Zusammenfassung
Die Analyse der empirischen Daten der Studie KviAPol („Körperverletzung im Amt durch Polizeibeamt:innen“) gibt Hinweise auf rassistische Diskriminierungen im Kontext polizeilicher Gewaltanwendung im deutschsprachigen Raum. Personen mit Migrationshintergrund und People of Color sind auf besondere Weise von übermäßiger polizeilicher Gewalt betroffen und tragen andere Folgen davon als weiße Personen oder Personen ohne Migrationshintergrund. Anhand der empirischen Befunde legt der Beitrag Formen und Folgen rassistisch motivierter polizeilicher Gewaltanwendung dar und erläutert mögliche Auslöser und Erklärungsansätze.
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Schlüsselwörter
1 Hinführung
„Die Gewalt wurde zu Beginn der Maßnahme angewendet. Da ich einen Migrationshintergrund habe, gehe ich von Racial Profiling aus, und dass die Polizei generell eher gröber bei Ausländern und Flüchtlingen vorgeht.“ (Betroffene/Lfdn. 7981)
„Ein Trigger könnte meine dunkle Hautfarbe gewesen sein. Die Gewaltanwendung begann während und nachdem ich von der Blockade gelöst wurde.“ (Betroffene/Lfdn. 5631)
„The police had pinned a black man to the ground and when a group of us asked what they were doing, they said we would get the same treatment if we did not walk further.“ (Betroffene/Lfdn. 9247)
Diese Zitate stammen von Personen, die im Rahmen der Studie KviAPol (Körperverletzung im Amt durch Polizeibeamt:innen)Footnote 1 ihre Erfahrungen mit polizeilicher Gewalt schilderten, die sie als unverhältnismäßig wahrnahmen.
Gewalt ist in der modernen westlichen Gesellschaft verpönt. Sie gilt „als Modernisierungsdefizit, als Handlungsweise von ‚Rückständigen‘ oder ‚Rückwärtsgewandten‘“Footnote 2 und wird in ihrer ordnungsstörenden Dimension außerhalb der modernen Gesellschaftsordnung verortet. Der Begriff der „Polizeigewalt“ ist insofern diskursiv umkämpft. Die Polizei übt das staatliche Gewaltmonopol aus und darf dabei zur Durchsetzung legitimer Zwecke auch körperlichen Zwang einsetzen, sofern dieser angemessen und verhältnismäßig ist. Dementsprechend wird polizeilichen Gewaltanwendungen eine „ordnungsstiftende Funktion“Footnote 3 für die Gesellschaft und ihre soziale Ordnung zugeschrieben. Überschreitet der Zwang jedoch die Grenze zur Verhältnismäßigkeit, so wird die polizeiliche Handlung ordnungsstörend. Da diese Grenze nicht klar gezogen ist, sondern von den Umständen des Einzelfalls abhängt und aus den verschiedenen Perspektiven der Beteiligten oft fundamental anders wahrgenommen wird, stellt die Bezeichnung einer polizeilichen Handlung als „Gewalt“ im ordnungsstörenden Sinne, einen Affront dar. Dies gilt umso mehr, wenn der Vorwurf von Personen geäußert wird, die in der sozialen Ordnung eine marginalisierte Position einnehmen und die, wie etwa People of Color (PoC) oder Personen mit (vermeintlichem) Migrationshintergrund, aufgrund rassistischer Stereotype eher selbst als gewaltvoll imaginiert werden.Footnote 4
Um rassistische polizeiliche Praxen analysieren zu können, ist es aufgrund unterschiedlicher Deutungen polizeilicher Gewaltanwendung erforderlich, die Erfahrungen der Betroffenen und ihre Schilderungen der Gewaltsituationen ernst zu nehmen und zum Ausgangspunkt wissenschaftlicher Untersuchungen zu machen.
Daher wurden im Forschungsprojekt KviAPol Betroffene von übermäßiger polizeilicher Gewalt gebeten, in einer Befragung ihre Erfahrungen zu schildern.Footnote 5 Die Betroffenen wurden in einem Schneeballsystem über Gatekeeper in der Zivilgesellschaft sowie einen öffentlichen Aufruf (Social Media, Flyer) gebeten teilzunehmen; die Stichprobe ist mithin nicht repräsentativ. Außerdem wurden 63 Expert:innen aus Polizei, Justiz und Zivilgesellschaft in qualitativen Interviews zu ihren Einschätzungen und Erfahrungen befragt. Die Angaben von 3373 Betroffenen wurden quantitativ sowie qualitativ ausgewertet und schließlich in der Analyse mit den Expert:inneninterviews zusammengeführt.Footnote 6 Ziel war es, situative Umstände und Konstellationen zu identifizieren, die zu Eskalationsverläufen in der Interaktion zwischen Polizei und Bürger:innen führen, das Anzeigeverhalten der Betroffenen zu untersuchen und schließlich Aussagen über das Verhältnis von Hell- und Dunkelfeld abzuleiten.Footnote 7
Der Fokus der Studie lag allgemein auf Erfahrungen von Betroffenen polizeilicher Gewaltanwendung. Die Ergebnisse der Analyse bieten jedoch zahlreiche Hinweise auf eine besondere Betroffenheit von Personen mit Migrationshintergrund und People of ColorFootnote 8 und geben daher Anlass, diskriminierende Polizeipraxen zu reflektieren.
