Wie in den vorangegangenen Kapiteln deutlich wurde, ist Drogentesten eine genuin soziotechnische und damit unumgänglich multimodale diskursive Praxis, in dessen Rahmen sowohl die verwendeten Testartefakte als auch die beteiligten Anwender*innen wesentliche Anteile bei der Herstellung eines drogenpositiven Ergebnisses besitzen. Drogentests fungieren als Diskursaktanten und zeigen im Rahmen ihrer Anwendung etwas an, was dem Menschen selbst unsichtbar ist. Umgekehrt müssen ihre Ergebnisse von den Anwender*innen noch interpretiert sowie mit Wissensbeständen und Narrativen aufgeladen werden, damit die gewünschte Information – existiert ein Sicherheitsrisiko? – schließlich vorliegt. Denn – wie anhand der Bereiche Arbeitsplatz und Straßenverkehr gezeigt – ist eine dominante Rationalität der Anwendung von Drogentests, Sicherheitsrisiken frühzeitig zu erkennen und in entsprechend orientierte präventive und bisweilen präemptive Praktiken übersetzen zu können.

Wie nun in diesem Kapitel zu zeigen sein wird, ist mit Drogentesten ein multimodaler Prozess der Schließung epistemischer Lücken verbunden, der im Anschluss an die Überlegungen von Hanson (1994) und dem Konzept der Übersetzungskette nach Latour (insb. 1996: 191–248; 2002a: 36–95) im Folgenden als „chain of security“ (de Goede 2017) zusammengefasst werden soll. Damit soll deutlich gemacht werden, dass Drogentesten unweigerlich eine produktive, soziotechnisch prozessierende Kollektivunternehmung darstellt, die epistemisch auf fragilem Boden steht, da die technisch hinterlassenen Wissenslücken nur unter Rückgriff auf Abstrahierungen und Reduktionen sowie bisweilen stereotyper Selbstverständlichkeiten geschlossen werden können und damit im Einzelfall Missinterpretationen und Fehlschlüsse entstehen lassen.

1 Das Schließen epistemischer Lücken durch soziotechnische Übersetzungsketten

Beim Testen, so kann im Anschluss an Hanson (1994: 18, 42) konstatiert werden, besteht immer eine Differenz zwischen dem tatsächlichen Testresultat und der eigentlichen Zielinformation (Indikandum). Denn nie ist bei einem Test das dahinter stehende situative Testergebnis (als Signifikant) für sich selbst genommen von Wichtigkeit, sondern erst als Indikator für eine daraus deduzierbare Information (als Signifikat) entfaltet es Relevanz (vgl. a. McNamara 2000: 8, 11). Es ist eine unhintergehbare Grundeigenschaft von Tests, dass sie keine unmittelbare Kausalität aufdecken, vielmehr besteht immer ein Unterschied zwischen dem konkret erhobenen Sachverhalt und dem faktischen Zieldatum. Und diejenigen Konventionen, die die Differenz von Signifikant und Signifikat zu überbrücken trachten, sind die jeweiligen Produkte ihrer Kultur und Zeit (vgl. a. McNamara 2000: 8; Horn 2002: 114).Footnote 1

Gleichzeitig ist zu beobachten, dass beim Testen immer von einer gewissen Repräsentativität des Testergebnisses, samt einer hinreichenden zeitlichen Stabilität, ausgegangen wird (Hanson 1994: 44; Horn 2002: 115, 119). Die situative Testperformanz einer Person wird als konstanter Durchschnittswert interpretiert, der problemlos in die Zukunft extrapolierbar ist. Dabei ist der Test aber tatsächlich ein sehr singulär und selektiv prüfendes Instrument, das nur eine „Momentaufnahme“ (Preckel/Baudson 2013: 32) und eine „Verhaltensstichprobe“ (Preckel/Brüll 2008: 33) zu erheben vermag (Horn 2002: 115). Es kann mithin von einer immanenten Dekontextualisierung beim Testen gesprochen werden, da das situativ-punktuelle Testergebnis gleichsam entgrenzt und auf zukünftige Handlungssituationen ebenso projizierend wie simplifizierend ausgedehnt wird (Ott 2011: 158 f.).Footnote 2

