Drei Jahre bevor in New York am 11. September 2001 zwei gekaperte Flugzeuge im Rahmen eines als terroristischen Akt eingestuften Anschlags willentlich ins World Trade Center gelenkt wurden und damit drei Jahre, bevor die US-Administration begann, ihre sicherheitspolitische Ausrichtung verstärkt ins Vorfeld zu verlagern und dabei Figuren wie die unknown unknowns emergierten, die sich auf eine ebenso radikal offene wie riskante Zukunft bezogen, schreibt die langjährige Betriebsärztin von BASF, Hansi Kleinsorge, im Rahmen einer Publikation des Hauptverbandes der gewerblichen Berufsgenossenschaften namens Gefährdung der Sicherheit durch den Konsum illegaler Drogen den oben aufgeführten Satz. Sie nimmt damit eine präventive Rationalität vorweg, die sich gleichsam deckungsgleich in der auf 9/11 folgenden Neuorientierung US-amerikanischer Sicherheitspolitik wiederfindet. Eine Rationalität, die den vorausschauenden Impetus radikalisiert und in der Sicherheitssoziologie bzw. den Security Studies bereits seit Längerem unter dem Rubrum ‚Präemption‘ verhandelt wird. Der Hintergrund von Kleinsorges Zitat ist die im Diskurs der Arbeitswelt breit vertretene Meinung, dass Drogenkonsumierende das Risiko von Arbeitsunfällen steigen lassen, weshalb Drogentests eingesetzt werden müssen, um entsprechende Gefährdungen frühzeitig erkennen und betroffene Personen demgemäß so zeitig wie möglich neutralisieren zu können. Deshalb und obgleich auch Fragen der Gesundheit und der Produktivität als Motive von Drogentestanwendungen für Arbeitgeber*innen von Relevanz sind (Paul 2010: 163 f., 170–172; Egbert et al. 2018: 199–226), ist Sicherheit – im Sinne des Schutzes vor Arbeitsunfällen – die mit Abstand wichtigste Rationalität hinter Drogentestforderungen und -anwendungen im Kontext des Arbeitsplatzes. Ohnehin ist die Arbeitswelt einer derjenigen gesellschaftlichen Kontexte, in denen Drogentests am häufigsten angewendet werden (Egbert et al. 2018: 155). Es können zwar unterschiedliche Anwendungsformen von Drogentests in der Arbeitswelt unterschieden werden – so z. B. Konsumkontrollen im Nachgang eines (Arbeits-)Unfalls oder die Prüfung bei verhaltensbezogenen Auffälligkeiten von Arbeitnehmer*innen (Kauert 2004: 300–303; Egbert et al. 2018: 156; vgl. a. Tunnell 2004: 28–30) – im Folgenden werden jedoch vor allem die anlassunabhängigen Anwendungen fokussiert, da diese sehr deutliche Parallelen zur genannten Rationalität der Präemption aufweisen und damit die Wirkmächtigkeit der (hyper-)präventiven Motivation hinter Drogenkonsumkontrollen sehr deutlich aufzuzeigen vermögen. Und sie sind nicht nur interessant, da sie deutliche Parallelen zur Präemption im Sinne der post-9/11 Bush-Doktrin aufweisen, sondern auch deshalb, da deren Thematisierung eine wichtige Funktion von Drogentests hervorhebt: Drogentests dienen als Prognoseinstrumente für zukünftige Sicherheitsrisiken und lassen sich mithin – Grusin (2010) folgend – als Prä-Mediatoren, also als prognostische Instrumente zwecks Vergegenwärtigung zukünftiger Sicherheitsrisiken, denken. Der derartige Gebrauch von Drogentests ist vorliegend gerade deshalb von Relevanz, da er offenbart, wie grundsätzlich Drogentesten diskursiv aufgeladen und mithin eine soziotechnische Praxis ist, die aus menschlichen und nicht-menschlichen Handlungsanteilen besteht und wie groß bisweilen die epistemische Kluft ist, die zwischen IndikandumFootnote 1 und den aus dem Testresultat faktisch deduzierbaren Daten besteht und die auf kreativ-produktivem Wege soziotechnisch geschlossen wird (vgl. Kap. 8).

Die diesem Kapitel zugrundeliegende Grundannahme ist der klassischen Überlegung Ewalds (1993: 210) entlehnt, dass nichts von sich aus ein Risiko ist, hinter einem solchen folglich stets ein Konstruktionsprozess steht, in dessen Rahmen die jeweiligen Wissensbestände der beteiligten Akteur*innen und deren Perspektiven auf das ‚risikorisierte‘ Phänomen eine konstitutive Rolle spielen (vgl. a. Castel 1983: 61 f.). Der Forderung nach einer Einführung von Drogentests zwecks Erhaltung oder Steigerung der Arbeitssicherheit, geht demzufolge ein diskursiver Bedrohungskonstruktionsprozess voraus, dessen Ergebnis die Risikopopulation der drogenkonsumierenden Arbeitnehmer*innen ist, deren Existenz die wesentliche Vorbedingung der Forderung nach arbeitsplatzbezogenen Drogenkonsumkontrollen ist. Überdies sind im vorliegenden Zusammenhang die mittlerweile ebenso klassischen Ansichten von Buzan/Wæver/de Wilde (1998: 23–26) zum Topos der „securitization“ (Versicherheitlichung) gedankenleitend, die besagen, dass prinzipiell jedes Phänomen als Sicherheitsbedrohung diskursiviert und politisiert werden kann. Einen Sachverhalt zu versicherheitlichen, bedeutet konkret, ihn als erhebliches Risiko zu präsentieren, das neue Notfallmaßnahmen begründet und damit Interventionen außerhalb des normalen politischen Aktionsportfolios legitimiert.

Im Folgenden werde ich zunächst die Geschichte und Epistemologie der präemptiven Rationalität vorstellen, woran anschließend der Prozess der diskursiven Konstruktion von drogenkonsumierenden Arbeitnehmer*innen als Sicherheitsrisiko und die daran anknüpfende Legitimierung von verdachtsunabhängigen Drogenkonsumkontrollen rekonstruiert wird. In einem letzten Abschnitt wird schließlich konkreter untersucht, welche Rolle der Drogentest – verdichtet zum ‚Prä-Mediator‘ – im Zuge verdachtsunabhängiger Drogenkonsumkontrollen übernimmt.

1 Präemption und die Radikalisierung des präventiven Impetus’

Wie bereits angemerkt, wurde auf die Anschläge von 9/11 seitens der damals von George W. Bush geleiteten US-Administration mit einer programmatischen sicherheitspolitischen Wende reagiert (‚Bush-Doktrin‘, vgl. Dershowitz 2006: 153–164), die eine im Vorfeld drohender Gefahren intervenierende Kriegsführung beinhaltete und damit im Wesentlichen mit einer Redefinition und Ausdehnung des völkerrechtlichen Kriteriums der Imminenz, also der Unmittelbarkeit einer bevorstehenden Bedrohung, verbunden war (O’Hanlon/Rice/Steinberg 2002: 1). Der diesbezügliche legale Hintergrund liest sich dabei wie folgt: Gemäß Völkerrecht ist ein Präventivkrieg mit Verweis auf das universelle Gewaltverbot von Art. 2 der UN-Charta untersagt (Opitz/Tellmann 2011: 43). Es besteht indes eine Ausnahme von diesem Gewaltverbot, im Selbstverteidigungsrecht nach Art. 51 der UN-Charta, wo geschrieben steht, dass „im Falle eines bewaffneten Angriffs gegen ein Mitglied der Vereinten Nationen (…) [ein] naturgegebene(s) Recht zur individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung“ besteht (Bundesministerium der Justiz 1973: 465). Eine zweite völkerrechtliche Ausnahme des Gewaltverbots stellt der Fall des Staatennotstands dar – auch als ‚Webster-Formel‘Footnote 2 bekannt – die besagt, dass militärische Intervention im Namen der Vorbeugung auch dann erlaubt sei, wenn eine unmittelbar bevorstehende Bedrohung existiere und somit ein „Staatsnotstand“ (Dahm/Delbrück/Wolfrum 2002: 923) vorherrsche. Dies trifft in einer Situation zu, die laut Webster wie folgt zu charakterisieren ist: „instant, overwhelming, leaving no choice of means, and no moment of deliberation.“ (zit. n. Kunde 2007: 150) Die US-Administration, die als unmittelbare Reaktion auf 9/11 einen „war on terror“ ausgerufen hat (Bush o. J. [2001]: 68), stand also vor dem Problem, eine Umformulierung des Kriteriums der Unmittelbarkeit im Sinne der Webster-Formel durchführen zu müssen, damit auch deutlich abstraktere Risikoindikatoren darunter gefasst werden können (Kunde 2007: 182–185; Opitz/Tellmann 2011: 43). War nämlich das Kriterium der Imminenz bisher durch handfeste Indikatoren, wie z. B. sichtbare Kriegsvorbereitungen, operationalisiert, waren nun neue, abstraktere Maßstäbe anzusetzen, die zeitlich früher eingreifen, damit die terroristische Bedrohung möglichst zeitig identifiziert werden kann. Dies machte George W. Bush (2002a; Herv. S. E.) zum ersten Mal am 01. Juni 2002 bei einer Rede vor Absolvent*innen der Militärakademie in West Point, New York, deutlich:

„For much of the last century, America’s defense relied on the Cold War doctrines of deterrence and containment. (…) But new threats also require new thinking. Deterrence – the promise of massive retaliation against nations – means nothing against shadowy terrorist networks with no nation or citizens to defend. (…) We cannot defend America and our friends by hoping for the best. (…) If we wait for threats to fully materialize, we will have waited too long. (…) We must take the battle to the enemy, disrupt his plans, and confront the worst threats before they emerge.“

Diese neue Sicherheitsstrategie, welche eine neue Art des Zukunftsbezugs und Vorverlagerung der Risiko-Eintrittsschwelle impliziert, wurde detaillierter in der Nationalen Sicherheitsstrategie der USA von 2002 erläutert, in dessen Vorwort George W. Bush (2002b: 4; Herv. S. E.) zunächst erklärt:

„And, as a matter of common sense and self-defense, America will act against such emerging threats before they are fully formed. We cannot defend America and our friends by hoping for the best. So we must be prepared to defeat our enemies’ plans, using the best intelligence and proceeding with deliberation.“

In der Sicherheitsstrategie selbst heißt es dann:

„The United States has long maintained the option of preemptive actions to counter a sufficient threat to our national security. The greater the threat, the greater is the risk of inaction – and the more compelling the case for taking anticipatory action to defend ourselves, even if uncertainty remains as to the time and place of the enemy’s attack. To forestall or prevent such hostile acts by our adversaries, the United States will, if necessary, act preemptively.“ (The White House 2002: 14; Herv. S. E.)

Die Aussagen der damaligen US-Regierung zur neuen präemptiven Sicherheitsstrategie nach 9/11 offenbaren eine entscheidende Umdeutung des Kriteriums der Imminenz, da zukünftige nationale Bedrohungen nicht länger erst durch handfeste Indizien anerkannt werden, sondern sich bereits durch deutlich abstraktere, bisweilen spekulative Indikatoren manifestieren sollen (de Goede 2012: xxf.). Der Begriff der Präemption verweist hier also auf die diskursiven Bemühungen der US-Regierung, eine „Logik der antizipatorischen Verteidigung zu begründen, die nicht unter dem Titel des Präventivkriegs läuft“ (Opitz/Tellmann 2011: 44), womit nicht zuletzt eine „Überdehnung des Wortsinns von ‚imminent‘“ (Kunde 2007: 184) einhergeht.