2 Polizeigewalt und Rassismus – was wissen wir über Deutschland?
Eine viel debattierte Form rassistischer Diskriminierung durch Polizeibeamt:innen stellt das sog. Racial Profiling dar, bei dem Personen vorrangig aufgrund von der weißen Norm abweichender phänotypischer Merkmale polizeilich kontrolliert werden.Footnote 9 Im Folgenden liegt der Fokus jedoch allein auf übermäßiger physischer Gewalt, also Misshandlungen im engeren Sinne, die in die körperliche Integrität eingreifen.
Die Thematik der übermäßigen polizeilichen Gewaltanwendung in Deutschland wird bislang in der Literatur zwar vereinzelt kritisch besprochen.Footnote 10 Empirisch untersucht wurde jedoch bisher neben Hellfelddaten aus StrafverfolgungsstatistikenFootnote 11 und Beschwerdeverfahren gegen die PolizeiFootnote 12 überwiegend die polizeiliche Perspektive im Rahmen von quantitativenFootnote 13 sowie qualitativen StudienFootnote 14 und teilnehmenden BeobachtungenFootnote 15. Die Perspektive der Betroffenen wurde außerhalb von aktivistischen DokumentationenFootnote 16 bisher nicht empirisch beleuchtet. Entsprechend wenig ist die Betroffenenperspektive, das Dunkelfeld und das Anzeigeverhalten wissenschaftlich untersucht.
Studien, die sich für den deutschsprachigen Raum spezifisch mit Rassismus und Diskriminierungserfahrungen im Kontext übermäßiger polizeilicher Gewaltanwendung befassen, gibt es bislang nur vereinzelt.Footnote 17 Die Fallstudien von Bruce-JonesFootnote 18 identifizieren Strukturen von institutionellem Rassismus und verweisen dabei auf eine intersektionale Verschränkung verschiedener Strukturkategorien wie race, gender und class.
Im Zuge der in der jüngsten Vergangenheit gestiegenen medialen wie wissenschaftlichen Aufmerksamkeit zum Thema Rassismus in der Polizei, wird zunehmend auch auf den Zusammenhang zwischen Racial Profiling und polizeilicher Gewaltanwendung verwiesen, wobei diese Auseinandersetzung überwiegend anhand einzelner Beispielfälle erfolgt.Footnote 19 Dabei wird hervorgehoben, dass nicht alle von Rassismus betroffenen Personen(gruppen) dem gleichen Risiko ausgesetzt seien, von übermäßiger polizeilicher Gewalt betroffen zu werden: Im Schweizer Kontext zeige sich etwa bei Geflüchteten ein erhöhtes Risiko, im Zuge von Polizeikontrollen physische Gewalt durch Beamt:innen zu erfahren.Footnote 20 End wiederum verweist auf eine möglicherweise niedrigere Schwelle des Gewalteinsatzes gegenüber Sinti:zze und Rom:nja, die in Zusammenhang mit antiziganistischen Ermittlungsansätzen in der polizeilichen Praxis stehen könne.Footnote 21
Rassifizierte Personen scheinen schwerwiegendere Folgen von polizeilicher Gewaltanwendung zu erleben. Neben gesundheitlichen Problemen, häufig in Form von psychosomatischen Einschränkungen oder Traumafolgen wie Ängsten und Vermeidungsverhalten, spielt auch der Vertrauensverlust in die deutsche Polizei und Behörden insgesamt eine nicht zu unterschätzende Rolle.Footnote 22
Eine umfassende empirische Erforschung des Zusammenhangs zwischen Racial Profiling und der Eskalation polizeilicher Gewaltanwendungen steht noch aus. Wenig empirisch gesichertes Wissen besteht auch zu institutionalisiertem Rassismus in der Justiz im Kontext übermäßiger Polizeigewalt. Naguib verweist in diesem Zusammenhang darauf, „dass der historische Rassismus den polizeilichen Zugriff auf den »fremden« Körper [normalisiere]“Footnote 23 und somit eine Verurteilung der gewaltausübenden Beamt:innen ungleich schwieriger mache.
3 Übermäßige Polizeigewalt und Rassismus: Die empirische Perspektive
Zivilgesellschaftliche und aktivistische Gruppen berichten bereits seit vielen Jahren von diskriminierenden Erfahrungen, die rassifizierte Personen mit polizeilichen Gewaltanwendungen machen. Da der deutschsprachige empirische Forschungsstand im Bereich der Viktimisierungsforschung allerdings wie dargestellt lückenhaft ist, wurden die qualitativen und quantitativen Daten des Projekts KviAPol hinsichtlich der Erfahrungen von Personen mit Migrationshintergrund und People of Color im Kontext polizeilicher Gewaltausübung analysiert. Dies umfasst sowohl Angaben einer Online-Befragung von Betroffenen (n = 3373), die polizeiliche Gewalt erlebt haben, welche sie als übermäßig bewerteten, als auch Interviews mit Expert:innen aus Polizei und Zivilgesellschaft, die dies thematisierten (n = 17).
3.1 PoC und Personen mit Migrationshintergrund in der Studie KviAPol: Eine andere Betroffenheit
PoC und Personen mit Migrationshintergrund erleben polizeiliche Gewaltanwendungen, die sie als übermäßig wahrnehmen, auf eine andere Art als weiß gelesene Personen. Dies betrifft einerseits die Settings, innerhalb derer sie Gewalterfahrungen machen, und damit einhergehend die Formen von Gewalt, die sie beschreiben. Andererseits sind die Folgen derartiger Vorfälle für sie besonders gravierend, was mit der Erfahrung zusammenhängt, aufgrund bestimmter persönlicher Eigenschaften viktimisiert und so diskriminiert worden zu sein.
