1 Einleitung

Ältere Menschen sind während der Covid-19-Pandemie einem höheren Risiko ausgesetzt, schwer zu erkranken oder zu sterben. Sie werden daher in der Pandemiebekämpfung als besonders zu schützende Gruppe aufgefasst und sind in hohem Maße von Kontaktbeschränkungen betroffen. Gleichzeitig hatten ältere Menschen bereits vor der Pandemie einen erhöhten Unterstützungsbedarf, der durch die Pandemie verstärkt wurde, da viele alltägliche Tätigkeiten mit einem höheren Risiko einer Ansteckung verbunden sind. Hinzu kommt, dass Ältere oftmals selbst Unterstützung leisten, die wegen der Kontaktbeschränkungen nicht fortgesetzt werden kann oder mit einem erhöhten Risiko einer Ansteckung verbunden ist.

Im Folgenden soll die Veränderung von Versorgung und Unterstützung Älterer in Deutschland vor dem Hintergrund der Pandemie dargelegt und diskutiert werden. Zunächst werden die politischen Entscheidungsprozesse auf Bundesebene beschrieben, um anschließend die Rolle der Kommunen einzuordnen. Danach wird der Forschungsstand zur Versorgung und Unterstützung von älteren Menschen sowie zu der von ihnen geleisteten Unterstützung aufgezeigt. Daran schließt sich die Darstellung der Ergebnisse einer eigenen Studie an. Der quantitative Teil der Studie befasst sich mit Veränderungen der Unterstützungsmuster im privaten Bereich, während der qualitative Teil die Identifikation besonders belasteter Gruppen, entstandene Versorgungslücken und mögliche Maßnahmen zur Vorbereitung auf zukünftige Pandemien beleuchtet. Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass sich soziale informelle Unterstützungsleistungen im Zuge der ersten Covid-19-Welle in vielen Fällen verändert haben und dass pflegende Angehörige sowie Menschen mit chronischen Krankheiten, mit Pflegebedarf und/oder sehr hohen Alters als besonders belastete Gruppen einzustufen sind.

2 Ausgangslage und Zuständigkeiten

Spätestens Ende Januar 2020 hatte die Covid-19 Pandemie (SARS–CoV-2 Virus) auch Deutschland erreicht. Mittlerweile – Frühjahr 2021 – befindet sich das Land in der dritten Welle, die vor allem durch die Corona-Mutation B.1.1.7 (sog. „britische Mutation“) geprägt ist, die Anfang April 2021 vorherrschend war (RKI, 2021b). Über die Zeit haben sich auch die Risikogruppen verändert. Waren es in der ersten und zweiten Welle vor allem sehr alte Menschen mit dem höchsten Ansteckungs- und Sterberisiko, darunter die meisten aus Alten- und Pflegeheimen, stecken sich jetzt mehrheitlich die unter 65-Jährigen an, zudem in stark wachsender Zahl auch Kinder und Jugendliche (RKI, 2021a). Insgesamt wiesen die Statistiken des Robert-Koch-Instituts (RKI) Anfang April 2021 für Deutschland seit Beginn der Pandemie rund 3 Mio. Corona-Fälle aus, d. h. die Erkrankung betraf etwa 3,6 % der Gesamtbevölkerung (RKI, 2021b). Davon galten etwa 2,7 Mio. als genesen. Die kumulierte Gesamtzahl der „Corona Toten“ aus bisher drei Wellen betrug etwa 78.000, d. h. die vorläufige Sterberate lag bei etwa 2,6 % der gemeldeten Infizierten. Darunter waren überwiegend sehr alte, zumeist bereits chronisch vorerkrankte Menschen. Aktuell sind 88 % der COVID-19-Todesfälle über 70 Jahre; der Altersmedian der Sterbefälle liegt bei 84 Jahren (RKI, 2021a).

Auf der bundespolitischen Ebene wurde die Bewältigung der Corona-Pandemie von Beginn an zur „Chefsache“ der Exekutive erklärt (Hickmann et al., 2020). Die Koordination der jeweils zuständigen Akteure oblag der Bundeskanzlerin bzw. dem Bundeskanzleramt. Zur interministeriellen Koordination von Einzelaktivitäten, z. B. Hilfen für krisenbedrohte Betriebe, Branchen und Kommunen, Kurzarbeitergeld, Regelungen zum Homeoffice, gibt es ein „Corona-Krisen-Kabinett“ unter Beteiligung der Ministerien für Finanzen, Wirtschaft, Inneres, Gesundheit und Verteidigung. Die zentralen Akteure in der Krisenbewältigung in Deutschland waren bis April 2021 – entsprechend dem Föderalismusprinzip – die 16 Bundesländer, vertreten durch ihre Ministerpräsident:innen bzw. regierenden Bürgermeister:innen. Unter der Federführung der Kanzlerin bzw. des Kanzleramtes und mit Beteiligung der jeweils betroffenen Ressorts gab es regelmäßig stattfindende „Bund-Länder-Gipfeltreffen“. Hier fielen die zentralen Beschlüsse zur Pandemiebekämpfung und -bewältigung – jenseits von primären Ressortzuständigkeiten, wie Wirtschaftsförderung, Kurzarbeitergeld, Homeoffice etc. Sie bezogen sich u. a. auf Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen, Verbote von Großveranstaltungen, Quarantäneregelungen, sog. „Lockdown“-Regelungen für den Einzelhandel, die Gastronomie und übrige gewerbsmäßige Dienstleistungen, private Besuchsregelungen, Regelungen zu grenzüberschreitenden Ein- und Ausreisen, Beschränkungen von Reisen ins Ausland, Tourismussteuerung, Öffnung und Schließung öffentlicher Einrichtungen wie Museen, Messen, Volkshochschulen, Schulen, Kindergärten, Universitäten, Schwimmbädern, Sportstätten, Bordellen, Gymnastik- und Wellnessclubs und anderer Einrichtungen mit Publikumsverkehr sowie die Planung und Steuerung des Impfgeschehens (seit 12/2020), allerdings bei individueller Impffreiheit (vgl. im Detail Hickmann et al., 2020).

