1.1 Ausgangspunkt

Nach dem Zusammenbruch des Staatssozialismus in den Ländern Ost- und Ostmitteleuropas prägte Francis Fukuyama in den frühen 1990er Jahren die populäre Formel vom Ende der Geschichte ideologischer Auseinandersetzungen, der zufolge sich die westliche liberale Demokratie als Gesellschafts- und Regierungsform universell durchgesetzt habe. Mittlerweile mehren sich Zweifel an der Richtigkeit dieser These. Erst jüngst haben Forschende wie Pippa Norris und Ronald Inglehart (2019) darauf hingewiesen, dass die in den letzten Jahren zu beobachtende Hinwendung eines Teils der Bevölkerung zu (rechts)populistischen, nationalistischen und autoritären Positionen Ausdruck einer kulturellen Gegenbewegung sein könnte.

In der Tat lassen sich in der öffentlichen Diskussion zunehmend Streitpunkte ausmachen, die sich beispielsweise an Themen der Immigration, des Multikulturalismus sowie der Öffnung nationaler Grenzen entzünden. Im Kern scheint es dabei um Identitätsfragen wie die nach gesellschaftlicher Zugehörigkeit und Abgrenzung zu gehen. Offenbar werden mit diesen Diskussionen um Identität immer mehr auch Fragen der gesellschaftlichen und politischen Teilhabe unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen verknüpft. Die Aufspaltung der Gesellschaft in durch ihre Identitätsvorstellungen charakterisierte Lager und deren Koppelung mit Wahrnehmungen gesellschaftlicher und politischer Vertretung sind jedoch bisher empirisch nicht systematisch nachgewiesen worden.

Ziel dieses Buches ist es, den vielfältigen Diskussionen um kulturelle und identitätsbezogene Konflikte erste systematische empirische Erkenntnisse an die Seite zu stellen. Dabei untersuchen wir die vier folgenden Fragestellungen auf der Grundlage einer umfassenden Datenbasis: Lassen sich tatsächlich konsistente gesellschaftliche Lager beobachten, die sich hinsichtlich ihrer Identitätsvorstellungen unterscheiden? Divergieren diese Lager auch im Hinblick auf die weiteren Konfliktthemen gesellschaftlicher und politischer Repräsentation? Welche Faktoren beeinflussen die Zugehörigkeit zu einem gesellschaftlichen Lager? Mit welchen politischen Einstellungen und Haltungen sind die divergierenden gesellschaftlichen Lager verbunden?

1.2 Kurzzusammenfassung

Die Ergebnisse unserer Studie mit 5000 Befragten in vier Ländern (Deutschland, Frankreich, Polen, Schweden) zeigen erstens, dass sich in der Tat ein substantieller Teil der Bevölkerung in zwei Lager aufspaltet, die sich in ihren Identitätskonzepten – gemessen zum einen über ihre Vorstellung von Zugehörigkeit und zum anderen über ihre Wahrnehmung von Bedrohung durch ethnisch-religiös definierte Fremde – unterscheiden. Wir nennen diese Lager Entdecker und Verteidiger (siehe Infobox). Zweitens demonstrieren unsere Befunde, dass sich diese Lager auch hinsichtlich ihrer Wahrnehmung von gesellschaftlicher Marginalisierung und ihrer Einschätzung der politischen Repräsentation diametral voneinander abheben. Drittens machen unsere Daten evident, dass sich Entdecker und Verteidiger wesentlich in relativ stabilen kulturellen, religiösen und psychologischen Eigenschaften unterscheiden. Viertens zeigt sich, dass die Positionierung im Konflikt als Entdecker bzw. Verteidiger Auswirkungen auf die gewünschte Form der Demokratie in der Bevölkerung hat. Unsere Ergebnisse weisen darauf hin, dass sich die kulturellen Konflikte um Identität politisch stark verfestigt haben und mittlerweile maßgeblich die gesellschaftlichen und politischen Ansichten der Bevölkerung strukturieren.