Die Stichprobe wurde anhand der Situationen, für die die polizeiliche Gewaltausübung geschildert wurde, in drei Settings eingeteilt: Demonstrationen bzw. politische Aktionen (55 %); Fußball und andere Großveranstaltungen (25 %) sowie Einsätze außerhalb von Großveranstaltungen (20 %). Die Einsatzsituationen unterscheiden sich demographisch voneinander, vor allem aber durch die ihnen inhärenten situativen Dynamiken aufgrund der Größe der Einsätze sowie bestehender Konfliktverhältnisse zwischen Polizei und Fußballfans bzw. Demonstrierenden.
Die Befragten wurden zudem aus Analysegründen in drei Untergruppen geteilt: Personen mit Migrationshintergrund, People of Color und Personen ohne Migrationshintergrund (welche in etwa deckungsgleich mit der Gruppe weißerFootnote 24 Personen ist), wobei sich die Gruppen teilweise überschneiden (s. Abb. 1). Die Unterscheidung zwischen Personen mit Migrationshintergrund und PoC ist deshalb wichtig, da es sich bei Migrationshintergrund sowie Staatsangehörigkeit um starre Kategorien handelt, die bestimmte Diskriminierungserfahrungen nicht sichtbar machen oder verzerren.Footnote 25 So kann eine Person zwar einen Migrationshintergrund haben, aber dennoch weiß sein; umgekehrt gibt es PoC, die nach der genannten Definition keinen Migrationshintergrund haben.
Da insbesondere bei PoC der anfängliche Kontakt mit der Polizei vor allem bei Einsätzen außerhalb von Großveranstaltungen stattfand, beziehen sich die folgenden Ausführungen zu Erfahrungen und Folgen von als diskriminierend empfundener polizeilicher Gewalt vornehmlich auf diese Situationen.
3.2 Erfahrungen mit übermäßiger Polizeigewalt
Es lassen sich vor allem Unterschiede in der Art der erlebten Gewaltanwendung feststellen: Während Personen mit Migrationshintergrund etwas häufiger als Personen ohne Migrationshintergrund berichteten, zu hart angefasst worden zu sein (53 % vs. 47 %) und zudem ebenso wie PoC (39 %) häufiger als weiße Personen (28 %) angaben, gefesselt oder fixiert worden zu sein, erlebten sie seltener den Einsatz von Pfefferspray bzw. Reizgas (PoC: 26 %; Personen mit Migrationshintergrund: 35 %; ohne Migrationshintergrund: 42 %). Die unterschiedlichen Arten der Gewalterfahrung in den drei Gruppen lassen sich vor allem darauf zurückführen, dass PoC und Personen mit Migrationshintergrund in anderen Einsatzsituationen auf die Polizei trafen als weiße Personen und Personen ohne Migrationshintergrund (s. Tab. 1):
So kamen PoC und Personen mit Migrationshintergrund seltener im Kontext von Fußballspielen in Kontakt mit der Polizei, häufiger jedoch außerhalb von Großveranstaltungen. Beide Gruppen berichteten häufiger (28 % bzw. 22 %), dass es aufgrund einer Personenkontrolle zum Kontakt mit der Polizei kam (14 % bei Personen ohne Migrationshintergrund). Hingegen gaben sie seltener an, dass es zum Polizeikontakt kam, weil die Polizei wegen eines Konfliktes oder einer Straftat (z. B. wegen Ruhestörungen oder Schlägereien) gerufen wurde (s. Abb. 2).
Da Reizgas bzw. Pfefferspray vor allem im Kontext von Großveranstaltungen von der Polizei eingesetzt wird und Festgehalten werden bzw. zu hartes Anfassen sowie Fesselungen und Fixierungen bei Einsätzen außerhalb von Großveranstaltungen vermehrt eine Rolle spielen, lassen sich die Formen der erfahrenen Gewaltanwendung also auch auf die unterschiedlichen Anlässe des Polizeikontaktes zurückführen. Im qualitativen Material finden sich zudem Hinweise darauf, dass Fesselungen im Kontext von Abschiebungen gehäuft auftreten. Diese seien, wie Expert:innen aus der Zivilgesellschaft betonten, nicht immer notwendig und würden etwa auch bei Personen durchgeführt, die sich ruhig verhielten und von denen kein Risiko ausgehe.Footnote 26 Die interviewten Expert:innen führten dies auf die spannungsgeladene Ausgangslage und eine Unerfahrenheiten der Beamt:innen zurück, die durch die Situation teilweise überfordert seien.Footnote 27
3.3 Physische und psychische Folgen übermäßiger Polizeigewalt
Während die empirischen Daten der Studie zwar keine stärkere physische Betroffenheit von PoC und Personen mit Migrationshintergrund zeigen, finden sich bei den psychischen Folgen deutliche Unterschiede.Footnote 28 Die Schwere der psychischen Folgen wurde mit einem Mittelwertindex bestehend aus zwölf Items bestimmt (s. Abb. 3). Der Vergleich zeigte, dass PoC die schwersten Folgen erlitten, gefolgt von Personen mit Migrationshintergrund und Personen ohne Migrationshintergrund.
