In diesem Buch berichten wir die Ergebnisse einer Studie, die zum ersten Mal auf breiter empirischer Basis die Verstetigung eines Identitätskonflikts als einer neuen gesellschaftlich und politisch übergreifenden Konfliktlinie analysiert. Unsere Studie zeigt, dass der Identitätskonflikt nicht nur auf unterschiedlichen Konzepten von Zugehörigkeit und unterschiedlichen Graden an Bedrohungswahrnehmungen beruht, sondern in hohem Maße mit Gefühlen gesellschaftlicher Marginalisierung und politischer Repräsentation verbunden ist. Allerdings ist die Koppelung an ein spezifisches Identitätskonzept nicht zwingend mit einem spezifischen Gefühl der Marginalisierung und Repräsentation verbunden. Wir beobachten zwar in allen untersuchten Ländern, dass Entdecker für ein eher offenes Zugehörigkeitsverständnis und niedrige Grade an Bedrohungswahrnehmungen stehen, während für die Verteidiger das Gegenteil gilt. Die Verbindung zwischen Zugehörigkeit und Bedrohungswahrnehmung einerseits und Marginalisierung und Repräsentation andererseits variiert aber je nach politischem Kontext. Während sich die Entdecker in Deutschland, Frankreich und Schweden weniger marginalisiert und (national) besser politisch repräsentiert fühlen als die Verteidiger, gilt das Gegenteil für Polen – einem Land, in dem die Regierung die Positionen der Verteidiger stärker politisch unterstützt.

Welche Implikationen ergeben sich aus diesen Ergebnissen? Aus unserer Sicht sind solche Implikationen nicht unabhängig von der Forschungsperspektive, die man einnimmt. Daher verorten wir zunächst unsere Resultate in der psychologischen Forschung zu interindividuell variierenden Bedürfnissen und in der sozialwissenschaftlichen Forschung zum Kontext der Globalisierung. Im Anschluss daran erarbeiten wir auf dieser Verortung aufbauend drei aus unserer Sicht zentrale Implikationen, die sich aus den Resultaten unserer Forschung ergeben.

4.1 Der Identitätskonflikt als Folge unterschiedlicher Bedürfnisse

Im Identitätskonflikt lassen sich empirisch zwei gegensätzliche Positionen oder gesellschaftliche Gruppen unterscheiden: Die eine Position wird durch einen Teil der Bevölkerung repräsentiert, den wir Entdecker nennen. Diese Gruppe steht für ein offenes Konzept der Gesellschaft und der Zugehörigkeit von Menschen zu ihr. Sie nimmt die Öffnung von Grenzen gerade auch im Hinblick auf (Im)Migration als Herausforderung und Chance und weniger als Bedrohung und Risiko wahr und sieht in der mit der Modernisierung verknüpften individuellen Freiheit die Grundlage dafür, dass in einer Gesellschaft viele kulturelle Lebenskonzepte gleichberechtigt nebeneinander vertreten werden können und sollen.

Die zweite Position wird durch jene Bevölkerungsgruppe repräsentiert, die wir Verteidiger nennen. Sie tritt für ein engeres Konzept der Gesellschaft und für den Schutz vor einer zu großen Offenheit ein. In der Debatte um gesellschaftliche Zugehörigkeit verteidigt diese Gruppe traditionelle Kriterien wie ethnische und religiöse Homogenität. Eine ideale Gesellschaft zeichnet sich damit aus Sicht der Verteidiger durch eine möglichst große kulturelle Ähnlichkeit ihrer Mitglieder aus, während man sich gegenüber ethnischen und religiösen Fremdgruppen abgrenzt und diese sogar als Bedrohung wahrnimmt.

Aus psychologischer und sozialwissenschaftlicher Sicht lässt sich diese identitätsbasierte Konfliktlinie auf das Spannungsfeld der grundlegenden Bedürfnisse nach Sicherheit versus Exploration (Carstensen et al., 1999; DeYoung, 2015; Elliot, 2006; Higgins, 1997; Rathunde & Csíkszentmihályi, 2007; Saucier et al., 2014) zurückführen (ähnlich Inglehart, 1989). Demnach können Menschen sowohl nach vorhersagbaren und „ungefährlichen“ sozialen Umwelten (Sicherheit) als auch nach neuen und herausfordernden sozialen Erfahrungen streben (Exploration). Entdecker haben ein starkes Bedürfnis nach Exploration, nach Neuem und fühlen sich durch soziale Veränderungen angeregt und herausgefordert, während die Verteidiger ein starkes Bedürfnis nach Sicherheit und Stabilität haben und sich durch soziale Veränderungen bedroht fühlen.

