1 Ausgangslage

Die Versicherungswirtschaft ist einem hohen Ergebnisdruck ausgesetzt. Gründe hierfür sind unter anderem die Niedrigzinsphase und eine verschärfte Regulatorik. Weiterhin stellen steigende Anforderungen der Kundinnen und Kunden sowie der zunehmende Wettbewerb eine Herausforderung für das Management von Versicherungsunternehmen dar. Zudem sind hohe Investitionen in Digitalisierungsmaßnahmen und „moderne Arbeitswelten“ erforderlich (vgl. Stange und Reich 2015, S. 6). Durch all das entstehen zahlreiche Chancen und Risiken beispielsweise in Bezug auf Effizienz und Kundenservice. Die Operationsabteilungen in der Versicherungswirtschaft sind im besonderen Maße von diesem Ergebnisdruck und Wandel betroffen. Die Versicherungskonzerne haben dort in den letzten Jahren massiv Personal abgebaut, obwohl die operativen Aufgaben immer komplexer geworden sind (vgl. Burghardt 2020). Dadurch entsteht ein hoher Arbeitsdruck auf die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Zusätzlich liegt der Fokus des Managements der Versicherungsunternehmen auf Bereichen wie Produktgestaltung, Risikomanagement und IT anstatt auf Führungsthemen oder der erfolgreichen Gestaltung der Operationsbereiche (vgl. Lünendonk GmbH 2020, S. 14 f.).

Die Operationsabteilungen spielen aber eine zentrale Rolle für die Profitabilität des Versicherungsunternehmens. Sie stellen die Erfüllung von Leistungsversprechen für die Kunden sicher und haben damit einen großen Einfluss auf die Zufriedenheit der Kunden (vgl. Grabner 2019, S. 2). Seit vielen Jahren ist die Erhöhung der Kundenzufriedenheit eines der zentralen strategischen Ziele von Versicherungsunternehmen. Eine hohe Kundenzufriedenheit führt zu einer guten Bindung der Kunden und vereinfacht die Gewinnung neuer Kunden. Ohne zufriedene Kunden, keine Profitabilität (vgl. Völler 2016, S. 10)! Wie in vielen operativen Bereichen von Wirtschaftsunternehmen sollen die operativen Bereiche in den Versicherungsunternehmen zusätzlich zum Ziel der Kundenzufriedenheit aber auch Effizienz- und Kostenziele realisieren. Es ist offensichtlich, dass diese Ziele in einem Konflikt stehen sind.

Was bedeutet das für die Führung in den Operationsbereichen und wie sieht die Situation dort aus? Eine qualitative empirische Studie des ivwKöln beschäftigt sich in diesem Zusammenhang mit der Fragestellung, welche Herausforderungen und Handlungsbedarfe aus dem Wandel in den Operationsabteilungen der Versicherungswirtschaft resultieren. Es wurde untersucht, welche Instrumente hinsichtlich der Personalführung und Organisation zielführend sind, um die Mitarbeiter zu motivieren. Methodisch wurde ein qualitativ empirisches Vorgehen gewählt, wobei sowohl Experten, Führungskräfte als auch Mitarbeiter der Operationsabteilungen anhand eines strukturierten Fragebogens interviewt wurden. Die Ergebnisse fließen teilweise in dieses Kapitel ein.

Die Untersuchung des ivwKöln hat ergeben, dass in den Operationsabteilungen der Versicherungsunternehmen ein hoher Arbeitsdruck herrscht. Aufgrund des häufig noch geringen Automatisierungsgrades nehmen die Beschäftigten der Operationsbereiche eine zentrale Rolle ein: Bearbeiten diese unzureichend große Vorgangsmengen oder ist die Bearbeitung fehlerhaft, ist der Erfolg des Unternehmens gefährdet (vgl. Oletzky 2020). Die Zufriedenheit der Beschäftigten in diesen Bereichen ist also für das Versicherungsunternehmen von essenzieller Bedeutung. In der Untersuchung des ivwKöln hat sich jedoch gezeigt, dass die Arbeitszufriedenheit und -motivation Defizite aufweisen. Wesentliche Ursachen dafür sind die unzureichende Führungsleistung in den Operationsbereichen und der zu hohe Arbeitsdruck. Diese Situation stellt ein erhebliches Risiko für die Profitabilität der Operationsbereiche und für die Qualität der dort geleisteten Arbeit dar. Denn:

glückliche, zufriedene Mitarbeiter sind das Beste […], was Unternehmen sich wünschen können, da sich dies auch unmittelbar in besseren betrieblichen Ergebnissen niederschlägt.“ (Ruckriegel et al. 2015, S. 61)

Es stellt sich also die Frage, was getan werden kann, damit sich die Zufriedenheit und Motivation der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Operationsabteilungen verbessern. Damit beschäftigt sich das vorliegende Kapitel. Es wird deutlich werden, dass die Versicherungsunternehmen, die die Bedeutung der Operationsbereiche erkennen und sich ernsthaft damit beschäftigen, die Zufriedenheit der dortigen Beschäftigten zu verbessern, in Zukunft einen Wettbewerbsvorteil haben werden. Es liegt also eine große Chance in diesem Handlungsfeld (vgl. Becker 2019, S. 43; vgl. Oletzky 2020).

2 Bedeutung des Operationsbereiches in der Versicherungswirtschaft

Den Operationsbereichen kommt in Versicherungsunternehmen eine besondere Bedeutung zu, denn Operationsprozesse sind direkt wertschöpfend und stellen eine wesentliche Schnittstelle zu den Kunden dar (vgl. Broschinski 2010, S. 81). Ohne das zügige Policieren von Anträgen und das Regulieren von Leistungsfällen würden die Leistungsversprechen, die die Versicherungsunternehmen abgeben, nicht eingelöst. Darüber hinaus stellen die Operationsbereiche zusätzlich zu den Mitarbeitern im Vertriebsressort den Kundenservice sicher (vgl. Ax et al. 2014, S. 355). Beides führt dazu, dass die Operationsbereiche einen großen Einfluss auf die Zufriedenheit der Kunden haben (vgl. Grabner 2019, S. 2).