Entdecker versus Verteidiger

Entdecker befürworten ein offenes Zugehörigkeitskonzept und fühlen sich durch Fremde (Muslime, Geflüchtete) nicht bedroht. Sie sehen sich zudem selbst als gut repräsentiert, also eher als nicht marginalisiert an, sind eher zufrieden mit der Demokratie im Land und vertrauen eher politischen Institutionen. Verteidiger hingegen stehen mit hoher Wahrscheinlichkeit eher für ein enges Konzept der Zugehörigkeit, fühlen sich eher durch Fremde bedroht und gesellschaftlich marginalisiert, sie sind unzufriedener mit der Demokratie im Land und misstrauischer gegenüber politischen Institutionen.

Diese Kernbefunde lassen sich mit detaillierten Ergebnissen unterlegen: Entdecker und Verteidiger repräsentieren jeweils einen substantiellen Anteil der Befragten. In Deutschland zum Beispiel gehören 14 % der Befragten dem Lager der Entdecker und 20 % dem der Verteidiger an. Diese beiden Lager besetzen entgegengesetzte und weit auseinanderliegende Positionen im Identitätskonflikt. Empirisch gesehen vertreten in der Gruppe der Entdecker in Deutschland weniger als 15 % ein eher enges religiös-ethnisches Zugehörigkeitskonzept, fühlt sich unter ihnen niemand bedroht oder marginalisiert, ist die große Mehrheit mit der Demokratie (eher) zufrieden (93 %) und vertraut (eher) politischen Institutionen (Bund: 100 %, EU: 99 %). Unter den Verteidigern hingegen befürworten 61 % ein enges Konzept der Zugehörigkeit, fühlen sich 49 % bzw. 55 % durch Muslime bzw. Geflüchtete bedroht und 45 % kulturell marginalisiert; zudem sind in dieser Gruppe nur 21 % mit der Demokratie zufrieden, und lediglich 11 % vertrauen der Regierung und dem Parlament. In Schweden und Frankreich zeigen sich, bei freilich etwas differierenden Prozentwerten, ganz ähnliche Muster und Gruppenunterschiede.

Eine wichtige Ausnahme stellt Polen dar – ein semi-autoritär geführtes Land, in dem die Regierung Positionen der Verteidiger, etwa was die Befürwortung ethnisch-religiöser Homogenität oder den Schutz vor Fremden angeht, in populistischer Weise unterstützt. Hier fühlt sich nun nicht nur ein beachtlicher Teil der Verteidiger, sondern auch der Entdecker marginalisiert, wobei sich letztere im Hinblick auf politische Marginalisierung sogar stärker betroffen zeigen als die Verteidiger (49 % versus 29 %). Die Entdecker sind hier zudem mehrheitlich mit der Demokratie im Land eher unzufrieden und misstrauen der Regierung, wohingegen ein Großteil von ihnen (74 %) der EU wie in den anderen Ländern in hohem Ausmaß vertraut. Eine knappe Mehrheit der Verteidiger zeigt in Polen hingegen eine eher hohe Zufriedenheit mit der Demokratie im Land (57 %), und etwa drei Viertel (72 %) von ihnen vertrauen auch der Regierung und dem Parlament ziemlich stark. Der Anteil derjenigen, die der EU vertrauen, fällt in dieser Gruppe deutlich geringer aus (32 %). Außerdem ist in Polen die Spaltung der Gesellschaft weitaus stärker ausgeprägt: Entdecker und Verteidiger nehmen hier zusammen über 70 % der Bevölkerung ein.

Aus diesen substantiellen Länderunterschieden lässt sich ableiten, dass den Kontextcharakteristiken im Hinblick auf den Identitätskonflikt eine wesentliche Rolle zukommt. Das politische System und die politische Kommunikation beeinflussen den Grad der Aufspaltung der Gesellschaft. Sie haben zudem einen Einfluss darauf, wie stark sich die Lager der Entdecker und Verteidiger jeweils marginalisiert fühlen und demokratische Institutionen akzeptieren.