Die psychischen Auswirkungen von als unrechtmäßig wahrgenommener Gewalt durch die Polizei treffen jede Person individuell, sind jedoch auch gesellschaftlich zu kontextualisieren, wie anhand dreier besonders einschneidender Folgen deutlich wird:
Psychosomatische Veränderungen wie Schlafstörungen, Freudlosigkeit und sozialer Rückzug manifestieren sich zunächst bei der/dem Betroffenen individuell und schränken vor allem die persönliche Lebensqualität stark ein. „Internalisierte Selbstkontrollhandlungen“Footnote 29 wie der Versuch das Äußere zu verändern, um nicht erneut eine vergleichbare Erfahrung zu machen, stoßen bei körperlichen Merkmalen, die nicht der weißen Norm entsprechen, ebenso an Grenzen wie Vermeidungsstrategien zur Umgehung bestimmter Orte nach der Erfahrung von polizeilicher Gewalt. Solche Umgehungen sind angesichts alltäglicher Wege und Aufgaben nur eingeschränkt möglich. Sie sind jedoch Folge verräumlichten polizeilichen Handelns (s. Abschn. 4.1) und führen in ihrer Konsequenz zu einer Neuordnung des gesellschaftlichen Raums.Footnote 30
Ein Grund für die schwerere psychische Betroffenheit kann darin liegen, dass die betroffenen PoC und Personen mit Migrationshintergrund vielfach angaben, sich durch die Polizei in der jeweiligen Situation diskriminiert gefühlt zu haben. Wenn die Ursache der polizeilichen Gewaltanwendung in einer rassistischen oder diskriminierenden Haltung der handelnden Beamt:innen vermutet wird, beschreiben dies Expert:innen aus der Zivilgesellschaft als „ein Erleben von maximaler Unsicherheit, Handlungsunfähigkeit und Ohnmacht“ (Zivilgesellschaft/A2.2, Pos. 24) für die Betroffenen.
Die Frage, ob sie sich während des geschilderten Vorfalls von der Polizei diskriminiert gefühlt hätten, beantworten etwa drei Viertel der PoC (74 %) zustimmend; ebenfalls zustimmend äußerte sich mehr als die Hälfte (57 %) aller Personen mit Migrationshintergrund. Unter den Personen ohne Migrationshintergrund fühlten sich etwas weniger als die Hälfte (46 %) beim Vorfall durch die Polizei diskriminiert.Footnote 31
Die spezifischen Eigenschaften, die die Betroffenen als ursächlich für die wahrgenommene Diskriminierung angaben, waren nicht nur, aber auch Merkmale der (zugeschriebenen) Herkunft wie phänotypische Merkmale, Nationalität, Name bzw. Sprache oder der Aufenthaltsstatus. Dies traf vor allem auf PoC und Personen mit Migrationshintergrund zu (s. Abb. 4).
Hinsichtlich der Einflussfaktoren für die wahrgenommene Ungleichbehandlung bestanden zwar keine signifikanten Unterschiede zwischen den drei Gruppen. Dennoch fiel auf, dass PoC diese Erfahrungen etwas häufiger „oft“ oder „ständig“ machten.Footnote 32 Dies beeinflusste auch die Bewertung des aktuellen polizeilichen Handelns: Je häufiger Betroffene schon derartige Erfahrungen gemacht hatten, desto wahrscheinlicher bewerteten sie das polizeiliche Verhalten als diskriminierend.Footnote 33
4 Erklärungsansätze: Rassistisches Erfahrungswissen vs. Erfahrungswissen über Rassismus
Als Erklärung für polizeiliche Gewaltanwendungen, die von den Betroffenen sowohl als übermäßig als auch als rassistisch wahrgenommen werden, weist die Analyse des empirischen Materials der Studie KviAPol auf drei Ansatzpunkte hin:
4.1 Rassistisch strukturiertes Erfahrungswissen aufseiten der Polizei
Es ergaben sich Hinweise auf explizite rassistische Einstellungen einzelner Polizeibeamt:innenFootnote 34: Einerseits berichteten PoC in den Freitextfeldern der Befragung von rassistischen Beleidigungen und Einschüchterungen durch Polizeibeamt:innen. Zudem kritisierten vereinzelt Interviewpartner:innen aus der Polizei rassistisches Verhalten von Kolleg:innen und daraus potenziell resultierende polizeiliche Gewaltanwendungen.Footnote 35 Es lassen sich anhand des Datenmaterials allerdings keine Aussagen dazu treffen, wie groß dieses Problem ist.
