Vertragsstaaten aufgefordert, Indikatoren für rassistisches Verhalten, bspw. durch die Erhebung von Daten zu Betroffenen von Gewalthandlungen durch die Polizei oder sonstige Sicherheitskräfte, zu bestimmen, und dabei die Pluralität der Betroffenengruppen zu berücksichtigen.Footnote 42 Die geringe Anzahl an Beschwerden über das Verhalten der Polizei dürfe dabei nicht als Realität verstanden werden.Footnote 43

In seiner (bisher umfangreichsten) Allgemeinen Empfehlung Nr. 36 zur Prävention und Bekämpfung von Rassismus durch Justizbeamt:innen hebt der Ausschuss hervor, dass diskriminierende Kontrollen der Polizei basierend auf „Rasse, Hautfarbe, Abstammung, nationaler oder ethnischer Herkunft“ in den Anwendungsbereich des allgemeinen Diskriminierungsverbotes (Art. 2 ICERD), sowie des Grundsatzes der Gleichheit vor dem Gesetz (Art. 5 ICERD) fallen, und somit strengstens verboten sind.Footnote 44 Unter „Racial Profiling“ versteht der UN-Antirassismusausschuss eine „Praxis, bei der Angehörige der Polizei und andere Vollzugsbehörden in einem bestimmten Grad die Rasse, Hautfarbe, Abstammung oder nationale oder ethnische Herkunft als Grundlage für Ermittlungen gegen Personen oder für die Feststellung, ob eine Person einer kriminellen Tätigkeit nachgeht, heranziehen“Footnote 45. Der Ausschuss betont auch, dass rassische Diskriminierung oft mit anderen Diskriminierungsgründen, etwa Religion, Geschlecht, sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität, Behinderung, Alter, Migrationsstatus und Erwerbs- oder sonstiger Status einhergehen.Footnote 46 Staaten müssten gegen Racial Profiling vorgehen, indem sie u. a. folgende Maßnahmen ergreifen: Entwicklung von exakten Leitlinien für Personenkontrollen, Menschenrechtsbildung und Sensibilisierung von Polizeibeamt:innen, auch im Hinblick auf intersektionale Diskriminierung, Einführung von Quoten für marginalisierte Gruppen innerhalb staatlicher Behörden und der Polizei, Interaktion der Polizei auf Augenhöhe mit rassialisierten Gruppen, Einführung einer vom Justizapparat unabhängigen Beschwerdestelle, und Maßnahmen insbesondere in Bezug auf diskriminierende Effekte, die durch den Einsatz von Algorithmen und Künstlicher Intelligenz (KI) entstehen können.Footnote 47

Nicht unbedeutend ist schließlich der Verweis des UN-Antirassismusausschusses auf die negativen Folgen von Racial Profiling für die Opfer: 1) Bestimmte Kategorien von Personen werden durch Racial Profiling überkriminalisiert, 2) Stereotypisierungen und Assoziationen zwischen Straffälligkeit und ethnischer Zugehörigkeit werden verstärkt und missbräuchliche operative Praktiken werden kultiviert, 3) die Inhaftierungsraten für rassialisierte Gruppen steigen durch Racial Profiling, 4) Angehörige rassialisierter Gruppen sind stärker der Gefahr des Gewalt- oder Amtsmissbrauchs durch Polizei ausgesetzt, 5) rassische Diskriminierung und Hassstraftaten werden seltener angezeigt und 6) Gerichte verhängen härtere Strafen gegen Angehörige der betroffenen Bevölkerungsgruppen.Footnote 48

