1 Zusammenfassung und Überblick

Fragen, wie im Alter Autonomie ermöglicht und Rahmenbedingungen für Lebensqualität auch bei Hilfe- und Pflegebedarf geschaffen werden können, bestimmen seit Jahren maßgeblich gerontologische Fachdebatten sowie die inhaltliche Ausrichtung in der einschlägigen Forschung in Deutschland. Relevante Fragestellungen sind in diesem Kontext beispielsweise, welche Einflussfaktoren gelingendes Altern und der Erhalt von Autonomie maßgeblich bestimmen, welche individuellen Wahlmöglichkeiten in der Gestaltung des Alltags das Erleben von Selbstbestimmung und Autonomie ermöglichen und wie dieser Prozess durch geeignete Maßnahmen und Konzepte unterstützt werden kann (Kricheldorff, 2019).

Der Einsatz von technischen Assistenzsystemen oder einzelner Technologien wird dann, wenn es um die Sicherung und Realisierung der Bedürfnisse des alten Menschen geht, zunehmend als eine mögliche Option ins Spiel gebracht. Dabei bildet das Streben einerseits nach Selbstbestimmung und Autonomie, andererseits aber auch nach Bindung und Schutz den sozialen Werterahmen (Wahl et. al, 2018). Die Zielperspektive bei der Entwicklung und beim Einsatz technischer Produkte und Systeme ist also geprägt vom Selbstverständnis der Autonomieförderung bei wachsendem Hilfe- und Unterstützungsbedarf im Alter, muss aber gleichzeitig auch den Verlust von Kompetenzen ausgleichen (vgl. BMBF, 2008; Kricheldorff, 2008).

In Verbindung mit neuen Ansätzen im Bereich der gemeindeorientierten Pflege (Community Care) wird in Fachkreisen verstärkt auch die Bedeutung digitaler Medien und technischer Assistenzsysteme diskutiert. Die gemeindeorientierte Pflege versteht sich als Teil des Konzepts „Community Care“, das ein gemeinschaftsorientiertes und unterstützendes Zusammenleben von Menschen innerhalb eines Stadtteils, eines Wohnquartiers oder einer Gemeinde meint. Die soziale Teilhabe aller Bewohner:innen steht dabei im Mittelpunkt, und die Anliegen aller Generationen finden Berücksichtigung. Ein besonderes Gewicht wird auf die Unterstützung und die Sorge für Menschen mit Hilfe- und Pflegebedarf gelegt, in der Logik von “sorgenden Gemeinschaften” (“Caring communities”) (siehe weiter unten). In diesem Kontext werden zunehmend auch ICTs, also Informations- und Kommunikationstechnologien, die das Leben im digitalen Zeitalter generell bestimmen, zu relevanten Einflussgrößen im Alltag älterer Menschen. Auch wenn ihre Bedeutung nicht überbewertet werden darf, ergeben sich durch die fortschreitende Digitalisierung doch klare Erwartungen hinsichtlich der Möglichkeiten der positiven Gestaltung und Entfaltung des höheren Lebensalters sowie der Förderung von Autonomie und Selbstbestimmung, auch bei einem objektiv konstatierten Verlust an Selbständigkeit und entsprechender Alltagskompetenzen (BMG, 2013).

Dabei muss aber immer auch berücksichtigt werden, dass Altern in einer digitalisierten Welt auch unmittelbare menschliche Begegnungen und Bezüge braucht, denn das subjektive Erleben von Lebensqualität und -zufriedenheit ist immer auch verbunden mit sozialer Interaktion und direkter Kommunikation (Kricheldorff & Tonello, 2020b; Scholl, 2010). Und diese zentralen Prozesse vollziehen sich in der Logik von sorgenden Gemeinschaften vor allem in lebendigen Nachbarschaften, in Sozialraum und Wohnquartieren (Deutscher Bundestag, 2016).

In diesem Kontext spielen vor allem Theorien zur Bedeutung und Relevanz von sozialen Beziehungen und ökogerontologische Ansätze eine zentrale Rolle. Wichtig sind dabei auch innovative Konzepte im Bereich Wohnen, Alter und Quartier (Kremer-Preiß & Stolarz, 2003; Kricheldorff & Himmelsbach, 2020a; Scholl, 2010), ebenso wie die individuellen und gesellschaftlichen Altersbilder, die unser alltägliches Denken und Handeln im Umgang mit Alter stark prägen (BMFSJ, 2014).

Der Beitrag beschäftigt sich vor diesem Hintergrund mit verschiedenen Facetten, die heute das Bild und die gesellschaftliche Rahmung von Community Care in Deutschland prägen und darauf gerichtet sind, dem Verlust von Autonomie und Selbstbestimmung in der Pflegesituation entgegenzuwirken. Dabei wird vor allem auf die vielfältigen Verknüpfungen der Potenziale des Sozialraums mit digitalen Medien und den Möglichkeiten technischer Assistenzsystemen Bezug genommen.

