Nachdem im vorangegangenen Kapitel die hinter Drogentestanwendungen am Arbeitsplatz stehenden Sicherheitsdiskurse dargelegt wurden, richtet sich der Blick ab jetzt stärker auf die Drogentests selbst. Denn Drogentesten ist nicht gleich Drogentesten. Es gibt unterschiedliche Wege, den Drogenkonsum von Personen zu überprüfen, womit jeweils unterschiedliche Aussagewerte und -wertigkeiten verbunden sind. Neben psychophysiologischen Verfahren, die ohne Testapparatur auskommen – so z. B. der weithin bekannte Torkelbogen hiesiger Polizeien – wird auf Drogenkonsum vor allem per bioanalytischer Instrumente, zum einen mittels Schnell- bzw. Vortest, zum anderen mittels Laboruntersuchungen, getestet. Dabei können die Verfahren entweder auf den Nachweis nur einer Substanz oder mehrerer Stoffe gerichtet sein. Zudem unterscheiden sie sich danach, ob sie einen Rückschluss auf die aktuelle Beeinflussung zulassen oder lediglich vergangenes Konsumverhalten detektieren und ob sie ein qualitatives (wurde konsumiert?) oder quantitatives Ergebnis (wie hoch ist die gefundene Konzentration?) anzuzeigen vermögen. Das dabei jeweils genutzte Probenmaterial (v. a. Urin, Haare, Speichel oder Blut) hat einen erheblichen Einfluss auf die konkrete Aussagekraft des Tests, da hiermit unterschiedliche detektorische Zeitfenster abgedeckt werden.

Fernab dieser Detailfragen gilt indes, wie im Folgenden zu zeigen ist, dass die laborgebundenen Verfahren der Drogendetektion die verlässlichsten und präzisesten Informationen liefern und gegenüber den Schnelltests eine ganz andere Detektionsgüte aufweisen. Die Schnelltests genügen nämlich nicht den hohen epistemischen Ansprüchen der Labordiagnostik, sie haben stattdessen andere Vorzüge, die für die Anwender*innen primär auf praktische Erwägungen abzielen, weshalb sie im Folgenden – unter Rückgriff auf Akrich (1992) und Pinch/Bijker (1984) sowie der skriptanalytischen Herangehensweise (vgl. Abschn. 4.3.3) – als drogendetektorische Kompromisslösungen und scripted technology konzeptualisiert werden. Auf diese Weise soll deutlich werden, dass Drogenschnelltests genuin soziotechnische Instrumente sind, die auf Basis spezifischer diskursiver Interessen konzipiert werden. In sie sind, anders gesagt, wirkmächtige Praktikabilitätsanforderungen eingeschrieben, die sich nachteilig auf ihre detektorische Kompetenz auswirken und die in der Folge die epistemische Diskrepanz, die zwischen der aus dem Testergebnis geschlussfolgerten Information und dem tatsächlichen Test-Indikandum besteht, vergrößern (vgl. dazu Kap. 9).

1 Drogenanalytischer Goldstandard: Laborgebundene Verfahren

Laborgestützte Analysen ermöglichen eine identifizierend-quantitative Messung von Drogen und bilden gleichsam die drogenanalytische Speerspitze. Sie sind mithin die Methoden der Wahl, wenn ein beweiskräftiges Urteil, z. B. vor Gericht, vonnöten ist (z. B. Wilhelm 2012: 249; Skopp 2012: 90 f.; Dufaux et al. 2014: 11).Footnote 1 So müssen Laboruntersuchungen beispielsweise in verwaltungsrechtlichen Verfahren in Folge von Straßenverkehrskontrollen vorliegen, da nur eine entsprechende Blutanalyse, die nur im Labor durchgeführt werden kann, die Konzentration einer Droge im Körper zu bestimmen imstande ist (f. v. Möller 2010: 405). In Anwendungsfeldern, wo indes eine hohe Anzahl an Testungen vorgenommen wird, werden sie aus Kostengründen in der Regel nicht angewandt und – wenn überhaupt – nur dann, wenn es ein positives Schnelltestergebnis zu verifizieren gilt (B111: Abs. 56; B 112: Abs. 78; vgl. dazu a. Schütz et al. 1998; Magiera 2009: 44–50).

Bezüglich der laborgebundenen-toxikologischen Detektionsverfahren gilt es zunächst zwei Gruppen von Technologien zu unterscheiden: Zum einen werden auch im Labor immunologische Vortests benutzt, die allerdings – im Gegensatz zu den unten vorgestellten Schnelltests – instrumentelle immunoassays sind und halbquantitative Ergebnisse ermöglichen. Eines der diesbezüglich gängigsten Verfahren ist die ELISA-Technologie (Enzyme Linked Immunosorbent Assay). Hierbei wird mithilfe eines Enzyms die Bindung eines Antikörpers an das gesuchte Antigen, die Droge, detektierbar und quantifizierbar gemacht (Key 2007: 51; Collins 2009: 20 f.). Die Quantifizierung wird durch ein kompetitives Testdesign möglich, in dessen Rahmen die Antigene aus dem Probenanalyt mit dem hinzugegebenen Enzym-Antigen-Komplex um die begrenzt vorhandenen Antikörper konkurrieren. Die Farbintensität am Ende des Testvorgangs ist schließlich umgekehrt proportional zu den in der Probe vorhandenen Drogenrückständen, was eine (grobe) Quantifizierung ermöglicht (nal von minden 2012: 54 f.; LADR o. J.: 8).