Ersichtlich wurde in den Interviews mit Polizeibeamt:innen jedoch, dass diese intendierte Form von Rassismus nicht vorrangiges Problem sein muss. Vielmehr scheint polizeiliches Erfahrungswissen eine erhebliche Rolle bei der Verfestigung (rassistischer) Stereotype und Vorannahmen bei Beamt:innen zu spielen: Alles polizeiliche Handeln baut auf Erfahrungswissen auf, das sich aus eigens Erlebtem, Erzählungen Dritter sowie gesellschaftlichen Diskursen zusammensetzt.Footnote 36 Gerade letztere transportieren (unbewusste) stereotype und kulturalisierende Annahmen über rassifizierte PersonenFootnote 37; eigene Erfahrungen oder Erfahrungsberichte von Kolleg:innen knüpfen an dieses Wissen an und bestätigen es scheinbar:
„Also das sind auch teilweise Leute, die aufgrund anderer Ethnien oder aufgrund anderer kultureller und moralischer Vorstellungen einfach nicht mit unserer Arbeit dʼaccord gehen. Ja, also das können auch männliche Ausländer sein, die zum Beispiel nicht mit Frauen bei der Polizei mit der Arbeit dʼaccord gehen oder auch andere, ich will da jetzt keine anderen Kulturen nennen, wo das prägnant ist. Aber das merkt man dann schon, dass die Akzeptanz der Polizei eine ganz andere ist als hier zum Beispiel vom normalen Otto-Normal-Verbraucher-Bürger.“ (Polizei/C3.10, Pos. 14)
Bestimmten Personen werden also aufgrund ihrer (vermuteten) Herkunft negativ konnotierte Eigenschaften zugeschrieben, wie etwa eine mangelnde Akzeptanz der Polizei oder abweichende Moralvorstellungen. Im Sinne eines „Verstärkerlernens“Footnote 38 kann sich das Erfahrungswissen in der polizeilichen Berufspraxis dabei selbst legitimieren und dadurch zusätzliche Generalisierungen und Typisierungen fördern. Die notwendige „situative Offenheit“, das heißt die Prüfung des Einzelfalls möglichst frei von (pauschalisierenden) Vorannahmen, wird dadurch erschwert.Footnote 39
Daneben stellt verräumlichtes polizeiliches Handeln eine besondere Ausprägung des Erfahrungswissens dar.Footnote 40 Pauschalisierende Abstraktionen beziehen sich hier nicht auf bestimmte Personen(gruppen), sondern auf Orte, denen spezifische Eigenschaften zugeschrieben werden, wie etwa eine hohe Kriminalitätsbelastung an sogenannten „sozialen Brennpunkten“.Footnote 41 Derartige Zuschreibungen nehmen wiederum Einfluss auf polizeiliches Handeln gegenüber den Personen an diesen OrtenFootnote 42, was auch in folgendem Zitat einer/eines Interviewpartner:in aus der Polizei zum Ausdruck kommt:
„Also wenn ich da natürlich in ein Gebiet gehe, wo die Migrationsrate sehr hoch ist und nachweislich per Statistik meinetwegen jetzt auch die Kriminalität sehr hoch ist, dann gehe ich da als [Polizist:in] nicht völlig neutral rein. Das ist eben so. Naja und dann braucht eben nur ein kleines was passieren und dann hau ich wahrscheinlich an der Stelle schneller zu, als wenn ich nach [Stadtbezirk 1] gehe und hier eine Kleinigkeit passiert, wo ich sage: ‘Bleibt mal locker, bleibt mal entspannt‘.“ (Polizei/C 3.4, Pos. 12)
Verräumlichtes polizeiliches Handeln ist teilweise gesetzlich so vorgesehen: In festgelegten „Gefahrengebieten“ hat die Polizei besondere Befugnisse, wie etwa die Durchführung verdachtsunabhängiger Kontrollen.Footnote 43 In dem Kontext wird häufig kritisiert, dass diese Orte ein besonderes Risiko für Racial Profiling bergen, da die Personenauswahl der Kontrollen auf stereotypen Vorannahmen aufbauen kann, was durch das diskursive Framing als „gefährlich“ in der gesetzlichen Befugnis befördert wird.Footnote 44 Die Zuschreibung von pauschalisierenden Eigenschaften und die unterschiedliche polizeiliche Bearbeitung bestimmter Räume können zu einer polizeilichen Praxis führen, die von Betroffenen als diskriminierend wahrgenommen wird, ohne dass den Polizeibeamt:innen ihr diskriminierendes Handeln oder die zugrundeliegenden Stereotype notwendigerweise bewusst sind.Footnote 45 Die sich daraus ergebende Eskalationsspirale beschreibt ein:e interviewte:r Polizeibeamt:in wie folgt:
„Wenn ich irgendwo an bestimmten Brennpunktorten eine Ansammlung habe aus bestimmten Ethnien, die auch – auch oft begründet – misstrauisch und skeptisch der Polizei gegenüber sind, und dort dann auch geballt Menschen dazu kommen und das heizt sich dann auch immer mehr auf. Möchte ich auch einmal sehen, dass jemand wirklich deeskalativ ist und beschwichtigt und die richtigen Worte verwendet, aber meistens oder sehr häufig enden solche Einsätze in einem Desaster.“ (Polizei/C3.3, Pos. 13)
Das Misstrauen der Betroffenen und ihr daraus resultierendes Verhalten werden also polizeilicherseits teilweise als Auslöser der Einsatzeskalation betrachtet.
