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1 Fragestellung und leitende These

In diesem Beitrag soll der Frage nachgegangen werden, weshalb es so schwierig ist, Einstellungen zur Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit und rechtsextremistische Aktivitäten in der Polizei zu untersuchen. Wenn die Frage so gestellt wird, hat sie zur Voraussetzung, dass es diese Probleme in der Polizei gibt. Die vielfältigen Beschreibungen, gerade in den letzten Jahren, lassen keine Zweifel daran, dass es diese Probleme gibt. Umstritten sind die Ausmaße und die Erklärungen. Woraus ergeben sich dann die Schwierigkeiten, die empirischen Ausmaße zu ermitteln und wissenschaftliche Erklärungen zu finden?

Die Hürden lassen sich in einer leitenden These charakterisieren: Die Polizei ist eine uneinsichtige Institution. Dies gilt in doppeltem Wortsinn. Zum einen wird diese Institution politisch abgeschirmt, sodass unabhängige wissenschaftliche Einblicke von außen nicht zugelassen werden oder nur mit ministerieller „Voreinstellung“ von Fragestellungen, Datenzugängen etc. Zum anderen besteht die Uneinsichtigkeit darin, dass es intern keine dominierende „Fehlerkultur“ im Sinne von Selbstkritik gibt, die auch öffentlich kommuniziert wird. Dazu gehört ebenso die Fehleinschätzung in politischen und polizeilichen Führungsetagen, dass dies der beste Weg sei, mit den offensichtlichen Problemen in Teilen der Polizei fertig zu werden. Es ist ein fataler Irrtum für eine Polizei in einem demokratischen Rechtsstaat.

2 Verdeckte Entwicklungen und verstörende Ereignisse

Schon in den 1990er Jahren war die Fremdenfeindlichkeit, so hieß das damals, ein Problem in der Polizei, wie es sich zum Beispiel am Hamburger Polizeiskandal gezeigt hat. Diese Ereignisse sind durch zahlreiche Abwehraktivitäten aus den Führungsebenen der Polizei, Politik und Gewerkschaften lange Zeit der gesellschaftlichen Öffentlichkeit entzogen worden. Erst mit gesellschaftlichen Krisenereignissen seit der Jahrhundertwende sind „autoritäre Versuchungen“1 in Teilen der Bevölkerung öffentlich verstärkt hervorgetreten und durch das Aufkommen des Autoritären Nationalradikalismus der AfD seit 2015 auf die politische Bühne getreten.

Zugleich haben sich – institutionell verdeckt – verstörende Entwicklungen auch in verschiedenen Gelegenheitsräumen der Polizei vollzogen. Einzelne Phänomene sind bekannt wie zum Beispiel in Form von Chatgruppen mit menschenfeindlichen und rechtsextremistischen Positionierungen; Weitergaben von Personaldaten aus Polizeicomputern zum Zwecke der Bedrohung als NSU 2.0, Vorgänge in elitären Sondereinheiten mit Schießtrainings auf Anlagen im rechtsextremen „Dunstkreis“ etc., die hier nicht im Einzelnen aufgeführt werden sollen. Sie dokumentieren gefährliche Prozesse des verdeckten Eindringens in Sicherheitsinstitutionen.Footnote 1

Blickt man auf die Forschungslandschaft zu diesem Problemfeld, so sieht man vor allem Forschungslücken, die auf die leitende These der Polizei als uneinsichtige Institution zurückzuführen sind. Hinzu kommen die gesellschaftlichen Veränderungen einschließlich der ausdifferenzierten und dynamischen Entwicklung im rechten politischen Spektrum, das inzwischen auch zahlreiche ideologische Anschlussstellen für Polizistinnen und Polizisten anbietet. Solche Forschungslücken zeigen auch Hunold und WegnerFootnote 2 in ihrer Beschreibung des Forschungstandes ebenso auf wie auch die Zugangsschwierigkeiten für empirische Analysen.