Auf Basis dieser immunologisch-instrumentellen Resultate wird in den chromatografisch-instrumentellen Verfahren gezielt nach den vorhandenen Substanzen, einschließlich deren Konzentrationen, gesucht (B30: 82). Den Gold-Standard (Referenzmethode) der gegenwärtigen Detektionsanalytik stellt dabei die Kombination aus Gaschromatografie und Massenspektrometrie (GC-MS) dar (f. v. Borrey 2011: 233–236), die in den meisten Fällen zur Bestätigung eines immunologischen Schnelltestergebnisses herangezogen wird (B30: 6–8, 76–78; nal von minden 2012: 58; s. z. B. von Minden/von Minden 2002b: 274; Dufaux et al. 2014: 11) und als „definitive Methode“ gilt, da sie „sich dadurch auszeichnet, dass sie ‚richtig‘ und spezifisch ist; sie liefert einen definitiven (richtigen) Wert als beste Annäherung an den ‚wahren Wert‘.“ (Steinmeyer 2006: 15) Im Rahmen der Testung werden zunächst per Gaschromatograf (GC) in einem 2-Phasen-Feld die gesuchte(n) Substanz(en) anhand ihrer charakteristischen Verweildauer in einer Trennsäule identifiziert. Ein daran angeschlossener Detektor, ein Massenspektrometer (MS), ionisiert schließlich die Substanzen und registriert diese nach ihrem Masse/Ladungs-Verhältnis, was eine präzise quantifizierende Aussage ermöglicht (Vorce/Kuntz 2009: 63, 65; Borrey 2011: 233–235).Footnote 2 Als Probenmaterial werden – je nach Fragestellung – Blut oder Haare benutzt. Steht etwa die Frage im Raum, ob eine Person zu einem gewissen Zeitpunkt ein von psychotropen Substanzen tangiertes zentrales Nervensystem besaß, ist Blut das Mittel der Wahl. Nur dieses lässt einen gerichtsfesten Schluss auf die Beeinflussung zu, da die im Blut zirkulierenden Wirkstoffe einer Droge als repräsentativ für die am Zielorgan – im Gehirn, also dort, wo die Wirkung konkret stattfindet – befindlichen Wirkstoffe definiert werden (f. v. Steinmeyer 2012b: 30; Skopp 2012: 81). Soll demgegenüber die Frage beantwortet werden, ob die inkriminierte Person in einer vergangenen Zeitspanne Drogen konsumiert hat, geht es also eher um die Aufdeckung von Drogenkonsum als eingeübtes Verhaltensmuster, wird eine Haaranalyse vorgenommen (Kintz 2008: 74). Als Faustregel gilt, dass ein Zentimeter Haar Aufschluss über eine Zeitspanne von ca. einem Monat gibt und damit sehr lange detektorische Zeitfenster erreicht werden können (B30: 207–215; Cooper 2015: 4). Auch bei Haaren, ähnlich wie bei Schweißtests, gilt es jedoch stets die Kontaminationsgefahr in Rechnung zu stellen (BP7: 237–239; Kauert 2004: 300). Ein positives Ergebnis kann nämlich auch aus einer exogenen Anhaftung von drogenspezifischen Rückständen herrühren und muss nicht zwingend auf eine konsumbedingte Ablagerung zurückgehen (Moosmann/Roth/Auwärter 2015; Egbert et al. 2018: 81–83).Footnote 3

2 Schnell- bzw. Vortests

Seit ungefähr Mitte/Ende der 1980er-Jahre werden in Deutschland Drogenschnell- bzw. -vortestsFootnote 4 angewendet,Footnote 5 wobei seit Anfang des neuen Jahrtausends eine weite Verbreitung solcher Tests konstatiert werden kann (Egbert et al. 2018: 3). Der Anwendungsbeginn Ende der 1980er- respektive Anfang der 1990er-Jahre basiert auf der Entwicklung von immunologischen Teststreifen und der darauffolgenden Markteinführung von Drogenschnelltests, deren eigentliche Marktreife allerdings von einigen Kommentator*innen erst auf Anfang der 2000er-Jahre datiert wird, da die vor der Jahrtausendwende genutzten Tests ihrer Meinung nach zu ungenau und fehleranfällig waren (z. B. B113: 777–79; vgl. a. Heinz 1998: A-3119).Footnote 6 Aber auch in ihrer modernen Manifestation haben Drogenschnelltests grundlegende detektorisch-analytische Grenzen und zahlreiche mögliche Fehlerquellen, die unmittelbar auf ihren Charakter als drogendetektorische Kompromisslösungen zurückgehen, der wesentlich auf Kosten- und Praktikabilitätsmotive, mithin diskursiv konstituierte Festlegungen, zurückgeht.

Die detektionsanalytische Grundlage von Drogenschnelltests ist die immunologische Antigen-Antikörper-Reaktion, weshalb diese stets Immun(o)assaysFootnote 7 sind. Damit sind Analyseverfahren benannt, welche auf körpereigene, das Immunsystem zurückgehende Prozesse basieren und ein Reagenz nutzen, um in einer Probe ein bestimmtes Analyt zu detektieren (Collins 2009: 17; Wild 2013: 7). Im Falle der Drogendetektionsanalytik ist das Reagenz jener Stoff, der herangezogen wird, um in der jeweiligen Probenmatrix (z. B. Urin), die gesuchte Droge (Analyt) zu identifizieren. Die Existenz einer psychotropen Substanz in der analysierten Flüssigkeit wird anhand zweier Indikatoren erhoben: Zum einen können die Wirkstoffe der Drogen detektiert werden, zum anderen deren Abbaustoffe (Metaboliten). Im Falle von Cannabis sucht man also nach dem Wirkstoff Tetrahydrocannabinol (THC) und nach dessen Abbauprodukt THC–Carbonsäure (THC-OOH) (BP7: 201). Dringen körperfremde Stoffe (Antigene) in den menschlichen Organismus ein, werden sie von körpereigenen Abwehrproteinen (Antikörpern) gebunden und auf diese Weise eliminiert (Raem/Goldmann/Brandt 2007: 1–3). Diese Antigen-Antikörper-Reaktion bietet sich für die Drogenanalytik im besonderen Maße an, da sie nicht nur vergleichsweise einfach und schnell durchzuführen ist. Es ist vor allem die hochselektive Verbindung zwischen Antigenen und Antikörpern, die für das Drogentesten von herausragender Relevanz ist (Klipfel et al. 2009: 84): Dem Schlüssel-Schloss-Prinzip entsprechend reagieren die körpereigenen Abwehrstoffe nämlich nur mit ganz wenigen körperfremden Stoffe (vgl. Abb. 6.1). Das Passungsverhältnis ist zwar in der Regel kein exklusives (siehe dazu unten die Ausführungen zur Kreuzreaktion), dennoch ist die Spezifität dieser Verbindungen von Natur aus sehr hoch (Wild 2013: 7). Auch außerhalb des Körpers kann die Bildung von Antigen-Antikörper-Komplexen genutzt und kultiviert werden, so auch beim Drogentest: In speziell gezüchteten Zellkulturen werden drogentypische Antikörper hergestellt, deren komplementärer Gegenpart, das Antigen, aus dem jeweiligen Drogenmolekül bzw. seinem Hauptabbaustoff besteht (Skopp 2012: 86). Ist das drogenspezifische Antigen nun in einer Probe vorhanden, bindet sich der industriell hergestellte Antikörper daran und bildet einen entsprechenden Antigen-Antikörper-Komplex, also eine chemische Verbindung, auch Immunkomplex genannt.

Abb. 6.1
figure 1

(Quelle: Schmid 2007: 287)

Grundprinzip eines kompetitiven immunoassays.

Moderne SchnelltestsFootnote 8 funktionieren zumeist nach dem Prinzip eines kompetitiven immunoassays, was bedeutet, dass die potenziell in einer Probe vorhandenen drogenspezifischen Antigene mit auf den TeststreifenFootnote 9 platzierten drogenspezifischen Antigenen um eine begrenzte Anzahl an farblich markierten AntikörpernFootnote 10 konkurrieren (z. B. nal von minden 2012: 51 f.; Wilhelm 2012: 244; Wild 2013: 8) (vgl. Abb. 6.1). Sofern Drogenmoleküle in der Probenmatrix vorhanden sind, binden sie sich in der Mischzone des Teststreifens mit den dort befindlichen Antikörpern und wandern als Immunkomplex mit diesen bis zur Reaktionszone (Sichtfenster) (vgl. Abb. 6.2 u. 6.3). Die dort befindlichen und bereits in der Herstellung ebenda platzierten, immobilen drogenspezifischen Antigene können sich dann nicht mehr an die farblich markierten Antikörper binden, da diese bereits durch die in der Probe vorhandenen Antigene blockiert wurden. Dies hat ein Ausbleiben einer gefärbten Bande in der Reaktionszone zur Folge, was als Ausdruck eines positiven Testergebnisses zu interpretieren ist (vgl. Abschn. 8.2) (vgl. Abb. 6.4). Vergegenwärtigt man sich die Tatsache, dass das Ergebnis von den Anwender*innen subjektiv und ohne maschinelle Unterstützung ausgelesen werden muss, wird deutlich, warum Drogenschnelltests zu den manuellen, nicht-instrumentellen Detektionsverfahren zählen (z. B. Scholer 1999: 28; Picard-Maureau 2011: 156).