2 Community Care im Kontext des demografischen Wandels und gesellschaftlicher Veränderungen

Aktuell wird die Lebensrealität älterer und alter Menschen in Deutschland im wachsenden Maß durch die Auswirkungen des demografischen Wandels bestimmt, der mit dem in der deutschen Gerontologie gebräuchlichen Begriff des so genannten dreifachen Alterns der Bevölkerung verbunden ist. Dieses ist gekennzeichnet erstens durch einen kontinuierlichen Anstieg des Durchschnittsalters, zweitens eine deutliche Zunahme der Zahl der über 80-Jährigen und drittens durch sich daraus ergebenden Verschiebungen im zahlenmäßigen Verhältnis zwischen Jung und Alt (Kricheldorff, 2020b; Statistisches Bundesamt, 2006). Der vorübergehende Trend zu einer gewissen Verjüngung der Bevölkerung durch die Zuwanderung vor allem jüngerer, zumeist männlicher Migrant:innen ist in den Prognosen schon berücksichtigt.

Mit Blick in die Zukunft wird diese Entwicklung zu einem tiefgreifenden und nahezu alle Lebensbereiche betreffenden strukturellen Wandel der Gesellschaft (Aner, 2020). Die Frage, wie Pflege und Versorgung alter Menschen auch weiter in guter Art und Weise gewährleistet werden können, trifft das in ganz besonderem Maße, denn parallel dazu ändern sich auch die Familien- und Verwandtschaftsstrukturen und die Zahl alleinlebender Menschen, vor allem im hohen Alter, nimmt zu. Während heute etwa 10 % der 60-jährigen Frauen kinderlos sind, wird dieser Anteil in 20 Jahren auf ein Viertel und in 30 Jahren auf ein Drittel steigen. Steigende Zahlen bei Ehescheidungen, aber auch die wachsende Mobilität – oft ein Tribut an die sich verändernde Arbeitswelt – zeigen ebenfalls deutliche Auswirkungen auf brüchiger werdende innerfamiliäre Unterstützungspotenziale im Fall von Pflege- und Unterstützungsbedarf (Kricheldorff, 2015, 2019). Es geht also gesamtgesellschaftlich um den Auf- und Ausbau neuer Hilfesettings, um die Förderung sozialer Netzwerke sowie um innovative Formen der Sicherung von Unterstützung, Hilfe und Pflege, wenn die eigene Familie nicht vorhanden oder ihr Unterstützungspotenzial im Alltag nicht mehr verfügbar ist (Deutscher Bundestag, 2009; Statistisches Bundesamt, 2020b).

Eine zentrale gesellschaftliche Herausforderung besteht vor diesem Hintergrund darin, dass der Anteil der Bevölkerungsgruppe ab 80 Jahren deutlich zunehmen und damit voraussehbar auch der potenzielle Hilfe- und Pflegebedarf steigen wird. Dafür sprechen alle bundes- und landesweiten Prognosen für die kommenden beiden Jahrzehnte. Bereits bis 2022 wird die Anzahl der ab 80-Jährigen von 5,4 Mio. im Jahr 2018 auf 6,2 Mio. steigen und dann bis Anfang der 2030er-Jahre auf diesem Niveau bleiben. Bereits dann wird jede zehnte Person in Deutschland mindestens 80 Jahre alt sein. Das Statistische Bundesamt geht aktuell davon aus, dass diese pflegenahen Jahrgänge in den anschließenden 20 Jahren zahlenmäßig kontinuierlich weiter zunehmen werden und bis zum Jahr 2050, je nach der angenommenen Entwicklung der Lebenserwartung, auf eine Größenordnung zwischen 8,9 Mio. bis 10,5 Mio. anwachsen werden (Statistisches Bundesamt, 2020b).

3 Sozialraumorientierte Versorgungs- und Pflegesettings – neue Schnittstellen von Community Care und Digitalisierung

Vor diesem Hintergrund spielen unterstützende Netzwerke und tragfähige soziale Beziehungen im Prozess des Alterns eine zentrale Rolle. Lebendige Nachbarschaften erfüllen in dieser Logik eine zentrale Funktion für das Erleben von Verbundenheit mit dem sozialen Umfeld und können Zuversicht vermitteln, dem oft kontinuierlich wachsenden Unterstützungs- und Hilfebedarf im höheren Alter gut begegnen zu können (vgl. Kricheldorff, 2015; Kricheldorff et. al. 2015a, b).

Mit ihrer Sozioemotionalen Selektivitätstheorie liefert die amerikanische Gerontologin Laura Carstensen (1992.) dafür einen sehr eindrücklichen Begründungsrahmen. Sie verweist darauf, dass es im Prozess des Älterwerdens nicht vorrangig darum gehe, möglichst viele Kontakte zu haben – vielmehr seien die Qualität der sozialen Beziehungen und damit auch ihre bewusste Auswahl (Selektion) besonders bedeutsam für die emotionale Stabilität im hohen Alter. Wichtige soziale Bindungen und Beziehungen seien dann tragfähiger und belastbarer – auch im hohen Alter – wenn sie im Prozess des Älterwerdens bewusst gepflegt wurden. Und sie stellen einen wichtigen Einflussfaktor auf die subjektive Lebensqualität für diejenigen älteren Menschen dar, die keine verfügbaren familiären Unterstützungspotenziale im sozialen Umfeld haben.