Daher überrascht es nicht, dass in weiten Teilen des Problemfeldes weder die Ausmaße noch die Ursachen dafür bekannt sind, weshalb sich dieses in der Polizei vollziehen konnte. Gleichwohl gibt es Aufklärungsfortschritte, wie verschiedene Beiträge im Sammelband von Feltes und PlankFootnote 3, die fortschreibende Dokumentation von aktuellen Arbeiten durch Feltes und PlankFootnote 4 oder von JaschkeFootnote 5, um nur einige Beispiele zu nennen. In dieses Spektrum gehören dann u. a. auch noch laufende Forschungsprojekte wie von Singelnstein et al. zu „Körperverletzung im Amt durch Polizeibeamt*innen“Footnote 6.

3 Ausgangsprämisse

Um die Fragestellung, warum es so schwierig ist, Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit und rechtsextremistische Umtriebe zu untersuchen, ist es notwendig, von einer unumgänglichen Prämisse auszugehen: Diese demokratische Gesellschaft hat ein Anrecht darauf zu erfahren, was in den Institutionen vorgeht, die sie mit Macht und Waffen ausstattet, also mit dem Gewaltmonopol. Das betrifft die Polizei und die Bundeswehr.

Das bedeutet, dass diese Institutionen für die Sicherung der sozialen und politischen Ordnung nicht vergleichbar sind wie z. B. die Feuerwehr, das Ordnungsamt oder die Schule. Keine Gesellschaft darf es sich deshalb bieten lassen, wenn Regierende und Polizeiverantwortliche versuchen, diese Institution abzuschirmen, wenn es Aufklärungsbedarf gibt. Dieser Bedarf ist unabweislich.

4 Gesellschaftliche Rahmung

Obwohl die benannten Probleme nicht neu sind, wird es notwendig, die Untersuchungsfrage neu in den Rahmen der gesellschaftlichen Zustände und der politischen Entwicklung im rechten Spektrum zu stellen. Dazu haben wir in „Rechte Bedrohungsallianzen“Footnote 7 ein konzentrisches Eskalationskontinuum vorgestellt (s. Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Konzentrisches Eskalationskontinuum. (Heitmeyer et al. 2020), S. 59

Dieses Zwiebelmuster umfasst – um im Bilde zu bleiben – fünf Schalen:

  • Einstellungen in der Bevölkerung zur Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit (GMF),

  • Autoritärer Nationalradikalismus der AfD,

  • Systemfeindliches Milieu mit gewaltorientierten Rechtsextremist:innen und Neonazis,

  • Klandestines terroristisches Planungs- und Unterstützungsmilieu,

  • Rechtsterroristische Gruppen oder sogenannte Einzeltäter:innen.

Die Schalen werden durch eskalierende LegitimationsbrückenFootnote 8 zusammengehalten. Durchgängig zeigt sich eine Ideologie der Ungleichwertigkeit und Gewaltakzeptanz. Die Akteursgruppen werden immer kleiner und gewalttätiger.

Dieses Analysemodell lässt sich auf unser Problemfeld anwenden, indem danach zu fragen ist, wie Polizistinnen und Polizisten in diesem Modell empirisch zu verorten sind. Der Überblick wird zeigen, dass wenig belastbares Wissen vorhanden ist.

Erstens. Wir wissen bisher nicht hinreichend, wie das – bezogen auf die äußere Schale – z. B. bei den Einstellungen von Polizistinnen und Polizisten im Hinblick auf Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit aussieht, in der unter anderem auch rassistische Einstellungen einbezogen sind.Footnote 9

Zweitens. Wir wissen nicht, – die nächste Schale – wie viele Polizistinnen und Polizisten etwa Wähler:innen des Autoritären Nationalradikalismus der AfD sind, die in Teilen schon vom Verfassungsschutz beobachtet wird, wie u. a. der sogenannte völkische Flügel etc. Zudem ist aufschlussreich, wie viele Personen mit Polizeihintergrund etwa in den Gremien der AfD wie z. B. in der Bundestagsfraktion zu finden sind.

Drittens. Es gibt Hinweise darauf, dass Polizistinnen und Polizisten sich im „systemfeindlichen Milieu“ aufhalten, das bereits mit Waffen und Gewalt hantiert. Der Umfang ist unklar.

Viertens. Schließlich gibt es auch Hinweise auf das klandestine terroristische Planungs- und Unterstützungsmilieu, in dem Vorbereitungen auf den sogenannten Tag X getroffen sein sollen.