Abb. 6.2
figure 2

(Quelle: nal von minden 2012: 53)Footnote

Bezüglich der in dieser Abbildung mittig beschriebenen Zonen des Teststreifens vgl. Abschnitt 8.2.

Schematische Darstellung des Teststäbchens eines kompetitiven immunoassays.

Mit nicht-kompetitiv operierenden immunoassays sind nicht nur qualitative Testergebnisse möglich – drogenpositiv oder -negativ –, sondern auch halbquantitative Resultate, indem im Nachweisfeld die Reaktion der Analyten mit den goldmarkierten Antikörpern unterschiedliche, an die Konzentration der gesuchten Substanzen gebundene, Farbnuancen ausbilden (Jawork 2007: 26). Mit einer mitgelieferten Vergleichsfarbtafel soll dann die Intensität des Konsums der entsprechenden Substanzen abgelesen werden können. Neben der Beantwortung der Frage, ob die getestete Person Drogen konsumiert hat, soll somit auch festgestellt werden können, wie viel die getestete Person von ebendiesen Drogen (ungefähr) eingenommen hat (Schütz 1999: 17). Die Vergleichsfarbtafeln sowie die Anwendungshinweise (inkl. exemplarischer Darstellung der gefärbten Banden) suggerieren dabei, so Kritiker*innen, dass die Tests auch für „Laienanwender“ (Scholer 1999: 28) einfach und verfahrenssicher zu handhaben seien, was aufgrund der zahlreichen möglichen Fehlerquellen indes nicht der Fall ist.

Abb. 6.3
figure 3

(Quelle: eigenes Foto)

Unbenutzter Drogenurinschnelltest zum Eintauchen.

Die allermeisten der genutzten Drogenschnelltests sind qualitative Analyseverfahren, da sie aufgrund der Testkonstruktion lediglich bestimmen können, ob eine gesuchte Substanz in der Probe vorhanden ist oder nicht (He/Parker 2013). Es ist ihnen dabei nicht möglich zu bestimmen, wie viel von der jeweiligen Zielsubstanz gefunden wurde und in welcher Konzentration die Droge in der Probe vorliegt.

Ob ein Drogentest im konkreten Fall ein positives Ergebnis anzeigt oder nicht, ist aufs Engste verknüpft mit dessen Entscheidungs- bzw. Toleranzgrenzen (cut-off). Der cut-off-Wert entspricht jener Konzentration einer Substanz, bei der ein positives Ergebnis angezeigt wird, sobald diese Konzentrationsschwelle erreicht ist (Schütz 1999: 324). Die konkrete Größenordnung der Entscheidungsgrenzen bei den verschiedenen Substanzen sind in Europa – im Gegensatz zu den USA (Bush 2008) – nicht vorgeschrieben und können demnach von den Herstellern eigenmächtig festgelegt werden (Schmid 2007: 286; Paul 2010: 177; Wilhelm 2012: 246; Skopp 2012: 88; Möller 2016: 434). Obgleich sich einige Hersteller an den Vorgaben der US-amerikanischen Substance Abuse Mental Health Service Administration (SAMSHA) orientieren (s. z. B. B99: 147; nal von minden 2014: 2), werden oft eigenmächtig bestimmte Entscheidungsschwellen – meistens in Verbindung mit den Wünschen der Kund*innen – gesetzt, die praktische Erwägungen und kontextuelle Rahmenbedingungen einfließen lassen (z. B. B12: 64–70; B97: 313 f., 507–511, 525–539; B99: 140–143, 159–162).Footnote 12 So ist man beispielsweise bei der Polizei eher an einem hohen cut-off interessiert, da sie die aktuelle Beeinflussung der getesteten Person im Blick haben und demnach nur dann ein positives Ergebnis angezeigt bekommen wollen, wenn der Konsum erst in jüngster Vergangenheit stattgefunden hat, was eine hohe Konzentration im Probenmaterial impliziert (Klipfel et al. 2009: 83; B12: 66–70; B107: 360–378). Wenn der cut-off hier also hoch angesetzt wird, werden nur jene Personen positiv getestet, die eine vergleichsweise große Menge an drogenspezifischen Stoffen im Körper haben. Und für die Polizei sind nur diese Leute interessant. Denn, um ein Beispiel zu nennen, das Bundesverfassungsgericht einen THC-Grenzwert von 1,0 ng/ml festgesetzt hat, ab dem davon auszugehen sei, dass, sofern bei einer Person detektiert, diese zum Zeitpunkt der Testanwendung noch beeinflusst war (BVerfG 2004). Die laborgebundene Bestätigungsanalyse im Blut muss also für THC mindestens eine Konzentration von 1,0 ng/ml ergeben, damit das Schnelltestergebnis nicht ein falsch-positives ist. In diesem Falle hätte der Vortest zwar durchaus korrekt das Vorhandensein einer Droge im Probenmaterial angezeigt, die detektierte Höhe im Labor wäre aber zu gering, als dass es für die Polizei von Relevanz wäre. Hinsichtlich der Frage nach der adäquaten Höhe der Entscheidungsgrenze ist der Fall gänzlich anders z. B. in einer drogentherapeutischen Einrichtung gelagert, da dort nicht die aktuelle Beeinträchtigung einer Person von primärem Interesse ist, sondern vielmehr ein (möglichst) großes Zeitfenster in den Blick genommen wird, was eine zeitlich möglichst weit zurückreichende Verlaufskontrolle impliziert. Hier macht es demnach Sinn, eine vergleichsweise niedrige Toleranzgrenze zu nutzen, die auch kleinste Mengen an drogenspezifischen Rückständen im Körper nachzuweisen vermag.

Abb. 6.4
figure 4

(Quelle: eigenes Foto)

Benutzter Drogenurinschnelltest zum Eintauchen mit (negativer) Ergebnisanzeige.

