Im Anschluss an die Erkenntnisse zur Existenz und zum kulturellen, religiösen und psychologischen Profil der gegensätzlichen Lager der Entdecker und Verteidiger stellt sich die Frage danach, welche politischen Auseinandersetzungen mit der Zugehörigkeit zu den unterschiedlichen Lagern verbunden sind. An dieser Stelle sollen dabei nicht spezifische Themenorientierungen oder die Bewertung einzelner politischer Akteure im Vordergrund stehen, sondern grundsätzliche Präferenzen im Hinblick auf die politische Steuerung des gesellschaftlichen Miteinanders.

Grundsätzlich unterscheiden wir dabei im Kern eine pluralistische und eine antipluralistische Vorstellung von politischer Steuerung. Die pluralistische Steuerung geht in ihrem Kern davon aus, dass Steuerung die Vielfalt innerhalb einer Gesellschaft ernstnehmen und in der Ausgestaltung politischer Regelungen dieser Vielfalt Rechnung tragen muss. Das pluralistische Konzept sieht daher Politik als eine Abfolge von Aushandlungsprozessen, in denen unterschiedliche Gruppen ihre jeweiligen Interessen vertreten und es am Ende zu einer (institutionellen) Regelung kommt, welche einen Kompromiss zwischen diesen unterschiedlichen Interessen darstellt.

Die antipluralistische Steuerung geht hingegen in ihrem Kern davon aus, dass es einen einzigen und gemeinsamen Volkswillen gibt, der in den politischen Regelungen seinen Ausdruck finden muss. Politik besteht daher vornehmlich in der unmittelbaren Umsetzung dieses Volkswillens in institutionellen Regelungen.

Hinsichtlich der institutionellen Ausgestaltung der pluralistischen und der antipluralistischen Steuerung lassen sich drei markante Dimensionen unterscheiden. Für die pluralistische Steuerung ist eine Regierungsform notwendig, welche Aushandlungsprozesse und die Beteiligung unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppen zulässt und kontrolliert. Eine solche Regierungsform ist am ehesten mit der Idee der Demokratie (Dimension 1) und dabei insbesondere mit der liberalen Form der Demokratie (Dimension 2) verknüpft. Im Gegensatz dazu zählt für die antipluralistische Steuerung vor allem die Effizienz und Unmittelbarkeit der Durchsetzung des Volkswillens, die sie in stärker autoritären Settings (Dimension 1) bzw. anhand direkter Formen der Demokratie (Dimension 2) gewährleistet sieht. Zudem ist das Konzept der antipluralistischen Steuerung kompatibel mit dem Kern (rechts-)populistischer und verschwörungstheoretischer Argumentationen (Dimension 3), wonach der Wille des als homogen definierten Volkes von korrupten – nationalen wie internationalen – Eliten verraten wird. Gerade die Vorstellung eines homogenen Volkes steht offenkundig im Widerspruch zur Konzeption der pluralistischen Steuerung.

Unser Argument ist nun, dass die sich gesellschaftlich konträr gegenüberstehenden Gruppen der Entdecker und Verteidiger sich auch im Hinblick auf ihre Steuerungspräferenzen unterscheiden. Die Entdecker sollten sich in der politischen Ausgestaltung eines Gemeinwesens für eine pluralistische Perspektive aussprechen, während die Verteidiger stärker an den Idealen der antipluralistischen Steuerungsperspektive orientiert sein sollten.

Um dies zu überprüfen, untersuchen wir, wie sehr die beiden gesellschaftlichen Lager grundlegende Einstellungen gegenüber pluralistischer und antipluralistischer Steuerung zustimmen oder ablehnen. In Tab. 3.1 sind unsere Erwartungen zusammengefasst. Sie zeigen die theoretisch zu erwartende Zustimmung der Entdecker und der Verteidiger zu den drei Dimensionen und ihren Messkonzepten.

Tab. 3.1 Erwartete Zustimmung in den Gruppen der Entdecker und Verteidiger für Dimensionen grundlegender Einstellungen gegenüber Demokratie

In der Folge zeigen wir die deskriptiven Befunde für die durchschnittlichen Unterschiede zwischen den beiden Gruppen. Dabei zeigen wir zunächst, welche Fragen zur Messung der jeweiligen Dimensionen eingesetzt wurden und demonstrieren dann die empirischen Ergebnisse in Form eines Balkendiagramms.