Vor dem Hintergrund des geringen Automatisierungsgrades der Operations-Prozesse stellen speziell die Beschäftigten eine zentrale Rolle zur Erfüllung der Wertschöpfung und des Kundenservices dar (vgl. Oletzky 2020). Dunkelverarbeitungen betreffen vorrangig einzelne, wenig komplexe Prozesse (vgl. Bayer 2018). Von einer Vollautomatisierung sind Versicherungsunternehmen also noch weit entfernt. Aus diesem Grund wird es zumindest in den nächsten Jahren nach wie vor viele manuelle Aufgaben geben, die die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter meistens unter Zeitdruck zu absolvieren haben. Zeitdruck deshalb, weil die Aufgaben zum Beispiel durch gesetzliche Vorgaben zugenommen haben, die Personaldecke aber nicht entsprechend angepasst wurde.

3 Herausforderungen und Risiken in den Operationsbereichen

Die Versicherungsbranche und dort auch die Operationsbereiche stehen seit Jahren unter einem hohen Druck. Hieraus ergeben sich verschiedene Herausforderungen und Risiken. Anhand von sechs wesentlichen Bereichen wird dies im Folgenden dargestellt.

3.1 Kapitalmarkt

Durch das langanhaltende Niedrigzinsumfeld steigt das Risiko, dass die für das Versicherungsgeschäft wichtigen Kapitalmarkterträge nicht mehr erwirtschaftet werden können (vgl. Müller-Peters 2016). Dadurch entsteht ein Kostendruck und damit verbundene Einsparungserfordernisse. Operationsbereiche sind im besonderen Maße hiervon betroffen, da dort hohe Fixkosten, zum Beispiel aufgrund von hohen Personalkosten vorliegen (vgl. Oliver Wyman 2016, S. 18).

Um das Risiko abzufangen, richten Versicherungsunternehmen ihr Geschäft neu aus und strukturieren Produkt- und Anlageportfolios um. Damit verändern sich die Prozesse in der Antrags- und Vertragsbearbeitung für die Operationsbereiche und das Know-how für die neuen Produkte muss von den Beschäftigten beherrscht werden (vgl. Stange und Reich 2015, S. 5).

3.2 Regulatorik

Ein weiteres Risiko entsteht durch die verschärfte Regulatorik. Nach einer langen Phase der Deregulierung erlassen die Aufsichtsbehörden und der Gesetzgeber wieder vermehrt Vorschriften und Gesetze für Versicherer wie zum Beispiel strengere Eigenkapitalvorschriften durch Solvency II (vgl. Müller-Peters 2016). Die Folgen der Regulierung sind hohe Kostenaufwendungen und sinkende Renditen (vgl. Stange und Reich 2015, S. 5). Das verstärkt den Ergebnis- und Kostendruck im gesamten Versicherungsunternehmen, aber auch in den Operationsbereichen. Außerdem kommt es zu regulatorisch bedingten Anpassungen in Prozessen und Produkten des Versicherungsunternehmens und der Operationsbereiche.

3.3 Digitalisierung

Die Digitalisierung bietet auf der einen Seite ein bisher nicht vorhandenes Rationalisierungspotenzial. Prozesse können durch die neuen Technologien automatisiert bzw. optimiert und Personal eingespart werden. Da Operationsprozesse überwiegend feststehend und immer wiederkehrend sind, ist das Potenzial hier besonders hoch (vgl. Oliver Wyman 2016, S. 5). Darüber hinaus können Kosten reduziert sowie Vermittler- und Kundenanforderungen erfüllt werden. Zusätzlich können neue Produkte, wie zum Beispiel Telematik- oder Cyber-Tarife, angeboten werden. Auf der anderen Seite müssen in einem ersten Schritt hohe Investitionen erfolgen, um den Ausbau digitaler Techniken voranzutreiben. Dies belastet zusätzlich die Kostenquote (vgl. Müller-Peters 2016).

Da das Potenzial der Digitalisierung noch nicht ausgeschöpft ist, entstehen zusätzlich Risiken: Viele IT-Systeme der Versicherungsunternehmen stammen aus dem letzten Jahrhundert und es kommt zu Ausfällen und Inkompatibilitäten zwischen den Systemen. Insbesondere in den Operationsbereichen sind überwiegend noch veraltete Prozesse und IT-Systeme vorzufinden (vgl. Oletzky 2020). Es kommt zu Zeitverzögerungen und die dortigen Beschäftigten müssen mit verschiedenen Programmen arbeiten. All das hat eher negative Auswirkungen auf die Kundenbeziehungen (vgl. Kotalakidis et al. 2016, S. 17).

3.4 Kunden

Viele Kundinnen und Kunden erwarten heute digitale Lösungen und Produkte (vgl. Völler 2016, S. 15 f.). Statt papierbasierten und langsamen Prozessen werden intuitive und leichte Services sowie schlanke und schnelle Prozesse erwartet (vgl. Oletzky 2020). Dies wird durch eine gestiegene Preissensibilität der Kunden und eine vorhandene Transparenz im Wettbewerb, bspw. durch Vergleichsportale, verstärkt. Die Folge ist die Neuausrichtung von Produkten, Services, Prozessen und Preisen (vgl. Müller-Peters 2016). Operationsbereiche sind als Schnittstelle zu den Kunden im besonderen Maße hiervon betroffen.

3.5 Wettbewerb

Aufgrund von innovativen Konkurrenzprodukten sowie neuen Wettbewerbern mit auf die Kunden ausgerichteten Geschäftsmodellen, wie zum Beispiel InsurTechs, steigt das Risiko für die Unternehmen, dem Wettbewerbsdruck zu unterliegen (vgl. Stange und Reich 2015, S. 6). Der damit verbundene Ergebnisdruck sowie veränderte Produkte und Services sind ebenso in den Operationsbereichen spürbar.

3.6 Mitarbeiter

Das Feld Mitarbeiter weist verschiedenartige Herausforderungen und Risiken auf. Für die Beschäftigten in den Operationsbereichen bedeutet der bereits beschriebene Ergebnis- und Kostendruck einen erhöhten Arbeitsdruck. Personalkosten machen einen Großteil der Betriebskosten aus (vgl. Oliver Wyman 2016, S. 18), sodass in der Vergangenheit ein hoher Personalabbau in den Operationsbereichen betrieben wurde (vgl. Müller-Peters 2016). Jedoch können die Rationalisierungen noch nicht vollständig durch die Digitalisierung kompensiert werden, sodass für die Aufgaben weniger Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zur Verfügung stehen. Der Arbeitsumfang für die einzelnen Mitarbeiter ist teilweise seit Jahren erhöht (vgl. Oletzky 2020).