Weil eben diese unterstützenden Ressourcen innerhalb der Familie im Alltag immer weniger verfügbar sind, hat sich die Betreuung älterer Menschen in Privathaushalten, oft auch als sogenannte Rund-um-die-Uhr-Betreuung oder 24-h-Pflege bezeichnet, in Deutschland zunehmend als grauer Arbeitsmarkt für haushalts- und personenbezogene Dienstleistungen entwickelt. Dieser wird vor allem mit Arbeitskräften aus osteuropäischen EU-Mitgliedsstaaten bedient und entwickelt sich unter anderem auch deswegen so stark, weil der Bedarf vom regulären Markt der ambulanten Dienste und Unterstützungsangebote nicht ausreichend und bedürfnisorientiert gedeckt werden kann (Böning & Steffen, 2014). Da es sich dabei aber auch, zumindest in Teilbereichen, um nicht offiziell gemeldete Beschäftigungsverhältnisse handelt, ist eine genaue Zahl der Betreuungskräfte in Privathaushalten in Deutschland nicht bekannt. Die Gewerkschaft Ver.di gibt die Anzahl bundesweit legal beschäftigter Migrant:innen in Privathaushalten, auf der Basis einer entsprechenden Studie, in einer Größenordnung zwischen 115 000 und 300 000 Personen an (Böning & Steffen, 2014). Die realen Zahlen dürften ein Vielfaches davon betragen. Diese überwiegend weiblichen, sogenannte Haushaltshilfen, machen inzwischen viele häusliche Pflegesettings in Deutschland überhaupt erst möglich und sind damit auch zu einem stabilisierenden Faktor im Bereich Community Care geworden (siehe auch den Beitrag von Naegele in diesem Band).

Diese ganz auf die Einzelperson bezogenen und unmittelbaren Betreuungsleistungen in privaten Haushalten haben ihre ganz eigenen digitalen Bezüge. Zum einen spielen digitale Medien und Plattformen eine wichtige Rolle bei der Kontaktaufnahme und Vermittlung der Arbeitsmigrant:innen. Zum anderen ist ihre Verbindung zu den eigenen, zurückgelassenen Familien ebenfalls stark abhängig und deutlich geprägt von der Verfügbarkeit und Nutzung digitaler Medien und Videotelefone, ohne die ihr Aufenthalt in den deutschen Familien pflegebedürftiger Menschen, jeweils über viele Wochen am Stück hinweg, gar nicht so einfach realisierbar wäre (Brunner et al., 2013). Denn viele dieser Betreuungskräfte in Privathaushalten haben Kinder und Ehepartner im Herkunftsland und tragen mit ihrer Tätigkeit in Deutschland maßgeblich zum Familieneinkommen bei. Die dabei entstehenden Belastungen und sozialen Spannungen sind unübersehbar – dem soll über die regelmäßige Nutzung entsprechender Apps und digitaler Systeme entgegengewirkt werden.

Die Zunahme von Singlehaushalten, neue familiäre Konstellationen sowie zunehmende Mobilität führen auch dazu, dass Angehörige immer häufiger vor der Herausforderung stehen, Pflege und Sorge auch auf Distanz leisten zu müssen – ein an Relevanz zunehmendes Phänomen in der deutschen Gesellschaft (Engler, 2020). Damit dies gelingen kann, muss zur Sicherung der häuslichen Pflegesettings zusätzlich auch eine Vernetzung mit dem sozialen Nahraum erfolgen, um die unmittelbare und tägliche Unterstützung und Pflege pflegebedürftiger Menschen vor Ort verlässlich abzusichern. Alle bisher bekannten Modelle von Distance Care (Pflege auf Distanz) setzen, neben dem Einsatz von Technik und digitalen Assistenzmodellen (Franke et al., 2019), vor allem auf die Unterstützung häuslicher Pflegesettings durch ambulante Dienste und soziale Netzwerke. Pflege auf Distanz braucht also digitale Plattformen und Medien in Verbindung mit personengetragenen Netzwerken vor Ort.

Vor allem beim Überbrücken von räumlicher Distanz zwischen Familienmitgliedern mittels diverser Kommunikationstechnologien ist also der Einsatz von Technik zwar immer ein zentraler Aspekt (Engler, 2020; Bischofberger et al., 2017; Otto et al., 2017). Aber erst in der Verknüpfung mit Netzwerken im Sinne des Pflegemix kann ein tragfähiges Pflegesetting entstehen. Darunter versteht man ein vernetzendes und integrierendes Konzept, bei dem unterschiedliche Akteure im professionellen, semiprofessionellen und freiwilligen Bereich komplementär und kooperativ zusammenwirken, um gute Pflege im gewohnten Umfeld zu ermöglichen (Bubolz-Lutz & Kricheldorff, 2006, 2011). Ursprünglich entwickelt und getragen vom Gedanken der Entlastung und Unterstützung pflegender Angehöriger, die in der Logik eines eher traditionellen Pflegesettings als Hauptpflegepersonen in gemeinsamen Haushalten mit den pflegebedürftigen Menschen leben, ist das dahinterliegende Grundkonzept durchaus auch auf neue Settings übertragbar. In der Verknüpfung des Versorgungsnetzwerks am Wohnort der pflegebedürftigen Person mit digitalen Medien und technischen Assistenzsystemen ergibt sich ein sehr geeignetes Konstrukt, das die Pflege auf Distanz häufig erst realisierbar werden lässt (Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Quelle: Bubolz-Lutz & Kricheldorff, 2006: 26

Das Modell Pflegemix.