3.1 Dimension 1: Demokratie versus Autoritarismus

Im Hinblick auf die Zustimmung der Befragten zur Demokratie als Idee haben wir die Frage gestellt, ob die Befragten der Aussage zustimmen, dass die Demokratie eine gute Regierungsform ist. Für die Präferenz hinsichtlich autoritärer Regierungsformen fragten wir danach, ob die Befragten der Aussage zustimmen, dass man einen starken Führer haben sollte, der sich nicht um ein Parlament und um Wahlen kümmern muss. Die Zustimmung konnte jeweils auf einer Skala von 1 = stimme ganz und gar nicht zu bis 6 = stimme voll und ganz zu angegeben werden.

In den Abb. 3.1 und 3.2 zeigen wir die Verteilung der Mittelwerte für die beiden gesellschaftlichen Gruppen der Entdecker und Verteidiger pro Land. Aus Abb. 3.1 wird ersichtlich, dass die Zustimmung zur Demokratie als Regierungsform in allen vier Ländern unter Entdeckern stärker als unter Verteidigern ist. Allerdings gilt dies in Polen nur zu einem geringen Ausmaß. Grundlegend lässt sich beobachten, dass die Zustimmung zur Demokratie als Idee von allen Lagern geteilt wird, und über alle Länder hinweg über dem theoretischen Mittelwert (= 3.5 auf einer Skala von 1 bis 6) liegt. In allen Ländern gibt es damit in beiden Lagern eine Präferenz für die Demokratie als Idee, die Intensität der Präferenz variiert jedoch teilweise beträchtlich über die Lager hinweg.

Abb. 3.1
figure 1

Zustimmung zur Demokratie als Idee

In Abb. 3.2 finden wir noch aussagekräftigere Unterschiede zwischen den Gruppen entlang der erwarteten Muster. In allen Ländern stimmen Verteidiger wesentlich eher der Aussage zu, dass ein starker Führer ohne Rücksicht auf Parlament und Wahlen wünschenswert wäre. In Polen und Frankreich überwiegt sogar die Zustimmung zu einem solchen Führer im Lager der Verteidiger (Gruppenmittelwert über dem theoretischen Mittelwert von 3.5). Berechnet man zudem zwischen der Zustimmung zur Demokratie als Idee bzw. zur Idee eines autoritären Führers und der Zugehörigkeit von Personen zu einer der beiden Gruppen eine bivariate Regression, so ergeben sich für beide Subkonzepte der ersten Dimension Unterschiede, die statistisch signifikant sind: Verteidiger stimmen der Demokratie als Idee signifikant weniger und dem Wunsch nach einem autoritären Führer signifikant stärker zu als die Entdecker.

Abb. 3.2
figure 2

Präferenz für einen autoritären Führer

3.2 Dimension 2: Liberale versus direkte Konzepte der Demokratie

In unsere Analyse fließen für die zweite Dimension die Zustimmung zum Konzept der liberalen Demokratie und zum Konzept der direkten Demokratie ein. Analog zu den theoretisch und empirisch ausführlich begründeten Zuordnungen bei Ferrin und Kriesi (2016) fassen wir Zustimmung zur liberalen Demokratie als die mittlere Zustimmung zu drei Fragen. Die Befragten wurden gebeten auf einer Skala von 1 = gar nicht wichtig bis 6 = sehr wichtig einzustufen, wie wichtig es für die Demokratie sei, ob a) Medien das Recht haben, Kritik an der Regierung zu üben, b) Rechte von Minderheiten geschützt werden und c) Gerichte die Regierung daran hindern können, ihre Befugnisse zu überschreiten. Die Messung der direkten Demokratie umfasste nur die Frage danach, wie wichtig es für die Demokratie sei, dass die Bürger bei den wichtigsten politischen Sachfragen durch direkte Volksabstimmungen das letzte Wort haben. Die Abb. 3.3 und 3.4 zeigen die Unterschiede zwischen Entdeckern und Verteidigern für diese Statements wiederum getrennt für die vier Länder.

In beiden Grafiken zeigen sich überwiegend die erwarteten Muster. Verteidiger weisen der liberalen Konzeption von Demokratie eine geringere Bedeutung zu als Entdecker und finden im Gegensatz dazu die direkte Komponente wichtiger. Bivariate Regressionen über alle Länder hinweg zeigen, dass diese Unterschiede im Hinblick auf präferierte Demokratiemodelle zwischen Entdeckern und Verteidigern statistisch signifikant sind.