Die Höhe des cut-off ist eng verbunden mit der Verlässlichkeit der vom Drogentest ausgegebenen Ergebnisse: Liegt die Grenze zu hoch, so besteht das Risiko, dass falsch-negative Resultate erzielt werden. Der Test weist dann eine geringe (diagnostische)Footnote 13 Sensitivität auf. Darunter wird die Wahrscheinlichkeit verstanden, dass eine drogenpositive Probe ein positives Resultat anzeigt, also in der Tat diejenige Droge in der Probenmatrix vorliegt, die der Test detektiert hat (von Minden/von Minden 2002a: 225). Mit einer niedrigen Sensitivität geht also eine geringe Nachweisempfindlichkeit einher. Liegt der Grenzwert wiederum zu niedrig, können falsch-positive Ergebnisse die Folge sein, also Personen fälschlicherweise als drogenpositiv identifiziert werden (Heinz 1998: A-3118; Schmid 2007: 287), da z. B. nicht die gesuchte(n) Substanz(en) ursächlich für einen Antigen-Antikörper-Komplex ist. Grundsätzlich gilt: Je niedriger der cut-off, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass das Ergebnis fälschlicherweise positiv ist, da aufgrund der niedrigen Konzentrationsschwelle eine nicht auf Drogenkonsum beziehbare Substanz mit den Antikörpern in unerwünschter Weise reagiert oder eine Kontamination – also eine (externe) Zuführung der gesuchten Substanz oder deren Abbaustoffe in den Körper des Probanden, ohne das ein Konsum erfolgte, z. B. durch Berührung (Moosmann/Roth/Auwärter 2015)Footnote 14 – stattgefunden hat. Schütz (1999: 64) pointiert dieses Nullsummenspiel wie folgt: „Was an Nachweisempfindlichkeit gewonnen wird, geht meistens an Nachweisqualität (…) verloren.“ Das entsprechende Maß ist die (diagnostische)Footnote 15 Spezifität, also die Wahrscheinlichkeit, dass die negativ angezeigten Resultate tatsächlich als negativ bestätigt werden. Bei modernen immunologischen Schnelltests liegt diese bei über 99 %, die Sensitivität bei über 95 % (z. B. von Minden/von Minden 2002a: 225; nal von minden 2014: 11).

Welche Aussagen das qualitative Ergebnis eines Schnelltests konkret zulässt, wird in erheblichem Maße von dem genutzten Probenmaterial bestimmt. Nutzt man Urin, sind andere Aussagen möglich, als wenn mit Speichel, Haaren oder Blut getestet wird. Bislang kann mit Haaren oder Blut (noch) nicht per Vortest auf Drogenkonsum getestet werden, wobei allerdings bereits einige Hersteller mit entsprechenden Neuheiten aufwarten, z. B. auf der Medizinmesse Medica 2015 (BP6: 3–6). Gerade ein Drogenschnelltest für Blut wird von vielen Praktiker*innen, insbesondere seitens der Polizei, als sehr wünschenswert betrachtet (BP4: 24; B107: 801–809), da Blut eben diejenige Substanz ist, die konkrete Rückschlüsse von der gefundenen Drogenkonzentration auf die psychotrope Beeinflussung der getesteten Person zulassen, was in vielen Fällen die eigentliche Zielvariable ist. Trotzdem stellt der Drogentest per Urin, der keine Rückschlüsse auf die Beeinträchtigung der getesteten Person zulässt, zurzeit das gängigste Verfahren dar, da er das praktikabelste Instrument darstellt (vgl. Abschn. 6.3).Footnote 16 Deshalb werden im Folgenden insbesondere die Eigenarten von Urin als Probenmaterial herausgestellt und lediglich am Rande auf die abweichenden Aussagemöglichkeiten der anderen Matrizen verwiesen.

Da Harn das Endprodukt des körperlichen Abbauprozesses einer Substanz markiert, sind dort zumeist nur die Metaboliten der konsumierten Stoffe zu finden (Schütz 1999: 35). Urin als Testmaterial bietet demnach allein einen Blick in die jüngste bis jüngere Vergangenheit, wobei ein Bezug zur gegenwärtigen Wirkung der Substanz nicht gezogen werden kann (Schmid 2007: 283). Schließlich dauert es eine gewisse Zeit, bis die Wirkstoffe oder Abbauprodukte der Droge in der Harnblase angelangt sind, was eine Mindesterkennungszeit (lag time) zwischen Konsum und Detektierbarkeit von mindestens einer Stunde impliziert (von Minden/von Minden 2003: 52). Die spezifische Filtration der Niere bewirkt allerdings eine höhere Konzentration von Fremdstoffen im Urin, was eine längere Nachweisbarkeit der Stoffe bewirkt. Je nach Konsumgewohnheit kann die Nachweisbarkeit von z. B. THC im Urin bis zu sechs Wochen betragen (Wilhelm 2012: 241; Caplan/Goldberger 2001: 396). Dies ist bei Speichel gänzlich anders: hier wird eine sehr enge Korrelation zur Konzentration einer Droge im Blut angenommen, was Rückschlüsse auf die derzeitige Beeinträchtigung einer Person erlaubt (Schütz 1999: 38), allerdings ist die Nachweisbarkeit nur für wenige Stunden gegeben (Caplan/Goldberger 2001: 396). Und insbesondere mit THC gibt es bei der Detektion in Speichel erhebliche Probleme, weil es nicht durch die Membran der Speicheldrüsen dringt, weshalb in diesem Fall mit einem Speicheltest allein die Mundhöhlenkontamination gemessen wird, die aber keinen Rückschluss auf die Blutkonzentration zulässt (B107: 844–852; Cone/Huestis 2007: 69). Bei Schweiß wiederum kann von einer längeren Detektionszeit ausgegangen werden, wobei dieses Probenmaterial mit diversen Problemen behaftet ist, vornehmlich die hohe Kontaminationsgefahr (Schütz 1999: 38).

Die Vorteile von Urin als Probenmaterial liegen vor allem auf pragmatischer Ebene: Urin ist vergleichsweise leicht und (vermeintlich) nicht-invasiv zu gewinnenFootnote 17 und kann ohne spezielle Aufbereitung zur Analyse eingesetzt werden. Auch braucht es nur wenig Probenflüssigkeit und die zu testende Person muss nicht durch medizinisches Fachpersonal präpariert werden (von Minden/von Minden 2003: 52). So betont auch der ehemalige Arbeitgeber*innenvertreter Bengelsdorf: „Die am häufigsten eingesetzte Harnprobe basiert auf einem natürlichen Vorgang ohne invasive Entnahmetechnik und kann relativ leicht sowie rasch Aufschluss geben.“ (Bengelsdorf 2009: 127; vgl. a. Diller/Powietzka 2001: 1227) Als Problem von Urin als Probenmaterial wird demgegenüber die recht leichte Probenmanipulation, z. B. per Verwässerung, genannt (Wilhelm 2012: 241). Zu beachten sind ferner die tageszeitlichen Konzentrationsschwankungen des Urins (Schütz 1999: 35). Als Nachteil wird ferner die Notwendigkeit der für das Testsubjekt indiskreten und mitunter erniedrigenden Probenabgabe, die zum Teil unter Sicht durchgeführt wird, angeführt (Steinmeyer 2012b: 31). Ein Drogentest mit Urin bietet sich zudem nur bei bestimmten Fragestellungen an: Er kann nicht klären, wann die entsprechende Substanz konkret konsumiert wurde, in welcher Intensität und Regelmäßigkeit dies getan wurde und in welchem Ausmaß die gefundene Substanz Wirkungen auf das Bewusstsein der Person entfaltet (hat). Zur Überprüfung der aktuellen Arbeitsfähigkeit oder FahrtüchtigkeitFootnote 18 ist er somit ungeeignet (er wird aber im Rahmen polizeilicher Kontrollen trotzdem, für die Vorselektion, eben dafür genutzt; s. BP10: 33; BP11: 10–14).Footnote 19 Ebenso wenig kann auf diese Weise festgestellt werden, ob jemand ein Drogenproblem hat oder als ‚süchtig‘ zu bezeichnen ist (Paul 2007: 58; Schmid 2007: 295). Bemerkenswert ist ohnehin, dass in Diskursen des Drogentestens oft kaum differenziert wird zwischen Ge- und Missbrauch und unterschiedslos jede Form des Drogenkonsums per se als Form des Abusus verstanden wird (Egbert et al. 2018: 232) (vgl. Kap. 5).

