Schlüsselwörter

1 Einleitung

In der öffentlichen Wahrnehmung stehen für den Begriff „Polizei“ meist verallgemeinert uniformierte Beamt:innen, die im öffentlichen Raum präsent sind. Auch in der öffentlichen Diskussion über Polizeihandeln wird häufig von der Polizei oder den Polizeibeamt:innen gesprochen. Dies gilt letztendlich ebenso für Debatten über Rassismus in der Polizei, z. B. wenn gefragt wird: „Wie rassistisch ist die deutsche Polizei?“Footnote 1

Allerdings lässt sich die Organisation Polizei in viele verschiedene Arbeitsfelder differenzieren und stellt sich bei näherer Betrachtung mitnichten als homogenes Gebilde dar. Dementsprechend lassen sich auch keine allgemeinen Aussagen zu polizeilichen Strukturen und Handlungsweisen treffen. Neben den binnenkulturellen sowie -strukturellen Faktoren sind so z. B. bei der Analyse rassistischen Handelns ebenso Aspekte des dienstlichen Umfeldes zu berücksichtigen. Letzteres fokussiert auf außerhalb der Organisation liegende Kontexte, auf welche sich alltägliche Routinen polizeilicher Arbeit beziehen. In diesem Zusammenhang sind u. a. die verschiedenen Arbeitsbereiche der Schutz- und Kriminalpolizei zu betrachten, da diese unterschiedliche Aufgaben erfüllen und somit auch mit verschiedenen (räumlichen) Kontexten, Situationen und Personen assoziiert sind.

Der Beitrag verfolgt vor diesem Hintergrund das Ziel, die verschiedenen dienstlichen Umfelder zu beschreiben sowie die jeweiligen Strukturen und Kontexte zu identifizieren, welche (Wechsel-) Wirkungen mit rassistischen Polizeipraktiken aufweisen. Im Sinne des Habituskonzeptes nach Bourdieu wird dabei davon ausgegangen, dass mit dem jeweiligen dienstlichen Umfeld Prozesse der Inkorporierung von Wahrnehmungs-, Denk- und Beurteilungsschemata verbunden sind, in welchen sich rassistische Einstellungen sowie Handlungsroutinen widerspiegeln können.

2 Bourdieus Blick auf die Polizei

Pierre Bourdieusʼ Habituskonzept beschreibt soziale Praxis u. a. als Ergebnis von vorbewussten, instinkthaften und unreflektierten Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsstrukturen. Es geht weiter davon aus, dass diese nicht nur durch gesellschaftliche Strukturen geformt, sondern ihrerseits auch konstituierend für soziale Strukturen sind. Der Habitus reflektiert somit „die Inkorporierung gesellschaftlicher Strukturen und den Akteur als einem bestimmten Milieu, resp. einer bestimmten Klasse zugehörig“Footnote 2. Bourdieu hatte mit seinem Konzept das Ziel die verschiedenen Perspektiven in der soziologischen Diskussion zur Grundlage des Handelns von Akteur:innen zu verknüpfen, indem zwischen Struktur und Subjekt, zwischen Objektivität und Subjektivität vermittelt wird. Im Ergebnis betrachtet er den oder die Akteur:in als Individuum, das „zu einem gewissen Grad selbstbestimmt handelt und zu einem gewissen Teil ein Opfer seiner Herkunft, seiner Erziehung und Sozialisation ist [und] aus seinen (biographischen) Wurzeln eine Begrenzung erfährt“Footnote 3. Insbesondere die Sozialisation betrachtet Bourdieu als Einflussfaktor für vorbewusste Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsstrukturen, den Habitus. Spätere Entwicklungen der Individuen sind geprägt davon, dass auf Basis dieser Strukturen Erfahrungen selektiert werden, die den Habitus weiter ausprägen bzw. spezifizieren. Inwiefern neue Erfahrungen eine Wirkung entfalten, hängt davon ab, wie kompatibel diese mit den bereits inkorporierten Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsstrukturen sind.Footnote 4 Im Allgemeinen spricht man in diesem Zusammenhang auch von selektiven Wahrnehmungen, wenn bestimmte Aspekte der Umwelt aufgenommen und andere ausgeblendet werden.

Vor diesem Hintergrund lässt sich zunächst konstatieren, das sich Polizeibeamt:innen vermutlich eher ähneln als unterscheiden hinsichtlich ihrer durch Sozialisation erworbenen Habitusformen, zumindest, wenn man Bourdieus Ansatz folgt, den Habitus als Ergebnis und Folge von mit Milieus und Klassen assoziierten inkorporierten Strukturen zu betrachten. In vielen Bundesländern ist heutzutage ein Bachelorstudium, das ein Abitur voraussetzt, die Grundlage für eine Tätigkeit bei der Polizei. Das bedeutet, dass die meisten Polizeibeamt:innen ein vergleichsweise hohes formales Bildungsniveau mitbringen. In diesem Zusammenhang lässt sich zweifelsohne konstatieren, dass dieses eine schichtspezifische Komponente aufweist, „denn die Wahrscheinlichkeit, dass Schüler:innen mit einem niedrigen sozioökonomischen Hintergrund auf ein Gymnasium gehen, ist deutlich geringer als für Schüler:innen mit einem hohen sozioökonomischen Hintergrund“Footnote 5. Demzufolge ist zumindest von einer großen Ähnlichkeit des sozioökonomischen Hintergrundes von Akteur:innen in der Berufsgruppe Polizei auszugehen. Schließlich ist die Belegschaft der Polizei neben der „Klasse“ hinsichtlich einer weiteren sozialen Differenzierungskategorie eher homogen strukturiert: die Ethnie. Nur einzelne Bundesländer erheben Informationen zum Migrationshintergrund von Polizeianwärter:innen. Obwohl sich der Anteil an Einstellungen von Menschen mit Migrationshintergrund in den Polizeidienst innerhalb des letzten Jahrzehnts in den meisten Bundesländern, welche diese Information vorhalten, beträchtlich erhöht hat, liegt er oftmals noch deutlich unter dem Anteil der Bevölkerung mit Migrationshintergrund.Footnote 6 Eine erste Studie, welche sich explizit mit den Rekrutierungs- und Einstellungsbedingungen von Menschen mit Wanderungsbiographie in den Polizeidienst beschäftigt hat, stellte fest, dass zwar „[p]olitisch in der deutschen Polizei von Integration gesprochen [wird], faktisch (und im soziologischen Sinn) aber Assimilation praktiziert [wird]“Footnote 7. Hiernach sind es vor allem die Prinzipien der Bestenauslese und des Gleichheitsgrundsatzes, welche zur tatsächlichen Ungleichbehandlung von Bewerber:innen mit Wanderungsbiographie führen, da strukturelle Bildungsbenachteiligungen sowie kulturelle Lebenswelten im Auswahlverfahren nicht berücksichtigt werden.Footnote 8 Weitere Faktoren, die eher zu einer „Vielfalt der Ähnlichen“ als zur organisationalen Diversität führen, sind u. a. der Gesundheitsstatus (so gibt es zumindest zu Beginn der polizeilichen Laufbahn keine Polizist:innen mit Adipositas oder Anorexie), der auf Vorstrafen bezogene Leumund sowie die politische Orientierung (bisher gibt es z. B. keine Erkenntnisse zu Linksextremen in der Polizei). Schließlich prägen den Beruf Polizei spezifische Erfahrungen und Praktiken, welche zu einem professionellen Habitus führen, welche die Akteur:innen in diesem Feld miteinander verbindet.

