1 Bedeutung des Vertriebs und seiner Risiken

Für viele Versicherungsunternehmen ist der Vertrieb von Versicherungsprodukten von entscheidender Bedeutung für den wirtschaftlichen Erfolg. Nicht übersehen werden darf aber, dass der Vertrieb auch mit nicht unerheblichen Risiken für die Unternehmen verbunden ist“. (BaFin 2018, Rn. 6)

Rund 200.000 traditionelle, selbstständige Versicherungsvermittler einschließlich deren Beschäftigten sind für zwischen 81 Prozent (Schaden-/Unfallversicherung) und 93 Prozent (Lebensversicherung) der neuen Versicherungsverträge verantwortlich. Hinzu kommt vor allem in Schaden/Unfall ein beachtlicher Anteil über Vergleichsportale vermittelter Verträge (vgl. GDV 2020, Tab. 13).

Von 202.000 Versicherungsangestellten zählen 32.000 zu den Außendienstangestellten. Aber auch von den 159.400 Innendienstangestellten dürften viele eine Tätigkeit im Versicherungsvertrieb im Sinne des § 7 Nr. 34a VAG ausüben (vgl. GDV 2020, Tab. 11).

Diese für andere Branchen überraschend hohen Anteile des Vertriebs an allen Beschäftigten lassen sich auf die Tatsache zurückführen, dass es sich bei Versicherungen um Dienstleistungen handelt (vgl. Beenken 2019, 2).

Diese setzen eine spezifische Leistungsfähigkeit voraus, hier die Fähigkeit, Kundenrisiken erkennen und bewerten sowie Versicherungs- und Vorsorgelösungen entwickeln zu können. Dies bedarf einer Integration des externen Faktors Kunde und damit oft einer räumlichen Nähe und zeitlichen Verfügbarkeit. Die Leistung ist immateriell und erklärungsbedürftig. Die Dienstleistung umfasst auch die Betreuung, zum Beispiel die laufende Überprüfung und Anpassung von Verträgen, sowie die Unterstützung im Schadensfall bzw. Leistungsfall. Kurz gesagt: Vertrieb von Versicherungen ist weitaus mehr als nur Verkauf von Versicherungen.

Bei der Erbringung dieser Dienstleistung gibt es viele Fehlerquellen und Problembereiche, die sich für einen Versicherer negativ auswirken können. Deshalb muss ein Versicherer im Rahmen seines Risikomanagements den hauptsächlich operationellen Risiken im Vertrieb ein besonderes Augenmerk widmen (vgl. § 26 Abs. 1 und Abs. 5 VAG).

Der Vertrieb gilt als wichtige Funktion, die eigenständiger Governance-Anforderungen bedarf, wobei spezifische Anforderungen im BaFin-Rundschreiben 11/2018 zur Zusammenarbeit mit Versicherungsvermittlern sowie zum Risikomanagement im Vertrieb formuliert wurden (vgl. BaFin 2017a, Rn. 257 und Rn. 32).

Nachfolgend kann nur ein knapper Überblick über Strukturen im Vertrieb und dort entstehende Risiken gegeben werden. Dies wird verbunden mit Hinweisen zur Risikobegrenzung und -minderung.

2 Struktur des Vertriebs und Betroffenenkreis

Der Versicherungsvertrieb umfasst zum einen selbstständige Versicherungsvermittler und -berater, zum anderen bestimmte Versicherungsangestellte.

2.1 Versicherungsvermittler und -berater

Versicherungsvermittler sind gewerbsmäßig tätige Versicherungsvertreter und Versicherungsmakler. Vertreter werden vertraglich für einen (Ausschließlichkeits-) oder mehrere Versicherer (Mehrfachvertreter) tätig und haben sich ständig um die Vermittlung neuer Versicherungsverträge zu bemühen und diese zu betreuen. Makler beschaffen Kunden auf Basis eines Maklervertrags passende Versicherungen und betreuen diese. Versicherungsberater beraten Kunden zu Versicherungen und vertreten diese außergerichtlich (vgl. § 59 Abs. 4 VVG; Prölss/Martin/Dörner 2021, § 34d GewO, Rn. 45).

Seit 2018 gehört auch die Vermittlung von Versicherungen ausdrücklich zu ihren erlaubten Tätigkeiten, allerdings dürfen sie auch hierfür nicht von einem Versicherer vergütet werden (vgl. § 59 Abs. 1 VVG; vgl. § 34d Abs. 2 S. 2 GewO; vgl. Werber 2019, S. 322 ff.).

Abb. 22.1 illustriert in diesem Zusammenhang die gewerberechtliche Gliederungsstruktur der Vermittler.

Abb. 22.1
figure 1

Gewerberechtliche Gliederung der Vermittler. (Quelle: eigene Darstellung)

Mit der Umsetzung der Versicherungsvermittlerrichtlinie (IMD) 2007 und der Versicherungsvertriebsrichtlinie (IDD) 2018 ist die gewerbsmäßige Versicherungsvermittlung und -beratung ein im Grundsatz erlaubnis- und registrierungspflichtiges Gewerbe geworden (vgl. Beenken 2019, S. 91 ff.).

Regelfall ist eine Gewerbeerlaubnis und Registrierung im Versicherungsvermittlerregister durch die örtlich zuständige Industrie- und Handelskammer (IHK) (vgl. Moraht 2013, S. 71 ff.).

Zahlenmäßig weitaus häufiger wird von Ausnahmen Gebrauch gemacht, insbesondere der Erlaubnisfreiheit für bestimmte Ausschließlichkeitsvertreter, die von einem Versicherungsunternehmen im Vermittlerregister erfasst werden. Produktakzessorische Versicherungsvermittler, die ausschließlich Versicherungen in Ergänzung zu anderen Produkten und Leistungen ihres Hauptgewerbes vermitteln, können auf Antrag von der Erlaubnis befreit werden, sind aber auch von der IHK zu registrieren. Weder erlaubnis- noch registrierungspflichtig sind bestimmte produktakzessorische Vermittler, die Garantie-, Reise- oder bestimmte Restschuldversicherungen vermitteln.