Nicht nur aufgrund ihrer grundsätzlichen Unfähigkeit, die tatsächliche Konzentration einer Droge im Körper einer Person angeben zu können, sollten laut Fachleuten Drogenvortests stets mit laborgebundenen Analysemethoden gekoppelt werden, sondern ebenfalls um die von ihnen angezeigten Resultate zu verifizieren (Bestätigungsanalyse) (f. v. Steinmeyer 2012b: 27). Denn: Drogenschnelltests haben nicht nur einen begrenzten Aussageradius, auch ihre Aussagekraft ist aufgrund von zahlreichen potenziellen Fehlerquellen eingeschränkt. Zu unterscheiden gilt es dabei zwischen test- und anwendungsbezogenen Fehlerquellen.

Die wichtigste der testbezogenen Fehlerquellen bei Drogenschnelltests ist die nie gänzlich auszuschließende Möglichkeit, dass die auf den Teststreifen platzierten Antikörper nicht mit den Wirkstoffen oder Metaboliten einer als Droge etikettierten Substanz reagieren, sondern Moleküle mit ähnlicher chemischer Struktur eine Reaktion mit den testspezifischen Antikörpern herstellen, sich also eine Kreuzreaktion zuträgt und damit zu einem falsch-positiven Ergebnis führen (von Minden/von Minden 2002b: 274; Davies 2013: 15 f.). Einer der in diesem Zusammenhang bekanntesten Fälle stellt die unspezifische Antigen-Antikörperbindung zwischen Mohn- und Opiatmolekülen dar: Der (übermäßige) Verzehr von mohnhaltigen Lebensmitteln kann nämlich die Aufnahme von Morphin und Codein bewirken, deren Abbauprodukte den Drogenschnelltest zu einem positiven Opiatnachweis veranlassen (Heinz 1998: A-3118; Kauert 2004: 300 f.; Schmid 2007: 383; BP7: 167–178).Footnote 20 Dabei kann auch ein anschließendes identifizierendes Verfahren nicht mehr eindeutig zwischen legalem und illegalem Konsum unterscheiden (Külpmann 2003: A1139). Ähnliches gilt für die zahlreichen Lebensmittel auf Hanfbasis (Öl, Müsli etc.), die bei extensiver Einnahme eine falsch-positive THC-Detektion zur Folge haben können (Schütz 1999: 171).

Bereits der grundsätzliche Aufbau des Teststreifens und das damit zusammenhängende Test-Prinzip beinhalten zudem mehrere mögliche anwendungsbezogene Fehlerquellen: Da der Test subjektiv-visuell ausgewertet werden muss, kann es zunächst zu Ablesefehlern kommen (Schmid 2007: 292). Auch kann es schwach gefärbte Banden geben, die das Ergebnis nicht deutlich anzeigen – gerade wenn es sich um Konzentrationen rund um den Entscheidungswert (cut-off) handelt (Külpmann 2003: A1139) (vgl. Abschn. 8.2). Ferner gilt es die Inkubationszeit des Tests einzuhalten. Es muss ausreichend Zeit – z. B. fünf bis acht Minuten (nal von minden 2014: 9) – vergehen, damit mit Sicherheit bestimmt werden kann, dass keine Linie mehr erscheint (was sich in der praktischen Anwendung als nicht immer umsetzbar zeigt; s. BP10: 251 f.; BP11: 32 f.). Zu beachten ist in diesem Zusammenhang auch, dass es eine maximale Anzeigedauer gibt, da die Tests – so z. B. bei nal von minden (2014: 9) – nach zehn Minuten keine zuverlässigen Ergebnisse mehr anzeigen. Eine weitere Fehlerquelle, die in der Anwendung des Tests vorkommen kann, ist die Probenkontamination, die sich vor allem dadurch ergeben kann, dass bei der Analyse einiger Substanzen mit sehr geringen Konzentrationen gearbeitet wird. Um solche Fehlerquellen zu vermeiden, ist die Probengewinnung stets mit großer Sorgfalt zu verrichten (Külpmann 2003: A1140) – was in der Anwendungspraxis oft jedoch nicht möglich ist oder schlicht nicht gemacht wird (s. BP10: 106 f.; BP11: 45). Insgesamt ist die in der Labordiagnostik übliche Qualitätssicherung bei Teststreifen nur begrenzt möglich. Einziges kontrollierendes Element ist zumeist die Kontrollbande bzw. C-Linie. Zu beachten sind bezüglich der anwendungsbezogenen Fehlerquellen nicht zuletzt auch die zahlreichen Verfälschungsmöglichkeiten von Urindrogenschnelltests (wie z. B. das Verdünnen der Probe oder die Abgabe von unbelastetem Fremdurin), die falsch-negative Ergebnisse zur Folge haben können (Potter/Orfali 1999: 95–119; Sutheimer/Cody 2009; Egbert et al. 2018: 243–246).

Wegen der benannten analytisch und technisch bedingten Limitationen einerseits, sowie der test- und anwendungsbezogenen Fehlerquellen anderseits, wird in der Fachliteratur übereinstimmend darauf hingewiesen, dass ein Schnelltest lediglich den Verdacht eines Drogenkonsums begründen kann, nur ein „vorläufiges Ergebnis“ (Schütz 1999: 326) liefert und nur eine „(orientierende) (…) Erkennung von Drogen“ (Skopp 2012: 86) leistet (vgl. a. Hallbach/Felgenhauer 2009: 483; Schmid 2007: 285; Külpmann 2003: A1140; Wilhelm 2012: 249, 254). Stellt man die systematischen Limitationen, die möglichen Fehlerquellen und die vielfachen prä-analytischen Faktoren in Rechnung, so kann zudem gesagt werden, dass hinsichtlich der Aussagekraft eines Drogenschnelltest-Ergebnisses großer Interpretationsspielraum bleibt und eine breite epistemische Kluft zwischen Indikandum und Testergebnis respektive den daraus deduzierten Interpretationen besteht (vgl. Kap. 9).