In tiefergehenden Analysen haben wir zudem herausgefunden, dass sich die Gruppen der Entdecker und Verteidiger auch hinsichtlich ihrer kulturellen und religiösen Verortung sowie ihrer psychologischen Dispositionen unterscheiden. In Deutschland finden sich in der Gruppe der Entdecker nur 24 % mit hoher Religiosität, 31 % mit starker Heimatverbundenheit, 4 % mit einer starken Präferenz für gesellschaftliche Hierarchien und 3 % mit einem geringen Vertrauen in Menschen. In der Gruppe der Verteidiger hingegen haben 33 % eine hohe Religiosität, fühlen sich 52 % eher mit ihrer Heimat als der Welt verbunden, präferieren 34 % klare gesellschaftliche Hierarchien und stehen 31 % anderen Menschen generell eher skeptisch gegenüber. Darüber hinaus deuten unsere Ergebnisse darauf hin, dass der Konflikt zwischen Entdeckern und Verteidigern klare politische Effekte hat. Verteidiger weisen eine deutlich höhere Präferenz für populistische Parteien und das Konzept eines „starken Führers“ auf und neigen eher zu Verschwörungstheorien. So liegt die Wahrscheinlichkeit für die Wahl einer populistischen Partei in der Gruppe der Verteidiger bei 26 % (Deutschland), 16 % (Frankreich), 57 % (Polen) und 34 % (Schweden), während in der Gruppe der Entdecker in allen Ländern kaum jemand zur Wahl populistischer Parteien neigt.

Zusammengefasst lässt sich Folgendes sagen: Mit der hier präsentierten Studie liegt erstmals empirische Evidenz für die Herausbildung einer neuen übergreifenden gesellschaftlichen Konfliktlinie vor. Diese Konfliktlinie macht sich grundlegend an unterschiedlichen Zugehörigkeitsvorstellungen und Bedrohungsgefühlen fest. Während eine beachtliche Gruppe der Gesellschaft, die wir die Entdecker nennen, Fremdes willkommen heißt und sich durch Fremde nicht bedroht fühlt, nimmt eine andere gesellschaftliche Gruppe – in Abgrenzung zu den Entdeckern nennen wir sie die Verteidiger – in beiden Hinsichten die entgegengesetzte Position ein.

Ein offenes Zugehörigkeitskonzept und ein Mangel an Bedrohungsgefühlen korrelieren mit einer geringen Marginalisierungswahrnehmung und einem hohen Maß an wahrgenommener Repräsentation. Wer sich Fremden gegenüber eher verschließt und Fremdes als Bedrohung erlebt, neigt eher dazu, sich marginalisiert und politisch nicht repräsentiert zu fühlen. Diese Verteidiger sind auch eher unzufrieden mit der Demokratie und vertrauen den politischen Institutionen weniger, während sich dies bei den Entdeckern gerade umgekehrt verhält. Beide Gruppen repräsentieren weit auseinanderliegende Positionen und stellen jeweils einen substantiellen Anteil der Bevölkerung dar. Wie stark sich die Bevölkerung in diese entgegengesetzten Positionen aufspaltet und wie sehr vorliegende Unterschiede in den Identitätsvorstellungen mit Marginalisierungswahrnehmungen und Misstrauen in politische Institutionen einhergehen, variiert jedoch über politische Systeme und ist demnach potentiell durch politische Kommunikation beeinflussbar.

1.3 Die empirische Studie: Forschungsdesign und verwendete Variablen

Die in diesem Buch präsentierten Befunde basieren auf den Daten einer Umfrage, die im Rahmen des am Exzellenzcluster „Religion und Politik“ angesiedelten Projektes „Bedrohungswahrnehmungen, Zugehörigkeitsgefühle, Akzeptanz demokratischer Herrschaft: eine neue religiös konnotierte Konfliktlinie in Europa?“ in vier europäischen Ländern (Deutschland, Frankreich, Polen und Schweden) durchgeführt wurde. Die organisatorische Federführung und Koordination der Umfrage lag in den Händen von Kantar Deutschland (Berlin).