Speziell zu DeutschlandFootnote 49 hat der Ausschuss bereits in seinem letzten SchlussberichtFootnote 50 aus 2015 seine Sorge über den sehr weiten Anwendungsbereich des § 22 Abs. 1 Bundespolizeigesetzes ausgedrückt. Die Vorschrift führe faktisch zu rassischer Diskriminierung. Zumal die Polizei die Kontrollen auf „das Gefühl für bestimmte Situationen“ oder auf „das äußere Erscheinungsbild einer Person“ abstelle, so der Ausschuss. Außerdem sei das Fehlen umfangreicher rassismussensibler Daten zu den Opfern von willkürlichen rassistischen Kontrollen ein großes Hindernis. Neben einer Änderung des § 22 Abs. 1 Bundespolizeigesetz forderte der Ausschuss die Einführung von spezifischen Modulen in die Aus- und Fortbildungseinheiten der Polizei und Sicherheitsüberprüfungen von Polizeianwärter:innen, die Einrichtung unabhängiger Beschwerdeverfahren im Bund und in den Ländern, um polizeiliche diskriminierende Handlungen zu untersuchen und die Durchführung umgehender, gründlicher und unparteiischer Ermittlungen zu allen Anschuldigungen von Racial Profiling. Dabei sollten die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden sowie wirksame Rechtsmittel, z. B. Entschädigung und Garantien der Nicht-Wiederholung, vorgesehen werden.Footnote 51

2.2.5 UN-Menschenrechtsausschuss

Neben der Entscheidungs- und Empfehlungspraxis des Antirassismusausschusses, ist auf die Arbeiten des UN-Menschenrechtsausschusses hinzuweisen.Footnote 52 Dieser verlangt wie der UN-Ausschuss gegen Rassismus z. B. von Staaten regelmäßig, dass rassistisch motivierte Polizeigewalt durch die Polizei oder andere Staatsorgane untersucht und sanktioniert wird.Footnote 53 So stellte der Menschenrechtsausschusses in einem Fall gegen Griechenland, in dem ein Angehöriger der Sinti:zze und Romn:ja behauptete, von der Polizei misshandelt und währenddessen rassistisch beschimpft worden zu sein, fest, dass das jahrelange Verzögern einer Untersuchung nicht nur das Verbot unmenschlicher und erniedrigender Behandlung verletze, sondern auch akzessorisch das Diskriminierungsverbot aus Art. 2 Abs. 2 des Zivilpaktes (ICCPR).Footnote 54

2.3 Europäische Menschenrechtskonvention

Die Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Europäische Menschenrechtskonvention, EMRK)Footnote 55, die 1950 vom Europarat verabschiedet wurde, ist das wichtigste (regionale) Regelungswerk zu Menschenrechten in Europa.Footnote 56 Im Hinblick auf institutionellen Rassismus ist insbesondere das Diskriminierungsverbot in Art. 14 EMRK sowie im Kontext von Polizeigewalt das Recht auf Leben in Art. 2 EMRK und das Verbot erniedrigender Behandlung aus 3 EMRK von Bedeutung und soll im Weiteren dargestellt werden.Footnote 57

2.3.1 Art. 14 EMRK: Diskriminierungsverbot

Im europäischen Menschenrechtssystem existieren in Bezug auf den Schutz vor rassischer Diskriminierung zum einen das akzessorische Diskriminierungsverbot des Art. 14 EMRK und zum anderen das generelle Diskriminierungsverbot des Art. 1 des 12. ZusatzprotokollsFootnote 58.

Art. 14 EMRK normiert ein Diskriminierungsverbot, das besagt, „der Genuss der in dieser Konvention anerkannten Rechte und Freiheiten ist ohne Diskriminierung insbesondere wegen des Geschlechts, der Rasse, der Hautfarbe, der Sprache, der Religion, der politischen oder sonstigen Anschauungen, der nationalen oder sozialen Herkunft, der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, des Vermögens, der Geburt oder eines sonstigen Status zu gewährleisten“. Die Aufzählung enthält neben den von der Antirassismuskonvention gedeckten Diskriminierungsmerkmalen (Rasse, Hautfarbe, nationale und ethnische Herkunft) zusätzlich die Merkmale Sprache, Religion sowie Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit.Footnote 59 Dabei handelt es sich aufgrund des Wortes „insbesondere“ (such as) um eine nicht abschließende Aufzählung. Aus dem Wortlaut des Art. 14 EMRK geht außerdem hervor, dass das Diskriminierungsverbot akzessorischen Charakter im Hinblick auf die in der Konvention anerkannten Rechte und Grundfreiheiten hat, sodass das Diskriminierungsverbot zunächst nur in Verbindung mit einem oder mehreren Konventionsrechten gerügt werden kann.Footnote 60 Die Akzessorietät hat der EGMR allerdings früh, im Belgischen SprachenfallFootnote 61, zugunsten einer effektivitätsorientierten Auslegung abgeschwächt, sodass die Prüfung von Art. 14 EMRK nicht notwendigerweise die Verletzung eines Konventionsrechts voraussetztFootnote 62, sondern es ausreicht, dass der Sachverhalt den Anwendungsbereich einer oder mehrerer Konventionsbestimmungen berührtFootnote 63.