3 Scripted Technology: Drogenschnelltests als drogendetektorische Kompromisslösung

Wie gezeigt, sind mit den Schnelltests zahlreiche Fehlerquellen und aussagebezogene Einschränkungen verbunden, gleichzeitig bieten sie aber spezifische Vorteile gegenüber laborgebundenen Verfahren. Gerade die kostengünstigen und „anwenderfreundlich aufgebauten Schnelltests“ (Heinz 1998: A-3119) ermöglichen es, dass Drogenkonsumkontrollen mittlerweile in ganz unterschiedlichen und mannigfaltigen gesellschaftlichen Bereichen alltäglich zur Anwendung kommen (Urban et al. 2016). Ihre Entwicklung war von vornherein mit ebendiesem Ziel verbunden: Eine schnelle und kostengünstige Analyse vor Ort zu ermöglichen, so zuverlässig und genau wie es die Detektionstechnologie in Relation zu den praktischen und ökonomischen Rahmenbedingungen ermöglichen. So wird Drogentesten per Schnelltest gemeinhin auch als Drogenscreening bezeichnet (s. z. B. Borrey 2011: 219; Wilhelm 2012: 242), was sich begrifflich vom englischen to screen, also sieben oder rastern, ableitet und sich auf die Grundidee hinter der Einwicklung und der dabei antizipierten Nutzungskontexte dieser Tests bezieht: Die serielle Überprüfung, allen voran im Rahmen von verdachtsunabhängigen Drogenkonsumkontrollen, durch die Drogenkonsumierende möglichst simpel, schnell und kostengünstig aus einer großen Grundgesamtheit herausgefiltert werden sollen (von Minden/von Minden 2002a: 224).Footnote 21 Bei Schütz (1999: 55) heißt es diesbezüglich:

„Im Hinblick auf den beträchtlichen Kosten-, Zeit- und Personalbedarf hochentwickelter instrumenteller Analyseverfahren, denen häufig noch ein mehr oder weniger aufwendiges Probenaufarbeitungsverfahren in Form von Extraktion o.ä. vorangeht, setzt man zunächst sog. Screeningtests (…) ein, die gestatten, auch hohe Probenzahlen in kurzer Zeit und ohne aufwendige Vorbereitung in ‚negative‘ und ‚positive‘ Fälle zu unterteilen. Generell gilt: Screeningverfahren sollen hinsichtlich einer bestimmten Substanz oder Substanzgruppe ein qualitatives oder halbquantitatives Resultat möglichst spezifisch und empfindlich ohne großen präanalytischen Aufwand liefern.“ (vgl. a. Drummer 2007: 210)

Mithin wird betont, dass die Erfindung des Teststreifen „die Urindiagnostik wegen ihrer Praktikabilität (revolutionierte)“ (Gässler 2012: 152), sich die Praxis des Drogentestens durch deren Markteinführung einer „technologischen Revolution“ (Drummer 2007; Übers. S. E.) gegenübersah. Korrespondierend dazu betont Walsh (2008: 121), dass die gestiegene Nachfrage nach Möglichkeiten des Drogentestens gerade in den Bereichen Arbeitsplatz und Strafjustiz entsprechende Forschungsbemühungen verstärkt haben. Collins (2009: 20) konstatiert wiederum in Bezug auf Drogentestprogramme am Arbeitsplatz: „Based on the demands of the market, assays must be automated, require little or no sample preparation, be relatively inexpensive, and provide results in a short time frame.“ (vgl. a. Borrey 2011: 219)

Bestandteil des Entwicklungs- und Produktionsprozesses von Drogenschnelltests waren demnach von vornherein gesellschaftlich bedingte Wissensbestände und diskursiv strukturierte Interessenlagen. Diese Produktgattung wurde mit dem dezidierten Ziel entwickelt, ebenso schnelle wie kostengünstige Vorort-Testungen zu ermöglichen. Dafür muss indes auf wesentliche drogenanalytische Funktionen und Genauigkeiten der laborgebundenen Drogenanalytik, wie z. B. die quantifizierende Messung, verzichtet werden. Drogenschnelltests sind somit als genuin soziotechnisch konstituierte Kompromisslösungen zwischen gesellschaftlichen Praktikabilitätsanforderungen einerseits und drogenanalytischer Kompetenz andererseits zu verstehen. Damit sind zum einen – mit Pinch/Bijker (1984) gesprochen – die „relevanten sozialen Gruppen“ angesprochen, die ihre Interessen an dem technischen Artefakt wirkungsvoll zum Ausdruck bringen, die sodann in dessen Entwicklung und Konzeption einfließen (vgl. Abschn. 2.2.3). Andererseits sind damit die Skripte im Sinne Akrichs (1992) angesprochen, die über die Design- und Fertigungsprozesse in den Test eingeschrieben sind. In der Kreierung eines solchen Test-Artefakts werden herstellerseitige Visionen über die zukünftige Stellung des Tests in der Welt, seiner möglichen Anwendungspraxis und die damit zusammenhängenden Kund*innen-Wünsche imaginiert und im Testdesign und seiner konkreten funktionalen Ausstattung materialisiert (Akrich 1992: 208). Jeder Test ist also das Ergebnis von konkreten Interessen und Zielvorstellungen für den zukünftigen Platz des Tests in der Welt, was im Besonderen bewusste Entscheidungen der Entwickler*innen im Entwicklungsprozess umfasst, was der Test später können soll und unter welchen Bedingungen er dies zu vollziehen hat. Geradezu paradigmatisch schreibt Steinmeyer (2012b: 26; Herv. S. E.) vom Hersteller Dräger diesbezüglich:

„Durch das weite Eindringen nicht nur von Alkohol, sondern auch von anderen berauschenden Mitteln in den Alltag unserer Gesellschaft wird auch der analytische Nachweis [ebendieser Substanzen] immer wichtiger, um präventiv handeln zu können bzw. um durch anschließende Repressionen Grenzen aufzuzeigen. Neben der laborbasierten Analytik ist gerader vor Ort der Einsatz solcher analytischer Verfahren sehr nützlich, die einfach zu handhaben sind, schnell ein Ergebnis anzeigen können und auch naturgemäß wesentlich preisgünstiger sind. Besonders Drogenvortests können hier ein Schlüsselelement darstellen, um zeitnah mit wenig Analysematerial und Aufbereitungsaufwand eine ausreichend zuverlässige Aussage bezüglich eines Drogenkonsums zu geben. An solche qualitative Tests wird ein ganz anderes Anforderungsprofil gestellt als an die instrumentelle Ausstattung des Labors. Die Untersuchungsbedingungen im chemischen oder medizinischen Labor sind völlig andere als etwa bei einer Straßenverkehrskontrolle. Nachteinsätze, schlechtes Wetter oder hektische Situationen haben massiven Einfluss auf eine Testdurchführung und spiegeln nicht die Verwendbarkeit und Verlässlichkeit eines Testsystems unter Laborbedingungen wider. (…) Ein Drogenvortest braucht ein der Problemsituation angepasstes Prinzip und muss auch unter erschwerten Bedingungen innerhalb klar definierter Fehlergrenzen reproduzierbar genau funktionieren.“ (vgl. a. Schiffhauer 2008: 13)