Diese empirische Redefinition des Begriffs der Präemption und die entsprechende Neuausrichtung der US-Verteidigungsstrategie war Ausgangspunkt einer theoretischen Diskussion in den Security Studies, die insbesondere die epistemischen und praktischen Implikationen von Präemption als sicherheitspolitische Strategie zum Gegenstand hatte und das Konzept aus einer militärischen Engführung holte und als eine spezifische präventive Denk- und Handlungslogik, also Rationalität im Foucault’schen Sinne, konzeptualisierte (z. B. Aradau/van Munster 2007; de Goede/Randalls 2009; Anderson 2010; Amoore 2013).Footnote 3 Präemption wird dabei als eine spezifisch vorausschauende Bearbeitungsweise von Sicherheitsrisiken verstanden, die grundsätzlich einem präventiven, also vorbeugenden Prinzip folgt und folglich als präventive Praxis gelesen werden kann, indem sie den Impetus der Vorbeugung von Unerwünschtem radikalisiert. Sie repräsentiert somit eine Denk- und Bearbeitungsform von Sicherheitsrisiken, was u. a. impliziert, dass für die empirische Identifizierung einer solchen Logik einerlei ist, ob es sich um Gefährdungen im Sinne von security oder safety handelt; wichtig ist allein, dass es ein wirkmächtiges Referenzgut gibt, was als unsicher wahrgenommen wird.

Gemäß einer breit zitierten Analyse von Massumi (2015: 175) ist der Gegenstand von Sicherheitsmaßnahmen im Namen der Präemption seit 9/11 nicht also mehr die Suche nach den tatsächlichen Quellen von Bedrohungen, sondern nach ihren potenziellen Auslösern, die er als „Quasi-Ursache(n)“ bezeichnet. Blum (2016: 345) spricht in diesem Zusammenhang von einer „radikalisierte(n) (Form) der Ursachenprävention“. Das Prinzip der Präemption beschreibt Massumi (2015: 9 f.; Herv. z. T. S. E.) schließlich wie folgt: Dessen

„epistemology is unabashedly one of uncertainty, and not due to a simple lack of knowledge. There is uncertainty because the threat has not only not yet fully formed but (…) it has not yet even emerged. In other words, the threat is still indeterminately in potential. This is an ontological premise: the nature of threat cannot be specified. (…) The enemy is also unspecifiable. It might come from without, or rise up unexpectedly from within. You might, stereotypically, expect the enemy to be a member of a certain ethnic or religious group, an Arab or a Muslim, but you can never be sure. It might turn out be a white Briton wearing sneakers, or a Puerto Rican from the heartland of America (…). The lack of knowledge about the nature of the threat can never be overcome. (…) The threat is known to have the ontological status of indeterminate potentiality.“

Es ist eben diese Unwissenheit ob möglicher zukünftiger terroristischer Bedrohungen und die erklärte Notwendigkeit, dieses Nicht-Wissen für die Sicherheitsbehörden operationalisierbar zu machen, die vom damaligen US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld (2002; Herv. S. E.) in seinem berühmt-berüchtigten Statement verdeutlicht wird, wenn er auf die Frage nach Beweisen zu Massenvernichtungswaffen im Irak referiert:

„Reports that say that something hasn’t happened are always interesting to me, because as we know, there are known knowns; there are things we know we know. We also know there are known unknowns; that is to say we know there are some things we do not know. But there are also unknown unknowns – the ones we don’t know we don’t know.“

Indem Rumsfeld mit seiner Kategorie der unknown unknownsFootnote 4 verdeutlicht, dass es einen sicherheitspolitischen Zustand ohne Ungewissheit aufgrund der modernen terroristischen Bedrohung nicht mehr geben kann, und gleichzeitig andeutet, dass es hier nicht um einen Mangel an Wissen geht – ein Zustand, der prinzipiell revidierbar wäre –, sondern um die Unmöglichkeit von Wissen (Anderson 2010: 782), die sicherheitsstrategisch in Rechnung zu stellen sei, vollzieht er eine Problematisierung des herkömmlichen, probabilistisch argumentieren Risikokalküls (Daase/Kessler 2007: 412, 423–427). Es reiche schlicht nicht mehr, wie zu Zeiten der klassischen, stets konservativen-wahrscheinlichkeitstheoretisch fundierten Risikobestimmung, aus Vergangenem die Risiken der Zukunft zu extrapolieren (Opitz 2012: 281). Denn auf diese Weise sei immer nur das schon Bekannte aufdeckbar und es würden mithin Bedrohungen ausgeblendet, die eine bislang unbekannte Qualität aufweisten (Bröckling 2012: 99). Gerade deshalb gilt es alle denkbaren Bedrohungen zu imaginieren, um hinreichend abgesichert gegenüber der riskanten Zukunft zu sein.

Analog dazu argumentiert Amoore (2013: 9; Herv. S. E.), wenn sie Präemption dezidiert von herkömmlichen präventiven Maßnahmen abgrenzt:

„The specific modality of risk (…) has an anticipatory logic: it acts not strictly to prevent the playing out of a particular course of events on the basis of past data tracked forward into probable futures but to preempt an unfolding and emergent event in relation to an array of possible projected futures. It seeks not to forestall the future via calculation but to incorporate the very unknowability and pro-found uncertainty of the future into imminent decision.“ (vgl. a. Zedner 2009: 85; Massumi 2015: 5)

Es geht bei präemptiven Maßnahmen also um post-probabilistische Denklogiken, die die schiere Möglichkeit eines zukünftigen Risiko-Ereignisses zur Grundlage ihrer Imagination machen (Amoore 2013: 9). Vonseiten der damaligen US-Administration ist damit eine Wahrscheinlichkeitsschwelle verbunden, die nahe null liegt. Mit Dick Cheney, dem damaligen US-Vizepräsidenten, gesprochen: „A one percent chance of catastrophe must be treated ‘as a certainty’.“ (zit. n. Suskind 2006: 150) In dieser Logik zeigt sich die Redefinition des Kriteriums der Imminenz gleichsam in vollem Glanze: Indem die probabilistische Schranke so niedrig angesetzt wird, dass es Unwahrscheinlichkeit faktisch nicht mehr gibt, „(bleibt) (d)ie Unmittelbarkeit des Angriffs somit schlicht die Möglichkeit, in Bezug auf die sowohl in zeitlicher und räumlicher Hinsicht Ungewissheit besteht.“ (Opitz/Tellmann 2012: 44; i. O. m. Herv.) Präemption als Antizipationsmodus ist dabei performativ, da er gleichzeitig die Zukunft voraussagt und zum aktivierenden Gegenstand des Handelns in der Gegenwart macht – er ist „future-invocative“ (Cooper 2006: 125). Daraus folgt: „ein entgrenzter Aktionismus im Namen der Vorsorge.“ (Bröckling 2017: 104)

Die terroristische Gefährdung wird von den US-Behörden aber nicht nur als radikal ungewiss und damit als omnipräsent ob der Rahmenbedingungen ihres Eintreffens eingeschätzt, sondern gleichzeitig als potenziell höchst destruktiv (s. Cheney zit. n. Suskind 2006: 150). Auf Basis von worst case-Szenarien wird die Zukunft im Modus des Katastrophischen, vom denkbar schlechtesten Ende her gedacht (Aradau/van Munster 2011). Damit ist ein überaus wirkmächtiger Handlungsimperativ verbunden, der keinen Aufschub oder gar das Ausbleiben einer vorbeugenden Maßnahme erlaubt (Horn 2009: 94; Bröckling 2017: 104). Da man sicher zu wissen glaubt, dass eine erneute Attacke kommen wird, gleicht das antizipierte Bild der Zukunft einem ticking bomb-Szenario, das gleichsam jedwede Intervention in der Gegenwart legitimiert (vgl. z. B. Krasmann 2007: 78; Zedner 2012: 38 f.) und eine Umkehr der Beweislast impliziert: bevor man nicht beweisen kann, dass man ungefährlich ist, wird man als Bedrohung angesehen (Aradau/van Munster 2007: 103; Bröckling 2017: 102). Gerade deshalb gilt es alle denkbaren Bedrohungen zu imaginieren, um hinreichend abgesichert gegenüber der riskanten Zukunft zu sein. Ebendies konstatierte auch die parteiübergreifende Kommission des US-Kongresses (auch als 9/11-Kommission bekannt), die die Anschläge von 9/11 und deren Ursachen aufarbeitete. In der Kurzfassung ihres Abschlussberichts wird proklamiert, dass 9/11 gerade deshalb möglich war, da es den zuständigen Sicherheitsbehörden an antizipatorischer Kreativität gemangelt habe: „the most important failure was one of imagination.“ (9/11 Commission 2004a: 9; vgl. a. Salter 2008: 1, 3; de Goede 2008: 155 f.). Diese Aussage orientiert sich an einer Bemerkung des damaligen stellvertretenden Verteidigungsministers, Paul Wolfowitz, der sich Donald Rumsfeld gegenüber kurz nach 9/11 über ein „‚imaginatives Versagen‘“ der Sicherheitsbehörden und die dortige „Denkweise“ beklagte, „Potenzialitäten auszublenden“ (zit. n. 9/11 Commission 2004b: 336).Footnote 5

Aus dieser Problemeinschätzung folgt konsequenterweise, dass es neuer Techniken bedarf, die in der Lage sind, dass Undenkbare zu denken, das Unmögliche zu imaginieren. Egal, wie unwahrscheinlich eine Bedrohung auch sein mag, aufgrund der hohen antizipierten Schäden hat ihr Eintritt als hochwahrscheinlich zu gelten (s. Cheney zit. n. Suskind 2006: 150). Mit Amoore (2013: 9; Herv. S. E.) gesprochen, gehen die Sicherheitsbehörden damit von einer probabilistischen zu einer possibilistischen Logik.

Um eine solche possibilistische Logik präemptiv umsetzen zu können, bedarf es schließlich Technologien, die die (riskante) Zukunft in die Gegenwart holen können, die zur „Defuturisierung“ im Stande sind, also die Offenheit zukünftiger Potenziale reduzieren (Luhmann 1990: 130; vgl. a. Esposito 2007: 60, 84). Mit anderen Worten: Es werden Techniken benötigt, die „actionable suspicion“ (Suskind 2006: 166) generieren, mithin „action on the basis of incomplete knowledge“ (de Goede 2008: 164) ermöglichen. Die antizipierte, aber unbekannte Bedrohung muss, zumeist per technischer Unterstützung, Sicherheitsbehörden zugänglich und für sie handhabbar gemacht werden (Weber 2014; Krasmann 2015: 200); bisweilen auch nur deshalb, um den imaginativen und per se spekulativen Antizipationen präemptiver Politiken ins Gewand wissenschaftlicher Fakten und technologischer Neutralität zu kleiden (McCulloch/Wilson 2016: 76).

Der zukunftsgerichtete Impetus der Präemption ist nun keineswegs nur für unwahrscheinliche, potenziell katastrophische Ereignisse – auch „wild cards“ (Weber 2014) genannt – beobachtbar, wie sie im war on terror den Hauptgegenstand der imaginativen Bemühungen der Sicherheitsbehörden bilden. Sondern auch für viel alltäglichere Risiken (vgl. a. Zedner 2009: 86; McCulloch/Wilson 2016: 2, 133), wie im Folgenden mit Bezug auf verdachtsunabhängige Drogenkonsumkontrollen am Arbeitsplatz gezeigt wird, in deren Rahmen Drogentests als Prognoseinstrumente für drogenkonsumbezogene Risiken für die Arbeitsplatzsicherheit dienen.

