Nachdem in dem vorangegangenen Kapitel vorgestellt wurde, dass und in welcher Form Diskurse als multimodale Einheiten der Wissenskreation und -zirkulation zu verstehen sind und welche wirkmächtige Rolle technische Artefakte dabei spielen (können), wird nun dargelegt, wie dies konzeptuell umgesetzt werden kann. Zu diesem Zweck wird vorgeschlagen, den Foucault’schen Begriff des Dispositivs zu nutzen und für die empirische Analyse multimodaler Diskurszusammenhänge fruchtbar zu machen.

Im Folgenden werde ich zunächst auf die bei Foucault gelegten Grundlagen des Dispositivbegriffs eingehen, um daran anschließend die für mich wesentlichen Interpretationen des Foucault’schen Dispositivverständnisses – namentlich von Jäger (insb. 2006), Keller (insb. 2011a), Bührmann/Schneider (insb. 2008) sowie van Dyk (insb. 2013) – in chronologischer Reihenfolge vorzustellen und zu diskutieren.Footnote 1 Zuletzt wird dann das vorliegend vertretene, aus den vorherigen Lesarten deduzierte und soziomateriell sensibilisierte Dispositivverständnis expliziert.

1 Heterogen-strategisches Ensemble des Gesagten wie Ungesagten: Das Dispositiv bei Michel Foucault

Obgleich es hier nicht darum gehen soll, eine möglichst nah an Foucault orientierte Dispositivbestimmung zu erarbeiten, vielmehr das Passungsverhältnis zum vorliegenden Forschungsgegenstand und dem damit verbundenen Untersuchungsinteresse dominiert, soll Foucault gleichwohl ausführlich zu Wort kommen, um die relevanten begrifflichen und analytischen Hintergründe des von ihm eingeführten Dispositivbegriffs zu illustrieren.

Wie bereits von einigen Kommentator*innen hervorgehoben (z. B. Dreyfus/Rabinow 1994 [1987]: 150; Laugstien 1995: 758; Agamben 2008: 7; Nowicka 2013: 41), benutzt Foucault den Dispositivbegriff an vielerlei Orten seines Gesamtwerks, in unterschiedlichen WerksphasenFootnote 2 und mit einem entsprechend uneinheitlichen Begriffsverständnis sowie mit – wenn überhaupt – recht vagen Definitionen. Im Kontext der erstmaligen Nutzung des Begriffs ‚Dispositiv‘ in einer deutschsprachigen Foucault-Veröffentlichung, im Rahmen von Der Wille zum Wissen, merken die Übersetzer, Ulrich Raulff und Walter Seitter, an, dass dieser Terminus vom französischen dispositif stammt und dort primär in juristischen, medizinischen und militärischen Kontexten zu finden ist. Er bezeichne „die (materiellen) Vorkehrungen, die eine strategische Operation durchzuführen erlauben“ (Foucault 1998 [1977]: 35; Klammer i. O.; vgl. a. Agamben 2008: 18 f.). Link referiert ähnlich zwei alltagssprachliche Bedeutungen von Dispositiv im Französischen: Einen technisch-umgangssprachlichen, der sich auf Bauteile bzw. Organe eines Apparates bezieht sowie einen militärischen, der auf ein „Ensemble von Einsatzmitteln“ rekurriert (Link 2007: 219 f.; vgl. a. 2008: 238; Laugstien 1995: 758; Keller 2008a: 92 f., 2011a: 138; 2017a: 23). Bereits der etymologische Ursprung des Begriffs im Französischen legt somit eine multimodale Lesart des Dispositivs nahe, indem es von einem heterogenen Ensemble und von materialen Instrumenten oder Apparaturen ausgehend gedacht wird, insbesondere wenn die zusätzliche etymologische Konnotation der „Verfügungsmacht“ (Link 2008: 238) mitgedacht wird.

Die Wendung vom Dispositiv wurde also erstmalig auf Deutsch in Der Wille zum Wissen benutzt. Dies ist aber nicht, wie bisweilen konstatiert (s. z. B. Cetin 2010: 51), die erste Nutzung des Ausdrucks von Foucault, es ist lediglich die erstmalige deutschsprachige Übernahme desselben. Im französischen Originalwerk von Überwachen und Strafen, Surveiller et Punir, wird er nämlich bereits an mehreren Stellen, indes nicht sehr systematisch, gemäß der geläufigen französischen Bedeutung, im Sinne von ‚Vorrichtung‘ bzw. ‚Anlage‘, genutzt (s. Foucault 1975: z. B. 21, 129, 133 f., 141 f., 145; vgl. a. Laugstien 1995: 758; Rabinow 2004: 65).Footnote 3 Das Gefängnis, so eine dortig wiederholte Begriffsverwendung, ist als „Disziplinaranlage“ (Foucault 1994 [1976]: z. B. 246, 285) („dispositif disciplinaire“, 1975: z. B. 205, 230) bzw. „panoptische Anlage“ (1994 [1976]: z. B. 257, 265) („dispositif panoptique“, 1975: z. B. 233, 241) zu verstehen (vgl. a. Kammler 1986: 162 f.; Agamben 2008: 35 f.). Trotz der eher untergeordneten analytischen Stellung des Terminus’, wird die Studie zur Geburt des Gefängnisses und der Disziplinarmacht gemeinhin als Dispositivanalyse gelesen, da sie zeige, wie Macht und Wissen sich zu einer wirklichkeitskonstituierenden Kraft zusammenschließen und dabei auch auf Praktiken und Materialitäten zurückgreifen (Deleuze 1991: 154; 2013 [1992]: 58, 61; Jäger 2001b: 72, 88; Keller 2008a: 94; 2017a: 21; Bührmann/Schneider 2008: 29). Dieser Einschätzung scheint auch Foucault (1978a: 121) selbst zuzustimmen, indem er im Kontext der Diskussion des Begriffs explizit auf das Dispositiv der Inhaftierung Bezug nimmt.

Ohnehin war es auch ein Interview in der Zeitung Le Monde anlässlich des Erscheinens von Surveiller et Punir im Jahre 1975, in dessen Rahmen laut Rabinow (2004: 64) der Ausdruck vom Dispositiv erstmalig von Foucault dokumentiert verwendet wurde. Nachdem er dort zunächst mit Bezug auf die soziale Institution des Rechts und dessen fiktionalen Charakter im Sinne einer totalen Verhinderungsmacht von einem „Gesetzgebungsdispositiv“Footnote 4 (Foucault 2002 [1975]: 886) spricht, führt Foucault (2002 [1975]: 887) einige Zeilen später mit Referenz auf die notwendige Umorientierung der historischen Methodik aus: „Die Logik des Unbewussten muss daher durch eine Logik der Strategie ersetzt werden. Das gegenwärtig dem Signifikanten und seinen Ketten gewährte Vorrecht muss durch die Taktiken mit ihren Dispositiven ersetzt werden.“Footnote 5 Er bezieht sich damit kritisch auf die herkömmliche Methode der Geschichtswissenschaft, der zufolge historische Texte stets als Suche nach dem „Ungesagten“, dem kulturell-systemisch konstituierten „Unbewussten“ konzipiert werden, statt das Geschriebene in seinem konkreten Wortlaut ernst zu nehmen und es vor einem strategischen Hintergrund zu lesen (Foucault 2002 [1975]: 887). Diese Textstelle, so Rabinow (2004: 65), lässt die Vermutung zu, dass Foucault den Begriff vom Dispositiv im Sinne von „Vorrichtung“ oder „Werkzeug“ verstehe.

Dies gilt ferner für die fast zeitgleiche Begriffsverwendung in der von Foucault verfassten Einleitung zu einer in Co-Autorenschaft publizierten Monografie zur französischen Gesundheitspolitik des 18. Jahrhunderts (Foucault et al. 1979). In dieser schreibt er über die strukturelle Neuausrichtung und Systematisierung der staatlichen Gesundheitspolitik, der aus Gründen des Populationsmanagements und Optimierung des Produktionskräftehaushalts daran gelegen war, das „Gesundheitsniveau des Sozialkörpers in seiner Gesamtheit an(zu)heben“ (Foucault 2003a [1976]: 23). Zu diesem Zwecke wurde die Implementierung des „Projekt(s) einer Bevölkerungstechnologie“ (2003a [1976]: 25) notwendig, das den Körper der Gesellschaft und jenen ihrer Mitglieder als Variablenträger operationalisierte und wiederum einschlägige Ensembles von Regeln, Institutionen und Instrumenten – Dispositive genannt – voraussetzte:

„Die biologischen Merkmale einer Population werden zu zweckhaften Elementen für eine ökonomische Verwaltung, und notwendigerweise muss man um sie herum ein Dispositiv organisieren, die nicht nur ihre subjektive Unterwerfung, sondern auch die ständige Erhöhung ihrer Nützlichkeit sicherstellt.“ (Foucault 2003a [1976]: 26; 1979: 11; Herv. S. E.; vgl. a. Rabinow 2004: 65)

Die Einführung des Begriffs vom Dispositiv wird dabei nicht selten als Reaktion auf das theoretische Problem der archäologischen Schaffensperiode von Foucault (insb. 1974, 1981 [1973]) gelesen, das mit der Frage verbunden ist, wie sich Diskurse zu ihrem Außen verhalten, wie sie sich mit nicht-diskursiven Praktiken verschränken und auf diese Weise ihre spezifische wirklichkeitskonstituierende Macht entfalten (z. B. Kammler 1986: 156; Jäger 2001b: 75; 2006: 90 f.; Rabinow 2004: 66; Parr 2008: 235; Traue 2010a: 51).Footnote 6

Prominenter und analytisch zentraler als noch zuvor (vgl. a. Kammler 1986: 244), hat Foucault den Begriff des Dispositivs schließlich in seiner Veröffentlichung Der Wille zum Wissen (1998 [1977]), der genealogischen Analyse der modernen Erscheinungsform von Sexualität, benutzt. Dort schreibt er:

„Man hat nicht nur den Bereich dessen, was sich über den Sex sagen ließ, ausgebreitet und die Menschen dazu gezwungen, ihn beständig zu erweitern; man hat vor allem den Diskurs an den Sex angeschlossen, und zwar vermöge eines komplexen und vielfältig wirkenden Dispositivs, das sich nicht in einem einzigen verbietenden Gesetz erschöpft. Zensur des Sexes? Eher hat man einen Apparat zur Produktion von Diskursen über den Sex installiert, zur Produktion von immer mehr Diskursen, denen es gelang, zu funktionierenden und wirksamen Momenten seiner Ökonomie zu werden.“ (1998 [1977]: 34 f.; Herv. S. E.)

Im weiteren Verlauf des Buchs wird Sexualität als das Dispositiv selbst apostrophiert. Mit Sarasin (2012: 167) gesprochen versammeln sich unter dieser Denkfigur vom „Sexualitätsdispositiv“ „(a)lle diskursiven und institutionellen Technologien, die die Sexualität in der Moderne als Gegenstand des Wissens hervorbringen“. Bei Foucault (1998 [1977]: 128; Herv. S. E.) heißt es dazu:

„Die Sexualität ist keine zugrundeliegende Realität, die nur schwer zu erfassen ist, sondern ein großes Oberflächennetz, auf dem sich die Stimulierung der Körper, die Intensivierung der Lüste, die Anreizung zum Diskurs, die Formierung der Erkenntnisse, die Verstärkung der Kontrollen und der Widerstände in einigen großen Wissens- und Machtstrategien miteinander verketten.“

Dem Begriff vom Dispositiv bedient sich Foucault in Der Wille zum Wissen mithin in doppelter Weise, indem er zum einen eine allgemeine gesellschaftliche Institution, einen übergreifenden Gesellschaftsausschnitt, bezeichnet, zum anderen werden damit dessen Bestandteile markiert, die für die konkrete Verknüpfung von Macht und Wissen aufkommen (vgl. a. Kammler 1986: 161; Keller 2008a: 93).

Die präziseste Begriffsbestimmung von Foucault zum Dispositiv erfolgt jedoch erst 1978 in einem Gespräch mit Psychoanalytikern der Universität Paris VIII (vgl. a. Rabinow 2004: 66; Agamben 2008: 7). Sie wurde zum Hauptbezugspunkt der Debatte ums Dispositiv. Das Dispositiv wird dort von Foucault (1978a: 119 f.; Herv. S. E.) wie folgt beschrieben:Footnote 7

„Was ich unter diesem Titel festzumachen versuche ist erstens ein entschieden heterogenes Ensemble, das Diskurse, Institutionen, architekturale Einrichtungen, reglementierende Entscheidungen, Gesetze, administrative Maßnahmen, wissenschaftliche Aussagen, philosophische, moralische oder philanthropische Lehrsätze, kurz: Gesagtes ebensowohl wie Ungesagtes umfaßt. Soweit die Elemente des Dispositivs. Das Dispositiv selbst ist das Netz, das zwischen diesen Elementen geknüpft werden kann. Zweitens möchte ich in dem Dispositiv gerade die Natur der Verbindung deutlich machen, die zwischen diesen heterogenen Elementen sich herstellen kann. So kann dieser oder jener Diskurs bald als Programm einer Institution erscheinen, bald im Gegenteil als ein Element, das es erlaubt, eine Praktik zu rechtfertigen und zu maskieren, die ihrerseits stumm bleibt, oder er kann auch als sekundäre Reinterpretation dieser Praktik funktionieren, ihr Zugang zu einem neuen Feld der Rationalität verschaffen. Kurz gesagt gibt es zwischen diesen Elementen, ob diskursiv oder nicht, ein Spiel von Positionswechseln und Funktionsveränderung, die ihrerseits wiederum sehr unterschiedlich sein können. Drittens verstehe ich unter Dispositiv eine Art von – sagen wir – Formation, deren Hauptfunktion zu einem gegebenen historischen Zeitpunkt darin bestanden hat, auf einen Notstand (urgence) zu antworten. Das Dispositiv hat also eine vorwiegend strategische Funktion. Das hat zum Beispiel die Resorption einer freigesetzten Volksmasse sein können, die einer Gesellschaft mit einer Ökonomie wesentlich merkantilistischen Typs lästig erscheinen mußte: es hat da einen strategischen Imperativ gegeben, der die Matrix für ein Dispositiv abgab, das sich nach und nach zum Dispositiv der Unterwerfung/Kontrolle des Wahnsinns, dann der Geisteskrankheit, schließlich der Neurose entwickelt hat.“

Dieser Foucault’sche Umriss vom Dispositivbegriff kann, auch mit Bezug auf seine zeitlich vorausgehenden Begriffsverwendungen, durch vier Kerncharakteristika konkretisiert werden: Dispositive sind erstens komplex und heterogen, bestehen mithin aus unterschiedlich verfassten Elementen, die neben sprachlichen auch nichtsprachliche Einheiten umfassen („Gesagtes ebenso wie Ungesagtes“), u. a. materiale Objekte („architekturale Einrichtungen“); sie sind zweitens nicht lediglich durch die Summe der sie konstituierenden Elemente gekennzeichnet, sondern durch die Verknüpfung derselben untereinander („Netz“); sie gehen drittens wesentlich auf einen strategischen Funktionszusammenhang zurück, der die zusammenfassende Klammer der heterogenen Elemente bildet und auf die Lösung eines spezifischen Problems gerichtet ist (Kammler 1986: 158). Foucault (1978a: 122 f.) führt diesbezüglich ergänzend aus:

„Ich habe gesagt, daß das Dispositiv wesentlich strategischer Natur ist, was voraussetzt, daß es sich dabei um eine bestimmte Manipulation von Kräfteverhältnissen handelt, um ein rationelles und abgestimmtes Eingreifen in diese Kräfteverhältnisse, sei es, um sie in diese oder jene Richtungen auszubauen ,sei [sic] es, um sie zu blockieren oder zu stabilisieren oder auch nutzbar zu machen usw… Das Dispositiv ist also immer in ein Spiel der Macht eingeschrieben, immer aber auch an eine Begrenzung oder besser gesagt: an Grenzen des Wissens gebunden, die daraus hervorgehen, es gleichwohl aber auch bedingen. Eben das ist das Dispositiv: Strategien von Kräfteverhältnissen, die Typen von Wissen stützen und von diesen gestützt werden.“

Viertens sind Dispositive genuin produktiv, da sie wissensgenerierend wirken und dadurch Macht ausüben, indem sie Wissensgegenstände formen und mithin reale Effekte, Positivitäten, evozieren (vgl. a. Agamben 2008: 14; Keller 2008a: 94). Kurz: Sie bilden spezifische Macht-Wissen-Komplexe (vgl. a. Dreyfus/Rabinow 1994 [1987]: 150; Wrana/Langer 2007: Abs. 2; Link 2008: 239).