Im Regelfall prüft der Menschenrechtsgerichtshof in einem ersten Schritt, ob der weit auszulegende SchutzbereichFootnote 64 eines anderen Konventionsrechts eröffnet ist, und ob zweitens eine Diskriminierung also eine Ungleichbehandlung wegen einer der inkriminierten Unterscheidungsgründe ohne sachliche Rechtfertigung vorliegt.Footnote 65 Umfasst ist sowohl die unmittelbare als auch die mittelbare Diskriminierung.Footnote 66

2.3.2 Das Diskriminierungsverbot und Polizeigewalt

2.3.2.1 Tötungen durch Polizei: Art. 14 i.V.m. Art. 2 EMRK

Im Kontext von polizeilichen MisshandlungenFootnote 67 mit Todesfolge oder Tötungen mit rassistischem Hintergrund ist Art. 14 i.V.m. Art. 2 EMRK einschlägig.Footnote 68 Der Menschengerichtshof stellte in seinem Grundsatzurteil Nachova/BulgarienFootnote 69 einen materiell- und verfahrensrechtlichen Verstoß gegen Art. 14 i.V.m. Art. 2 EMRK fest. In dem zugrunde liegenden Sachverhalt ging es um zwei Romani, beide 21 Jahre alt, die als Häftlinge von einem Bauplatz flüchteten und anschließend in einem Nachbardorf untertauchten. Die Militärpolizei kam den beiden vier Tage später auf die Spur und betrat das Versteck, um beide zu verhaften. Die beiden Männer versuchten abermals zu entkommen. Die Militärpolizei schoss und traf die beiden unbewaffneten Männer im Kugelhagel, wodurch sie schwer verletzt wurden und wenig später an ihren Wunden verstarben. Nach Zeugenaussagen fiel am Ende des Kugelhagels die Aussage „ihr verdammten Zigeuner“. Laut EGMR stellt jener Fall einen materiell- und verfahrensrechtlichen Verstoß gegen das in Art. 2 EMRK enthaltene Recht auf Leben darFootnote 70, weil die staatliche Pflicht, Leben zu bewahren (preserve life), missachtet und exzessiv Gewalt angewendet wurde. Behörden seien zudem in verfahrensrechtlicher Hinsicht ihrer Pflicht nicht nachgekommen, alle möglichen Schritte zu unternehmen, um zu ermitteln, ob und inwiefern rassistische Beweggründe eine Rolle gespielt haben.Footnote 71 Der Menschenrechtsgerichtshof hob hervor, dass zwischen Gewalthandlungen mit einem rassistischen Hintergrund und ohne solchen zu differenzieren sei, will man rassistisch motivierte Gewalthandlungen nicht verharmlosen. Die Ermittlungspflicht sei zwar nicht im absoluten Sinne zu verstehen, Behörden müssten aber den Umständen entsprechend angemessene und objektive Ermittlungen führen, um alle Indizien auf diskriminierende Beweggründe hin zu prüfen.