Nun ist aber die Frage, inwiefern es unter eher ähnlichen Menschen im Sinne des Bourdieuschen Habituskonzeptes zu unterschiedlichen Habitusformen im Berufsfeld Polizei kommen kann. Bourdieu versteht das Feld als sozialen Raum, der die Praktiken der Akteur:innen strukturiert und die somit als „Orte sozialer Praxis(formen)“ betrachtet werden können.Footnote 9 Er deutet weiterhin das Feld als relationalen Raum, d. h. weniger als statische Struktur, welche starre Praxisformen hervorbringt, sondern vielmehr als gelebten Raum, der sich durch die Dialektik von Habitus und Feld auszeichnet. Es sind also die Akteur:innen, welche sich das Feld durch spezifische Deutungs- und Wahrnehmungsmuster aneignen und die daraus resultierenden sozialen Praktiken wiederum inkorporiert werden und den Habitus weiter selektiv spezifizieren. Nach Bourdieu existieren in jedem Feld, hier Polizei, Unterfelder, „die jeweils wieder durch eine eigene Logik und spezifische Regeln und Regularitäten charakterisiert sind“Footnote 10. Sie beschreiben jeweils eine eigene soziale Welt, sofern sie mit charakteristischen Wahrnehmungs-, Deutungs- und Handlungsmustern assoziiert werden können.

Vor diesem Hintergrund lässt sich das Feld Polizei mindestens in die Unterfelder „Kriminalpolizei“ und „Schutzpolizei“ unterscheiden. In diesen ließen sich jeweils weitere Unterfelder identifizieren, wenn man hier weiterführende Differenzierungen vornehmen würde. Der Beitrag beschränkt sich im Folgenden jedoch auf die Beschreibung der beiden genannten Unterfelder sowie der Analyse ihrer Bedeutung für rassistische polizeiliche Praktiken.

3 Die unterschiedlichen Dienstfelder – Schutz- und Kriminalpolizei

Zwar beginnen alle Polizeibeamt:innen ihre dienstliche Tätigkeit auf die gleiche Art und Weise. So ist in einem Großteil der Bundesländer ein Bachelorstudium Voraussetzung für den gehobenen Polizeivollzugsdienst und somit in erster Linie Abiturient:innen vorbehalten.Footnote 11 Nach dem Studium ist es zudem die Regel, die ersten Dienstjahre in der BereitschaftspolizeiFootnote 12 zu versehen, um danach üblicherweise in den „normalen“ Einsatzdienst zu wechseln. Ausnahmen davon existieren u. a. in NRW und Niedersachsen, wo man sofort bzw. zuerst im Wach- und Wechseldienst beginnt und u. U. später erst in die Bereitschaftspolizei wechselt. Dieser ist meist mit den Aufgaben verbunden, die in der öffentlichen Wahrnehmung dominieren: den Streifendiensttätigkeiten. Abgesehen von Berlin, Hessen und Hamburg, wo man sich schon im Studium für die Sparte „Kriminalpolizei“ entscheiden kann (und muss), ist es in den anderen Bundesländern erst nach weiteren Jahren im Einsatzdienst möglich, sich für die Kriminalpolizei zu bewerben, woran i. d. R. eine spezifische Fortbildungszeit anschließt, welche auf die Ermittlungsarbeit fokussiert.

Die Aufgabenbereiche der Schutz- und Kriminalpolizei lassen sich folgendermaßen grob umreißen:

Die Schutzpolizei ist rund um die Uhr über den Polizeinotruf erreichbar und wenn sie gebraucht wird zuerst vor Ort, auch wenn es sich um einen Mord handelt, der typischerweise kriminalpolizeiliche Aufgaben wie eine Mordermittlung nach sich zieht. Das Spektrum an Möglichkeiten der Ereignisse, zu denen die Schutzpolizei gerufen wird erstreckt sich über Verkehrsunfälle, Nachbarschaftsstreitigkeiten, Ruhestörungen, Vermisstensuche, Überfälle, Mord bis hin zur Tierrettung. Nicht umsonst ist mit dem Ausdruck „Polizei dein Freund und Helfer“ oftmals der uniformierte Einsatzdienst assoziiert. In den ganz überwiegenden Fällen handelt es sich bei den Einsätzen, die von diesem Teil der Polizei wahrgenommen werden, um Alltagskonflikte oder Ordnungsstörungen, welche von Bürger:innen nicht selbst gelöst werden (können).Footnote 13 Aber die Schutzpolizei arbeitet nicht nur reaktiv, sondern versucht Kriminalität zu verhindern, beispielsweise durch Streifenfahrten bzw. -gänge sowie verschiedene proaktive Kontrollmaßnahmen. Im Wesentlichen ist die Schutzpolizei zuständig für die Aufnahme von Strafanzeigen, die Verkehrsregelung und -kontrolle, die Aufnahme von Verkehrsunfällen, Fahndungen sowie die Betreuung und Überwachung von Veranstaltungen. Dabei ist sie vorwiegend einem bestimmten örtlichen Bereich zugeordnet (Stichwort: Reviere). Im Zusammenhang mit der Schutzpolizei spielt der Begriff „erster Angriff“ eine wichtige Rolle, denn es ist eine Vielzahl unspezifischer Konfliktkonstellationen, die dieser zur „Erstbefassung“ aufgetragen werden, egal ob eine konkrete Zuständigkeit (zur Weiterbearbeitung) gegeben ist oder eine Delegation des „Falles“ an andere Behörden/Einrichtungen.