2 ‚We don’t want to risk it!’ – Anlassunabhängige Drogenkontrollen am Arbeitsplatz

Wie werden Drogenkonsumierende als Sicherheitsrisiken diskursiv konstruiert und welche Parallelen zur präemptiven Rationalität nach 9/11 sind erkennbar? Dies soll im Folgenden behandelt werden, damit daran anschließend die entsprechende Rolle des Drogentests in diesem diskursiven Kontext herausgestellt werden kann. Die Analyse gliedert sich in vier Abschnitte: Zunächst wird allgemein gezeigt, wie Drogenkonsum als Sicherheitsrisiko in der Arbeitswelt diskursiv kontextualisiert wird. Danach werden die daran anschließenden Prozesse der Universalisierung des Verdachts und der Umkehr von Beweislast diskutiert, woraufhin die Rolle von worst case-Szenarien herausgestellt wird. Zuletzt gehe ich auf die Figur des*der ‚kompensierten Drogenabhängigen‘ als ‚Schläfer*in‘ ein und schließe mit der Darstellung, inwiefern Drogentests vor diesem Hintergrund als Prä-Mediatoren zu begreifen sind.

2.1 Drogenkonsum als Sicherheitsrisiko am Arbeitsplatz

Der grundsätzliche Impetus, am Arbeitsplatz verdachtsunabhängig auf Drogenkonsum zu testen, entstammt der Annahme, dass Drogenkonsum die geistige und körperliche Leistungsfähigkeit verringert und daher bei Drogenkonsumierenden mit einem erhöhten Risiko von Arbeitsunfällen zu rechnen ist (vgl. a. Egbert 2015: 178–184; Egbert et al. 2018: 159–199). Dies ist gleichsam die Grundannahme, die für alle Formen des Drogentestens in sicherheitsrelevanten Arbeitsbereichen wirkmächtig ist. Dabei geht es insbesondere um die angenommene negative Beeinflussung von Drogenkonsum auf die körperliche und geistige Leistungsfähigkeit der Konsumierenden. Die dabei gemeinsam geteilte und nicht hinterfragte Feststellung ist, dass Drogenkonsum per se ein Verhalten ist, dass die kognitive und körperliche Leistungsfähigkeit der Konsumente*innen per se beeinträchtigt und deshalb am Arbeitsplatz ein Sicherheitsrisiko darstellt. So konstatiert Hupfer (2002: 24), Betriebsärztin bei der BASF AG: „Drogenprobleme verursachen immense volkswirtschaftliche Kosten, führen nicht selten zu einer erheblichen Belastung des Arbeitsklimas in Betrieben und gefährden die Arbeitssicherheit nachweislich.“ Auch Breitstadt/Meyer (1998: 468) von der Degussa AG erklären: „Es muß (…) mit Drogennebenwirkungen gerechnet werden, da sie auch in Zeiten vorübergehender Abstinenz die psychomentale Leistungsfähigkeit derart beeinflussen, daß allein hieraus ein erhebliches Gefährdungspotential resultieren kann.“ Und Kleinsorge (1997: 307) von BASF konstatiert: „Im Falle von Alkohol- beziehungsweise Drogenkonsum (…) wird der betroffene Arbeitnehmer selbst zum Sicherheitsrisiko und damit unter Umständen eine Gefahr für sich und für seine Umgebung.“

Wie aber werden die sicherheitsgefährdenden Wirkungen von Drogen konkret ausbuchstabiert? Ein Zusammenschluss von Chemiearbeitgeber*innen (BAVC et al. o. J.: 3) argumentiert in diesem Zusammenhang, in beispielhafter Weise, wie folgt:

„Die meisten Drogen vermitteln ein falsches Gefühl von Stärke und Selbstsicherheit.

  • Bei einem Test fühlten sich Kokain- und Speed-Konsumenten am Steuer eines Autos von Minute zu Minute sicherer – bis sie mit überhöhter Geschwindigkeit aus der Kurve flogen.

  • Ähnlich bei Ecstasy: ‚Die Testperson überschätzte die eigenen Fähigkeiten maßlos und versuchte mit Tricks und Geschwindigkeit anzugeben‘, kann man im Internet nachlesen. ‚Auf Kritik reagierte sie entweder negativ oder gar nicht.‘

  • LSD führt manchmal zu tödlicher Risikobereitschaft; Haschisch setzt die Wahrnehmungsfähigkeit außer Kraft: Im Straßenverkehr verlieren Haschischraucher den Überblick, weil ihre Konzentrationsfähigkeit stark eingeschränkt ist.“ (vgl. a. Nadulski et al. o. J.: 3)

So auch in der betriebsinternen Richtlinie eines Unternehmens aus der Schwerindustrie (D1: 1):

„Der Konsum von Alkohol, der nicht bestimmungsgemäße Gebrauch von Medikamenten und die Einnahme von Cannabis (Haschisch) oder harten Drogen verändern die Wahrnehmung der Umgebung, beeinflussen das Reaktionsvermögen und können zu Persönlichkeitsveränderungen sowie zum Ignorieren von sozialen Verpflichtungen führen. Eine Beeinflussung durch diese Stoffe ist daher mit einer Tätigkeit in unserem Unternehmen nicht vereinbar.“

Fast wortgleich findet sich ein Passus in der Betriebsvereinbarung eines metallverarbeitenden Unternehmens (D2: 1):

„Der Konsum von Alkohol und anderen Suchtmitteln beeinträchtigt die Leistungs-, Konzentrations-, Wahrnehmungs- und Reaktionsfähigkeit. Dies wirkt sich auf die Zuverlässigkeit und die Gesundheit der Mitarbeiter sowie auf die Qualität der Arbeit aus und kann zu erheblichen Selbst- und Fremdschäden führen.“

Der Toxikologe Kauert (2005: 22) konstatiert wiederum: „Es zeigt sich insbesondere, dass auch bei sogenannten weichen Drogen psychomentale Belastbarkeit, Daueraufmerksamkeitsleistung, realistische Risikoeinschätzung und konzeptionelles Denken über lange Zeit beeinträchtigt sind.“ Nadulski et al. (o. J.: 3) wiederum schreiben in einer Broschüre zum Workplace Drug Testing, dass Drogenkonsum aufgrund seiner psychotropen Wirkungen die Arbeitsfähigkeit unumgänglich negativ beeinflusse: „Dazu zählen neben verminderten mentalen und intellektuellen Fähigkeiten auch Einschränkungen der Vigilanz, der Reizaufnahme und des Reaktionsvermögens.“ Und der ehemalige Arbeitgeber*innenvertreter Bengelsdorf (2009: 110 f.) argumentiert ebenso plastisch wie facettenreich:

„Die Einnahme von Drogen hat bereits bei niedriger Konzentration im Körper (…) gravierende schädliche Auswirkungen auf das psychische und physische Leistungsvermögen des drogierten Mitarbeiters. Insbesondere seine Fähigkeit zu einem sicherheitsgerechten Verhalten wird massiv gestört. (…) Das trifft uneingeschränkt auch für den angeblich harmlosen Konsum von Cannabisprodukten in allen Verkehrsformen (Haschisch, Marihuana, Haschischöl) zu. (…) Drogen greifen (…) das zentrale Nervensystem mit den Folgen an, dass während des Rauschverlaufs und der Phase seines Abklingens individuell differenzierte, weder berechenbare noch vorhersehbare Beeinträchtigungen in Form von Konzentrations-, Wahrnehmungs- und Denkstörungen, Änderungen des Zeiterlebens, Aufmerksamkeitsdefiziten mit Realitätsverkennungen beim konsumierenden Mitarbeiter festzustellen sind. Das Abschätzen von Längen, Breiten, der Geschwindigkeit und von Lasten ist bei ihm reduziert. Die Augenstarre nach Cannabisgebrauch oder die engen Pupillen nach Heroineinnahme verursachen Sehbehinderungen. (…) Es bedarf keiner näheren Begründung, dass derartige drogenkonsumbedingte Effekte zwingend Ausfallerscheinungen in allen arbeitsvertraglich relevanten Leistungsbereichen verursachen, die uneingeschränkte psychische und physische Fähigkeiten voraussetzen. Eine vertragsgemäße sicherheitsgerechte Pflichtenerfüllung wird damit selbst bei einfachen Tätigkeiten ausgeschlossen und die Eigengefährdung des drogenlabilen Mitarbeiters, die Gefährdung von Leben und Gesundheit der Belegschaftsangehörigen sowie Dritter und der Sicherheit der Betriebsanlagen deutlich gesteigert.“

Die Annahme, dass Drogenkonsum per se das Leistungsvermögen der Konsumierenden tangiere, wird schließlich mit der These kombiniert, dass auch in der Arbeitswelt Drogenkonsumierende anzutreffen, diese also auch ein Problem für die Arbeitnehmer*innen darstellen, dessen es sich anzunehmen gilt. Die Vermutung, dass auch im eigenen Betrieb drogenkonsumierende Mitarbeiter*innen anzutreffen seien, erwächst vor dem Hintergrund eines zweifachen Rückgriffs auf statistisch hergeleitetes Wissen, welches sich auf die gesellschaftliche Verbreitung und Verteilung von Drogenkonsum bezieht. Im Zuge dessen ist ein argumentativer Dreischritt zu beobachten: Erstens wird konstatiert, dass ein gewisser prozentualer Anteil der Bevölkerung Drogen konsumiert und dass zweitens solche Verhaltensweisen nicht auf spezifische gesellschaftliche Gruppen reduzierbar sind und Drogenkonsum nicht an der sozialen Schichtenzugehörigkeit abgelesen werden kann, woraus drittens geschlossen wird, dass nicht anzunehmen ist, dass Mitglieder dieser Teilpopulation außerhalb des Arbeitsmarktes verbleiben. Denn Betriebe sind in ihrer Personalzusammensetzung stets als „Spiegelbild der Gesellschaft“ (BAVC 2007 [1996]: 69; Breitstadt/Kauert 2005: 5) zu betrachten (vgl. a. Saake/Stork/Nöring 2001: 421; BAVC et al. o. J.: 2; Gravert 2013: 243): „Unsere Unternehmen sind Spiegelbild der Gesellschaft; daher ist es angebracht, den in der Gesellschaft verbreiteten Drogenkonsum in gleicher Weise in unseren Betrieben zu unterstellen.“ (Strack 2006, 64) So formuliert auch Bengelsdorf (2009: 110): „Der Gebrauch dieser [illegalen] Drogen gehört in Deutschland mittlerweile zur bedauerlichen Normalität und gesellschaftliches Konsumverhalten setzt sich im Betrieb als Spiegelbild der gesamtgesellschaftlichen Drogenproblematik fort.“ Daraus folgt: „(D)ie Sucht macht vor dem Firmentor nicht halt.“ (FSFootnote 6/Eder 2013: 5)

Die dreischrittige Argumentationslogik wird von dem*der Leitenden Betriebsärzt*in einer Flughafenbetreibergesellschaft wie folgt auf den Punkt gebracht (B111: Abs. 32):

„Man weiß, dass zwischen vier und sechs Prozent illegale Drogen in der Bundesrepublik konsumiert werden und dann war einfach die Frage, hört das auf vorne am Tor des Unternehmens, ja oder nein. Und wenn man das zur Kenntnis nimmt und sagt, nein, es kann nicht sein, dass es aufhört, dann haben wir im Zweifelsfall auch dann vier bis sechs Prozent unserer Mitarbeiter, die – in welcher Form auch immer – Drogen, illegale Drogen konsumieren oder aber zeitweise konsumieren oder zumindest diesem Kreis näher sind. So, und wenn man das jetzt einfach mal zahlenmäßig anschaut, muss man sagen, dann haben wir als Unternehmen im sicherheitsrelevanten Bereich ein Problem, dem Problem sollten wir uns annehmen, Punkt.“ (vgl. a. B84: Abs. 39ff.)