Die Komplexität dieser Struktur ist so hoch, dass selbst viele Fach- und Führungskräfte und manchmal selbst Aufsichtsbehörden die Begriffe verwechseln.

2.2 Versicherungsbeschäftigte

Angestellte von Versicherungsunternehmen sind im Vertrieb tätig, wenn sie eine der in § 1a Abs. 1 S. 2, Abs. 2 VVG genannten Tätigkeiten unmittelbar ausüben oder maßgeblich – insbesondere als Führungskraft – daran beteiligt sind (vgl. § 48 Abs. 2 S. 1 VAG).

Zum Vertrieb gehören Beratung, Angebotserstellung und Abschluss von Versicherungsverträgen sowie das „Mitwirken bei Verwaltung und Erfüllung von Versicherungsverträgen, insbesondere im Schadensfall“. Dies ist nach Meinung der Aufsichtsbehörden weit zu fassen (vgl. DIHK und BaFin 2021, Fragen 1, 19).

Der Arbeitgeber sollte im Rahmen von Stellenbeschreibungen und Führungsanweisungen Klarheit darüber schaffen, wer im Vertrieb tätig ist. Auch eine nur gelegentliche Vertriebstätigkeit wird dabei erfasst (vgl. BaFin 2018, Rn. 57).

Arbeitgeber müssen daher sicherstellen, dass entweder diese Personen als im Vertrieb tätig identifiziert oder an der gelegentlichen Vertriebstätigkeit gehindert werden, zum Beispiel durch Verweisungsregeln an (andere) Vertriebspersonen.

2.3 Tippgeber

Tippgeber gelten nicht als Versicherungsvermittler. Sie stellen lediglich Kontakte zu Versicherungsinteressenten her, beraten diese selbst aber nicht und wirken auch nicht auf ihre Willensbildung ein (vgl. Prölss/Martin/Dörner 2021, § 34d GewO, Rn. 15).

Bei regelmäßiger Zusammenarbeit soll mit dem Tippgeber eine schriftliche Tippgebervereinbarung getroffen werden. Diese sollte eine Vergütungstabelle enthalten (vgl. BaFin 2018, Rn. 126 und 129).

Nachdem es einen Skandal um Tätigkeiten von Beamten gegeben hatte, war der Aufsichtsbehörde wichtig, dass der Nachweis einer Nebentätigkeitserlaubnis verlangt werden soll (vgl. BaFin 2018, Rn. 130).

Der Begriff Tippgeber wird gelegentlich für noch nicht sachkundige Personen missbraucht, die bereits vor einer zulässigen Registrierung das Vermittlergewerbe aufnehmen sollen (zum Beispiel als Untervertreter anderer Vermittler oder im Rahmen eines Strukturvertriebs). Allerdings heilt selbst eine „Aufsicht“ durch andere, registrierte Vermittler nicht die Tatsache, dass diese Personen ohne Erlaubnis vermitteln.

2.4 Beaufsichtigung des Versicherungsvertriebs

Deutschland hat sich anders als die meisten europäischen Nachbarländer gegen eine einheitliche Aufsicht des Versicherungsvertriebs entschieden. Die Bundesbehörde BaFin beaufsichtigt nur die Versicherungsunternehmen und darüber mittelbar auch die erlaubnisfreien, „gebundenen Versicherungsvertreter“ (vgl. Rüsing 2019, S. 132 f.).

Die Vermittler mit Gewerbeerlaubnis oder Erlaubnisbefreiung werden von der örtlichen IHK beaufsichtigt, die wiederum einer Landesgewerbeaufsicht unterliegt. Für den Vollzug von ordnungsrechtlichen Maßnahmen wie zum Beispiel Geldbußen, Ermittlungen vor Ort oder Schließung eines unerlaubten Betriebs sind meist kommunale Ordnungsbehörden zuständig (vgl. Rüsing 2019, S. 135 f.).

Eine institutionalisierte Abstimmung zwischen Bundes- und Landesaufsichten gibt es bisher nicht. Erstmals 2020 veröffentlichten BaFin und der DIHK als Koordinierungsgremium der 79 örtlichen IHKn gemeinsame „FAQ“ zu Fragen der Weiterbildung nach einer informellen Abstimmung (vgl. DIHK und BaFin 2021).

Erschwerend kommt hinzu, dass nur die BaFin, aber keine der Landesbehörden Mitglied der Europäischen Versicherungsaufsichtsbehörde EIOPA und somit eng in die Erstellung europäischer Leitlinien zur Überwachung des Versicherungsvertriebs eingebunden ist.

Abb. 22.2 illustriert in diesem Zusammenhang die aufsichtsrechtliche Struktur im Hinblick auf die Überwachung des Versicherungsvertriebs.

Abb. 22.2
figure 2

Struktur der Aufsicht über den Versicherungsvertrieb. (Quelle: eigene Darstellung)

Eine Reihe anekdotischer Fälle unklarer, widersprüchlicher oder schwer nachvollziehbarer Vorgehensweisen der Aufsichtsbehörden sind auf diese strukturellen Probleme zurückführen (vgl. Beenken 2013, S. 397 ff.; Beenken und Teichler 2019, S. 247).

Vermittler unterliegen einem Risiko, je nach IHK unterschiedliche Entscheidungen zu erhalten. Versicherer müssen sich mit nicht immer kongruenten Auffassungen zwischen BaFin und IHKn auseinandersetzen (vgl. Teichler 2018, S. 109 f.).

Zudem müssen sie zunehmend damit rechnen, dass die BaFin ihr Mandat einer Missstandsaufsicht weitergehend in Richtung einer Verbraucherschutzaufsicht entwickelt (vgl. Brömmelmeyer 2019, S. 911 ff.).