Der Befragungszeitraum erstreckte sich vom 9. November bis zum 18. Dezember 2020. Die Umfrage wurde im CATI-Verfahren (CATI: Computer Assisted Telephone Interviewing) durchgeführt und basierte auf einem Dual-Frame-Stichprobendesign (Berücksichtigung von Festnetz- und Mobilfunknummern). Die Befragten wurden zufällig aus der Grundgesamtheit aller in Privathaushalten lebenden Personen in den einzelnen Ländern ausgewählt. Dabei wurden nur Personen in die Stichprobe aufgenommen, die zum Zeitpunkt der Befragung für die nationalen Parlamentswahlen wahlberechtigt waren. Insgesamt nahmen 5011 Personen an der Befragung teil. Die Anzahl der realisierten Interviews beträgt in Deutschland 1402 (davon 506 in den fünf östlichen Bundesländern und Berlin), in Frankreich 1208, in Polen 1200 und in Schweden 1201. Um Verzerrungen der Stichprobe aufgrund unterschiedlicher Auswahlwahrscheinlichkeiten bzw. ausfallbedingter Selektivitäten zu korrigieren, wurden die Daten nach der Erhebung u. a. nach den Merkmalen Alter, Geschlecht, Bildung und Region gewichtet. Falls nicht explizit anders vermerkt, basieren die dargestellten Befunde auf gewichteten Daten. Im Folgenden werden die in diesem Buch verwendeten Messkonzepte und Variablen kurz vorgestellt. Eine detaillierte Auflistung und Beschreibung aller Variablen und Indizes findet sich in Tab. A.1 im Anhang.

1.3.1 Vorstellungen nationaler Zugehörigkeit

Zur Erfassung der Vorstellungen über die nationale Zugehörigkeit haben wir uns einer Fragebatterie bedient, die in mehreren großen internationalen Umfragen wie etwa dem International Social Survey Programme verwendet wurde (vgl. Balke et al., 2014). Wir unterscheiden dabei zwischen Kriterien, die sich auf eher askriptive, die ethnische und religiöse Zugehörigkeit betonenden Prinzipien beziehen (im Land geboren zu sein, den größten Teil seines Lebens im Land gelebt zu haben, der dominanten Religion anzugehören sowie Vorfahren zu haben, die der ethnisch-nationalen Mehrheit angehören), sowie grundsätzlich erwerbbaren, im zivilrechtlich-kulturellen Bereich angesiedelten Merkmalen (Achtung der politischen Institutionen und Gesetze im Land, Beherrschung der Landessprache und das Gefühl der Zugehörigkeit zur nationalen Mehrheit). In den folgenden Ausführungen wird dabei die Zustimmung bzw. Ablehnung zum ethnisch-religiösen Prinzip der Zugehörigkeit im Mittelpunkt stehen, die wir auf der Basis der durchschnittlichen Zustimmung der Befragten zu den bereits oben beschriebenen Kriterien („in [Deutschland, Frankreich, Schweden, Polen] geboren zu sein“, „den größten Teil seines Lebens [Deutschland, Frankreich, Schweden, Polen] gelebt zu haben“, „Christ [in Polen: Katholik] zu sein“ sowie „[deutsche, französische, schwedische, polnische] Vorfahren zu haben“) in einem Index zusammengefasst haben. Niedrige Werte auf diesem Index zeigen entsprechend eher ablehnende Haltungen zu diesem Prinzip an, höhere Werte Zustimmung.