Wichtig ist an dieser Stelle, auf die Grundsätzlichkeit der Bedürfnisse zu verweisen. Generell begünstigen diese Bedürfnisse in historischer und aktueller Perspektive sowohl die Verfolgung kollektiver Ziele der Stabilität als auch solcher des Fortschritts. Während jedoch auf gesellschaftlicher Ebene diese Ziele durch das Vorhandensein sowohl von sicherheitsorientierten (Verteidiger) als auch von explorationsorientierten Personengruppen (Entdecker) gleichzeitig verfolgt werden können, steht auf individueller Ebene häufig eines der beiden Bedürfnisse im Vordergrund (da eine einzelne Person nicht gleichzeitig maximal nach Sicherheit und Exploration streben kann). Die Forschung zu Persönlichkeitsdispositionen und zur Wirkung von Sozialisation betont, dass die individuelle Gewichtung der Bedürfnisse im Lebensverlauf relativ stabil bleibt und sich nur langsam ändert (Bleidorn et al., 2021; Roberts & DelVecchio, 2000). Vor dieser Annahme ist zu erwarten, dass sich Gesellschaften immer aus einer Mischung von Verteidigern und Entdeckern zusammensetzen, obschon sich deren relative Anteile im Zeitverlauf auch ändern können.

Die Ergebnisse unserer Studie unterstützen die These, dass sich die beobachtbaren substantiellen Unterschiede in Identitätskonzepten in der Bevölkerung auf grundlegende Unterschiede in Bedürfnissen nach Sicherheit und Stabilität (Verteidiger) versus Exploration und Veränderung (Entdecker) zurückführen lassen. Dies betrifft insbesondere die Erkenntnisse, die auf die Aussagekraft langfristiger gesellschaftlicher, kultureller und personaler Merkmale für die Zugehörigkeit in eines der beiden Lager verweisen. Beispielsweise passen die altersbezogenen Unterschiede sehr gut zu Erkenntnissen der Lebensspannenpsychologie, die eine stärkere Orientierung auf soziale Exploration und Aneignung neuer Ressourcen im jüngeren Erwachsenenalter und eine stärkere Orientierung auf das engere soziale Umfeld und Sicherung der Ressourcen herausarbeiten (Carstensen et al., 1999). Darüber hinaus können die beobachteten Unterschiede in Eigenschaften und Einstellungen zwischen Verteidigern und Entdeckern (allgemeine Skepsis versus Vertrauen gegenüber Menschen, Präferenz der Verteidiger für klare und bereits etablierte soziale, kulturelle und religiöse Regeln, Gruppenzuordnungen und Hierarchien) als eine Priorisierung von entweder Vorsicht, Stabilität und klarer Ordnung (= Sicherheit) oder Offenheit, Veränderung und sozialer Durchlässigkeit (= Exploration) interpretiert werden.

Wenn aber die Bedürfnisse langfristig eher stabil sind und sich Menschen im Hinblick auf diese Differenzen schon von jeher unterscheiden: Wodurch ergibt sich dann die (öffentlich wahrgenommene) Verfestigung des Identitätskonflikts in eine gesellschaftliche Konfliktlinie und die damit verbundene Polarisierung des Identitätskonflikts, wie sie sich etwa in der Abwertung, Delegitimation und Diffamierung der jeweils anderen Gruppe ausdrückt?