3 Aufnahme der Zusammenarbeit

Im Vertrieb tätige Personen müssen ihre Eignung nachweisen, vorher dürfen Versicherungsunternehmen mit ihnen nicht zusammenarbeiten. Die Pflichten des Versicherers unterscheiden sich im Detail nach dem Status der im Vertrieb Tätigen.

3.1 Voraussetzungen für eine Vertriebstätigkeit

Die IDD sieht vor, dass Vermittler und Versicherungsangestellte eine Eignung für ihre Tätigkeit aufweisen müssen. Diese dient der Risikoprävention. Im Kern geht es dabei um vier Voraussetzungen, die im deutschen Recht als Zuverlässigkeit, geordnete Vermögensverhältnisse, Regelung der beruflichen Haftung und der beruflichen Qualifikation bekannt sind (vgl. §§ 34d Abs. 5 GewO, 48 Abs. 2 VAG).

In Tab. 22.1 sind die persönlichen Voraussetzungen für eine Vertriebstätigkeit strukturiert zusammengefasst.

Tab. 22.1 Persönliche Voraussetzungen für eine Vertriebstätigkeit. (Quelle: eigene Darstellung)

Im Ergebnis sollen Versicherer nur mit Angestellten oder Vermittlern zusammenarbeiten, bei denen keine berechtigten Zweifel am guten Leumund sowie an der beruflichen Qualifikation bestehen. Eventuelle Schadenersatzansprüche von Kunden, die beispielsweise falsch beraten wurden, sollen unabhängig von der finanziellen Leistungsfähigkeit der oft sehr kleinen Vermittlerbetriebe erfüllbar sein.

3.2 Gebundene Vertreter

Erlaubnisfrei können Versicherungsvertreter bleiben, wenn sie ausschließlich für ein Versicherungsunternehmen bzw. für mehrere, nicht in Konkurrenz zueinander stehende Versicherungsunternehmen (zum Beispiel mehrere Vertreterverträge mit Konzerngesellschaften) tätig sind und „dieser“ oder diese Versicherer die uneingeschränkte Haftung aus ihrer Vermittlertätigkeit übernehmen (vgl. § 34d Abs. 7 S. 1 Nr. 1 GewO).

Die uneingeschränkte Haftungsübernahme erfolgt automatisch mit der Eintragung des Vertreters in das Vermittlerregister durch den Versicherer.

Damit geht eine besondere Verantwortung der Versicherer einher, die anstelle der Aufsichtsbehörde das Vorliegen der Voraussetzungen für die Vertretertätigkeit zu prüfen und zu dokumentieren haben. Sie müssen sich von der Zuverlässigkeit und den geordneten Vermögensverhältnissen durch Vorlage entsprechender Nachweise überzeugen und eine angemessene Qualifikation sowie regelmäßige Fortbildung sicherstellen (vgl. BaFin 2018, Rn. 15 ff.; vgl. § 48 Abs. 2 VAG).

Versicherer müssen Vertreterakten anlegen, um auf Anforderung der BaFin die Einhaltung der Vorgaben nachweisen zu können. Eine besondere Sorgfalt ist notwendig, wenn es kritische Hinweise zu einer Person gibt. Die Vorgaben zur Zuverlässigkeit und zu geordneten Vermögensverhältnissen sind Regelvermutungen, die aber begründet widerlegbar sein können.

Gebundene Vertreter sind auf das Produktangebot ihres Vertragspartners beschränkt. Wenn dieses nicht ausreicht, kann eine sogenannte Ventillösung oder ein „Vertrieb unter einem Haftungsdach“ in Frage kommen. Unter Ventillösung ist die ausdrücklich erlaubte Vermittlung von Versicherungen an fremde Versicherer zu verstehen (vgl. Prölss/Martin/Dörner 2021; § 34d GewO, Rn. 56 f.).

Dabei wird in der Regel eine Ventilstelle eingerichtet (Abteilung des Versicherers oder externer Ventil-Vermittler), damit es zu keiner unkontrollierten Zusammenarbeit zwischen Vertreter und fremdem Versicherer kommt. Ventillösungen bergen das Risiko der Falschberatung und von Schadenersatzansprüchen aus der Fremdvermittlung, für die der haftungsübernehmende Versicherer einzustehen hat. Die BaFin empfiehlt eine Haftungsbegrenzung im Innenverhältnis zwischen den kooperierenden Versicherern (vgl. BaFin 2018, Rn. 31).

3.3 Vermittler mit Gewerbeerlaubnis

Versicherungsvertreter und -makler mit Gewerbeerlaubnis haben ihre Eignung bereits gegenüber der IHK nachgewiesen, weshalb der Versicherer sich vor der Aufnahme einer Tätigkeit lediglich vom Bestehen der Gewerbeerlaubnis durch Einsichtnahme in das Vermittlerregister überzeugen muss (vgl. § 48 Abs. 1 VAG; BaFin 2018, Rn. 40).

Außerdem haben Versicherer sich regelmäßig vom Fortbestehen der Gewerbeerlaubnis zu überzeugen. Dazu sind die monatlichen Löschlisten der IHKn zu prüfen (vgl. § 11a Abs. 3 GewO; BaFin 2018, Rn. 41).

Allerdings bietet der Eintrag in das Vermittlerregister allein keine Gewähr, dass der Vermittler immer noch geeignet erscheint. Die IHK als Erlaubnisbehörde ist weder berechtigt noch in der Lage, laufend ohne Anlass, das Fortbestehen der Eignung festzustellen. Es kann beispielsweise eine einschlägige, rechtskräftige Verurteilung oder eine Insolvenz eingetreten sein, von der die IHK nicht zeitnah erfährt und Konsequenzen ziehen kann. Zudem darf wegen Anmeldung einer Insolvenz allein ein zuvor ausgeübtes Gewerbe nicht untersagt werden, allein schon um einen Erfolg des Insolvenzverfahrens nicht von vornherein auszuschließen (vgl. § 12 GewO).