Zusätzlich werden mithilfe der technischen Voraussetzungen Produktivität und Service in den Operationsbereichen mittlerweile granular gemessen. Das Management orientiert sich in seinen Entscheidungen und Beurteilungen stark an diesen Kennzahlen. In der Praxis werden Produktivitätskennzahlen regelmäßig, teilweise täglich, mit den Mitarbeitern besprochen. Für die Beschäftigten resultiert hieraus eine Erhöhung des Arbeitsdrucks.

Aufgrund von neuen Produkten, Prozessen und Services weist die Arbeit in den Operationsabteilungen außerdem eine erhöhte Komplexität auf (vgl. Dufft und von Bassewitz 2017, S. 11). Die einzelnen Vorgänge benötigen mehr Zeit, Know-how und Verantwortung. Weiterhin kommen neben regulären Linientätigkeiten Zusatz- und Projektaufgaben zur Gestaltung von Veränderungen hinzu (vgl. Lohse und Will 2019, S. 9).

Diese Situation führt zu hohem Stress und zu einer Überforderung der Beschäftigten und der dortigen Führungskräfte aufgrund des Arbeitsdrucks und der Komplexität der Aufgaben. Dies hat wiederum negative Auswirkungen auf die Zufriedenheit und Motivation der Beschäftigten (vgl. Lohse und Will 2019, S. 9). Langfristig weist Stress das Risiko auf, dass Beschäftigte krank werden sowie vom Unternehmen abwandern. Dadurch kommt es zu einer Zuspitzung der Situation für die verbleibenden Beschäftigten und einem Abgang von Know-how. Personalgewinnung ist angesichts der demografischen Entwicklung einfacher gesagt als getan (vgl. Kauffeld 2011, S. 184; vgl. Becker 2019, S. 1). Aus Studien ist bekannt, dass unzufriedene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eine schlechtere Produktivität aufweisen, was die Effizienz im Kundenservice negativ beeinflusst. Ein Teufelskreislauf, der in vielen Operationsbereichen leider Realität ist.

Eine qualitative empirische Untersuchung des ivwKöln hat ergeben, dass sich die Zufriedenheit und Motivation der Beschäftigten in den Operationsbereichen vor dem Hintergrund der genannten Aspekte mittlerweile verschlechtert hat. Als häufigste Ursache wird genau dieser hohe Arbeitsdruck genannt. Ein weiterer wichtiger Grund ist aber unzulängliches Führungsverhalten. Beschäftigte gehen gerne die Extra-Meile, wenn sie dafür besondere Wertschätzung erhalten. Das ist aber häufig nicht der Fall. Ganz im Gegenteil: Die Operationsbereiche sind in den Versicherungsunternehmen nicht die Abteilungen, die im Fokus der Top-Führungskräfte sind. Produktentwicklungen mit agilen Methoden, die Erhöhung der Agilität und die Umsetzung von regulatorischen Vorgaben stehen im Fokus des Managements (vgl. Lünendonk GmbH 2020, S. 14 f.).

Darüber hinaus kann festgestellt werden, dass nicht nur die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Operationsabteilungen unter erheblichem Arbeitsdruck stehen, sondern auch die Teamleitung. Das hat in zweifacher Hinsicht massive negative Auswirkungen: Zum einen sind die Teamleiter auch nur Menschen, die genau wie ihre Teammitglieder unter dem Arbeitsdruck leiden. Zum anderen führt der Arbeitsdruck auf der Sachebene dazu, dass die Teamleiter zu wenig Zeit für die Personalführung haben. Studien zeigen immer wieder, dass gute Personalführung zu zufriedenen Mitarbeitern und zu betriebswirtschaftlich besseren Ergebnissen führen (vgl. Becker 2019, S. 1; vgl. Rehwaldt 2019, S. 22). In der hier geschilderten Situation, dass die Mitarbeiter in den Operationsbereichen mit verschiedenen demotivierenden Faktoren zu kämpfen haben, ist es fatal, wenn die Führungskräfte zu wenig Zeit für die Personalführung haben. Demotivation, Fehlzeiten, fehlerhafte Arbeit und Fluktuation nehmen zu. Fluktuation übrigens von den Mitarbeitern, die man auf jeden Fall halten möchte (vgl. Kauffeld 2011, S. 184).

4 Ziele der Führung im Bereich Operations von Versicherungsunternehmen

Aus den Schilderungen in den vorherigen Abschnitten ergeben sich drei Ziele, die die Führung in den Operationsbereichen von Versicherungsunternehmen erfüllen sollte:

  • Kundenzufriedenheit durch Erfüllung der Kundenerwartungen,

  • Erreichung von Effizienzzielen sowie

  • Gewährleistung von Mitarbeiterzufriedenheit und -motivation.

Werden die einzelnen Ziele nicht erfüllt, ist die Zukunfts- und Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens gefährdet: Die Effizienzziele müssen aufgrund des hohen Ergebnis- und Kostendrucks eingehalten werden (vgl. Versicherungsbote 2015). Ein besonderer Handlungsbedarf bildet in diesem Zusammenhang die Digitalisierung. Veraltete Operations-Prozesse sind zur Steigerung der Wertschöpfung zu optimieren und automatisieren. Moderne IT-Anwendungen und Technologien sind für eine schnelle und qualitativ hochwertige Arbeit unerlässlich (vgl. Oliver Wyman 2016, S. 19).

Ein weiterer Personalabbau im operativen Bereich kann als Kostensenkung nur dann vertreten werden, wenn die verbleibende Anzahl an Beschäftigten ausreicht, um die anstehenden Aufgaben mit hoher Qualität bewältigen zu können. Außerdem ist das abgehende Know-how zu berücksichtigen. Oftmals scheiden in der Versicherungswirtschaft flexible und gut ausgebildete Beschäftigte aus, die jedoch für ein zukunftsfähiges Unternehmen notwendig sind (vgl. Zimmermann und Richter 2015, S. 21).