4.2 Die Verfestigung des Identitätskonflikt im Kontext der Globalisierung

Die Verfestigung des Identitätskonfliktes zu einer übergreifenden gesellschaftlichen Konfliktlinie lässt sich aus unserer Sicht nicht ohne die Auswirkungen der Globalisierung – verstanden als die zunehmende Mobilität von Menschen und Gütern über nationale Grenzen hinweg – begreifen. Die zunehmende länderübergreifende Kooperation hat zu unterschiedlichen, für die Verstetigung des Identitätskonflikts zentralen Entwicklungen beigetragen. Erstens hat die Globalisierung dazu geführt, dass legale und illegale Migration zunimmt und Menschen damit immer häufiger mit „Fremden“ konfrontiert werden. Zweitens geben Nationalstaaten im Zuge von Globalisierungstendenzen zunehmend Macht an übergeordnete internationale Institutionen ab. Drittens werden im globalisierten Kontext Krisen, die früher möglicherweise auf ein Land oder wenige Länder beschränkt waren, mehr und mehr zu globalen Krisen, wie wir an der Finanzkrise, der sogenannten Migrationskrise und der COVID 19-Pandemie sehen können.

Aufgrund dieser Entwicklungen gewinnen Fragen der Zugehörigkeit und Gefühle der Bedrohung immer mehr an Bedeutung. Bedürfnisunterschiede, die es in jeder Gesellschaft gibt, werden auf diese Weise zum salienten und relevanten Thema politischer Debatten, an denen sich die Entdecker und die Verteidiger beteiligen und in denen diese ihre Grundbedürfnisse zum Ausdruck bringen. Der Identitätskonflikt ist so zunächst einmal Folge einer kulturellen Gegenbewegung („cultural backlash“) zur Globalisierung und Modernisierung (Norris & Inglehart, 2019) und überlappt sich daher auch nicht zufällig hochgradig mit den Konflikten zwischen Globalisierungsgewinnern und Globalisierungsverlierern (Helbling & Jungkunz, 2020; Teney et al., 2014), zwischen Kosmopoliten und Kommunitaristen (Koopmans & Zürn, 2020) oder zwischen „Somewheres“ und „Anywheres“ (Goodhart, 2017).

Die gesellschaftliche und politische Prägekraft des Identitätskonflikts hin zu einer gesellschaftlichen Konfliktlinie ergibt sich somit also aus der Interaktion zwischen individuellen Grundbedürfnissen und gesellschaftlichen Entwicklungen. Woraus entsteht aber die Polarisierung zwischen den an diesem Konflikt beteiligten Gruppen, warum kommt es zur Verhärtung dieses Konflikts, der sich vom Charakter anderer, etwa stärker wirtschaftlich gerahmter Konfliktlinien zu unterscheiden scheint?

4.3 Die Polarisierung gesellschaftlicher Gruppen durch den Identitätskonflikt

Aus unserer Sicht zeichnet sich der Identitätskonflikt tatsächlich durch eine besondere Qualität des Konfliktes aus, die auf seiner Fundierung in langfristigen und relativ stabilen Grundbedürfnissen des Individuums nach Sicherheit oder Offenheit beruht. Anders als die Interessen unterschiedlicher Gruppen etwa in ökonomischen Konflikten ist die Identität, die auf für ein Individuum grundlegenden Bedürfnissen beruht, nur schwer hinterfragbar und damit kaum verhandelbar (Willems, 2016).Footnote 1 Kaum verhandelbar sind diese Vorstellungen deshalb, weil sie sich aus grundlegenden, nur schwer negierbaren Bedürfnissen von Individuen und deren individuell unterschiedlicher Gewichtung ergeben. Dies gilt besonders dann, wenn die konfligierenden Identitätsvorstellungen religiös gerahmt werden (Huntington, 1996; Willems, 2016).

Kommen etwa fundamentalistische Prinzipien ins Spiel, die als nicht hinterfragbar behandelt werden, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass sich die unterschiedlichen Gruppen mit Unversöhnlichkeit begegnen und der Konflikt eskaliert. Helbling und Jungkunz (2020) zeigen, dass sowohl die Globalisierungsgewinner, die offener gegenüber ethnischen Minderheiten sind, als auch die Globalisierungsverlierer, die mehr Vorurteile gegenüber diesen Gruppen haben, dazu tendieren, den direkten Kontakt im Alltag zu vermeiden: „Winners and losers of globalisation do not only vote for different parties that support or oppose denationalisation processes, they also try to avoid each other in daily life. It seems that the hostile political rhetoric of opposing parties left its imprint on ordinary citizens.“ (Helbling & Jungkunz, 2020, S. 1204). Dort, wo diese beiden Gruppen interagieren, kann es aber auch zur wechselseitigen Abwertung und zur Konfliktverschärfung kommen.