Es war bisher Aufgabe der Bundesländer, die Corona-Beschlüsse des Bund-Länder-Gipfels in ihrer jeweiligen regionalen Zuständigkeit umzusetzen. Dies erfolgt zumeist durch Delegation auf die Kommunen als die verfassungsrechtlich Verantwortlichen für die „Anliegen der örtlichen Gemeinschaft“ (siehe auch die Beiträge von Igl und Naegele in diesem Band sowie Abschn. 3). Allerdings haben sie auch das Recht auf Durchführung eigener lokal begrenzter Corona-Maßnahmen bzw. auf eine ortsbezogene Modifizierung der Länderbeschlüsse und praktizieren dies auch heute noch.

Gab es zu Beginn der Krise noch weitgehende Einigkeit in den Beschlüssen zwischen den Bundesländern im sog. Bund-Länder-Gipfel und ihrer Umsetzung auf Länderebene und in den Kommunen, so zeigten sich 2021 seit Beginn der dritten Welle zunehmend Auflösungstendenzen. Unter Verweis auf das Föderalismusprinzip und landesspezifische Besonderheiten wie 7-Tage-Inzidenzzahlen, Versorgungslage mit Schulen und Kindergärten, Wirtschaftslage und Arbeitsplätze oder Abhängigkeit vom Tourismus gingen einzelne Bundesländer immer häufiger „Sonderwege“ in Auslegung und Anwendung der Beschlüsse. Auch in den Kommunen gab es vielfach Alleingänge, vor allem in Abhängigkeit von der jeweiligen 7-Tages-Inzidenzzahlen, so z. B. bei Öffnungszeiten, Besuchs- oder Tourismusregelungen. In den meisten Bundesländern hatten trotz des bundesweiten Lockdowns viele Kommunen den Status einer „Modellkommune“, d. h. hier wurde mit der kontrollierten Öffnung von Geschäften, Kultureinrichtungen, z. B. Kinos, sowie der Außengastronomie für Personen mit negativen Testergebnissen experimentiert.

Der Deutsche Bundestag, das wichtigste Organ der Legislative mit Gesetzgebungskompetenz, war und ist bisher weitgehend aus diesem Entscheidungsprozess ausgeschlossen. Er hat zwar Anhörungs- und Empfehlungs-, aber wegen der „Chefsache“ und der Verlagerung der Kompetenzen auf den Bund-Länder-Gipfel nur ein stark begrenztes Beschlussrecht, was angesichts der überregionalen Bedeutung des Themas und der zunehmenden Alleingänge der Länder ohne parlamentarische Kontrolle durch den Bundestag wiederholt zu Kritik in allen Parteien geführt hat. Seit April 2021 gibt es nun Veränderungen in den politischen Verantwortlichkeiten. Diese sind durch eine Novelle des Infektionsschutzgesetzes, die nicht wie sonst üblich der Zustimmung der Bundesländer bedarf, neu geregelt. Das Gesetz verlangt jetzt ein bundeseinheitliches Handeln und damit einen Stop der Alleingänge der Bundesländer. Die Bundesregierung, die diese Novelle initiiert hat, begründet die Rückverlagerung der Verantwortung auf die Bundesebene und damit die faktische Aushöhlung des Föderalismusprinzips in der Corona Bekämpfung mit der Notwendigkeit, eine bundesweit einheitlich wirksame „Notbremse“ ziehen zu müssen, um ein weiteres Ausbreiten der Corona-Pandemie zu verhindern. Unter der Voraussetzung unterschiedlicher 7-Tage Inzidenzen (Zahl der Neuinfektionen je 100.000 Einwohner:innen in einem Kreis oder einer Stadt) sind jetzt u. a. die Bereiche Ausgangsbeschränkungen, Schulschließungen oder Öffnungszeiten von Läden und Geschäften bundeseinheitlich geregelt. Zum Zeitpunkt der Abfassung dieses Beitrags lagen noch keine Erfahrungswerte mit der Umsetzung und den Erfolgen vor. Gegner der Novelle planen zudem eine Beschwerde gegen das Gesetz beim Bundesverfassungsgericht mit der Begründung der Abkehr vom Föderalismusprinzip.

3 Die Rolle der Kommunen im gesundheitsbezogenen Corona-Krisenmanagement

In der Corona-Krise stehen die Kommunen vor besonderen Herausforderungen u. a. durch dramatisch sinkende Einnahmen und steigende Ausgaben und damit zunehmende Finanznot. Besonders im Corona-Krisenbewältigungs-Fokus sind die ca. 375 örtlichen Gesundheitsämter mit ihren etwa 38.000 Beschäftigten. Die personelle Ausstattung wird von vielen Expert:innen als zu niedrig für die Bewältigung der Coronakrise eingeschätzt. Als örtliche Behörden sind die Gesundheitsämter für die meisten gesundheitsbezogenen kommunalen Aufgaben wie Gesundheitsberichterstattung, Gesundheitsförderung und Prävention, Gesundheitshilfen sowie lokaler Infektionsschutz zuständig. Seit Beginn der Corona-Krise sind sie vor allem mit der Nachverfolgung von Infektionsketten und der Überprüfung von Quarantänevorschriften beschäftigt. In vielen Kommunen sind zusätzlich auch die Medizinischen Dienste der Krankenkassen sowie die Behörden, die für Sicherheit und Ordnung zuständig sind, d. h. die Ordnungsämter, an Beratungs-, Kontroll- und Überwachungsaufgaben wie Impfregelungen, Überwachung der Maskenpflicht, Einhaltung von Abstandsregelungen und/oder Versammlungsverboten und Sperrstunden beteiligt. Bei Nichteinhaltung der Verbotsregelungen können z. T. drastische Geldbußen verhängt werden, deren Eintreibung neue unpopuläre Aufgaben für die Kommunen mit sich bringt. Vielerorts mit eingebunden ist auch die Bundeswehr mit ihrem Gesundheitspersonal. Freiwillige Helfer:innen, darunter viele jüngere Freiwillige mit sozial-pflegerischem Hintergrund, z. B. Medizinstudent:innen oder Mitglieder sozialer Jugendverbände, bilden ein weiteres wichtiges Glied im lokalen Corona Krisen-Management (siehe den Beitrag von Müntefering in diesem Band, sowie Abschn. 5 unten).