Die Zufriedenheit ist durch einen entsprechenden Kundenservice zu erreichen, damit Bestandskunden nicht zu Wettbewerbern abwandern und sich die Neukundengewinnung nicht rückläufig entwickelt (vgl. Oliver Wyman 2016, S. 26). Im Wesentlichen liegt der Handlungsbedarf in der Bereitstellung von intuitiven und leichten Kundenservices sowie schlanken und schnellen Operationsprozessen. Services müssen zukünftig einen erlebbaren Mehrwert für die Kunden bieten, innovativ sein sowie den Erfahrungen aus anderen Branchen entsprechen. Die Digitalisierung stellt hier eine zentrale Maßnahme dar. Hierdurch können Serviceanfragen digital und modern, zum Beispiel in Form von Apps, dargestellt werden. Weiterhin kann der Kundenservice durch optimierte Prozesse und Systeme beschleunigt werden (vgl. Völler 2016, S. 10).

Die Herausforderungen im Bereich der Beschäftigten sind ebenfalls kritisch für das betriebliche Ergebnis (vgl. Comelli et al. 2009, S. 34; vgl. Kauffeld 2011, S. 186). Die Zufriedenheit der Mitarbeiter in den Operationsbereichen ist für das Versicherungsunternehmen von essenzieller Bedeutung. In der Untersuchung des ivwKöln hat sich jedoch gezeigt, dass die Arbeitszufriedenheit und -motivation Defizite aufweisen. Wesentliche Ursachen dafür sind die unzureichende Führungsleistung in den Operationsbereichen und der zu hohe Arbeitsdruck. Diese Situation stellt ein erhebliches Risiko für die Profitabilität der Operationsbereiche und für die Qualität der dort geleisteten Arbeit dar. Denn zufriedene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind engagierter, denken proaktiv mit und führen daher zu besseren betriebswirtschaftlichen Ergebnissen (vgl. Müller-Peters 2009).

Diese drei genannten Ziele − Kundenzufriedenheit, Effizienz und Mitarbeiterzufriedenheit – konkurrieren auf den ersten Blick miteinander: So ist es schlüssig, dass aufgrund von Kosten- und Effizienzzielen nicht alle Erwartungen der Kunden erfüllt werden können. Genau dies gilt für die Mitarbeiterzufriedenheit. Es wurde ausführlich geschildert, warum sich der Arbeitsumfang in den Operationsbereichen erhöht hat. Parallel dazu ist in vielen Versicherungsunternehmen Personal angebaut worden, um Effizienzziele zu erreichen. Jedoch gibt es auf den zweiten Blick auch eine deutliche Korrelation von Unternehmenserfolg auf der einen Seite sowie der Zufriedenheit von Beschäftigten und Kunden auf der anderen Seite (vgl. Müller-Peters 2009). Diese sind voneinander abhängig: Leidet bspw. die Produktivität der Operationsbereiche aufgrund der Leistung der Beschäftigten, sind die angestrebte Zufriedenheit der Kunden und die Effizienzziele gefährdet.

Wichtig ist die Erfüllung aller drei Erfolgsfaktoren in den Operationsbereichen unter Berücksichtigung der gegenseitigen Wechselbeziehungen und der Zielkonflikte. Nur so kann langfristig die Wettbewerbs- und Zukunftsfähigkeit gewährleistet werden.

In Abb. 20.1 sind die zentralen Herausforderungen und Risiken in den Operationsbereichen von Versicherungsunternehmen dargestellt.

Abb. 20.1
figure 1

Führung ernst nehmen (1). (Quelle: eigene Darstellung)

5 Führung ernst nehmen: Maßnahmen zur Verbesserung der Mitarbeiterzufriedenheit und -motivation in Operationsbereichen der Versicherungswirtschaft

Zufriedene und motivierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Operationsabteilungen weisen hohe Chancen für Versicherungsunternehmen auf. In einer Vielzahl von Studien wird immer wieder gezeigt, dass zufriedene Beschäftigte zu einer erhöhten Arbeitsleistung, Innovation und zu einem reduzierten Fehlverhalten führen (vgl. Becker 2019, S. 1; vgl. Rehwaldt 2019, S. 22). So zeigt die empirische Erfolgsforschung, dass eine deutliche Korrelation zwischen dem Unternehmenserfolg und der Zufriedenheit verschiedener Stakeholder-Gruppen − hierunter auch die Beschäftigten – besteht (vgl. Müller-Peters 2009). Und aus dem jährlich veröffentlichten Gallup Engagement Index geht hervor, dass emotional gebundene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter essenziell für die Wettbewerbs- und Leistungsfähigkeit eines Unternehmens sind, da diese im Sinne des Unternehmens handeln (vgl. Tödtmann 2021). Motivation erhöht somit die Produktivität des Unternehmens. Aber wie schaffe ich es als Unternehmen, die Zufriedenheit meiner Beschäftigten hoch zu halten bzw. zu erhöhen?

Der Schlüssel liegt in einer motivierenden Personalführung, denn die Verhaltensweisen der Führungskräfte beeinflussen die Zufriedenheit und die Motivation der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erheblich (vgl. Becker 2019, S. 77 f.). Mängel in der Personalführung haben negative Auswirkungen: Motivationstreiber werden aktiv abgebaut und Motivationshindernisse wie Konflikte, Bürokratie und mangelnde Ressourcen aufgebaut. Das führt zu Demotivation und Verschlechterung der Arbeitsleistung (vgl. Becker 2019, S. 78).

Weitere relevante Maßnahmen im Hinblick auf die Verbesserung der Zufriedenheit und Motivation der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Operationsbereichen sind eine Reduzierung des dortigen Arbeitsdruckes sowie ein angemessener Umgang mit den Themen Agilität und virtueller Arbeit.