Deshalb sollte ein Versicherungsunternehmen bei der Neuaufnahme einer Zusammenarbeit mit einem Vermittler, der schon längere Zeit im Vermittlerregister eingetragen ist, eine Vorlage von Nachweisen der Eignung in Erwägung ziehen. Organisatorisch sollte zudem sichergestellt werden, dass allen Hinweisen auf kritische Veränderungen bei der Eignung von Vermittlern nachgegangen wird. Oft haben zum Beispiel dezentrale Führungskräfte des Versicherers Kontakt zu den betroffenen Vermittlern, deren Konkurrenten und anderen Beziehungsnetzwerken sowie Zugang zur lokalen Presseberichterstattung, „woraus“ sich solche Hinweise ergeben können.

3.4 Angestellte

Vermittler dürfen unmittelbar bei der Vermittlung oder Beratung mitwirkende Personen nur beschäftigen, wenn sie deren Zuverlässigkeit geprüft und sichergestellt haben, dass über die für die Vermittlung der jeweiligen Versicherung sachgerechte Qualifikation verfügen (vgl. § 34d Abs. 9 S. 1 GewO).

Die BaFin empfiehlt bei Versicherungsvertretern vertragliche Verpflichtungen aufzunehmen und deren Einhaltung stichprobenartig zu überprüfen. In der Praxis werden Einstellungen von Mitarbeitenden und Auszubildenden bei Ausschließlichkeitsvertretern häufig vom Versicherer bezuschusst, wodurch er Kenntnis von der Einstellung erlangt (vgl. BaFin 2018, Rn. 56).

Versicherer müssen bei ihren unmittelbar oder maßgeblich am Versicherungsvertrieb beteiligten Angestellten die Zuverlässigkeit und geordneten Vermögensverhältnisse überprüfen sowie die angemessene Qualifikation sicherstellen (vgl. § 48 Abs. 2 S. 1 VAG).

Warum der Gesetzgeber Unterschiede hinsichtlich der Überprüfung der geordneten Vermögensverhältnisse sowie bei den Begriffen angemessene oder sachgerechte Qualifikation macht, erschließt sich nicht (vgl. Beenken und Teichler 2019, S. 243).

3.5 AVAD-Verfahren

Die Auskunftsstelle über Versicherungs-/Bausparkassenaußendienst und Versicherungsmakler in Deutschland e. V. (AVAD) ist eine seit 1948 bestehende Selbsthilfeeinrichtung von Versicherungsgesellschaften, Bausparkassen und Vertriebsgesellschaften. Sie betreibt ein Register, in dem Tätigkeitsmeldungen bei Tätigkeitsaufnahme sowie Auskünfte bei Ausscheiden erfasst werden. Die Auskünfte können neben Angaben zur Art und Dauer der Tätigkeit Hinweise enthalten, die Zweifel an der Zuverlässigkeit und/oder den geordneten Vermögensverhältnissen zulassen.

Versicherer sollen vor Aufnahme einer Zusammenarbeit mit einer der o. g. Personen bzw. Unternehmen bei der AVAD vorliegende Auskünfte anfordern (vgl. BaFin 2018, Rn. 48).

Vorteil des Verfahrens ist, dass kritische Informationen über Bewerber zeitnah vorliegen, bevor diese zum Beispiel zu einer rechtskräftigen Verurteilung führen und im Führungszeugnis sichtbar werden. Typische Beispiele sind Versicherungsbetrug bzw. die Mithilfe hieran oder Urkundenfälschungen wie gefälschte Anträge, die in der Regel zur Erschleichung von Provisionen (bzw. Courtagen im Sprachgebrauch der Makler) dienen.

4 Risiken während der Zusammenarbeit

Zahlreiche Risiken entstehen aus der Tagesarbeit des Versicherungsvertriebs. Nachfolgend können nur ausgewählte Beispiele knapp vorgestellt werden.

4.1 Haftung und Haftungsübernahme

Ein operationelles Risiko sind Schadenersatzforderungen wegen falscher oder unterlassener Beratung oder sonstigen Fehlern im Vertriebsprozess. Versicherungsunternehmen müssen die Gehilfenhaftung für ihre Angestellten und für Versicherungsvertreter übernehmen (vgl. §§ 278, 831 BGB).

Das gilt unabhängig vom Bestehen einer eigenen Gewerbeerlaubnis des Vertreters. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass alle Vermittler seit Umsetzung der IMD eine persönliche Verschuldenshaftung für Pflichtverletzungen tragen; es kann damit zu einer gesamtschuldnerischen Haftung kommen (§ 63 VVG; vgl. Prölss/Martin 2021, § 63 VVG, Rn. 10).

Der Versicherer kann allerdings grundsätzlich beim schadenverursachenden Vertreter Regress nehmen. In der Ausschließlichkeit wird dies meist durch eine Regressverzichtserklärung eingeschränkt oder ausgeschlossen.

4.2 Aus- und Weiterbildung

Im Vertrieb Tätige bzw. bei juristischen Personen bestimmte natürliche Personen sollen eine qualitätsvolle Beratung und Betreuung der Kunden durch ihre Ausbildung und eine regelmäßige Fortbildung leisten können. Versicherer haben dazu geschäftsorganisatorische Maßnahmen zu ergreifen, insbesondere Leitlinien, angemessene interne Verfahren und eine Funktion zur Sicherstellung der Bildungsanforderungen einzurichten. Die Bildungsmaßnahmen sind durchzuführen, zu überwachen und zu dokumentieren (vgl. § 48 Abs. 2a VAG).

Risiken bestehen in einer nicht angemessenen Umsetzung der Vorgaben und in einer unzureichend sichergestellten, regelmäßigen Weiterbildung. Von IHKn wird das bereits häufig durch Geldbußen oder in Wiederholungsfällen Erlaubnisentziehungen sanktioniert; das kann die Vertriebskraft eines Versicherers gefährden (vgl. EIOPA 2021, S. 9 ff.).