4.2 Erfahrungswissen über Rassismus aufseiten der Betroffenen
Aus Betroffenenperspektive stellt sich die Situation anders dar. In den Freitextfeldern der Befragung berichteten betroffene PoC auf die Frage nach dem Trigger der übermäßigen polizeilichen GewaltanwendungFootnote 46, dass die Situation in dem Moment kippte, in dem sie das polizeiliche Handeln als rassistisch benannten:
„Einfach weil ich schwarze Hautfarbe habe und gefragt habe warum ich so respektlos behandelt werde.“ (Betroffene/Lfdn. 2037)
„Die Gewaltanwendung begann, als ich mich informieren wollte, welchem Zwecke die Maßnahme diene und der Polizist Verwunderung darüber äußerte, dass das Affenmädchen sprechen kann.“ (Betroffene/Lfdn. 985)
In Konstellationen, in denen Polizeibeamt:innen auf rassifizierte Personen treffen, scheint also eine Kritik des polizeilichen Handelns als rassistisch zum Trigger für eine Eskalation der Situation werden zu können. Expert:innen aus der Zivilgesellschaft vermuten aufseiten der Betroffenen in Bezug auf „rassistische Mikroaggressionen“Footnote 47 ein in den vergangenen Jahren gewachsenes ProblembewusstseinFootnote 48:
„Wenn Leute dann in dem Ärger, in der Wut ständig von der Polizei behelligt zu werden, ohne dass es dafür einen Grund gibt / Da kommt es zu Situationen, wo es dann eben Wortgefechte gibt. Leute weigern sich, sich auszuweisen, wollen weitergehen und so weiter und so fort. Dann schreitet eben auch hier die Polizei sehr schnell ein. Und ich habe eben wie gesagt das Gefühl, dass die Hemmschwelle gegenüber Schwarzen Menschen, PoCs generell sehr viel niedriger ist, aber erst recht, wenn davon auszugehen ist, dass die Menschen sich auch nicht wirklich ihrer Rechte bewusst sind.“ (Zivilgesellschaft/A1.4, Pos. 15)
Die wahrgenommene niedrigere Hemmschwelle der Polizei zur Gewaltanwendung gegenüber rassifizierten Personen, wird in der Literatur unter anderem damit erklärt, dass diesen Personengruppen eine niedrigere Beschwerdemacht zugeschrieben werde.Footnote 49 Darauf verweisen auch Expert:innen aus der Zivilgesellschaft im Interview:
„Die Konstellation, das sind in den allermeisten Fällen Leute, denen man, wenn man sie sieht, das Beschwerdeschwache sozusagen zurechnet. […] Ja, es konzentriert sich auf Menschen, denen man einen Migrationshintergrund ansieht, das ist die eine, die größte Gruppe vielleicht.“ (Zivilgesellschaft/A3.2, Pos. 6–8)
Aus polizeilicher Sicht werden im Zusammenhang mit dem besonderen Eskalationspotenzial bei Einsätzen gegenüber rassifizierten Personen hingegen eher kommunikative Defizite oder die Infragestellung der Autorität der Polizeibeamt:innen betont:
„Null Toleranz heißt, wir lassen uns nichts gefallen als Polizei. Das heißt, wenn wir angemacht werden, wenn wir beleidigt werden, wenn wir angegriffen werden, führt das kompromisslos zu polizeilichen Gegenmaßnahmen, sofort. […] Das ist die sicherheitspolitische Linie der Landesregierung. Also man kann ja seitens des Innenministeriums vorgeben, wie man vorgeht. Man hat ganz lange immer auch auf Kommunikation und Kooperation gesetzt, aber wir haben einfach festgestellt, dass wir bei bestimmten Personengruppen mit Kommunikation und Kooperation nicht weiterkommen.“ (Polizei/C2.5, Pos. 49–50)
„Man kann es sehr sehr deutlich spüren, dass die Ansprache von Polizisten teilweise bei sehr jungen Menschen, aber auch teilweise bei Personen mit deutlichem Migrationshintergrund, teilweise nicht ankommt und dass auch die Reaktionen dem Polizeibeamten gegenüber häufig menschenverachtend sind, so dass dadurch auch schon eine Situation emotional hochgefahren wird und es sehr schwierig ist, natürlich auch diese Sachen emotional wieder runter zu fahren.“ (Polizei/C2.4, Pos. 22)
Hier offenbart sich eine deutliche Perspektivendiskrepanz in Bezug auf den Auslöser einer eskalativen Situation: Während die betroffenen Personen das polizeiliche Handeln als diskriminierend empfinden und durch das Hinterfragen der polizeilichen Maßnahme ihrem (kollektiven) Erfahrungswissen über diskriminierende Polizeipraxen Rechnung tragen, stellt diese Äußerung von Skepsis gegenüber der Rechtmäßigkeit der Maßnahme für die Polizei eine Provokation dar. Beide Seiten empfinden das Handeln des Gegenübers als ungerechtfertigt, woraus sich ein besonderes Spannungspotenzial ergibt.
4.3 Die Benennung von Rassismus als spezifischer Eskalationsmoment
Das Material bietet gleichwohl Hinweise darauf, dass die Benennung des polizeilichen Handelns als rassistisch oder diskriminierend auch dann Trigger übermäßiger polizeilicher Gewaltanwendung sein kann, wenn die Kritisierenden selbst nicht von Rassismus betroffen sind und somit selbst keine Diskriminierungserfahrung machen. So berichteten insgesamt 30 Befragte, die als weiß gelesen werden, dass das Kritisieren des polizeilichen Vorgehens oder das Dokumentieren der Interaktion als Auslöser der erlebten polizeilichen Gewaltanwendung wahrgenommen wurde:
„Die Polizei hat auf unser mündliches Nachfragen, welche Rechtsgrundlage sie für die brutale Festnahme eines Ausländers haben, sehr aggressiv reagiert […] Da war kein Grund, wir wollten nur wissen, ob sie eine Rechtsgrundlage für die rassistische Festnahme hätten und da sich die Polizei nicht rechtfertigen konnte, wurden sie aggressiv.“ (Betroffene/Lfdn. 6305)