Beim Drogenschnelltest lässt sich die soziale Aufladung nicht nur an der Tatsache veranschaulichen, dass im Vergleich zur Labordiagnostik nur mehr qualitative und weniger zuverlässige Aussagen getroffen werden können, um diskursiv präformierte Wünsche bedienen zu können, sondern auch mit Blick auf die jeweils genutzten Entscheidungsgrenzen der Tests, die festlegen, ab welcher Konzentration ein positives Ergebnis angezeigt wird. Die genutzten Grenzwerte sind nicht naturgegeben, sondern Ergebnis von gesellschaftlich-wissenschaftlichen Setzungen, und damit „quantifizierte Definitionen“ (Legnaro 2016: 287) und keine absoluten Entscheidungskriterien (allg. dazu: Lau/Keller 2001: 87; Wehling/Viehöver/Keller 2005: 151; Gugutzer 2009: 12 f.). Natürlich gibt es zwischen Personen, die sich in ihrer Metabolitenkonzentration von beispielsweise THC um wenige ng/ml unterscheiden, keine sinnvoll begründbaren Unterschiede, zumal nicht hinsichtlich des von ihnen ausgehenden Sicherheitsrisikos bzw. ihrer Arbeits- und/oder Verkehrsfähigkeit. Wenn dazwischen aber genau der Entscheidungswert liegt, ist dieser Grenzwert dennoch höchst wirkmächtig und folglich potentes „Medium des Regierens“ (Legnaro 2016: 301). Dabei haben wir im Falle des Drogentests nicht nur das erkenntnistheoretische Problem der Arbitrarität der Grenzwerte, sondern zusätzlich deren strategische Komponente zu beachten: Nicht nur gemäß dem biowissenschaftlichen Erkenntnisstand und den damit zusammenhängenden Affordanzen der Natur, sondern zusätzlich hinsichtlich der jeweiligen Anwendungsprämissen sind die in die Tests inskribierten Entscheidungsgrenzen höher oder niedriger – je nachdem ob das Kontrollnetz eher eng- oder weitmaschig ausfallen soll und je mehr oder weniger falsch-positive Ergebnisse in Kauf genommen werden. Deutlich wird damit, dass die Festlegung der Grenze, wann ein Test ein positives oder negatives Ergebnis anzeigt, prinzipiell auch eine diskursiv geprägte Entscheidung ist, die sich nicht von absoluten, natürlichen Kriterien ableiten lässt, sondern mitunter drogenpolitisch motiviert erfolgt (Schütz 1999: 63).

Die diskursive Präformierung von Drogentests ist auch beim Umgang mit dem Nullsummenspiel zwischen Sensitivität und Spezifität zu beobachten. Wie oben beschrieben, liegt die Spezifität bei modernen immunologischen Schnelltests bei über 99 %, die Sensitivität bei über 95 % (von Minden/von Minden 2002a: 225). Die Tests sind mithin so aufgebaut, dass eher falsch-positive denn falsch-negative Ergebnisse erzielt werden. Entsprechend konstatiert Schmid (2007: 288): „Die Spezifität für die getesteten Drogen sollte maximal hoch sein, damit in möglichst jedem Fall ein Drogenkonsum detektiert werden kann.“ Entsprechend betont Schütz (1999: 55) in diesem Zusammenhang, dass nach negativen Befunden zumeist keine Bestätigungsanalyse durchgeführt wird, da „die modernen Screeningverfahren kaum ‚falsch-negative‘ Ergebnisse liefern“. Die Gewichtung zwischen Sensitivität und Spezifität ist also eine bewusste Abwägung seitens der Testhersteller, die damit auf das antizipierte Sicherheitsverlangen der Test-Nutzer*innen reagieren, von denen sie zu wissen glauben, dass sie dem folgenden Motto zustimmen: Lieber eine (unnötig) verdächtigte Person zu viel als zu wenig (vgl. a. Jawork 2007: 30).

Die diskursive Aufladung gilt auch für das Portfolio der jeweils vom Test detektierbaren Drogen. Während für viele Anwender*innen am Arbeitsplatz schlicht die Palette der gängigsten Drogen die Auswahl bestimmt (z. B. B114: 25–29), sind für die Polizei nur diejenigen Substanzen von Interesse, die im Anhang des § 24a StVG aufgeführt sind, da nur mit diesen der Drogentatbestand erfüllt wird (vgl. Kap. 9). Bemerkenswert im Zusammenhang mit der Detektionspalette von Schnelltests ist zudem die Tatsache, dass mitunter mit einem Drogenschnelltest auf bestimmte Substanzen nicht getestet wird, es aus ökonomischer Sicht keinen Sinn ergibt, für diese einen Test zu konzipieren. Es wird beispielsweise nicht jede neue synthetische Droge von den Test-Entwickler*innen berücksichtigt. So betont der*die Repräsentant*in eines Drogentestherstellers, dass es schlicht nicht ökonomisch sei, für jede Modedroge, die nur eine kurze Zeit aktuell ist, einen neuen Test zu entwickeln (B118: 620–623; vgl. a. B113: 514 ff., 1388 ff.).Footnote 22 Der Hintergrund dieser Aussage ist der Umstand, dass synthetische Drogen zum Teil sehr einfach in ihrer chemischen Struktur veränderbar sind und dann nicht mehr von Drogentests detektiert werden können (B107: 1122–1141). Man müsste dann für jede Substanz-Neuschöpfung einen neuen Test produzieren, was sich aus unternehmerischer Perspektive schlicht nicht rechnet. Dazu auch ein*e Repräsentant*in eines anderen Testherstellers (B99: 316–323), auf die Frage antwortend, wie lang man benötige, um einen Test für eine neue Substanz herstellen zu können:

„Das ist unterschiedlich. Also das hängt immer davon ab… Also zum einen die Nachfrage. Letztlich muss sich die Entwicklung ja lohnen. Und dann wird eben geguckt: Gibt es diese Droge? Wird es diese Droge wahrscheinlich länger geben? Nicht, dass man den Test entwickelt und dann ist die Droge wieder vom Markt. So was gibt es nämlich auch. Und deswegen ist es ganz unterschiedlich. Also mal ist es ganz extrem was auf den Markt schwemmt. Und dann wird eben relativ schnell gehandelt. Manchmal ist es so: Dann kommt hier und da mal eine Anfrage. Dann lässt man sich einfach Zeit. Weil das Risiko zu hoch ist, dass man am Ende dann den Test nicht mehr braucht.“