Die Kriminalpolizei ist vordergründig mit der Verfolgung (durch Ermittlung) und Sachbearbeitung der bekannt gewordenen Straftaten betraut und in der öffentlichen Wahrnehmung deutlich weniger präsent. Die Mitarbeitenden sind nicht uniformiert und haben i. d. R. nur im Rahmen ihrer Ermittlungstätigkeiten Kontakt zu Bürger:innen, z. B. bei Vernehmungen von Tatverdächtigen, Zeug:innen und Opfern. Im Kern ist die Arbeit der Kriminalpolizei davon geprägt, Tatorte zu untersuchen, Beweise zu sichern und Zusammenhänge herzustellen, die zur Ermittlung und Festnahme eines Täters oder einer Täterin führen. Wesentliche Deliktsbereiche, auf die sich die Arbeit der Kriminalpolizei bezieht, sind Wirtschafts-, Sexual-, Eigentums-, Rauschgift, Gewalt-, Tötungs- und staatsgefährdende Delikte. Überregionale Ermittlungstätigkeiten werden i. d. R. in den jeweiligen Landeskriminalämtern geführt. Außerdem werden in der Kriminalpolizei polizeiliche Daten ermittlungsbegleitend, d. h. meist auf einzelne Personen bezogene Informationen, oder zur Steuerung von Maßnahmen ausgewertet und analysiert. Letzteres kann beispielsweise Kriminalitätslagebilder zur Identifizierung von Schwerpunktbereichen betreffen und ist im Falle überregionaler Auswertungen vornehmlich Aufgabe der Landeskriminalämter, welche z. B. auch die jeweilige, landeseigene Polizeiliche Kriminalstatistik erstellen. Kriminalpolizist:innen arbeiten nicht begrenzt auf einen örtlichen Bereich, sondern sind überall dort, wo es Fälle und Zeug:innen gibt.

Aus den hier beschriebenen Aufgabenfeldern ergeben sich mannigfaltige polizeiliche Deutungsmuster und Handlungslogiken, die allerdings auch ganz unterschiedlich gut erforscht sind. Die bisherige soziologische Forschung zur Polizei in Deutschland fokussiert wesentlich auf die Schutzpolizei, was möglicherweise in der unterschiedlichen Sichtbarkeit der Schutz- und Kriminalpolizei begründet liegt.

Wirft man zunächst einen soziologischen Blick auf diese zwei skizzierten Bereiche der Polizei, sind diese, mit Behr gesprochen, als funktionale Subkulturen zu unterscheiden.Footnote 14 Diese prägen wiederum die Interaktions- und Deutungsmodi, die den jeweiligen polizeilichen Praxen zugrunde liegen. Innerhalb der Schutz- und Kriminalpolizei unterscheiden Schweer und Strasser idealtypisch vier Organisationskulturen: „die Jäger und die Regulatoren, die Sammler und die Krieger“Footnote 15. Demnach zählen zivile Beamt:innen der Schutzpolizei zu den Jägern, weil sie auf die Aufdeckung und Verfolgung von Straftaten fokussiert sind und dabei relativ viel Freiheit genießen: Sie agieren in Zivil und sind weniger fremdbestimmt durch Vorgesetzte. Zu den Regulatoren zählen die normalen Streifendienstbeamt:innen, ihre Arbeit ist „viel stärker in formale Strukturen eingebunden“ und weniger autonom, da sie ihre Einsätze „von der Leitstelle zugewiesen“ bekommen.Footnote 16 Ihnen obliegt es zumeist, Bagatelldelikte zu klären oder Konflikte zu lösen, ihre Arbeit ist grundsätzlich von Hilfs- und Kontrollmaßnahmen geprägt.Footnote 17 Die „Sammler“ gehören der Kriminalpolizei an. Sie verfügen über größere Zeitressourcen und treten erst in Erscheinung, wenn Straftaten schon passiert sind, um dann Spuren davon zu sammeln. Die „Krieger“ sind in Spezialeinheiten wie dem SEK oder den BFE‘s zu finden. Ihnen ist egal, mit wem sie es zu tun haben, sie sind dazu da, konkrete, überschaubare Aufträge schnell und effizient zu erfüllen und benötigen dafür physische, keine kommunikativen Kompetenzen.Footnote 18 Darüber hinaus sind mit dem von Behr formulierten Typus der SchutzmännlichkeitFootnote 19 u. a. sog. Bürgernahe Beamt:innenFootnote 20 angesprochen. Nach Behr hat der Schutzmann „seinen genuinen Bezug in der lokalen (Wohn-)Gemeinde“Footnote 21. Erfolge in der Strafverfolgung sind für ihn nicht (mehr) relevant, vielmehr will er sein akkumuliertes Wissen über die Probleme in seinem Revier nutzen, um Alltagsprobleme zu lösen. Der Schutzmann ist schon älter und kann auf lange Erfahrung zurückblicken. Behr findet diesen Typus in allen polizeilichen Organisationen, d. h. er ist nicht an bestimmte Dienststellen oder Einheiten gebunden. Das einzige gemeinsame Kriterium ist der Kontakt zu Bürger:innen, in die er sein gesammeltes Wissen einbringen kann. Bürgernahe Beamt:innen können danach als Idealtypus des Schutzmannes definiert werden. In ihm amalgamieren alle für den Schutzmann beschriebenen Eigenschaften und schlagen sich in einem gemeinsamen Bedeutungssystem nieder.