Die Logik des Konzepts Pflegemix basiert also auf der Kooperation zwischen Angehörigen, Freiwilligen in Nachbarschaften, Wohnquartieren und Gemeinden sowie Professionals aus Pflege, Sozialer Arbeit und auch aus dem hauswirtschaftlichen Bereich. Dies birgt gleichermaßen Herausforderungen und Chancen (Kricheldorff et. al., 2014; GKV-Spitzenverband, 2011). Aus der Notwendigkeit der Koordination dieser verschiedenen Akteure, im Sinne eines multiprofessionellen Teams im Sozialraum, wird deutlich, dass sich der vieldiskutierte Einsatz von technischer Unterstützung und Assistenzsystemen in Pflegesettings schon längst seinen Weg in die konkrete Nutzung bahnt. Dies gilt vor allem in der ambulanten Pflege und im häuslichen Bereich. Das erklärte Ziel ist dabei immer, Pflege und Unterstützung verlässlich abzusichern und das möglichst im gewohnten Umfeld.

4 Community Care und Sozialer Raum

Vor dem skizzierten Hintergrund wächst der Sozialraumorientierung in den Professionen Soziale Arbeit und Pflege eine immer klarere Bedeutung zu (Kricheldorff & Himmelsbach, 2020a; Diebäcker, 2014; Hinte et. al, 2010). Es geht dabei verstärkt um die Orientierung am visionären Konzept der Caring Community, im 7. Altenbericht der Deutschen Bundesregierung als Leitkonzept formuliert (Deutscher Bundestag, 2016). Damit wird ein Modell zum Umgang der Gesellschaft mit ihren Mitgliedern beschrieben, das ihnen Wahlmöglichkeiten für ihre individuelle Lebensgestaltung bietet und auf sozialen Zusammenhalt setzt. Und gleichzeitig impliziert das Konzept auch ein solidarisches Miteinander von Menschen innerhalb eines festgelegten Stadtteils oder Quartiers, das durch Quartiersarbeit initiiert wird und damit die uneingeschränkte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben für alle anstrebt (Kricheldorff, 2015; Kricheldorff et. al., 2014, 2015b) (siehe auch den Beitrag von Naegele in diesem Band).

Arbeitsansätze und Methoden wie Quartiersmanagement und Soziale Netzwerkarbeit (Früchtel et. al., 2010; Bunzendahl & Hagen, 2004; Bullinger & Nowak, 1998) sind dafür ebenso relevant wie der fachliche Ansatz der gemeindeorientierten Pflege in der Logik des Community Health Nursing, einem neuen Ansatz in der Pflege, der derzeit modellhaft erprobt und wissenschaftlich begleitet wird (Robert-Bosch-Stiftung & DBfK, 2018). Community Health Nursing ist ein gemeindeorientierter Ansatz in der Pflege, der im ambulanten Bereich und in der familienorientierten Pflege vor allem in Kanada und in den USA schon etabliert ist. Er versteht sich als bewusste Alternative zur klinisch orientierten Pflege in Krankenhäusern und in weiten Teilen des deutschen Gesundheitssystems.

Sorgebeziehungen im Sozialraum haben mit Blick auf die Entwicklung, die die amtliche Pflegestatistik seit ihrer Einführung in Deutschland im Jahr 1999 nachzeichnet, eine besondere Bedeutung. In dieser, im 2-Jahres-Turnus erstellten Berichterstattung über die Nutzerzahlen und die Art der Unterstützung aus Mitteln der staatlichen Pflegeversicherung (SGB XI), zuletzt veröffentlicht am 15. Dezember 2020, bildet sich eine deutlich wachsende Diskrepanz zwischen dem stationären und ambulanten Pflegesektor ab (Statistisches Bundesamt, 2020a). Auch 2019 sind pflegende Angehörige noch immer die zentrale Säule in der Versorgung der mittlerweile 4,1 Mio. im häuslichen Umfeld gepflegten Leistungsempfänger, Ihr Anteil hat in den letzten 10 Jahren sogar noch zugenommen, während gleichzeitig der Anteil der stationären Pflege kontinuierlich zurückgegangen ist, zuletzt auf 20 % (Statistisches Bundesamt, 2020a; siehe dazu auch den Beitrag von Naegele in diesem Buch).

Aber auch in der Organisationsstruktur der stationären Pflegeeinrichtungen in Deutschland bilden sich gesellschaftliche Entwicklungen und Bedarfslagen sichtbar ab: Stationäre Einrichtungen der Langzeitpflege werden kleiner, und die Pflege- und Betreuungskonzepte richten sich auch dort immer stärker am Sozialraum aus. Insgesamt ist ein deutlicher Trend zu kleineren Einheiten feststellbar, wobei sich in diesem Kontext auch die zunehmende Realisierung kleinerer Hausgemeinschaftsmodelle und Pflegewohngruppen abbildet, was sich in einer sinkenden durchschnittlichen Zahl von Bewohner:innen niederschlägt. Mittlerweile leben im Durchschnitt 62 pflegebedürftige Menschen in einer Einrichtung, während bis vor einigen Jahren aus ökonomischen Effizienzgründen noch Häuser mit 100 Plätzen und mehr die Situation bestimmten (Statistisches Bundesamt, 2020a:34).