Die Thematisierung der Wahrnehmung von rassistischem oder diskriminierendem polizeilichem Handeln (auch durch Zeug:innen) kann demnach ein erhöhtes Konfliktpotenzial für polizeiliche Einsätze bergen. Dies lässt sich ebenfalls mit einer Wahrnehmungs- bzw. Perspektivendiskrepanz erklären: Während die Betroffenen selbst häufig alltäglich Rassismuserfahrungen machen und damit in hohem Maße sensibilisiert sind, wird ein solcher Vorwurf – so konkret er auch sein mag – auf polizeilicher Seite gerade auch im Zuge einer stärkeren gesellschaftlichen Thematisierung von Rassismus als pauschalisierend, ungerechtfertigt oder diskreditierend empfunden. Dies ist vor allem vor dem Hintergrund relevant, dass den Polizeibeamt:innen die kulturalisierenden Vorannahmen, die ihr Handeln geleitet haben mögen, nicht bewusst sein müssen. Bislang ist dieser Zusammenhang nur wenig wissenschaftlich untersucht (s. Abschn. 2). Hinweise dazu ergeben sich aber nicht nur aus vereinzelten Untersuchungen zu Racial Profiling (s. Abschn. 2), sondern auch aus einer hessischen Polizeistudie, bei der 44 % der befragten Polizeibeamt:innen die „Unterstellung von Rassismus bei der Durchführung von Maßnahmen“ als sehr belastend empfanden.Footnote 50
5 Fazit
Im empirischen Material der Studie KviAPol finden sich Hinweise auf rassistische Diskriminierungen im Kontext polizeilicher Gewaltanwendungen, die die Erkenntnisse der bisherigen Forschung bestätigen bzw. ergänzen: PoC und Personen mit Migrationshintergrund machen einerseits andere Erfahrungen in anderen Kontexten mit polizeilicher Gewaltanwendung als nicht-rassifizierte Personen (s. Abschn. 4.1).Footnote 51 Besonders betroffen scheinen dabei junge Männer, die als nicht weiß gelesen werden, Geflüchtete und Personen mit prekärem Aufenthaltsstatus zu sein.Footnote 52
Andererseits sind die psychischen Folgen für diese Gruppen stärker (s. Abschn. 4.2): Sie sind nicht nur von polizeilicher Gewalt, sondern auch von Rassismus betroffen und wissen um diese doppelte Ohnmachtsposition.Footnote 53 Durch die alltägliche Erfahrung rassistischer (Mikro-) Aggressionen sind sie für die Wahrnehmung von Ungleichbehandlungen besonders sensibilisiert.Footnote 54 Im kollektiven Erfahrungswissen bestimmter Communities ist das Wissen um das Eskalationspotenzial von Begegnungen mit der Polizei, die als diskriminierend empfunden werden, fest verankert und führt zu einer „Einschränkung der Raumpraxis und dem Nachgang des alltäglichen Lebens“Footnote 55. Besagtes Eskalationspotenzial resultiert aus Perspektive der Betroffenen vor allem aus der Hinterfragung polizeilicher Maßnahmen bzw. aus der Benennung von Diskriminierungen (s. Abschn. 4.2 und 4.3).
In den Interviews mit Polizeibeamt:innen finden sich ebenfalls Hinweise auf ein Erfahrungswissen, nach dem eskalative Polizeieinsätze im Zusammentreffen mit rassifizierten Personen durch spezifische Strukturen wie Leitbilder und Gesetzes- oder Einsatzvorgaben bedingt sind und damit keine Einzelfälle darstellen (s. Abschn. 4.1).Footnote 56 Dabei wird jedoch vorrangig die Infragestellung der polizeilichen Autorität durch respektloses Verhalten als begünstigender Faktor für den gewaltvollen Verlauf eines Einsatzes hervorgehoben (s. Abschn. 4.2). Wenig Bewusstsein scheint bei den interviewten Polizeibeamt:innen für internalisierte Rassismen zu bestehen, die sich im alltäglichen Handeln aufgrund ihrer Zuschreibung zu einem vermeintlich objektivem Erfahrungswissen ihren Weg bahnen können.Footnote 57
Problematisch ist dabei die Perspektivendiskrepanz zwischen Polizeibeamt:innen und Betroffenen: Wird polizeiliches Handeln als rassistisch bzw. diskriminierend und damit rechtswidrig bezeichnet, so stellt dies die Definitionshoheit der Polizeibeamt:innen über die Situation in Frage. Die von den Polizeibeamt:innen nicht (zwingend) als diskriminierend erkannte polizeiliche Maßnahme wird hinterfragt, was zu einem Rechtfertigungsdruck aufseiten der Beamt:innen führt (s. Abschn. 4.3). Wenn dieser Rechtfertigungsdruck als Infragestellung polizeilicher Autorität verstanden wird und sich in einer gewaltvollen Eskalation der Situation entlädt, so muss der Blick auch auf die dahinterstehenden Strukturen gerichtet werden:
Welche Rechtsgrundlagen, Aufgaben und Dienstanweisungen strukturieren das polizeiliche Handeln und geben diskriminierendem Erfahrungswissen Raum sich in der Praxis zu entfalten? Wie kann eine Barriere zwischen gesellschaftlich geprägte stereotype Vorannahmen und die polizeiliche Praxis gesetzt werden? Welcher Umgang mit Fehlern wird in den Polizeieinheiten gepflegt?Footnote 58 Wie können Ankerpunkte für eine kritische Binnenkultur gebildet und interne Kritiker:innen gestärkt werden?
Dabei gilt es auch die potenziell stigmatisierende Wirkung diskriminierender polizeilicher Gewaltanwendungen zu bedenken, die die Betroffenen in der öffentlichen Wahrnehmung als deviant erscheinen lässt und damit stereotypes Erfahrungswissen (re-)produziert.Footnote 59 Rassismus muss als gesamtgesellschaftliches Phänomen verstanden werden, das sozialen Interaktionen zugrunde liegt, durch sie aktualisiert wird und historisch in sämtliche staatliche Institutionen und deren Strukturen eingeschrieben ist. Insofern ist die Institution der Polizei als Ausführende des staatlichen Gewaltmonopols nicht von ihrer Verantwortung entbunden, einen Anteil zur Überwindung von institutionellem Rassismus zu leisten. Im Moment der Eskalation, in der rechtmäßiger unmittelbarer Zwang zu übermäßiger polizeilicher Gewalt umschlägt, materialisieren sich Strukturen rassistischer Diskriminierung. Diese zu hinterfragen ist nicht Aufgabe der von Rassismus Betroffenen, sondern obliegt der Wissenschaft sowie der Polizei selbst. Die Debatte darüber steht im deutschsprachigen Raum erst am Anfang.