Testen, mit anderen Worten, ist stets mittelbar und deshalb unausweichlich immer auch ein interpretativer Vorgang, in dessen Verlauf es von den Akteur*innen und Aktanten, im Rahmen eines dispositiven Zusammenspiels, epistemische LückenFootnote 3 zu schließen gilt und ein Zusammenhang zwischen der anvisierten Zielvariablen und dem tatsächlich getesteten Tatbestand stets nur über soziotechnische Übersetzungsketten hergestellt werden kann.

Die praktische Schließung epistemischer Lücken ist somit – unter Rückgriff auf Latour (1996: 194) – als „Kette von Übersetzungsprozeduren“ zu bezeichnen. Das Schließen der Wissenslücken beim Testen kann auf diese Weise als Aneinanderreihung zahlreicher kleiner, stets transformativer Zwischenschritte gelesen werden, in deren Rahmen jede einzelne Verknüpfung – im Sinne einer „zirkulierende(n) Referenz“ (Latour 2002a: 36; vgl. a. Kap. 2.2.3) – eine Neuschöpfung impliziert und mithin am Ende kein korrespondierend-abbildendes Verhältnis zwischen der tatsächlich getesteten Tatsache und dem am Schluss stehenden Resultat respektive der eigentlichen Zielvariablen angenommen werden kann (vgl. a. Rheinberger 2001: 57; Mersch 2006a: 407).

2 Drogentesten als chain of security

Wie im Verlauf der bisherigen Kapitel bereits an mehreren Stellen veranschaulicht wurde, wird mit Drogentests nicht Drogenkonsum an sich überprüft, sondern stets nur Indikatoren desselben; es wird per Drogentest nicht konkret nachgewiesen, dass eine Person Drogen konsumiert hat, geschweige denn, ob sie ein Sicherheitsrisiko darstellt, sondern ob sich Moleküle in ihrem Körper finden lassen – die prinzipiell auch auf anderem Wege dort hingelangt sein könnten –, die wiederum mit Drogenkonsum in Verbindung gebracht werden. Sind diese in hinreichend großem Ausmaß vorhanden und der Test zeigt in der Folge ein positives Ergebnis, so wird in einem zweiten, erneut abstrahierenden Inferenzschritt entweder geschlussfolgert, dass die Person aktuell unter Drogeneinwirkung steht respektive die Wahrscheinlichkeit dieser Tatsache erhöht ist, oder es wird alternativ gemutmaßt, dass die betreffende Person als chronische*r Drogenkonsument*in zu deklarieren ist. Als zusätzlicher Inferenzschritt tritt hinzu, dass den Konsumierenden ein immanentes Sicherheitsrisiko zugeschrieben wird, obgleich dies aus den Testergebnissen – seien sie nun von Schnelltests oder laborgestützt erstellt – nicht unmittelbar hervorgeht (vgl. a. Mellish 2006: 107; Campbell 2006: 62; Paul 2010: 176; Buchanan 2015).Footnote 4 Angezeigt wird allein, ob die jeweilige Person mit drogenbezogenen Wirkstoffen bzw. deren Abbauprodukten in Berührung gekommen ist (Urinschnelltest) oder ob Drogen konsumiert wurden (laborgebundene Blutprobe) (vgl. Kap. 5). Inwieweit daraus im Einzelfall eine Beeinflussung auf die physische und mentale Leistungsfähigkeit der Konsumierenden entspringt, ob sie also eine manifeste Sicherheitsgefährdung darstellen, ist nicht per se eindeutig und wird nicht von den Tests angezeigt. Dies ist insbesondere im Bereich des Straßenverkehrs relevant, da aufgrund der unsicheren Korrelation zwischen Wirkstoffkonzentration und Fahr(un)tüchtigkeit keine Grenzwerte für den Tatbestand der ‚absoluten Fahruntüchtigkeit‘ – wie es beim Alkohol möglich ist – festlegbar sind (z. B. Maatz 2006; Mußhoff 2011: 56). Zumal auch die Wirkpotenziale der detektierten Substanzen unterschiedlich sein können und ihr jeweiliges Verhältnis zur Leistungsfähigkeit und mithin Verkehrs- oder Arbeitssicherheit disputabel ist (FSFootnote 5/Eder 2013: 7).