4.3 Vergütungs- und Anreizsysteme/Interessenskonfliktvermeidung

Verkaufsziele, Vertriebsvergütungen und Anreize dürfen nicht mit der Pflicht, im bestmöglichen Kundeninteresse zu handeln, kollidieren. Das ist dann der Fall, wenn ein Kunde infolge solcher Maßnahmen nicht das relativ am besten für seine Bedürfnisse geeignete Produkt angeboten bekommen hat, welches der Versicherer bzw. der Vermittler anbieten konnte (vgl. §§ 48a Abs. 1 VAG, 14 Abs. 2 VersVermV).

4.3.1 Allgemeine Vorschriften

Vertrieb ist eine erfolgsorientierte Tätigkeit und soll helfen, Unternehmensziele zu erreichen. Daher besteht ein latentes Spannungsverhältnis zwischen Versicherer- und Kundeninteressen (vgl. Henning 2019, S. 266 ff.).

Dieses kann gelöst werden durch eine sorgfältige Kontrolle, Beobachtung und ggf. Neuverhandlung von Vergütungs- und Anreizsystemen, aber auch durch eine empirisch beobachtete Beratungsqualität (vgl. BaFin 2018, Rn. 95).

Beratungsdokumentationen, Kundennachbefragungen, Auswertungen von Schäden, Beschwerden und Stornierungen oder verdeckte Testkäufe können wertvolle Informationen über kritische Wirkungen der Vergütungs- und Anreizsysteme liefern.

4.3.2 Spezielle Vorgaben Versicherungsanlageprodukte

Für den Vertrieb von Versicherungsanlageprodukten gibt es besondere Regelungen. Im Mittelpunkt stehen die Vermeidung oder Offenlegung von Interessenkonflikten, die dem Kunden schaden können; insbesondere dürfen sich Provisionen und andere Anreize nicht nachteilig auf die Qualität der Dienstleistung auswirken (vgl. § 48a Abs. 2–5 VAG; vgl. § 48a Abs. 6 VAG).

Handlungsbedarf besteht vor allem bei den in Tab. 22.2 zusammengestellten Kriterien für die Gestaltung von Vergütungen und Anreizen (vgl. Art. 8 Delegierte Verordnung – EU – 2017/2359.

Tab. 22.2 Risiken bei der Vergütungs- und Anreizgestaltung. (Quelle: eigene Darstellung)

Die Gestaltungsempfehlungen sollten über Versicherungsanlageprodukte hinaus auf alle Versicherungsprodukte ausgedehnt werden, schon allein um erneute Fehlanreize zum Vertrieb anderer als der Versicherungsanlageprodukte zu vermeiden (vgl. Gruber und Baier 2019, S. 1461).

4.3.3 Sondervergütungen und Provisionsabgabe

Versicherer und Vermittler dürfen grundsätzlich keine Sondervergütungen, insbesondere Provisionsabgaben, an Kunden vornehmen, zum Beispiel um den Absatz zu steigern. Ausgenommen sind

  • Bagatellbeträge bis 15 Euro pro Versicherungsverhältnis und Versicherungsjahr,

  • Provisionen an sogenannte firmenverbundene Versicherungsvermittler, die von dem Kunden beherrscht werden (zum Beispiel Versicherungsvermittler eines Industriekonzerns) und

  • Kollektiv- oder Gruppenverträge, bei denen eine reduzierte Provision zur Beitragssenkung bzw. Leistungssteigerung genutzt wird (vgl. § 48b VAG, BaFin 2020a).

Das Risiko liegt in unüberlegten Kundenentscheidungen, die durch eine Provisionsabgabe provoziert werden und Schadenersatzansprüche nach sich ziehen können.

4.3.4 Stornohaftung

Die schon zuvor erwähnte Stornohaftung ist gesetzlich auf fünf Jahre bei substitutiven Kranken- sowie Lebensversicherungen festgesetzt; sie kann vertraglich verlängert werden (vgl. § 49 VAG).

In diesem Zeitraum sind Abschlussprovisionen eines Vermittlers bei Vertragsstornierung zeitanteilig zurückzufordern. Hierin liegt ein erhebliches finanzielles Risiko sowohl für betroffene Vermittler als auch den Versicherer begründet. Beispielsweise hinterließ der 2009 gescheiterte Krankenversicherungsmakler MEG AG zweistellige Millionenbeträge an Provisionsrückforderungen (vgl. Schmitt 2012).

Unzureichende Stornohaftung in Verbindung mit überhöhten Provisionen und Rückkaufswerten in der Lebensversicherung führten bereits in den 1990er-Jahren zu einem der bislang größten Versicherungsskandale (vgl. Ruhkamp 2009).

Die beste Risikoprävention ist der teilweise oder vollständige Verzicht auf Abschlussprovisionen, die nichts anderes als eine Vorauszahlung auf Provisionen darstellen, die erst zukünftig mit der Zahlung der Beiträge durch den Kunden während der Aufschubzeit fällig werden (vgl. § 92 Abs. 4 HGB).

4.3.5 Provisionsdeckel

Ein weiteres Mittel zur Verhinderung überhöhter Vergütungen kann ein gesetzlicher Provisionsdeckel sein. Ein solcher besteht seit 01.04.2012 in der substitutiven Krankenversicherung und ab 01.01.2022 in der Restschuldversicherung (vgl. § 50 VAG; vgl. § 50a VAG n.F.).

Vorgeschlagen, aber nicht umgesetzt wurde 2019 ein allgemeiner Provisionsdeckel in der Lebensversicherung. Das Ziel des Gesetzgebers ist der Schutz der Versicherten vor übermäßigen Belastungen mit Vertriebskosten, wie sie beispielsweise zuletzt in der Restschuldversicherung festgestellt wurden (vgl. BaFin 2017b, 2020b).