Das Urteil wurde jedoch 2015 von der Großen Kammer aufgehoben.Footnote 72 Das Gericht bejahte zwar die Verletzung von Art. 14 i.V.m. Art. 2 EMRK in verfahrensrechtlicher Hinsicht, verneinte allerdings die Verletzung von Art. 14 EMRK in materiellrechtlicher Hinsicht und begründete dies hauptsächlich mit einer strikteren Auslegung des Beweiskriteriums beyond reasonable doubtFootnote 73, nach welcher es dem Staat nicht zumutbar sei, beweisen zu müssen, dass die Militärpolizei keine Diskriminierungsabsicht gehabt habe. Ohne dessen Vorliegen, fehlte es an einem kausalen Zusammenhang zwischen der Erschießung und den behaupteten rassistischen Beweggründen. Die Differenzierung nach materiellem und prozeduralem Tatbestand bei der Prüfung einer Verletzung von Art. 14 i.V.m. Art. 2 EMRK hat die Folgerechtsprechung des Gerichts in Bezug auf Polizeigewalt insofern wesentlich geprägt, als dass der EGMR bis heute nur in den wenigsten Fällen eine materiellrechtliche Verletzung von Art. 14 i.V.m. Art. 2 EMRK angenommen hat und sich mehrheitlich auf eine verfahrensmäßige Verletzung beschränkte.Footnote 74

Ein weiterer bedeutender Fall ist Mizigarova/SlowakeiFootnote 75 (2010). In dem zugrunde liegenden Sachverhalt starb ein Romani infolge seiner Schusswunde im Polizeigewahrsam. Da sich lediglich das Opfer und der Polizist am Tatort befanden, konnte nicht eindeutig festgestellt werden, ob – wie von der Polizei behauptet – eine Selbsttötung mit der polizeilichen Waffe vorliege, oder das Opfer von dem Polizisten, von dem es verhört wurde, erschossen wurde. Verwandte hatten geltend gemacht, dass wirksame Ermittlungen zur Todesursache fehlten, insbesondere vor dem Hintergrund der ethnischen Herkunft des Opfers und der gut dokumentierten und weitverbreiteten Praxis der Misshandlungen von Sinti:zze und Rom:nja durch die slowakische Polizei. Der EGMR verneinte auch hier Diskriminierungsabsicht, betonte jedoch anschließend, dass für Sinti:zze und Rom:nja in bestimmten Fällen unabhängige Beweise, die ein „systematisches Problem“ darlegten, durchaus ausreichen könnten, um einen rassistischen Beweggrund zu bejahen.Footnote 76

2.3.2.2 Polizeiliche Folterpraktiken: Art. 14 i.V.m. Art. 3 EMRK

Neben den zahlreichen Todesfällen haben auch etliche polizeiliche Folterpraktiken den Menschengerichtshof beschäftigt. Bei Fällen, in denen eine Verletzung von Art. 14 i.V.m. Art. 3 EMRK geprüft wird, handelt es sich um die Fragen nach möglichen rassistischen Beweggründen, insbesondere bei polizeilichen Folterpraktiken, Misshandlungen und anderen Übergriffen. Auch in diesen Fällen liegt die Herausforderung in der Beweiswürdigung der diskriminierenden Handlung.Footnote 77 Die Europäische Menschenrechtskommission wies 1973 bereits darauf hin, dass, sofern der erforderliche Grad der Schwere erreicht ist, eine diskriminierende Behandlung einer Bevölkerungsgruppe als erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK gelten kann.Footnote 78

Im Fall Stoica stellte der Gerichtshof eine Verletzung des Diskriminierungsverbots aufgrund der Rasse fest, da in der stereotypisierenden polizeilichen Berichterstattung die angebliche Aggressivität der Menge als „typisch Zigeuner“ („purely Gypsy“) bezeichnet wurde.Footnote 79 Zusammen mit weiteren Umständen nahm der Gerichtshof, prima facie, rassistische Beweggründe an. Im russischen Fall Makhashevy/Russland wurde Russland aufgrund einer Verletzung des Diskriminierungsverbots i.V.m. dem Folterverbot (Art. 3) verurteilt, weil drei tschetschenische Brüder während sie durch die Polizei schwer misshandelt wurden rassistisch beleidigt wurden, was behördlich nicht bestritten wurde.Footnote 80 Während der EGMR in diesen beiden Fällen eine materiellrechtliche Verletzung des Diskriminierungsverbots aufgrund der Rasse annahm, hat der EGMR sich in weiteren Fälle mit einer verfahrensrechtlichen Verletzung begnügt, obwohl die Beweislage nicht wenig überzeugend war.Footnote 81 Daneben entschied der Gerichtshof über Fälle, bei denen die rassistische Gewalt nicht von der Polizei ausging, sondern von Privaten, der Polizei aber fehlende wirksame Ermittlungen vorgeworfen wurde.Footnote 82