Diese idealtypischen Beschreibungen der in der Polizei vorhandenen Subkulturen lassen bereits erahnen, dass die rahmengebenden Strukturen des Arbeitsalltags, also das Feld Polizei, einen maßgeblichen Einfluss auf die Art und Weise haben, wie die jeweiligen Beamt:innen mit der Bevölkerung in Kontakt treten, welches Ziel hiermit verfolgt wird und welche Verdachtsmuster hiermit verbunden sind.

4 Handlungsmuster – Rassistische Praktiken bei der Schutz- und Kriminalpolizei

Folgende Abschnitte wurden teilweise bereits veröffentlicht in Hunold (2015).

Betrachtet man nun die Phänomenologie des Racial ProfilingFootnote 22, wird die Bedeutung der schutz- und kriminalpolizeilichen Felder für die verschiedenen Ausprägungen entsprechender diskriminierender Praktiken ersichtlich.

Neben der Bundespolizei ist die Schutzpolizei der Länder maßgeblich damit beauftragt, Personenbefragungen, Personen- und Fahrzeugkontrollen sowie Durchsuchungen durchzuführen. Ziele dieser Maßnahmen sind die Gefahrenabwehr sowie die Verhütung von Straftaten bzw. das Auffinden von Straftäter:innen an bestimmten Orten, von denen anhand „tatsächlicher Anhaltspunkte erfahrungsgemäß anzunehmen ist“Footnote 23, dass diese dort angetroffen oder verübt werden. Nun sind diese im BremPolG beschriebenen Kriterien, welche die Durchführung von Kontrollmaßnahmen legitimieren, nicht immer praxistauglich, da sie nicht auf die komplexe soziale Wirklichkeit anwendbar sind. Welche sichtbaren bzw. wahrnehmbaren Kriterien führen also dazu, von einer anzuwendenden Gefahr auszugehen oder davon, eine:n potenziellen Straftäter:in/eine potenzielle Straftat erkannt zu haben? Skolnick führt hierzu die Figur des „symbolic assailant“Footnote 24 ein, welche die Besonderheiten der polizeilichen Verdachtskonstruktion reflektieren soll. Hiernach identifizieren Polizeibeamt:innen eine Person, von der eine Gefahr ausgehen könnte, anhand von Sprache, Aussehen und Verhalten. Dies geschieht, indem das Wahrgenommene mit der sozialen Umgebung kontextualisiert und mit einer Normalitätskonstruktion darüber, was als abweichend gilt und was nicht, assoziiert wird. Die polizeiliche Einschätzung dessen, was normal oder nicht normal ist, hängt dann von Kontextfaktoren ab. Weil Polizist:innen ständig alarmiert sind, achten sie auf kleinste Abweichungen von der Norm, d. h. Personen, die in irgendeiner Hinsicht nicht in den sozialen und situativen Kontext passen, erscheinen in der polizeilichen Wahrnehmung verdächtig. Passend hierzu beschreibt Waddington das Erlebnis eines Freundes, der sich – obwohl wohlhabend – nachts nach der Rückkehr aus einem Urlaub in Monte Carlo nicht mit dem Taxi, sondern zu Fuß auf den Heimweg machte.Footnote 25 Ein Polizist, der ihn anhielt und fragte, woher er komme, glaubte ihm nicht und wies ihn an, seine Taschen zu leeren. Es scheint eben unüblich, in einer englischen Stadt als Fußgänger unterwegs zu sein und soeben aus einer weltbekannten Stadt der Reichen zu kommen. Auch andere scheinbare Inkongruenzen wecken den polizeilichen Verdacht, z. B. eine Schwarze Person, die durch eine von Weißen geprägte Wohngegend läuft. Die polizeiliche Kontrolle aufgrund der fehlenden Passung von sichtbarer Herkunft und sozialräumlichem Kontext nannte Sacks „incongruity procedure“Footnote 26. Um augenblickliche Verdachtsmomente konstruieren zu können, ziehen Polizist:innen leicht wahrnehmbare Merkmale heran, die schnelle Hinweise auf potenzielle Aggressor:innen geben.Footnote 27 Solche Merkmale „point to incongruence as the primary basis for stimulating suspicion“Footnote 28. Persönliche Kennzeichen wie Kleidung und Hautfarbe bieten z. B. eine Grundlage dafür. Andererseits können die gleichen Merkmale schon bestehende Verdachtskonstruktionen bedienen, z. B. wenn sie Assoziationen zu subkulturellen Milieus wecken, die in der polizeilichen Wahrnehmung in Verbindung zu bestimmten Delikten stehen.Footnote 29 Dieser Form der Verdachtskonstruktion ist ein Circulus Vitiosus inhärent: Die vorgefertigten Bilder über potenzielle Täter führen zu selektiver Kontrolle, selektive Kontrolle führt zur Überrepräsentanz entsprechender Tatverdächtiger und die Überrepräsentanz führt schließlich zur Bestätigung der konstruierten Täterprofile. Damit manifestieren sich auch unabhängig vom tatsächlichen Verhalten Annahmen darüber, wer kriminell ist. In der Vorstellung der Polizist:innen ist es dann durchaus legitimiert, bestimmte Personengruppen wegen bestimmter Delikte zu verdächtigen und zu kontrollieren, denn die „harten Fakten“ lassen keine anderen Schlussfolgerungen zu. Hier handelt es sich um Vorurteile, die auf scheinbaren Fakten basieren, die polizeilich produziert sind, also um „self-fulfilling-prophecies“Footnote 30. Sobald Verdachtsgenerierungen stärker auf Deutungen von äußeren Merkmalen der betreffenden Personen rekurrieren anstatt auf konkrete Verhaltensweisen, sind sie als besonders definitionsmächtig zu sehen. So ist es möglich, dass Polizisten Bürger:innen in bestimmte Gruppen für bestimmte polizeiliche Maßnahmen einteilen können. Wenn aber Polizist:innen ihre Verdachtsentscheidungen scheinbar auch von persönlichen Merkmalen abhängig machen können, sind Muster von „routine harassment“Footnote 31 wie „racist profiling“Footnote 32 möglich.