4.3.6 Provisionsvorschüsse und -garantien

Ein hohes finanzielles Risiko kann durch unverdiente Provisionsvorschüsse oder -garantien an Vermittler entstehen. Risikomindernd wirkt, solche Vereinbarungen

  • nur Ausschließlichkeitsvertretern und nicht Maklern und Mehrfachvertretern anzubieten,

  • zeitlich auf maximal ein Jahr mit einer Möglichkeit der Verlängerung sowie nur auf die Existenzgründungsphase des Agenturbetriebs zu begrenzen,

  • nicht auf alle verdienten Provisionen anzuwenden, sondern insbesondere Abschlussprovisionen nur teilweise anzurechnen, um einen Erfolgsanreiz aufrechtzuerhalten,

  • regelmäßig zu kontrollieren und bei auffälligen Lastsalden anzupassen. Dies schon allein deshalb, weil Lastsalden ab einer kritischen Höhe demotivierend wirken (vgl. Beenken 2019, S. 387 f.).

4.3.7 Provisionsdurchleitung

Versicherungsberater sollen bevorzugt sogenannte Nettotarife empfehlen, in denen keine „Zuwendungen“ einkalkuliert sind, bei denen es sich wohl im Wesentlichen um Provision handelt; eine gesetzliche Definition des Nettotarifs fehlt allerdings bislang (vgl. § 34d Abs. 2 S. 5 VAG).

Ist ein Bruttotarif relativ besser geeignet, können Berater auch diesen vermitteln und eine Beratungsbescheinigung ausstellen. Versicherer sind frei „in der“ Entscheidung, solche Anträge anzunehmen. Wenn sie diese annehmen, müssen sie die einkalkulierten Zuwendungen ermitteln und zu mindestens 80 Prozent über die ersten fünf Vertragsjahre verteilt an den Kunden durchleiten, in der Regel durch eine Verrechnung mit den Beitragsforderungen. Der Beitragsrabatt darf 80 Prozent nicht übersteigen (vgl. § 48c VAG). Versicherern wird empfohlen, zur Vermeidung von späteren Kosten den Antragsteller zu fragen, ob ein Versicherungsberater beteiligt war (BaFin 2018 Rn. 69 ff.).

4.3.8 Honorarberatung

Seit der Finanzkrise 2007/2008 verfolgt die Bundesregierung das Ziel, als Alternative zur traditionellen Vermittlung gegen Provision die Beratung und Vermittlung von Versicherungen gegen Honorar zu etablieren. Das Ziel ist eine objektivere Beratung der Kunden frei von Interessenkonflikten (vgl. Schiller 2011, S. 124 ff.).

Dazu wurden bislang vorwiegend berufsrechtliche Schritte unternommen wie ein gewerberechtlicher Bezeichnungsschutz und eine Erleichterung des Umstiegs vom Vermittler zum Berater; für die Vermittlung sind Nettotarife notwendig, deren Absatz bisher aber bedeutungslos ist (vgl. § 156 Abs. 3 GewO; vgl. Beenken und Schradin 2021).

Versicherer unterliegen einem strategischen Risiko, ob sie sich dem Markt der Honorarberatung öffnen und Nettotarife anbieten. Operativ verlieren Versicherer steuernden Einfluss und müssen mit Interessengegensätzen und Aufwand für die eigene Bewertung angetragener Risiken rechnen (vgl. Nickel-Waninger 2010, S. 560).

4.4 Beschwerden

Versicherungsunternehmen müssen Beschwerden von Kunden oder Verbraucherschutzverbänden über ihre Versicherungsvermittler sowie über beim Vertrieb kooperierende Versicherer beantworten. Kommt es zu wiederholten Beschwerden, die Zweifel an der Zuverlässigkeit zulassen, ist die Erlaubnisbehörde zu informieren (vgl. § 51 VAG).

Versicherer sollten Beschwerden systematisch erfassen und auswerten, um erkennen zu können, ob es dabei personelle oder sachliche Schwerpunkte gibt (vgl. BaFin 2018, Rn. 44).

Neben der Meldung an Erlaubnisbehörden (zum Beispiel IHK) geht es auch um interne Prozesse, um den Ursachen der Beschwerden nachzugehen und diese abzustellen. Das können zum Beispiel Eskalationsregeln für Vertriebsführungskräfte sein, nach denen Beschwerdeverursacher anzusprechen und ggf. zu sanktionieren sind, aber auch Regeln für den Umgang mit sachlichen Problemen (zum Beispiel unzureichende Muster von Beratungsdokumentationen).

4.5 Kundengeldsicherung

Vermittler können in verschiedener Weise mit Kundengeldern in Berührung kommen und diese verspätet oder nicht weiterleiten. In Frage kommen für den Versicherer bestimmte Gelder wie insbesondere Beiträge, die der Kunde an den Vermittler zahlt, aber auch umgekehrt für den Kunden bestimmte Gelder wie Schadenzahlungen oder Ablaufleistungen von Lebensversicherungen.

Versicherungsvertreter gelten grundsätzlich als bevollmächtigt, Kundengelder entgegenzunehmen. Veruntreuungen oder verspätete Weitergaben, die zum Beispiel die Rechtsfolgen des Zahlungsverzugs auslösen, gehen zulasten des Versicherers (vgl. § 69 Abs. 2 VVG).

Versicherer können für Kunden bestimmte Zahlungen nur dann an Vertreter oder Makler mit befreiender Wirkung leisten, wenn ihnen dazu eine schriftliche Vollmacht des Kunden vorliegt (vgl. § 64 VVG).

Kundengelder, die über Makler geleitet werden, müssen entweder vom Makler selbst besichert werden, zum Beispiel durch eine Vertrauensschadenversicherung mit einer vom Umfang der vereinnahmten Gelder abhängigen Mindesthöhe, oder der Versicherer stattet den Makler im Rahmen des sogenannten Maklerinkassos mit Beitragsrechnungen aus und übernimmt wie beim Vertreter die Zahlungssicherung (vgl. §§ 20–25 VersVermV).