Erwähnenswert im Zusammenhang mit Art. 3 EMRK ist – wenngleich keinen Bezug zu Rassismus – zudem der deutsche Fall Hentschel und Stark.Footnote 83 Der Menschenrechtsgerichtshof hat hier zwar einstimmig entschieden, dass die Gewaltanwendung bei einem Fußballspiel durch die Polizei im Hinblick auf Art. 3 EMRK nicht zu beanstanden war. Die Ermittlungsschritte hingegen wurden beanstandet. Denn eine fehlende Kennzeichnung der Polizeibeamt:innen könne praktisch zur Straffreiheit führen.Footnote 84

2.3.3 Racial Profiling

In seinem Timishev-Urteil hat der EGMR die konzeptionellen Überschneidungen zwischen Rasse, Hautfarbe, Ethnizität, nationaler Herkunft und Religion hervorgehoben. Die ethnische Diskriminierung gilt für den Menschenrechtsgerichtshof als eine Form der rassischen Diskriminierung.

In dem zugrunde liegenden Sachverhalt wurde einem tschetschenischen Anwalt behördlich der Zugang in das Gebiet Kabardino-Balkarien verweigert. Der Menschenrechtsgerichtshof entschied, dass die Kontrollmaßnahme eine Verletzung von Art. 14 EMRK i.V.m. Art. 2 ZP 4 darstelle, da sie eine unzulässige Einschränkung der Bewegungsfreiheit aufgrund der Ethnizität sei. In seinem Urteil beschrieb der EGMR zum ersten Mal Rasse und ethnische Herkunft:

„Ethnicity and race are related and overlapping concepts. Whereas the notion of race is rooted in the idea of biological classification of human beings into subspecies according to morphological features such as skin colour or facial characteristics, ethnicity has its origin in the idea of societal groups marked by common nationality, tribal affiliation, religious faith, shared language, or cultural and traditional origins and backgrounds.“Footnote 85

Anstatt EthnizitätFootnote 86 zu definieren versucht der Gerichtshof die Begriffe Rasse und ethnische Herkunft konzeptionell zu umreißen, wobei es nicht für notwendig erachtet wird, in einer ersten Beschreibung des Begriffs Rasse zunächst festzustellen, dass die Existenz und Überlegenheit von menschlichen Rassen mit einer evolutiven Auslegung zu verwerfen ist. „[E]ine Diskriminierung aufgrund der Ethnizität einer Person [wird als] eine Form von rassischer Diskriminierung“Footnote 87 und treffend nicht als Ersatz für Rasse verstanden.

2.3.4 Intersektionalität

Ein für die Polizeiarbeit ebenso wichtiger Fall ist B.S./SpanienFootnote 88, in dem der EGMR das Vorliegen von intersektionaler Diskriminierung, wenn auch ohne den Begriff der Intersektionalität zu nennen, anerkannt hat.Footnote 89 Im vorliegenden Fall wurde von der beschwerdeführenden Partei, einer Schwarzen Sexarbeiterin, erstmals intersektionale Diskriminierung ausdrücklich vor dem Gerichtshof geltend gemacht, da diese von denselben Polizisten mehrmals kontrolliert, misshandelt und rassistisch beschimpftFootnote 90 worden war, während andere weiße Sexarbeiterinnen nicht kontrolliert wurden.Footnote 91 Der Gerichtshof bejahte die Verletzung von Art. 14 i.V.m. Art. 3 EMRK im verfahrensrechtlichen Sinne wegen mangelnder wirksamer Strafverfolgung der spanischen Justizbehörden und der nicht ausreichenden Berücksichtigung der besonderen Verletzlichkeit der Beschwerdeführerin als eine „afrikanische Frau, die Prostitution ausübt“Footnote 92. In diesem Urteil erkannte der Gerichtshof zudem die Praxis des „Racial Profiling“ als strukturelle Diskriminierung an. An diesem Fall wird deutlich, dass es auf der Tatbestandsebene von Art. 14 EMRK keine Engpässe gibt. Die Auflistung von Geschlecht und sozialer Herkunft in Art. 14 EMRK macht es möglich, auch intersektionale Diskriminierungsformen zu erfassen.Footnote 93

