5.1 Entscheidungsfindung in Politik und Verwaltung

Für das Verständnis der Teilhabe von Bürgern am Politik- und Verwaltungshandeln ist es zunächst notwendig, sich mit Entscheidungen im öffentlichen Sektor und ihrer Umsetzung auseinanderzusetzen. Der folgende Abschnitt zeigt die einzelnen Schritte der Entscheidungsfindung in Theorie und Praxis auf.

5.1.1 Meinungsbildung, Agenda Setting und Entscheidungen

Der sechsstufige Politikzyklus Abschn. 1.4.1 bietet einen hilfreichen Rahmen, um zwischen Entscheidungsfindung und -umsetzung zu unterscheiden. Die ersten drei Stufen Problemdefinition, Agenda Setting und Entscheidungsfindung liegen im Verantwortungsbereich der Politik. Die nachfolgenden drei Stufen Implementation, Monitoring und Evaluation sind Aufgaben, die eher der Verwaltung zugeschrieben werden. Von diesem Rahmen ausgehend lassen sich die folgenden Schritte auf dem Weg zur Entscheidungsfindung skizzieren.

Wesentliche Grundlagen für das Treffen von Entscheidungen finden sich in der Meinungsbildung. Diese kann als eine Artikulation von Interessen und Problemstellungen bezüglich einer Thematik verstanden werden. Im politischen Kontext konkretisiert sie sich in Form von politischen Positionen. Bereits hier können auch Akteursgruppen außerhalb von Politik und Verwaltung aktiv miteinbezogen werden. Diese tragen durch ihre Aktivitäten zur weiteren Meinungsbildung bei. Mögliche Impulsgeber sind hier Vereine, Verbände, die Zivilgesellschaft und die Presse.

Nachdem unterschiedliche Meinungen und Optionen aufeinandertreffen, geht es mit dem Agenda Setting um das Setzen von Themenschwerpunkten. Hier werden Vorschläge konkretisiert und Entscheidungen über künftige Aktivitäten getroffen. Dabei muss geklärt werden, welche Probleme konkret bearbeitet und welche Maßnahmen, Instrumente und Programme dafür eingesetzt werden sollen. Ebenso muss abgestimmt werden, in welcher Art und Weise die Lösung der Probleme vorangetrieben wird (Bogumil & Jann, 2020, S. 212). Das Agenda Setting gipfelt daher in einer Auswahl von mehreren Handlungsoptionen. Eine Möglichkeit ist dabei auch immer das Nichtstun, also eine bewusste Entscheidung für das Fortbestehen des aktuellen Zustands.

In einer Entscheidungsfindung mit gesamtgesellschaftlich verbindlicher Wirkung liegt eine zentrale Aufgabe der Politik. Die Entscheidungsfreudigkeit der jeweiligen Akteure spielt hier eine entscheidende Rolle. Unter Entscheidungsfreudigkeit wird die Bereitschaft verstanden, zügig zu entscheiden – auch unter Inkaufnahme von Risiken (Püttner, 2000, S. 334 f.). So lassen sich Verzögerungen bei Entscheidungen vermeiden, wenn im weiteren Verlauf keine nennenswerte Optimierung in Form von zusätzlichen Informationen oder neuen Erkenntnissen zu erwarten ist. Eine etwaige Ungewissheit über Folgen und Wirkungen aufgrund unvollständiger Informationen geht damit einher.

5.1.2 Entscheidungstheorien im öffentlichen Sektor

Idealtypisch gehen Akteure bei der Entscheidungsfindung rational vor. Sie definieren und analysieren konkret die zu lösenden Probleme sowie die zu erreichenden Ziele. Die Suche nach möglichen Alternativen der Zielerreichung sowie der jeweiligen Kosten und Nutzen erfolgt systematisch. Nach einer vergleichenden Analyse aller Handlungsoptionen wählen die Akteure die beste Option zur Erreichung der Ziele aus (Bogumil & Jann, 2020, S. 214). Die moderne Organisationsforschung zeigt jedoch, dass dieses normative Modell fast immer unrealistisch ist (ebd.). Es gibt daher zahlreiche sogenannte „nicht-rationale“ Entscheidungstheorien, die sich an einer realistischen Einschätzung von Entscheidungsprozessen versuchen.