Die These zu einer angemessenen Analyse unserer Problemstellung ist also: Die Untersuchung zur Rolle von Polizistinnen und Polizisten darf nicht von Entwicklung des rechten Spektrums abgekoppelt geführt werden und muss in das konzentrische Eskalationskontinuum eingeordnet sein.

Gleichzeitig zeigt diese Differenzierung im konzentrischen Eskalationskontinuum auch die Grenzen der Methoden sozialwissenschaftlicher Forschung auf, die nicht mit geheimdienstlichen Mitteln arbeiten darf – ebenso wenig wie die Polizei selbst. Das bedeutet, dass den Erwartungen von Öffentlichkeit und Politik über gewissermaßen endgültig aufgeklärte Probleme enge Grenzen gesetzt sind. Das hat Auswirkungen auf die Untersuchungsbereiche und die Forschungsdesigns.

5 Politisch induzierte Problemlagen

Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit mit abwertenden und diskriminierenden Einstellungen gegenüber einer Vielzahl markierter Gruppen, auch in der Polizei, ist nicht neu und auch bekanntlich nicht nur ein deutsches Problem. Es war aber noch nie so virulent angesichts der gesellschaftlichen Entwicklung und der Ausdifferenzierung und Dynamisierung von rechten Bedrohungsallianzen.Footnote 10 Deshalb ist der Bedarf an Forschung darüber, was in den Institutionen, die mit dem Gewaltmonopol ausgestattet sind, auch noch nie so groß wie heute, weil sich das gesellschaftliche Klima nach rechts verschoben hat und durch die Ausdifferenzierung des rechten politischen Spektrums zahlreiche Anschlussstellen für rechtsautoritäre und rechtsextreme Gesinnungen gegeben sind. Zumal für eine „rohe Bürgerlichkeit“, die sich selbstverständlich von Neonazis abgrenzt, aber zur Normalisierung in der Gesellschaft beiträgt.

Zumal die Abwehrstrategien in Teilen von Polizeiführungen, Gewerkschaften und Politik gegenüber solchen Untersuchungen, die JaschkeFootnote 11 schon in den 90er Jahren verdienstvoller Weise in vier Thesen benannt hat, immer noch wirken, wenn auch inzwischen in unterschiedlicher Weise. Die besonders beliebte „Einzelfall-These“ musste inzwischen selbst von Innenminister:innen aufgegeben werden. Die „Relativierungs-These“, wonach auch andere Berufsgruppen gleichermaßen solche Einstellungen aufweisen, also alles irgendwie „normal“ sei, vernachlässigt, dass diese Berufsgruppe mit dem Gewaltmonopol ausgestattet ist und deshalb nicht vergleichbar ist mit anderen Berufsgruppen. Mit der „Spiegelbild-These“ wird behauptet, dass die Polizei ein Abbild der deutschen Gesellschaft sei, also nicht besser oder schlechter als in anderen Institutionen oder in der Zivilgesellschaft. Klarstellend hat der BKA-Präsident MünchFootnote 12 in 2020 postuliert, dass die Polizei gerade kein Abbild der Gesellschaft sein will und sein darf. Schließlich führt Jaschke auch die „Manipulations-These“ auf, wonach Rassismus oder Nähe zu rechtsextremen Kreisen ein Konstrukt von Medien sei, um die Polizei als Ganzes zu diffamieren. Diese These wird immer noch verwendet durch die Immunisierungsstrategie mit der Rede vom „Generalverdacht“.

Und selbst verschiedene bröckelnde Abwehrstrategien in der Politik und der Institution sind mit großer Aufmerksamkeit zu beobachten. Das sieht man am politischen Taktieren.Footnote 13 Da sind die unterschiedlichen Politiken im Bund und in den Ländern zu unterscheiden. Der Verfassungsminister Seehofer schlug immer neue Haken. Seehofer wollte keine Studie, die sich gezielt rassistischen Weltbildern in der Polizei widmet; dann auch keine Studie zu racial profiling, weil das ja ohnehin verboten sei; dann schlug er eine gesamtgesellschaftliche Studie vor, als ob es hinsichtlich von Einstellungen in der Bevölkerung bisher keine gäbe; der dritte Haken war, das er den Alltag von Polizist:innen untersuchen lassen wollte. Haken Nummer vier war, dass er zunächst klären lassen wollte, welche Rassismus-Studien es in Deutschland bisher gebe. Nun war Seehofer nur für die Bundespolizei zuständig, hatte aber natürlich großen Einfluss auf die Innenminister:innen der Länder, die sich in unterschiedlicher Weise zu öffnen scheinen.