Mit den hier beschrieben Bedingungen für die polizeiliche Verdachtskonstruktion sind soziale Prozesse der an die Institution gebundene Wissensgenerierung assoziiert. Wissen kann in diesem Zusammenhang als eine Mischung aus berufsspezifischen Erfahrungen und Narrativen betrachtet werden, in denen direkte oder indirekte Erfahrungen unter Kolleg:innen verarbeitet werden.Footnote 33 „Ein Narrativ kann als eine vergangene Erfahrung verstanden werden, die das komplexe Erinnern vereinfacht“Footnote 34. Es transportiert normative Regelsysteme, welche das polizeiliche Handeln anleiten und strukturieren.

Nun ist die Frage, welche Inhalte das Wissen der Schutzpolizei über Menschen und Orte transportiert, welche den Kontakt mit der Polizei verdächtigen Personen strukturiert. Da die Schutzpolizei in räumliche Zuständigkeitsbereiche aufgeteilt ist, zeigen zahlreiche Studien, dass das Wissen über räumliche Abschnitte eine große Bedeutung bei der Legitimierung polizeilichen Handelns aufweist.Footnote 35 In diesem Zusammenhang lässt sich konstatieren, dass polizeiliche Raumdeutungen bzw. polizeilich gebundenes Wissen über den Raum vor allem mit sozialen Merkmalen wie Geschlecht, Ethnie und Klasse assoziiert sind.

Zahlreiche Studien – vor allem aus dem angloamerikanischen Raum – konnten bereits nachweisen, dass diese sozialen Ungleichheitskategorien in der polizeilichen Handlungspraxis insofern eine Rolle spielen, als Polizeimaßnahmen wie Identitätsfeststellungen vor allem Angehörige unterer sozialer Schichten, ethnische Minderheitengruppen sowie junge Männer adressieren.Footnote 36 Inwiefern die Konstitution von Raum durch die Polizei mit den sozialen Strukturmerkmalen Klasse und Ethnie verknüpft ist, zeigen Studien auf, die einen Mediationseffekt von Stadtteilen bzw. der Bevölkerungsstruktur in bestimmten Räumen und erhöhten Kontrollmaßnahmen bzw. repressiveren Maßnahmen gegenüber sozial Benachteiligten und Angehörigen ethnischer Minderheitengruppen festgestellt haben.Footnote 37 Dass spezifische Merkmale sozialer Benachteiligung erst über die Konstruktion von Raum Bedeutung für polizeiliche Verdachtskonstruktionen erlangen, wurde bisher in wenigen deutschen Studien nachgezeichnet.Footnote 38 Welche Rolle Geschlechterkonstruktionen in der polizeilichen Raumwahrnehmung spielen, wurde hierzulande bisher allenfalls ansatzweise im Zusammenhang mit doing masculinity in Polizei-Bürger:innen-Interaktionen diskutiert.Footnote 39 Dementsprechend sind es vor allem Cliquen junger Männer, deren Verhalten meist der Inszenierung von Männlichkeit dient und das sich durch „Sichtbarkeit und Konfrontation“ auszeichnetFootnote 40, die von Schutzpolizist:innen als Autoritätsproblem wahrgenommen werden. Weiterhin zeigt sich, dass es hier vor allem sogenannte „Südländer“ sind, denen Respektlosigkeit gegenüber der Polizei zugeschrieben wird.Footnote 41

Es kann vor dem Hintergrund der bisherigen Darstellungen angenommen werden, dass polizeiliche Konstruktionen von Raum und sozialen Merkmalen durch Narrative, Handlungspraktiken im Raum und in der Interaktion mit der Bevölkerung soziale Ordnung (mit-)gestaltet, indem ungleiche soziale Bedingungen durch institutionelles Handeln räumlich fixiert werden.Footnote 42 Polizist:innen entwickeln in diesem Zusammenhang keine an die soziale Ordnung im sozial deprivierten Revier angelehnte Normalitätserwartung für ihre Verdachtskonstruktion, sie orientieren sich vielmehr an Ordnungsvorstellungen eher traditionell und konservativ ausgerichteter Normen. Hierbei dürfte ebenfalls der durch Sozialisation geprägte Habitus und die damit verbundene „Klassenzugehörigkeit“ vieler Polizist:innen eine Rolle spielen. Die Polizei verändert durch ihr Handeln aktiv raumbezogene Images und (re-)produziert so ihre eigenen Erwartungen an die Menschen und potenziellen Täter:innen in bestimmten Räumen.Footnote 43 Ihre Handlungen sind generell darauf ausgerichtet, die institutionsspezifischen Normalitätsvorstellungen durchzusetzen. Durch ihre Handlungspraktiken sowie die daran angelehnten Verdachtskonstruktionen (re-)strukturieren sie auch soziale Ordnung im Raum, denn was hierdurch existent oder etabliert wird, „ist ein sozialer Raum, ein Raum von Unterschieden, in denen die Klassen gewissermaßen virtuell existieren, unterschwellig, nicht als gegebene, sondern als herzustellende“Footnote 44. Der Raum besitzt folglich eine gesellschaftliche Topologie: „Einige Menschen stehen ‚oben‘, andere ‚unten‘, noch andere ‚in der Mitte‘“Footnote 45. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage nach der Verteilung der Produktion von Sicherheit. Denn es ist nicht anzunehmen, dass ein allgemeingültiges Verständnis von Sicherheit bzw. ein allgemeingültiges Bedürfnis danach existiert: Was die einen als wünschenswerte Sicherheit ansehen, kann die Sicherheit der anderen einschränken; wer die Diskussionen um Trinker und Suchtkranke in den Innenstädten verfolgt, weiß wovon die Rede ist.Footnote 46