2 Ein rotierender und historisch prozessierender Kreis: Das Dispositiv bei Siegfried Jäger

Eine der ersten systematischen Konzeptualisierungen einer an die obigen Gedanken von Foucault orientierten Dispositivanalysen offeriert Jäger (2006)Footnote 8. Er entwirft ein dreipoliges Dispositivmodell, welches aus diskursiven und nicht-diskursiven Praktiken sowie Sichtbarmachungen oder Vergegenständlichungen besteht. Ausgangspunkt seiner Argumentation ist die Feststellung, dass Diskurse institutionalisierte Redeweisen beinhalten, die spezifische Wahrheiten konstituieren. Diese bestimmen wiederum, wie Individuen und Kollektive handeln, indem sie das Feld des jeweils Sag- und Sichtbaren institutionalisieren, was mit inhärenten Machtwirkungen verbunden ist (Jäger 2006: 84 f.; Jäger/Maier 2009: 37). Diskurse stellen dabei eine eigene und vollwertige Ebene der Realität dar, die durch diskursive wie nicht-diskursive Praktiken tätiger Subjekte (re-)produziert wird (Jäger 2006: 87; Jäger/Maier 2009: 36). Letztere sind dabei solche, in denen im Rahmen von Diskursen mit Werkzeugen und Gegenständen auf die Wirklichkeit eingewirkt wird, spezifische dingbezogene Verhaltensweisen von Diskursen induziert werden (Jäger 2006: 88). Demzufolge bietet es sich laut Jäger an, neben den sprachzentrierten und wissensgenerierenden diskursiven Praktiken auch die nicht-diskursiven Praktiken – „tätiges Umsetzen von Wissen“ (Jäger 2006: 97) – und die daraus entstehenden Sichtbarkeiten bzw. Vergegenständlichungen (im Sinne von materialisiertem Wissen) einer entsprechend perspektivierten Diskursanalyse, die dann nicht mehr nur das Sagbare und Gesagte umfasst, zuzuführen (Jäger/Jäger 2007: 284). Das entsprechende Zusammenspiel von diskursiven und nicht-diskursiven Praktiken und den daraus resultierenden Vergegenständlichungen nennt er schließlich Dispositiv (Jäger 2006: 89; Jäger/Maier 2009: 39). Das gleich benannte Konzept sei von Foucault entwickelt worden, um berücksichtigen zu können, dass Diskurse nicht nur aus sprachlichen Handlungen bestehen, „daß nicht die Rede/der Text/der Diskurs allein die Welt bewegt“ (Jäger 2006: 91).Footnote 9 Mit Rekurs auf das 1978er-Zitat von Foucault konstatiert Jäger, dass Foucault eindeutig ein Nebeneinander von Diskurs und Gegenständen im Dispositiv sieht und damit spezifisch das Netz benennen will, welches zwischen Diskurs und Materialität gespannt ist (Jäger 2006: 91 f.; Jäger/Jäger 2007: 285). Dispositive umfassen also nicht nur Wissen (Episteme), sondern „den ganzen Wissens-Apparat darum herum“ (Jäger 2006: 92; vgl. a. Cetin 2010: 52). So folgert er: „Wissen ‚haust‘ auch im Handeln von Menschen und in den Gegenständen, die sie auf der Grundlage von Wissen produzieren“, was beispielsweise in der Foucault’schen Analyse zum Gefängnis erkennbar ist (Jäger 2006: 92; Cetin 2010: 52 f.). Dabei geht Foucault laut Jäger aber von einem Dualismus zwischen Diskurs und Wirklichkeit aus, da er nicht sieht, dass die Diskurse und die Welt der Gegenstände grundsätzlich miteinander verwoben sind (Jäger 2006: 92).

Ebendiese Verwobenheit will Jäger mit Rückgriff auf die Tätigkeitstheorie von Leontjew (z. B. 1982, 1984) modellieren, flankiert von der Blumer′schen Annahme, dass Menschen Dingen Bedeutung zuweisen und sie auf diese Weise erst zu Dingen machen (Jäger/Maier 2009: 43).Footnote 10 Mit Leontjew geschieht diese Bedeutungszuweisung durch die Ableitung eines Motivs aus einem Bedürfnis, was mit der Erreichung eines bestimmten Ziels verbunden ist, das schließlich unter Rückgriff auf tätiges Handeln und Zuhilfenahme von Gegenständen erreicht werden soll (Jäger 2006: 94). Die daraus entstehenden Produkte sind als „‚Materialisationen durch Arbeit‘“, als „Vergegenständlichungen von Gedankenkomplexen“ zu verstehen, die im Rahmen nicht-diskursiver Praktiken von Menschen produziert werden (Jäger 2006: 94; 2013: 207; Caborn 2007: 115). Diese Gegenstände sind dabei in ihrer Bedeutung keineswegs fixiert, sie können ihre Identität verändern, je nachdem, wie sie diskursiv verhandelt respektive benutzt werden – so kann z. B. eine Bank zu einem Asyl werden, wenn darin keine Bankgeschäfte mehr erledigt werden, sondern Obdachlose wohnen (Jäger 2006: 94 f.; Caborn 2007: 115).

Als Dispositiv definiert Jäger (2006: 108) schließlich den

„prozessierende(n) Zusammenhang von Wissen, welches in Sprechen/Denken – Tun – Vergegenständlichungen eingeschlossen ist. Die Grundfigur des Dispositivs kann man sich als ein Dreieck oder besser: als einen rotierenden und historisch prozessierenden Kreis mit drei zentralen Durchlauf-Punkten bzw. Durchgangsstationen vorstellen:

  1. 1.

    Diskursive Praxen, in denen primär Wissen transportiert wird.

  2. 2.

    Handlungen als nichtdiskursive Praxen, in denen aber Wissen transportiert wird, denen Wissen vorausgeht bzw. das ständig von Wissen begleitet wird.

  3. 3.

    Sichtbarkeiten/Vergegenständlichungen, die Vergegenständlichungen diskursiver Wissens-Praxen durch nichtdiskursive Praxen darstellen, wobei die Existenz der Sichtbarkeiten (‚Gegenstände‘) nur durch diskursive und nichtdiskursive Praxen aufrechterhalten bleibt.“

An anderer Stelle wird etwas konkreter von einem „Netz von Diskursen, Praktiken und Institutionen (Sichtbarkeiten/Vergegenständlichungen)“ gesprochen, „das sich ständig neu ordnet und positioniert, weil und insofern es ständig auf einen ‚Notstand‘ bzw. auf Notwendigkeiten (urgence = Dringlichkeiten, Druck) reagiert und damit Macht entfaltet.“ (Jäger/Jäger 2007: 285)

Eine derart orientierte Dispositivanalyse rekonstruiert folglich das Wissen in diskursiven wie nicht-diskursiven Praktiken sowie jenes, das in Vergegenständlichungen eingegangen ist (Jäger 2006: 110). Das „Herzstück“ einer solchen Dispositivanalyse bildet aber stets eine Diskursanalyse (Jäger 2006: 113; Cetin 2010: 53), Dispositivanalyse ist gar „im Grunde Diskursanalyse“, da die harten Fakten der „wirkliche(n) Wirklichkeit“ auch nur über sprachlich kommunizierte Bedeutungssetzungen analysierbar sind (Jäger 2013: 207). So ist das in nicht-diskursiven Praktiken und entsprechenden Vergegenständlichungen vorzufindende Wissen wieder zu „‚diskursivieren‘“, was letztlich eine Diskursanalyse notwendig macht (Jäger/Jäger 2007: 287).

Das größte Verdienst von Jägers Dispositivkonzept ist zunächst, das materiale Fundament von Diskursen zu verdeutlichen und die damit zusammenhängenden Machtwirkungen auf Räume des Sag- und Sichtbaren hervorzuheben. Damit werden Dispositive als genuine Macht-Wissens-Komplexe in den Fokus gerückt und auf diese Weise betont, dass gerade aus der Verschränkung der heterogenen Elemente im Dispositiv spezifische Machtwirkungen entstehen (Jäger/Jäger 2007: 285). Insbesondere die Idee, den Nexus von (diskursivem) Wissen, Handeln und den daraus entstehenden Gegenständen in den Vordergrund zu rücken und ihn in ein – wenngleich vorläufiges – Analysekonzept zu überführen, hat sich als außerordentlich fruchtbar erwiesen. Jäger deutet damit die hier vertretene Multimodalität von Diskursen nicht nur an, er stellt sie auch analytisch in Rechnung, wenn er diskursive Wissensproduktion als multidimensionalen Prozess versteht, der konkrete materielle Folgen zeitigt. Allerdings ist es in seinem Entwurf allein das (menschliche) Subjekt, welches das Bindeglied zwischen Diskurs und Wirklichkeit (Materialität) bildet (Jäger 2006: 97). Die Dinge selbst bleiben passiv und sind nicht am diskursiven Wissensproduktionsprozess beteiligt. Folglich werden deren Rückwirkungen nicht erfasst, ihr Anteil an der Bedeutungskonstruktion und damit ihre epistemische Produktivität verschwiegen, zumal es stets bei einer rein deskriptiven Analyse ihrer Teilhabe bleibt. Ein Grund für diese fehlende Denkbewegung könnte die von Jäger genutzte und recht missverständliche Differenzierung von diskursiven und nicht-diskursiven Praktiken sein (vgl. Abschn. 2.2.2), die das Wissensmedium des Diskurses allein im Sprachlichen sieht und dessen Bedeutungsproduktion folglich auf sprachliches Tun zu verkürzen neigt (vgl. a. van Dyk 2010: 175).

Die analytische Problematik, die Hintergrund dieser Kritik ist, wird offenkundig, wenn Jäger institutionellen Rassismus als Dispositiv analysiert und im Zuge dessen die These diskutiert, dass Diskurse der Inneren Sicherheit seit 9/11 ein liberales Klima gegenüber Flüchtlingen und Ausländer*innen desavouiert haben (Jäger/Jäger 2007: 95–108). Dabei wird einem „alltägliche(n)“ und „Medienrassismus“, behördlicher „institutioneller Rassismus“ gegenübergestellt, der unter dem kreierten „diskursiven Druck“ der ersten beiden Rassismen eine Spannungssituation für die Sicherheitsinstitutionen auslöst (Jäger/Jäger 2007: 104 f.). Letztere reagieren darauf mit Handlungen, z. B. indem ausländisch aussehende Personen verstärkt kontrolliert oder restriktivere Einwanderungsgesetze erlassen werden, die in der Jäger’schen Kontextualisierung als nicht-diskursive Praktiken gelesen werden. Die sich daraus ergebenen Ereignisse – die racial profiling-Kontrolle oder das einschränkende Gesetz – werden sodann als Vergegenständlichungen verstanden, die aus dem diskursiven Wissen und den daran anschließenden nicht-diskursiven Praktiken entstehen (Jäger/Jäger 2007: 105–107).Footnote 11 Die Beispielanalyse zeigt, dass der materielle Effekt von nicht-diskursiven Praktiken, die Sichtbarmachungen oder Vergegenständlichungen, lediglich als Resultante von diskursiv strukturiertem Wissen – als „geronnene und verfestigte Diskurse“ (Jäger/Jäger 2007: 287) – in den Blick genommen und selbst nicht zum Analysegegenstand gemacht wird. Es wird z. B. nicht gefragt, welche diskursive Rolle wiederum die Verfestigungen und Institutionalisierungen von rassistischen Denkfiguren in Form von Gesetzen hat und welche epistemischen Dynamiken dies zur Folge haben könnte.

Ein weiteres Analysebeispiel, was die aus multimodaler Sicht verkürzte Lesart des Dispositivs bei Jäger verdeutlicht, bezieht sich auf die Studie von Jäger/Jäger (2007: 275–291) zum „Stadtteildispositiv“ der Gelsenkirchener Stadtteile Bismarck und Schalke-Nord, die von Politik und Medien als ‚Brennpunkte‘ thematisiert werden. Sie zeichnen sich laut Jäger/Jäger durch typische Verhaltensweisen und Vergegenständlichungen aus, die vor dem Hintergrund der externen Etikettierung als ‚Brennpunkte‘ zu analysieren sind, indem sie einer Diskursanalyse hinzugefügt werden, die dadurch in ihrem Untersuchungsgegenstandsbereich ausgeweitet werden soll (Jäger/Jäger 2007: 284). Dieser für sich genommen völlig korrekte Gedanke verbleibt aber auf halber Strecke stehen, indem als nicht-diskursive Praktiken z. B. die Versorgungsstruktur der in den Stadtteilen lebenden Bürger*innen oder die örtliche Ausstattung der Polizei thematisiert werden (Jäger/Jäger 2007: 286). Diese werden wiederum als reine Effekte von diskursiven – hier: politischen – Entscheidungen verhandelt. Ähnliches gilt für die anvisierten Sichtbarkeiten, die zum einen auf lediglich architektonische Vergegenständlichungen respektive Gebäude reduziert werden, zum anderen nur als die Gebäudefunktion symbolisierend behandelt werden und eben nicht als ‚nackte‘ Artefakte, die aufgrund ihrer Materialität spezifischen Effekte zeitigen. Wenn rein deskriptiv eruiert wird, z. B. wie viele Kindergärten oder Krankenhäuser im betreffenden Ortsteil vorhanden sind und daraus eine bestimmte Versorgungslage der dort wohnhaften Personen abgelesen wird, was wiederum mit dem Label ‚Brennpunkt‘ und den dort anzutreffenden Verhaltensweisen (nicht-diskursive Praktiken) in Bezug gesetzt wird, dienen die analysierten Vergegenständlichungen lediglich als Proxies für Nicht-Materielles und nicht als vollwertige Analysegegenstände eigenen Werts, im Sinne von Diskursaktanten.