Auch beim Drogentesten bestehen also epistemische Lücken, die soziotechnisch geschlossen werden, in deren Rahmen die technischen Operationen stets durch gesellschaftliche Praxis – und umgekehrt! – flankiert werden müssen, um überhaupt diskursivierbare Ergebnisse generieren zu können (vgl. a. Paul/Egbert 2016: 105 f.). Handlungsrelevant ist ja nicht das konkrete Testresultat selbst – also beim Schnelltest die abgelesenen Streifen oder die zahlenförmigen Resultate als Endprodukte von Laboranalysen –, sondern die interpretativen Schlüsse, die aus diesen gezogen werden.Footnote 6 Und indem auf Basis von biochemisch-naturwissenschaftlichen Konventionen (vgl. Kap. 5) auf molekularer Ebene Ausgangsinformationen erhoben werden, die in zahlreichen Zwischenschritten schließlich auf Polizeirevieren, bei Führerscheinstellen oder vor Gericht bzw. auf den Schreibtischen von Betriebsmediziner*innen und Personalabteilungen landen, ist Drogentesten somit als Kaskade aneinander anknüpfender Transformationsprozesse zu verstehen. Diese ermöglichen erst die ebenso multimodale wie kreativ-produktive Vermittlung und letztlich die Überbrückung der epistemischen Klüfte zwischen Zielinformation und tatsächlichem Testergebnis. Das Drogenschnelltestartefakt bildet dabei vor Ort den zentralen Mediator, indem es eine für sich genommen komplexe Situation durch ein zumeist leicht ablesbares Ergebnis simplifiziert, das zudem – im Sinne der Latour’schen (1990b: 26–35) „immutable mobiles“– leicht dokumentiert und dadurch problemlos transportiert werden kann.

Bei genauerer Betrachtung besteht die Verbindung zwischen Indikator und Indikandum also aus einer Aneinanderreihung zahlreicher Übersetzungsschritte, die zu einem wichtigen Teil auf bewussten, gesellschaftlich stabilisierten Entscheidungen der Entwickler*innen der Tests beruhen. Eine direkte Verbindung zu ziehen zwischen der Detektion von drogenspezifischen Wirkstoffen oder Abbauprodukten im menschlichen Körper und der Erkenntnis, die betreffende Person habe Drogen konsumiert, impliziert unter anderem die Anerkennung, dass die Substanzen oder deren Metaboliten nicht aus einem anderen Grund im Körper vorhanden sind – was ja prinzipiell möglich ist, z. B. durch Kontamination, Kreuzreaktion oder Passivkonsum (vgl. Kap. 6). Zudem müssen die zugrunde liegenden Grenzwerte akzeptiert und mithin ignoriert werden, dass diese grundsätzlich willkürlich gesetzt sind und sich eine Person, die knapp unter dem jeweiligen cut-off liegt, in ihrem Risikostatus freilich kaum von jener unterscheidet, die den Grenzwert knapp übertroffen hat. Trotzdem ist damit eine praktisch wirksame „Sinngrenze“ institutionalisiert, wie sie Körner (2012: 144) analog im Rahmen von Dopingregelungen beobachtet.