Es sind also verschiedene Ablenkungs- und Vermeidungsstrategien, die hier bisher noch zum Tragen kommen. Herausragend ist die Immunisierungsstrategie, die über das Argument des Generalverdachts verläuft. Diese Variante von Seehofer, Landesinnenminister:innen, Polizeigewerkschaftler:innen und konservativen Politiker:innen und Publizist:innen ist obskur. Mit dem Vorwurf des Generalverdachts wird etwas in die Welt gesetzt, was kein ernstzunehmender Diskussionsteilnehmer behauptet. Durch die Einführung des Generalverdachts in die Debatte soll die Immunisierung erfolgen. Dies alles ist nicht neu in der Geschichte der Inneren Sicherheit in der Bundesrepublik.Footnote 14

Selbst nach der – laut Presseberichten − Mitteilung vom 01.12.2020, dass die Hochschule der Polizei in Münster eine dreijährige Studie zu Motivation der Berufswahl, Berufsalltag und Gewalt gegen Polizisten durchführen soll, bleibt unklar, wie die ministeriell vorgegebenen Fragestellungen aussehen und welche Rechte die Wissenschaft hat, um aus ihrer Sicht die Problemstellungen zu formulieren, die dem Stand bisheriger nationaler wie internationaler Erkenntnisse entsprechen.

6 Kontextprobleme der Forschung

Mit der prinzipiellen Möglichkeit zur Forschung in der uneinsichtigen Institution sind gleichwohl zwei zentrale Probleme verbunden. Sie betreffen Begriffsprobleme und Kontextprobleme der konkreten Forschung. Beide Problemlagen haben Auswirkungen auf die empirischen Ergebnisse und ihre Interpretationen.

Erstens sind genauer die Begriffe zu klären, mit denen hantiert wird, weil sie sowohl die analytischen Blickwinkel bestimmen als auch die Interpretationen von empirischen Ergebnissen strukturieren. Eine besondere Diskussion in Politik, Medien und Wissenschaft rankt sich um die Frage, ob es einen „strukturellen Rassismus“ der Polizei gebe. Die Verwendung des Begriffes vom „strukturellen Rassismus“ der Polizei halte ich für falsch. Das würde aus meiner Sicht bedeuten, dass der Staat den Auftrag an die Polizei rassistisch anlegt, wie das z. B. in der NS-Zeit war oder in Apartheitsregimen. Dann wären jene Polizistinnen und Polizisten, die sich nicht rassistisch verhalten quasi „Abweichler“. In meinem Verständnis von „Strukturen“ sind immer auch die Zwecke mit eingewoben. Es wäre absurd z. B. „Rassismus“ als Zweck von Polizei anzunehmen.

Anders sieht es mit dem Begriff des „institutionellen Rassismus“ im Sinne von „Rassismus in der Institution“ aus. Der benennt gezielter das große Problem. Das bedeutet, dass sich in der Institution auch Gelegenheitsräume gegen das kodifizierte Regelwerk, Vorschriften und Normen herausbilden können bzw. schon herausgebildet haben, die sich in ganz unterschiedlichen Varianten und Grauzonen zeigen.

Dies ist meines Erachtens das zentrale Problem, aus dem dann Verhalten von Polizistinnen und Polizisten entsteht, von dem angenommen wird, dass Verschiebungen von Normalitätsvorstellungen am Anfang von Prozessen nicht beobachtet und auch nicht sanktioniert wurden bzw. werden. Hier kommt dann das Phänomen der wechselseitigen Abhängigkeiten in Risikokonstellationen bei gefährlichen Einsätzen und der Korpsgeist ins Spiel. Und es kommen auch die Einflüsse der gesellschaftlichen Rechtsentwicklungen als Einflussgröße dazu.