3 Infrastruktur und materielle Machtwirkung von Diskursen: Das Dispositiv in der Wissenssoziologischen Diskursanalyse

Reiner Keller übernimmt im Rahmen seiner Grundlegung der WDA ebenfalls den Begriff vom Dispositiv und macht ihn zu einem der Kernbegriffe, wenn es um die Materialität von Diskursen geht, also vor allem in Bezug auf ihre realen Machtwirkungen und ihre manifesten Folgen (Keller 2011a: 252, 266; 2006: 136 f.). Denn: Diskurse prozessieren im Sinne der WDA nicht lediglich im Modus des Sprachlichen, sie zeitigen konkrete weltliche Effekte, indem soziale Akteur*innen auf Basis diskursiv perspektivierter Wissensbestände ausgesuchte Praktiken vollziehen und dieses damit institutionalisieren und auf Dauer stellen (Keller 2011a: 253; 2019a: 165). Damit verbunden ist die Schaffung spezifischer Mittel der Wissensproduktion und Problembearbeitung, die als „Infrastruktur“ des jeweiligen Diskurses fungieren und von Keller in ihrer Gesamtheit als Dispositive bezeichnet werden. Letztere sind „die tatsächlichen Mittel der Machtwirkungen eines Diskurses“, indem sie „als ‚Instanzen‘ der Diskurse zwischen Diskursen und Praxisfeldern (Praktiken) (vermitteln)“ (Keller 2011a: 258, erste Klammer i. O.; vgl. a. 2016b: 38; 2017a: 25–31; 2019a: 166 f.). Folglich ist ein Dispositiv „der institutionelle Unterbau, das Gesamt der materiellen, handlungspraktischen, personellen, kognitiven und normativen Infrastruktur der Produktion eines Diskurses und der Umsetzung seiner angebotenen ‚Problemlösung‘ in einem spezifischen Diskursfeld.“ (Keller 2011a: 258) Dazu zählen beispielsweise

„die rechtliche Fixierung von Zuständigkeiten, formalisierte Vorgehensweisen, spezifische (etwa sakrale) Objekte, Technologien, Sanktionsinstanzen, Ausbildungsgänge u. a. Diese Maßnahmenkomplexe sind einerseits Grundlagen und Bestandteile der (Re-) Produktion [sic] eines Diskurses, andererseits die Mittel und Wege, durch die ein Diskurs in der Welt interveniert.“ (2011a: 258)

Ein konkretes empirisches Beispiel präsentiert Keller auf Basis seiner eigenen Forschung zu den Mülldiskursen in Deutschland und Frankreich (2008b; 2009). Das duale System der Mülltrennung ist ihm zufolge als „Dispositiv eines spezifischen Abfalldiskurses“ anzusehen, wozu entsprechende Werbebroschüren, die soziotechnischen Systeme der Mülllogistik, Mülltonnen und -container sowie die rechtlichen Rahmenbedingungen, wie z. B. die jeweiligen kommunalen Verträge, gehören (Keller: 2009: 247, 252, 271; 2011a: 258). Alle Praktiken und Gegenstände gemeinsam stellen folglich die konkrete Infrastruktur der Umsetzung des Mülldiskurses dar, gleichzeitig bilden sie einen unmittelbaren, zum Teil hochgradig institutionalisierten Effekt entsprechender Wissensproduktion (Keller 2017a: 29).

Ähnlich wie Foucault betont Keller damit die (sozio-materielle) Heterogenität von Dispositiven, in dem diese aus sprachlichen und nicht-sprachlichen Elementen bestehen. Er nimmt im Zuge dessen Bezug auf Foucaults Studie Die Geburt der Klinik (Foucault 2005 [1973]), indem er auf die Mannigfaltigkeit der darin vereinten Entitäten hinweist, die neben Ärzt*innen und Krankenpfleger*innen spezifische Kleidungsstücke, medizinische Instrumente, einschließlich der Praktiken und des (Experten-)Wissens ihrer korrekten Handhabe, umfassen (Keller 2011a: 259). Einen wichtigen Stellenwert nimmt bei Keller ferner der strategische Part eines Dispositivs ein, indem der dispositive Ausgangspunkt ein zu lösendes gesellschaftliches Problem ist (Keller 2011a: 258; 2017a: 22). Gleichermaßen bezieht er sich in seiner Dispositivdefinition auf das Foucault’sche Verständnis von Dispositiven als Macht-Wissens-Komplexe und ihrer daraus folgenden Kompetenz, Wirklichkeit – im Sinne von „Apparaturen (…) der Weltintervention“ (Keller 2012: 31; 2010: 65; vgl. a. 2007: Abs. 45) – ebenso nachhaltig wie handfest nach ihrem Bilde zu formieren (Keller 2006: 137; 2011a: 259). So beschreibt Keller (2011a: 235) Dispositive explizit als „(d)ie materielle und ideelle Infrastruktur, d. h. die Maßnahmenbündel, Regelwerke, Artefakte, durch die ein Diskurs (re-)produziert wird und Effekte erzeugt (z. B. Gesetze, Verhaltensanweisungen, Gebäude, Messgeräte).“ In einer neueren Veröffentlichung konstatiert er entsprechend:

„Das Dispositiv ist eine Konstellation von vielfältigen, aufeinandertreffenden, sich verstärkenden und behindernden Strategien und Taktiken, diskursiven sowie nicht-diskursiven Praktiken und Materialitäten, die bestimmte Macht- beziehungsweise Wirklichkeitseffekte hervorbringen“ (Keller 2017a: 24).

Verbunden ist damit eine Form der „‚innerweltlichen Objektivierung‘“, die eine Übersetzung von diskursiven Wissensbeständen in materiale Objekte – wie Gebäude und Technologien – sowie Praktiken – wie den Strafvollzug und die Mülltrennung – impliziert (Keller 2011a: 266). Zur Folge hat dies, dass „Materialitäten (…), also all die Dinge, welche in die Aussageproduktion stützend einfließen oder als Effekt der Weltintervention aus ihr resultieren“ (Keller 2016b: 31; vgl. a. 2004: 208; 2019b: 60–68) analytisch zu berücksichtigen sind. Angesprochen ist damit nicht nur der Prozess der Materialisierung im Sinne einer Übersetzung diskursiven Wissens in entsprechend konzipierte und modellierte Artefakte, Gebäude etc., sondern ebenfalls ihre Rolle in der diskursiven Wissensfabrikation selbst (Keller 2011a: 266): „Dispositive sind (…) die Infrastrukturen der Diskursproduktion, d. h. das Gewebe von diskursiven und nicht-diskursiven Praktiken, Dingen, Personen, Regelungen, welche die Erzeugung von Aussagen ermöglichen und begleiten, die einen Diskurs bilden.“ (Keller 2016b: 31; Herv. S. E.; vgl. a. 2019b: 63) An anderer Stelle schreibt Keller, ebenfalls in diese Richtung argumentierend, dass „auch Artefakte (zum Beispiel Bücher und Laborinstrumente) (…) in die Entstehung, Stabilisierung und Verbreitung von Diskursen notwendig eingebunden sind“ (2010: 65). Grundsätzlich geht also auch Keller davon aus, dass Dispositive bzw. die daran beteiligten Artefakte ebenfalls an Diskursproduktion, genauer: diskursiver Bedeutungsproduktion, beteiligt sein können. Ihre Rolle in der WDA bleibt aber trotzdem insgesamt eine nachrangige. Denn Dispositive und die dahinter stehenden Artefakte werden letztlich nicht als eigenständige epistemische Aktanten wahrgenommen und mithin nicht als aktive Partizipanten diskursiver Wissensproduktion untersucht.

Analog dazu spricht Keller von der „dispositive(n) Strukturierung der Diskursproduktion“ (2017a: 28; Herv. S. E.), was die diskursproduktive Rolle der (nicht-menschlichen) Bestandteile von Dispositiven abschwächt, da sie nicht an Prozessen der Bedeutungskonstitution selbst beteiligt sind, sondern lediglich an der Strukturierung bereits produzierten Wissens mitwirken. Dies wird in seinem empirischen Beispiel vom „fliegenden See“ sehr augenfällig, in dessen Kontext vom Staudammunglück 1963 im italienischen Vajont berichtet wird, das durch einen Bergrutsch verursacht wurde, der Stein und Geröll in den örtlichen Stausee – der nur wenige Jahre vorher errichtet wurde – stürzen ließ, was eine Flutwelle zur Folge hatte, die fünf angrenzende Dörfer zerstörte und zahlreiche Todesopfer forderte (Keller 2018). Während das Ereignis zunächst als Naturkatastrophe gedeutet wurde, dem eine Laune der Natur zugrunde liege, die kein Mensch hätte verhindern können, wurden Anfang der 1970er-Jahre zwei verantwortliche Funktionäre verurteilt, da sie für das Ignorieren einschlägiger Warnungen schuldig befunden wurden (Keller 2011a: 293–297; 2017a: 7 f.). Keller zufolge zeigt das Beispiel die „besondere Dynamik“ solch hybrider Formen menschlichen, natürlichen und technologischen Zusammenwirkens (2011a: 295), gerade in Bezug auf diskursive Deutungskämpfe und die narrative Einordnung entsprechender Ereignisse. Dabei spiele die „Widerständigkeit des Dinglichen“ in der Form eine Rolle, als die darauf bezogenen Attribuierungen nicht beliebig sein können, um im Diskurs Gehör zu finden, sondern von dinglich vorgegebenen „Interpretationskorridoren“ (Keller 2017a: 7) abhängen. Diese These ist für sich genommen freilich völlig korrekt, perpetuiert indes den vorrangig passiv gedachten Charakter dinglicher Materialität in der WDA, da die natürlichen Gegebenheiten allein, im Sinne diskursiver Projektionsflächen, von Menschen interpretierend verhandelt werden.

Indem Dispositive in der WDA vor allem als Resultat von diskursiver Wissensproduktion und -durchsetzung verstanden werden, verbleiben die nicht-menschlichen Dispositivelemente in einem passiven Status, da sie als inaktive Entitäten konzipiert werden, die zwar diskursive Wirkungen entfalten, dabei aber keine eigenständige transformativ-epistemische Potenz besitzen. So gibt Keller in Bezug auf die „Apparaturen der Weltintervention“ die Beispiele von spezifisch ausgebildetem und entsprechend eingesetztem Personal, etwa in der Arbeitsvermittlung, oder die besondere Ausstattung von Schulen als Reaktion auf erkannte Bildungsdefizite, oder Umweltaufklärung per Infostände (2010: 65). Praktiken also, die zum einen partiell sehr sprachzentriert sind (Arbeitsvermittlung, Infostand), andererseits allesamt lediglich die Ergebnisseite diskursiver Wirklichkeitsherstellung markieren und nicht die Entstehungsbedingungen diskursiven Wissens selbst thematisieren.

Was die Dispositivkonzeption von Keller indes deutlich macht, ist die wirklichkeitskonstituierende Potenz von Diskursen, insbesondere in Bezug auf den Prozess der Materialisierung, also der Überführung diskursiven Wissens in materiale Vergegenständlichungen. Dispositive werden dabei als Teile von Diskursen verstanden und nicht als darüber hinausgehende Entitäten, was eine forschungsgegenständliche Ergänzung der herkömmlichen WDA-Methoden erlaubt und eine Integration von soziotechnischen Diskurszusammenhängen vereinfacht sowie die konsequente Anerkennung der Multimodalität von Diskursen grundsätzlich ermöglicht. Kurz gesagt: Der „Primat des Diskursiven“ wird beibehalten, um die in Diskurse eingewobenen Materialitäten zu fokussieren (Keller 2017a: 30 f.). Obgleich die konzeptuell-analytische Rolle von Dispositiven in der WDA marginal bleibt, schreibt Keller ihnen eine nicht zu unterschätzende Relevanz zu: „Ich gehe davon aus, dass (…) in den Gegenwartsgesellschaften große Teile des Allgemein- bzw. Alltagswissens in zunehmenden Maße in Diskursen erzeugt und über entsprechende Dispositive (…) vermittelt werden.“ (Keller 2011a: 259 f.)

Neuerdings ist bei der WDA die Entwicklung zu beobachten, dass die Rolle von Dispositiven – gerade auch in Auseinandersetzung mit den Interpretationsangeboten von Akteur-Netzwerk-Theorie und Neuem Materialismus (Keller 2017a; 2018; 2019a; 2019b) – zunehmend stärker berücksichtigt wird. Dies sieht man zum Beispiel bereits am Vorwort der zweiten Auflage der Keller’schen Fallstudie zum Mülldiskurs (2009), in der der Begriff des Dispositivs ähnlich oft erscheint wie in der ursprünglich 1998 publizierten, immerhin 309 Seiten starken Studie insgesamt.

Gleichwohl ist auch beim Dispositivkonzept der WDA, wie auch schon oben erörtert (vgl. Abschn. 2.2.1), aus multimodaler Perspektive von einer inkonsequenten Integration der materialen Seite von Diskursen zu sprechen, indem zwar insgesamt den Artefakten durchaus epistemische Produktivität zugesprochen wird, diese jedoch in die Konzeptualisierung nicht zwingend genug hineingedacht und in die konkrete empirische Umsetzung nicht hinreichend eingebracht wird (vgl. a. Prinz 2014: 164 f.). Die eigentliche Ebene der Wissensproduktion bleibt die sprachliche. Daran ändert auch nicht, dass Diskurse als Praktiken bezeichnet werden, die die Gegenstände bilden, von denen sie sprechen, da damit vor allem sprachlich vermittelte Praktiken angesprochen sind, was die entsprechende Rolle von Artefakten unterminiert und soziotechnische Praktiken nicht hinreichend gegenstandsnah analysierbar macht.