Allerdings müssen an dieser Stelle zwei Dinge betont werden. Erstens sind die Unterschiede zwischen den Gruppen für die Relevanz der direkten Demokratie deutlicher als für die Relevanz der liberalen Demokratiekomponente. Zweitens finden wir für Polen ein von den Erwartungen abweichendes Muster im Hinblick auf die Zustimmung zur direkten Demokratie. Die Entdecker befürworten direkte Demokratie in Polen in gleichem Ausmaß wie die Verteidiger. Dies ist ein Ergebnis, das sich möglicherweise durch die stärkere Marginalisierungswahrnehmung der Gruppe der Entdecker unter der gegenwärtigen polnischen Regierung erklären lässt.

Abb. 3.3
figure 3

Zustimmung zum Konzept der liberalen Demokratie

Abb. 3.4
figure 4

Zustimmung zum Konzept der direkten Demokratie

3.3 Dimension 3: Populismus

Für die Zustimmung zu populistischen Positionen verwenden wir drei Maße. Erstens verwenden wir ein von Castanho Silva et al. (2020) empfohlenes Maß zur Messung von Populismus über Länder hinweg, beschränken uns dabei aber auf die Messung von zwei statt drei Dimensionen – die Vorstellung vom Primat eines einzigen Volkswillens und die Vorstellung von dem Volk gegenüberstehenden, korrupten Eliten. Der Grad an Populismus ist dann die gemittelte Zustimmung von Befragten zu diesen beiden Items auf einer Skala von 1 = stimme ganz und gar nicht zu bis 6 = stimme voll und ganz zu. Zweitens verwenden wir ein weiteres Maß, um das Verhalten der Bevölkerung mit einbeziehen zu können. Dabei fragten wir danach, welche Partei die Befragten in einer anstehenden hypothetischen Wahl auf der Bundesebene wählen würden. Danach erstellten wir basierend auf dieser Frage die für unsere Messung relevante Variable, welche diejenigen mit einer Präferenz für eine populistische Partei von allen anderen Befragten trennt. Drittens baten wir die Befragten um Zustimmung für ein Item, das aus einem Instrument zur Messung einer generellen Verschwörungsmentalität in der Bevölkerung entnommen wurde: „Es geschehen viele wichtige Dinge in der Welt, die von einflussreichen Gruppen ohne Kenntnis der Öffentlichkeit gesteuert werden.“ Wir nutzen hier den Glauben an Verschwörungstheorien als einen Aspekt zur Zustimmung von Populismus, weil Verschwörungstheorien, einem musikwissenschaftlichen Bild von Castanho Silva et al. (2017) folgend, nur Variationen des populistischen Leitmotivs sind. Die Abb. 3.5, 3.6 und 3.7 zeigen die Unterschiede zwischen Entdeckern und Verteidigern in der Zustimmung zu populistischen Positionen.

Abb. 3.5
figure 5

Grad an Populismus

Abb. 3.6
figure 6

Wahrscheinlichkeit der Wahl einer populistischen Partei

Die Abbildungen verdeutlichen, dass sich Entdecker und Verteidiger auch in ihrer Nähe zu populistischen Positionen unterscheiden – am stärksten in der Wahrscheinlichkeit der Wahl populistischer Parteien. Diese Unterschiede sind auch statistisch signifikant. Damit finden wir abermals konsistente Bestätigungen der erwarteten Muster.

Die Einzelbefunde in den Abbildungen deuten zudem darauf hin, dass Polen auch im Hinblick auf populistische Überzeugungen in den Lagern der Verteidiger und Entdecker der Ausnahmefall in unserem Ländersample ist. In diesem Land weisen die Entdecker eine stärkere Zustimmung zu populistischen Positionen auf als die Verteidiger, während es hinsichtlich des Glaubens an Verschwörungstheorien nahezu keinen Unterschied zwischen beiden Lagern gibt. Aufgrund der Konsistenz der spezifischen Befunde für Polen scheint unsere in Kap. 2 aufgeworfene These, dass sich in diesen Befunden die Wirkung der populistischen Regierung(sführung) in Polen niederschlägt, weiter an Bedeutung zu gewinnen.

Abb. 3.7
figure 7

Grad an Verschwörungsmentalität

Zusammenfassend lässt sich am Ende von Kap. 3 sagen, dass sich unsere Erwartungen bestätigen lassen. Die Gruppen der Entdecker und Verteidiger hängen auch im Hinblick auf ihre politischen Präferenzen unterschiedlichen pluralistischen und antipluralistischen Konzepten der politischen Steuerung an. Dies legt noch einmal nahe, dass sich entlang dieser beiden Gruppen als entgegengesetzte Lager eine neue gesellschaftliche Konfliktlinie entwickelt, die zur gesellschaftlichen und politischen Polarisierung beiträgt.