Es lässt sich also festhalten, dass sich im Bereich von Community Care inzwischen ein stark ausdifferenziertes Angebot von Hilfe und Pflegeangeboten etabliert hat, das möglichst wohnortnah den sich verändernden Bedingungen und Bedürfnissen künftiger pflegenaher Jahrgänge angepasst ist. Dem entspricht, dass auch bei den älteren und alten Menschen in Deutschland eindeutig der Wunsch dominiert, dort alt zu werden, wo wichtige soziale Kontakte verankert sind: im Quartier, in der Gemeinde (Kricheldorff et. al., 2015b; Dörner, 2008; Kremer-Preiß & Stolarz, 2003). Diese Entwicklung spiegelt sich auch in der Forderung nach der Schaffung sogenannter Quartiershäuser, als inzwischen fünfte und damit aktuellste Generation beim Bau von Pflegeeinrichtungen (KDA, 2011). Auch das Entstehen kleinräumiger und sozialräumlich verankerter Formen der Pflege in Form von ambulanten Pflegewohngemeinschaften, Wohnprojekten für Menschen mit Demenz und Mehr-Generationenquartieren ist Ausdruck dieser Entwicklung.

Allerdings sind diese neuen und innovativen Formen, die stark auf zivilgesellschaftliche Beteiligung zielen, noch keineswegs die Regel (Hoch & Otto, 2005). Noch immer entstehen viel zu oft klassische Pflegeheime, die sich zwar konzeptionell mehr und mehr dem Wohngruppenkonzept öffnen müssen, deren Bau die Kommunen aber relativ häufig Bauträgern überlassen, um sich an dieser Stelle zu entlasten. Dieses Vorgehen orientiert sich vorrangig an kurzsichtigen Wirtschaftlichkeits- und Renditeüberlegungen und zielt weniger auf eine wirklich bedarfsgerechte Entwicklung adäquater neuer Formen zur Absicherung von Pflege ab. Nicht selten sind aber dabei wichtige fachliche Aspekte bei der Umsetzung dieser Neubauten zu wenig im Blick und die Bedarfe der künftigen Bewohner:innen finden zu wenig Beachtung. Hieraus könnten sich für die Zukunft zahlreiche Ansatzpunkte für den interdisziplinären Dialog auf Basis der Fachexpertise von Pflege, Sozialer Arbeit und anderen einschlägigen Berufsgruppen, wie Stadtplanern, Architekten und anderen Beteiligten ergeben.

5 Ambivalente Haltungen und ethische Fragen zum Technikeinsatz im Bereich Community Care

Digitale Lösungen und technische Assistenzsysteme wurden mittlerweile in großer Vielfalt entwickelt, wenngleich in der Praxis der Pflege in Deutschland bislang davon nur wenig konsequent zur Umsetzung kommt (Wahl et. al. 2010, 2018; Jokisch & Wahl, 2015). Trotzdem sind aktuell vor allem mit Blickrichtung auf die angespannte Personalsituation in der Pflege hohe Erwartungen und eine große mediale Aufmerksamkeit feststellbar. Diese gilt weniger der diskreten Technikanwendung im Alltag, als vielmehr den publikumswirksamen Entwicklungen, beispielsweise im Bereich der Robotik. Diese technischen Hilfen und Supportsysteme zielen vor allem auf aktive Unterstützung bei der Pflege und im Alltag von Menschen, die kontinuierliche Begleitung brauchen. Sie wurden schwerpunktmäßig für alleinlebende Menschen mit Hilfebedarf entwickelt und entsprechen dem zunehmenden Bestreben nach größtmöglicher Autonomie und Vermeidung von Abhängigkeit, erleichtern aber auch die häusliche Pflege und unterstützen die Vermeidung körperlicher Überlastung bei Pflegenden. In diesem Zusammenhang wird auch der Einsatz von humanoiden Robotern diskutiert und erprobt (Zafrani & Nimrod, 2019).

Unterstützung in der pflegerischen Grundversorgung bieten auch Systeme zur Vermeidung von Dekubitus und Inkontinenz sowie zur Unterstützung der Körperhygiene. Und im häuslichen Bereich haben darüber hinaus Notfallerkennung und Sturzvermeidung eine hohe Bedeutung beim Einsatz digitaler Technik. Vor allem beim Überbrücken von räumlicher Distanz zwischen Familienmitgliedern mittels diverser Kommunikationstechnologien ist der Einsatz von Technik ein zentraler Aspekt, besonders in der Verknüpfung mit dem Konzept Pflegemix (siehe dazu weiter oben Kap. 3.).