4 Machtvolle Arrangements von Diskursen, Praktiken, Objektivationen und Subjektkonstitution: das Dispositiv bei Bührmann/Schneider

Den bisher umfassendsten Versuch, das Foucault’sche Dispositivkonzept diskurstheoretisch und -analytisch zu konzeptualisieren, haben Bührmann/Schneider unternommen (insb. 2007; 2008; 2016).Footnote 12 Sie verstehen ihr Dispositivkonzept als Forschungsperspektive (im Sinne eines Denkstils nach Fleck 1935) und Forschungsstil (im Sinne eines methodologischen Schemas) und sehen sie als vergleichsweise autark gegenüber Diskursanalysen an (Bührmann/Schneider 2008: 15; Schneider 2015: 22–24). Ähnlich wie vorliegend die Multimodalität von Diskursen vertreten wird, heben auch sie die prinzipielle Heterogenität von Diskursen hervor (z. B. Bührmann/Schneider 2008: 48 f.). Anknüpfend an das Diskursverständnis der WDA bestehen Diskurse ihrer Ansicht nach nicht nur aus sprachlichen Handlungen – die sie missverständlich als diskursive Praktiken bezeichnen (vgl. Abschn. 2.2.2) –, sondern ebenfalls aus nicht-diskursiven Praktiken, die nicht-sprachlich sind und „zu einem gegebenen Zeitpunkt keinen Bestandteil einer geregelten, institutionalisierten Redeweise bilden“ (Bührmann/Schneider 2008: 47), einschließlich der aus ihnen hervorgehenden „symbolischen Objektivierungen“ wie auch „materialen Vergegenständlichungen“, sowie die sich daraus ergebenen Effekte für die Subjektkonstitution (Bührmann/Schneider 2008: 55; vgl. a. Schneider/Hirseland 2005: 267) .Footnote 13 Anvisiert wird mit dieser Dispositivkonzeptualisierung die „Bestimmung des je über Wissen vermittelten Verhältnisses von Diskurs, Macht und dem gesellschaftlichen Sein“ (Bührmann/Schneider 2008: 32; i. O. m. Herv.), wobei letzteres als „sinnlich-materiale gesellschaftliche Praxis“ begriffen wird, die den Umgang der Menschen untereinander, ihre Auseinandersetzung mit Dingen sowie ihre Subjektkonstitution umfasst (2008: 32 f.). Sie definieren Dispositive sodann als

„Ensembles (…), welche Diskurse, Praktiken, Institutionen, Gegenstände und Subjekte als Akteure, als Individuen und/oder Kollektive, als Handelnde oder ‚Erleidende‘ umfassen. Sie bezeichnen mithin komplexe Ausschnitte einer historisch gewordenen Sozialwelt mit ihrem (je typischen) Sagen und Tun, ihren spezifischen symbolischen Sichtbarkeiten wie materialen Vergegenständlichungen (von den uns umgebenden, sinnlich-material erfassbaren Alltagsdingen bis hin zu unseren leiblich erfahrbaren Körpern) und den in all diesem erscheinenden, machtvollen Regeln ihrer ‚Wahr‘-Nehmung, ihrer Gestaltung, ihres Gebrauchs.“ (Bührmann/Schneider 2008: 68; i. O. m. Herv.)

Gemäß dieser Begriffsbestimmung und dem damit zum Ausdruck kommenden hohen Abstraktionsgrad von Dispositiven („komplexe Ausschnitte einer historisch gewordenen Sozialwelt“), orientieren sie sich in ihrem Dispositivverständnis eher an den früheren Foucault-Arbeiten und den dort genutzten strukturalen Dispositivbegriff (Angermüller 2010: 91 f.), z. B. das Sexualitätsdispositiv (1998 [1977]; 1989 [1986]; 2012 [1986]) oder das Gefängnisdispositiv (1994 [1976]), in denen Dispositive sozialräumlich weitläufige Macht-Wissens-Komplexe und folglich praxisrelevante Konstellationen der Wahrheitsproduktion bilden (Bührmann/Schneider 2008: 26–30). Die bereits zitierte Passage Foucaults von 1978 – welche seine späte Lesart des Begriffs offenbart – dient ihnen insofern als wichtiger Referenzpunkt, indem insbesondere die machtstrategische Funktion (Reaktion auf einen gesellschaftlichen Notstand) sowie das Motiv vom heterogenen Netz im Fokus stehen (2008: 52–55).

Dispositive bilden im Zuge dessen den machtvollen Effekt diskursiv strukturierter Wissensordnungen auf nicht-diskursive Praktiken sowie deren Rückwirkungen auf Diskurse (Schneider/Hirseland 2005: 260; Bührmann/Schneider 2008: 55). Bührmann/Schneider (2008: 54) kritisieren dabei das Keller’sche Dispositiv-Verständnis als verengt, da ihnen zufolge die Infrastrukturmetapher eine „rationalistisch-instrumentell(e) Logik“ impliziert, die den Machtwirkungen von Dispositiven, vorwiegend auf die Subjektkonstitution gerichtet, nicht gerecht wird (2008: 52–55; 2016: 18 f.; vgl. a. Schneider 2015: 30). Im Gegensatz zu einer klassischen Diskursanalyse wollen sie mit ihrem Dispositivkonzept den analytischen Blick vielmehr – ähnlich wie Jäger – erweitern und für nicht-sprachliche Praktiken, die daraus entstandenen Vergegenständlichungen sowie die damit zusammenhängenden Prozesse der Subjektkonstitution, im Rahmen einer „relationalen Macht-Analyse“, öffnen (Bührmann/Schneider 2008: 68). Macht wird dabei in Foucault’scher Manier als produktive Kraft gelesen, die spezifische Bedingungen der Denk-, Sag- und Sichtbarkeit produziert und damit distinkte Machbarkeitsräume von sprachlichen und nicht-sprachlichen Praktiken präformiert, womit wiederum ausgewählte Subjektivierungs- und Subjektivationsformen zusammenhängen (2008: 68 f.; Schneider/Hirseland 2005: 259). Die Subjektkonstitution bildet einen zentralen Fokus in der dispositivanalytischen Konzeption von Bührmann/Schneider, indem Subjekte die prinzipiellen Adressat*innen dispositiver Wirkungen darstellen. So schreibt Schneider (2015: 29), dass das Ziel der Dispositivanalyse in der Explikation liegt, „dass es sich bei den kulturell je spezifischen Formen von Subjektivität um historisch kontingente Erfahrungen handelt, die von bestimmten gesellschaftlichen Bedingungen ihrer Möglichkeit(en), wie dem jeweiligen Zusammenspiel von diskursiven und nicht-diskursiven Praktiken, abhängig sind.“

Vor dem Hintergrund der vorliegend angenommenen Multimodalität von Diskursen ist dieser Subjekt-Fokus als Engführung zu deuten – eine Engführung, die analytische Konsequenzen besitzt. Denn mit ihrer Dispositivkonzeption als „Arrangement von Diskursen, Praktiken, Objektivationen und Subjektkonstitutionen“ (Schneider 2015: 31) teilen Bührmann/Schneider zwar – und das ist u. a. als ihr wesentliches Verdienst anzusehen – die auch hier vorgeschlagene Stoßrichtung der Entgrenzung der Diskursanalyse, indem sie den Blick nicht nur auf sprachliches Handeln, sondern ebenfalls auf nicht-sprachliches körperliches Tun und materiale Objektivationen lenken und damit in der Tat eine „praxeologische Erweiterung der Diskursanalyse“ (Bührmann/Schneider 2016: 23; vgl. a. 2008: 48, 88 f.) vollziehen. Fruchtbar ist dabei besonders ihr Gedanke eines „praxeologisch informierte(n) materiale(n) (Re-)Konstruktivismus“ (2008: 104; letzte Klammer i. O.), in dessen Rahmen das „Eigenleben“ und die „Eigen-Sinnigkeiten“ materialer Verobjektivierungen – die „Herrschaftsrelevanz der materiellen Kultur“ (Bührmann/Schneider 2010: 267) – anerkannt werden (vgl. a. Bührmann/Schneider 2008: 117; 2007: Abs. 45) – die jedoch analytisch weitestgehend unbehandelt bleiben.

Die tatsächliche Rolle von Materialität unterscheidet sich in der Konzeption von Bührmann/Schneider zudem wesentlich von dem vorliegend verfolgten Motiv, Artefakte als Partizipanten der Wissenskonstitution und Diskursproduktion, eben als Diskursaktanten, einzugemeinden, da die Teilhabe der Dinge in ihrem Ansatz letztlich auf einen passiven Part beschränkt bleibt und keine Funktion in der diskursiven Wissensproduktion einnimmt. So werden Objekte auch hier allein als Effekt von materialisierten Wissensordnungen und stets als Ergebnis entsprechender (menschlicher) Praktiken verstanden und nicht von sich aus in den Fokus gerückt (s. Bührmann/Schneider 2007: Abs. 23; 2008: 103; 2016: 24; Schneider 2015: 31; Bührmann/Rabenstein 2017: 35). Dies zeigt sich auch in der exemplarischen Umsetzung einer Dispositivanalyse, die von Bührmann/Rabenstein (2017) vorgestellt wird und sich auf das Förderdispositiv, der Idee der möglichst individuell angepassten Lehrbetreuung von Schüler*innen, bezieht. Im Zuge dessen werden verschiedene Objektivierungen – wie z. B. räumliche Arrangements und architektonische Neustrukturierungen – als diskursive Effekte verstanden und damit prinzipiell in einer nachgeordneten Rolle analysiert. Zwar werden diesen Materialisierungen im Ansatz praktische Machtpotenziale – im Sinne von diskurspraktischen Rückwirkungen – zugesprochen, indem beispielsweise die neuartige Platzverteilung in den Klassenräumen neue Hierarchisierungsdynamiken der Schüler*innen sowie Kontrollpraktiken seitens der Lehrer*innen erlauben (2017: 51 f.), letzten Endes bleibt die materiale Seite von Dispositiven aber unterrepräsentiert.Footnote 14 In anderen Anwendungsbeispielen bleibt die epistemisch-produktive Rolle der Materialität wiederum gänzlich unberührt, wenn beispielsweise im Rahmen des exemplarisch analysierten GeschlechterdispositivsFootnote 15 architektonische Einrichtungen, Kleiderordnungen und die angelernte, geschlechterkodierte Mimik und Gestik als Objektivationen diskursiver Praxis, zumal lediglich deskriptiv, vorgestellt werden (Bührmann/Scheider 2008: 129). Ähnlich verhält es sich im Beispiel vom Sterbe- bzw. TodesdispositivFootnote 16, in dessen Kontext zwar die ermöglichenden und beschränkenden Potenziale von Vergegenständlichungen angemerkt werden, diese jedoch kaum analytischen Widerhall finden, da nur – indem bauliche Merkmale von Intensivstationen, die Ausgestaltung von Formularen oder medizinische Instrumente für den Heimgebrauch als mögliche Analysegegenstände aufgezählt werden – eine oberflächliche Integration stattfindet, da zwar aus den sich verändernden Materialisierungen spezifische Veränderungen abgelesen, die materialen Veränderungen selbst in ihrer produktiven Kraft indes nicht berücksichtigt werden (2008: 140, 143, 147; Schneider 2012: 438).Footnote 17

Letztlich verbleibt die Konzeptualisierung der konkreten Teilhabe der Dinge in Dispositiven beim Bührmann/Schneider im Abstrakten und eine konsequente Einbindung in die method(olog)ischen Vorschläge unterkomplex (vgl. a. van Dyk 2010: 180). Zwar wird an mehreren Stellen auf die (Rück-)Wirkungen der Vergegenständlichungen im Dispositiv und die dadurch benötigte „Phänomenologie der Dinge“ (2008: 103; vgl. a. Schneider/Hirseland 2005: 272) sowie die artefaktsoziologischen Arbeiten Latours verwiesen (Bührmann/Schneider 2008: 105, 117; 2007: Abs. 51; 2016: 9; Bührmann/Rabenstein 2017: 43) oder auf jene von Rammert und Knorr Cetina (Bührmann/Schneider 2010: 267), die dort präsentierten Gedanken werden aber nicht weiter konzeptuell eingearbeitet (vgl. a. van Dyk 2010: 192).Footnote 18

Eine zentrale Leistung der Dispositivkonzeptualisierung von Bührmann/Schneider ist nichtsdestotrotz das Insistieren auf den ‚wirklichen‘ Charakter von Diskursen, der sich zum einen auf die reale Macht der so strukturierten Wissensbestände und der daraus entstehenden Praktiken bezieht, die für konkrete Wirkungen in der Welt verantwortlich sind, da sie Möglichkeitsräume des Denk-, Sag- und Sichtbaren konstituieren. Zum anderen wird die menschliche Existenz als per se material situiert verstanden, und die wichtige Rolle des real Gegebenen und seiner „ontologischen Qualität“ für die Wissensproduktion hervorgehoben (Bührmann/Schneider 2008: 32–34; 2007: Abs. 4, 20; Schneider/Hirseland 2005: 251).Footnote 19 Ähnlich zu der vorliegenden multimodalen Lesart des Dispositivs ist das letztliche Ziel der Analyse „die empirische Erschießung der Wahrnehmungs-, Sag- und Machbarkeitsräume in einem gegebenen Feld mit seinen jeweiligen, raum-zeitlich situativen Aktualisierungen“ (Schneider 2015: 38; vgl. a. Schneider/Hirseland 2005: 261).

Ein wichtiger Unterschied zum vorliegenden Dispositivverständnis ist jedoch, dass Dispositive von Bührmann/Schneider als diskursübergreifend angesehen werden, indem sie einen „großformatigen Dispositivbegriff“ zur Anwendung kommen lassen (Keller 2007: Abs. 43).Footnote 20 Da sie diskursive und nicht-diskursive Praktiken – im Sinne von nicht-sprachlichen Handlungen – trennen, und letztere explizit in ihr Dispositivkonzept einbeziehen, können sie argumentieren, dass die von ihnen vorgeschlagene Dispositivanalyse über die Diskursanalyse hinausgeht (Bührmann/Schneider 2008: 104; Schneider 2015: 30; vgl. a. Caborn Wengler/Hoffarth/Kumięga 2013: 8). Insofern sind Diskurse ihrem Verständnis nach in Dispositiven zu finden und eine Dispositivanalyse kann eine Diskursanalyse integriert respektive vorgeschaltet haben. Da vorliegend indes jene Praktiken, die Bührmann/Schneider als nicht-diskursive Praktiken verstehen und deshalb aus dem Diskurs analytisch ausklammern – deren dispositivanalytische Einholung dann den wesentlichen Mehrwert ihrer Konzeption darstellen soll (vgl. a. van Dyk 2013: 52) –, als genuine Bestandteile von Diskursen begriffen werden (im Sinne ihrer Multimodalität), vertrete ich hier ein anderes Beziehungsverhältnis von Diskurs- und Dispositivanalyse, indem letzteres als spezifizierende Perspektivierung innerhalb ersterer angesehen wird, mithin ausgewählte Bereiche in Diskursen gesondert und fokussiert im Rahmen einer (multimodalen) Dispositivanalyse untersucht werden. Diese theoretisch-konzeptuelle Differenz liegt letztlich auch darin begründet, dass Bührmann/Schneider den Dispositivbegriff eher in der makrotheoretischen Lesart – im Sinne beispielsweise des Foucault’schen ‚Sexualitätsdispositiv‘ – konturieren und vorliegend das Verständnis nach der kleiner skalierten 1978er-Definition von Foucault definitionsleitend ist.