Dies wird bisweilen mit eigenen (kleineren) statistischen Erhebungen verifiziert, wie z. B. im Falle von Betriebsärzt*innen, die im Volkswagenwerk in Kassel, welches damals wesentlich mit metallverarbeitenden Tätigkeiten beauftragt war, tätig waren. Auf Basis der eigenen mehrjährigen Erfahrungen mit Drogentests im Einstellungsverfahren kommen sie zu folgendem Schluss:

„In durchschnittlichen Bewerberkollektiven ist von einer Prävalenz von 5–10% Konsumenten illegaler Drogen auszugehen. (…) In unserem Probandenkollektiv von fast 3000 Bewerbern in den letzten 5 Jahren stabilisiert sich die Rate von Positivfunden sogar eher bei 10%.“ (Saake/Stork/Nöring 2001: 422; vgl. a. Wahl-Wachendorf et al. 2002: 22; Gaber 2010: 7; Kittel/Kegel 2001: 425)

Und resümierend wird an anderer Stelle in Bezug auf deutsche Unternehmen formuliert:

„Drogenuntersuchungen werden routinemäßig bei Einstellungsuntersuchungen in Deutschland bei Fluggesellschaften, der Polizei, Chemie- und Stahlfirmen (BASF, Aventis, Degussa, Saarstahl, Krupp) sowie bei Automobilfirmen (Daimler-Chrysler, VW, Bosch, MTU) durchgeführt. Dabei konnte ein positiver Drogennachweis bei 1 bis 17 % der Untersuchten festgestellt werden: Bei Degussa 5,9 %, Krupp/Mannesmann 17 %, VW 2 %, Heidelberger Druckmaschinen 3 %, Daimler-Chrysler 1 %.“ (Kittel/Kegel 2001: 426).

Die Feststellung, dass es auch im eigenen Unternehmen gemäß statistischer Schlussfolgerung und bisweilen eigener Erfahrungen (vgl. Egbert et al. 2018: 162) Drogenkonsumierende gibt bzw. geben muss, wird in einem ergänzenden Schritt mitunter in einen Dringlichkeitskontext gestellt, indem betont wird, dass sich der drogenkonsumierende Anteil der Bevölkerung sukzessive erhöht, demnach das Risiko von drogenbedingten Arbeitsunfällen beständig steigt: So schreibt Schubert (2000: 13), damals Leitender Betriebsarzt der VEBA Öl Verarbeitungs GmbH in Gelsenkirchen: „Da auch anhand von statistischen Erhebungen ein steigender Konsum illegaler Drogen festzustellen ist, ist es notwendig, dass die Betriebe sich diesem Thema stellen.“ Ähnlich betonen Breitstadt/Kauert (2005: 5) zu Beginn ihrer „Faktensammlung für Betriebsleiter“ mit dem programmatischen Titel „Der Mensch als Risiko und Sicherheitsreserve“:

„In der heutigen Gesellschaft nehmen Lifestyle Drugs sowie illegale Rauschdrogen einen immer größer werdenden Raum bei damit befassten Berufsgruppen und Institutionen (…) ein. (…) Insbesondere bei den Partydrogen ist seit den 90er-Jahren ein dramatischer Anstieg der Drogenkonsumtätigkeit zu verzeichnen.“

Ähnlich drückt es der Leitende Betriebsarzt der Hüttenwerke Krupp Mannesmann GmbH, Panter (2002: 285), aus: „Die Veränderungen in der Gesellschaft haben dazu geführt, daß auch in zunehmendem Maße andere Drogen [als Alkohol] in der Arbeitswelt eine Rolle spielen, vom Haschisch angefangen über Kokain bis zum Heroin konsumierenden Mitarbeiter.“ (vgl. a. BAVC 2007 [1996]: 70).

Dem Postulat der stetig steigenden Zahl von Drogenkonsument*innen ist die These nah verwandt, dass die gegenwärtige Gesellschaft zunehmend drogenliberaler, Drogenkonsum stetig akzeptierter wird und daher wiederum mit vermehrtem Drogengebrauch zu rechnen ist (vgl. a. Maurer 2011: 106). So äußert auch der*die Betriebsärzt*in B113 (Abs. 42):

„Wir leben eigentlich in einer drogenliberalen Gesellschaft: Drogen sind Ausdruck des Lifestyles, die sind auch nicht mehr schuldbewehrt; Drogenkonsum ist nicht mehr schuldbewehrt. Die Polizei kümmert sich ja eigentlich nur noch um die Dealerstrukturen, aber nicht mehr um die Endverbraucher und damit kriegen wir eine ganz neue Qualität.“

Ähnlich argumentiert Breitstadt zusammen mit seiner betriebsärztlichen Kollegin Müller (2011: 1):

„Wir leben in einer gesellschaftlich medialen Situation, in der der Substanzkonsum in weiten Bevölkerungsteilen als eine Begleiterscheinung unserer westlichen Kultur akzeptiert oder verharmlost wird. Die meisten europäischen Gesellschaften tolerieren historisch ein sehr hohes Konsumniveau psychoaktiver Substanzen. Daraus resultiert, dass sich die Übergänge vom noch kontrollierten Gebrauch bis hin zum Suchtkonsum häufig unentdeckt, unspektakulär, schleichend und unbemerkt vollziehen. Dies gilt sowohl für den Betroffenen selbst als auch für sein Umfeld.“

Entworfen wird auf diese Weise ein, dem aus der Anti-Terror-Rhetorik bekannten ticking bomb-Szenario nicht unähnlicher Zukunftsbezug, welcher von einer stetig nahenden Gefahr ausgeht, die mit großer Wahrscheinlichkeit zum Unglück führt, wenn nicht verhindernd eingegriffen wird.

Als Folge der Kombination der Erkenntnisse, dass Drogenkonsum per se ein risikoträchtiges Verhalten ist und gleichzeitig Drogenkonsumierende auch in der Arbeitswelt zu erwarten sind, werden bisweilen in imaginierten Szenarien die erwarteten Auswirkungen von Drogenkonsum auf die Arbeitsperformanz exemplarisch und konkretisierend plausibilisiert. So stellen Kauert/Breitstadt/Falke (1998: 459; i. O. m. Herv.), am Beispiel on Gabelstaplerfahrer*innen, folgende, über imaginierte Szenarien hergeleitete Drogengefahren dar:

„Der Staplerfahrer unterscheidet sich vom Autofahrer abgesehen von den Geschwindigkeitsunterschieden dadurch, daß er dreidimensional agieren muss: Also nicht nur räumlich vorne, hinten und seitlich, sondern auch noch nach oben. Darüber hinaus hat er zwei wesentliche physikalische Gesetze zu beherrschen: nämlich Last und Hebelarm. (…) (D)er Staplerfahrer (muß) bei Wahrnehmung eines Reaktionsanlasses wie z. B. eines Fußgängers, der sich auf das Gefährt zu bewegt aber in eine andere Richtung schaut, erkennen und entscheiden, ob eine Gefahr droht oder nicht, wenn ja, muß er dann überlegen, was er tut: bremsen oder ausweichen. Hat er nun auch noch eine Last auf der Gabel, muß er entscheiden, ob dabei eine Gefahr durch Herunterfallen des Ladegutes für den Fußgänger oder ihn selbst droht. Insgesamt also eine Fülle von lebenswichtigen Entscheidungen, die er nur im nüchternen, trainierten und ausgeglichenen Zustand mit hoher Wahrscheinlichkeit richtig fällt.

Der Heroin konsumierende Staplerfahrer, der eben noch auf der Betriebstoilette seinen nach Stoff verlangenden Körper mit einem Schuß oder einer Prise Heroin versorgt hat, wird je nach Gewöhnung in den ersten Minuten nach Einverleibung der Droge gar nicht fähig sein, irgend etwas [sic] zu tun. Aber nach dieser Rausch-Phase, wenn der Körper noch ausreichend mit Stoff versorgt ist, wird er mit stecknadelkopfkleinen Pupillen herauskommen, sich auf seinen Gabelstapler setzen und ihn rangieren können. Daß er dies alles etwas langsamer macht, mag ja noch scheinbar im Sinne der Sicherheit sein, spätestens aber bei Auftreten einer kritischen Situation, die die eben beschriebene Gefahrenabwehr zur Folge haben muß wird er durch seine Beeinträchtigung versagen: Befindet er sich z. B. in einer Vorphase des Entzugs, so richtet sich seine ganze Aufmerksamkeit darauf, wieder Stoff zuzuführen und bloß nicht in das höchste unangenehme Entzugsstadium zu geraten. Er ist also im höchsten Maße abgelenkt.

Nehmen wir den Aufputschmittel konsumierenden Staplerfahrer, so wird er sich, wenn er an diese Stoffe bereits gewöhnt ist, vor Arbeitsbeginn noch Stoff einverleiben, um eben fit zu sein. Während der Wirksamkeit der Droge wird er hellwach sein, weite, lichtträge Pupille haben und sich so fühlen, als ob er jede Situation meistern kann. Er überschätzt sich, und stellt somit ein eindeutiges Gefahrenrisiko dar. Läßt die gewünschte Aufputschwirkung nach – und das tritt mit zunehmender Drogengewöhnung immer rascher ein, so schlägt die aufputschende Wirkung in eine Erschöpfungsphase um, in der die Konzentrationsfähigkeit, Vigilanz und das Reaktionsvermögen erheblich beeinträchtigt sind, die Gefahrenerkennungszeit verlängert wird und die Gefahrenabwehr unter Umständen nicht mehr rechtzeitig erfolgt.