Zusammenfassend verstehen wir damit die Herausbildung einer neuen, auf dem Identitätskonflikt basierenden Konfliktlinie als Resultat unterschiedlicher Grundbedürfnisse von Individuen, die durch gesellschaftliche Entwicklungen der Globalisierung hervorgehoben und relevant werden. Die besondere Qualität der neuen Konfliktlinie liegt dann darin begründet, dass der Konflikt durch die Nichthinterfragbarkeit dieser Bedürfnisse scheinbar notwendig polarisiert wird. Folgt man der theoretischen Einbettung unserer Ergebnisse in die Forschungsliteratur bis hierhin, so ergeben sich daraus die folgenden Implikationen.

Implikation 1: Die Polarisierung der gesellschaftlichen Gruppen durch den Identitätskonflikt hat ihren Grund in der wechselseitigen Abgrenzung und Abwertung von Verteidigern und Entdeckern.

In der öffentlichen Debatte verschärft sich der Identitätskonflikt vor allem dadurch, dass die an dem Konflikt beteiligten Gruppen sich von der jeweils anderen Seite abgrenzen, diese anprangern und herabsetzen und so diese dazu herausfordern, darauf ähnlich zu reagieren. So radikalisieren auf der einen Seite die Verteidiger ihre auf Homogenität abzielenden Vorstellungen von Nation, Nationalität und Gesellschaft. Hierbei werden die Notwendigkeit gesellschaftlicher Veränderungen im Zuge der Modernisierung und berechtigte Forderungen nach Gleichberechtigung von Minderheiten zunehmend weniger berücksichtigt. Die Verteidiger transformieren so ihr Bedürfnis nach Sicherheit zunehmend in eine aggressive Grundhaltung gegenüber Fremdem und Fremden sowie gegenüber der Gruppe der Entdecker, was wiederum deren Wahrnehmung der Verteidiger als fremdenfeindlich motiviert verstärkt. Auf der anderen Seite konzentrieren sich die Entdecker immer stärker und vehementer auf die Umsetzung gesellschaftlicher Veränderungen im Sinne ihrer eigenen Vorstellungen von maximaler Offenheit und Diversität. Hierbei wird zunehmend weniger berücksichtigt, dass diese Forderungen für die Lebenswirklichkeit anderer Gruppen in der Bevölkerung zum Teil nur eine untergeordnete Rolle spielen und/oder als grundlegende Ablehnung sicherheits- und stabilitätsorientierter Lebenskonzepte aufgefasst werden können. Das Bedürfnis nach Exploration und Veränderung unter den Entdeckern wandelt sich so zunehmend in eine genervt-überhebliche Grundhaltung, welche die andere Seite nur umso mehr provoziert und damit zur Konfliktverschärfung beiträgt.

Als Ergebnis stehen sich dann in der gegenseitigen Wahrnehmung nicht mehr sicherheitsorientierte Menschen, die dazu beitragen existierende Strukturen der Gemeinschaft zu verteidigen, und veränderungsorientierter Menschen, die dazu beitragen neue Möglichkeiten der Gemeinschaft zu entdecken, gegenüber. An Stelle dieses für eine Gesellschaft grundsätzlich gewinnbringenden Unterschieds tritt der unverhandelbare Konflikt zwischen den von den Entdeckern als aggressiv-rückständige Fremdenfeinde perzipierten Verteidigern und den aus Sicht der Verteidiger überheblich-lebensfremden Missionaren der Entdecker.

Implikation 2: Bisherige politische Reaktionen haben die Polarisierung der Gruppen aufgrund des Identitätskonflikts weiter verstärkt.

Unsere Ergebnisse haben gezeigt, dass der politische Kontext eine entscheidende Rolle für die gesellschaftlichen und politischen Folgen des Identitätskonflikts spielt. In Polen etwa begreifen sich die Verteidiger aufgrund der Tatsache, dass ihre teilweise radikalisierten Positionen von der polnischen Regierung aufgenommen und sogar stimuliert werden, als weniger marginalisiert als die Entdecker und sind daher auch deutlich zufriedener mit der Demokratie und den politischen Akteuren im eigenen Land als diese.