5.1 Motivierende Personalführung

Ziel der Personalführung ist es, das Handeln der Beschäftigten auf die Erfüllung von Sach- und Leistungszielen des Unternehmens auszurichten (vgl. Nicolai 2018, S. 266). Der Kommunikation kommt dabei die zentrale Rolle zu. Eine wichtige Grundlage für eine motivierende Personalführung sind wirksame Mitarbeitergespräche (vgl. Regnet 2014, S. 218). Damit sind nicht nur die Gespräche gemeint, die ein- bis zweimal im Jahr im Sinne der Leistungsbeurteilung geführt werden sollen, sondern die vielen Gespräche, die je nach Mitarbeiter und Situation anstehen. Es geht um Feedback, um Coaching, um Unterstützung, aber auch um Kritik. Und um kontinuierliche und zeitnahe Information an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Fehlende Informationen führen zu Verunsicherung, Orientierungslosigkeit, abnehmender Verantwortung, Eigeninitiative und Engagement. Insbesondere fehlende, falsche, widersprüchliche und zu späte Informationen sind problematisch. Eine gute Informationspolitik zeigt Wertschätzung gegenüber den Beschäftigten und vermittelt ihnen Klarheit und Sicherheit (vgl. Albs 2005, S. 81 f.).

Das Kommunikationsverhalten der Führungskraft ist also ein zentraler Erfolgsfaktor für zufriedene und motivierte Mitarbeiter. Diese Kommunikationsaufgabe ist je nach Anzahl der Mitarbeiter, die die Führungskraft zu führen hat, zeitaufwendig. Fakt ist aber, dass die Führungsspanne in den Operationsbereichen zu den größten in den Versicherungsunternehmen zählt. In der obengenannten qualitativen Studie des ivwKöln wurde bei der direkten Führungskraft − der Gruppenleitung − in den Operationsbereichen eine Spanne von zehn bis 20 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter festgestellt. Das bedeutet, dass es für die Führungskräfte in diesen Bereichen aus zeitlichen Gründen eine enorme Herausforderung ist, sich genügend Zeit für eine motivierende Kommunikation zu nehmen. Zusätzlich zu dieser Tatsache kommt noch dazu, dass die Führungskräfte in den Operationsbereichen oftmals sogenannte mitarbeitende Führungskräfte sind und darüber hinaus in verschiedenen Veränderungsprojekten arbeiten. So sagt eine Gruppenleitung aus der qualitativen Studie des ivwKöln:

Neben meiner Arbeit als Führungskraft habe ich noch weitere Aufgaben wie die Unterstützung in der operativen Sachbearbeitung, Steuerung der Aufgaben, organisatorische Arbeiten, Pflegen von Listen und Mitarbeit in Projekten. Dadurch bleibt wenig Zeit für die Mitarbeiter.“

Aus der Studie wird insgesamt deutlich, dass ein Großteil der Zeit der Gruppenleitung für die Mitarbeit in der operativen Sachbearbeitung verwendet wird. Darüber hinaus müssen organisatorische Aufgaben und die Arbeitssteuerung bewältigt werden. Im Alltag bleibt daher wenig Zeit für die so wichtigen echten Personalführungsaufgaben der Gruppenleitung.

Ein weiterer zentraler Erfolgsfaktor für eine motivierende Personalführung ist es, den Beschäftigten Klarheit zu vermitteln. In diesem Zusammenhang sind smarte Zielvereinbarungen eine geeignete Maßnahme. Sie geben den Beschäftigten Orientierung, beeinflussen die Intensität sowie Ausdauer der Motivation und bieten Lerneffekte sowie Belohnungen (vgl. Becker 2019, S. 118 f.). Darüber hinaus kann die Sinnhaftigkeit der Arbeit vermittelt werden. Durch die eigene Zielerreichung wird der Mitarbeiter zu weiteren Handlungen motiviert. Wichtig ist es, dass die Mitarbeiter in die Festlegung der Ziele miteinbezogen werden. Dadurch wird die Akzeptanz für die Ziele gestärkt (vgl. Lieber 2011, S. 147 f.). Werden Ziele lediglich vorgegeben, kommt es zu Demotivation, Unzufriedenheit und Resignation. Bei der Zielvereinbarung sind sowohl die Unternehmensziele als auch die Motive der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu berücksichtigen. Außerdem sollten die Ziele SMART sein: spezifisch, messbar, anspruchsvoll, realistisch und terminierbar (vgl. Kauffeld 2011, S. 89).

Eine weitere essenzielle Maßnahme der motivierenden Personalführung ist, zeitnah Feedback zu geben. Die Führungskraft sollte dem Mitarbeiter regelmäßig Feedback über seine Arbeit und die Ziele geben. Feedback wirkt belohnend und leistungssteigernd. In Studien ist die Leistung allein durch transparentes und intervallmäßiges Feedback um etwa 20 Prozent gestiegen (vgl. Becker 2019, S. 123). Durch zeitnahes Feedback wissen die Beschäftigten, wo sie stehen, welche Verhaltensweisen verfolgt werden können und welche korrigiert werden sollten (vgl. Regnet 2014, S. 213). Wenn die Führungskraft kontinuierlich zeitnah Feedback gibt, wird auch Kritik als motivierend empfunden. Feedback geben ist dann gelebte Anerkennung geben − einer der wichtigsten Motivatoren (vgl. Regnet 2014, S. 213). Dies führt zur Verstärkung von erwünschten Verhaltensweisen. Durch die Anerkennung erfahren Mitarbeiter ein positives Gefühl, welches sie auf die gelobte Tätigkeit übertragen. Diese wird zukünftig mit mehr Freude und Engagement ausgeführt. Daher sollte Anerkennung ausdrücklich und regelmäßig ausgesprochen werden (vgl. Comelli et al. 2009, S. 94 f.).

Feedback ist nicht nur einzelfallbezogen, sondern ebenso als Bilanz über eine Periode zu äußern. Hierbei handelt es sich um ein Beurteilungs- und Fördergespräch. Dieses dient unter anderem zur Leistungsverbesserung, Personalentwicklung und Verdeutlichung der Anforderungen (vgl. Nerdinger 2014, S. 203 f.). Erlebte Leistungs- und Erfolgserlebnisse, Aufstiegsperspektiven und Entwicklungschancen sind wichtige Faktoren für die Motivation (vgl. Comelli et al. 2009, S. 43).