Nehmen wir schließlich den Cannabiskonsumenten, der in der Arbeitspause einen Joint geraucht hat: Er wird sich gut gestimmt, mit ebenfalls großen lichtträgen Pupillen auf seinen Stapler setzen und diesen rangieren, allerdings wird er, da er seine Beeinträchtigung spürt, etwas vorsichtiger agieren; denn seine unbewußte Aufmerksamkeitssteuerung ist beeinträchtigt, da er Wichtiges von Unwichtigem nicht mehr unterscheiden kann, seine Wahrnehmungsfähigkeit ist gestört. Ebenso ist sein räumliches Sehen verändert, er kann Entfernungen nicht mehr richtig abschätzen, und ist in seinem Zeitgefühl gestört: Alles läuft für ihn langsamer ab als in Wirklichkeit. Seine motorische Koordinationsfähigkeit z. B. der oberen Extremitäten ist gestört. Wenn er eine feinmotorische Steuerbewegung machen muß, gerät er ins Zittern, es entsteht der sog. Intentionstremor.“

Hier sehen wir eine ähnliche, auf die Produktion von strategisch nutzbarem Zukunftswissen zielende Wissenstechnik wie im war on terror, das scenario planning, welches über Rollenspiele und Simulationen das Entwerfen von imaginativen Zukunftsvisionen zum Gegenstand hat, um die probabilistisch unvorhersehbaren Risiken der Zukunft präsent zu machen (Der Derian 2005: 30; Amoore/de Goede 2008: 11; Opitz/Tellmann 2011: 28–30).Footnote 7 Zwar technisch durchaus weniger avanciert, dennoch gleichwertig spekulativ im Imaginationsgehalt, werden Risiken durch Drogenkonsum auf Basis von fiktiven Szenarien aufbereitet und schließlich zur Legitimation von Drogenkonsumkontrollen, zum Teil bereits im Einstellungsverfahren, herangezogen. Hypothetisch sind diese Szenarien deshalb, da es bis dato so gut wie keine empirischen Vorbilder für solcher Art drogenbedingter, arbeitsplatzbezogener Unfallszenarien gibt, stattdessen abstraktes Drogen(wirkungs)wissen zur Modellierung katastrophischer Visionen herangezogenen wird.Footnote 8

2.2 Universalisierung des Verdachts

Einige Unternehmen folgern nun aus der argumentativen Trias, die pauschal eine gewisse Prozentrate an Drogenkonsumierenden im eigenen Betrieb nahelegt, die zudem nicht (mehr) einer spezifischen Personenschicht gezielt zuordenbar sind, dass es anlassunabhängige Drogenkonsumkontrollen per Drogentest einzuführen gilt, um das mit Drogenkonsumierenden verbundene Risiko für die Arbeitssicherheit zu minimieren. Solche verdachtslosen Kontrollen werden zumeist im Einstellungsverfahren vollzogen, da in diesem Zusammenhang die arbeitsrechtlichen Regelungen eine einfachere Implementierung erlauben (Egbert et al. 2018: 158). Aber auch die anlassunabhängige Drogentestung im bestehenden Arbeitsverhältnis ist rechtlich bereits als zulässig eingestuft worden (s. ArbG Hamburg 2006).

Das wesentliche Motiv verdachtsunabhängiger Drogenkonsumkontrollen entspringt der Unsichtbarkeit von Drogenkonsumierenden: Zum einen wird – wie bereits oben vermerkt – betont, dass Drogenkonsum kein schichtbezogenes Charakteristikum (mehr) ist, man also nicht mehr ohne Weiteres von der soziokulturellen Stellung einer Person auf Drogenkonsum schließen kann. Damit geht zum anderen einher, dass Drogenkonsum in unterschiedlichen Erscheinungsformen vorkommt und demnach nicht auf das oft zitierte Pauschalbild des verwahrlosten Fixers – der äußerlich vermeintlich leicht erkennbar ist – zu reduzieren ist. Entsprechend schreibt Strack (2006: 66), Personalberater bei der Degussa AG: „Da aber gerade das Erscheinungsbild des verelendeten Junkies, die in unseren Unternehmen keine Rolle spielen, das öffentliche Empfinden prägen, fehlt es zwangsläufig an der Wahrnehmung für die unspektakulären Fälle.“ Es kann schlicht „heute nicht mehr von ‚typischen Drogenabhängigen‘ gesprochen werden.“ (Kleinsorge 1996: 34) Auch Steinmeyer (2012b: 28) vom Drogentesthersteller Dräger konstatiert:

„Entgegen weit verbreiteter Vorurteile wird das Bild nicht mehr geprägt durch den verkommenden und arbeitsunfähigen Junkie. Der Großteil der Konsumenten steht in einem normalen Arbeitsverhältnis, führt ein scheinbar geregeltes Leben und bleibt, da eine Abhängigkeit oftmals meisterhaft vertuscht wird, mit ihrem Problem oft allein.“ (vgl. a. Kleinsorge/Bremmer 1996: 302)

Ergänzend formuliert der Toxikologe Ewald (2011: 37) in einer Beitragssammlung für betriebliche Drogenpolitik: „Die Aufschlüsselung forensischer Daten (…) zeigt, dass Drogenkonsum weit verbreitet ist und durch alle Altersgruppen als auch alle Gesellschaftsschichten geht: Schüler, Ausbilder, Hilfsarbeiter, arbeitslose Personen, Hochschulabsolventen.“ Er sieht in der Folge eine „‚Durchseuchung‘ der Allgemeinbevölkerung mit Drogen“ (2011: 37; vgl. a. Saake/Stork/Nöring 2001: 422). Und auch für den Bahnverkehrssektor äußert der Leitende Arzt der Deutschen Bahn, Gravert (2013: 246), mit Blick auf Alkohol:

„Es sind heute nicht mehr vorrangig die einfachen Mitarbeiter wie Rangierer oder Bauarbeiter, die Bier und Schnaps in ihren Sozialräumen lagern und schon während der Arbeitszeit oder in der Mittagspause übermäßig trinken, wie dies vielleicht vor 30 Jahren noch gebräuchlich war. Mittlere Führungskräfte, Mitarbeiter im Außendienst oder selbstständige Berater ohne feste Arbeitszeiten sind durch hohe Stressbelastung, ihre Sandwichposition zwischen Beschäftigten und anspruchsvollen Unternehmenszielen sowie durch unregelmäßige Schlaf- und Essenszeiten sowie häufig wechselnde Einsatzorte heute viel mehr für einen unvernünftigen Umgang mit Alkohol und ein Abgleiten in behandlungsbedürftiges Suchtverhalten gefährdet.“

Am explizitesten äußert sich diesbezüglich ein Zusammenschluss von Chemiearbeitgeber*innen (BAVC et al. o. J.: 2):

„Von der Drogenproblematik sind alle Hierarchieebenen betroffen, auch wenn die Mittel verschieden sein mögen. (…) Die Fixer am Bahnhof sind nur der sichtbare Teil des Drogenproblems. Der unsichtbare Teil ist größer. (…) Drogenkonsum beschränkt sich nicht mehr auf Randgruppen.“

Mit dieser These von der Auflösung des typischen Drogenkonsumierenden wird also die Annahme verbunden, dass man den gemeinen Drogenkonsumierenden somit auch nicht mehr erkennen kann. Die Betriebsmediziner*innen der Deutschen Bahn, Kittel/Kegel (2001: 427), betonen in diesem Zusammenhang:

„Die bisherigen Ergebnisse zeigen, dass routinemäßige Drogentestungen auch in Verkehrsbetrieben – in sicherheitsrelevanten Bereichen – durchgeführt werden sollten, da sozial angepasste Drogenkonsumenten bei Einstellungsgesprächen, ärztlichen Untersuchungen und psychologischen Eignungstestungen nicht auffallen.“

Und noch ausführlicher formuliert Kleinsorge (1997: 304), Betriebsärztin bei BASF:

„Das Bild, das die Gesellschaft von Drogenabhängigen hat, orientiert sich an der kleinen Gruppe verelendeter Junkies, über die in den Medien immer wieder berichtet wird. Es wird verkannt, daß illegale Drogen seit Jahren im ‚normalen‘ Leben eine Rolle spielen. Auch unsere Annahme, Drogenkonsumenten würden sehr schnell mit sozialen Normen brechen und dadurch frühzeitig aus dem Arbeitsleben ausscheiden, hat sich als falsch erwiesen. (…) Nach unseren bisherigen Beobachtungen bewirkt Alkohol wesentlich stärkere Veränderungen des äußeren Erscheinungsbildes, was zudem durch den Foetor alcoholicus [Alkoholfahne] verstärkt wird. Es ist eher die Regel, daß Drogenkonsumenten nicht durch äußerliche Veränderungen auffallen.“

Mit Fokus auf die anlass- oder verdachtsunabhängigen Drogentestanwendungen gilt es also festzuhalten, dass zunächst auf Basis abstrakter Inferenzschlüsse pauschal von einer Existenz von Drogenkonsumierenden im eigenen Betrieb ausgegangen wird, die überdies als zumeist nicht äußerlich erkennbar wahrgenommen werden. Dies stellt die besorgten Arbeitgeber*innen folglich vor ein Identifizierungsproblem. Damit wird von zahlreichen Unternehmen mit der Implementierung von verdachtsunabhängigen Drogenkonsumkontrollen bereits im Rahmen des Bewerbungsverfahrens reagiert, indem alle – egal, ob die jeweilige Person zuvor einschlägig verdächtig geworden ist – Bewerber*innen einen (negativen) Drogentest ablegen müssen, um ein positives Gesundheitsgutachten für die angestrebte Tätigkeit bekommen zu können.Footnote 9

Indem also eine Person, ohne dass sie selbst zu diesem Verdacht beigetragen hat, auf Drogenkonsum getestet wird, also als potenziell gefährlich für die Arbeitssicherheit klassifiziert wird, kann in diesem Zusammenhang folgerichtig von einer Universalisierung des Verdachts gesprochen werden, die eine Umkehr der Beweislast zur Folge hat: Es ist nicht an den Arbeitgeber*innen, nachzuweisen, dass die Bewerber*innen ein Arbeitsplatzrisiko darstellen und es deshalb angezeigt ist, Drogentests bei ihnen durchzuführen. Vielmehr werden umgekehrt die betreffenden Personen pauschal verdächtigt, Drogen zu konsumieren und ein Risiko für die Arbeitssicherheit zu sein. Entlastung kann nur über einen negativen Drogentest geschaffen werden. Von dem her werden die Testsubjekte genauso behandelt, wie es im war on terror auch verstärkt mit Fluggästen getan wird, die im Rahmen präemptiv motivierter Sicherheitskontrollen an Flughäfen in toto als potenziell gefährlich angesehen werden und fernab individuell konstituierter Verdachtsmomente ihre Unbedenklichkeit nachweisen müssen (z. B. Krasmann 2014: 328).Footnote 10 Für die zu testende Person bedeutet dies: Ohne sich aufgrund ihres eigenen Verhaltens verdächtig gemacht zu haben, allein auf Basis ihrer Zugehörigkeit zu einer spezifischen, aber nicht minder großen statistischen Grundgesamtheit, wird sie zu einem Drogentest verpflichtet und muss in diesem individuellen, verhaltensbezogenen Sinne gänzlich grundlos, bisweilen unter Sicht, urinierend ihre Unschuld unter Beweis stellen. Augenfällig wird bei diesem Beispiel, wie die Logik des Vorgriffs den Verdacht generalisiert und unabhängig individueller Risikoprofile auf die Überprüfung aller Personen der betreffenden Grundgesamtheit insistiert.Footnote 11

2.3 Worst case-Szenarien

Einen besonderen Stellenwert bei der präemptiven Bearbeitung von drogenkonsumbezogenen Sicherheitsrisiken am Arbeitsplatz nehmen die sogenannten gefahrengeneigten bzw. sicherheitsrelevanten Tätigkeitskontexte ein. Darunter sind alle Jobs zu verstehen, die ein hohes Maß an Selbst- und Fremdgefährdung implizieren. Die Berufsgenossenschaften konkretisieren entsprechende Tätigkeitsbereiche, indem z. B. „das Führen von Fahrzeugen oder selbstfahrenden Arbeitsmaschinen“ oder das „Arbeiten an Maschinen mit ungeschützten, sich bewegenden Maschinenteilen“, sowie das „Arbeiten mit Gefahrstoffen“ (DGUV 2009: 26) als sicherheitsrelevant dargestellt werden (vgl. a. D1: 4). Da vielerlei Verrichtungen am Arbeitsplatz, gerade bei gefahrengeneigten Tätigkeiten, besonders hohe Anforderungen an die geistige und körperliche Leistungsfähigkeit der Stelleninhaber*innen stellen, so die Testbefürworter*innen, sind Drogenkonsumierende auf diesen Positionen nicht duldbar, da den komplexen psychophysiologischen Anforderungen immense Schadensrisiken gegenüberstehen (z. B. Breitstadt in Schiffhauer 2008: 14). So konstatiert das Arbeitsgericht Hamburg 2006 im Rahmen der Urteilsverkündung bezüglich der Billigung verdachtsunabhängiger Drogentestanwendung im bestehenden Arbeitsverhältnis (was ein juristisches Novum war): „(I)m vorliegenden Fall ist besonders zu berücksichtigen, dass aufgrund der Größe der zu bewegenden Maschinen bereits kleinste Unachtsamkeiten oder fehlende Präzision zu erheblichen Schäden führen können.“ (ArbG Hamburg 2006: 9)Footnote 12 Das beklagte Unternehmen schreibt analog dazu in der betreffenden Betriebsvereinbarung (D6: 1):