Zu den eigenen kommunalen Einrichtungen gehören, vor allem in größeren Kommunen, lokale Corona Krisenstäbe bzw. Koordinierungsstellen mit der Aufgabe der wohnortnahen Planung und Vernetzung von Corona-Hilfen verschiedener Akteure. Des Weiteren verfügen inzwischen fast alle Kommunen über eigene Corona-Schnelltesteinrichtungen sowie über lokale Impfzentren zur Durchführung der seit Ende 2020 zögerlich angelaufenen Massenimpfungen (Bundesministerium für Gesundheit (BMG), 2021). Seit April 2021 sind auch die Hausärzt:innen als Akteure der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) in das örtliche Impfgeschehen eingebunden. Eine besonders wichtige Rolle kommt zudem den professionellen Pflegekräften in örtlichen Einrichtungen (Heimen) und Pflegediensten (Sozialstationen, Tages- und Kurzzeitpflege) zu, die wiederum den Pflegekassen der Gesetzlichen Pflegeversicherung zugeordnet sind. So übernehmen sie in der häuslichen Pflege Corona-typische Hilfe-, Beratungs- und Schutzfunktionen, ohne zumindest in der Anfangsphase fachlich wie materiell (z. B. Schutzkleidung) darauf hinreichend vorbereitet bzw. entsprechend ausgestattet gewesen zu sein (Auffenberg & Heß, 2021). Inzwischen sind sie jedoch als Impfberechtigte der höchsten Prioritätengruppe zugeordnet und auch de facto weitgehend „durchgeimpft“.

Je nach Bundesland und regionalen bzw. lokalen Besonderheiten ergab sich somit bis April 2021 in den Kommunen eine „bunte“ Mischung aus Akteuren, Zuständigkeiten und lokalen Sonderregelungen, die in der Bevölkerung nicht immer als transparent wahrgenommen wurden. Auf der anderen Seite klagen die kommunal agierenden Träger und Institutionen über Personalmangel. Die Belastung der Pflegekräfte nimmt ebenfalls sichtbar zu (Schulze & Holmberg, 2021). Es ist fraglich, wie viele Professionelle, vor allem aus den Pflegeberufen, nach Beendigung der Corona-Krise noch in ihrem Ursprungsjob verbleiben werden. Zweifellos ist Corona zu einem weiteren bedeutsamen Faktor des Fachkräftemangels in den sozialen Berufen geworden, einerseits erhöht die Pandemie den Bedarf, andererseits verschlechtert sie die Arbeitsbedingungen (siehe den Beitrag von Theobald in diesem Band).

4 Ältere Menschen im Fokus

Die überdurchschnittlich hohe Inzidenz hat sehr alte Menschen zu Recht in der öffentlichen Wahrnehmung zu einer „besonders gefährdeten“ Bevölkerungsgruppe gemacht, die vielfältige Schutzmaßnahmen und Hilfen benötigt. Diese Sicht konzentrierte sich anfangs vor allem auf die Heime, weil hier die Sterberaten besonders hoch waren. Zur Abwehr des Infektionsrisikos wurden dazu mehr oder weniger rigide Besuchs- und Ausgangssperren sowie vielfältige Kontaktverbote erlassen. Im April 2021 waren aber fast alle Heimbewohner:innen geimpft, und die Besuchsregelungen konnten wieder gelockert worden. Andererseits gab es – vor allem aus dem Umfeld der Alternswissenschaften – Warnungen davor, der Corona-Pandemie wichtige altenpolitische Ziele wie Inklusion, Partizipation und soziale Teilhabe zu opfern. Restriktive Maßnahmen seien nicht nur schützend, sondern zögen auch erhebliche psychische, kognitive, und emotionale sowie körperliche, versorgungsbezogene und soziale Probleme nach sich. „Social Distancing“ im Alter gilt als eine zentrale Quelle für psychische und körperliche Erkrankungen, für Einsamkeit und Isolation, insbesondere in den wachsenden Fällen von Singularisierung im Alter (Kricheldorff, 2020). So heißt es in einer Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Gerontologie und Geriatrie vom April 2020: „Undifferenzierte und pauschale Maßnahmen, die ältere Menschen unverhältnismäßig im Vergleich zur restlichen Bevölkerung ausschließen, sind wissenschaftlich nicht begründet und basieren auf grob vereinfachenden Altersstereotypen. Sie stellen eine Form der Altersdiskriminierung dar“ (DGGG, 2020).

Nach einem Jahr Corona-Pandemie-Erfahrungen betreffen die größten Herausforderungen auch heute noch das lokale Versorgungs- und Gesundheitssystem. Noch immer sind ältere Menschen im Fokus, wenngleich sich in der dritten Welle eine leichte Verlagerung der Risikobetroffenheit auf jüngere Altersgruppen abzuzeichnen scheint. Dies betrifft zum einen die nach wie vor schwierige stationäre Versorgung in den Krankenhäusern und Heimen. Wegen ihrer multikomplexen Problemlage gilt dies aber zunehmend auch für die zahlreichen informellen häuslichen Versorgungsarrangements, in denen bundesweit knapp 80 % der anerkannt Pflegebedürftigen Unterstützung und Betreuung finden (siehe die Beiträge von Kricheldorff und Naegele in diesem Band). Hinzuzuzählen sind weiterhin die ebenfalls aufwendigen sozial-pflegerischen Unterstützungsbedarfe für diejenigen, die lediglich ein hohes Risiko haben, schwer an Covid-19 zu erkranken, sich im Lockdown oder sich in Quarantäne befinden und deshalb auf familiale oder fremde Hilfe angewiesen sind. Vor allem die Älteren unter ihnen, und dies ist vermutlich die größte Gruppe, leiden unter dem Wegfall entlastender Dienstleistungen im Umfeld. Weitere Belastungen resultieren aus dem Corona-typisch stark gestiegenen Stress bei den oftmals überforderten Pflege- und Unterstützungspersonen. Zunehmend gibt es dabei auch Konflikte mit der familialen bzw. informellen Helfern (Klaus & Ehrlich, 2021). Besonders betroffen sind Versorgungsarrangements für demenzkranke ältere Menschen, denn diese können aufgrund ihrer kognitiven Einschränkungen kaum verstehen, warum sie ihre gewohnten sozialen Beziehungen nicht oder nicht mehr (er)leben können. Insgesamt steigen auch die Belastungen für berufstätige private Helfer:innen, denn nicht überall ist Homeoffice möglich (Horn & Schweppe, 2020; Kricheldorff, 2020) (siehe den Beitrag von Reichert in diesem Band). Auch die zahlreich geleistete Unterstützung durch freiwilliges Engagement ist unter Corona-typischen Druck geraten, z. B. wegen Ausgangssperren, Besuchsverboten und nicht zuletzt aus Angst vor Ansteckungen (siehe Abschn. 5 unten). So urteilt die Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen (BAGSO) in einem Positionspapier vom September 2020: „Ältere Menschen, vor allem, wenn sie allein oder in prekären Verhältnissen leben oder aufgrund von Krankheit, Behinderung oder Pflegebedürftigkeit in ihrer Handlungsfähigkeit stark eingeschränkt sind, treffen die Auswirkungen einer Krisen- und Katastrophensituation in der Regel besonders stark“.