3 Unionsrechtliche Grundlagen

Diskriminierungsverbote sind ebenso fester Bestandteil des Unionsrechts. So enthalten Art. 19 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV), sowie Art. 21 der Europäischen Grundrechtecharta (GRC) und die Rasse-Richtlinie 2000/43/EG das Diskriminierungsverbot aufgrund der Rasse. Die EU-Richtlinie schließt an die humangenetische Erkenntnis der Rasse als invalide biologische Kategorie anFootnote 94, um in einem zweiten Schritt eine Lösung für weiterhin hartnäckige diskriminierende rassische Zuschreibungen zu finden.

3.1 Art. 21 Grundrechtecharta: Diskriminierungsverbot

Art. 21 GRC ergänzt den allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 20 GRC um besondere Diskriminierungsverbote. Gemäß Abs. 1 sind „Diskriminierungen insbesondere wegen des Geschlechts, der Rasse, der Hautfarbe, der ethnischen oder sozialen Herkunft, der genetischen Merkmale, der Sprache, der Religion oder der Weltanschauung, der politischen oder sonstigen Anschauung, der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, des Vermögens, der Geburt, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung […] verboten“. Damit formuliert Art. 21 Abs. 1 GRC einen eigenständigen Anwendungsbereich und eine eigenständige Zielsetzung neben Art. 19 AEUV, an den er sich hauptsächlich anlehnt. Art. 19 AEUV gilt dabei als Kompetenzgrundlage der Union für den Erlass von Gesetzgebungsakten. Art. 21 GRC soll keine neue Zuständigkeit schaffen, sondern Erlass und Anwendung des Unionsrechts grundrechtlich umfassen.Footnote 95 Art. 21 GRC enthält als rassismusrelevante Diskriminierungsmerkmale Rasse, Hautfarbe, Sprache, Religion, ethnische Herkunft und Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit. Auch hier wird durch den Wortlaut „insbesondere“ deutlich, dass es sich nicht um eine abschließende Aufzählung handelt. Art. 21 GRC ist außerdem ein allgemeines Diskriminierungsverbot, das unmittelbar anwendbar ist.Footnote 96 Für die Auslegung der unionsrechtlich rassismusrelevanten Merkmale ist hier die Rechtsprechung des Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 14 EMRK heranzuziehen, wie dies der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) im CHEZ-UrteilFootnote 97 ausführt.

3.2 Schengener Grenzkodex

Der Schengener GrenzkodexFootnote 98 ist eine EU-Verordnung zur Regelung von Identitätskontrollen bei Grenzübertritten innerhalb des Schengen-Raums und bei Eintreten in den Schengen-Raum. Der EuGH entschied bereits mehrere Fälle in Bezug auf das Diskriminierungsverbot aufgrund der Rasse und Schleierfahndungen. Unter einer Schleierfahndung wird eine verdeckte verdachtsunabhängige Personenkontrolle verstanden. Im vorliegenden Fall ging es um die Identitätskontrolle eines Schwarzen Mannes in Frankreich. Der EuGH stellte in seinem Urteil fest, dass eine Regelung, die den Polizeibehörden die Befugnis einräumt, in einem Gebiet von 20 km entlang der Landgrenze die Identität jeder Person unabhängig von deren Verhalten und dem Vorliegen besonderer Umstände, aus denen sich eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ergibt, dem Schengener Grenzkodex entgegenstehe, der den Zweck hat, Grenzkontrollen abzuschaffen. Identitätskontrollen im Grenzraum, die die gleiche Wirkung wie Grenzübertrittskontrollen haben, sind demnach unionsrechtlich nicht zulässig.Footnote 99 2017 stufte der EuGH außerdem systematische Grenzkontrollen im Schengen-Raum auf der Grundlage von § 23 Abs. 1 Nr. 3 Bundespolizeigesetz als unzulässig ein, nachdem ihm diese Frage vom Amtsgericht Kehl am Rhein im Rahmen eines Strafverfahrens wegen Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte vorgelegt worden war.Footnote 100 Soweit Identitätskontrollen nicht die gleiche Wirkung wie Grenzkontrollen haben, müssen diese zudem gesetzlich dahingehend konkretisiert und eingeschränkt werden, dass ihre Intensität, Häufigkeit und Selektivität festgelegt ist. Dazu entschied im Jahr 2008 der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, dass § 23 Abs. 1 Nr. 3 Bundespolizeigesetz zur Zeit der Identitätskontrolle auf Grund seiner gegen Unionsrecht verstoßenden Auslegung nicht anwendbar war.Footnote 101 Auf dessen Grundlage war im vorliegenden Fall ein Schwarzer Mann im Zug anlasslos kontrolliert worden.