1.3.2 Bedrohungswahrnehmungen

Darüber hinaus haben wir Fragen zur Wahrnehmung von Bedrohung durch andere, ethnisch-religiös gerahmte Fremdgruppen gestellt. Im Zentrum stehen hierbei Bedrohungsgefühle gegenüber Muslimen. Diese Bedrohungsgefühle beziehen sich auf Sorgen um bedrohte Ressourcen, Sicherheit und kulturelle Werte und wurden von uns nach Landmann et al. (2019) mit insgesamt sechs Items erfasst (Beispielitems: „Muslime bedrohen unsere Lebensweise und unsere Werte in Deutschland.“, „Muslime bedrohen die wirtschaftliche Lage in Deutschland.“, „Muslime, die hier leben, bedrohen die Sicherheit in Deutschland.“). Für die folgenden Grafiken und Berechnungen haben wir eine Variable „Bedrohung durch Muslime“ erstellt, die die durchschnittliche Zustimmung zu den sechs Bedrohungsitems abbildet. Zusätzlich wurden anhand von drei Items Bedrohungsgefühle gegenüber Geflüchteten gemessen und zu einer Variablen „Bedrohung durch Geflüchtete“ zusammengefasst.

1.3.3 Gefühle gesellschaftlicher Marginalisierung

Das Gefühl gesellschaftlicher Benachteiligung haben wir mit Bollwerk et al. (2021) durch die Zustimmung oder Ablehnung von sechs Items gemessen, welche Marginalisierungsgefühle mit je zwei Items auf einer wirtschaftlichen (Beispielitem: „Die Arbeit von Leuten wie mir wird in der Gesellschaft nicht genug anerkannt.“), einer politischen (Beispielitem: „Die meisten Politiker kümmern sich nicht darum, was Leute wie ich denken.“) und einer kulturellen Dimension (Beispielitem: „Gebräuche, Traditionen und Sitten von Leuten wie mir werden immer weniger geschätzt.“) erfassen. Für die Grafiken und Berechnungen haben wir für jede Dimension eine Variable („Wirtschaftliche Marginalisierung“, „Politische Marginalisierung“ und „Kulturelle Marginalisierung“) erstellt, die für jeden Befragten dessen durchschnittliche Zustimmung zu den Aussagen der Dimension enthält.

1.3.4 Wahrnehmung politischer Repräsentation

Hinsichtlich der Gefühle politischer Repräsentation haben wir drei Variablen erhoben – die Zufriedenheit der Befragten mit der Demokratie im eigenen Land, das durchschnittliche Vertrauen in die beiden wichtigsten nationalen politischen Institutionen (Regierung und Parlament) sowie das Vertrauen in die Europäischen Union. Alle drei Variablen drücken aus, wie sehr sich Befragte im nationalen und europäischen politischen System repräsentiert und vertreten fühlen.

Im Folgenden stellen wir eine Reihe weiterer Variablen vor, die zum einen der näheren Beschreibung der Profile der Entdecker und Verteidiger (Kap. 2) und zum anderen der von ihnen bevorzugten Modelle politischer Steuerung (Kap. 3) dienen.

1.3.5 Soziodemographische Merkmale

Das soziodemographische Profil der Befragten haben wir anhand des Alters (in Jahren), des Bildungsstandes (auf der Basis des höchsten erreichten Bildungsabschlusses nach der internationalen Standardklassifikation ISCED) sowie der Wohngegend (ländlich; Klein- oder Mittelstadt; Großstadt) erfasst.Footnote 1

1.3.6 Einschätzungen der sozioökonomischen Situation

Anders als bei der Soziodemographie stehen hier nicht objektive Merkmale, sondern subjektive Einschätzungen im Fokus. Den (subjektiven) sozialen Status der Befragten haben wir über die Selbstpositionierung der Familie auf einer imaginierten sozialen Leiter zwischen „ganz unten“ und „ganz oben“ erfasst. Zudem wurde erhoben, ob die Befragten glauben, im Vergleich zu anderen ihren gerechten Anteil am Leben zu erhalten oder nicht. Darüber hinaus haben wir neben der persönlichen Situation auch die Einschätzung der wirtschaftlichen Lage des Landes abgefragt. Und schließlich haben wir anhand eines Index den Grad an wahrgenommener sozialer Unterstützung erfasst (basierend auf den Items „Es gibt Menschen, die mich wirklich gern haben.“ sowie „Ich habe Menschen, auf die ich mich immer verlassen kann.“).