„Good Practice“-Beispiele für kommunale Modelle, die in der Unterstützung betroffener älterer Menschen auf die Zusammenarbeit mit Freiwilligen setzen, sind kürzlich in einer Zusammenstellung zum Thema „Kommunale Innovation-Altersfreundlichkeit in Zeiten der Corona Pandemie“ publiziert worden. Die Beispiele reichen von sog. „Fenstergesprächen“ mit isoliert lebenden älteren Menschen (Kassel) über ein im Auftrag der Stadt eingerichtetes Quartiersmanagement, das örtliche Betriebe wie Bäcker, Metzger oder Einzelhandel mit freiwilligen Engagierten vernetzt, um Hilfebedürftigen bei Bedarf zur Seite stehen (Projekt „LebenPlus“ in Tirschenreuth), über Vorleseangebote örtlicher Bibliotheken für vom Lockdown Betroffene (Arnsberg), die Organisation von „Pflege-Touren“ als Freizeitangebote nur für Covid-19 positiv Getestete (Freiburg), Digitalschulungen für ungeübte Ältere (Daun, Halle und Kopp), Corona-Beratungs- und Gesprächs-Hotlines (Arnsberg) bis hin zu ehrenamtlich organisierten Lieferdiensten von Lebensmitteln für isoliert lebende Ältere (Pirmasens). Als wesentliche Erfolgskriterien der Modellprojekte werden genannt: zielgruppengerechte Kommunikationskanäle zwischen den Älteren und der Kommunalverwaltung, Förderung der Stabilität bestehender kommunaler Netzwerke sowie eine in der Verwaltung gelebte positive Innovationskultur. Im Abschlussbericht heißt es dazu: „Diese Prinzipien sind für die identifizierten Problembereiche – Angst und Unsicherheit, Engpässe in der Versorgung Älterer, Schließung von Begegnungsorten sowie soziale Isolation und Einsamkeit – genauso relevant wie für die Innovationsfähigkeit von Kommunen insgesamt“ (Körber Stiftung & Berlin Institut für Bevölkerung und Entwicklung, 2020: 15).

5 Freiwillige Engagementpotenziale und -muster in der Corona-Krise

Während der Corona-Pandemie haben sich ehrenamtliche Initiativen, zum Teil aus etablierten Organisationen der Nachbarschaftshilfe wie den Wohlfahrtsverbänden, Religionsgemeinschaften, Kommunen, Stadtteilvereinen oder politischen Parteien sowie aus weiteren Organisationen, z. B. Sportvereinen, heraus oder über digitale soziale Medien, z. B. Facebook oder WhatsApp, gebildet, um vor allem Risikogruppen oder Menschen in Quarantäne in Form von Einkaufsdiensten oder anderen Hilfeleistungen zu unterstützen. Neben Hilfsangeboten durch die o.g. Initiativen oder Vereine war auch im unmittelbaren nachbarschaftlichen Umfeld eine Zunahme an informeller Unterstützung im Frühsommer 2020 zu verzeichnen (Klaus & Ehrlich, 2021). In Bezug auf die Engagementbereitschaft hat eine während der ersten Corona-Welle (Frühling, 2020) durchgeführte Befragung gezeigt, dass in dieser Krisensituation mehr Menschen bereit waren, sich informell in einer Nachbarschaftshilfe bei der Unterstützung von Risikogruppen zu engagieren. Während grundsätzlich, auch außerhalb der Krisensituation, gut ein Drittel zu ehrenamtlicher Nachbarschaftshilfe bereit ist, waren es in der Covid-19-Krisensituation insgesamt knapp 60 % (Bölting et al., 2020). Die Bereitschaft, Nachbarschaftshilfe anzunehmen, war ebenfalls groß, wenngleich gut ein Viertel der Befragten diese Hilfe grundsätzlich nicht und weitere fünf Prozent nur außerhalb der Covid-19-Situation in Anspruch nehmen würden (Bölting et al., 2020).