3.3 Rasse und Ethnizität im unionalen Datenschutzrecht

Das EU-Datenschutzreformpaket besteht aus der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) und der Richtlinie für Datenschutz in den Bereichen Polizei und Justiz (JI-RL). Die DSGVO gilt seit 2018 durch ihre unmittelbare Wirkung (Art. 288 Abs. 2 AEUV) im gesamten Unionsgebiet und enthält Vorschriften zur Verarbeitung personenbezogener Daten durch private und öffentliche Akteur:innen.Footnote 102 Nach Art. 7 Abs. 1 DSGVO ist es grundsätzlich untersagt, personenbezogene Daten zu verarbeiten, aus denen die rassische und ethnische Herkunft hervorgehen. Rassische und ethnische Herkunft, religiöse Überzeugung etc. werden demnach unionsrechtlich als besondere Kategorien konzipiert, gerade weil sie Anknüpfungspunkt für Diskriminierungen sein können.Footnote 103

Die Verarbeitung von Daten zur inneren Organisation der Polizei, zur allgemeinen Gefahrenprävention und -aufklärung sowie zur Fahndung nach Vermissten ohne Bezug auf das Vorliegen einer Straftat fallen in den Anwendungsbereich der DSGVO. Die JI-RL hingegen ist allgemein anwendbar für die Verarbeitung von Daten in den Bereichen Polizei und Justiz sowohl zu repressiven als auch zu präventiven Zwecken.Footnote 104 Wie die DSGVO kennt auch die JI-RL ein grundsätzliches Verbot der Verarbeitung von besonderen Kategorien, wie die rassische und ethnische Herkunft, personenbezogener Daten (Art. 10). § 22 Bundesdatenschutzgesetz sieht ebenso ein Verbot von Verwendung von besonderen Kategorien vor. § 22 Abs. 2 Nr. 2 Bundesdatenschutzgesetz enthält jedoch eine Ausnahme vom Verbot für bspw. Strafverfolgungsbehörden („öffentliche Stellen“), wenn Rasse und Ethnizität zur Abwehr „einer erheblichen Gefahr für die öffentliche Sicherheit erforderlich ist“. Dies dürfte jedenfalls in einem Spannungsverhältnis mit dem völkerrechtlichen Verbot der Diskriminierung aufgrund der Rasse stehen.

Inhaltlich ähnelt die JI-RL der DSGVO, allerdings müssen die Regelungen aufgrund ihres Richtliniencharakters von den Mitgliedstaaten in nationales Recht umgesetzt werden (Art. 288 Abs. 3 AUEV) bzw. Bundes und Landesgesetzgeber müssen ihre Vorschriften auf Konformität mit der Richtlinie prüfen und dafür alle im Widerspruch dazu stehenden nationalen Vorschriften mittels einer Normbereinigung anpassen. Einzelne Fachgesetze müssen insbesondere die „einzelnen Verarbeitungsbefugnisse, die Bestimmung der Löschungsfristen und ggf. das bereichsspezifische Ausnutzen von (Quasi-)Aufnahmen“Footnote 105 richtlinienkonform umsetzen. Diesbezüglich wird beanstandet, dass die Aufsichtsbefugnisse des Bundesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit (BfDI) sich, vorbehaltlich fachrechtlicher Erweiterungen, auf die unverbindlichen Instrumente der Warnung und Beanstandung beschränken, was mit Art. 47 der JI-RL unvereinbar sein soll.Footnote 106 Zudem seien insbesondere Anpassungen in der Strafprozessordnung, dem BKA-Gesetz, dem Bundespolizeigesetz und dem Zollfahndungsgesetz, soweit ersichtlich, bislang nicht erfolgt.Footnote 107