Zweitens müssen im Hinblick auf die Schwierigkeiten von sozialwissenschaftlichen Untersuchungen die Logiken verschiedener Kontexte genauer betrachtet werden. Vier sollen kurz beleuchtet werden.

  • Politischer Kontext der staatlich Regierenden: Alle Regierenden unabhängig von der Parteizugehörigkeit müssen sich so darstellen, dass alles was sie tun immer ein Erfolg ist. Eine Fehlerkultur ist nicht vorgesehen, denn man will ja wiedergewählt werden. Besonders sensibel ist die Innere Sicherheit und die dort tatsächlich Machthabenden sind die durch Juristen dominierenden Ministerialbürokratien. Diese haben eine eigene Logik, die mit Wissenschaft nicht kompatibel ist.

  • Institutioneller Kontext der Polizei: Auch hier gibt es in der strengen Hierarchie kaum eine Fehlerkultur, d. h. aufkommende Probleme werden bei den Verantwortlichen immer auch auf die eigene Statusgefährdung und natürlich auf den Statusaufstieg attribuiert. Daraus ergeben sich u. a. die schon angeführten Abschirmungsstrategien.

  • Öffentlich-medialer Kontext: Hier dominiert eine dichotomische Malerei, die sich immer stärker verhärtet hat. Einerseits sind es konservative Medien, die dem Generalverdacht folgen und deshalb die Immunisierungsstrategien stützen. Anderseits sind es Akteure in den sogenannten alternativen Medien, die genau den Generalverdacht zu ihrer vornehmsten Aufgabe machen, wie der taz-Artikel nach dem Motto „Polizei auf den Müll“Footnote 15, wie immer die Botschaft lautet. Sie liefern Material für die Strategie des Generalverdachts, obwohl sie vorgeben im Dienste der Aufklärung zu stehen. Dies schafft ein Klima, das die Untersuchungen schwierig macht und die Reaktanz in der Polizei aktiviert.

  • Wissenschaftskontext: Es gibt ein grundsätzliches Problem. Es besteht darin, dass der Politikbetrieb und elaborierte Wissenschaft mit ganz unterschiedlichen Zeitrhythmen arbeiten. Die Politik will schnelle Ergebnisse, damit lange Versäumnisse ruck zuck erledigt werden sollen, weil das Thema aus der Öffentlichkeit verschwinden soll. Seriöse Wissenschaft kann und darf sich nicht darauf einlassen. Diejenigen Wissenschaftler:innen, die jetzt Studien in dem Feld machen wollen oder machen sollen, stehen in einem Spannungsfeld, um die Erwartungshaltung aus der Politik für schnelle Ergebnisse zu erfüllen.

7 Spezifische Forschungsprobleme

Zum einen sind die Möglichkeiten sozialwissenschaftlicher Forschung mit ihren Methoden vor dem Hintergrund des Spektrums im konzentrischen Eskalationskontinuum durchaus eng, sodass die Aussagenreichweite immer zu betonen ist.

Hinzu kommt ein weiterer zentraler Punkt der Begrenzung von Aussagekraft. Es ist der Erhebungszeitraum. Die Untersuchungen, wenn es sie denn geben sollte, finden in einer gesellschaftlichen und politisch sehr aufgeheizten Zeit statt. Es ist ein vielfach vergiftetes Klima. Hier lauert ein ganz zentrales wissenschaftliches Problem. Es ist die Frage zu berücksichtigen, welcher Verzerrungsfaktor für die Ergebnisse in diesem Klima des Misstrauens und des politisch erwünschten Verhaltens etwa bei der Beantwortung von Fragebögen zu Einstellungen mittels online-Erhebungen „eingebaut“ ist, zumal dann, wenn den adressierten Polizistinnen und Polizisten klar ist, dass die Erhebungen im Auftrag von Innenministerien der Länder bzw. des Bundes erfolgen.