Dennoch ist das polnische Modell natürlich keine überzeugende Antwort auf die Polarisierung gesellschaftlicher Gruppen durch den Identitätskonflikt. In Polen wie auch in anderen Ländern wie Ungarn oder den USA unter Trump führt und führte die Übernahme extremer Positionen der Verteidiger nicht dazu, dass sich die Probleme der Verteidiger lösen ließen. Sie fühlen sich zwar für den Moment weniger marginalisiert und sind zufriedener mit der Regierung, die Globalisierungsfolgen, etwa die zunehmende internationale Öffnung – und die für die Verteidiger darauf resultierenden Probleme von Unsicherheit und Bedrohungsgefühlen – bleiben jedoch bestehen. Gleichzeitig fühlen sich nun aber die Entdecker durch eine solche Politik marginalisiert, sodass sich im Ergebnis die wahrgenommene Repräsentation der Gesamtbevölkerung nicht verbessert und die Polarisierung des Identitätskonflikts weiter vorangetrieben wird.

Auf der anderen Seite haben aber auch die politischen Reaktionen liberaler Regierungen und Parteien in anderen Teilen des Globalen Nordens nicht zu einer Entschärfung des gesellschaftlichen Konflikts um Identitätsfragen geführt. Forderungen der Entdecker nach gesellschaftlichen Veränderungen, insbesondere nach Gleichberechtigung von Minderheiten und dem Abbau von Diskriminierung wurden in großen Teilen übernommen. Hierbei wurde jedoch nicht ausreichend berücksichtigt, dass manche Positionen der Entdecker von der Lebenswirklichkeit großer Teile der Bevölkerung weit entrückt sind. Die Alternativlosigkeit, mit der Veränderungen begründet wurden, und die Abwertung gegenteiliger Ansichten als bildungs- und erziehungsbedürftig haben das Gefühl der gesellschaftlichen Marginalisierung und der politischen Repräsentationslücke aufseiten der Verteidiger weiter verstärkt.

Implikation 3: Unterschiede in den Bedürfnissen zwischen Entdeckern und Verteidigern müssen ernstgenommen werden, ohne polarisierte Positionen zu akzeptieren oder zu übernehmen. Auf politischer Ebene kann der Identitätskonflikt durch Akzeptanz und Repräsentation der Kernbedürfnisse sowohl der Entdecker als auch der Verteidiger moderiert werden. Hierbei sollten weder die durch den Konflikt bereits polarisierten Positionen übernommen noch eine der beiden Seiten abgewertet werden.

Aus unserer Sicht muss daher im gesellschaftlichen und politischen Dialog zunächst das Ziel sein, diesen unverhandelbaren und polarisierenden Konflikt wieder auf die Differenzen in individuellen und psychologisch verankerten Bedürfnissen zurückzuführen. Diese Differenzen können und sollen nicht aufgelöst werden. Stattdessen sollte man diese unterschiedlichen Bedürfnisse auch als Ressourcen einer Gesellschaft sehen, welche diese stärker machen können.

Dafür müssen die unterschiedlichen Bedürfnisse ernst genommen werden. Das bedeutet aus unserer Sicht, dass man den grundlegenden Argumenten beider Gruppen offen gegenübersteht. Dabei kommt es darauf an, die teilweise sehr weit auseinander liegenden Forderungen beider Gruppen auf den für die jeweiligen Gruppen funktionalen Kern zurückzuführen, d. h. danach zu fragen, welche Positionen für die Befriedigung der Bedürfnisse beider Gruppen essentiell und unabdingbar, und welche Positionen verhandelbar sind. Nur so lässt sich eine Grundlage für Kompromisse finden, die unter dem Eindruck der derzeitig gegensätzlichen Positionen beider Gruppen unmöglich erscheinen.

Hierfür kommt politischen Akteuren und dabei insbesondere den Parteien eine wichtige Rolle zu. Dabei ist von zentraler Bedeutung, dass die unterschiedlichen politischen Akteure in ihrer Gesamtheit eine wirkliche Repräsentation aller Bedürfnisse gewährleisten und einen Diskurs initiieren, in welchem die Bedürfnisse des jeweils anderen Lagers weder abgewertet noch als grundsätzlich abzulehnen behandelt werden. Nur so wird sich ein Raum eröffnen, in dem sich der Dialog zwischen den beiden gesellschaftlichen Lagern auf der Ebene der Bürger zu entwickeln vermag.