5 Multidimensionale Verknüpfungsordnung: Das Dispositiv bei Silke van Dyk

In mehreren Veröffentlichungen hat sich Silke van Dyk theoretisch (insb. 2010, 2013; van Dyk et al. 2014) und empirisch (insb. Denninger et al. 2010; 2014; van Dyk et al. 2013; Richter et al. 2013; van Dyk/Richter 2017) mit dem Foucault’schen Dispositivkonzept auseinandergesetzt und dabei, insbesondere vor dem Hintergrund der Latour’schen Lesart der Akteur-Netzwerk-Theorie, einen Vorschlag erarbeitet, der Materialität in Diskursen dezidierter integrieren soll, indem Artefakten ein höherwertiger analytischer Status als zuvor zugestanden wird. Ihre Ausführungen sind vorwiegend im Kontext des empirischen Forschungsprojektes „Vom ‚verdienten Ruhestand‘ zum ‚Alterskraftunternehmer‘? Bilder und Praktiken des Alter(n)s in der aktivgesellschaftlichen Transformation des deutschen Sozialstaats nach der Vereinigung“ entstanden und enthalten somit neben ausführlichen theoretischen auch eingehende method(olog)ische Reflexionen.

Der Hintergrund der dispositivtheoretischen und -analytischen Konzeption von van Dyk ist – neben der performativen Lesart von Diskursen nach Bublitz (2003: 9) als „Produktionsanordnungen von Wahrheits- und Geltungsansprüchen“, die im Vollzug hergestellt werden – ein weites Diskursverständnis nach Laclau/Mouffe (2012 [1991]), die – wie bereits in Abschnitt 2.2.2 ausgeführt – die gesamte mit Bedeutung versehene Realität als diskursiv konstituiert verstehen (van Dyk 2010: 169, 174 f.; 2013: 47, 49). Auf Basis dieses totalitären Diskursverständnisses lehnt sie konsequenterweise die Trennung von diskursiven und nicht-diskursiven Praktiken ab und ist gerade deshalb in der Lage, Diskurse als heterogene Verweisungszusammenhänge zu lesen, die sich aus einer Mannigfaltigkeit an Konstituenten zusammensetzen, da sich (diskursive) Aussagen nicht nur zu Epistemen formieren, sondern als „institutionen-, objekt- und körperbezogene Aussagen(-bündel) (ausgemacht) [werden] können, (…) die sich zu einer mehrdimensionalen diskursiven Ordnung verbinden und in der Regel durch Praktiken vermittelt werden.“ (Denninger et al. 2014: 28) Denn:

„Neben Wissensordnungen wie dem verdienten Ruhestand, der ‚Überalterung‘ der Gesellschaft oder der Entdeckung des Alters als Ressource begegnen uns körperbezogene Aussagen wie Falten, graue Haare oder eine gebeugte Körperhaltung sowie objektbezogene Aussagen, die einen deutlich typisierten Inhalt transportieren, wie zum Beispiel Herzschrittmacher, der Treppenlift und die Couch, aber etwa auch das Kreuzfahrtschiff [sic] die Anti-Aging-Creme und Institutionen wie die Rentenversicherung, das Altenheim oder der Computerkurs 60+.“ (van Dyk 2013: 50; Herv. S. E.)

Die daran anschließende analytische Frage ist, „in welcher Weise sich die mehrdimensionalen Aussagen zu einer (oder mehreren, sich überlappenden), mehr oder weniger stabilen Formation(en) – z. B. des Alter(n)s – verknüpfen.“ (van Dyk 2013: 50) Diese Frage kann, so van Dyks These, treffend mit Rückgriff auf das Foucault’sche Dispositivkonzept bearbeitet werden (2013: 50). Während ihrer Meinung nach nämlich theoretische Vorschläge existieren, wie die Multidimensionalität des Diskursiven adäquat theoretisch reflektiert werden kann, gelte dies nicht für die empirische Umsetzung, weshalb eine entsprechende Praxis fehle, „die Walking-Stöcke mit den dritten Zähnen, dem Fitnesstraining, dem Modellprogramm ‚Erfahrungswissen für Initiativen‘ und der Wissensordnung ‚Alter als Ressource‘ zu verbinden“ vermag. Da nämlich bis dato empirische Diskursanalysen vor allem als Studien von Wissensordnungen (Episteme), und damit als reine Textanalysen, konzipiert und durchgeführt wurden (van Dyk 2013: 47, 50; Denninger et al. 2014: 29).

Wesentlicher Bezugspunkt der dispositivtheoretischen Ausführungen van Dyks ist das bereits mehrfach herangezogene Zitat von Foucault (1978a), das sie indes in anderer Form als die vorgenannten Autor*innen akzentuiert. Sie tut dies, indem sie den von Foucault genutzten Begriff des Diskurses in der Aufzählung der heterogenen Elemente des Dispositivs – „Diskurse, Institutionen, architekturale Einrichtungen“ usw. – durch jenen der Episteme, im Sinne von Wissensordnung, ersetzt und folglich die Foucault’sche Trennung zwischen dem „Gesagte(n) ebensowohl wie Ungesagte(n)“ nicht als Differenz zwischen dem ‚Diskursiven ebenso wie Nicht-Diskursiven‘ übersetzt – wie es z. B. Jäger, Keller sowie Bührmann/Schneider teilweise tun –, sondern als Differenz von sprachlichen und nicht-sprachlichen Elementen (van Dyk 2010: 177; 2013: 50 f.; Richter et al. 2013: 39). Während viele Rezipient*innen das 1978er-Dispositiv-Zitat von Foucault in Hinblick auf die Aufzählung der heterogenen Elemente im Sinne der Trennung von diskursiven und nicht-diskursiven Elemente sowie fokussiert auf den Machtaspekt diskutieren, plädiert van Dyk für die verstärkte Hinwendung auf den im Zitat hervorgehobenen Verknüpfungsaspekt (2010: 177 f.; 2013: 51 f.). Schließlich gehe es Foucault nicht um die schlichte Summe der heterogenen Komponenten im Dispositiv, sondern um dessen Charakter als „das Netz, das zwischen diesen Elementen geknüpft werden kann“ (Foucault 1978a: 120; van Dyk 2013: 51 f.). Deshalb ist das „Dispositiv als Verknüpfungsordnung heterogener Elemente“ zu lesen (van Dyk 2010: 178; 2013: 62; Denninger et al. 2014: 33). Als kleinste Einheiten von Dispositiven sind dabei „multidimensionale Aussagen“ zu verstehen, „die verstreute (sprachliche) Äußerungen, Objekte, körperbezogene Aspekte, institutionelle Regelungen und Praktiken ‚mit konkreten Inhalten in der Zeit und im Raum erscheinen [lassen]‘“ (Denninger et al. 2014: 31; Klammern i. O.) Die Diskursanalytik hat sich folglich der Frage zuzuwenden, „ob und wenn ja, wie die gegenständliche, institutionalisierte und verkörperte Welt den Prozess ihrer diskursiven Konstituierung (mit)strukturiert.“ (van Dyk 2013: 52) Mit Deleuze (1991: 153) beschreibt sie dieses Bemühen als kartografische „Arbeit im Gelände“, die als wesentliche Tätigkeit die ‚Entmischung von Vermischungen‘ zum Gegenstand hat (van Dyk 2013: 52). Um dies adäquat tun zu können, schlägt sie vor, auf die Akteur-Netzwerk-Theorie in der Lesart von Latour zurückzugreifen, da Foucault und dessen einschlägigen Rezipient*innen die Verknüpfungsperspektive innerhalb des Dispositivs nicht hinreichend präzise ausgebaut haben (van Dyk 2010: 180).

Mit Rückgriff auf Latour hebt van Dyk – beispielsweise unter Verwendung der Latour’schen Ideen vom Zeichenstatus der Dinge, der zirkulierenden Referenz und der Übersetzung – hervor, dass Gesellschaft als „permanente Vollzugswirklichkeit“ von Netzwerken zwischen menschlichen wie nicht-menschlichen Aktanten, die gesellschaftliche Interaktionen auf Dauer zu stellen und im Raum auszudehnen ermöglichen, zu verstehen ist (2010: 182–187; 2013: 52–55). Sie rekurriert dabei im Besonderen auf die aktive Rolle, die nicht-menschliche Aktanten in diesem Zusammenhang spielen, indem sie den „ko-konstruierenden Charakter der ‚rohen‘ Welt“ hervorhebt. Betont wird vor allem die „Eigenlogik der Artefakte, die zwar viele, aber keineswegs alle Ausdeutungen und Verwendungsweisen zulassen“ (van Dyk 2010: 183; 2013: 54; vgl. a. van Dyk et al. 2014: 355).

Zwar sieht van Dyk die Ausführungen von Latour als instruktiv für eine theoretische wie empirische Fundierung vom Dispositivkonzept als multidimensionale Verknüpfungsordnung an, sie kritisiert ihn indes in Bezug auf seinen fehlenden Machtbegriff und hinsichtlich des Ausbleibens jeglicher hierarchischer Beziehungen zwischen den unterschiedlichen Ausschnitten des Sozialen, da er sich allein auf (situative) Interaktionen bezieht und die gesellschaftliche Welt kompromisslos ‚flach‘ halten will (van Dyk 2010: 189; 2013: 55–57). Vor allen in Bezug auf die Frage menschlicher Handlungsmacht kann ein alleiniger Rückgriff auf Latour laut van Dyk nicht ausreichend sein, deshalb bedarf es einer diskurstheoretischen Erweiterung auf Basis des Konzepts der performativen Handlungsmacht nach Butler (van Dyk 2013: 57 f.). Mit diesem verwirft Butler (insb. 2006) die Idee des souveränen Subjekts, das mit individueller Handlungsautonomie ausgestattet und das (vollkommen) frei in seinen Aussagen ist und lenkt damit den Blick auf die diskursiv vorstrukturierten Bedingungen des Sag-, Denk- und Tubaren. Subjekte werden vielmehr – im Sinne eines diskursiven Effektes – in spezifische Subjektpositionen hineingerufen, die ihre Möglichkeiten des Sprechens und Handelns formieren, allerdings nicht gänzlich determinieren (van Dyk 2013: 58): „Entscheidungen sind nur innerhalb eines entschiedenen Feldes möglich, das nicht ein für allemal entschieden ist.“ (Butler 2006: 221) In Rekurs auf Butler betont van Dyk ferner die grundsätzliche Prekarität diskursiver Ordnung, indem diese fortlaufend qua Wiederholung und stets im Modus des Performativen neu hergestellt werden muss und dadurch prinzipielle Widerstandsräume eröffnet (Butler 2006: 230; van Dyk 2013: 59). Butlers Konzeption der performativen Handlungsmacht ist laut van Dyk treffend in die Latour’sche Konzeption der Verknüpfung von Menschen und Nicht-Menschen zu integrieren, da auf diese Weise für die stabilisierende Funktion von „inkorporierte(n) Routinen“ geworben und damit auf die ‚Akteur*innenvergessenheit‘ der ANT in der Lesart von Bruno Latour adäquat, die vor allem in Bezug zur Thematisierung der Körperdimension bei Butler (1997; 2006: 237–243) virulent ist, konzeptionell reagiert werden kann (van Dyk 2013: 59–61).

Der Foucault’sche Dispositivbegriff wird also von van Dyk multidimensional verstanden, assoziationssensibel gelesen und in eine „performative Verknüpfungsanalyse“ überführt, die die heterogenen Elemente von Diskursen in ihrer konkreten wechselseitigen Verbindung zu untersuchen erlauben soll (van Dyk 2013: 62). Betont wird dabei, „dass es nichts Stummes im Dispositiv gibt, dass also auch die (zunächst) sprachlosen Entitäten einerseits (symbolische) Aussageform annehmen und andererseits ein in die Materialität eingelassenes Skript aufweisen, das ‚Aufforderungscharakter‘ annehmen kann.“ (van Dyk 2013: 62; Klammern i. O.) Dispositivanalyse ist laut van Dyk demnach die Untersuchung derjenigen Prozesse, die die soziale Welt durch zirkuläres Verweisen differenter Elemente aufeinander bedeutsam machen. Ihre Dispositivkonzeption ermöglicht somit, die Multidimensionalität von Diskursen konsequenter zu konzeptualisieren und über reine Sprachanalyse hinauszugehen, da die „materielle Widerspenstigkeit, die zirkulierend in den Konstruktionsprozess einfließt“, systematisch in die Untersuchung integriert werden kann (van Dyk 2013: 62).

Van Dyks größtes Verdienst ist, die Rolle von Artefakten in diskursiven Zusammenhängen stärker als die vorab besprochenen Dispositivansätze hervorzuheben, da sie eben nicht nur als Resultanten diskursiv strukturierter (Sprach-)Praxis verstanden, sondern gleichfalls als produktive Bestandteile dieser diskursiven Wissensherstellung selbst ins Auge gefasst werden. Die diskursive Konstruktion von Wirklichkeit ist ihr zufolge ein ko-konstitutiver Prozess, indem der materialen, „‚rohen‘ Welt“ „ko-konstruierende(r) Charakter“ zugesprochen und dabei die „Eigenlogik der Artefakte“ anerkannt wird (2010: 183; 2013: 54). Letztere sind somit nicht nur symbolische Repräsentanten, die auf Diskurse zurückverweisen und daher allein mittelbar zum Analysegegenstand werden. Sie werden nun selbst zum eigenständigen Analysesujet. Kurzum: „(D)er Prozess der diskursiven Konstitution selbst wird neu gefasst.“ (van Dyk 2010: 175; van Dyk et al. 2014: 355) Bezogen auf den Dispositivbegriff von Foucault, hebt sie dabei kategorisch die Verknüpfungsperspektive hervor, derer es sich in der Diskursanalytik anzunehmen gelte. Dazu schlägt sie die Integration von Kerngedanken der Artefakt- und Assoziationssoziologie Latours vor. Sie stellt damit einen systematischen Übersetzungsversuch vor, der darin resultiert, dass Dispositive eben nicht nur als nachrangige analytische Entitäten begriffen, sondern als der primären diskursanalytischen Untersuchungsebene zugehörig gefasst werden.

Trotz dieser substanziellen Weiterentwicklung des Dispositivkonzepts in Bezug auf die symmetrische Integration von nicht-menschlichen Diskurspartizipanten, ist indes auch der Ansatz van Dyks vor dem Hintergrund der oben explizierten Multimodalität von Diskursen als verkürzt anzusehen. Denn obgleich betont wird, die unangebrachte Textlastigkeit der Diskursanalyse überwinden zu wollen (Denninger et al. 2014: 29) und obschon die Irreduzibilität von Diskursen auf Sprache proklamiert wird (van Dyk 2013: 48), wird die Multidimensionalität von Diskursen am Ende doch nur auf sprachlicher Ebene lokalisiert. So schreibt van Dyk (2013: 63) beispielsweise in Bezug auf die Widerständigkeit von Artefakten:

„(D)ie materiale Widerspenstigkeit, die zirkulierend in den Konstruktionsprozess einfließt[,] (…) ist zwar als unmittelbarer Sinneseindruck vorsprachlich wahrnehmbar, aber als wiederholbare Erfahrung ebenfalls auf sprachliche Vermittlung angewiesen. Die Herausforderung, neben dem symbolischen Aussagegehalt eines Artefakts das die Aussage strukturierende Skript (des Artefakts) in den Blick zu bekommen, ohne sich in einer positivistischen Sackgasse zu verlaufen, liegt auf der Hand“.