Überdies bildet der Grenzwert kein gleichsam natürliches Konzentrationslimit ab, welches bei Überschreitung eine faktische Bewusstseinsbeeinflussung nahelegen könnte. Denn die definierten und ohnehin in Bezug auf die jeweilige Fragestellung sehr variabel abgesteckten cut-off basieren auf Durchschnittsberechnungen („Normperson[en]“ oder „Durchschnittsmenschen“, Grubitzsch 1990: 1092)Footnote 7 und können im Rahmen der so realisierten „Regime der Durchschnitte“ (Mau 2017: 252) die interindividuellen Toleranzunterschiede nicht berücksichtigen. Denn Menschen bauen die durch Drogenkonsum aufgenommenen Substanzen unterschiedlich ab und auch die jeweiligen bewusstseinstangierenden Wirkungen können höchst unterschiedlich sein (vgl. Kap. 5). Mit Blick auf die Grenzwerte bedeutet ein drogenpositiver Test zudem nicht, dass die betroffene Person per se Drogen konsumiert respektive in Kontakt mit ihnen gekommen ist, sondern dass die detektierte Metaboliten-Konzentration so hoch war, dass es als positiv erkannt wurde. Umgekehrt bedeutet ein negatives Ergebnis nicht, dass per se kein Konsum stattgefunden haben kann, sondern, dass die Konzentration möglicher Substanzen nicht hoch genug war – hier wird also wiederum die interindividuell unterschiedliche drogenbezogene Verstoffwechslung virulent. In der Testpraxis wird auch von diesen Einschränkungen abstrahiert.

Überdies ist hervorzuheben, dass das Resultat eines Drogentests zunächst erst einmal nur einen spezifischen zeitlichen Ausschnitt, und dies nur punktuell zu einem bestimmten Zeitpunkt, der getesteten Person und deren (Konsum-)Verhaltens zeigt. Oft lässt sich allerdings beobachten, dass – auch wenn dies nur implizit geschieht – das erhobene Resultat als repräsentativ für das Durchschnittsverhalten der betroffenen Person und damit als robuster Indikator für zukünftiges Verhalten angesehen wird. Nur unter der Bedingung dieser Inferenzbildung ist etwa das Vorgehen von einigen Unternehmen nachvollziehbar, Bewerber*innen, die positiv getestet werden, ebenso unverzüglich und kategorisch abzulehnen. Gleiches gilt für hiesige Führerscheinstellen, die mitunter dazu neigen, bereits bei einzelnen Drogenvergehen mit Straßenverkehrsbezug anzunehmen, dass die betreffende Person ein grundsätzliches Defizit besitzt, zwischen Konsum und Straßenverkehrstätigkeit hinreichend trennen zu können (z. B. Hettenbach 2007).

Für Urindrogentests bleibt festzuhalten, dass sie nicht nur keine Aussage bezüglich der Leistungsfähigkeit einer Person zum Testzeitpunkt treffen können, sondern auch eine breiter gefasste ArbeitstauglichkeitFootnote 8 aus diesen Tests nicht ableitbar ist, da der getestete Zeitraum eng umgrenzt und nicht zwingend repräsentativ ist: Bei Urintests werden maximal die letzten sechs Wochen überblickt, was indes vom Konsumverhalten der Person, deren körperlicher Konstitution und der konsumierten Substanz abhängt (vgl. Kap. 6.2). Ob in diesen Wochen besonders viel oder wenig, ausnahmsweise eine besonders starke oder schwache Dosis konsumiert wurde, sagt der Test nicht aus. Die gängige Interpretationspraxis ist jedoch, dass das Ergebnis stellvertretend für das Konsumverhalten der Person gelesen, dementsprechend in die Zukunft fortgeschrieben und daher die Person als zukünftiges Sicherheitsrisiko realisiert werden kann (vgl. a. Hanson 1994: 287). Drogentests sind in diesem Sinne stets dekontextualisierend, da relevante Rahmenbedingungen über den Konsum nicht erfasst werden (Campbell 2006: 62). Auf diese Weise wird im Rahmen der Übersetzungskette des Drogentestens simplifiziert, indem grundsätzlich komplexe Konsumrealitäten auf zwei Optionen reduziert werden: positiv oder negativ, Sicherheitsrisiko oder Abstinenzler*in (Buchanan 2015). Es sind gerade die aus den Drogentests entnommenen Informationen, die die Basis für die weiteren Aktionen bilden. Damit sind sie die einzigen Entscheidungsreferenzen und alles, was zu ihrem Ergebnis geführt hat, bleibt gleichsam auf der Strecke – the „extraction (…) is all that counts (Latour 1990b: 39; i. O. m. Herv.).