Aber nicht nur die Drogentesthersteller, sondern auch deren Kund*innen, allen voran die testenden Unternehmen im Arbeitsplatzbereich, sind als ökonomische Akteur*innen zu betrachten. Dies impliziert, dass die dort getroffenen Entscheidungen immer auch unter Rückgriff auf finanzielle Gesichtspunkte getroffen werden. Dies gilt freilich auch für die Arbeit der Betriebsärzt*innen und damit für die Implementierung von Drogentests. Sowohl die grundsätzliche Entscheidung, ob Drogenkontrollverfahren eingeführt, als auch die Frage, wie die Testprozesse konkret ausgeführt werden sollen und auf welche Instrumente dabei zurückzugreifen ist, unterliegen mithin (auch) einem ökonomischen Kalkül. Somit können nur jene Testsysteme als implementierbar erachtet werden, die grundsätzlich als verhältnismäßig kostengünstig wahrgenommen werden. Von einem Drogentest wird also gefordert, dass er die an ihn gestellten Aufgaben in ökonomisch adäquater Weise erfüllen kann. Die Kostenfrage wird ergänzt durch jene der PraktikabilitätFootnote 23. Maßgebend sind nämlich nicht allein die finanziellen Bedingungen eines Testprodukts, sondern auch die tatsächlichen praktischen Voraussetzungen, die bei der Realisierung des Testvorgangs in der alltäglichen Routine zu beachten sind. Dazu gehören zum Beispiel die Dauer des Testprozesses, der Aufwand, der mit der Entnahme der Probe zusammenhängt und natürlich die Frage, welches Instrument für die Analyse der Proben notwendig ist. Dies macht z. B. folgende Passage aus einer Produktbroschüre für den Drogentest Dräger DrugCheck® 3000 deutlich, die sich explizit auf die Anwendung am Arbeitsplatz bezieht:

„Mit dem Dräger DrugCheck® 3000 wissen Sie in kürzester Zeit, ob jemand aktuell unter Drogeneinfluss steht. Der kompakte Drogenschnelltest auf Speichelbasis liefert Ihnen unkompliziert und kostengünstig verlässliche Testergebnisse vor Ort. Das Gerät im Hosentaschenformat braucht keinen Strom und ist daher überall einsetzbar.“ (Dräger 2017b)

Dass in der Folge die drogenanalytische Performanz eines Drogenschnelltests nur relativ zu diskursiv bedingten Faktoren von Bedeutung ist und dabei ein Nullsummenspiel virulent ist, zeigt darüber hinaus der folgende Kommentar eines*einer Repräsentant*in eines Drogentestherstellers (B118: 552–570), der*die über den von seinem Unternehmen vor allem für die Polizei und für Großbetriebe hergestellten Test als den bestmöglichen Kompromiss eines schnellen, genauen und günstigen Test spricht. Wenn die Schnelltests korrekt eingesetzt würden, könnten sie als geeignetes Puzzleteil in einem Gesamtkonzept ausgezeichnete Dienste leisten. So eingebettet wäre eine hundertprozentige Genauigkeit dann auch gar nicht notwendig.Footnote 24

Die Paraphrase bringt auf den Punkt, worauf es bei der Auswahl eines geeigneten Drogentests für den Arbeitsplatz respektive für den Straßenverkehr ankommt: Von Interesse ist keine absolute Zuverlässigkeit oder die größtmögliche Genauigkeit des Tests, sondern eine relative Zuverlässigkeit, die einen Kompromiss zwischen praktischen und ökonomischen Erwägungen darstellt.Footnote 25 Deshalb sind die Schnelltestanwendungen grundsätzlich als „Spagat“ (Scholer zit. n. Strässle 2002) zu bewerten, der in einem Spannungsfeld zwischen drogendetektorischer Validität einerseits und Praktikabilitätsanforderungen anderseits stattfindet. Ein weiteres Zitat eines*einer Mitarbeiter*in eines Drogentestherstellers stellt diesen Aspekt, unter Rückgriff auf eine Regenschirm-Metapher, pointiert heraus, indem er*sie sagt, dass man sich in der Tat einen größeren Regenschirm wünschen könne, obgleich derjenige, den man bereits besitzt, durchaus groß genug sei, um nur wenig nass zu werden. Dies wäre in jedem Falle besser, als gänzlich ohne Regenschirm dazustehen (B118: 673–676). Die Aussage eines*einer Toxikolog*in (B58: 417–422) bestätigt die ökonomische und pragmatische Bedingtheit der Schnelltestpraktiken:

„Es ist natürlich immer eine Frage des Geldes, also nach dem Motto: Es darf eigentlich am besten gar nichts kosten. Und die Schnelltestverfahren… ist natürlich praktisch, wenn ein Arbeitsmediziner im Werksärztlicher Dienst, Arbeitsmedizinischer Dienst, wenn der das in seiner Tasche hat und geht in die Unternehmen und, ich sage jetzt mal etwas salopp, fängt da an zu testen.“

Auch eine Passage von dem ehemaligen Arbeitgeber*innenrepräsentanten Bengelsdorf (2011: 46; Herv. S. E.) stellt die für die Testanwender*innen in der Arbeitswelt wichtigen Charakteristika eines Drogentests zusammenfassend heraus:

„International führende Unternehmen der Medizin- und Sicherheitstechnik in Deutschland unterstützen die vorsorgliche Abwehr des Substanzmissbrauchs in den Betrieben. Sie haben Geräte und Verfahren für einen unkomplizierten und diskreten Nachweis von Drogen und Alkohol mit schnellen und klaren Messergebnissen entwickelt.“

Maßgebend sind also nicht allein die finanziellen Bedingungen eines Testprodukts, sondern auch die tatsächlichen praktischen Voraussetzungen, die bei der Realisierung des Testvorgangs im Arbeitsalltag zu beachten sind (z. B. die Dauer des Testprozesses; der Aufwand, der mit der Entnahme der Probe zusammenhängt; die Frage, welches Instrument für die Analyse der Proben notwendig ist). Drogenschnelltests sind einfach zu bedienen, für ihre Handhabung muss nicht zwingend Expertenwissen vorausgesetzt werden, daher können sie, so das mit ihnen verbundene Versprechen, auch von Laien angewendet werden. Nicht zuletzt ist ein praktischer Vorteil ihres Einsatzes, dass sie unkompliziert in den Arbeitsalltag integriert werden können, da sie für rasche Ergebnisse bürgen und eine eindeutige Identifikation der Resultate zu erlauben versprechen, die eine zeit- und ressourcenraubende Aushandlung derselben obsolet werden lassen (vgl. Kap. 7).

Festzuhalten bleibt also, dass Drogenschnelltests keine a-sozialen, rein technischen Artefakte, sondern vielmehr von Grund auf immer schon diskursiv präformierte Produkte sind, die ihre spezifische materiale Form und detektorische Ausstattung ganz wesentlich auf der Basis von entsprechenden diskursiven Wissensbeständen und Interessenlagen zugewiesen bekommen. Der Drogenschnelltest als technisches Artefakt ist mithin das Ergebnis eines soziotechnischen Aushandlungsprozesses, der die ökonomischen und anwendungsorientierten Interessen signifikanter Kund*innengruppen (i. S. ‚relevanter sozialer Gruppen‘) mit dem bioanalytischen Stand der Technik kombiniert. Die Tests sollen also, anschließend an das Eingangszitat dieses Kapitels von Rheinberger (2002), relativ zuverlässige, mithin praktikable Antworten geben. Kurzum: Sie stellen scripted technology dar. In sie sind spezifische Skripte eingelassen, die bestimmte Annahmen und Hypothesen über die möglichen Anwendungskontexte von Drogenkonsumkontrollen beinhalten. Dieses Wissens schreibt sich schließlich in die Tests ein und wird im Zuge ihrer Anwendung reproduziert und ist dabei mit spezifischen diskursiven Effekten verbunden, wie in den Folgekapiteln veranschaulicht wird.