Neben dem symbolischen Aussagegehalt eines Gegenstands, also seinem Charakter als Zeichen(-lieferant) für etwas anderes, wie es bis dato die vorherrschende Rolle von Artefakten in der Diskurs- oder Dispositivtheorie war, geht es also, in durchaus techniksoziologischer Manier (vgl. Akrich 1992; Akrich/Latour 1992), um die in Artefakte eingelassenen Skripte und das damit in diese eingelassene Wissen, welches spezifische Rückwirkungen auf den jeweiligen Diskurs impliziert. Die Skripte werden von van Dyk jedoch nicht als Determinanten für die (körperliche) Nutzungspraxis von Artefakten verstanden, sondern lediglich als strukturierender Faktor für Aussagen über Artefakte (Denninger et al. 2010: 216; van Dyk 2010: 190 f.).Footnote 21 Die Heterogenität von Diskursen wird letztlich allein auf sprachlicher Ebene verortet: So konstatiert van Dyk, dass „(d)ie kleinsten Einheiten von Dispositiven (…) multidimensionale Aussagen (sind)“ (2013: 50; Herv. S. E.) und schreibt analog an anderer Stelle, „dass auch institutionen-, objekt- und körperbezogene Aussagen(bündel) auszumachen sind (…), die sich zu einer mehrdimensionalen diskursiven Ordnung verbinden.“ (2013: 49 f.; Herv. S. E.) Diskurse in ihrer Multidimensionalität zu fassen heißt also für van Dyk, dass Aussagen getätigt werden, die sich auf eine heterogene Welt beziehen – also nicht nur auf sprachliche Inhalte, sondern auch auf Praktiken, Objekte und Institutionen; es geht ihr also nicht um Multidimensionalität im Sinne der hier vertretenen Multimodalität, die Diskursproduktion selbst als durch Praktiken und Objekte durchsetzt versteht, sondern lediglich um die Heterogenität des Ensembles von Aussagereferenten, die ihrerseits bestimmte typisierte Inhalte transportieren und somit spezifische diskursive Effekte haben – aber eben allein auf sprachlicher Ebene.Footnote 22 Auf ihr empirisches Beispiel, die gesellschaftliche Neuverhandlung des Alter(n)s, bezogen, heißt es demgemäß, dass uns körperbezogene Aussagen über Falten, graue Haare oder gebeugte Körperhaltungen begegnen, ebenso wie objektbezogene Aussagen über Herzschrittmacher, Treppenlifte oder Sofas, die sich zu einer komplexen diskursiven Ordnung verknüpfen (2013: 50). Ihr methodologisches Plädoyer ist folglich, die „diskursanalytische Aussagenanalyse“ dahin gehend zu erweitern, indem „der Aussagencharakter auf Artefakte, Körper und Praktiken ausgedehnt wird.“ (2013: 62 f.)

Ausgangspunkt dieser auf Sprache fixierten analytischen Engführung ist das zugrunde liegende Diskursverständnis nach Laclau/Mouffe, das – wie in Abschnitt 2.2.2. erörtert – von einer radikalen Diskursimmanenz ausgeht und die Sinnhaftigkeit der Welt als allein durch Diskurse vermittelbar begreift. Van Dyk verengtFootnote 23 den Diskursbegriff von Laclau/Mouffe indes, indem sie ihn allein auf die sprachliche Ebene bezieht. Wenn sie die „heterogenen Formen des Diskursiven“ („Körpe(r) und Praktiken, Objekt(e), Gesetzestext(e), wissenschaftlich(e) Analysen“) als „stumm(e) (Formen)“ versteht, die „nur durch Bezeichnung zum Gegenstand der sozialen Welt werden“ (2013: 52), wird offenkundig, dass Diskurse für sie in letzter Instanz lediglich auf sprachlicher Ebene existieren und sich diskursive Praxis folglich allein auf Aussageebene vollzieht. Im Ergebnis reduziert sich der analytische Gewinn ihre Neuakzentuierung des Foucault’schen Dispositivbegriffs beträchtlich, da diese letztlich kaum Hinweise gibt, wie diskursive Wissenskonstruktion auch im Modus körperlicher Handlungsvollzüge und durch Artefakte, im Sinne von Diskurspartizipanten, die aktiv in die diskursiven Handlungen und Wissensprozesse eingreifen, prozessiert und wie dies adäquat theoretisch zu rahmen und empirisch zu rekonstruieren ist.

Diese erhebliche analytische Schwäche, die insbesondere vor dem Hintergrund der van Dyk’schen Latour-RezeptionFootnote 24 als theoretische Inkonsistenz aufzufassen ist, zeigt sich insbesondere in der empirischen Anwendung ihrer Konzeptualisierung: Wie bereits angedeutet, versteht van Dyk Diskursanalyse als „Aussagenanalyse“ (2013: 62 f.), was in der methodologischen Annahme begründet liegt, dass diese stets auf die „Arbeit mit/an Texten“ gebunden sei, da die diskursiven Effekte von Praktiken, Institutionen und Objekten nur sprachvermittelt analysierbar sind (2013: 62). Neben dem problematischen Kurzschluss von Text und Sprache respektive sprachlicher Praktiken, scheint hier die irrige Annahme auf, dass aus der per se textbasierten Dokumentation von objekt-, körper- oder institutionenbezogenen Phänomenen im Rahmen wissenschaftlicher Elaboration folgt, dass Diskursanalyse per definitionem Aussagenanalyse sein muss. Zwar betont sie, dass unbedingt von unterschiedlichen Charakteristika „sprachliche(r) Äußerungen“ und „Alltagsgegen(ständen)“ auszugehen ist,Footnote 25 da die Niederschriften der Beobachtungen von Gegenständen oder Praktiken als „Texte zweiter Ordnung“ – „zu Text gewordene Beobachtungen anderer Akteure“ – aufzufassen sind, sie verbleibt bei den proklamierten Differenzen aber allein auf der Aussagenebene (s. Denninger et al. 2010: 215 f.; 2014: 47 f.; van Dyk 2013: 62 f.).

Die aus multimodaler Sicht bestehende analytische Problematik des van Dyk’schen Ansatzes offenbart sich, wenn dessen konkrete empirische Umsetzung näher betrachtet wird. So besteht die Dispositivanalyse zur Neuverhandlung des Alter(n)s allein aus textförmigen Dokumenten – u. a. Zeitungs- und Zeitschriftenartikel, Parteiprogramme, Interviewtranskripte – die sich in ihrem Inhalt u. a. auf Objekte (z. B. Walking-Stöcke, Couchs), Institutionen (z. B. Rentenversicherung) und Körper (z. B. Alterungsprozesse) beziehen (Denninger et al. 2014: 50 f.; van Dyk/Richter 2017: 252). Entlang der Dimensionen Körper, Institutionen und Objekte werden die Dokumente gemäß einschlägiger Textstellen kodiert, z. B. bei der Dimension Körper differenziert nach Körperarbeit, Körperbeschreibungen und körperliche Einschränkungen (Denninger et al. 2014: 55).Footnote 26 Ein spezifischer Fokus liegt dabei – Hajers (1997: 113) Konzept der story lines folgend – auf den zu rekonstruierenden Geschichten, insbesondere jenen, die sich nicht nur auf Wissensordnungen (Episteme) beziehen, sondern dezidiert die Ebene der Praktiken, Institutionen, Körper und Objekte fokussieren (Denninger et al. 2010: 222–229). So wird die Frage aufgeworfen, „(w)elche Geschichten (…) ausgehend vom Objekt Sofa erzählt (werden)“ (Denninger et al. 2014: 56; van Dyk/Richter 2017: 256). Das Objekt, hier das Sofa, wird als ein Verknüpfungspunkt in einem multidimensionalen Netz verstanden, das insgesamt als Altersdispositiv gelesen wird (Denninger et al. 2014: 44). Entsprechend wird gefragt:

„Was z. B. ruft das Objekt Sofa auf, wenn vom Ruhestand die Rede ist? Welchen leeren Signifikanten (als Knotenpunkten) ist es geschuldet, dass so unterschiedliche Elemente wie der Fernseher, die Kaffeefahrt, die Frührente und Mallorca (…) zu einer einheitlichen Ruhestandserzählung (…) verdichtet werden?“ (Denninger et al. 2014: 44)

Das Sofa wird in der Folge zu einer „Insignie des passiven Ruhestands“ erklärt (Richter et al. 2013: 42; van Dyk/Richter 2017: 258). Ferner ist am Beispiel ihrer Analyse eines Zitats des ehemaligen Bremer Bürgermeisters Henning Scherf, der Inaktivität im Alter mit (übermäßigem) TV-Konsum in Verbindung bringt, ihre Denklogik in Bezug auf Objekte gut zu beobachten. Van Dyk und Kolleg*innen zitieren Scherf, wonach „das Objekt des Fernsehers mit einem Körper verbunden wird, der sich ‚fallen lässt‘ und nur noch ‚glotzt‘“ (Richter et al. 2013: 41) und nehmen diese Aussage über das TV-Gerät als Datum für ihre Dispositivanalyse – anstatt beispielsweise die Materialität von Fernsehern gesondert zu untersuchen und mit körperlicher (In-)Aktivität in Bezug zu setzen.

Es geht ihnen dispositivanalytisch also um die Untersuchung von ‚Texten zweiter Ordnung‘, um die sprachliche Verknüpfung von z. B. Objekten mit einer Ruhestandserzählung in interviewgenerierten oder dokumentenbasierten Aussagen und nicht um etwa die ethnografische Erstellung von Beobachtungsdaten zum Umgang mit Artefakten oder gar die Analyse der Artefakte selbst (z. B. im Sinne der Artefaktanalyse) (s. van Dyk et al. 2013: 324; Richter et al. 2013: 39). Die Idee der „Mitwirkung“ (van Dyk 2010: 175) von Objekten wird somit lediglich als indirekte begriffen. An anderer Stelle werden Dispositive – Hajer (1997: 113) folgend – gar rein als „Erzählungen der sozialen Wirklichkeit“ verstanden (van Dyk et al. 2013: 323). Dieses Vorgehen ist, zum einen vor dem Hintergrund der theoretischen Elaborationen in Bezug auf Latour, überraschend inkonsequent, zum anderen für eine Analyse der Multimodalität von Diskursen wenig instruktiv, da sich die diskursanalytische Herangehensweise gegenüber den bisherigen Dispositivansätzen – insbesondere im Vergleich zur WDAFootnote 27 –, trotz extensiver Latour-Rezeption kaum stärker ‚multimodalisiert‘, sich, zumindest in der empirischen Analyse, nicht als substanziell artefaktsensibler erweist. Dabei macht es keinen Unterschied, dass bewusst ein heterogenes Sample an Textformen (z. B. Porträts, Fallvergleiche, Essays) genutzt wird, was die Analyse multidimensionaler Verknüpfungen mithilfe der so gewonnenen „vielfältige(n) Beschreibungsweisen“ erleichtern soll (Denninger et al. 2014: 58). Es ist vor dem Hintergrund der zahlreich existierenden Methoden, die einen empirischen Blick in sozio-materiale Zusammenhänge ermöglichen (vgl. Abschnitt. 4.2.3), äußerst unverständlich, dass van Dyk und Kolleg*innen im Rahmen ihrer Dispositivanalyse z. B. keine Ethnografie anstellen und bewusst nur auf Aussageebene verbleiben.

Die Betrachtung des empirischen Anwendungsbeispiels macht deutlich, wie kurz greifend sich empirische Dispositivanalyse im van Dyk’schen Sinne, als ‚Aussagenanalyse‘ konzipiert, vor dem Hintergrund der vorliegend vertretenen Multimodalität von Diskursen darstellt. Trotz der einschlägigen Neuakzentuierung des Foucault’schen Dispositivbegriffs, ist auch mit Rückgriff auf seine 1978er-Definition für ihre Konzeption erhebliches Rejustierungspotenzial zu konstatieren, da hierbei mitnichten ‚Gesagtes ebenso wohl wie Ungesagtes‘ rekonstruiert wird.Footnote 28 Es soll überhaupt nicht abgestritten werden, dass auch die spezifische Hinwendung zu Praktiken/Körpern, Institutionen und Objekten auf Aussagenebene grundsätzlich interessante, bis dato in der Tat zu wenig beachtete Einblicke zutage fördern vermag. Indem aber nur sprachliche Aussagen empirisch fokussiert werden, kann die diskursive Multimodalität nicht hinreichend erfasst werden, da Diskurse nicht im (körperlichen) Vollzug und dezidiert auf ihre materielle Ausstattung hin beobachtet werden und mithin die wirkmächtige Rolle von Artefakten nicht hinreichend ins analytische Blickfeld geraten kann.

6 Dispositive als multimodale Ensembles diskursiver Bedeutungsproduktion

Die in Kapitel 2 beschriebene Multimodalität von Diskursen, also deren Eigenschaft, nicht nur über Sprache, sondern auch über nonverbale Praktiken und materiale Gegenstände zu prozessieren, kann instruktiv konzeptualisiert werden, indem auf den Dispositivbegriff Foucault’scher Prägung zurückgegriffen und dieser vor dem Hintergrund der techniksoziologisch inspirierten Multimodalität reakzentuiert wird. Zwar kann bezüglich der bislang vorgelegten Dispositivkonzeptualisierungen in der Tat von einer progressiven Entwicklung gesprochen werden – indem z. B. mittlerweile die Trennung von diskursiven vs. nicht-diskursiven Praktiken problematisiert wird und die Multimodalität von Diskursen zunehmend in den Fokus rückt. Wie aber nicht zuletzt bei der Konzeption van Dyks zu beobachten ist, verbleiben die multimodalen Partizipanten von Diskursen nach wie vor im Raum des Passiven. Der Konstruktionsprozess diskursiven Wissens bleibt somit weiterhin ein weitgehend eindimensional konzipierter, weil rein sprachlich gedachter, indem dabei allein die menschlichen Akteur*innen und ihre sprachliche Praxis den hauptsächlichen Analysefokus bilden. Wie jedoch bereits erörtert wurde, ist indes auch der Prozess diskursiver Wissensproduktion selbst als multimodal ausstaffiert zu denken, da nicht nur Menschen mit ihrer mündlichen, gestischen und schriftlichen Kommunikationspraxis daran beteiligt sind, sondern ebenfalls ihr nicht-sprachliches körperliches Tun und die von ihnen erschaffenen und verwendeten Artefakte sowie die in der Welt vorfindbaren Dinge an diesem Vorgang beteiligt sind. Ebendiesen Prozess soll das Dispositivkonzept, in seiner multimodalen Lesart, konzeptionell einfangen. Wie dies gelingen kann, wird im Folgenden aufgezeigt.