Vermittelte Anerkennung und Wertschätzung sind also zentrale Maßnahmen, um die Mitarbeiter zu motivieren. Problematisch in diesem Zusammenhang ist allerdings der häufig geringe Fokus des Top-Managements in Versicherungsunternehmen auf die Mitarbeiter in den Operationsbereichen. Die Unternehmensführung beschäftigt sich verstärkt mit Themen der Innovation und Digitalisierung, Operationsbereiche sind traditionelle Bereiche und daher wenig innovativ. So zeigt ein Interview aus der Studie des ivwKöln:

Im Fokus des Top-Managements in Zusammenhang mit den Operations steht die Erfüllung unserer Servicelevel. […] Uns fehlt die Wertschätzung für unsere so wichtige Arbeit.“

Dies bedeutet, dass dieser für den Erfolg der Versicherungsunternehmen so wichtige Operationsbereich von den Führungskräften der obersten Ebenen oftmals nicht ernst genommen wird, was für die Motivation und Zufriedenheit in diesen Bereichen negative Auswirkungen hat. Zwar finden mittlerweile einige Maßnahmen zur Optimierung der Operationsbereiche statt. Ziel dieser Maßnahmen ist oftmals die Verbesserung von Produktivität und Kundenservice. Dagegen bilden durchgeführte und geplante Maßnahmen im Bereich der Skills und Kompetenzen der Mitarbeiter, Organisationsstrukturen und Unternehmenskultur das Schlusslicht in Operationsbereichen von Versicherungsunternehmen (vgl. Dufft und von Bassewitz 2017, S. 11 f.).

Motivierende Personalführung vermittelt also Orientierung, nimmt sich Zeit für vielfältige Kommunikationsanlässe und gibt kontinuierlich zeitnahes Feedback. Darüber hinaus ist auch eine konsequente Führung sehr motivierend. Die konsequente Führungskraft sieht sich der Verfolgung der Unternehmensinteressen verpflichtet und verfolgt diese, auch wenn das bedeutet, dass es Konflikte mit Mitarbeitern gibt (vgl. Paschen und Dihsmaier 2014, S. 169). Das bedeutet, dass Ziele klar vereinbart und Ergebnisse im Anschluss auch tatsächlich eingefordert werden. Die konsequente Führungskraft scheut Kritikgespräche und Konflikte nicht, sondern führt diese zeitnah und direkt, aber wertschätzend und (möglichst) objektiv, durch. Dies ist der unangenehme und anstrengende aber gerade deshalb unerlässliche Teil der Führungsarbeit. Nur so kann zukünftig eine gesteigerte Leistung der Mitarbeiter und somit des gesamten Unternehmens die Erwartungen des Kunden erfüllen.

Bei der Diskussion der Bedeutung der Operationsbereiche wurde beschrieben, welche Herausforderungen die Operationsbereiche aktuell zu bewältigen haben. Dies bedeutet, dass die dortigen Führungskräfte und die Mitarbeiter viele Veränderungen umzusetzen haben. Veränderungen erzeugen immer Widerstände, denn Menschen ziehen Sicherheit, Gewohnheiten und soziale Bindungen den Veränderungen vor (vgl. Zimmermann 2015, S. 61–64). Tatsache ist auch, dass die Mitarbeiter in den Operationsbereichen seit Jahren Veränderungen ausgesetzt sind, also vereinzelt eine sogenannte Change Lethargie vorliegt. Diese Situation erfordert von den Führungskräften wieder, sich genügend Zeit für die Personalführung zu nehmen. Denn Widerstände verschwinden nicht einfach, man muss mittels verschiedener Maßnahmen angemessen auf die Mitarbeiter eingehen (vgl. dazu ausführlich Zimmermann 2015, S. 75 ff.). Dazu gehört vor allen Dingen eine dialogorientierte Kommunikation, Zuhören, aber auch Qualifizierung. Oftmals sind Führungskräfte mit diesem Management von Widerständen und den damit einher gehenden vielfältigen Emotionen überfordert und benötigen Unterstützung. Und für die Führungskräfte in den Operationsbereichen bedeutet es auch wieder, sich Zeit für die Umsetzung der Veränderungen zu nehmen, die sie aufgrund des hohen Arbeitsdruckes eigentlich nicht haben.

5.2 Reduzierung des (gefühlten) Arbeitsdrucks

Ergebnis der qualitativen Studie des ivwKöln ist, dass die Mitarbeiter dort unter einem erheblichen Arbeitsdruck leiden. Sowohl Mitarbeiter und Führungskräfte als auch Experten sehen dies als ein großes Problem an, das sich negativ auf die Mitarbeiterzufriedenheit und -motivation auswirkt. Für die Mitarbeiter ist vor allem der gestiegene Arbeitsdruck aufgrund von Personalabbau und einer hohen Kennzahlenorientierung entscheidend. Darüber hinaus haben die Mitarbeiter das Gefühl, ihre Arbeit nicht zu schaffen, da die Arbeitsvorräte sehr hoch sind. Außerdem wird befürchtet, den gestiegenen Kundenanforderungen nicht genügen zu können. Das wirkt demotivierend auf die Mitarbeiter. In den Interviews wurde häufig der Wunsch geäußert, einen Mehrwert für den Kunden schaffen zu wollen, aber aufgrund der aktuellen und angespannten Arbeitssituation dazu oftmals nicht in der Lage zu sein.

Fragt man die Führungskräfte, warum die Mitarbeiter in den Operationsbereichen über einen zu hohen Arbeitsdruck klagen, dann nennen sie drei Gründe dafür:

  • neue Prozesse und Systeme,

  • Personalabbau und der damit einhergehende erhöhte Arbeitsumfang sowie

  • fehlende Skills der Mitarbeiter angesichts der erhöhten Komplexität des Geschäfts.

Die Reduzierung des Arbeitsdruckes kann mittel- bis langfristig vor allem durch Maßnahmen wie die Rekrutierung von neuen Mitarbeitern oder durch Automatisierung von Prozessen bewältigt werden. Da ein großes Problem aber auch die Vielzahl an Neuerungen in den Systemen und Arbeitsabläufen darstellt, ist eine wichtige Lösung die Qualifizierung der Mitarbeiter hinsichtlich des Umgangs mit veränderten Produkten, Prozessen und Systemen (vgl. Dufft und von Bassewitz 2017, S. 13).