1.3.7 Sozio-kulturelle Faktoren und Einstellungen

Hier haben wir zum ersten erfasst, wie häufig die Befragten (wiederum ihrer eigenen Einschätzung zufolge) persönlichen Kontakt zu Muslimen haben. Zum zweiten haben wir danach gefragt, wo sich die Menschen am ehesten zuhause fühlen, ob sie sich eher als Kosmopoliten sehen („sind gerne in der Welt unterwegs und fühlen sich überall zuhause“) oder aber als heimatverbunden einschätzen („mögen ihr gewohntes Umfeld lieber und fühlen sich daher an einem bestimmten Wohnort zuhause“). Drittens wurde der Grad an Nationalstolz gemessen, indem danach gefragt wurde, ob die Befragten sehr stolz, stolz, nicht sehr stolz oder überhaupt nicht stolz sind, Deutsche*r, Franzose/Französin, Pole/Polin oder Schwede/Schwedin zu sein.

1.3.8 Persönlichkeitseigenschaften und soziale Einstellungen

In diesem Bereich haben wir generalisierte Überzeugungen, Menschen- und Weltbilder erfasst, die als zentrale Prädiktoren politisch und gesellschaftlich relevanter Haltungen etabliert sind. Allgemeines Vertrauen soll dabei ausdrücken, inwieweit jemand von der Gutwilligkeit anderer Menschen überzeugt ist oder aber anderen Menschen eher skeptisch gegenübersteht. Dies haben wir über die Frage erfasst, inwieweit die Befragten der Meinung sind, dass man den meisten Menschen vertrauen kann. Kontrollüberzeugung als das Ausmaß der Erwartung, dass das Auftreten erwünschter Ergebnisse vom eigenen Verhalten abhängig ist, wurde anhand der Ansicht, dass Anstrengung auch zum Erfolg führt, gemessen. Erfasst wurde zudem Rechtsautoritarismus (im Englischen Right-Wing Authoritarianism; Altemeyer, 1981) – eine Weiterentwicklung des Konstrukts der Autoritären Persönlichkeit (Adorno et al., 1950). Hierfür wurde ein Index aus den Zustimmungsraten zu drei Items gebildet, welche die Unteraspekte Autoritäre Aggression, Autoritäre Unterwürfigkeit und Konventionalismus abdecken („Unruhestifter sollten deutlich zu spüren bekommen, dass sie in der Gesellschaft unerwünscht sind.“; „Menschen sollten wichtige Entscheidungen in der Gesellschaft Führungspersonen überlassen.“; „Bewährte Verhaltensweisen sollten nicht in Frage gestellt werden.“). Menschen mit hoher (vs. geringer) Ausprägung auf dieser Skala tendieren eher dazu, gegenüber Autoritäten gehorsam zu sein, moralisch absolut zu urteilen, mit den Konventionen übereinstimmende Positionen zu vertreten und sich im Namen von Autoritäten aggressiv gegenüber Abweichlern zu verhalten. Soziale Dominanzorientierung als Ausdruck einer Präferenz für starke gesellschaftliche Hierarchien wurde anhand eines 2-Item-Index erfasst („Eine ideale Gesellschaft erfordert es, dass manche Gruppen oben stehen und andere unten.“; „Wir sollten unser Möglichstes tun, um gleiche Bedingungen für unterschiedliche Gruppen zu schaffen.“ [umgekehrt kodiert]).