Gleichzeitig ist zu konstatieren, dass Entwicklungen im Kontext von Digitalisierung in einem nie gekannten Ausmaß und in neuartiger Qualität in unsere Leben eindringen und zunehmend unsere zwischenmenschlichen Beziehungen sowie unser Selbstverständnis prägen. Damit gewinnt auch der Einsatz von Technik in diversen Pflegesettings noch zusätzlich an Brisanz, denn es handelt sich um ein Feld, das nicht nur einen Professionsbereich bezeichnet, sondern auch durch eine Art mitmenschliche Berufung der hier tätigen Pflegekräfte charakterisiert werden kann. Pflege zeichnet sich aus deren Professionsverständnis heraus durch Orientierungen und Handlungsziele wie Ermöglichung von erhöhtem Wohlbefinden und Lebensqualität sowie Förderung von Gesundheit aus (Kunze & Kricheldorff, 2017). Diese Zielperspektiven sind eng verknüpft mit Werthaltungen, und damit rückt die Bedeutung des Menschenbildes in den Fokus, das der eigenen Arbeit zugrunde gelegt wird und zumeist die Selbstbestimmtheit und Würde von Pflegenden und Gepflegten gleichermaßen betont (Grauel & Spellerberg, 2007).

Vor diesem Hintergrund wird der Einsatz von assistierenden Technologien in der Profession Pflege in Deutschland zunehmend als ambivalent erlebt, und es gibt dort auch klar ablehnende Haltungen und Einstellungen zur Digitalisierung. Dies verweist unter anderem auf die Notwendigkeit einer Reflexion der eigenen Rolle im Kontext von Technikeinsatz in der Pflege. Es bedarf ganz klar eines äußerst verantwortungsbewussten Umgangs mit dem Einsatz von technischen Systemen. Es gilt die (Persönlichkeits-)Rechte zu wahren und den Bedarfen und Bedürfnissen aller Beteiligten in den jeweils individuellen Kontexten Rechnung zu tragen (Kricheldorff & Tonello, 2020b). Hinzu kommt die wachsende Geschwindigkeit, mit der sich hier Veränderungen vollziehen (Schulz et. al., 2015). Laufend kommen neue Produkte und Hilfsmittel auf den Markt, der damit zunehmend unübersichtlich wird. Die dadurch wachsende Komplexität sowie die Gestaltung der Pflege von und durch Technik gilt es gemeinsam interdisziplinär, dialogisch und reflexiv zu erfassen. Sowohl die praktische Einbettung neuerer Technologien in eine bestehende Einrichtungs- oder Organisationskultur als auch ihre Planung innerhalb des Arbeitsalltages und in den Pflegeabläufen müssen analysiert und hinsichtlich ihrer Sinnhaftigkeit immer wieder neu reflektiert werden.

6 Technische Assistenzsysteme für die Begleitung, Pflege und Betreuung von Menschen mit Demenz

Der Einsatz assistiver Technologien muss insbesondere bei demenziell erkrankten und/oder pflegebedürftigen älteren Menschen mit besonderer Vulnerabilität und Schutzbedürftigkeit (Wahl et al., 2018) hinterfragt werden und reflektiert erfolgen. Deren individuelles Erleben im Verlauf der Erkrankung wird immer stärker von Unsicherheit und Diskontinuität geprägt. Vor allem für ihren Verbleib in der gewohnten Umgebung und in der Häuslichkeit sind unterstützende Maßnahmen hilfreich und oftmals geboten, da sie Unsicherheiten und Ängste reduzieren können und die Erfahrung von Kontinuität erhöhen. Sie sind zunehmend auch mit technischen Systemen und Produkten verbunden und erlangen als technische Innovationen im wachsenden Umfang Bedeutung und Anwendung (Kricheldorff, 2020a). Dabei zeigen sich aber auch demenztypische Besonderheiten, die mit fortschreitenden Veränderungen der Persönlichkeit verbunden sind und sich vor allem in solchen Verhaltensweisen manifestiert, wie beispielsweise einem hohen Bewegungsdrang, der sich häufig im Verlauf der Demenz verstärkt und aus einer inneren Unruhe heraus entsteht. Damit geht oftmals eine räumliche Desorientierung einher, zuweilen auch die Tendenz, sich auf die Suche nach vertrauten Orten zu machen („Weglauftendenzen“) (Bharucha et. al., 2013).

Vor diesem Hintergrund gewinnen technische Ortungssysteme, die mit GPS-Tracking und Geofencing arbeiten, eine zunehmende Relevanz. Sie unterstützen einerseits die außerhäusliche Mobilität von Menschen mit Demenz in ihren vertrauten Nachbarschaften und Sozialräumen und verhindern, dass sie sich dabei verlieren und verirren können. Andererseits entlasten sie auch Angehörige, die so einen Zugewinn an subjektiv erlebter Lebensqualität und Sicherheit erfahren und weniger unter psychischer Anspannung leben müssen (Entwicklungszentrum Gut Altwerden, 2016). Gleichzeitig führt dieser verständliche und dominante Wunsch der pflegenden Angehörigen nach einem elektronischen Personentracking (Bantry White & Montgomery, 2014) aber auch in ein ethisches Dilemma, das aus dem Spannungsfeld zwischen der Ermöglichung von mehr Freiräumen einerseits und dem Bedürfnis nach Kontrolle der Angehörigen andererseits ergibt. Mit dem Einsatz altersgerechter Assistenzsysteme verbundene ethische Fragen und ihre bewusste Erörterung erhalten deshalb in diesem Bereich von Community Care eine noch größere Bedeutung als dies bereits ohnehin für das insgesamt sensible Verhältnis von Alter und Technik der Fall ist (Novitzky et al., 2015).