„Anlass zu dieser Betriebsvereinbarung gibt die Tatsache, dass die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen auf suchtmittel-sensiblen Arbeitsplätzen eingesetzt werden, bei denen jeglicher Einfluss von Suchtmitteln erhebliche Gefahren für den jeweiligen Mitarbeiter/die jeweilige Mitarbeiterin selbst und für andere birgt. Der Versicherungsschutz von unter Suchtmitteleinfluss stehenden Mitarbeitern/Mitarbeiterinnen ist gefährdet. Zudem werden Geräte von erheblichem Wert bedient, so dass auch die Gefahr unabsehbarer Schäden für Geräte, Betriebsanlagen und -einrichtungen besteht. Die aufgrund der Betriebsvereinbarung durchzuführenden Kontrollen sollen Unfällen vorbeugen und Gefahren für Leib, Leben und Gesundheit der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen auf dem Terminal so gering wie möglich halten.“

Und auch die Chemie-Sozialpartner (BAVC 2007 [1996]: 70 f.) argumentieren beispielhaft:

„Der Konsum illegaler Drogen ist (…) nicht nur ein ernstzunehmendes gesellschaftliches, sondern auch ein sicherheitsrelevantes und damit auch ein umweltrelevantes Problem. Chemische Betriebe sind ihren Beschäftigten, ihrer Nachbarschaft und der umgebenden Umwelt in ihrem Wirkungsgefüge besonders verpflichtet. Sie sind deshalb vor allem bei Tätigkeiten, die eine Eigen- bzw. Fremdgefährdung mit sich bringen können, auf verantwortungsbewusste und kompetente Mitarbeiter angewiesen.“ (vgl. a. BAVC et al. o. J.: 2)

Der ehemalige Personalchef von Saarstahl, Kihn (zit. n. Tödtmann 1999: 127), argumentiert ähnlich, indes fallspezifischer: „Bei uns als Hüttenunternehmen gibt es Kräne mit 100 Tonnen Roheisen am Haken und schnelllaufende Maschinen. Wir müssen sicher sein, daß unsere Leute klar im Kopf sind, damit nichts passiert.“ (vgl. a. Steinmeyer 2010: 100) Ganz ähnlich drückt es der*de Betriebsärzt*in eines ebenfalls metallverarbeitenden Unternehmens aus der Schwerindustrie aus: „Warum betone ich das [die Notwendigkeit von Drogentests]: da geht man mit flüssigen Massen um, entweder flüssiges Eisen oder später flüssiger Stahl, 100 Tonnen in so einer Wanne. Ja, also hohes Gefährdungspotenzial.“ (B114: 51; vgl. a. 43, 54) Eine beispielhafte Argumentation findet sich auch bei den Verantwortlichen einer Speditionsfirma (B60: Abs. 37):

„Aber wenn man mal überlegt, die fahren da mit einem 40-Tonner LKW der grundsätzlich eine Explosionsgefahr in sich birgt, weil er eben tiefgekühlte flüssige Gase drin sind, Chemikalien drin sind, die ja auch hochgiftig sein können oder schwer entflammbar oder alles Mögliche, da möchte keiner in einem Unfall verwickelt sein, weil jemand auf Drogen einen LKW geführt hat. Das fängt ja schon an, es muss ja noch nicht einmal Gefahrgut sein, ein LKW-Fahrer muss halt clean sein. Also auch im Büro sollte jeder clean sein, aber die Gefahr für das Leben von sich selbst und anderen ist im Büro einfach noch einmal eine ganz andere als bei einem LKW-Fahrer. Oder wäre es ein Taxiunternehmen, dann wäre es ja nichts anderes, da haben wir dann halt nicht dieses Zusätzliche mit dem Gefahrgut. Aber da ist halt eben Leib und Leben von sich und anderen wesentlich stärker gefährdet.“

Und für den Bahnbetrieb schreibt der Leitende Arzt der Deutschen Bahn, Gravert (2013: 243):

„In einem Verkehrsunternehmen wie der Deutschen Bahn (DB) kommt dem Thema Suchtprävention eine besondere Bedeutung zu. Suchterkrankungen stellen ein erhebliches Sicherheitsrisiko sowohl für Mitarbeiter wie auch für Kunden und Dritte dar, denn Suchtmittel schränken nicht nur das Fahrvermögen am Steuer ein, sondern erhöhen auch die Risikobereitschaft und fördern Vigilanzstörungen in überwachenden und unterstützenden Funktionen des Verkehrsbetriebes. Auch der suchtmittelbedingte Verlust an Eigeninitiative und Urteilskraft wirkt sich in einem sicherheits- und serviceorientierten Unternehmen sehr nachteilig aus“.

Der*die Personalauswahlverantwortliche einer Landespolizei (B46, Abs. 14) schildert die Problematik wiederum wie folgt:

„Also bei uns ist es tatsächlich so, dass Drogengebrauch zur Ablehnung führt. Und das ist auch tatsächlich so. (…) Natürlich gibt es Drogen mit unterschiedlichen starken Suchtpotenzial, ist klar. Also wenn man jetzt nicht über harte Drogen, sondern zum Beispiel über die typischen weichen Drogen, Cannabisprodukte, spricht. Aber auch Cannabisprodukte haben natürlich das Problem, dass sie sich insbesondere auf die Reaktionsfähigkeit auswirken und jetzt Polizei, der Polizeiberuf ist jetzt ja eben ein unglaublich gefahrgeneigter Beruf. Und da spielt gerade dir Reaktionsfähigkeit eine enorm große Rolle. Ich meine einmal jetzt ganz banal, jetzt bei Einsatzfahrten im Straßenverkehr. Also bei den Geschwindigkeiten, mit denen man teilweise fährt, weil es sich um irgendeine Notsituation handelt. Die Gefahr, dass ein Beamter dort möglicherweise unter, und sei es auch nur Haschisch, also unter einer Droge, also jetzt sei es dann irgendwie Haschisch oder Cannabis oder was auch immer, welches Cannabisprodukt das nun auch ist, dass sich das negativ auf die Reaktionsfähigkeit auswirkt. Also diese Gefahr, die können wir nicht eingehen. Also die können wir auf gar keinen Fall eingehen. Dazu kommt natürlich, dass wir ja nun Berufswaffenträger sind und da gilt natürlich das Gleiche. Also ich meine, als Polizeibeamter kann man immer in die Situation kommen, die Waffe einsetzen zu müssen und da ist es erstens wichtig, dass man reaktionsschnell ist, weil diese Situationen, (…) die sind unglaublich schnell. Also das sind Bruchteile von Sekunden in denen man quasi entweder richtig oder falsch reagiert und da müssen wir uns sicher sein, dass die Beamten einen klaren Kopf haben. Also einmal, was natürlich jetzt Fürsorgeaspekte, die Eigensicherung der Beamten, angeht, also dass denen nichts passiert. Aber natürlich auch, wir sind ja dem Bürger gegenüber verpflichtet entsprechend dann auch wirklich für Sicherheit zu sorgen, für deren Schutz zu sorgen und da haben auch Bürger einfach den Anspruch an die Polizei, dass wir eben wirklich in jedem Moment wissen, was wir tun.“

An die hohe Selbst- und Fremdgefährdung als Basis der Definition von Sicherheitsgefährdung schließt sich die im Modus des Superlativen gedachte Erwartung an, dass jeder Fehler im Rahmen solcher Tätigkeiten gravierende Folgen nach sich ziehen kann – gemäß dem Motto: „Erfolg und Katastrophe trennt nur ein Augenblick“ (Philippi 2011: 15).

In den zitierten Beschreibungen fällt der ebenso pessimistische wie engführende Betrachtungswinkel auf: Aus einem prinzipiell vielschichtigen und komplexen Interaktionszusammenhang wird ein gefahrengeneigter Arbeitsplatz. Dieser wird folglich auf das ihm zugeschriebene Potenzial des Sicherheitsrisikos reduziert und schließlich als Tätigkeitsbereich eingestuft, der besondere Schutzmaßnahmen notwendig macht und diese gleichsam von sich aus legitimiert. Als ein wesentliches Strukturierungselement der Legitimierung von Drogentestpraktiken zeigt sich somit – analog zum war on terror – das ausgemalte worst case-SzenarioFootnote 13 als nie gänzlich ausschließbare Eventualität, dessen Eintreten aufgrund der antizipierten Schäden tunlichst zu verhindern ist. Letztlich ist es stets das vorgestellte Großunglück, das bei vielen Anwender*innen von anlassunabhängigen Drogentests das ausschlaggebende Argument für die Implementierung dieser Kontrollverfahren ist (Egbert et al. 2018: 178). Obgleich im Vergleich zum war on terror in diesem Zusammenhang weniger existenzbedrohende SchädenFootnote 14 imaginiert werden, ist die dahinter stehende Denklogik die gleiche und unterscheidet sich nicht von jener der Sicherheitsbehörden, die präemptiv im Anti-Terror-Kampf agieren.

2.4 ‚Kompensierte Drogenabhängige‘ als ‚Schläfer*innen‘

Auch auf der Ebene der Drogenkonsumierenden selbst ist eine Akzentsetzung zu erkennen, die deutliche Parallelen mit den Argumentationen der Befürworter*innen einer präemptiven Strategie im war on terror, gerade in Hinblick auf deren Terrorismus-Narrationen (vgl. dazu de Goede 2008: 162), aufweist. Ein Kerntopos ist in diesem Zusammenhang die gleichzeitige Ubiquität und Unkalkulierbarkeit der Risikorealisierung von Drogenkonsumierenden. Damit kommt die bereits oben konturierte Rolle der zukunftsbezogenen Unwissenheit ins Spiel. Denn gerade im Vergleich zum Alkohol, dessen Wirkungen man besser zu kennen glaubt, wird bei den illegalisierten Drogen die kaum antizipierbare individuelle Wirkung ihres Konsums betont, die die besondere Gefährlichkeit der Konsumierenden ausmacht. Im Zuge dessen und ergänzend zu der bereits oben dargestellten, fehlenden Möglichkeit, Drogenkonsumierende anhand schichtspezifischer Zuordenbarkeit erkennen zu können, wird hervorgehoben, dass Drogenkonsumierende in ihrem Verhalten oft auch für erfahrene Fachleute kaum zu identifizieren sind. Gerade in expliziter Abgrenzung zum Alkohol wird illegalen Drogen insofern eine inhärente Unkalkulierbarkeit zugeschrieben, die wiederum Drogenkonsumierende per se als personifizierte Risiken für die Arbeitssicherheit erscheinen lässt. Die BASF-Betriebsärztin Kleinsorge (1992: 349) bringt dies wie folgt auf den Punkt: „Im Unterschied zum Alkohol sind Drogen in ihren Wirkungen, da keine entsprechenden Untersuchungen und Erfahrungen bestehen, nicht abschätzbar, schwer beurteilbar in ihren Erscheinungsformen und hinsichtlich möglicher Einschränkungen.“ Denn „(s)elbst Hochdosis-Abhängigkeit über längere Zeiträume führt nicht zwangsläufig zu besonderen Verhaltensauffälligkeiten“ (Kleinsorge 1997: 306; vgl. a. Kleinsorge/Bremmer 1996: 302) Ganz ähnlich konstatiert ein Betriebsarzt aus der Chemiebranche (B113: Abs. 44):