4 Zusammenfassung und Ausblick

Aus polizeilicher Perspektive dürfen Menschenrechte nicht als Bedrohung oder Einschränkung hoheitlicher Handlungen, sondern als einer der Grundpfeiler der freiheitlichen demokratischen Grundordnung betrachtet werden. Die Antirassismuskonvention knüpft mit ihrem durchaus umfassenden Anwendungsbereich sowie ihrem Merkmalskatalog (Rasse, Hautfarbe, Abstammung, nationale und ethnische Herkunft) an ein adäquates Bild von Rassismus an. Sie verpflichtet Deutschland zu einer umfassenden Bekämpfung und Sanktionierung von Rassismus sowohl auf der Rechtsetzung- als auch Rechtsanwendungsebene. Die Allgemeinen Empfehlungen Nr. 30, 31 und 36 bekräftigen zudem, dass polizeiliches Handeln stets im Hinblick auf das Diskriminierungsverbot aufgrund der Rasse zu beurteilen ist. Das Potenzial der Antirassismuskonvention für das deutsche Recht ist allerdings längst nicht erschöpft. Zu hoffen bleibt, dass deutsche Gerichte, einschließlich des Bundesverfassungsgerichts, ihr Achtung und Rezeption gebühren. Konkrete Anhaltspunkte hierfür sind in den Schlussbemerkungen zu Deutschland (2015) formuliert.

Der Menschenrechtsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung das Diskriminierungsverbot einerseits im Hinblick auf unmittelbare und mittelbare Diskriminierung, und andererseits in eine materiell- und verfahrensrechtliche Dimension nuanciert. Außerdem hat er die in der Antidiskriminierungspolitik nachdrücklich eingeforderte Beweislastumkehr in seine Judikatur eingeführt. Dieser Bestand ist für polizeiliche Ermittlungsarbeiten gewiss als eine Stärkung des Diskriminierungsverbots zu sehen. Denn Opfer polizeilicher Gewaltanwendungen oder verdachtsunabhängiger Kontrollen genießen somit auch bei nicht-intendierten Formen von Diskriminierung menschenrechtlichen Schutz. Auch bei Fehlen einer materiellen Menschenrechtsverletzung – etwa bei schwächerer Beweislage – wird es möglich, durch die verfahrensrechtlichen Garantien des Diskriminierungsverbots die Opfer von rassistischer Polizeigewalt oder anderer Diskriminierungspraxen menschenrechtlich aufzufangen. An dieser Stelle wurde die Notwendigkeit von unabhängigen Berichten wie etwa der ECRI eindrücklich. Dem Menschenrechtsgerichtshof (und dem UN-Antirassismusausschuss) ist es zudem gelungen, auch Diskriminierungsfälle mit intersektionellen Aspekten Achtsamkeit zu schenken.

Künftig dürften auch unionsrechtliche Vorschriften im datenschutzrechtlichen Bereich eine zunehmende Rolle spielen. Die Benutzung der Kategorien der Rasse und Ethnizität bleibt im sicherheitsrechtlichen Kontext europarechtlich und durch das Bundesdatenschutzgesetz auch nationalrechtlich möglich, wenngleich unter strikten Bedingungen. Daher wird es umso wichtiger, das Diskriminierungsverbot aufgrund der Rasse stets in den Blick zu nehmen, um diskriminierende Wirkungen, die aus solchen Datenerhebungen hervorgehen können, entgegenzutreten. Im Anwendungsbereich des Unionsrechts ist Art. 21 EU-GRC hier der Maßstab.