7 Die gerontologische Relevanz von Sozialraum und Lebenswelt

Aus Sicht der Gerontologie wird die Bedeutung des Sozialraums bislang vor allem durch den ökogerontologischen Ansatz betont. Die Ökogerontologie (Wahl et. al, 1999) versteht die Person-Umwelt-Interaktion als Prozess. Das entsprechende Modell integriert dabei auch ältere Ansätze und Begründungen (Lawton, 1999; Kahana & Riley, 1989; Carp, 1987). Gelingendes Altern, nach der Alternstheorie von Saup (1991) auch konstruktives Altern genannt, wird nach der Ökogerontologie maßgeblich durch die Interaktion mit der Umwelt und durch deren Bedingungen mitbestimmt. In dieser Logik geht es also darum, den räumlichen Kontexten im Prozess des Alterns mehr Aufmerksamkeit zu schenken, diese stärker zu beachten. Lebendige Nachbarschaften gehören zu diesen maßgeblichen Einflussfaktoren auf die Person-Umwelt-Beziehungen.

Die Ökogerontologie verweist also sehr deutlich auf die Bedeutung des sozialen Umfelds und auf den Einfluss von Umgebung und Sozialraum für die individuellen Bedingungen des Alterns (Claßen et. al., 2014; Lawton, 1999). Dabei spielen die räumliche Verankerung in einem sicheren und vertrauten Wohnquartier und die Vernetzung mit dem sozialen Umfeld eine zentrale Rolle. Der alternde Mensch wird dabei, auch vor dem Hintergrund seiner unter biografischen Bedingungen erworbenen Ressourcen und Kompetenzen als Gestalter seiner Umwelt gesehen.

Dies kommt auch in den sich kontinuierlich verändernden Altersbildern in modernen Gesellschaften, im Sinne von Differenzierung und Diversität, deutlich zum Ausdruck. Die Lebensphase Alter erhält damit eine ganz eigene Rollenvielfalt und Bedeutung. Diese neue Vielfalt des Alters zeigt sich in diversen Ausprägungen, unter anderem auch in unterschiedlichen Lebenslagen hinsichtlich materieller Ressourcen, Bildung und Status. So wird für künftige Altersgenerationen in Deutschland, das Thema materielle Armut erneut eine relevante Bedeutung erlangen (Butterwegge et al., 2012; Kricheldorff, 2010) – ein Faktor, der einen entscheidenden Einfluss auf die soziale Teilhabe hat und der auch die Möglichkeiten zur Lebensgestaltung in Pflegesituationen erheblich beeinflusst. Denn die Sicherung von Selbstbestimmung und Autonomie, auch bei zunehmendem Hilfe- und Pflegebedarf, ist auch immer an die Verfügbarkeit materieller und sozialer Ressourcen gebunden, weil die gesetzliche Pflegeversicherung in Deutschland nur eine enge Basisversorgung in der Grund- und Behandlungspflege garantiert.

Den Familien und sozialen Netzwerken wird in dieser Logik also eine zentrale Rolle in der Sicherung der Bedürfnisse zugesprochen, die über diese Grundversorgung hinausgehen und die für Lebensqualität und soziale Teilhabe relevant sind. Das Konzept der Caring Community knüpft hier an und hat vor allem auch die Personen im Blick, deren Lebenssituation von deutlicher Ressourcenknappheit geprägt ist. Über bürgerschaftliches Engagement und gelebte Solidarität in lebendigen Nachbarschaften sollen die individuellen Ressourcen gestärkt und damit auch mehr soziale Gerechtigkeit hergestellt werden. Damit ist das Konzept der Caring Community natürlich auch eine Zukunftsvision, die in letzter Konsequenz immer nur eine Zielperspektive bleiben wird. Aber die dem Konzept inhärente Philosophie und Logik bestimmt schon heute die fachliche Orientierung in der Quartiersarbeit ganz maßgeblich mit.

Zum Ausmaß der Pflege durch Nachbarn gibt es bislang kaum verlässliche Daten. Sie sind vielmehr in der großen Kategorie der informellen Pflege subsumiert, die in 52,9 % aller betroffenen Haushalte die pflegerische Versorgung sichert. Eine repräsentative Studie aus dem Jahr 2015 weist für die Pflege durch Nachbarn explizit einen Anteil von 4 % aus (Forsa & DAK, 2015). Der eigentliche Schwerpunkt der Stabilisierung häuslicher Pflegesituationen durch nachbarschaftliche Hilfestrukturen liegt jedoch eher auf Unterstützungsleistungen im Alltag, d. h. in der Logik von Nachbarschaftshilfe. Diese dienen der Förderung von Selbstbestimmung und Autonomie und werden überwiegend im freiwilligen Engagement erbracht. Seit 2020 erfährt die Nachbarschaftshilfe auch über die staatliche Pflegeversicherung Anerkennung und eine finanzielle Förderung (SGB XI, § 45b und § 45c). Ein weiterer bemerkenswerter Ansatz bezieht sich auf Hilfen auf Gegenseitigkeit, verbunden mit dem Erwerb von Anrechten auf nachbarschaftliche Unterstützungsleistungen auf der Basis von Seniorengenossenschaften oder dem Konzept der „Zeitbanken“, das auch in Japan nicht unbekannt ist (Alster-Institut, 2020). Sozialraumorientierung zielt also vor allem auf die Verbesserung von sozialer Teilhabe durch Vernetzung sowie auf die Stärkung der individuellen Ressourcen und damit auf die Förderung von mehr sozialer Gerechtigkeit.