6.1 Das Dispositiv – eine multimodal akzentuierte Definition

Im Zuge der multimodalen Neuakzentuierung des Dispositivs fokussiere ich ebenfalls auf das Dispositiv-Zitat von Foucault von 1978, indem ich, auch vor dem Hintergrund der etymologischen Bedeutung vom französischen dispositif, die bereits die Konnotation von heterogenen, multimodalen Ensembles zur (strategischen) Problemlösung enthält, auf die heterogenen Elemente, den Netzcharakter, die strategische Aufladung und den Macht-Wissens-Konnex von Dispositiven rekurriere und diese in multimodaler und mithin techniksoziologisch informierter Weise prononciere.Footnote 29

Foucault schreibt bekanntermaßen zu den Elementen des Dispositivs, dass sie ein heterogenes Ensemble bilden und sprachliche wie nicht-sprachliche Elemente (‚Gesagtes eben sowohl wie Ungesagtes‘) umfassen und damit „ein Bündel an Modalitäten der Wirklichkeitskonstitution“ darstellen (Truschkat 2008: 64). Ich folge dabei dem Vorschlag van Dyks, das entsprechende Zitat von Foucault nicht wörtlich zu verstehen, sondern den dort gefallenen Begriff ‚Diskurs‘ durch jenen des ‚Epistems‘ zu ersetzen und folglich keine kategoriale Trennung von Diskurs und Praktiken bzw. Gegenständen zu suggerieren. Denn explizit werden in der mitgelieferten Aufzählung auch materiale Objekte (‚architekturale Einrichtungen‘) genannt, die eben nicht als schlichtes Additiv im Dispositiv fungieren, sondern eine spezifische (produktive) Relation zu den anderen dort versammelten Elementen eingehen. So spricht Foucault in Bezug auf die Frage, ob das architektonische Programm der École Militaire und deren gegenständliche Konstruktion des Gebäudes selbst nun diskursiv oder nicht-diskursiv seien: „Mich interessiert dabei nur, ob nicht das Gebäude dem Programm entspricht.“ (1978a: 125) Folglich kann über das Dispositiv eben jener Prozess konzeptionell zum Thema gemacht werden, der bereits die in Kapitel 2 benannte Verbindung von Diskurs respektive Wissen und Materialität konstituiert, indem er für die Vergegenständlichungsbewegung empfänglich macht. In Anknüpfung an die Aussage von Foucault, das Dispositiv gerade als dasjenige Netz zu verstehen, das die heterogenen Elemente in Diskursen miteinander verknüpft, wird vorliegend gerade das relationale Charakteristikum von Dispositiven betont, das zudem als diskurstheoretisches Einfallstor für die soziotechnische Verknüpfungsperspektive Latours fungiert. Der analytische Fokus des Dispositivs sollte folglich gerade auf der Verbindung der (heterogenen) Elemente und der damit zusammenhängenden Übersetzungsarbeit liegen, da aus ebendieser Effekte emergieren, die die Wirkmacht und epistemische Produktivität von Dispositiven konstituieren. Dispositive sind überdies als überaus dynamische Gebilde zu fassen, wie Foucault mit seinem Verweis auf innerdispositive Positionswechsel und Funktionsveränderungen betont. Hier wird folglich ein prozessuales und relationales Verständnis von Dispositiven zugrunde gelegt, was sich beispielsweise von dem struktural orientierten bei Bührmann/Schneider wesentlich unterscheidet.

Im Gegensatz zu den bisher vorgestellten Dispositivkonzepten – mit Ausnahme jenem van Dyks – ist die Verknüpfung von diskursivem Wissen und Materialität gerade nicht nur als einseitig prozessierende zu verstehen, wonach diskursiv hervorgebrachtes und strukturiertes Wissen in materiale Gestalt gegossen wird und Artefakte somit alleinig als diskursive Folgewirkung aufzufassen sind. Im Gegensatz beispielsweise zu Kellers Vorschlag, Dispositive als Infrastruktur von Diskursen anzusehen, die auf diese Weise in die Welt intervenieren, oder Jägers Proposition, Vergegenständlichungen als das Resultat des tätigen Umsetzens diskursiven Wissens zu verstehen, gilt es, Dispositive auch in ihrer effektvollen, wissensgenerierenden Potenz ernst zu nehmen und die entsprechende epistemische Dynamik, die aus ihrem multimodalen Zusammenspiel resultiert, die wiederum auf Diskurse zurückwirkt, zu berücksichtigen (vgl. a. Prinz 2014: 122). Dispositive sind „Apparat(e) zur Produktion von Diskursen“ (Foucault 1998 [1977]: 34 f.). Sie reagieren nicht allein auf diskursiv verhandelte und identifizierte, gleichsam von ihnen vorgegebene Probleme, sie sorgen auch für eine Veränderung dieser diskursiv verfassten Probleme, indem sie unter anderem entsprechende Neubewertungen forcieren und emergente Wissensbestände zu kreieren helfen. Auch hier wird folglich argumentiert, dass Dispositive eine strategische Funktion zuzuschreiben ist, sie mithin als auf die Bearbeitung eines bestimmten Ziels gerichtete Ensembles der weltlichen Intervention fassbar sind. Und in der Tat ist anzunehmen, dass spezifische Gegenstände, die auf Basis diskursiver Wissensbestände hergestellt wurden, dieses Wissen in sich tragen, es in ihnen ‚haust‘, so wie es Jäger prägnant beschreibt und was eine starke Parallele beispielsweise zu Akrichs (1992) techniksoziologischen Konzepts des Skripts darstellt (vgl. Abschn. 2.2.3). Demgemäß ist tatsächlich angezeigt, eine ‚Phänomenologie der Dinge‘ zu vollziehen, wie es Bührmann/Schneider vertreten. Es gilt aber, Dispositive eben nicht auf diese Wissensspeicherfunktion zu reduzieren.

Und freilich sind sie darüber hinaus als produktive Macht-Wissens-Komplexe zu verstehen, die spezifische Mittel der Wissensproduktion und Problembearbeitung darstellen und somit – aber eben nicht nur – als Infrastruktur des jeweiligen Diskurses dienen können, die konkrete Wirkungen in der Welt evozieren, indem sie Möglichkeitsfelder des Handelns und Räume des (Un-)Sag- und (Un-)Sichtbaren formen, wie es beispielsweise Jäger sowie auch Bührmann/Schneider überzeugend argumentieren (vgl. a. Bröckling/Krasmann 2010: 24). In der Tat ist es eine überaus zentrale Funktion von Dispositiven, den Horizont des Denk- und demgemäß praktisch Umsetzbaren zu formieren – sie tun dies allerdings auf multimodalem Wege. Macht, gedacht als vielfältiges Kräfteverhältnis (Foucault 1998 [1977]: 113), ist umso wirkmächtiger, je besser sie sich in materielle Techniken und Prozeduren zu verobjektivieren vermag (Prinz 2014: 110). Dispositive sind, wie Deleuze (1991: 154) in Analogie zu Roussels LesemaschineFootnote 30 treffend bemerkt, „Maschinen, um sehen zu machen oder sehen zu lassen und Maschinen, um sprechen zu machen oder sprechen zu lassen.“ Somit gilt es ihnen auch umgekehrt eine epistemische Effektivität in Richtung Diskurs zuzuschreiben. Insbesondere daraus speist sich die spezifische wirklichkeitskonstituierende und bedeutungsgenerative Macht von Dispositiven, der ihnen eigene Nexus von Macht und Wissen (vgl. a. Rabinow 2004: 67). Die multimodale Produktion von Sinn geht nämlich mit einer „Manipulation von Kräfteverhältnissen“ (Foucault 1978a: 122 f.) einher, da Wissenstopoi blockiert, stabilisiert, mit Wahrheitsanspruch ausgestattet oder in ihren Geltungsansprüchen kontestiert werden. Dispositive formieren die Grenzen diskursiven Wissens, ja: sie schaffen und zerstören es bisweilen, können Diskurse als ganze gar initiieren (Hörning 2001: 68). Foucaults Diktum, wonach „Machtausübung (…) ständig Wissen hervor(bringt) und umgekehrt (…) das Wissen Machtwirkungen mit sich (bringt)“ (1976a: 45; vgl. a. 1994 [1976]: 39) gilt folglich auch und insbesondere für Dispositive.

Neben dem Punkt, dass Dispositive als Ganze nicht nur als passive Entitäten in Diskursen zu verstehen sind, ist darüber hinaus der produktive Anteil der nicht-menschlichen Partizipanten innerhalb von Dispositiven, also die innerdispositive Verknüpfungsarbeit, zu überdenken. Ich vertrete hier die These, dass der produktive Charakter von Dispositiven – einerseits auf deren wirklichkeitskonstituierende Wirkung, andererseits auf den Wissensgenerierungsprozess selbst bezogen – spezifisch auf die innerdispositive Rolle von (technischen) Artefakten zurückzuführen ist, die folglich als gleichrangige Partizipanten innerhalb der Relation anzusehen sind. Gemäß dem offenen Diskursverständnis der diskursiven Multimodalität, sind mithin gerade auch Dispositive als ‚Körper-Artefakt-Wissen-Ensembles‘ zu betrachten, womit spezifisch die multimodal und vor allem soziotechnisch prozessierende Herstellung und Strukturierung von Wissen verbunden ist. Dispositive machen gleichsam den Kern von Diskursen als ‚Körper-Artefakt-Wissens-Ensembles‘ aus. Die Leitidee Latours aufgreifend, sind die in diesem dispositiven Netz verbundenen Entitäten prinzipiell symmetrisch zu fassen, indem sie zunächst als auf einer Ebene liegend betrachtet werden (vgl. a. Schäfer 2013: 155; Prinz/Schäfer 2015: 290). Die Bestandteile des Dispositivs stehen mithin nicht hierarchisch zueinander. Ohnehin verändern sie ständig ihre wechselseitigen Beziehungen im Rahmen des performativen Vollzugs des Dispositivs – wie dies van Dyk treffend hervorhebt. Damit ist eine Absage an die gerade mit dem Dispositivkonzept gerne gezogene Linie zwischen diskursiven und nicht-diskursiven Praktiken verbunden. Eine solche Trennung ist inkompatibel – ob nun analytisch-heuristisch motiviert oder nicht – mit dem vorliegenden Verständnis von Diskursen als multimodale Einheiten, impliziert eine solche Begrifflichkeit doch, dass die so genannten Handlungen nicht auf dessen Bedeutungsproduktion (zurück-)wirken. Es soll mithin an vorliegender Stelle gerade darum gehen, zu zeigen, dass alle heterogenen Diskurspartizipanten durch diskursiv vermitteltes Wissen beeinflusst werden und umgekehrt das Bedeutungsinventar von Diskursen sowie deren Wirkmächtigkeit bzw. epistemische Durchsetzungsfähigkeit tangieren. Das heißt, dass die als ‚nicht-diskursiv‘ deklarierten Handlungen unter Rückgriff auf diskursiv bedingte Bedeutungsinhalte vollzogen werden und eben – zumindest einige von ihnen – in materiale Objekte münden. Diese Annahme impliziert, dass solche Artefakte auf das Engste mit ihrem diskursiven Kontext verbunden sind und dessen Sinnkonstruktionen und Bedeutungszuweisungen in sich tragen, damit zutreffender als diskursive Artefakte zu kennzeichnen sind – denn sie als Teil des Nicht-Diskursiven zu benennen. Gleiches gilt für entsprechende Handlungen: Gehen diese auf diskursive Relevanzsetzungen zurück und bedingen sie wiederum, erscheint es sinnvoll, sie als diskursive Handlungen respektive Praktiken zu bezeichnen und nicht terminologisch als dem Diskursiven extern zu fassen (vgl. Abschn. 2.2.2).

Den Latour’schen Symmetriegedanken für Diskurse stringent weiterdenkend, sind Dispositive in ihrem epistemischen Prozessieren nun nicht allein auf sprachlicher respektive zeichenhafter Ebene zu denken – wie es bei den besprochenen Dispositiv-Ansätzen angenommen wird. Gegenstände und nicht-sprachlicher körperlicher Praxisvollzug werden nicht erst dann in Diskursen bedeutsam, wenn sie Adressaten eines (menschlichen) Aktes der Bezeichnung geworden sind. Sie zeitigen vielmehr bereits vorher Effekte, die sich im Modus des Nicht-Sprachlichen vollziehen und die ebenfalls die Konstitution von Dispositiven und damit von Diskursen bedingen. Mit Rekurs auf ein exemplarisches Sprachspiel von Wittgenstein illustrieren Laclau/Mouffe (1990: 101) diesen Punkt sehr treffend, indem sie am Beispiel des Baus einer Mauer, der u. a. das wortlose Reichen von Steinen enthält, verdeutlichen, wie bruchlos sich sprachliche und nicht-sprachliche Tätigkeiten verknüpfen und auf multimodalem Wege Bedeutung produzieren, mithin Diskurse (re-)produzieren. Es ergibt „analytisch Sinn“, wie Stäheli (2009: 258) hierzu ausführt, „die sprachliche Handlung des Fragens [nach einem Stein] und die darauf antwortende nicht-sprachliche Handlung des Heranreichens in einem Zusammenhang zu denken“. Ebendies soll vorliegend das multimodal gewendete Dispositivkonzept leisten. Abermals mit Deleuzes (1991: 154) Sichtbarkeits- und Maschinenmetapher gesprochen: „Jedes Dispositiv hat seine Lichtordnung – die Art und Weise, in der dieses fällt, sich verschluckt oder sich verbreitet und so das Sichtbare und das Unsichtbare verteilt und das Objekt entstehen oder verschwinden läßt, welches ohne Licht nicht existiert.“ Dispositiven, speziell den darin wirkmächtigen Artefakten, kann somit ein produktives Eigenleben zugestanden werden, dies betonen u. a. auch Keller, Bührmann/Schneider sowie van Dyk. Deren transformierendes epistemisches Potenzial gilt es dann aber auch für diskursive Wissensprozesse (Konstruktion, Stabilisierung, Reproduktion etc.) selbst zu berücksichtigen (vgl. a. van Dyk et al. 2014: 355).

Dispositive bilden somit den multimodalen Kern von Diskursen und stellen die wesentlichen Orte soziotechnischer und körperlich-performativer Wissensproduktion in Diskursen dar.Footnote 31 Sie repräsentieren dabei Technologien im zweifachen Sinne: einerseits willentlich entwickelte und eingesetzte Instrumente zur Bearbeitung von diskursiv konstruierten Problematisierungen (vgl. a. Traue 2010b: 240); anderseits zu einem wesentlichen Teil bestehend aus technischen Artefakten und technologischen Systemen. Es gilt, mit anderen Worten, die bereits bei van Dyk beschriebene diskursiv-materielle Ko-Konstruktion auf die nicht-sprachliche Ebene von Diskursen bzw. Dispositiven auszudehnen und auf diese Weise, insbesondere vor dem Hintergrund der Artefaktsoziologie Latours, konsequent weiterzudenken – wie es van Dyk schon (partiell) vormacht und auch Bührmann/Schneider bereits andeuten. Damit ist dezidiert auch die praxeologische Erweiterung der Diskursanalyse verbunden, die Bührmann/Schneider mit ihrem Dispositiv-Konzept verbinden, indem das (nicht-sprachliche) körperliche Tun, das praktische Handeln auf Basis diskursiven Wissens und dessen Rückwirkungen auf Diskurse als gleichwertiger Bestandteil von Dispositiven konzeptualisiert wird. Dies gilt umso mehr, als die wirkmächtige Rolle von Artefakten in weiten Teilen von ihrer entsprechenden Nutzung, namentlich menschlichen Praktiken, abhängt. Neben Artefakten sind auch Praktiken und die dabei nutzbar gemachten Körper als materiale Träger von Dispositiven und mithin Diskursen anzusehen.