Neben einer Zunahme an Unterstützungsbereitschaft und konkreten Unterstützungsangeboten zeigt sich in anderen Bereichen aber auch eine Abnahme an Unterstützung. So berichten pflegende Angehörige nicht nur von einem Rückgang an Unterstützung durch professionelle Dienste wie Tagespflegeeinrichtungen, ambulante Pflegedienste, 24-h-Pflegekräfte und Hausärzt:innen, sondern auch durch informelle Helfer:innen wie Nachbar:innen, Freund:innen und Familienmitglieder (Eggert et al., 2020; Rothgang et al., 2020). Dass weniger Unterstützung durch Dritte erfolgt, liegt vor allem daran, dass Dritte weniger Unterstützung anbieten, in einigen Fällen aber auch darin begründet, dass die Pflegehaushalte die Unterstützung wegen der Pandemie und der Gefahren nicht in Anspruch nehmen wollen (Rothgang et al., 2020). Weshalb informelle Dritte, z. B. Familienmitglieder oder Freund:innen, weniger Unterstützung anbieten, könnte dadurch zu erklären sein, dass sie die anderen nicht gefährden wollen, dass sie selbst zur Risikogruppe zählen oder dass sie durch die Pandemie in anderen Bereichen stärker eingespannt sind, z. B. Kinderbetreuung durch Schließung von Kindertagesstätten, und es daher zeitlich nicht mehr schaffen. Die Abnahme an formeller und informeller Unterstützung durch Dritte im Zuge der Pandemie trägt neben anderen Faktoren zur Erhöhung des Belastungsempfindens bei pflegenden Angehörigen bei (Rothgang et al., 2020). Eine zwischen Juni und Juli 2020 bundesweit durchgeführte Befragung unter einer Gruppe von ehrenamtlich Engagierten mit Kontakt zu älteren Menschen zeigte, dass diese Form der Unterstützung im Zuge der Pandemie abgenommen hat (Stiel, 2020). Gründe für die Abnahme sind zum einen infrastruktureller Art: So waren die sonst für die Kurse oder Beratungen genutzten Räume Corona-bedingt nicht mehr zugänglich. Zum anderen ist der Rückgang durch individuellen Rückzug der Engagierten zu erklären, etwa weil sich einige Freiwillige zur Risikogruppe zählen. Daneben ist auch die Nachfrage von Bürger:innen nach ehrenamtlicher Unterstützung im Zuge der Pandemie zurückgegangen (Stiel, 2020).

6 Studie: Gesundheit und Unterstützung in Zeiten von Covid-19

6.1 Anliegen und Durchführung

Unterstützungsmuster haben sich also im Zuge der Covid-19-Pandemie grundlegend verändert. Mit der Studie „Gesundheit und Unterstützung in Zeiten von Corona“ der TU DortmundFootnote 1 sollte für den gesamten Bereich informeller, sozialer Unterstützung, die von Einkaufs- und Haushaltshilfe über emotionale Unterstützung bis zur persönlichen Pflege reichen kann – und für alle Personengruppen – u. a. in Erfahrung gebracht werden, inwiefern sich Unterstützung im Zuge der Covid-19-Pandemie verändert hat. Es galt zu untersuchen, ob es Personengruppen gibt, denen seit Ausbreitung von Covid-19 vermehrt geholfen wird, und umgekehrt, ob und bei welchen Gruppen eine Abnahme an Unterstützung zu verzeichnen ist. Hier ist zu vermuten, dass Unterstützungsleistungen an ältere Personen, z. B. Eltern oder Schwiegereltern, eher zugenommen haben, während Unterstützungsleistungen an jüngere Personen, z. B. Enkelkinder, abgenommen haben. Zudem war von Interesse herauszufinden, ob sich Unterstützungsmuster von jüngeren und älteren Hilfeleistenden in unterschiedliche Richtungen verändert haben. Eine Studie von Bölting et al. (2020) zeigt – bezogen auf Nachbarschaftshilfe, dass Singles und Paare ab 65 Jahren im Vergleich zu anderen Gruppen die geringste Unterstützungsbereitschaft aufweisen, gefolgt von Singles oder Paaren zwischen 30 und 44 Jahren, während Familienhaushalte, Personen unter 30 Jahren sowie Singles und Paare zwischen 45 und 64 Jahren am ehesten bereits sind, Unterstützung zu leisten. Der Befund, dass insbesondere ältere Menschen Corona-bedingt weniger Nachbarschaftshilfe leisten, dürfte damit zusammenhängen, dass für sie die mit einer Infektion verbundenen Gesundheitsrisiken besonders groß sind. Aus dem gleichen Grund ist zu vermuten, dass sie aufgrund der Pandemie allgemein weniger soziale Unterstützungsleistungen erbringen. Es wird also angenommen, dass Unterstützungsleistungen von älteren Personen an andere, nicht im Haushalt lebende Personen, stärker abgenommen haben und gleichzeitig Unterstützungsleistungen in jüngeren Altersgruppen eher zugenommen haben, da ihr Risiko geringer ist, schwer an Covid-19 zu erkranken.

Die Studie „Gesundheit und Unterstützung in Zeiten von Corona“ der TU Dortmund wurde im Zeitraum zwischen Anfang Mai und Anfang Juli 2020, also der ersten Covid-19-Welle, in Form einer quantitativen Telefon-/Online-Befragung durchgeführt. Zielgruppe waren Menschen mit Wohnsitz in Deutschland im mittleren und höheren Erwachsenenalter (40 + ). Die Rekrutierung von Teilnehmenden erfolgte über eine Anzeige in einer Dortmunder und Schwerter Wochenzeitung, mittels Flyer und Informationsschreiben, die Multiplikator-Organisationen, z. B. kommunalen Seniorenbüros, Wohlfahrtverbänden, Vereinen, Arztpraxen, zur Verfügung gestellt wurden, sowie über berufliche und private Netzwerke des Forscherteams (Quashie et al., 2021). Darüber hinaus wurden sieben Expert:innen aus den Bereichen Gesundheits- bzw. Altenpolitik, Wissenschaft und Praxis mit dem Ziel interviewt, kommunalpolitische Handlungserfordernisse zur Verbesserung der Situation von pflegebedürftigen älteren Menschen und ihrer Angehörigen zu ermitteln (siehe 6.3).

Die Teilnehmer:innen der quantitativen Studie wurden gefragt, ob sie vor der Ausbreitung des Corona-Virus privat regelmäßig anderen Personen geholfen hatten. Anschließend wurden sie nach den Personengruppen gefragt, die sie unterstützt hatten und ob sie diesen seit Ausbreitung des Corona-Virus mehr, genauso viel oder weniger geholfen haben. Darüber hinaus wurde gefragt, ob es auch Personen gibt, denen sie erst seit Ausbreitung des Corona-Virus helfen. Getrennt davon wurden außerdem Personen mit Enkelkindern gefragt, wie oft sie jeweils vor und seit Ausbreitung des Corona-Virus ihre Enkel betreut hatten. Alle Teilnehmer:innen wurden wiederum gefragt, ob sie die nötige Unterstützung zum Zeitpunkt der Befragung leisten können und wenn dies nicht oder nur teilweise zutraf, warum sie die Unterstützung nicht leisten können. Anhand dieser Angaben sollen die Veränderungen in der Unterstützung anderer durch die Ausbreitung des Corona-Virus dargestellt werden.