Das Konzept der begrenzten Rationalität von Herbert A. Simon zeigt auf, dass Akteure zwar beabsichtigen sich rational zu entscheiden, aber durch begrenztes Wissen sowie Ressourcen und Kapazitäten gar nicht in der Lage sind alle Informationen zu verarbeiten (Simon, 1955; Bogumil & Jann, 2020, S. 215). Das Konzept des Satisficing basiert auf der Verhaltensannahme, dass Haushalte oder Unternehmen nicht immer nach einer Nutzen- beziehungsweise Gewinnmaximierung streben, sondern sich auch mit einem „nur“ befriedigendem Ergebnis zufriedengeben (Piekenbrock 2018). Übertragen auf Akteure von Politik und Verwaltung bedeutet dies, dass nicht immer zwangsläufig das gesellschaftlich optimale Ergebnis gesucht wird, sondern Entscheidungen durchaus auch zugunsten zufriedenstellender Lösungswege getroffen werden. Eine weitere Theorie der Entscheidungsfindung ist die sogenannte Science of Muddling Through, die Wissenschaft des „Sich-Durch-Wurstelns“ nach Charles E. Lindblom (1959). Demnach tendieren politische Akteure eher dazu, sich durch kleine, unkoordinierte und inkrementelle Schritte einer Problemlösung anzunähern und dabei auf vorhandene, nicht zwangsläufig adäquate Mittel für die jeweiligen Zwecke zurückzugreifen. Das Ergebnis sind oftmals eher marginale Verbesserungen, weit entfernt von der eigentlich zu verfolgenden Vision. Die Garbage-Can-Theorie, die Mülleimer-Theorie, von James March und Johan P. Olsen basiert darauf, dass komplexe Entscheidungsprozesse und Problemlösungen immer auf die Komposition vier dynamischer Strömungen zurückzuführen sind (Cohen et al., 1990, S. 333 in Bogumil & Jann, 2020, S. 223). Die Strömungen „Lösungen“, „Teilnehmer“, „Situationen“ und „Probleme“ existieren weitgehend unabhängig voneinander, bis sie je nach den jeweiligen Organisationsstrukturen (Mülleimer) zusammenfinden. Entscheidungsprozesse, so die Annahme, sind daher auch einem Stück weit dem Zufall geschuldet, welche Probleme, mit welchen Akteuren, in welcher Situation mit welchen Lösungen zusammenfinden. Hieran anknüpfend kann ebenso die Theorie der Windows of Opportunity eingeordnet werden, nach der eine einmalige Entscheidungsgelegenheit dazu führt, neue Probleme mit seit langen diskutierten Lösungen und wichtigen Akteuren zu verbinden (Weimar, 2003; Schmid, 2003 in Bogumil & Jann, 2020, S. 223–224). Es zeigt sich also, dass auch Akteure in Politik und Verwaltung von verschiedenen Gegebenheiten, Unsicherheiten und oftmals auch Zielkonflikten beeinträchtigt werden und so irrationale Entscheidungen getroffen werden können.

5.1.3 Politikdurchführung durch die Verwaltung

Nach dem Treffen einer Entscheidung durch die Politik erfolgt die Umsetzung durch die Verwaltung. In gewissem Maße können hier weitere Entscheidungen hinsichtlich der Programmkonkretisierung, der Ressourcenbereitstellung oder auch Einzelfallentscheidungen von der Verwaltung selbst getroffen werden. Ebenso ist die Verwaltung für die Durchsetzung ihrer Entscheidungen verantwortlich, beispielsweise, wenn gegen Verwaltungsentscheidungen gerichtlich vorgegangen wird. Üblicherweise wirken mehrere Akteure am Entscheidungsprozess mit, wobei die Entscheidungsakte abgestimmt unter Einbeziehung der zuständigen Vorgesetzten erfolgen.

Idealtypisch orientiert sich die Verwaltung bei ihrer Entscheidungsfindung an zwei Ansätzen. Dies sind einerseits Konditionalprogramme, die auf Wenn-dann-Entscheidungen basieren. Wenn beispielsweise die notwendigen Dokumente zur Erstellung eines Reisepasses vorgelegt werden, dann muss die Verwaltung diesen Pass auch ausstellen. Der zweite Ansatz, den die Verwaltung bei der Entscheidungsfindung verfolgen kann, ist das Zweckprogramm. Dabei stehen Mittel zur Erreichung eines Ziels zur Verfügung, die die Verwaltung zweckgebunden dafür einsetzen muss. In der Durchführung werden der zuständigen Behörde aber durchaus Freiräume eingeräumt. Zwischen diesen beiden Ansätzen bestehen auch unterschiedliche Mischformen.

In den vergangenen Jahrzehnten setzt die öffentliche Verwaltung zunehmend auf den Einsatz von betriebswirtschaftlichen Instrumenten. Dies führte vermehrt zur Anwendung von Steuer- und Kontrolltechniken auf Basis von vollständig, genau und operational formulierten Zielen sowie verstärkter Rationalität und Transparenz. Diese zielgerichtete Steuerung von Verwaltung durch Public-Management-Verfügungen zieht eine Stärkung der Eigenverantwortlichkeit der Verwaltung nach sich. Public Manager gewinnen so im Staat an Bedeutung, während dies für Politiker einen Machtverzicht bedeuten könnte.

5.2 Teilhabe, Mitwirkung und Partizipation

Politische Entscheidungen und die Kontrolle der Exekutive werden in einer repräsentativen Demokratie nicht unmittelbar vom Volk, sondern vom Parlament als Volksvertretung ausgeübt. Trotzdem gibt es für Bürger neben den Wahlen eine Vielzahl von Möglichkeiten, sich am politischen Geschehen zu beteiligen.

5.2.1 Bürgerbeteiligung

In der Begriffsbestimmung von Bürgerbeteiligung werden teilweise unterschiedliche Akzente gesetzt. Aus Sicht der Autoren kann Bürgerbeteiligung wie folgt definiert werden:

Definition: Bürgerbeteiligung

Auf dem Eingebundensein beruhende Teilhabe von Einzelnen oder Gruppen an (politischen) Willensbildungs- und Entscheidungsprozessen in übergeordneten Organisationen und Strukturen.

Wenn Bürger an politischen Willensbildungs- und Entscheidungsprozessen aktiv mitwirken, kann ihre Meinung Teil des Agenda Settings werden. Neben dem Begriff der Bürgerbeteiligung gibt es zahlreiche Synonyme, die verwendet werden können. Dazu zählen beispielsweise Öffentlichkeitsbeteiligung, Einwohnerbeteiligung, Mitgestaltung, Partizipation oder Teilhabe.