Zum engeren Forschungskontext gehören auch die Verfahren und die Sicherung von wissenschaftlicher Unabhängigkeit. Tatsächliche Unabhängigkeit wird nur dann gegeben sein, wenn es keine ministeriale Federführung und Finanzierung gibt. Ideal wären DFG-Anträge, die extern begutachtet werden – oder wenigstens ein Verfahren, das den DFG-Vorgaben mit externen Gutachtern entspricht. Ministeriale Federführung durch die entsprechenden Juristen und Finanzierung führen die Wissenschaftler:innen direkt in die Abhängigkeit. Erfahrungen von prominenten Wissenschaftler:innen, die z. B. am nationalen Sicherheitsbericht mitgearbeitet haben, zeigen die Eingriffe durch die ministerialen Juristen.

Schließlich geht es um das Forschungsdesign. Da es keinen Königsweg gibt, wären Forschungskonzepte notwendig, die sowohl mehrperspektivisch im Hinblick auf theoretische Annahmen als auch mit sich ergänzenden Methoden angelegt sind. Quantitative Einstellungsuntersuchungen mit einem Erhebungszeitpunkt haben – wie schon erwähnt – in dieser überhitzten gesellschaftlichen Debatte aus methodischen Gründen nur eine begrenzte Aussagekraft.

Deshalb ist zusätzlich ein langfristiges Monitoring notwendig. Einmal-Erhebungen sind neben den erwähnten Messproblemen aufgrund des Erhebungszeitraumes auch sehr ereignisabhängig, also wenn z. B. besondere Vorkommnisse die öffentliche Debatte bestimmen. Erst Langzeituntersuchungen können Aufklärung schaffen im Zusammenspiel mit gesellschaftlichen Veränderungen. Wir haben mit unserer 10jährigen Langzeituntersuchung zu Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit – immer im Kontext der gesellschaftlichen Entwicklung – gute Erfahrungen für die Aufzeichnung von „Deutsche Zustände“Footnote 16 gemacht, um Entwicklungslinien zu zeichnen.

Nach dem aktuellen Diskussionsstand in 2021 sind große Zweifel angebracht, ob langfristig aufklärerisch gedacht wird. Das bisher erkennbare politische Interesse zielt auf schnelle Fix-Erhebungen. Da ist auch die hessische Vollerhebung von 2020 zu Einstellungen durch eine Abteilung des Innenministeriums mit 25 % Rücklauf nicht hilfreich. Das war in mehrfacher Hinsicht kein Durchbruch für die Polizeiforschung.

Um an die klandestinen Gruppen im Internet heranzukommen, muss entweder Kommissar Zufall helfen wie im Falle der Mülheimer Chat-Gruppe oder der Verfassungsschutz mit seinen geheimdienstlichen Mitteln. Aber auch das ist eine komplizierte Situation. Verfassungsschützer (mit ihren eigenen Problemen) müssen uns Bürger schützen vor Gruppen in der Polizei, die eigentlich unsere Verfassung durchsetzen sollen und vor denen bestimmte markierte Gruppen in der Gesellschaft nicht mehr umstandslos sicher sein können, dass das passiert.

In diesem Dunkelfeld können Wissenschaftler:innen kaum tiefergehend hineinleuchten. Hinzu kommt ein wichtiger Punkt. Es geht um wechselseitig lernende „Systeme“ im Sinne von Akteursgruppen. Die Verfolgungsgruppen lernen, wie die rechten Chat-Gruppen agieren. Gleichzeitig lernen die Chat-Gruppen aber auch, wie die Verfolgungsgruppen agieren.

8 Forschungsleitendes Hypothesengerüst zu Risikokonstellationen

Um zu Erklärungen von Einstellungen und Verhaltensweisen voranzukommen, liegt es nahe mit „gemixten“ Methoden die Risikokonstellationen im Polizeialltag zu analysieren. Dabei sollten vorrangig vier Hypothesen untersucht werden:

  • Erstens die Selektivitätshypothese. Bestimmte Personengruppen interessieren sich für den Polizeiberuf. Oder anders: Wer geht zur Polizei? Welche Weltbilder vertreten sie; wie ist das Verhältnis zu Macht- und Kontrollausübung; wie sieht die Faszination von Waffen aus; welche Konformitätseinstellungen auch innerhalb der Hierarchie haben sie etc.

  • Zweitens die Sozialisationshypothese. Grenzüberschreitungen und auch Gewalt entstehen bzw. verstärken sich durch den Polizeieinsatz insbesondere in Risikokonstellationen. Welche Mechanismen wirken im Polizeialltag?