„Wenn ihnen der Pharmakologe sagt, der Gerichtsmediziner sagt: ‚Also wenn du am Freitag Samstag säufst, bist du am Montag wieder nüchtern. Punktnüchternheit. Wenn du allerdings Psychopharmaka nimmst oder nimmst Drogen, die psychoaktiv sind, dann magst du die am Freitag konsumieren, du hast aber eine Wirkung über die ganze Woche im Sinne eingeschränkter Entscheidungsfähigkeit und und und.‘ Das heißt, der Punkt der Punktnüchternheit, den kriegst du da gar nicht, den kriegst du beim Alkohol, den kriegst du aber nicht hin bei den Drogen. So. Und das macht das ganz große Problem letztendlich, die Dinge im Unternehmen als ein Problem zu platzieren, weil es nicht sichtbar ist.“ (vgl. a. Musial 2005: 130)

Analog argumentiert auch Maurer (2011: 97), der am saarländischen Landesinstitut für Präventives Handeln tätig ist und Seminare zur Drogenerkennung am Arbeitsplatz durchführt:

„Zwar bieten Alkoholbeeinflusste ein weitgehend uniformes Symptombild bezüglich der Auffälligkeits- und Ausfallsymptome, aber diese Problematik ist vollkommen anders bei der Mehrzahl der illegalen Drogen und Medikamente: Wirkungen dieser Stoffe zeigen zwar in Abhängigkeit der Einnahmedosis eine eher nur diskrete Symptomatik; dahinter können jedoch massive Ausfallerscheinungen im Sinne der Kompromittierung psychophysischer Leistungen stehen.“ (vgl. a. Bengelsdorf 2005: 5; Steinmeyer 2012a)

Und die BASF-Betriebsärzt*innen Kleinsorge/Zober (1994: 489) fassen zusammen:

„Das Problem ist nur, daß das Risiko durch Drogen ungleich schwerer abschätzbar ist als das durch Alkohol:

  1. Drogen sind Stoffe, mit unterschiedlichen Wirkungsspektren, unterschiedlicher Kinetik, unterschiedlichen Halbwertszeiten und sind von daher in ihrer Wirkungsweise nicht vorhersehbar.

  2. verschiedene Drogen sind aktivitätssteigernd und aggressionsfördernd, so daß ein erhöhtes Unfall- und Gefährdungsrisiko anzunehmen ist.

  3. Drogenwirkungen sind wesentlich schwieriger wahrnehmbar als die Auswirkungen von Alkohol. ‚Drogen machen keine Fahne‘.

  4. Uns allen fehlen Erfahrungen hinsichtlich der Einschätzung von Drogenwirkungen.

  5. Weder Arzt noch Vorgesetzte sind in der Lage, eine Risikobeurteilung abzugeben.“ (vgl. a. Hupfer 2010: 338)

Ein in dieser Argumentationslinie oft zitiertes Phänomen ist jenes des flashbacks, der plötzlichen und unvorhersehbaren Rauschwirkung ohne unmittelbar vorangegangenem Konsum. Ein Beispiel für dieses Argument liefert der VW-Betriebsarzt Panter (2002: 285):

„Verschärft wird das Problem [der drogenbedingten Herabsetzung der Leistungsfähigkeit] dadurch, daß – im Gegensatz zum Alkohol, bei dem ziemlich klare Beziehungen zwischen Konsum, Intoxikation und Eliminierung der Substanz bestehen – bei vielen Drogen durch Einlagerung in das Fettgewebe langfristige Beeinträchtigungen möglich sind. Diese Veränderungen sind durch den Konsumenten selbst schwer abschätzbar (Flashback-Phänomen).“ (vgl. a. B114: Abs. 415; Strack 2006: 66)

Ebenso schreibt der Zusammenschluss von Chemiearbeitgeber*innen (BAVC et al. o. J.: 2):

„Jeder Drogenkonsum hat Folgen, die kaum kontrollierbar sind. Beim Alkohol ist es noch relativ leicht. Hier heißt die Faustregel: ‚0,1 Promille Abbau pro Stunde.‘ Wer Sonntagnacht seinen Vollrausch mit dem Taxi nach Hause fährt, der hat am Montag früh immer noch genug Alkohol im Blut, um den Führerschein abgenommen zu kriegen. Alle anderen Drogen sind gänzlich unberechenbar. Wer abends einen Joint raucht, mag sich morgens im Betrieb zwar subjektiv nüchtern fühlen. Doch das täuscht, die Droge wirkt Tage später immer noch. Manchmal setzt der Rausch, der ‚Flashback‘, noch Tage später ohne Vorwarnung wieder ein. Manchmal mitten bei der Arbeit.“

Eine ähnliche Aussage trifft der Betriebsarzt eines Stahlunternehmens, der im Zuge dessen den possibilistischen Antizipationsmodus gemäß Amoore, der dabei wirkmächtig ist, verdeutlicht:

„Ja, mit den vielfältigen Gefahren, da ist wenig Spielraum für Kompromisse, wie ich finde, gar keiner. Unsere Festlegung hinsichtlich Cannabis ist ja auch nicht unumstritten. Dass wir gesagt haben: wer bei uns arbeitet, der ist cannabisfrei. Das kann man ein bisschen begründen über so eine Flash Back-Symptomatik, die zugegeben ziemlich selten ist, die aber für Cannabis immerhin beschrieben wird. Und wenn das unseren Kranfahrer erwischt, dann ist das für mich völlig egal, ob das selten ist“ (B114: 415; Herv. S. E.).Footnote 15

Ein weiteres Argument im Zusammenhang mit der Unkalkulierbarkeit von Drogenwirkungen ist jene des Mehrfach- und Mischkonsums, der polytoxische Wirkkonstellationen hervorruft, die „nicht mehr abschätzbar“ (Kleinsorge/Bremmer 1996: 303) sind. In einer Präsentation eines Verkehrsdienstleistungsunternehmens heißt es exemplarisch: „Alkohol und Drogen am Steuer schränken nicht nur das Fahrvermögen ein, sondern erhöhen auch die Risikobereitschaft. Besonders gefährlich ist die Kombination verschiedener Drogen (Mischkonsum).“ (D3: 6) Und auch Kleinsorge betont diesbezüglich mehrfach:

„Der Konsum unterschiedlichster Substanzen und Mehrfachabhängigkeit rufen mannigfaltige Wirkungen hervor, die sich gegebenenfalls addieren und potenzieren, Wirkungsveränderungen bedingen und aufgrund verschiedenartigster Reaktionen auch protrahiert auftretende Wirkungseffekte auslösen können.“ (1992: 349)

„Seit der zweiten Hälfte der Achtzigerjahre dominiert Mehrfachkonsum. Allmählich veränderten sich auch die Wirkungserwartungen, die der Drogenkonsument an eine Drogen stellt. Weiterhin kann heute nicht mehr von ‚typischen Drogenabhängigen‘ gesprochen werden, da die unterschiedlichsten Substanzen und deren Kombinationen eingenommen werden.“ (1996: 34)

Die argumentative Linie ob der unkalkulierbaren psychotropen Wirkung von Drogenkonsum verdichtet sich schließlich in der Figur des „kompensierte(n) Drogenabhängige(n)“ (Kauert/Breitstadt 2005: 31), die die an sie gestellten Aufgaben zwar reibungslos erfüllt und gänzlich unverdächtig agiert, aber gleichsam jeden Moment, und ohne vorherige Warnung, „dekompensieren“ und damit einen Arbeitsunfall verursachen kann (vgl. a. Rudolph 2005: 10; Ewald 2011: 40; Happel 2005: 53):

„Kompensierte Drogenkonsumenten reagieren sozial angepaßt und zeigen keine offensichtlichen oder drogentypisch auffälligen Verhaltensweisen. Dies erklärt auch, warum alle im Drogentest Positiven sowohl den Personalsachbearbeitern im Rahmen der Einstellungsgespräche, [sic] als auch den untersuchenden Ärzten nicht in besonderer Weise auffielen.“ (Breitstadt/Meyer 1998: 468).

Dazu schreibt auch Hans Strack von der Degussa AG: „Problematisch für Unternehmen sind die sozial angepassten Drogenkonsumenten, deren unauffälliges Verhalten keine Verdachtsmomente für mögliche Gefährdungen liefert.“ (Strack 2006: 66) Deckungsgleich äußert sich Maurer (2011: 100 f.):

„Kompensierte Konsumenten sind (…) Menschen, deren Organismus sich durch regelmäßigen Konsum psychoaktiver Stoffe so an die Beeinflussung gewöhnt hat, dass offensichtliche Beeinträchtigungen des Reaktions- und Wahrnehmungsvermögens kaum noch erkannt werden. Davon unberührt bleibt jedoch nach wie vor die Beeinflussung der psychophysiologischen Kompetenz durch die pharmakologische Wirkung der Droge. Das Entdecken von sozial kompensierten Konsumenten psychoaktiver Stoffe am Arbeitsplatz und außerhalb der Betriebe gestaltet sich deshalb oftmals recht schwierig.“

Der*die so verstandene ‚kompensierte Drogenabhängige‘ ist die analoge Figur zu jener des*der ‚Schläfer*in‘ im antiterroristischen Sicherheitsdiskurs (Bischof 2004: 370; Ericson 2007: 42). In beiden Fällen ist die Risikobeladenheit der betreffenden Person gegenwärtig nicht erkennbar und nicht aus Erfahrungen respektive Daten der Vergangenheit herleitbar, deshalb muss, im Sinne einer Schleierfahndung (Lepsius 2004: 78), per verdachtsloser Kontrolle nach Risikosubjekten gesiebt werden.

Aufgrund der unumgänglichen epistemologischen Unsicherheit bezüglich des Zeitpunkts und der konkreten Rahmenbedingungen des drogenkonsuminduzierten Risikoeintritts, der präemptiv verhindert werden soll, muss konsequenterweise jedes Mitglied der einschlägigen Grundgesamtheit – seien es die Bewerber*innen im Einstellungsverfahren oder die Mitarbeiter*innen an gefahrengeneigten Arbeitsplätzen – als grundsätzlich verdächtig ob dessen Risikoträchtigkeit behandelt werden. Die Dringlichkeit der Präventionsmaßnahme wird dabei unter Rückgriff auf abstrakte Zahlen und den sich daraus ergebenen diffusen, imaginativen Risikoszenarien hergeleitet, bezieht sich mithin nicht auf manifeste Gefahren, die es abzuwehren gilt. Augenfällig wird bei diesen Beispielen, wie die Logik des Vorgriffs den Verdacht generalisiert, dessen Manifestierung entindividualisiert und unabhängig subjektiver Risikoprofile auf die Überprüfung aller Personen der betreffenden Grundgesamtheit insistiert. Es wird auf diese Weise die Beweislast umgekehrt: Da nun jede Person der Einzugsgruppe verdächtigt wird, potenziell riskant zu sein, muss sie – ohne aufgrund des eigenen Verhaltens zu dieser Verdachtsannahme Anlass gegeben zu haben – ihre Unbedenklichkeit durch einen (negativen) Drogentest nachweisen (vgl. a. Legnaro 2008: 191).