5.2.2 Formen politischer Partizipation der Bürger

Im Rahmen der politischen Partizipation können unterschiedliche Formen von Beteiligung ausgemacht werden. Zum einen sind es die konventionellen Formen von Demokratie, die wie die Teilnahme an Wahlen und Abstimmungen verfassungsrechtlich geregelt und gesetzlich garantiert sind. Ebenso gibt es unkonventionelle, nicht verfasste Formen von politischer Beteiligung der Bürger. Dazu zählen beispielsweise das Engagement in Bürgerinitiativen und Bewegungen, Petitionen, Demonstrationen, Streiks und Besetzungen. Eine Engagementpolitik trägt dazu bei, allgemein das Engagement von Bürgern in Gremien und in Entscheidungsprozessen zu stärken.

Darüber hinaus kann in formelle und informelle Bürgerbeteiligung unterschieden werden. Zur formellen oder gesetzlich vorgeschriebenen Bürgerbeteiligung gehören beispielsweise die Planungsprozesse mit Beteiligungsverfahren, das Rederecht für Bürger im Gemeinderat, Wahlen und Bürgerentscheide. Informelle oder freiwillige Bürgerbeteiligungsformate, in denen Bürgern in Kontakt mit Politikern kommen können, sind beispielsweise Stadtspaziergänge, Kontaktbüros oder Sprechstunden. Ebenso können Bürger Fachgespräche und Podiumsdiskussionen besuchen oder Arbeitskreise, Projektgruppen und Planungszellen initiieren.

5.2.3 Methoden und Beispiele von Bürgerbeteiligung

Dialogische Bürgerbeteiligung

Seit Februar 2021 besteht in Baden-Württemberg das Gesetz über die dialogische Bürgerbeteiligung (2021). Damit wurde vom Staatsministerium Baden-Württemberg eine seit mehreren Jahren gelebte Praxis in rechtliche Form gebracht. Zweck der dialogischen Bürgerbeteiligung ist es Bedürfnisse zu erkunden, die innerhalb der Bevölkerung für ein konkretes Thema oder Vorhaben bestehen. Dies wird durch Dialoge der jeweiligen Behörde mit der Öffentlichkeit gewährleistet. Die Durchführung kann durch verschiedene Formate erfolgen. Insbesondere geeignet sind Diskussionsforen, runde Tische und Konferenzen. Der idealtypische Ablauf einer dialogischen Bürgerbeteiligung beginnt mit der Umfeldanalyse durch eine kleine Projektgruppe, in der Kontext und Fragestellungen des Verfahrens bestimmt werden. Anschließend werden sowohl das Beteiligungsformat als auch die jeweiligen Handlungsoptionen festgelegt sowie ein Zeitplan erarbeitet. Diese Erarbeitungen werden online zur Diskussion gestellt, um eine hohe Transparenz zu gewährleisten. Die konkrete Beteiligung geschieht dann idealtypisch durch Personen, die zufällig nach bestimmten Kriterien aus dem Melderegister ausgewählt werden („Zufallsbürger“). Diese werden zu den jeweiligen Handlungsoptionen befragt. Während des Prozesses ist eine laufende (Online-)Kommunikation, gegebenenfalls durch die Unterstützung eines Ombudsmannes, zu gewährleisten. Das Ergebnis der dialogischen Bürgerbeteiligung wird in einem Bericht festgehalten. Beispielsweise bietet das Beteiligungsportal Baden-Württemberg (2021) Interessierten die Möglichkeit, sich über Ansätze der dialogischen Bürgerbeteiligung sowie weiterer Formate zu informieren und einzubringen.

Bürgerräte

Eine ähnliche Form der gelebten Bürgerbeteiligung sind die sogenannten Bürgerräte. Nach der Festlegung eines übergreifenden Themas werden Menschen aus der Bevölkerung durch Losverfahren zufällig ausgewählt und zur Teilnahme am Bürgerrat eingeladen. Der geloste Bürgerrat wird über das anstehende Thema umfassend informiert und diskutiert in Kleingruppen darüber. Zum Abschluss werden gemeinsame Handlungsempfehlungen entwickelt und in einem Bürgergutachten zusammengefasst. Dies wird dem jeweiligen Gremium wie dem Gemeinderat oder dem Parlament übergeben, in dem über die Annahme, veränderte Übernahme oder Ablehnung der Vorschläge entschieden wird. Das Format der Bürgerräte wurde bereits auf Bundesebene zu den Themen „Demokratie“; „Deutschlands Rolle in der Welt“ und Maßnahmen im Bereich der Klimapolitik realisiert (Bürgerräte, 2019–2021).

E-Partizipation

In verschiedenen Bereichen findet eine zunehmende Etablierung von digitalen Angeboten im Alltag von Bürgern statt. Dies betrifft auch den Bereich der Bürgerbeteiligung. Werden Bürgerbeteiligungsformate digital unterstützt, wird von E-Partizipation gesprochen.

Definition: E-Partizipation

Elektronisch unterstützte Partizipation von einzelnen Bürgern oder Gruppen an (politischen) Willensbildungs- und Entscheidungsprozessen über das Internet und Social Media, die online stattfindet und für alle zugänglich ist (i. A. a. Große, 2018, S. 43).