Die beste Risikovorsorge besteht in einer Vermeidung des Vermittlerinkassos sowie restriktiver Vergabe von Schadenregulierungsvollmachten an Vertreter. Bei Maklern ist eine Schadenregulierung im Versichererauftrag ohnehin nicht mehr zulässig (vgl. BaFin 2018 Rn. 64; vgl. BaFin 2017c).

4.6 Geldwäsche

Versicherer, die Lebensversicherungen, Unfallversicherungen mit Beitragsrückgewähr und Kapitalisierungsprodukte anbieten oder Darlehen vergeben, gelten als Verpflichtete im Sinne des Geldwäschegesetzes (vgl. Sandrock 2021, S. 117).

Unter anderem müssen sie eine Funktion einrichten, die „betroffene“ Personen identifizieren sowie Verdachtsfälle melden. Vermittler mit eigener Gewerbeerlaubnis sind ebenfalls Verpflichtete (vgl. § 2 Abs. 1 Nr. 8 GWG).

Ein spezifisches Risiko des Versicherers besteht darin, dass er meist keinen eigenen Kundenkontakt hat und Vermittler verdächtige Hinweise nicht erkennen oder nicht weitergeben.

4.7 Datenschutz

Der Versicherungsvertrieb kommt in besonderem Maß mit personengebundenen Daten in Berührung, zudem mit besonders sensiblen wie u. a. Gesundheits- oder Einkommensdaten. Insofern erfordern die Bestimmungen der Datenschutz-Grundverordnung wie des Bundesdatenschutzgesetzes die Einrichtung einer entsprechenden Funktion sowie eine Reihe organisatorischer Maßnahmen (vgl. Sandrock 2021, S. 103 ff.).

Spezifische Vertriebsrisiken liegen in der Datenerhebung rund um die Antragsaufnahme sowie in Werbemaßnahmen unter Nutzung von Adressdaten und anderen Informationen.

4.8 Reputationsrisiken

Der Vertrieb kann die Reputation eines Versicherers in Gefahr bringen. Im Rahmen der Vertriebsstrategie kann der Versicherer Risikovorsorge durch sorgfältige Auswahl geeigneter Vertriebswege und Vertriebspartner treffen (vgl. Beenken 2019, S. 171 ff.; Bredenkötter und Musiol 2012, S. 16 ff.).

Vertrags- und Vergütungsgestaltungen können ebenfalls Risiken mindern, zum Beispiel durch weitgehenden Verzicht auf überhöhte und einmalige Vergütungen, mit denen kritische Verhaltensweisen im Vertrieb gefördert oder ungeeignete Vertriebspartner angezogen werden. Eine laufende Beobachtung der Qualität der erbrachten Leistung hilft ebenfalls, reputationsschädliche Verhaltensweisen zu erkennen. Zudem sollten Versicherer eine professionelle Krisenkommunikation beherrschen.

4.9 Risiken bei der Produktgestaltung

Versicherer haben ein Produktfreigabeverfahren zu unterhalten, wenn Versicherungsprodukte neu entwickelt oder wesentlich verändert werden (vgl. § 23 Abs. 1a VAG).

Ziele sind, die Kundenbedürfnisse systematisch in die Produktentwicklung einzubeziehen, den Vertrieb nur in definierten Zielmärkten sicherzustellen, eine laufende Marktbeobachtung zu betreiben sowie den Vertrieb hinreichend zu schulen. Dadurch lässt sich das Risiko der Falschberatung aus Unkenntnis bestimmter Produktmerkmale und Leistungsgrenzen eingrenzen.

Der deutsche Gesetzgeber hat offengelassen, wie mit einer Produktentwicklung durch Vermittler umzugehen ist, der ebenfalls „Hersteller“ sein kann (vgl. Art. 2 Delegierte Verordnung – EU – 2017/2358).

Während dies bei Vertretern keine besonderen Probleme aufwirft und durch ein Produktfreigabeverfahren des Versicherers gelöst wird, ist das bei Maklern aufgrund ihrer Rechtsstellung anders zu bewerten. Möglicherweise mutieren diese sogar ungewollt zu einer ausgelagerten Funktion des Versicherers (vgl. § 32 VAG; Beenken und Teichler 2019, S. 245).

4.10 Risiken bei Beratung und Information des Kunden

Zentrale Aufgaben des Vertriebs bestehen in der Beratung und Information des Kunden; hier besteht wohl die größte Fehlerquelle, vgl. dazu auch die Systematisierung in Tab. 22.3 (vgl. §§ 6 f., 7 ff., 61 f. VVG).

Tab. 22.3 Risiken bei Beratung und Information des Kunden. (Quelle: eigene Darstellung)

Die Konsequenzen von Beratungsfehlern sind in der Regel Schadenersatzforderungen und unter Umständen Reputationsschäden. Informationsfehler können sich auf die Wirksamkeit und die Widerrufbarkeit von Versicherungsverträgen auswirken (vgl. §§ 6 Abs. 5, 63 VVG).

4.11 Risiken bei Antragsaufnahme und beim Underwriting

Ein vertriebsspezifisches Risiko ist die unvollständige oder falsche Aufnahme von Risikoangaben im Antrag. Das kann fahrlässig, aber auch vorsätzlich geschehen, zum Beispiel um ein Risiko als günstiger darzustellen und versichern zu können, als es objektiv ist (vgl. Finanztest 2009).Footnote 1

Der Fehlanreiz ist auch durch das Vergütungssystem induziert und wurde durch die VVG-Reform 2008 verstärkt, weil selbst vorsätzliche und arglistige Täuschungen nicht mehr dauerhaft eingewendet werden können (vgl. § 21 Abs. 3 VVG).

Eine Risikoprävention ist nicht immer wirtschaftlich sinnvoll, sie könnte aber in Nachbefragungen und Besichtigungen durch den Versicherer bestehen. Bei Personenversicherungen ist auch das Teleunderwriting eine Lösung, bei der die Gesundheitsfragen telefonisch von Risikoprüfern des Versicherers gestellt werden.