Das Feld der Kriminalpolizei gestaltet sich völlig anders als das der Schutzpolizei. Dies begründet sich vor allem durch den Charakter der Ermittlungsarbeit, welche nicht derart mit der Konstruktion von Raum verbunden ist wie bei der Schutzpolizei und vor allem reaktiv verläuft. Die Figur des „symbolic assailant“ gewinnt für die kriminalpolizeiliche Arbeit deshalb in völlig anderer Form eine Bedeutung. Da diese vor allem durch Strafverfolgungsprozesse und weniger durch das rechtliche Konstrukt der Gefahrenabwehr strukturiert ist, gilt es eher die richtigen Täter:innen zu ermitteln, als Personen zu identifizieren, von denen eine potenzielle Gefahr ausgehen kann. Deshalb müssen: „im Verlauf polizeilicher Sachbearbeitung […] kontinuierlich Richtungsentscheidungen getroffen werden, zum Beispiel zur Einengung des Verdächtigenkreises oder zur Konstruktion möglicher Versionen eines Tatverlaufs“Footnote 47. Solche Richtungsentscheidungen unterliegen mitunter Pfadabhängigkeiten, welche wiederum von kriminalpolizeilichen Verdachtskonstruktionen bestimmt sind. Entsprechende Verdachtskonstruktionen lassen sich besonders eindrücklich anhand des polizeilich definierten Täter:innenkreises im Bereich Wohnungseinbruch nachvollziehen. Hier konzentrieren sich Polizeibeamt:innen oftmals auf ethnisierte Gruppen, die organisiert Einbruchsdiebstähle begehen. Häufig ist in diesen Zusammenhängen die Rede von polnischen, georgischen oder albanischen Gruppierungen. Hier spielt wiederum das kriminalpolizeiliche Erfahrungswissen eine maßgebliche Rolle, das sich u. a. auf Ermittlungserfolge gründet.Footnote 48 Die Ermittlungsarbeit, welche das Zusammentragen und Systematisieren von Informationen aus verschiedenen Quellen beinhaltet wie Tatortspuren, Begehungsweisen, Telekommunikationsdaten, Zeugenaussagen etc. kann dann eine Pfadabhängigkeit entwickeln, wenn Informationen, die eine gewisse Interpretation und Auslegung zulassen auf eine bestimmte Verdächtigenkonstruktion hin selektiv gesucht und ausgewählt werden und mitunter in einem Täter:innenprofil amalgamieren.Footnote 49 Ein solches Profil sowie darauf ausgerichtete polizeiliche Handlungen wie Fahndungsmaßnahmen sind dann rassistisch, wenn dieses explizit auf ethnisierte Gruppen abzielt. Während einer meiner Forschungsaufenthalte im Feld, wurde mir von einer großangelegten und länderübergreifenden Verkehrskontrolle berichtet, welche zum Ziel hatte, eine südamerikanische Tätergruppe ausfindig zu machen. Entsprechend verdächtige Fahrzeuge wolle man an verschiedenen Kontrollpunkten aus dem Verkehr ziehen und überprüfen. Auf meine Frage, woran man einen Südamerikaner im Auto erkennen könne, war die lapidare Antwort, dies sei anhand der äußerlichen Erscheinung problemlos möglich. Reichertz beschreibt ähnlich gelagerte Erfahrungen im Zusammenhang der kriminalpolizeilichen Verdachtskonstruktion für Sinti:zze und Rom:njaFootnote 50:

„Zivilstreife im Auto durch ein Wohnviertel einer Großstadt: Drei Zigeunerinnen (sic!), eine davon offensichtlich schwanger, werden beobachtet, wie sie von Haus zu Haus gehen und schellen. Verdacht auf Tagesraub. Unterstelltes zigeunertypisches Vorgehen: Bei den Leuten wird angeläutet mit der Bitte, ein Glas Wasser für die schwangere Frau zu erhalten. Bei der Versorgung der scheinbar Kranken wird gestohlen, was in Reichweite ist und wertvoll erscheint. Begleitet wird das Trio in der Regel von zwei Männern, die das Beutegut in Empfang nehmen und in einem in der Nähe abgestellten Fahrzeug deponieren sollen. Soweit die Typik! Die Kriminalbeamten observieren nun die drei Zigeunerinnen, entdecken auch bald deren Helfer, werden jedoch auch entdeckt. Daraufhin versuchen die Beamten, das Basisfahrzeug zu finden, um Beute sicherzustellen und zugleich eine Straftat nachweisen zu können. Sie fahren die Gegend ab und suchen nach dem Zigeunerfahrzeug - einem großen Mercedes mit Anhängerkupplung, älteres Modell, metallic, sehr breit, sehr wuchtig, vermutliches Kennzeichen von H.-Stadt (Stadt in der Nähe mit hohem Zigeuneranteil). Ein Wagen mit dem passenden Nummernschild wird gefunden, auch alle anderen Merkmale stimmen. Aber: Am Heckfenster befinden sich Aufkleber. Diese künden von der letzten Rallye auf dem Nürburgring und von der Auffassung, daß man gut und gerne auf Atomkraftwerke verzichten könne. Aufgrund dieser Aufkleber (‚Zigeuner haben an ihren Wagen nie solche Aufkleber!‘) unterlassen die Beamten sowohl eine Halterabfrage als auch eine eingehende Untersuchung des Wagens. Sie fahren weiter, finden jedoch das Basisfahrzeug nicht.“

Die von Reichertz gemachte Beobachtung zeigt einerseits nicht nur das polizeilich konstruierte Wissen darüber wie Sinti:zze und Rom:nja sich scheinbar beim Wohnungseinbruch verhalten, sondern auch welche Merkmale zu einem typischen ihnen zugehörigen Tatfahrzeug gehören. Ein Aufkleber gegen Atomkraftwerke scheint ein ausschließendes Attribut darzustellen, vermutlich da dieses eher einem bürgerlich-linken bzw. politisch aktiven Milieu zugeschrieben wird. Reichertz kommt hier zu dem Schluss, dass die beobachteten Merkmale, einem bereits vorhandenen Täter:innentypus untergeordnet werdenFootnote 51, anstatt die soziale Differenziertheit von Milieus und Lebenswelten berücksichtigen zu können und einen neuen Täter:innentypus zu generieren.