Ein anderes Beispiel für die mannigfaltigen Übersetzungen in Praktiken des Drogentestens kann mit Blick auf die Tests als Teil einer Untersuchung im Nachgang eines Verkehrsunfalls illustriert werden. Wird nämlich im Rahmen dessen ein positiver Drogentest vollzogen, wird gemeinhin zwischen dem daraus geschlossenen Drogenkonsum und dem Unfall pauschal ein kausaler Zusammenhang abgeleitet. Eine solche Anscheinsbeweisführung stellt die Methode dar, auf Basis allgemeiner Erfahrungssätze, z. B. bei Fragen des Verschuldens, von allgemeinen Erkenntnissen pauschal auf Einzelfälle zu schließen (Kraatz 2011: 1 ff.). Im vorliegenden Fall müsste der*die Unfallverursacher*in in der Folge beweisen, dass das Unglück nicht kausal mit dem Drogenkonsum in Verbindung steht. Ein*e Fachanwält*in (B51: 542–551; Herv. S. E.) erläutert:

„(D)as wird eben prima facie angenommen, das ist der Beweis, also das nennt man Anscheinsbeweis. Also es wird vermutet, aufgrund der Lebenserfahrung, so sagen die Strafjuristen jedenfalls, dass derjenige, der einen Fahrfehler macht, unter Drogeneinfluss, auch den Fahrfehler begangen hat, weil der Drogen genommen hat. Und jetzt müsste er seinerseits sagen: ,Nein, der Unfall wäre so oder so passiert, also es hat mit den Drogen überhaupt nichts zu tun.‘ Und diesen Beweis kann man in der Praxis nur schwer erbringen, ich höre ich das immer wieder, es gelingt einem fast nie. Also wenn eine Droge im Spiel ist und ein Unfall passiert, wird in aller Regel die Ursächlichkeit angenommen.“

Des Weiteren führt die notwendige „Anpassung an apparative Anforderungen“ (Burri 2006: 431) der Drogentests zu ungewollten Nebeneffekten, die die Übersetzungskette nachhaltig prägen und erneute Abstrahierungen notwendig machen. So wird bei einem Urindrogentest von Arbeitnehmer*innen unweigerlich auch deren Privatleben durchleuchtet – ein Lebensbereich, der z. B. Arbeitgeber*innen eigentlich uneinsehbar sein sollte (Jacobs/Zimmer 1991: 359; Diller/Powietzka 2001: 1233). Der*die Betriebsärzt*in eines Verkehrsunternehmens (B112: 561–570; Herv. S. E.) sagt dazu aufschlussreich:

„Der Tarifangestellte liefert seine Arbeitsleistung ab und kann, salopp gesagt, in seiner Privatzeit machen was er will. Das ist ja auch das Thema, wenn ich als Tarifangestellter meine, ich will mich am Wochenende hemmungslos betrinken oder ich will kiffen, solange ich am Montagmorgen wieder fit bin, ist das eigentlich Privatangelegenheit. Das ist auch ein technisches Problem bei der Drogenkontrolle, dass ich diese lange Zeit überprüfe. Ich prüfe ja nicht, ob jemand aufgrund des Drogenmissbrauchs behindert ist, seine Arbeit zu machen oder beeinträchtigt ist. Sondern ich prüfe eigentlich sein Verhalten, ja, und nicht seine Arbeitsfähigkeit. Das kommt eben noch erschwerend dazu. Da wäre natürlich ein Test, sowohl für Alkohol als für Drogen, der auch die momentane Leistungsfähigkeit beurteilt, sehr viel wertvoller als was irgendwie im vier Wochen-Zeitraum ist.“