Insgesamt wurden für die Auswertungen 429 Fälle herangezogen, die Angaben zu den für die Untersuchung relevanten Fragen gemacht hatten, über 40 Jahre alt waren und in Deutschland lebten. 72,1 % der Befragten waren Frauen. Das Durchschnittsalter betrug 58,8 Jahre. Die Mehrheit der Befragten war verheiratet und lebte mit dem Partner/der Partnerin zusammen (61,5 %). In Beschäftigung befanden sich 59,2 %, weitere 6,9 % waren nicht erwerbstätig und 33,9 % waren im Ruhestand. Verglichen mit der Allgemeinbevölkerung hatten überproportional viele der Befragten ein Hochschulstudium abgeschlossen (53,3 %). Die Verzerrungen im Vergleich zur Grundgesamtheit sind vergleichbar mit denen anderer (Alters-)Studien und müssen für die Interpretation und Reichweite der Resultate im Blick behalten werden (Klaus & Engstler, 2016; Kühne et al., 2020; Lang et al., 2020; Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB), 2020; Motel-Klingebiel et al., 2014).

6.2 Ergebnisse der quantitativen Befragung

Im Folgenden wird dargestellt, wie die Befragten bereits vor Ausbreitung des Corona-Virus bestimmte Personengruppen unterstützt haben, wie sich diese Unterstützung im Zuge der ersten Corona-Welle verändert hat und welche Personengruppen seit Ausbreitung des Corona-Virus noch zusätzlich unterstützt werden. Außerdem werden die Einschätzungen der Befragten beschrieben, ob sie die von ihnen geleistete Unterstützung für ausreichend halten und was Gründe für den Wegfall der Unterstützung sein können.

Bereits vor Ausbreitung des Corona-Virus hatten 52,2 % der Befragten regelmäßig andere Personen unterstützt. Dagegen gaben nur 12,5 % der Befragten an, dass sie seit Ausbreitung des Corona-Virus bestimmte Personen unterstützten, die sie davor noch nicht unterstützt hatten. Zu den Befragten, die zusätzlich weitere Personengruppen unterstützt haben, zählen auch Personen, die vorher keine Personen unterstützt hatten. Zwischen Älteren und Jüngeren unterscheiden sich diese Anteile. Während bei den unter 65-Jährigen 46 % der Befragten bereits vor Ausbreitung des Corona-Virus Unterstützung geleistet hatten, waren es bei den Befragten ab 65 Jahren 64,9 %. Neue Unterstützung leisteten 14,3 % der unter 65-Jährigen, während dies 8,7 % der Befragten ab 65 Jahren taten.

Seit Ausbreitung des Corona-Virus neu hinzugekommene Personengruppen waren vor allem Nachbar:innen (52 %), Eltern (38 %) und Freund:innen (14 %). Unter den bereits vor Ausbreitung des Corona-Virus abgefragten Unterstützungsleistungen, wurden „sonstige Hilfen“ (68,5 %) und „Unterstützung im Haushalt“ (66,7 %) am häufigsten genannt. Die am häufigsten genannten Unterstützungsleistungen, die erst seit Ausbreitung des Corona-Virus erbracht wurden, waren „Einkaufen“ (78 %) und „Zuhören“ (58 %).

Diejenigen, die bereits vor Ausbreitung des Corona-Virus andere unterstützt hatten, wurden auch gefragt, wie häufig sie seit Ausbreitung des Corona-Virus die genannten Personengruppen unterstützten. Daraus können vier unterschiedliche Muster der Veränderungen identifiziert werden:

  • Befragte, die mindestens eine Personengruppe seltener unterstützen als vorher, während sie andere Personengruppen nicht häufiger unterstützten,

  • Befragte, die mindestens eine Personengruppe häufiger unterstützten als vorher, während sie andere Personengruppen nicht seltener unterstützten,

  • Befragte, die alle Personengruppen genauso häufig unterstützen wie zuvor,

  • Befragte, die einige Personengruppen häufiger und andere Personengruppen seltener unterstützen.

Die Anteile der Befragten mit unterschiedlichen Unterstützungsmustern sind in Abb. 1 unterteilt nach Altersgruppen und für alle Befragten insgesamt dargestellt: Die Mehrheit (61,9 %) leistete seltener Unterstützung als zuvor und nur 13,3 % gaben an, häufiger Unterstützung zu leisten als vorher. Gleich geblieben ist die Unterstützung von 17,1 %, weitere 7,6 % der Unterstützer:innen leisteten teilweise mehr und teilweise weniger Unterstützung. Zwischen den Altersgruppen zeigt sich, dass 73,3 % der Unterstützer:innen ab 65 Jahren weniger Unterstützung gaben als zuvor, während der Anteil bei den unter 65-Jährigen 54 % beträgt. Dagegen leisteten 17,7 % der Unterstützer:innen unter 65 Jahren mehr Hilfe seit Ausbreitung des Corona-Virus, während das nur auf 7 % der Unterstützer:innen ab 65 Jahren zutrifft.

Abb. 1
figure 1

Quelle: Autor:innen

Veränderung der bereits vor Ausbreitung des Corona-Virus geleisteten Unterstützung (n = 210).

Wie diese Veränderungen die unterstützten Personengruppen betrafen, zeigt Abb. 2. Dort sind die Anteile der Personengruppen, die seit Ausbreitung des Corona-Virus häufiger bzw. seltener von den Befragten unterstützt wurden den Anteilen der Personengruppen, die bereits vor Ausbreitung des Corona-Virus unterstützt wurden gegenübergestellt. Da separat nach der Unterstützung und Betreuung von Enkelkindern gefragt wurde, sind für diese Personengruppe beide Tätigkeiten separat ausgewiesen.

Abb. 2
figure 2

Quelle: Autor:innen

Unterstützte Personengruppen.