  • Drittens die Institutionenhypothese. Es gibt Gelegenheitsstrukturen innerhalb der Institution, die regelüberschreitende Zugriffe (u. a. NSU 2.0) möglich machen und auch Gelegenheiten zur Entwicklung von rechtem Gruppenbewusstsein. Welche Mechanismen sind dies?

  • Viertens die gesellschaftliche Normalisierungshypothese. Welchen Einfluss haben die gesellschaftlichen Rechtsentwicklungen und die Normalisierung von Einstellungsmustern zur Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit in Teilen der Bevölkerung, die als Legitimationsmuster für Grenzüberschreitungen durch Polizisten und Polizistinnen wirksam werden können.

Notwendig ist es, dass diese vier Hypothesen vor allem im Zusammenhang analysiert werden. Deshalb ist ein mehrdimensionales Untersuchungssetting notwendig, das der Komplexität des Zusammenwirkens der in den Hypothesen aufgerufenen Risikokonstellationen gerecht wird.

9 Mehrdimensionales Untersuchungssetting

Dazu lässt sich – als ein Beispiel – auf unsere Bielefelder Untersuchung im Rahmen des sogenannten Hamburger Polizeiskandals zurückgreifen. Sie fand vor 25 Jahren von 1995 bis 1997 statt.Footnote 17 Wir haben damals die Untersuchungseinheit „Polizeirevier“ (vgl. Abb. 2) gewählt, die als angemessenes Setting gelten kann.Footnote 18

Abb. 2
figure 2

Untersuchungseinheit Polizeirevier. (Backes et al. 1997), S. 9

In einem kontrastierenden Setting mit unterschiedlichen sozialen Bedingungen und Risikokonstellationen von fünf Stadtteilen (Wilhelmsburg, St. Georg, Altona, Rahlstedt, Bergedorf) wurden jeweils sechs verschiedene methodische Zugänge kombiniert, wie die Grafik zeigt:

  • Einstellungen und selbstberichtetes Verhalten der Polizeibeamt:innen

  • Teilnehmende Beobachtungen im Revieralltag

  • Polizeiinterne Dokumente der institutionellen Strukturen im Revieralltag

  • Subjektive Sichtweisen von Stadtteilbewohner:innen

  • Sozialstruktur des Stadtviertels, Kriminalitätsbelastung und ethnisch-kulturelle Konflikte etc.

  • Gruppendiskussionen mit den Polizeibeamt:innen der jeweiligen Reviere über die Ergebnisse.

Das Konzept ist sehr komplex, aber der Problematik angemessen. Anschlussfähig wäre hier ein Kohorten Modell, wie es JaschkeFootnote 19 vorgeschlagen hat.

Zwei zentrale Punkte waren wichtig. Erstens das Vertrauen der Polizist:innen in den Revieren zu gewinnen u. a. durch Anwesenheit in den Revieren. Wir wollten Gesicht zeigen. Zweitens war es für uns wichtig, nach den Ergebnissen mit den Polizist:innen in den Revieren über unsere Ergebnisse zu diskutieren. Es waren äußerst konfliktreiche Gruppendiskussionen, die während einer ganzen Woche stattfanden. Dies gelang, weil wir alle Freiheiten hatten seitens des Innensenators. Es gab keine Interventionen, und zwar weder bei den von uns definierten Problemstellungen noch bei Interpretationen der empirischen Ergebnisse. Gleichzeitig war das Projekt sehr konfliktreich. Dies lag vor allem am Widerstand der Gewerkschaft der Polizei und von Personen auf höheren Führungsebenen der Polizei. Unsere Ergebnisse wurden bei der Vorstellung des Forschungsberichtes mit unfassbarer Arroganz vom Polizeipräsidenten und seinen Polizeidirektoren weggewischt. Dies zeigte sich u. a. darin, dass keine inhaltliche Auseinandersetzung mit unseren Ergebnissen stattfand. Sie wurden einfach „beschwiegen“.