Das wohl bekannteste und erschreckendste Beispiel für eine Pfadabhängigkeit aufgrund rassistischer Täter:innenkonstruktionen ist die Ermittlungsarbeit zum Nationalsozialistischen Untergrund (NSU). Der Bericht des 2. Untersuchungsausschusses des Bundestages zum NSU konstatiert, dass sich die polizeilichen Ermittlungen einseitig auf das Umfeld der Opfer konzentrierten und hierbei von organisierter Kriminalität im Bereich Betäubungsmittel, Schutzgelderpressungen etc. ausgegangen wurde. Die 3. Operative Fallanalyse des LKA Baden-Württemberg begründete ihren Ermittlungsfokus folgendermaßenFootnote 52:

„Aufgrund der Tatsache, dass man 9 türkischsprachige Opfer hat, ist nicht auszuschließen, dass die Täter über die türkische Sprache den Bezug zu den Opfern hergestellt haben und die Täter demzufolge ebenfalls einen Bezug zu dieser Sprache haben. Auch spricht der die Gruppe prägende rigide Ehrenkodex eher für eine Gruppierung im ost- bzw. südosteuropäischen Raum (nicht europäisch westlicher Hintergrund).“

Weiter heißt es:

„Vor dem Hintergrund, dass die Tötung von Menschen in unserem Kulturraum mit einem hohen Tabu belegt ist, ist abzuleiten, dass der Täter hinsichtlich seines Verhaltenssystems weit außerhalb des hiesigen Normen- und Wertesystems verortet ist.“

Deutlich wird in diesen Begründungen, dass die Ermittler:innen eine klare Vorstellung von vermeintlich ethnisch spezifischen Werte- und Normensystemen sowie Verhaltensweisen besitzen. Weiterhin ist mit der formulierten Annahme, in der „deutschen Gesellschaft“ wäre die Hürde zur Tötung eines Menschen derart hoch, dass die ihr zugehörigen Menschen, keine Serientötungen vornehmen würden, mit einer moralischen Abwertung der „anderen“ Kultur verbunden. Hier findet ein „Othering“ statt, das mit Fremdheitszuweisungen verbunden ist, welche kulturelle und soziale Andersartigkeit zuschreiben. Die Folge ist eine Entfremdung aufseiten der Adressierten und Zuschreibenden.Footnote 53 Die Ethnisierung wiederum strukturiert Wahrnehmungen, Deutungen und Handlungen der ermittelnden Akteur:innen und letztendlich auch der Betroffenen, wie der unsensible und vorverurteilende Umgang der Polizei mit den Opfern der Getöteten zeigt.Footnote 54 Die damit verbundene Stigmatisierung dürfte sich nachhaltig auf das alltägliche Leben und ihr Verhältnis gegenüber den Sicherheitsbehörden auswirken.

Eine weitere kriminalpolizeiliche Praxis, die eine rassistische Ordnungsstruktur darstellt, sind Sondererfassungen von Informationen zu spezifischen Gruppen, die einer bestimmten Herkunft oder Ethnie zugeschrieben werden. Ein aktuelles Beispiel hierfür ist die namensbasierte Erfassung der sogenannten Clankriminalität in einigen Bundesländern. In diesem Zusammenhang werden alle Straftaten, die von Personen begangen werden, die einen bestimmten Nachnamen aufweisen, in einer Datenbank zur Abbildung der sogenannten Clankriminalität gespeichert. Die Namen, die hierfür ausgewählt wurden, werden der Ethnie der Mallahmiye zugeschrieben, deren geographische Herkunft dem türkischen-libanesischen Raum zugeordnet wird. Die Annahme, die dieser Form der polizeilichen Sammlung von Daten zum Phänomen der „Clankriminalität“ zugrunde liegt, ist, dass ethnische Zugehörigkeit über Namen konstruiert werden kann und dass alle, die „dieser Ethnie“ zugehörig sind und polizeilich auffällig werden, in besonderer Weise beobachtungswürdig sind. Hinzu kommt, dass verschiedene Deliktformen – darunter auch Bagatelldelikte wie Ladendiebstahl – zu einer neuen Überkategorie zusammengefasst werden, die im öffentlichen Diskurs mit einer besonderen Gefährlichkeit assoziiert ist und spezifische Handlungserfordernisse der Sicherheitsbehörden konstruiert.Footnote 55 Spezifisch an dem Prozess, Wissen in Datenbanken zu transferieren, ist schließlich, dass soziale Komplexität in vorgegebene Kategorien übersetzt werden muss und die Analyseergebnisse wiederum interpretiert und auf soziale Situationen angewandt werden müssen.Footnote 56 Dies hat schließlich zur Folge, dass ethno-kulturelle Lebenswelten in ethnisierten Kategorien festgeschrieben und in der polizeilichen Praxis wieder und wieder reproduziert werden.

Im Ergebnis basieren die Zuschreibungsprozesse, die zu rassistischen polizeilichen Verdachtskonstruktionen und Maßnahmen führen, in den beiden Feldern Schutz- und Kriminalpolizei auf unterschiedlichen Logiken, da die Felder unterschiedlich strukturiert sind. „[D]ie Praxen der Schutzpolizei [sind] mehr durch Aktion auf der Straße und weniger durch Schreibtischarbeit geprägt und die Praxen der Kriminalpolizei mehr durch Schreib- und Denkarbeit als Aktion auf der Straße […] Die Praxen der Schutzpolizei sind dabei von ad-hoc-Situationen bestimmt, während sich die Kriminalpolizei in der Regel auf ihre Einsätze vorbereiten kann.“Footnote 57 Somit unterscheiden sich die Habitusformen der beiden Felder hinsichtlich der Herstellung und Reproduktion von rassistischen Einteilungen von Menschen in „gut“ und „böse“ vor allem durch die Kontexte: Innerhalb der Schutzpolizei geschieht dies vor allem in persönlichen Begegnungen, wodurch die rassistischen Praktiken vermittels Polizei-Bürger:innen-Interaktion (re-)produzieren und festschreiben, bei der Kriminalpolizei sind es vor allem die gesammelten Informationen über Menschen in nicht-persönlichen Kontakten, welche zur Konstruktion und Manifestation von rassistischen Täter:innentypen führen können. Behr beschreibt die Diskriminierungsdispositive der Schutzpolizei als „Visibilitätsstigmatisierung“, weil hier vornehmlich äußerlich sichtbare Attribute zu der Verdachtsgenerierung führen, während er Etikettierungsformen der Kriminalpolizei als „Detektionsstigmatisierung“ bezeichnet, weil erst im Prozess der Informationssammlung rassifizierende Zuschreibungen entstehen und nicht im „face-to-face“-Kontakt.Footnote 58