Nicht zu unterschätzen ist das Risiko fehlerhafter Tarifierung durch subjektive Einschätzungsfehler. In einer Studie schätzten Versicherungsmanager die Streuung auf zehn Prozent, nachgewiesen wurden stattdessen 55 Prozent Abweichung vom Mittelwert. Dadurch entsteht das Risiko, dass überteuerte Angebote vom Kunden ausgeschlagen, aber untertarifierte Verträge in den Bestand aufgenommen werden (vgl. Kahneman et al. 2021, S. 23 ff.).

Ein weiteres Risiko liegt in einem Missbrauch von Rabattvollmachten zulasten der Profitabilität des Bestands, zumal solche Vollmachten auch an Vermittler vergeben werden, die von den Folgen kaum betroffen sind.

4.12 Risiken bei der Kundenbetreuung

Ein weiteres, vertriebsspezifisches Risiko liegt in einer unzureichenden oder fehlenden, regelmäßigen Überprüfung von Bestandsverträgen und Ansprache des Kunden, um zum Beispiel Änderungen in dessen Risikostruktur zu erkennen. Ursachen können das immer noch sehr auf Abschlüsse fokussierte Vergütungssystem, Organisationsmängel und Wirtschaftlichkeitserwägungen v. a. bei Kleinkunden sein (vgl. Schwarzbach et al. 2011, S. 369 ff.).

Das Risiko kann sich in sinkender Kundenzufriedenheit und -bindung, erhöhtem moralischem Risiko, Nichtausschöpfung von Akquisepotenzialen, Wettbewerbseinbrüchen oder sogar Schadenersatzansprüchen im Fall unterlassener, anlassabhängiger Nachberatung niederschlagen.

4.13 Risiken bei Schadenaufnahme und Schadenregulierung

Auch in Zusammenhang mit der Aufnahme und Meldung von Schäden bzw. der Regulierung von Schäden durch Vermittler entstehen Risiken. Diese können u. a. in einer unzureichenden oder falschen Darstellung des Schadens, verspäteten Einreichung oder fehlerhafter Regulierung bestehen. Ursächlich können Fahrlässigkeit, zum Beispiel aufgrund fehlender Schulung, aber auch Vergütungsinteressen des Vermittlers sein. Risikomindernd wirken können standardisierte Schadenmeldeformulare und -verfahren, die Begrenzung von Schadenregulierungsvollmachten auf bestimmte Sparten und Höhen oder eigenständige Schadenregulierungsvergütungen anstelle eines Verweises auf eine Abgeltung durch die Bestandsprovision. Der Versicherer sollte die Vollmachtsvergabe von Schulungen abhängig machen und die Entscheidungen regelmäßig auf Plausibilität sowie stichprobenartig auf inhaltliche Korrektheit hin prüfen (vgl. auch BaFin 2018, Rn. 64).

4.14 Risiken der Digitalisierung des Vertriebs

Die Digitalisierung hat vielfältige Folgen für den Vertrieb. Zum einen werden Verfahren automatisiert, zum anderen Kunden befähigt, eine selbstständige Rolle durch Selbstberatung und Selbstadministration von Versicherungen einzunehmen (vgl. Goretzky 2019, S. 916 ff.; vgl. Beenken 2018, S. 159 ff.).

Ein spezifisches Risiko besteht im Onlinevertrieb von Versicherungen. Die in der Europäischen Richtlinie IDD vorgesehenen, zwingenden Standards für den Vertrieb ohne Beratung wurden nicht 1:1 ins deutsche Recht übertragen und Rechtsanwender werden in die Irre geführt (vgl. Beenken 2017; vgl. Stöbener 2018, S. 461 f.; Werber 2019, S. 326 f.).

Problematisch ist vor allem die Anwendung des Verzichtsrechts, das 2018 für den Onlinevertrieb erleichtert wurde und in Text- statt in Schriftform umgesetzt werden kann. Für Versicherer besteht das Risiko serienmäßiger Fehler bei Beratungspflichten und in der Folge Schadenersatzansprüchen und Reputationsschäden (vgl. Braasch et al. 2019).

4.15 Meldepflichten an die BaFin

Versicherer haben Unregelmäßigkeiten im Versicherungsinnen- und -außendienst – hier insbesondere Vermittler und Untervermittler – an die BaFin zu melden, worunter strafbare Handlungen zulasten des Versicherers und der Kunden verstanden werden. Dazu gehören u. a. Eigentums- und Vermögensdelikte, aber auch speziell Provisionserschleichung. Die Meldung hat gesammelt jährlich sowie einzeln anlassabhängig für jeden Schaden von mindestens 50.000 Euro zu erfolgen. Dies ist unverzüglich schon im Verdachtsfall erforderlich (vgl. BaFin 2015).

5 Beendigung der Zusammenarbeit

Versicherer haben erlaubnisfreie, gebundene Vertreter unverzüglich aus dem Vermittlerregister auszutragen, wenn die Zusammenarbeit beendet ist (vgl. BaFin 2018, Rn. 37).

Entfallen nachträglich Voraussetzungen für die Eintragung eines erlaubnisfreien Vertreters, muss der Versicherer prüfen, ob eine Fortsetzung der Zusammenarbeit vertretbar ist. Ausnahme ist allerdings die Anmeldung einer Insolvenz, wobei sich in der Praxis oft schon früher Hinweise wie zum Beispiel die Vorlage von Pfändungs- und Überweisungsbeschlüssen durch das Finanzamt oder durch Gerichte ergeben. Der Versicherer sollte hier schnell und sachgerecht handeln, um potenziellen Schaden zu vermeiden, aber auch „um“ dem betroffenen Vermittler zu helfen (vgl. BaFin 2018, Rn. 22).

Bei allen Vermittlern und Außendienstangestellten ist nach Beendigung eine AVAD-Auskunft zu erstellen (vgl. Kap. 25.3.5; BaFin 2018, Rn. 48).