1.3.9 Religion und Religiosität

Hier haben wir uns zum einen dreier Indikatoren bedient, die zum Standardrepertoire der quantitativen Erfassung der Religiosität gehören. Religiöse Zugehörigkeit (in unserem Falle: Zugehörigkeit zum Christentum) wurde über die Frage erfasst, welcher Konfession bzw. Religionsgemeinschaft der oder die Befragte angehört. Als Indikator für die Dimension der kirchlich-religiösen Praxis diente die Frage nach der Kirchgangshäufigkeit. Die Intensität der Religiosität wurde anhand der Selbsteinschätzung der Befragten auf einer Skala von „überhaupt nicht religiös“ bis „tief religiös“ gemessen. Über diese Standardindikatoren hinaus haben wir zwei spezifische Ausprägungen von Religiosität erhoben, die sich nicht nur in ihrem Selbstverständnis stark voneinander unterscheiden, sondern von denen auch anzunehmen ist, dass sie in ihren Wirkungen und Zusammenhängen in Bezug auf die uns interessierenden Fragen differieren. So haben wir zum einen erfasst, inwieweit und in welchem Ausmaß sich die Befragten als spirituell einschätzen (analog zur Skala der Religiosität von „überhaupt nicht“ bis „tief spirituell“). Zum anderen haben wir fundamentalistische Positionen anhand der Zustimmungswerte zu drei Items gemessen, die wesentliche Grundelemente einer solchen Haltung repräsentieren (Items: „Es gibt nur eine wahre Religion.“; „Die Befolgung der Gebote meiner Religion sind für mich wichtiger als die Gesetze des Staates, in dem ich lebe.“; „Nur das Christentum ist in der Lage, die Probleme unserer Zeit zu lösen.“).

1.3.10 (Erwünschte) Modelle politischer Steuerung

Wir unterscheiden drei Dimensionen politischer Steuerung – die Ablehnung/Zustimmung der Demokratie als Idee, die Ablehnung/Zustimmung zu liberalen und direkten Ausprägungen von Demokratie und die Ablehnung/Zustimmung zu populistischen Positionen. Im Hinblick auf die erste Dimension haben wir die Zustimmung der Befragten zur Demokratie als Idee darüber gemessen, ob die Befragten der Aussage zustimmen, dass die Demokratie eine gute Regierungsform sei. Zusätzlich haben wir eine Präferenz autoritärer, also der Demokratie entgegengesetzter Regierungsformen darüber erhoben, ob die Befragten der Aussage zustimmen, dass man einen starken Führer haben sollte, der sich nicht um ein Parlament und um Wahlen kümmern muss. Für die zweite Dimension, die Zustimmung zum Konzept der liberalen bzw. der direkten Demokratie, haben wir zwei Instrumente eingesetzt. Für das Konzept der liberalen Demokratie wurden die Befragten gebeten einzustufen, wie wichtig für die Demokratie sei, ob a) Medien ein Recht auf Kritik an der Regierung haben, b) Minderheitenrechte geschützt werden und c) Gerichte die Regierung daran hindern können, ihre Befugnisse zu überschreiten. Die Messung der direkten Demokratie umfasst nur eine Frage danach, wie wichtig es für die Demokratie sei, dass die Bürger*innen bei wichtigen Sachfragen durch Volksabstimmungen das letzte Wort haben. Für die dritte Dimension, die Zustimmung zu populistischen Positionen, haben wir drei Maße herangezogen. Erstens haben wir ein von Castanho Silva et al. (2020) empfohlenes Maß zur Messung von Populismus über Länder hinweg verwendet. Der Grad an Populismus ist die gemittelte Zustimmung von Befragten zu zwei Items (Beispielitem: „Das Land wird von einigen wenigen großen Interessengruppen regiert, die sich nur um sich selbst kümmern.“). Zweitens wurde danach gefragt, welche Partei die Befragten in einer anstehenden hypothetischen Wahl auf der nationalen Ebene wählen würden. Auf dieser Basis haben wir eine Variable erstellt, welche diejenigen mit einer Präferenz von populistischen Parteien von allen anderen Befragten trennt. Drittens baten wir die Befragten um Zustimmung zu einem Item, das eine generelle Verschwörungsmentalität misst („Es geschehen viele wichtige Dinge in der Welt, die von einflussreichen Gruppen ohne Kenntnis der Öffentlichkeit gesteuert werden.“).