E-Partizipation kann in unterschiedlichen Formaten durchgeführt werden. Beispiele dafür sind Online-Beteiligungsplattformen, Online-Wikis, kollaborative Textarbeit, digitale Quartiersnetzwerke oder Online-Mediation zur Lösung von Konfliktsituationen.

Die Einbeziehung von Bürgern über digitale Kanäle birgt große Chancen, aber auch Herausforderungen. Ein wesentliches Potenzial besteht darin, neue Zielgruppen zu erschließen und die Beteiligung am politischen Handeln insbesondere für jüngere Generationen nahbar zu machen, die digitale Medien selbstverständlich nutzen. Neue, digitale Kanäle ermöglichen aber auch neue Kommunikationswege. So können Politik und Verwaltung unkompliziert und umfangreich auf Bürger zugehen. Bürger können umgekehrt ihre Anregungen an den zuständigen Stellen einbringen. Auch die Absprache in der Zivilgesellschaft und die Mobilisierung für bestimmte Zwecke selbst lässt sich durch digitale Formate vereinfachen und so das bürgerliche Engagement stärken. Ein entscheidender Vorteil von digitalen Formaten im Gegensatz zu analoger Beteiligung besteht in der zeitunabhängigen Nutzung. Auf Bürgerbeteiligungsplattformen können Teilnehmende ihre Ideen rund um die Uhr einbringen. Es besteht weder Zeit- noch Gruppendruck. Dies kann die Qualität der Ergebnisse positiv beeinflussen. Digitale Formate können auch Beteiligungshürden abbauen. So spielen Status, Herkunft oder Geschlecht in (anonymen) Beteiligungsplattformen keine Rolle. Hemmungen sich einzubringen werden abgebaut. Bestehen die technischen Infrastrukturen, lassen sich digitale Bürgerbeteiligungsansätze schnell und unkompliziert aufsetzen und sind damit auch projektbezogen geeignet. Insgesamt können die Kosten oft geringer ausfallen, da größere Veranstaltungen mit hohen Organisations- und Personalaufwand entfallen.

Andererseits können E-Partizipationsformate der Manipulation und der Beeinflussung von außen ausgesetzt sein. Wer sich einbringt kann nur schwer kontrolliert werden. Daher muss auch IT-Sicherheit und ein ausreichender Datenschutz der Teilnehmenden an den Partizipationsverfahren gewährleistet werden, um beispielsweise ein Profiling zu verhindern. Voraussetzung für den Aufbau von E-Partizipationsformaten sind technische Lösungen, die gut durchdacht sind und langfristig eingesetzt werden können. Sie müssen zudem barrierefrei und nutzerfreundlich gestaltet sein. Eine weitere Herausforderung sind finanzielle, personelle und zeitliche Ressourcen, die zum Aufbau dieser Formate erforderlich sind. Ebenso ist zu berücksichtigen, dass bestimmte Gruppen, wie etwa ältere Menschen, die nicht mit digitalen Angeboten vertraut sind, von der Nutzung dieser Partizipationsformate faktisch ausgeschlossen werden. E-Partizipation kann daher immer nur eine Ergänzung zu analoger Beteiligung sein, diese jedoch nicht ersetzen (Waschler, 2021).

An dieser Stelle soll zur weiteren Vertiefung auf die Dissertation von Katharina Große „Benutzerzentrierte E-Partizipation“ verwiesen werden (Große, 2018). Ebenso eignet sich die Handreichung Referenzarchitektur für E-Partizipationssoftware vom IT-Planungsrat (2018) sowie das von Maria Leitner herausgegebene Werk „Digitale Bürgerbeteiligung“ (2018).

5.2.4 Ziele, Zweck und Effekte von Bürgerbeteiligung

Der Bürgerbeteiligung wird eine Reihe unterschiedlicher Ziele und Auswirkungen auf Staat und Gesellschaft zugewiesen. Ein Überblick wesentlicher Punkte findet sich in der Materialsammlung für die „Allianz Vielfältige Demokratie“, die von der Bertelsmann Stiftung zusammengestellt wurde (Paust, 2016). Durch die Stärkung demokratischer Kompetenzen der Bevölkerung, den Aufbau eines bürgerschaftlichen Engagements sowie die Einbeziehung von Bürgern in die Erbringung von Leistungen kann eine allgemeine Verbesserung der Demokratie erzielt werden. Der offene Dialog zwischen Politik, Verwaltung und Bürgerschaft trägt zu einer Kommunikations- und Verständnisverbesserung bei. Beteiligungsprozesse fördern den Wissensaustausch und die Kontaktbildung unter den beteiligten Akteuren sowie das Verständnis für unterschiedliche Standpunkte, Hintergründe und Zusammenhänge. Gleichzeitig werden durch Öffentlichkeitsbeteiligungen Werte, Präferenzen und Bedürfnisse der Beteiligten sichtbar. Unrealistische Erwartungshaltungen können abgebaut werden. Das Vertrauensverhältnis zwischen Politik, Verwaltung sowie Betroffenen und Beteiligten kann in Bürgerbeteiligungsverfahren gestärkt werden und zu einer größeren gegenseitigen Wertschätzung der erbrachten Leistungen führen. Bürgerbeteiligung hat zudem auch einen dynamischen Effekt auf Entwicklungsprozesse, wenn Bürger aktiv zur Bereicherung öffentlicher Debatten beitragen. Durch die Einbeziehung der Bevölkerung werden Planungs- und Entscheidungsprozesse transparent gemacht und legimitiert. Beteiligte können eine Qualitätssicherung im Prozess vornehmen und somit effektiv zur Verbesserung von Problemlösungen beitragen. Gleichzeitig gewährleistet eine frühzeitige Bürgerbeteiligung die Erkennung und den Abbau von Konfliktpotenzialen, was zur leichteren Umsetzung von Vorhaben führen kann. Hierdurch lassen sich Kosteneinsparungen erzielen (ebd.).