Eine ähnlich unfreiwillige, technisch bedingte Entgrenzung des Detektionszeitfensters von Urintests kommt im bereits thematisierten Arbeitsgerichtsurteil aus Hamburg zur Sprache (vgl. Kapitel 5, 7). Denn der Kläger – ein getesteter Arbeitnehmer – insistierte, dass mit den Drogenkontrollen auch vergangenes, die Leistungsfähigkeit zum Testzeitpunkt nicht mehr tangierendes Konsumverhalten erhoben werden könne, worauf das Gericht bemerkenswerterweise wie folgt antwortete: „Sollte (…) die Untersuchung ergeben, dass zwar ein (…) Drogenkonsum vorlag, jener aber bereits die Arbeitsfähigkeit nicht mehr tangiert, so müsste der untersuchende Arzt trotz positivem Testergebnisses die Arbeitsfähigkeit feststellen.“ (ArbG Hamburg 2006: 12) Genau dies vermag ein Urinschnelltest – der in dem betreffenden Fall als Vortest genutzt wurde – jedoch nicht zu leisten. Eine zeitliche Differenzierung ist nur mit laborgebundenen Verfahren möglich, die allerdings in erster Prüfinstanz in dem Drogentestprogramm des Unternehmens nicht vorgesehen waren und zeitlich erst viel später einsetzten, weshalb die Bewertung, ob eine Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit bei dem entsprechenden Arbeitnehmer vorlag, eigentlich nicht mehr zurückverfolgt werden konnte. Und auch wenn ein Urintest die drogenspezifische Beeinflussung einer Person bestimmen könnte, wäre dieser natürlich trotzdem nicht in der Lage, wie vom Gericht konstatiert, „festzustellen, ob ein Arbeitnehmer uneingeschränkt arbeitsfähig ist, oder nicht“ (ArbG Hamburg 2006, 8; Herv. S. E.). Denn außer Drogenkonsum gibt es freilich vielerlei weitere Faktoren, die die Arbeitsfähigkeit einer Person zu beeinträchtigen imstande sind – z. B. Schlafmangel, Trauer oder Liebeskummer (Mellish 2006: 107; Paul 2007: 64; s. u.). Und auch gesetzt den Fall, es würde ein blutbasiertes Verfahren genutzt, ist streng genommen keine unmittelbare Überprüfung der Arbeitsfähigkeit möglich, da auch die Wirkstoffkonzentration im Blut nur ein Indikator für die eigentliche Zielinformation, die Wirkung im Gehirn ist. Die mittelbare Bestimmung wird dadurch möglich, da die Wirkstoffkonzentrationen in Blut und zentralem Nervensystem als in einem „dynamischen Gleichgewicht“ stehend angenommen werden, wodurch „in beschränktem Maße“ ein wechselseitiger Bezug hergestellt werden kann (Steinmeyer 2012b: 30).

Deutlich wird mit den genannten Beispielen, wie stark der Drogentest qua seiner Verfasstheit und den daraus entspringenden (Nicht-)Kompetenzen die Praktiken des Drogentestens spezifisch präformiert und auf diese Weise epistemische Klüfte generiert, die interpretativ-abstrahierend von den Anwender*innen geschlossen werden müssen.

Ähnlich wirkmächtig ist der Test bezüglich der detektierbaren Substanzen: Es kann logischerweise nur auf solche Drogen getestet werden, die in das Skript des Tests als zu detektierende Parameter eingeschrieben sind. Und auf z. B. synthetische Drogen oder legal highs kann nur sehr selektiv getestet werden, da sich die chemische Struktur der meisten einschlägigen Substanzen zu oft und schnell verändert, als dass es sich für die Hersteller ökonomisch rechnen würde, einen entsprechenden Test zu entwickeln und zu produzieren (vgl. Kap. 5.3) – was wiederum den soziotechnischen Charakter der Tests und ihre diskursive Einbettung unterstreicht.