Für den Zeitraum vor Ausbreitung des Corona-Virus gaben die Befragten an, ihre Eltern bzw. Schwiegereltern (41,3 %), Enkelkinder (39 %) und Freund:innen (33,3 %) unterstützt bzw. betreut zu haben. Für diese drei Gruppen wurden seit Ausbreitung des Corona-Virus seltener Unterstützungsleistungen erbracht. 49,3 % der Unterstützer:innen betreuten ihre Enkelkinder seit Ausbreitung des Corona-Virus seltener als zuvor und die Anteile der Unterstützer:innen, die seltener ihren Freund:innen und (Schwieger-)Eltern halfen, liegen bei 25,3 % bzw. 21,9 %. Gleichzeitig gaben 52,3 % der Unterstützer:innen, die häufiger Unterstützung leisteten als zuvor, an, ihre Eltern häufiger zu unterstützen. An zweiter und dritter Stelle folgen Nachbar:innen (25 %) und die eigenen Kinder (18,2 %).

Hervorzuheben ist der Anteil der „anderen Personen“ (25,8 %), die bereits vor Ausbreitung des Corona-Virus unterstützt und seit Ausbreitung des Corona-Virus von vielen Befragten seltener unterstützt wurden (21,9 %). Bei diesen „anderen Personen“ handelt es sich vermutlich um Personen, die in Form einer ehrenamtlichen Tätigkeit, z. B. häusliche Besuchsdienste, Engagement in Pflegeeinrichtungen oder Schulen, ehrenamtliche Smartphone-Kurse unterstützt wurden und derzeit aufgrund geschlossener Einrichtungen oder geltender Besuchsverbote weniger Unterstützung erhalten.

Insgesamt gaben 102 Befragte an, nicht oder nur teilweise die benötigte Unterstützung leisten zu können. Diese Befragten wurden nach den Gründen gefragt, warum sie die nötige Unterstützung nicht leisten können, worauf 93 Befragte antworteten. Ihre Antworten sind in Abb. 3 dargestellt. Am häufigsten nannten die Befragten die Angst, die zu unterstützenden Personen anzustecken (46,2 %) bzw. dass die zu unterstützenden Personen Angst vor einer Ansteckung hätten (30,1 %). Nur 17,2 % gaben an, selbst Angst vor einer Ansteckung zu haben. Häufiger genannt als die Angst vor eigener Ansteckung wurden berufliche oder private Gründe (24,7 %) und Besuchsverbote in den Einrichtungen, in denen die Personen leben, die sie unterstützen möchten (22,6 %).

Abb. 3
figure 3

Quelle: Autor:innen

Gründe für nicht geleistete nötige Unterstützung (n = 93).

Die Erbringung von Unterstützung hat sich durch die Ausbreitung des Corona-Virus stark verändert. Während etwas mehr als die Hälfte der Befragten bereits vorher andere Personen unterstützt hatten, kamen mit Ausbreitung des Corona-Virus nur für einen geringen Teil neue Personen hinzu, die sie seitdem unterstützten. Dafür gab die Mehrheit der Unterstützer:innen an, seit Ausbreitung des Corona-Virus seltener Unterstützung zu leisten. Dass nicht genügend Unterstützung geleistet werden kann, liegt vornehmlich an der Einschätzung des Ansteckungsrisikos, aber auch daran, dass Personen, die unterstützt werden sollen, in Einrichtungen leben, in denen während der ersten Welle ein Besuchsverbot herrschte. Dazu kommen weitere berufliche bzw. private Gründe. Betroffen von diesen Veränderungen waren vor allem die intergenerationalen Unterstützungsleistungen, sodass Großeltern ihre Enkelkinder nicht mehr betreuen und erwachsene Kinder sich nicht mehr um ihre Eltern und Schwiegereltern kümmern konnten. Gleichzeitig ergaben sich neue Unterstützungsbedarfe, sodass Eltern bzw. Schwiegereltern gleichzeitig zu der Gruppe zählen, die neben Nachbar:innen und Freund:innen seit Ausbreitung des Corona-Virus häufiger oder neuerdings unterstützt wurden.

6.3 Ergebnisse der Expert:inneninterviews

Zentraler Beweggrund zur Durchführung von zusätzlichen leitfadengestützten Interviews war es, die Meinung von ausgewählten Expert:innen aus den Feldern Gesundheits- bzw. Altenpolitik, Wissenschaft und Praxis zu den Folgen der Corona-Pandemie für älter werdende und ältere Menschen zumindest beispielhaft zu erfassen. So galt es zum einen, jene Gruppen zu identifizieren, die von der Corona-Pandemie besonders betroffen waren bzw. sind. Zum anderen, und hierauf lag der Schwerpunkt der Befragung, ging es um die Einschätzung der Expert:innen zu den Auswirkungen der Corona-Pandemie für die häusliche und stationäre Pflege sowie um die sich daraus ergebenden Unterstützungsbedarfe.

Die Auswertung zeigte, dass ein Teil der quantitativ erhobenen Ergebnisse auch durch die Aussagen der Expert:innen gestützt werden konnte. Dies gilt nicht nur für die Situation von pflegenden Angehörigen, deren ohnehin hohes Belastungserleben, z. B. bei dem Versuch Beruf- und Pflegetätigkeit zu vereinbaren, durch die Covid-19-Pandemie auch aus Sicht der Expert:innen noch verstärkt worden ist. Aber auch andere Gruppen – hier vor allem chronisch Kranke, Pflegebedürftige, an Demenz Erkrankte und/oder hochaltrige Menschen – gelten nach Ansicht der Expert:innen aufgrund der Pandemie verstärkt als vulnerabel. Thematisiert wurde zudem – ebenfalls in Einklang mit den oben beschriebenen Ergebnissen – das gestiegene Risiko von Isolation und Einsamkeit, aber auch die eingeschränkte bzw. fehlende Unterstützung durch und für Familienangehörige. Es ist somit wenig erstaunlich, dass sich der von den Expert:innen erkannte Handlungsbedarf vorrangig auf eine Verbesserung der Lebenssituation der vorgenannten Personengruppen bezieht. In diesem Zusammenhang ist explizit auch die Verantwortung der Kommunen betont worden.

Die Kommune, so die nahezu einhellige Meinung, sei der zentrale Ort, um die gesundheitliche und pflegerische Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen, und zudem sei dies eine ihrer zentralen Aufgaben. Gleichzeitig wurde allerdings darauf hingewiesen, dass diesbezüglich in der Vergangenheit vieles versäumt worden sei und es keine gut funktionierende kommunale Gesundheitspolitik gäbe. So wurde das Fehlen von klaren Pandemieplänen ebenso beklagt wie die unzureichende Arbeit der Krisenstäbe und die mangelnde Vernetzung relevanter Akteure.