5.2.5 Partizipationspyramide und echte Bürgerbeteiligung

Eine gute theoretische Grundlage zur Einordnung von Bürgerbeteiligung bietet die Partizipationspyramide von Straßburger und Rieger (2014). Diese unterscheidet verschiedene Stufen der Partizipation. In der ersten Stufe geht es um Informationen über anstehende Entscheidungen, auf der zweiten Stufe können Menschen ihre Meinung zur Thematik äußern und auf der dritten Stufe werden sie zu einer Stellungnahme aufgefordert. Diese werden auch als Vorstufen von Partizipation bezeichnet, da auf keiner dieser drei Stufen sichergestellt ist, dass die Beteiligung Auswirkungen auf die zu treffende Entscheidung hat (Straßburger & Rieger, 2014, S. 230). Echte Beteiligung von Bürgern beginnt nach Straßburger und Rieger erst ab der vierten Stufe der Partizipationspyramide. Hier treffen Fachkräfte Entscheidungen nicht allein, sondern beziehen Bürger ein, um gemeinsam zu entscheiden. Auf der fünften Stufe werden einzelne Bereiche festgelegt, über die Bürger ohne Rücksprache mit den Fachkräften entscheiden können. Die sechste Stufe zeichnet sich dadurch aus, dass Bürger zentrale Entscheidungen eigenständig treffen und dabei von Fachkräften unterstützt und begleitet werden. Auf Stufe sieben findet Partizipation als zivilgesellschaftliche Eigenaktivität statt und liegt allein in bürgerschaftlicher Verantwortung (Straßburger & Rieger, 2014, S. 230 f.). Echte Bürgerbeteiligung muss daher immer ergebnissoffen sein und dient nicht dazu, bloße Akzeptanz für getroffene Entscheidungen herzustellen. Sie muss darüber hinaus immer an Einzelverfahren angepasst werden.

Partizipation bedeutet, an Entscheidungen mitzuwirken und damit Einfluss auf das Ergebnis nehmen zu können. Sie basiert auf klaren Vereinbarungen, die regeln, wie eine Entscheidung gefällt wird und wie weit das Recht auf Mitbestimmung reicht (Straßburger & Rieger, 2014, S. 230).

5.3 Bürgerbeteiligung im Politikzyklus

In den vorangegangenen Kapiteln wurde bereits der sechsstufige Politikzyklus vorgestellt Abschn. 1.4.1. Dabei wurde deutlich, dass Open-Government-Trends große Auswirkungen auf die einzelnen Schritte des Politikzyklus haben können. Auch Bürgerbeteiligung verändert das Handeln von Politik und Verwaltung. Auf die Besonderheiten von Bürgerbeteiligung mit digitalen Ansätzen wird im Folgenden eingegangen Abb. 5.1. Zunächst ist dabei zu beachten, dass Bürgerbeteiligung all jene Schritte des Politikzyklus umfasst, die vor der politischen Entscheidung stattfinden. Zivilgesellschaftliche Akteure können bis zu diesem Punkt Einfluss auf Entscheidungsprozesse der Politik und das Ergebnis nehmen. Ist eine Entscheidung aber getroffen, liegt die Umsetzung in den Händen der öffentlichen Verwaltung Abschn. 6.1.

Abb. 5.1
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Bürgerbeteiligung im sechsstufigen Politikzyklus. (Quelle: Eigene Darstellung)

Bildung von Gemeinschaften um akute Probleme

Zu Beginn des Politikzyklus steht die Definition eines konkreten Problems. Dies kann durch politische Akteure erfolgen. Genauso können Bürger Anliegen definieren und sie in den politischen Meinungs- und Entscheidungsbildungsprozess einbringen. Moderne Informations- und Kommunikationstechnologien ermöglichen es in digitalen Gemeinschaften und sozialen Netzwerken akute Probleme aufzuzeigen, auf die Agenda zu setzen und offen zu diskutieren.

Gemeinsames Editieren und Gestalten

Ebenso ist es möglich durch digitale Vernetzung Texte gemeinschaftlich zu editieren und zusammenzustellen. Bürger haben so die Möglichkeit Lösungen für aktuelle Probleme in Politik und Verwaltung zu entwickeln oder Artefakte gemeinsam zu gestalten. Weitere Beispiele finden sich auch im Bereich der Stadtplanung. Durch die transparente Einbeziehung von Bürgern kann die Stadtentwicklung sozial nachhaltig angegangen werden und Ideen von Bürgern zu Gestaltungsmaßnahmen aufgegriffen werden. Zukünftig werden Bauämter auch in der Lage sein, bei Bauvorhaben Einwohner durch virtuelle oder erweiterte Realität bereits in frühen Planungsphasen besser mit einzubeziehen. Durch 2D- oder 3D-Formate werden die visuellen Dimensionen und Auswirkungen baulicher Vorhaben nachvollziehbarer. Betroffene Bürger werden dadurch befähigt, sich konstruktiv mit möglichen Änderungsvorschlägen einzubringen.