Im Zusammenhang mit der Selektivität von Drogentests ist das folgende Zitat eines*einer polizeilichen Drogenerkenner*in (B107: 1075–1126) illustrativ, das sehr treffend die damit zusammenhängenden praktischen Probleme illustriert und daher in voller Länge wiedergegeben wird:

Weil das Problem haben wir noch gar nicht angesprochen (…): was der Drogenvortest eigentlich leisten kann. Was kann er denn überhaupt leisten? So, das ist ja auch so ein Phänomen, dass der geneigte Betrachter denkt, so ein Drogenvortest weist Drogen nach. Ja, das tut er auch. Aber welche Drogen weist er denn nach? Der normale Standard-Urintest, der normale Standard-Speicheltest, den Sie in der Bundesrepublik Deutschland für Geld kaufen können, weist im Regelfall fünf Substanzgruppen nach und nicht mehr. Fünf. In Worten: fünf. Und diese fünf Substanzgruppen sind auch zufällig, deswegen heißt der im Volksmund nämlich auch 24a-Test, sind zufällig die gleichen Substanzgruppen, die sie auch in der Anlage zum § 24a StVG finden. Und nicht mehr. So, da haben Sie natürlich mit THC den größten Posten, da haben Sie mit Kokain auch noch einen tollen Posten, dann haben Sie ja noch Opiate, dann haben Sie Amphetamin, Methamphetamin und Ecstasy. So, aber dann ist Schluss. So dann können Sie mal gucken, ob mit dem Hersteller noch etwas geht für die jungen Leute sozusagen. So, es geht noch etwas, also es geht noch Benzodiazepine, Medikamentenwirkstoff, der am häufigsten missbräuchlich verwendet wird. Es gibt Methadon, Standard noch. So und jetzt wird es aber undeutlich, so dann sind Sie aber schon weit über das Ziel hinaus. So und dann können Sie überlegen, kann ich jetzt noch ein (…) Spezialistentest kreieren, dann kann ich noch mal gucken, was könnt ihr denn noch so anbieten als Hersteller. Dann komme ich vielleicht noch so auf zehn Parameter. So, dann ist aber auch Schluss. So und dann stellen Sie sich vor, Sie haben einen Verkehrsunfall, eine Straftat, da gibt es keine Liste. Da heißt es ‚berauschende Substanzen‘ [Bezug auf § 24a StVG Abs. 2], also alle Mittel, die auf das zentrale Nervensystem wirken können. Und ich bin auffällig, ich bin irgendwo gegen gefahren. Und Sie fragen: ,Haben Sie etwas konsumiert?‘ Ich sage: ,Nö, niemals würde ich das tun, ist ja verboten.‘ Also machen wir mal einen Drogenvortest. Dann machen Sie Ihren normalen Standardtest, den alle Polizeien haben, der fünf Parameter abbildet und der ist natürlich negativ. So und jetzt haben Sie aber noch einen in der Rückhand, den kennen Sie von früher noch, das ist ein ganz spezieller Spezialist. Der hat noch einen Spezial-Medikamenten-Supertest mit zehn Parametern. Jetzt wird der über Funk angefordert, der erscheint jetzt auch. Der macht seinen zehnfach-Test und (…) der ist auch negativ. So und jetzt haben Sie, was haben Sie jetzt? Jetzt haben Sie einen negativen Alkoholtest, Sie haben einen negativen fünffach-Test, Sie haben einen negativen zehnfach-Test. Und nun? Jetzt schließen Sie aus diesen drei Tests, dass der nichts konsumiert hat. Ein Irrglaube allererster Sorte! (…) Und wenn Sie mal mein Lieblingsbuch sehen, das ist nämlich dieses Werk hier [er zeigt auf das Buch ‚Enzyklopädie der psychoaktiven Substanzen‘ von Christian Rätsch], da finden Sie eindrucksvoll beschrieben, ich würde mal sagen auf gefühlt tausend Seiten Substanzen, die mich betören können. Und aus diesem großen Buch mit, ich würde jetzt mal tippen, da sind bestimmt 10.000 Substanzen Minimum drin, davon weisen Sie fünf Stück nach. Und Sie glauben, Sie haben den Stein der Weisen gefunden. Hut ab. Das können Sie vergessen! Für die Allerweltsdrogen Cannabis und Kokain mag das funktionieren, alles andere können Sie mit einem immunchemischen Vortest nicht nachweisen. Wenn Sie Pilze konsumiert haben, selbst so Kleinigkeiten können Sie schon nicht nachweisen. (…) Einen Hype gab es zum Beispiel mit den gesamten NPS. Also Neue psychoaktive Substanzen. Das was man unter ‚Legal Highs‘ versteht oder ‚Research Chemicals‘. Das können Sie nicht nachweisen, mit keinem Drogenvortest dieses Planeten. Können Sie nicht. Der haut sich das Spice rein bis der Arzt kommt und fährt in meine Kontrolle und fährt freudestrahlend wieder raus.“ (vgl. a. Protzek in Landes 2016)