Notes
- 1.
Das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderte empirische Forschungsprojekt KviAPol (Körperverletzung im Amt durch Polizeibeamt:innen) untersuchte von 2018 bis 2022 unter Leitung von Prof. Dr. Tobias Singelnstein polizeiliche Gewaltanwendungen, die von den Betroffenen als übermäßig bewertet wurden. Die Autorinnen arbeiten als Wissenschaftliche Mitarbeiterinnen im Projekt und sind beide weiß.
- 2.
Beck (2017), S. 16.
- 3.
Beck (2017), S. 17.
- 4.
Vgl. Hester und Gray (2018).
- 5.
Der Fragebogen war vom 08. November 2018 bis zum 13. Januar 2019 auf der Projektwebseite verfügbar.
- 6.
Für nähere Ausführungen zur Methode s. Abdul-Rahman et al. (2019).
- 7.
Vgl. Abdul-Rahman et al. (2020b), S. 14.
- 8.
Eine Person hat einen Migrationshintergrund, wenn sie selbst oder mindestens ein Elternteil die deutsche Staatsangehörigkeit nicht durch Geburt besitzt (Statistisches Bundesamt 2020). PoC ist eine Selbstbezeichnung von Menschen mit Rassismuserfahrungen (AG Feministisch Sprachhandeln (AG FSH) 2015, S. 56) die von der „weißen Dominanzkultur marginalisiert“ werden (Ha 2009). Im Rahmen der Studie KviAPol ist der Begriff keine Selbstbezeichnung, sondern wurde von den Forschenden gewählt.
- 9.
- 10.
- 11.
Vgl. Singelnstein (2019).
- 12.
Vgl. Luff et al. (2018).
- 13.
- 14.
- 15.
- 16.
Vgl. Kampagne für Opfer rassistisch motivierter Polizeigewalt (KOP) 2020; Amnesty International (2010).
- 17.
Vgl. KFRP (2019).
- 18.
- 19.
- 20.
Vgl. Plümecke und Wilopo (2019), S. 152.
- 21.
Vgl. End (2017), S. 38.
- 22.
- 23.
Naguib (2019), S. 271.
- 24.
Weiß meint keine Schattierung von Hautfarbe, sondern eine soziale Position, die mit bestimmten Privilegien einhergeht. Um diese meist unmarkiert bleibende Position sichtbar zu machen, wird der Begriff kursiv gesetzt. vgl. Informations- und Dokumentationszentrum für Antirassismusarbeit e. V. (IDA e. V.) 2020.
- 25.
Vgl. Supik (2017), S. 47. S. auch den Beitrag von Karakayalı in diesem Band.
- 26.
Vgl. Abdul-Rahman et al. (2020a), S. 25.
- 27.
Vgl. Abdul-Rahman et al. (2020a), S. 25.
- 28.
Vgl. Abdul-Rahman et al. (2020a), S. 38.
- 29.
Golian (2019), S. 188.
- 30.
- 31.
Die Prozentangaben setzen sich aus folgenden Items zusammen: „trifft voll und ganz zu“, trifft eher zu“, „trifft teilweise zu“.
- 32.
Vgl. Abdul-Rahman et al. (2020a), S. 27.
- 33.
Vgl. Abdul-Rahman et al. (2020a), S. 28.
- 34.
S. zu Einstellungen allgemein den Beitrag von Wegner in diesem Band.
- 35.
Vgl. Abdul-Rahman et al. (2020a), S. 37 f.
- 36.
Vgl. Grutzpalk (2016).
- 37.
Vgl. Terkessidis (1998).
- 38.
Behr (2019), S. 28.
- 39.
Behr (2019), S. 41.
- 40.
S. dazu allgemein den Beitrag von Belina in diesem Band.
- 41.
Belina und Wehrheim (2011).
- 42.
Vgl. Golian (2019).
- 43.
S. dazu den Beitrag von Ruch in diesem Band.
- 44.
- 45.
Vgl. Zick (2020), S. 129 f.
- 46.
An zwei Stellen im Fragebogen (Einschätzung der Verhältnismäßigkeit und Trigger der übermäßigen Gewaltanwendung) wurden die Betroffenen gebeten, in Freitextfeldern ihre Perspektive zu schildern. Der Fragebogen ist unter https://kviapol.rub.de/index.php/inhalte/zwischenbericht abrufbar.
- 47.
Sue et al. (2007), S. 273.
- 48.
Vgl. Abdul-Rahman et al. (2020a), S. 33 f.
- 49.
Vgl. Maibach (1998).
- 50.
Vgl. Hessisches Ministerium des Inneren und für Sport (2020), S. 10.
- 51.
Vgl. Klimke (2010), S. 48.
- 52.
- 53.
Vgl. Simon (2017), S. 14.
- 54.
Vgl. Louw et al. (2016), S. 34 f.
- 55.
Thompson (2018a), S. 205.
- 56.
Vgl. Zick (2020), S. 126.
- 57.
Vgl. Mohrfeldt (2016), S. 64.
- 58.
Vgl. Seidensticker (2019).
- 59.
Vgl. dazu auch den Beitrag von Bosch und Thurn in diesem Band.
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Espín Grau, H., Klaus, L. (2022). Rassistische Diskriminierung im Kontext polizeilicher Gewaltanwendung. In: Hunold, D., Singelnstein, T. (eds) Rassismus in der Polizei. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-37133-3_17
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