Ich verstehe Dispositive dabei als Instanzen von Diskursen und nicht als über diese hinausgehend und folge somit der tendenziell mikrotheoretischen Lesart des Konzepts. Im Gegensatz zum Ansatz von Bührmann/Schneider, werden Dispositive also nicht strukturtheoretisch gelesen und als großflächige Ausschnitte des Sozialen verstanden, die per se ganze Gesellschaften (mit-)prägen, wie es beispielsweise beim Sexualitäts- oder auch Geschlechterdispositiv der Fall ist (s. a. Jäckle 2009; Traue 2010a: 50; Jäckle et al. 2016). Vielmehr werden auf diese Weise konkrete Ausschnitte aus Diskursen, die sich wiederum um ein bestimmtes, diskursintern kreiertes Problem drehen und eben multimodal prozessieren, verstanden.Footnote 32 Indem beispielsweise Bührmann/Schneider diskursive und nicht-diskursive Praktiken (verstanden als nicht-sprachliche Handlungen) trennen, und letztere explizit in ihr Dispositivkonzept einbeziehen, können sie in der Folge zu Recht argumentieren, dass die von ihnen vorgeschlagene Dispositivanalyse über die Diskursanalyse hinausgeht. Da vorliegend indes von einer Multimodalität von Diskursen ausgegangen wird, auch nicht-sprachliche Handlungen somit als konstitutiver Teil von Diskursen verstanden werden, ist es folgerichtig, warum hier mit Dispositivanalyse eben nicht eine erweiterte Diskursanalyse anvisiert wird, sondern von einer spezifizierenden, vertiefenden diskursanalytischen Perspektivierung gesprochen wird. Kurz gesagt: Diskurse sind nicht in Dispositiven enthalten, sondern umgekehrt sind Dispositive in Diskursen enthalten.

Konkret definiere ich Dispositive gemäß der vorangegangenen Ausführungen als multimodal-diskursive Zusammenhänge, in deren Rahmen neben der schriftlichen und mündlichen Sprachpraxis auch nicht-sprachliches körperliches Tun und Gegenstände eine vermittelnde Rolle spielen, diese mithin als Mediatoren auftreten, indem sie bestimmte Tätigkeiten oder Aussagen ermöglichen oder unterdrücken und dadurch diskursives Wissen (mit-)produzieren und machtvolle Wirklichkeitseffekte konstituieren. Mit diesem Begriffsverständnis kann terminologisch und damit von vornherein die Multimodalität der (diskursiven) Welt analytisch in Rechnung gestellt und das Dispositiv als Konzept zur Analyse dieser Multimodalität in Stellung gebracht werden, da es sich nicht zuletzt aufgrund seiner relationalen Konzeption vortrefflich für die Analyse soziomaterieller Diskurszusammenhänge eignet (vgl. a. Reckwitz 2008a: 318; 2016: 93). Dies zieht gleichfalls ein grundsätzliches Umdenken in Richtung einer symmetrischen Analyseperspektive von Menschen, nicht-sprachliche Praktiken und Gegenständen in Diskursen nach sich, die es erlaubt, die diskursive Multimodalität und deren komplexes, soziomateriales Wechselspiel gegenstandsadäquat zu untersuchen und die genuine Verwobenheit von Diskursen und Technologien von Grund auf anzuerkennen. Als eine der vordringlichsten Aufgaben einer entsprechend ausgerichteten Dispositivanalyse ist also die Rekonstruktion ebenjener soziomateriellen Zirkularität, die aus der Relation von gesellschaftlicher Diskursivität und technischer Materialität – und vice versa – entsteht und die multimodale Typizität von Diskursen wesentlich begründet.

Zwei definitorische Kennzeichen von Dispositiven sind dabei von besonderer Wichtigkeit: Erstens konstituieren Dispositive relationale Verknüpfungen heterogener Elemente, die einen multimodalen Konstruktionsprozess diskursiven Wissens bewirkt. Zweitens bestehen sie auch aus nicht-menschlichen Diskurspartizipanten, deren wirkmächtiger Anteil im dispositiven Prozessieren zu berücksichtigen ist. Damit bietet sich an, dem Vorschlag van Dyks folgend, Latours Vermittlungs- oder Übersetzungsmodell als konzeptuelle Ergänzung für die innerdispositive Verknüpfungsarbeit heranzuziehen, um eine „praxeologische und materiale Form von ‚Diskursanalyse‘“ (Dölemeyer/Rodatz 2010: 199), ergo: eine Dispositivanalyse, zu realisieren. Das Dispositiv dient mithin als Vehikel, Kerngedanken der neueren Techniksoziologie in einen diskurstheoretischen Rahmen zu überführen.

Wie die soziomaterielle respektive soziotechnische Verknüpfungsarbeit im Dispositiv, also die dispositive Konstruktion von Wirklichkeit, dabei konkret gedacht werden kann, soll im Folgenden, im Sinne einer Zusammenführung von multimodal akzentuierter Dispositivdefinition und den Ausführungen aus Abschnitt 2.2.3, erörtert werden.

6.2 Dispositive und die Konzeptualisierung multimodaler Wissensproduktion

Die Verbindung von new sociology of technology und Dispositivkonzept resultiert auch aus einer analytischen Nähe, die – mit Bezug auf die Akteur-Netzwerk-Theorie – bereits von einigen Kommentator*innen (z. B. Wieser 2008: 425; 2012: 199; Schmidgen 2011: 87; Seier 2011: 152, 155–159; 2013: 152 f.; Dander 2018: 74–78)Footnote 33 sowie von zentralen Autor*innen der ANT postuliert wurde. So schreibt beispielsweise Law (2009: 145), dass er die ANT als empirische Version des Poststrukturalismus versteht und Akteur-Netzwerke als verkleinerte Versionen von Michel Foucaults Diskursen oder Epistemen begreift. Er legt damit eine Parallelisierung von Akteur-Netzwerk- und Dispositivbegriff nahe, zumal wenn er ergänzend konstatiert: „Foucault asks us to attend to the productively strategic and relational character of epochal epistemes (…). The actor network approach asks us to explore the strategic, relational, and productive character of particular, smaller-scale, heterogeneous actor networks.“ Und auch Latour (2002a: 235) signalisiert eine Ähnlichkeitsbeziehung zwischen Akteur-Netzwerk und Dispositiv, indem er die Fähigkeit zu zweckgerichtetem Handeln und Intentionalität, die bei ihm allein hybriden Kollektiven vorenthalten ist, als „Eigenschaften von Institutionen, von Apparaten, von Dispositiven, wie Foucault es genannt hat“ tituliert.

Grundsätzlich kann die soziotechnische Wissensproduktion im Rahmen von Dispositiven im Anschluss an die neue Techniksoziologie in zwei Richtungen gedacht werden. Zum einen in Bezug auf die Frage, welche materiale Gestalt diskursiv produziertes und strukturiertes Wissen annehmen kann bzw. auf welche Weise diskursives Wissen in technische Artefakte eingeht, mithin verobjektiviert wird und welche Effekte daraus resultieren. Daraus folgt, dass die Entwicklung von Technik selbst diskursive Praxis ist und auf spezifische, über Diskurse vermittelte Wissensbestände zurückgreift. Zu diesen gesellschaftlichen Wissensbeständen gehören neben genuin technologischen Routinen und (natur-)wissenschaftlichen Erkenntnissen stets auch allgemeine soziale Deutungsmuster, die einer Gesellschaft zu einem bestimmten historischen Zeitpunkt zuordenbar sind und den Produktionsprozess eines technischen Artefaktes begleiten und mitunter überhaupt erst initiieren. Weiterhin ist von Relevanz, welche Gruppen hinreichend Definitionsmacht besitzen, die Genese einer technischen Entwicklung zu dirigieren. Im Rahmen der SCOT-Programmatik ist es das Konzept des ‚technologischen Rahmens‘, das die gesellschaftlich bedingten diskursiven Strukturen analytisch integriert und die Rahmenbedingungen technologischer Entwicklungsprozesse konstituiert. Wenn wir also technische Entwicklung als diskursive Praxis anzusehen haben, sind die am Ende eines solchen Prozesses hergestellten Artefakte von ebendiesem Wissen durchdrungen und können letzten Endes als dessen materiale Manifestation verstanden werden. Unter Rückgriff auf die Begrifflichkeit der WDA sind solche Artefakte demnach als Diskurseffekte zu verstehen, als konkrete physische Vergegenständlichungen von diskursiv vermitteltem Wissen, die dann als eine Art Infrastruktur dienen.

Zum anderen kann die soziotechnische Wissensproduktion im Kontext von Dispositiven in Bezug auf die Frage gedacht werden, wie Menschen im Umgang mit (technischen) Artefakten emergentes Wissen produzieren und in welcher Form dabei eine eigensinnige Effektivität von materialen Diskursaktanten anzuerkennen ist und wie sich diese produktive soziotechnische Relation auf Diskurse und ihre Dynamiken auswirkt. Welche Kräfte gehen vom materialen Objekt auf die sie umgebenden Personen und Diskurse aus? Neben der inhaltlichen Konkretisierung, die die grundsätzliche Rolle von Technik in gesellschaftlichen Zusammenhängen hervorheben kann, ist es gerade die Sensibilisierung der new sociology of technology für die emergenten Effekte soziotechnischer Relationen, die das Dispositiv-Konzept instruktiv erweitert: Indem die Doppelrolle von Dispositiven als Elemente der Diskursreproduktion und Bestandteile des diskursiven Interventionsinventars analysiert werden kann und dadurch eine aussichtsreiche theoretische Perspektive entsteht, die Dispositive in ihrer soziomaterialen bzw. -technischen Verfasstheit einerseits, in ihrer Rolle als wirkmächtige Diskursinstanz andererseits präzise zu studieren vermag.

In analytischer Dimension dient der Dispositivbegriff dabei als verbindendes Element zwischen Diskurs und Aktantenensemble, was auf konzeptueller Ebene dafür empfänglich macht, wie Diskurse Wirklichkeit konkret und dinghaft gestalten, welche Rolle die menschlichen und nicht-menschlichen Aktanten bei dieser Faktizitätsherstellung einnehmen und wie deren wechselseitige Interaktion emergente soziotechnische Wissenseffekte zeitigt, die einen bislang zu wenig beachteten Anteil an Diskurs(re)produktion haben. Dispositive lassen sich demnach analytisch als ‚praxeologische Brücke‘Footnote 34 bestimmen, die die Verbindung zwischen emergentem Diskurs und Diskursaktanten konturiert. Damit einher geht eine vermittelnde Position zwischen kollektiven und mitunter institutionell gestützten Wissensbeständen einerseits und der alltäglichen Welt der einzelnen Akteur*innen andererseits. Indem durch die analytische Integration von diskursiven Gegenständlichkeiten die Materialität von Diskurseffekten und deren Widerständigkeit und Machtwirkungen ernst genommen wird, kann das hier vorgeschlagene Dispositivkonzept die alltägliche Realität derjenigen Subjekte berücksichtigen, in deren Rahmen maßgeblich die Verdinglichung sozialer Konstrukte zu mehr oder minder stabilen und bisweilen kaum hinterfragten Kategorien stattfindet. Zugleich wird der Blick geöffnet für die (Macht-)Effekte der Gegenstände auf den Diskurs: Indem sie von den Menschen benutzt, z. T. nach eigenen, diskursiv geprägten Vorstellungen produziert und in ihre Bedeutungszuweisungen und ihr Handeln eingebunden werden, sind sie ebenso nicht-neutral wie sie wirkmächtig sind. Gleichzeitig sind sie mit transformativen Übersetzungsbewegungen verknüpft, die bestimmte Wissensbestände für Praktiken des Regierens erst herstellen, diese überhaupt erst durchführbar machen. Dadurch entfalten materiale Gegenstände eine spezifische wirklichkeitskonstituierende Resonanz, die dann wiederum auf Diskurse zurückwirkt (vgl. a. Miller/Rose 2008: 65 f.) – nicht zuletzt durch die offerierten Affordanzen und praktischen Restriktionen. Gerade die soziotechnisch mediatisierten Praktiken sind es, die spezifisch perspektiviertes diskursives Wissen produzieren und die damit zusammenhängenden Geltungsansprüche stabilisieren, mobilisieren und auf Dauer stellen. Sie erscheinen auf diese Weise „als besonders effektive und machtvolle Handlungsimperative mit starken Subjektivierungseffekten.“ (Dölemeyer/Rodatz 2010: 205)

Das Dispositivkonzept erlaubt uns also zwei wesentliche Fragen aus der Annahme der Multimodalität von Diskursen systematisch zu analysieren: Wie vollzieht sich multimodale, also wesentlich soziotechnisch fundierte Wissensproduktion und wie wirkt sie sich auf den Wissenshaushalt und die Wahrheitsansprüche sowie -durchsetzungskapazitäten von Diskursen respektive Diskursakteur*innen aus? Welche spezifische Rolle spielen dabei nicht-menschliche Diskurspartizipanten und inwieweit hat ihre materiale Form dabei Relevanz? Anders gefragt: Wie formieren Artefakte den „Horizont des Mach- und Sagbaren“ (Bührmann/Schneider 2008: 110)? Welche machtvollen „Regime des Sagbar- und Sichtbarmachens“ (Bröckling/Krasmann 2010: 40) institutionalisieren sie?

Diskurse üben Macht aus, weil sie – u. a. soziotechnisch generiertes – Wissen transportieren, dieses einzelnen Akteur*innen bereitstellen, anderen jedoch vorenthalten und entsprechende Handlungsvollzüge anleiten, die wiederum konkrete Konsequenzen haben und die Reproduktion von Diskursen wesentlich bedingen. Dieses diskursive Wissen ist gleichermaßen in die Handlungen der Akteur*innen eingeschrieben, wie auch in die Gegenstände, die aufgrund dieses Wissen hergestellt werden. Daraus folgt: Die diskursive Konstruktion von Wirklichkeit ist in spezifizierender Weise zu ergänzen durch die dispositive Konstruktion von Wirklichkeit.

Wie eine so verstandene Dispositivanalyse methodisch umsetzbar ist und welche methodologischen Grundsätze dabei zu beachten sind, wird im Folgenden Kapitel vorgestellt.