Deutlich macht das Zitat die wirkmächtige Zwischenschaltung von Drogentests in Bezug auf ihre detektorische Selektionsleistung, deren Ursprung in den ökonomischen Rationalitäten der Testhersteller und den biochemischen Nachweismöglichkeiten liegen (vgl. Kap. 5.3). Dies hat eine Engführung zur Folge, die wiederum im Rahmen der Übersetzungskette auf der Strecke bleibt. Diese aus polizeilicher Sicht problematische Verengung des kontrollierenden Blicks durch Drogentests wird besonders dann offenbar, wenn man einen Blick auf die bereits oben angesprochenen psychophysiologischen Konsumkontrollverfahren von Polizeien anschaut, die ohne Testartefakt auskommen. Die entsprechende Überprüfung hat dabei nicht nur den Nachweis der Droge oder deren Abbauprodukte im Körper zum Ziel, um daraus ableitend eine Fahrtüchtigkeitsfeststellung zu treffen. Vielmehr wird umgekehrt anhand von ausgewählten Verhaltensindikatoren (z. B. torkeliger Gang, Gleichgewichtsstörungen, Schlangenlinien, Desorientierung, Hyperaktivität) die Zielinformation, also die Fahrtüchtigkeit, um einiges direkter und sehr viel breiter getestet.Footnote 9 Solche Verfahren, wozu insbesondere die aus den USA stammenden standardisierten Fahrtüchtigkeitstests zählen (Kellerer 2015), orientieren sich damit konsequent(er) an der eigentlichen Zielinformation. Nämlich an der Frage, ob die begutachtete Person zum Testzeitpunkt sicher ein Fahrzeug zu fahren imstande ist oder nicht – ob dies nun mit Drogenkonsum zusammenhängt oder nicht, ist dabei zunächst einerlei.

Zusammenfassend können die Praktiken des Drogentestens im Rahmen von präventiv respektive präemptiv motivierten Strategien, also die Nutzung von Drogentests als Sicherheitstechnologien, mit Rückgriff auf de Goede (2017) als „chain(s) of security“ verstanden werden. Damit versteht sie – im Anschluss an Latours Gedanken der zirkulierenden Referenz (vgl. Kap. 2.2.3) – soziotechnische Übersetzungsketten, die in Kontexten der Sicherheitspolitik rekonstruierbar sind und beispielsweise ermöglichen, dass aus einer Finanztransaktion eine verdächtige Geldbewegung und womöglich ein Beweisstück vor Gericht, im Kontext eines Prozesses um Terrorismusfinanzierung, wird. Das Verfolgen einer verdächtigen Transaktion ist vergleichbar mit der Verfolgung verdächtiger Moleküle. In diesem Sinne ist auch Drogentesten als Kontrollpraxis im Namen der Sicherheit als die Realisierung einer an Risiken orientierten und multimodal prozessierenden Übersetzungskette zu verstehen, in dessen Kontext zahlreiche Abstrahierungen vorgenommen werden, um epistemische Zwischenräume zu schließen, und in dessen Verlauf die Drogentestartefakte einen ebenso wirkmächtigen wie unverzichtbaren Part wahrnehmen, mithin als „notwendige Garanten des Wissens“ (Gertenbach/Laux 2019: 72) agieren.