Damit die Kommunen zukünftig besser auf ähnliche Krisen wie die Corona-Pandemie vorbereitet sind, erachten die Expert:innen folgende Maßnahmen als wichtig:

  • Stärkung der Rolle der Gesundheitsämter in Bezug auf Prävention, d. h. in Bezug auf Beratung und Aufklärung zur Vermeidung von Infektionen,

  • Optimierung von Koordination und Vernetzung zwischen den Bereichen Pflege, Gesundheitsversorgung, Prävention,

  • Kommunalisierung der ambulanten Pflege, um diese effizienter zu gestalten und ihr auch gegenüber der stationären Pflege mehr Gewicht zu geben,

  • Quantitativer wie qualitativer Ausbau der kommunalen Pflegestruktur,

  • Quantitativer wie qualitativer Ausbau und Stabilisierung von Unterstützungsnetzwerken vor allem zu Gunsten der oben genannten Risikogruppen, z. B. in Form von Quartiersprojekten sowie haupt- und ehrenamtlichen Nachbarschaftshilfen,

  • Verbesserung der finanziellen Situation in den Kommunen, um ihre Handlungsfähigkeit zu erhöhen,

  • sorgfältige Evaluierung der bisherigen, in der Corona-Pandemie ergriffenen Maßnahmen.

7 Diskussion und Ausblick

Im ersten Teil unseres Beitrags ging es vor allem darum, die politischen Zuständigkeiten im Kampf gegen die Corona-Pandemie in Deutschland unter besonderer Beachtung der Rolle der Kommunen aufzuzeigen. Aktuell wird in der dritten Corona Welle zunehmend deutlich, dass das bundesdeutsche Föderalismusprinzip mit seiner dezentralen Ausrichtung nur begrenzt erfolgreich agiert. Am Beispiel der besonders betroffenen älteren Menschen ging es im zweiten, empirischen Teil dieses Beitrags darum, die Corona-bedingten Veränderungen in Unterstützungsmustern und Unterstützungslücken, die im Zuge der ersten Corona-Welle auftraten, aufzuzeigen sowie die Gründe für nicht gedeckten Unterstützungsbedarf sichtbar zu machen. Die Forderung, dass sich Ältere zurückziehen sollten, mag zum einen psychische Folgen für die Älteren selbst nach sich ziehen. So zeigten vertiefende Analysen der präsentierten Daten, dass Menschen, die Unterstützung leisten, seltener die Gesellschaft anderer vermissen (Brandt et al., 2020). Geben diese Menschen ihr Unterstützungsengagement auf, könnte dies Einsamkeitsgefühle hervorrufen. Zum anderen führt der Rückzug Älterer auch dazu, dass Unterstützungslücken entstehen, da sie oftmals informelle Unterstützungsleistungen für andere erbringen. Zu nennen sind sowohl Unterstützung im Familienkreis (z. B. Enkelbetreuung) als auch bürgerschaftliches Engagement in verschiedenen Bereichen (z. B. Kirche, Soziales, Sport). So engagieren sich ältere Menschen z. B. als Helfer:innen in der häuslichen Betreuung von Menschen mit Demenz, in Alten- und Pflegeeinrichtungen, in Schulen, etc.

Die Qualität der nachbarschaftlichen Netzwerke ist insbesondere im ländlichen Raum sowie in wohlhabenden Nachbarschaften gut, während die nachbarschaftliche Hilfe in städtischen Quartieren mit niedrigeren Einkommen schwieriger zugänglich ist (Bölting et al., 2020). Die Gefahr ist groß, dass Nachbarschaftshilfe bei denjenigen, die am meisten davon profitieren könnten, nicht ankommt – auch dadurch, dass Hilfe z. T. über digitale Medien angeboten wird, jedoch insbesondere ältere Menschen mit geringen sozioökonomischen Ressourcen oftmals das Internet nicht nutzen (Ehlers et al., 2020; Endter et al., 2020). Aus den Daten des quantitativen Teils der Studie lassen sich somit Hinweise für soziale Ungleichheiten in Bezug auf Zugang und Qualität von Unterstützungsressourcen entnehmen, die zwar „Kennern der Szene“ seit langem bekannt sind, auf der kommunalen „Spitzenebene“ aber nur selten Beachtung zu finden scheinen.

Der Beitrag macht auch deutlich, dass Deutschland wie viele andere Länder auch von der Corona-Krise vergleichsweise unvorbereitet getroffenen worden ist. Die systematische Auswertung vorliegender Erfahrungen aus Forschung und Praxis im Sinne von Fehleranalysen und darauf fußend, die Entwicklung von Routinen zur besseren Bewältigung der Herausforderungen von zu erwartender Folge(welle)n vollziehen sich derzeit ebenso wie der Aufbau der dazu notwendigen (Forschungs- und kommunalen) Infrastruktur nur zögerlich. Dringender Handlungs- bzw. Nachbesserungsbedarf ist offenkundig. Dieser betrifft insbesondere auch die kommunale Ebene, und hier die professionellen wie die privat-informellen Versorgungsstrukturen. Als besonders problematisch erweist sich dabei die fehlende flächendeckende Digitalisierung, die auch für den öffentlichen Dienst auf kommunaler Ebene gilt. Gerade für die Kommunen wäre es zudem hilfreich gewesen, wenn sie Leitlinien für „gute Praxis“ bezogen auf die Versorgung besonders vulnerabler Zielgruppen als Grundlage für ihr Handeln gehabt hätten. Immer wieder wurde auch in den Expert:inneninterviews unserer Studie darauf hingewiesen, dass durch die Corona-Pandemie bereits bestehende Versorgungslücken und Probleme des Pflege- und Gesundheitssystems auch in den Kommunen wie durch ein „Brennglas“ deutlich zu Tage getreten seien. Aber in der Corona-Pandemie werden auch Chancen gesehen, bisherige Versäumnisse aufzuarbeiten und für grundlegende strukturelle Veränderungen zu nutzen. Die vorgestellte Studie hat dazu vielfältige Anregungen geliefert.