Gemeinsames Beraten und Diskutieren

Mittlerweile haben sich deutschlandweit zahlreiche Online-Beteiligungsformate etabliert, die es zivilgesellschaftlichen Akteuren ermöglichen sich zu Vorhaben auf der jeweiligen politischen Agenda zu informieren und darüber in großen Gruppen zu diskutieren und zu beraten. Eine Online-Plattform, die diesen Ansatz verfolgt, ist beispielsweise die Internetpräsenz der Öffentlichkeitsbeteiligung der Stadt Detmold (2021). Bürger sind dadurch in der Lage, ein umfangreicheres Meinungsbild zu den jeweiligen Themen zu bekommen.

Gemeinsames Entscheiden und Beauftragen

Diese Ansätze müssen jedoch nicht nur von Kommunen übernommen werden. Auch Einrichtungen der Zivilgesellschaft können für bestimmte Themen die Koordinationsaufgabe übernehmen und Ideen für eine Kommune sammeln. Idealtypisch geschieht dies in der Zusammenarbeit mit weiteren Partnern sowie der jeweiligen Kommune. All dies lässt sich über Social-Media-Kanäle verknüpfen, um die Reichweite zu erhöhen. Mittlerweile ist es sogar möglich, in großen Gruppen über Plattformen gemeinsam zu Entscheidungen zu kommen und darauf aufsetzend Akteure mit weiteren Aktivitäten zu beauftragen.

5.4 Bürgerbeteiligung 1.0–5.0

Sobald über „Bürgerbeteiligung 2.0“ gesprochen wird, stellt sich aus technischer Sicht die Frage nach einer Abgrenzung zur analogen Bürgerbeteiligung ohne Computer und Internet. In Anlehnung an das Häfler Stufenmodell zur Entwicklung des Internets Abschn. 1.2 müssen aber auch Unterschiede zur einfachen digitalen Bürgerbeteiligung mit E-Partizipation thematisiert werden. Darüber hinaus ist von Interesse, welche weiteren Optionen sich künftig aus dem Internet der Daten, dem Internet der Dinge und dem taktilen Internet für Bürgerbeteiligung noch ergeben.

5.4.1 Bürgerbeteiligung 1.0 mit E-Partizipation

Der frühe Einstieg in Bürgerbeteiligung über das Internet war vor allem durch Webauftritte der Bürgermeister geprägt, in denen diese die Bürger auch im Internet begrüßten und sich besonders freuten, ihre Bürger künftig per Homepage über aktuelle Entwicklungen zu informieren und mit ihnen per Telefon und E-Mail zu kommunizieren. Dazu wurden oft die Telefonnummern und E-Mail-Adressen der für Bürgerbeteiligung verantwortlichen Akteure hinterlegt.

Der Einsatz von ersten elektronischen Partizipationsverfahren (E-Partizipation) sorgte für eine Professionalisierung. Diese Angebote mit ihrer systematischen Nutzerführung erlauben eine gezielte Bündelung der Beteiligungsmöglichkeiten nach Fragen, Themen und Ortsteilen/Regionen. Alle elektronisch eingebrachten Impulse der Bürger lassen sich so digital sammeln, vorsortieren und in den laufenden Beteiligungsprozess integrieren. Idealtypisch läuft ein solcher Beteiligungsprozess über eine elektronische Plattform. Dadurch sind die Koordinatoren in der Lage auch per E-Mail eingetroffene, telefonisch eingehende, im persönlichen Gespräch geäußerte und per Post eingebrachte Vorschläge in den Prozess zu integrieren. E-Partizipationsplattform vereinfachen vor allem den Verantwortlichen im Hintergrund ihre Arbeit.

5.4.2 Bürgerbeteiligung 2.0 mit Web 2.0

Web 2.0-Technologien und gesellschaftliche Medien (Social Media) haben dieser Entwicklung einen weiteren Schub gegeben. Sie vervielfachen die Möglichkeiten für Plattformen und vereinfachen die Nutzerführung derart, dass Bürger auch ohne große Vorbereitung oder Schulung ihre Punkte, Bilder, Kommentare und Filme in Plattformen hinterlegen können. Zudem erlauben sie unkonventionelle Herangehensweisen und bieten hohe Transparenz.

Die Vielfalt der Plattformen wie Facebook, Telegram, TikTok, Twitter, YouTube und Co sowie deren rechtliche Einbettung haben sich dabei allerdings für Staat und Verwaltung zu echten Stoppern entwickelt. Viele Social Media Anbieter sammeln zahlreiche Nutzer- und Nutzungsdaten im Rahmen ihrer Angebote. Auf diese Daten können nicht nur die Anbieter selbst, sondern auch deren Werbeträger sowie interessierte staatliche Stellen im Herkunftsland der Dienstanbieter zugreifen, soweit dies dort rechtlich geregelt ist (wie etwa in den USA, Russland und der VR China). Die in Deutschland für den öffentlichen Sektor geltenden Datenschutzregelungen im Umgang mit personenbezogenen Daten der Bürger lassen sich so nicht erfüllen. Deswegen müssen Behörden in Deutschland auf die Verwendung vieler Social Media verzichten und andere Wege gehen.