Die Felder sind weiterhin verknüpft mit den Deutungs- und Handlungspraktiken, die entweder eine Gefahr durch eine Person an bestimmten Örtlichkeiten verhindern oder den:die richtige:n Täter:in im Rahmen der Ermittlungsprozesse identifizieren sollen. Mit diesen Logiken sind oftmals unterschiedliche Tatverdächtigengruppen adressiert. Auf der einen Seite ist es die Figur des potenziell Gefährdenden, von dem zukünftig eine kriminelle Handlung ausgehen kann, die verhindert werden soll. Diese Figur ist derart abstrakt, dass sie überhaupt dadurch erst an allgemeine soziale Differenzierungskategorien wie „die Ethnie“ gebunden werden kann. Sie ist eng gekoppelt an gesellschaftliche Kriminalisierungsprozesse; Klimke macht dies deutlich durch den Begriff der crimmigrationFootnote 59. Auf der anderen Seite sind es die vermeintlichen Täter:innengruppen, welche oftmals durch vergangene Ermittlungserfolge legitimiert werden. In beiden Feldern unterliegen die Konstruktionsprozesse dem sogenannten polizeilichen Erfahrungswissen, das Typisierungen von Personengruppen transportiert. Typisierungen entstehen in der Regel dadurch, dass geprüft wird, inwiefern das Beobachtete zu dem bereits Bekannten passt. Wenn Beobachtungen nicht zu den bereits vorhandenen Vorstellungen passen, muss ein neuer Typus generiert werden, was jedoch im polizeilichen Kontext eher seltener passieren dürfte.Footnote 60 Reichertz schreibt hierzu (zwar nur mit Blick auf Kriminalbeamt:innen, jedoch meiner Meinung nach für beide polizeiliche Felder gültig): „Die Betrachtung der Typisierungsleistungen der Kriminalbeamten zeigt, dass es zumindest zwei unterschiedliche Arten der Typisierung gibt: einmal die Typisierung als Unterordnung einer Beobachtung unter einen bereits bekannten Typus, zum anderen die Typisierung als die (Re-) Konstruktion eines noch nicht bekannten Typus aus den Daten der Beobachtung.“Footnote 61

Letztendlich überschneiden sich die beiden polizeilichen Felder auch, indem z. B. kriminalpolizeiliche Täter:innenprofile zu Maßnahmen der Schutzpolizei führen und die im Rahmen der alltäglichen Routine der Schutzpolizei gesammelten Informationen wiederum Grundlage für polizeiliche Ermittlungen und Daten sind, die im Zuge der Ermittlungen weiter angereichert und ausgewertet werden.

5 Fazit

Die Betrachtung der polizeilichen Bereiche Schutzpolizei und Kriminalpolizei hat gezeigt, dass die mit den Feldern verbundenen Logiken unterschiedliche Habitusformen produzieren und diese wiederum mit verschiedenen Konstruktionen von Tatverdächtigengruppen sowie rassistischen Handlungspraktiken assoziiert sind.

Indem die Schutzpolizei zuallererst raumbezogen agiert und hierbei Gefahren abwehren, Straftaten verhüten sowie Straftaten aufdecken soll, greift sie auf Verdachtskonstruktionen zurück, welche vor allem helfen sollen, auf potenzielle Gefährder:innen und Täter:innen hinzudeuten. Hierbei spielen Merkmale wie z. B. Sprache und Aussehen sowie der räumliche und soziale Kontext oftmals eine relevante Rolle. Die jeweiligen Verdachtskonstruktionen sind dann zusätzlich getragen von gesellschaftlichen Normalitätsvorstellungen, welche sich aufgrund des polizeilichen Habitus unter Polizeibeamt:innen sehr ähneln dürften. Auch der räumliche Kontext hat bei der Verdachtskonstruktion im schutzpolizeilichen Kontext eine große Bedeutung. Insgesamt lässt sich hierzu festhalten, dass entsprechendes raumbezogenes Wissen vor allem mit sozialen Merkmalen wie Geschlecht, Ethnie und Klasse assoziiert ist. Insgesamt zielt die schutzpolizeiliche Verdachtskonstruktion eher auf äußere bzw. kontextuelle Erscheinungen und spiegelt von daher mitunter rassifizierende Zuschreibungen wider. Die kriminalpolizeiliche Verdachtskonstruktion ist geprägt davon, dass im Nachgang einer Straftat mittels verschiedener vorliegender Informationen zu Tatverdächtigen sowie einem Tatablauf, der richtige Täter, die richtige Täterin identifiziert werden soll. Hierbei kommt es weniger auf äußere Erscheinungen bzw. Kontexte in persönlichen Begegnungen an, sondern auf die Zuordnungsprozesse von Informationen zu konstruierten bzw. ermittelten Tatverdächtigengruppen. Diese Zuordnungsprozesse können wiederum rassifizierenden Zuschreibungsprozessen unterliegen. Im Ergebnis können sich hier zwar die adressierten Tatverdächtigengruppen unterscheiden, nicht jedoch die Typisierungsabläufe, die meist als „Unterordnung einer Beobachtung unter einen bereits bekannten Typus“Footnote 62 beschrieben werden kann.

Die in diesem Beitrag diskutierte Verschiedenheit rassistischer Handlungspraktiken in den unterschiedlichen polizeilichen Feldern zeigt die Notwendigkeit auf, die Frage nach Rassismus in der Polizei differenziert zu betrachten. So ließe sich vermeiden, die mit den diversen Handlungslogiken verbundenen Praktiken und Strukturen bei zukünftigen Forschungsprojekten oder bei der Konzeption von diskriminierungssensiblen Maßnahmen zu übersehen.