Der Einsatz von flexiblen und gut ausgebildeten Fachkräften in den Operationsbereichen ist vor allem für die Gestaltung der anstehenden Veränderungen unerlässlich (vgl. Zimmermann und Richter 2015, S. 21). Insgesamt kann so der Arbeitsumfang pro Mitarbeiter sinken. Zusätzlich können gestiegene Kundenanforderungen berücksichtigt werden. Beide Maßnahmen stehen zwar kurzfristig in Konflikt mit dem Effizienzdruck, da sie hohe Investitionen benötigen. Langfristig wird jedoch die positive Wirkung auf den Unternehmenserfolg entfaltet.

Kurzfristig können verschiedene Maßnahmen zur Reduzierung des Arbeitsdrucks beitragen. Einerseits ist zu prüfen, welchen Grund der Arbeitsdruck hat. Dazu sind Mitarbeitergespräche zu führen. Bspw. kann die Überforderung des Mitarbeiters ein Problem darstellen. Hierzu sind Qualifizierungsmaßnahmen zu ergreifen. Da ein wichtiger Grund in der hohen Kennzahlenorientierung liegt, ist die Interaktion mit dem Mitarbeiter stärker auf die empathische Ebene auszurichten. Hier ist es wieder wichtig, die oben beschriebenen Instrumente einer motivierenden Personalführung anzuwenden. Denn dadurch wird gezeigt, dass die Mitarbeiter mit dieser belastenden Situation nicht alleine gelassen werden.

5.3 Adäquater Einsatz von New Work und Agilität

New Work bezeichnet die Abkehr von der klassischen Lohnarbeit − dem reinen Tauschverhältnis von Arbeit und Arbeitslohn − hin zu einem neuen Verständnis: Die Arbeit als Mittel, sich selbst als freies Individuum zu verwirklichen. Im Vordergrund stehen individuelle Motive des Mitarbeiters, das Sinnempfinden der Arbeit, Freiheit und Selbstständigkeit. New Work wird als die Arbeit bezeichnet, die der Mensch wirklich will. Das erfordert Freiheit in der Unternehmensstruktur und -kultur (vgl. Ruckriegel et al. 2015).

Agilität wird als zielführendes Instrument zum Unternehmensfortbestand in einer sich immer schneller wandelnden Umwelt angesehen. Eine agile Organisation ist flexibel auf die Kundenanforderungen ausgerichtet, innovativ und berücksichtigt die Kompetenzen der Mitarbeiter. Wesentliche Merkmale von agilen Organisationen sind flache Hierarchien, Selbstorganisation und Eigenverantwortung (vgl. Adam 2020, S. 3).

Bewährt haben sich New Work und agile Arbeit vorrangig in Projektteams und kreativen Berufsfeldern, zum Beispiel bei der Produktentwicklung, oder in IT-Teams. Hier sind die Arbeiten abwechslungsreich und die Teams müssen Lösungen für neu auftretende Fragestellungen finden (vgl. Schmitz 2018, S. 188 f.). Durch Agilität kann dieser Prozess und insbesondere die Entscheidungsfindung beschleunigt werden.

Mit Blick auf die Operationsbereiche in Versicherungsunternehmen fällt auf, dass diese in hauptsächlich feststehenden und wiederkehrenden Arbeitsabläufen arbeiten. Aus diesem Grund ist in diesen Abteilungen ein vollständiger Ansatz von New Work und Agilität weniger zielführend. Trotzdem sind mit Blick auf die Mitarbeitermotivation Grundverständnisse von Konzepten der New Work und Agilität geeignete Grundwerte für die Kultur und Führung in den Operationsabteilungen. Hierbei kommt es auf einen adäquaten Einsatz von New Work und Agilität in den Operationsbereichen an.

Die Studie des ivwKöln hat gezeigt, dass es den Mitarbeitern insbesondere daran fehlt, den Sinn der Arbeit und den eigenen Beitrag im Kontext des Unternehmens festzustellen. Entscheidende Faktoren für New Work und Agilität sind vor diesem Hintergrund vor allem, dass auf allen Ebenen ein gemeinsames Verständnis über den Inhalt und Zusammenhang der (Unternehmens-)Ziele herrscht. Intensive Kommunikation, wie sie durch die Agilität gefordert wird, bietet Orientierung. Außerdem werden Zusammengehörigkeit und Sinnempfinden der Arbeit ermöglicht. Insgesamt können Job Involvement, Identifikation und Commitment mit dem Unternehmen steigen (vgl. Latzel 2019, S. 217).

Im agilen Verständnis sind Führungskräfte Coach und Ermöglicher. Sie räumen Hindernisse für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus dem Weg und geben Ihnen die Verantwortung, selbstständig die Aufgaben zu lösen. Die Führungskraft unterstützt die Mitarbeiter unter anderem bei der Lösung von Problemen und bei ihrer eigenen Entwicklung. Da sich in den Operationsbereichen viele Neuerungen in der Arbeit ergeben, wird dies ein immer wichtiger werdender Faktor. Natürlich sind die Aufgaben der Operationsbereiche weniger abwechslungsreich als in einem Produktentwicklungsteam. Trotzdem gibt es durch den beschriebenen Wandel immer wieder Anpassungen in den Prozessen aufgrund von Automatisierungen, Optimierungen, neuen und komplexeren Produkten sowie neuen Kommunikationstools und Systemen. Daher braucht es Führungskräfte, die auch in den Operationsbereichen ihre Rolle als Coach und Ermöglicher wahrnehmen und die den Mitarbeitern bei der Flut an Neuerungen in den feststehenden Prozessen zur Seite stehen und sie qualifizieren.

Ein wichtiger Faktor der Agilität und eine Herausforderung aus den Interviews der Studie sind Kommunikation und Transparenz. Austauschformate aus New Work und Agilität, wie zum Beispiel Dailys, können auch in den Operationsbereichen helfen, um diese Herausforderungen zu bewältigen. Das Daily ist dabei ein täglicher kurzer Termin mit dem Team bzw. der Organisationseinheit und beinhaltet den Austausch über Erfolgserlebnisse und negative Erlebnisse, organisatorische Fragestellungen, Informationen für die Mitarbeiter und Problemstellungen (vgl. Schmitz 2018, S. 196).