10 Konsequenzen?

Erstens: Es ist notwendig, dass sich interessierte Forschungsgruppen zusammenfinden, um ergänzende Forschungsdesigns zu entwickeln und zu diskutieren. Wissenschaft trägt hier Verantwortung, dass keine politisch ausbeutbaren „Schnellschüsse“ passieren.

Zweitens: Im Hinblick auf das Forschungssetting scheint es sinnvoll, den aufgezeigten Bielefelder Ansatz in der Kombination der Ermittlung von Risikokonstellationen, dem Revierspezifischen Ansatz einschließlich revierspezifischen Fortbildungen in Dienstgruppen und der gesellschaftlichen Durchlüftung zu verfolgen. Dabei sind auch die Übergänge von Einstellungen zu polizeilichen Handlungspraktiken in den verschiedenen Risikokonstellationen auszuleuchten.Footnote 20

Drittens im Gefolge der Hypothesen: Bei der Selektivitätshypothese hängt viel von der Güte der Einstellungstests ab. Es ist anzunehmen, dass daran viel gearbeitet wird. Die Frage bleibt, ob die für unsere Fragestellung wichtigen Dimensionen erfasst werden. Bei der Sozialisationshypothese und der Institutionenhypothese sind es die Veränderungen von Erfahrungskontexten. Dazu gehört auch ein Rotationsprinzip, wie wir es 1997 vorgeschlagen haben.Footnote 21 Dies kann interessant sein, weil damit u. a. die Abhängigkeitssteigerung durch Dauerhaftigkeit unterbrochen wird. Dazu gibt es durchaus Vorteile, aber auch Nachteile. Ein Vorteil wäre, dass ein personengebundener Korpsgeist durch einzelne Meinungs- und Machtführer aufgebrochen werden kann. Das institutionelle Problem von Korpsgeist wird dadurch nicht aufgelöst, quasi „dank“ Internet-Kommunikation. Und ein Nachteil kann sein, dass es Erfahrungsverluste gibt und z. B. Kiezkenntnisse verloren gehen. Deshalb muss es ein durchdachtes Muster der Rotation geben, sodass vor allem jüngere Polizistinnen und Polizisten andere Erfahrungen machen können. Normalerweise gehen wir davon aus, dass Einstellungen dann Verhalten erzeugt, wenn Personen mit bestimmten Einstellungen entsprechend bestätigende Erfahrungen in ihren Arbeitskontexten machen. Das Verhältnis ist aber komplexer. Verhalten kann auch andere Einstellungen erzeugen, wenn Erfahrungen in veränderten Arbeitskontexten gemacht werden.

Viertens: Aufklärer:innen. Die deutsche Tradition der polizeiinternen Aufklärer:innen ist m. E. nicht weiterführend. Die Bekenntnisse von Innenminister:innen, dass die von ihnen eingesetzten Aufklärer:innen aus dem eigenen Geschäftsbereich „unabhängig“ seien, ist nicht zutreffend und keine Aufklärungsstrategie. International sieht es anders aus. In England dürfen Aufklärer:innen nie im Polizeidienst tätig gewesen sein und in anderen Ländern sind sie dem Parlament und nicht den weisungsbefugten Innenminister:innen berichtspflichtig. Dadurch entsteht Öffentlichkeit. Wissenschaftler:innen und Aufklärer:innen müssen sich außerhalb der Hierarchiestruktur der Polizei und außerhalb der Anweisungsketten von Innenministerien bewegen können; ansonsten kann man nicht von Unabhängigkeit sprechen. Dies schließt die Teilnahme von Polizistinnen und Polizisten mit ihren Insider:innen-Kenntnissen nicht aus.

Abschließend wiederholend zurück zur Ausgangsprämisse, weil sie entscheidend ist. Diese demokratische Gesellschaft hat ein Anrecht darauf zu wissen, was in der Institution der Polizei abläuft, die sie mit dem Gewaltmonopol ausgestattet hat. Deshalb ist diese Institution kontinuierlich einer „gesellschaftlichen Durchlüftung“Footnote 22 auszusetzen. Dazu muss mehr geschehen als Regierende und Vertreter:innen von Polizeiinstitutionen bisher bereit sind. Ansonsten existiert auch an dieser Stelle ein Demokratieproblem und die Polizei bleibt eine uneinsichtige Institution.