3 Die antizipierende Indikation von drogenkonsumbedingten Sicherheitsrisiken per Drogentest

Wie gezeigt, wird Drogenkonsum als ebenso virulentes wie unkalkulierbares sowie für den Menschen über weite Strecken latentes Sicherheitsrisiko angesehen. Aus der Perspektive der Tester*innen gibt es daran anknüpfend zwei Wege, die durch drogenkonsumierende Beschäftigte provozierte Risikolage aufzulösen: Erstens gilt es, keine bzw. möglichst wenige Drogenkonsummierende neu in die Firma aufzunehmen. Zweitens muss dafür gesorgt werden, dass die Beschäftigten im bestehenden Arbeitsverhältnis entweder abstinent oder von ihren (sicherheitsrelevanten) Arbeitsplätzen entfernt werden. In beiden Fällen wird die Lösung darin gesehen, Drogenkonsumkontrollen per Drogentest einzuführen. So schreibt z. B. Panter (2002: 285): „Die Schwierigkeit der Erkennung des Konsums solcher Drogen kann nur durch Screeninguntersuchungen verbessert werden.“ Denn „die Umgebung (ist) nicht in der Lage (…), den Konsum rechtzeitig zu bemerken und gegebenenfalls (…) entsprechende Maßnahmen zu ergreifen.“ (Kleinsorge 2000: 55; vgl. a. 1997: 304; Möller 1998: 79; Breitstadt/Meyer 1998: 468; Strack 2006: 66; Hupfer 2007: 13). Dabei wird gemeinhin die Annahme vertreten, dass es flächendeckender und bisweilen randomisierter Kontrollen bedarf, um die aufgestellten Verbote des Konsums von (ausgewählten) Drogen auf ihre Einhaltung zu überprüfen (z. B. Kleinsorge 1997: 308; Breitstadt/Kauert 2005: 5). So schreibt die Evonik-Betriebsärztin Müller (2011: 21):

„Und weil nun mal die Mehrzahl der Menschen sich nicht schon deshalb konsequent an ein Gebot hält, weil sie es grundsätzlich als sinnvoll und vernünftig erkannt hat, wird auch das Prinzip von Kontrolle und Strafe von niemandem ernsthaft in Frage gestellt, frei nach dem angeblichen Lenin-Motto ‚Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.‘“ (vgl. a. Kolitzus 2000: 97)

Denn „(o)hne die Möglichkeit, die Einhaltung auch zu kontrollieren, bleiben diese Verbote (…) ein zahnloser Tiger.“ (Müller 2011: 22) Ihr Kollege Breitstadt (2005: 103) ergänzt (vgl. a. B113: Abs. 406):

„(E)in randomisiertes Drogenscreening (…) funktioniert (…) wie eine Radarkontrolle: die permanente Verunsicherung der Drogennutzer, sie könnten jederzeit zu einem Test aufgefordert werden, und die konsequente Reaktion des Unternehmens auf einen positiven Test sollten sozial angepasste, kompensierte Drogenkonsumenten veranlassen, ihre Konsumgewohnheiten zu ändern.“ (vgl. a. Steinmeyer 2010: 101)

Kurzum: „Das Drogenscreening ist eines der wichtigsten Instrumentarien zur Aufdeckung und Überwachung von Drogenkonsum“ (Musial 2005: 131; vgl. a. Bengelsdorf 2005: 14). Der genutzte Drogenschnelltest spielt dabei eine zentrale Rolle: Er soll das auf die Zukunft bezogene Risiko für die Arbeitssicherheit durch Drogenkonsumierende bereits in der Gegenwart greifbar machen. Indem er anzeigt, ob Bewerber*innen oder Mitarbeiter*innen Drogen konsumiert haben, ist es seine Kernaufgabe, ein ebenso manifestes wie umsetzbares Bewertungskriterium zur Verfügung zu stellen, auf dessen Grundlage das Unternehmen eine in diesem Sinne rationale Entscheidung über die drogenbedingte (Un-)Gefährlichkeit einer Person treffen kann (vgl. a. Kap. 6). Denn wie in den oben zitierten Passagen deutlich wurde, wird Drogenkonsumierenden nicht nur eine von außen schwer zu erkennende Charakteristik, sondern zudem hinsichtlich ihres Leistungsvermögens eine inhärente Unkalkulierbarkeit zugeschrieben. Demnach muss ein Blick in den Körper der Personen ermöglicht werden, um auf diese Weise ihre drogenspezifische Tauglichkeit (Bewerber*innen) oder Arbeitsfähigkeit (Mitarbeiter*innen) bestimmen zu können. Demgemäß argumentieren Kauert/Breitstadt (2005: 37): „Drogenwirkungen sind für Laien nur ausnahmsweise erkennbar. Das Testen von Bewerber und/oder Betriebsangehörigen auf Drogen (…) bildet die einzige Möglichkeit, einen Drogenkonsum zu erkennen.“ (vgl. a. Kauert/Breitstadt/Falke 1998: 460) Und Kittel/Kegel (2001: 427) von der Deutschen Bahn resümieren in diesem Zusammenhang:

„Die bisherigen Ergebnisse zeigen, dass routinemäßige Drogentestungen auch in Verkehrsbetrieben – in sicherheitsrelevanten Bereichen – durchgeführt werden sollten, da sozial angepasste Drogenkonsumenten bei Einstellungsgesprächen, ärztlichen Untersuchungen und psychologischen Eignungstestungen nicht auffallen.“

Drogentests sind mithin als „risk management devices“ (Lianos/Douglas 2000: 268) zu verstehen, die verarbeitbare Indikatoren für personifizierte Sicherheitsrisiken generieren und das mit drogenkonsumierenden Arbeitnehmer*innen verbundene Risikopotenzial einzudämmen helfen sollen – eine absolute Sicherheit erwarten die meisten Anwender*innen durchaus nicht (s. z. B. Breitstadt 2011: 71; vgl. Egbert et al. 2018: 158). Unter Rückgriff auf den Drogentest als Prognoseinstrument soll in solchen Praktiken die Kalkulation der zukünftigen Gefährlichkeit eines*einer drogenkonsumierenden Arbeitnehmer*in ermöglicht werden und das Testresultat wird demgemäß als zentrales Kriterium für die individuelle Zuweisung eines entsprechenden Risikoprofils verwendet.

Drogentests sind aber nicht nur als risk management devices zu begreifen, sie sind – in Anknüpfung an Grusin (2004; 2010) und de Goede (2008) – ebenfalls als ‚Prä-Mediatoren‘ zu fassen, ohne die die präemptiven Praktiken des Drogentestens nicht stattfinden könnten, da letztere auf spezifische Formen des antizipatorischen Sichtbarmachens angewiesen sind und dabei auf wissenschaftlich-technologische Instrumente zurückgreifen müssen (vgl. a. Hempel et al. 2011: 11). Als „Prämediation“ versteht de Goede (2008: 158; Übers. S. E.), in Anknüpfung an Grusin (2004), die „diskursiven Ökonomien, durch die terroristische Zukünfte imaginiert werden“. Damit soll der Fokus auf die vermittelnden Techniken und Handlungen gelegt werden, über die mögliche terroristische Zukünfte vergegenwärtigt und mit denen präemptive Handlungen überhaupt möglich werden: „Preemption as a security practice requires premediation.“ (2008: 162; vgl. a. de Goede/de Graaf 2013: 317) Zwar fokussiert Grusin (2004; 2010) mit dem Konzept auf Medien im engeren Sinne, also auf TV-Sender und Zeitungen etc., de Goede (2008: 158) folgend können damit aber alle an der Defuturisierung der terroristischen Zukunft beteiligten Institutionen und Akteur*innen sowie Aktanten verstanden werden. Die Hauptaufgabe ist dabei weniger die Imagination der einen richtigen Zukunft – im Sinne von Prädiktion – denn die Imagination vieler möglicher riskanter Zukünfte (vgl. a. de Goede/de Graaf 2013: 317). Auf diese Weise soll umsetzbares Wissen für die Gegenwart bereitgestellt werden, um die antizipierten und unerwünschten, weil katastrophischen Zukunftsszenarien bereits in der Gegenwart abwehren zu können (de Goede 2008: 159).

Obgleich sowohl Grusin als auch de Goede von ‚Prämediation‘ sprechen und über Medien – im engen wie weiten Sinne – referieren, sollen Drogentests hier in Übereinstimmung mit der in Abschnitt 2.2.3 vorgestellten Terminologie als Prä-Mediatoren verstanden werden. Denn was de Goede (2008: 157, 171) für prämediative Praktiken konstatiert, also dass sie performative Effekte haben, da sie konkrete Handlungsempfehlungen für gegenwärtige Entscheidungen bereitstellen, die wiederum in Politiken übersetzt werden und entsprechende realitätskonstituierende Effekte zeitigen, gilt auch für Drogenschnelltests (vgl. a. Abschn. 7.5). An sie wird – ähnlich wie es Wehrheim (2014: 145) für ‚intelligente‘ Videoüberwachungssysteme konstatiert – die risikobezogene Definitionsmacht übergeben. Ohne sie sind – analog z. B. zu den „mediating instruments“ von Miller/O’Leary (2007), die ganze Märkte entstehen lassen – präemptive Drogenkonsumkontrollen in der gegenwärtigen Ausdehnung und Anzahl schlicht nicht denkbar. Die Tests stehen nämlich im epistemischen Zentrum solcher Praktiken, da sie die einzigen Aktanten sind, die in solchen Dispositiven ein ebenso umsetz- wie diskursiv durchsetzbares Zukunftswissen bereitstellen. Und damit greifen sie aktiv in den diskursiven Gang der Dinge ein und übernehmen damit eine Rolle, die analog zu jener der oben beschriebenen Mediatoren im techniksoziologischen Sinne ist. Wie in Kapitel 9 noch eingehender zu besprechen sein wird, ist die präemptive Praxis des verdachtsunabhängigen Drogentestens eine genuin soziotechnische, da Drogentests – seien sie nun laborgebunden oder als Schnelltest konzipiert – freilich keineswegs eine unmittelbare Aussage über die zukünftige Performanz der jeweils positiv getesteten Person treffen. Die prognostische Information ist vielmehr ein interpretatives Extrakt der vom Drogentest bereitgestellten Auskunft. Auf Basis allgemein imaginierter Risikoszenarien bezüglich des negativen Einflusses von Drogenkonsum auf die Arbeitsfähigkeit einer Person und das damit zusammenhängende erhöhte Potenzial von Arbeitsunfällen, wird mit Rückgriff auf das drogenpositive Testergebnis auf eine konkrete Person bezogen und deren Zukunft, ohne Rückgriff auf statistische oder anderweitig grundierte Kalkulationen, mithin auf Basis possibilistischer Denklogiken, als hochgradig riskant und damit unzumutbar prämediatisiert. Das abstrakte Sicherheitsrisiko des Drogenkonsums wird auf diese Weise durch Individualisierung regierbar (vgl. a. Rose 1988; Miller/O’Leary 1994). Denn die von Kleinsorge zu Beginn des Kapitels gestellte Frage, ob man ein Risiko, das man nicht abzuschätzen vermag, gleichzeitig negieren kann, ist aus Sicht der Anwender*innen von anlassunabhängigen Drogentests freilich mit einem nachdrücklichen ‚Nein‘ zu beantworten.