Durch die COVID-19-Pandemie wird auch in Operationsabteilungen virtuelle Arbeit zum essenziellen Thema. Virtuelle Arbeit ist insofern positiv für die Motivation von Mitarbeitern, als dass die individuellen Bedürfnisse und die Lebenssituation der Mitarbeiter stärker berücksichtigt werden können. Bspw. wird die Vereinbarkeit von Familie und Beruf gestärkt, sodass die Work-Life-Balance und die Arbeitszufriedenheit steigen können (vgl. Lindner 2020, S. 10). Es zeigt sich aber auch, dass es bei einem ausschließlichen Homeoffice-Modell bei den Mitarbeitern zu einer Entgrenzung der Arbeit und dadurch zu gesundheitlichen Belastungen und zunehmender Einsamkeit kommt (vgl. Pfnür et al. 2021, S. 16). Zudem sinkt bei vielen Mitarbeitern die Bindung an das Unternehmen, wenn man komplett aus dem Homeoffice heraus arbeitet. Die Fluktuation würde also steigen, was sicherlich nicht im Sinne der Operationsbereiche wäre.

Dennoch wird es auch in den Operationsbereichen weiterhin virtuelle Führungssituationen geben, auch nach überstandener Pandemie. Ein Erfolgsfaktor der virtuellen Arbeit ist der Austausch im Team (vgl. Lindner 2020, S. 10). Durch die fehlende physische Nähe ist der Bedarf an beruflichen Austausch erhöht. Die Führungskraft sollte also die Frequenz der Mitarbeitergespräche erhöhen. Regelmäßige Meetings dienen einerseits der Transparenz, der Klärung und der zentralen Information. Andererseits ist hierüber die Pflege des Kontakts zu dem Team sicherzustellen. Dabei sollte die Zusammengehörigkeit über gemeinsame Aufgaben und Ziele gestärkt werden. Hilfreich zur Förderung des Zusammenhalts im Team sind außerdem feste Rituale wie ein virtuelles Kaffeetrinken oder Mittagessen. Weiterhin ist es wichtig, dass nach der COVID-19-Pandemie regelmäßig Präsenztermine eingeplant werden (vgl. Hermann et al. 2012, S. 90).

In Abb. 20.2 sind die Maßnahmen zur Verbesserung der Mitarbeitermotivation und -zufriedenheit in den Operationsbereichen von Versicherungsunternehmen zusammenfassend dargestellt.

Abb. 20.2
figure 2

Führung ernst nehmen (2). (Quelle: eigene Darstellung)

6 Fazit

Der Wandel in der Versicherungsbranche hat tiefgreifende Auswirkungen auf die Operationsbereiche. Dabei sind Operationsabteilungen und ihre Beschäftigten essenziell für die Produktivität und Wertschöpfung des Versicherungsunternehmens. Zentrale Herausforderungen sind die langfristige Profitabilität des Versicherers und das Einhalten von Leistungsversprechen für die Kunden, um die Zukunfts- und Wettbewerbsfähigkeit der Versicherungsunternehmen gewährleisten zu können. Dabei muss das Spannungsfeld zwischen Effizienz sowie der Zufriedenheit von Kundinnen und Kunden auf der einen Seite und den Mitarbeitern in den Operationsbereichen andererseits ausgeglichen werden.

Im Fokus dieses Aufsatzes steht die gesunkene Mitarbeiterzufriedenheit und -motivation in den Operationsbereichen. Diese stellt das Versicherungsunternehmen vor existenziellen Risiken. Die Mitarbeiterzufriedenheit und -motivation sind essenziell für den Unternehmenserfolg. Dagegen führen Unzufriedenheit und Demotivation u. a. zu Krankheit, Abwanderung vom Unternehmen, Überforderung und mangelnder Veränderungsbereitschaft. Sich ableitende Folgen sind eine geringe Produktivität und ein schlechter Kundenservice.

Wirksame Maßnahmen zur Verbesserung der Mitarbeitermotivation und -zufriedenheit in den Operationsbereichen von Versicherungsunternehmen bestehen aus drei Feldern:

  • motivierende Personalführung,

  • Reduzierung des (gefühlten) Arbeitsdrucks und

  • ein adäquater Einsatz von Agilität und New Work.

Motivierende Instrumente der Personalführung liegen vorwiegend in der regelmäßigen Kommunikation der Führungskraft mit dem Mitarbeiter. Hierzu sind ausreichend Zeit und Fähigkeiten durch die Führungskraft erforderlich. Weiterhin ist die Klarheit ein wichtiger Faktor. Darüber hinaus sind zeitnahes Feedback von der Führungskraft zu leben. Schließlich benötigen die Führungskräfte in den Operationsbereichen die Fähigkeit, die vielfältigen Veränderungen in ihren Bereichen umzusetzen, d. h. mit verschiedenen Emotionen und Widerständen umzugehen.

In den Operationsbereichen der Versicherungswirtschaft ist außerdem der hohe (gefühlte) Arbeitsdruck abzubauen. Hierzu gehören konkrete Maßnahmen wie die Personalgewinnung, Automatisierung von Prozessen, Qualifikation der Beschäftigten und ein Fokus auf Erfolgserlebnisse statt Kennzahlenorientierung. Schließlich ist ein adäquater Einsatz von Agilität und New Work wichtig, um motivierende Aspekte wie Zugehörigkeit, Selbstverantwortung und transparente gemeinsame Ziele in den Fokus zu stellen. Regelmäßige Austauschformate wie Dailys sind wirksame Mittel zur regelmäßigen Kommunikation. Virtuelles Arbeiten sorgt einerseits für mehr Flexibilität, andererseits erfordert es jedoch einen vermehrten fachlichen und persönlichen Austausch. In der Praxis ist bereits ein Wandel hin zu einem veränderten Mindset und einer agileren Organisation festzustellen. Offen bleibt, ob die Unternehmen die Relevanz der Mitarbeitermotivation erkennen sowie ihre Personalführung und Organisation hierauf ausrichten werden.

Die Versicherungsunternehmen, die die Bedeutung der Operationsbereiche erkennen und sich ernsthaft damit beschäftigen, die Zufriedenheit der dortigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu verbessern, werden in Zukunft einen Wettbewerbsvorteil haben. Es liegt also eine große Chance in diesem Handlungsfeld.