Zunehmend wird dabei auf eigenständige Partizipationsplattformen gesetzt, die über Web 2.0-Funktionalitäten verfügen und sehr einfach in der Benutzung sind. So hat das Land Sachsen mit Unterstützung des IT-Planungsrat ein Bürgerbeteiligungsportal (2021) entwickelt, in das verschiedene Beteiligungsansätze (Dialoge, Stellungnahmen, Umfragen, Bauleitplanung, Meldeverfahren) integriert sind. Es steht allen Landesbehörden und allen Kommunen des Landes zur Mitnutzung bereit. Bürger sehen ebenso kartenbasiert, wo sie sich aktuell einbringen können. Allen anderen Bundesländern wird diese Plattform zur Weiternutzung angeboten. Nordrhein-Westfalen hat als erstes weiteres Bundesland davon Gebrauch gemacht.

5.4.3 Bürgerbeteiligung 3.0 mit Linked Open Data

Beteiligungsplattformen werden durch Offenheit und eine Vernetzung mit vorhandenen digitalen Datenbeständen weiter an Mehrwert gewinnen. So nimmt die Qualität einer Beteiligungsplattform zu, wenn geobasierte Unterlagen nicht nur in Form von einfachen Fotografien und 2D-Plänen als PDFs abrufbar sind, sondern direkt auf digitale, kartenbasierte 2D- und 3D-GIS-Systeme oder BIM-Modelle zugegriffen werden kann. Nicht E-Mail- und PDF-basierte Baubeteiligungsverfahren, sondern erst BIM-basierte Baubeteiligungsverfahren mit Kommentarmöglichkeiten und Optimierungen direkt am digitalen Baumodell werden die lang geforderten substanziellen Verbesserungen bringen und das Prozessmanagement grundlegend verbessern.

Die dauerhafte Öffnung des kommunalen Steuerungs- und Informationssystems einer Stadt trägt zudem dazu bei, die Bürger und die Verwaltungsmitarbeiter über die Vielfalt an Projekten, Themen, Beteiligungsverfahren und Beteiligten auf dem laufenden Stand zu halten. Diese Transparenz vereinfacht die interne Steuerung und trägt zur Vernetzung im kommunalen Raum bei.

5.4.4 Bürgerbeteiligung 4.0 mit dem Internet der Dinge und Dienste

Die Freie und Hansestadt Hamburg zeigt mit dem digitalen Partizipationssystem DIPAS (2021), dass Bürgerbeteiligung im Zeitalter des Internets der Dinge und Dienste noch weiterentwickelt werden muss. Bürger sollten auch in die Lage versetzt werden, sich mit Hilfe smarter Objekte in Beteiligungsprojekte einbringen zu können. Eine digitale Beteiligung vor Ort im öffentlichen Raum, unterstützt durch ein Modell mit den realen Geokoordinaten, verbessert die Abläufe und die Mitwirkungsmöglichkeiten der Bürger substanziell. Dies sollte auch positive Auswirkungen auf die Qualität der Beiträge haben. Alle Anregungen können gleich auch im cyberphysischen System im Hintergrund gespeichert und verarbeitet werden.

5.4.5 Bürgerbeteiligung 5.0 in Echtzeit

Leistungsfähige Rechner und Netzwerke der fünften Generation ermöglichen es, sich Planungsmodelle mit smarten Helmen im virtuellen Raum oder mit smarten Brillen im erweiterten städtischen Raum nahezu in Echtzeit anzusehen und sie mit der Realität zu vergleichen. Veränderungen lassen sich dreidimensional und vor den Augen aller Zuschauer durchspielen, prüfen und akzeptieren, anpassen oder verwerfen. Hier eröffnen sich in den kommenden Jahren neuartige Diskursräume für Beteiligung und Gestaltung. Obwohl die Vision eines Holodecks für den Bauausschuss des Gemeinderats im Jahr 2022 noch nach Science-Fiction klingt, lassen sich in Laboren entsprechende Beteiligungsszenarien auch mit Bürgereinbindung bereits testen und weiterentwickeln. Die parallel zunehmende Verfügbarkeit von Echtzeitdaten in Verbindung mit virtuellen Welten wird der Politik ganz neue Arbeits- und Entscheidungsmöglichkeiten eröffnen.

Eine Beteiligung mit digitaler Unterstützung funktioniert, wenn in den relevanten Organen und Institutionen bereits diese neue Beteiligungskultur gelebt wird. Dies kann nach Waschler (2021, S. 30) insofern erfolgreich gelingen, wenn das Wissen und das Verständnis zu Bürgerbeteiligung in der Verwaltung vorhanden, Online- mit Offline-Formaten kombiniert werden, ausreichend personelle und finanzielle Ressourcen zur Verfügung stehen, Zuständigkeiten und Umsetzungen abgestimmt werden sowie dazu eine Koordination erfolgt.

5.5 Bürgerbeteiligung und künstliche Intelligenz

Der Einsatz von Werkzeugen und Methoden der „künstlichen Intelligenz“ (KI) wird weitere Veränderungen für gelebte Bürgerbeteiligung bringen. Unter diesem Begriff werden ganz unterschiedliche Technologien und Ansätze in verschiedenen Reifegraden mit unterschiedlichen Sicherheits- und Vertrauensniveaus gesammelt, die menschliche Intelligenz in irgendeiner Form nachbilden sollen. Mainzer umschrieb künstliche Intelligenz 2016 daher als Systeme, die „selbstständig effizient Probleme lösen können“.