Die große Bedeutung dieser Hilfen wird durch umfangreiche empirische Befunde belegt, die den positiven Einfluss von sozialer Teilhabe und Bildung auf Status, Gesundheit und erlebter Autonomie aufzeigen (Kricheldorff, 2020c; Schramek et al., 2018; Bubolz-Lutz et. al., 2010). Dabei ist einerseits zu berücksichtigen, dass der Anteil bildungsgewohnter alter Menschen absehbar deutlich zunimmt, andererseits erfordert das Leben in einer immer stärker individualisierten und digitalisierten Welt auch ständiges Lernen als Anpassungsleistung des Individuums. Dies wiederum ist ganz maßgeblich auch von biografischen Einflussfaktoren abhängig. Vor diesem Hintergrund muss hervorgehoben werden, dass die Lebenslage im Alter in Deutschland entscheidend durch die individuelle Ausstattung mit Ressourcen und Kompetenzen beeinflusst wird, die über den gesamten Lebenslauf hinweg Chancen und Möglichkeiten eröffnen oder behindern. Im Alter sind aber vorhandene soziale Ungleichheiten kaum noch auszugleichen, sondern werden zum unabänderlichen Schicksal.

Dies gilt auch für die noch immer sehr ungleich verteilten digitalen Kompetenzen und Zugänge aufgrund materieller Bedingungen, die Voraussetzung für die Nutzung digitaler Techniken und Medien sind. In diesem Kontext wird in Bezug auf die möglichen Optionen von Techniknutzung im Alter deutlich vor einer digitalen Spaltung („Digital Divide“) gewarnt. Dies bekräftigt auch der Achte Altersbericht der Bundesregierung in Deutschland, der sich mit dem Thema „Ältere Menschen und Digitalisierung“ beschäftigt (BMFSFJ, 2020) (siehe dazu auch den Beitrag von Müller in diesem Band).

Ein anderer, ebenfalls hoch relevanter Aspekt von Diversität und Pluralität im Alter, mit deutlichen Bezügen zur Frage des Zugangs zu digitalen Chancen, ergibt sich durch die wachsende Vielfalt kultureller Hintergründe und Prägungen. Diese stellen angesichts von Zuwanderung und dem inzwischen höheren Alter der sogenannten Gastarbeitergeneration noch eine weitere, zunehmend gesellschaftlich relevante Facette des Alterns in Deutschland dar (Kricheldorff, 2018; Schröer & Schweppe, 2010). Für alte Migrant:innen zeigen sich aufgrund kumulativer Benachteiligungen im Lebenslauf die Gefahren der digitalen Spaltung in der deutschen Gesellschaft noch sehr viel deutlicher (Baykara-Krumme & Hoff, 2006). Letztlich spiegeln sich diese verschiedenen Lebenswelten im Alter, die auch für das Ausmaß von Pluralität in der deutschen Gesellschaft stehen, ganz deutlich im Sozialraum wider, der gleichsam zum Bedingungsgefüge für gelingendes Altern wird.

8 Fazit

Bereits der 7. Bericht zur Lage der älteren Generation in der Bundesrepublik Deutschland baute schwerpunktmäßig auf Sorge und Mitverantwortung in der Kommune. Dabei lag der Fokus vor allem auf dem Aufbau und der Sicherung zukunftsfähiger Gemeinschaften, verbunden mit einer klaren konzeptionellen Orientierung an der Vernetzung mit dem sozialen Umfeld und dem Unterstützungspotenzial über die eigenen familiären Grenzen hinaus. (Deutscher Bundestag, 2016).

Gelingendes Altern in Sozialraum und Quartier setzt in der Logik von Community Care bei zunehmendem Hilfe- und Unterstützungsbedarf auf diese Ressourcen, die in lebendigen Nachbarschaften verortet sind. In der Verknüpfung mit den Möglichkeiten und Chancen digitaler Entwicklungen und technischer Assistenzsysteme bieten sich nochmals ganz neue Facetten für ein gelingendes Altern in Selbstbestimmung und unter Wahrung der Autonomie auch bei Hilfe- und Pflegebedarf (BMFSFJ, 2020). Die Realisierung notwendiger neuer Pflegesettings, die in der Verbindung mit den Potenzialen der Digitalisierung künftige Bedarfe im Bereich Community Care aufgreifen, ist aber voraussetzungsvoll. Auf diesem Weg sind noch viele Hürden zu überwinden. Neben der Auseinandersetzung mit notwendigen ethischen Fragen geht es auch um den Abbau von Zugangsbarrieren und Hemmnissen, um einer drohenden digitalen Spaltung der deutschen Gesellschaft und der damit verknüpften Polarisierung zwischen Jung und Alt sowie zwischen verschiedenen Bildungs- und Einkommensschichten entgegenzuwirken. Nur so können mit Blick in die Zukunft die Chancen einer Gesellschaft des langen Lebens, verortet in einer digitalen Welt, von möglichst vielen Menschen genutzt werden.