5.5.1 Einsatzfelder für künstliche Intelligenz im Staat

Ohne an dieser Stelle mit dem ÖFIT Trendsonar (2018) in technische Details einzusteigen, die zu unterschiedlichen Systemen und Architekturen, Lernmethoden, Technologien und Algorithmen führen, müssen Einsatzfelder im Staat und die damit verbundenen Risiken besonders reflektiert werden. Einerseits gibt es Einsatzbereiche, in denen autonome Entscheidungen von KI-Systemen weder Personen gefährden noch bei Fehlurteilen Schäden entstehen. Andererseits gibt es Einsatzfelder, in den autonome Entscheidungen von KI-Systemen eine Gefahr für Leib und Leben bedeuten und bei Fehlurteilen mit unvertretbaren Gesamtschäden zu rechnen ist. Dazwischen liegen allerlei Zwischenstufen, die mit zunehmender Gefahr eine strengere staatliche Regulierung von künstlicher Intelligenz nahelegen.

In einer Studie zu künstlicher Intelligenz in der öffentlichen Verwaltung sehen die Autoren fünf zentrale Anwendungsfelder im öffentlichen Sektor (Etscheid et al., 2020). Dazu zählen vor allem die Unterstützung der Verwaltungsmitarbeiter bei ihren Tätigkeiten sowohl im Austausch mit den Bürgern im Front Office als auch bei allen weiteren Tätigkeiten im Back Office. Künstliche Intelligenz kann drittens bei entscheidungsunterstützenden Vorgängen eine wertvolle Unterstützung bieten, ohne dass Menschen aus der Verantwortung genommen werden. Viertens kann eine KI durchaus selbstständig eigene Entscheidungen selbst treffen. Sicherlich wäre dies fünftens auch nahezu in Echtzeit möglich, wenn entsprechende Kapazitäten vorhanden sind.

Für die konkrete Anwendung ist die zugrunde liegende Technologie oft zweitrangig. Vielmehr stellen sich Fragen, zu welchem Zweck KI-Basistechnologien eingesetzt werden können und was sie zu leisten im Stande sind. Die wichtigsten KI-Basistechnologien werden im Folgenden kurz vorgestellt: Die KI-basierte Mustererkennung analysiert Daten, um darin Regelmäßigkeiten, Wiederholungen, Ähnlichkeiten oder Gesetzmäßigkeiten zu erkennen. IT-Systeme sind vielfach besser in der Lage, wesentlich größere Datenmengen in kürzerer Zeit zu analysieren, als es einem Menschen jemals möglich wäre. KI-basierte Texterkennung nutzt Algorithmen, um Informationen aus unstrukturierten Daten sowie Inhalte aus natürlicher Sprache in maschinenlesbare und damit weiterzuverarbeitende Form zu transformieren. KI-basierte Algorithmen sind dabei nicht nur in der Lage, Wörtern eine Bedeutung zuzuordnen, sondern diese auch im Zusammenhang mit anderen Worten zu bewerten. KI-basierte Systeme können auch in die Lage versetzt werden, akustische Signale und Tonfolgen zu erkennen und diesen bestimmten Ereignissen oder Verursachern zuzuordnen. Darauf aufbauend kombiniert die KI-basierte Spracherkennung die Fähigkeiten aus Texterkennung und akustischer Erkennung. Algorithmen ermöglichen es, gesprochene Sprache zu verschriftlichen und in maschinenlesbare Form zu übersetzen. KI-basierte Übersetzungsdienste ermöglichen die Übersetzung von in natürlicher Sprache vorliegender Texte in andere Sprachen. KI-basierte Bilderkennung ist in der Lage, Objekte in Bildern zu identifizieren und diese Kategorien zuzuordnen. Eine KI-basierte 3D-Raumerkennung auf Basis mit mindestens zwei Bildern schafft diese Analyse im dreidimensionalen Raum. Die Gesichts- und Gestenerkennung als Sonderfall der Bilderkennung erkennt menschliche Gesichter und Gesten auf Basis eindeutiger biometrischer Merkmale. Damit können Personen anhand ihres Gesichts identifiziert oder Emotionen analysiert werden (vgl. Etscheid et al., 2020, S. 9–11).

Aufbauend auf diesen Basistechnologien kann KI zur Simulation unterschiedlicher menschlicher Fähigkeiten genutzt werden. Die KI-basierte Wahrnehmung bezeichnet die Analyse von Daten zur Erkennung von Umweltveränderungen, Einstellungen und Emotionen. Hierzu verarbeitet das System generierte (Sensor-) Daten und ordnet diese Kategorien zu, sodass einzelne Daten zu Ereignissen oder emotionalen Einstellungen aggregiert und dadurch wahrgenommen werden können. Bei KI-basierten Benachrichtigungen geht es um die Reaktion auf erkannte Muster, Ereignisse oder Emotionen, so dass Anwender gezielt benachrichtigt werden können. KI-basierte Empfehlungen erweitern die Datenauswertung dahingehend, dass Handlungsempfehlungen gegeben werden. KI kann auch zur Erstellung von Vorhersagen und Prognosen eingesetzt werden. Ausgehend von den in den Daten erkannten Mustern werden Vorhersagen zur weiteren Entwicklung abgeleitet. Die KI-basierte Vorsorge verknüpft die Prognose mit dem Abgleich von Soll-/Ist-Zustand, sodass prognostizierte Abweichungen erkannt und frühzeitig Empfehlungen oder Warnhinweise mit der Bitte um Behebung gegeben werden können. Neben den bisherigen entscheidungsunterstützenden Fähigkeiten kann KI auch zum Treffen selbstständiger Entscheidungen eingesetzt werden. Hierbei reagiert das System auf die Daten mit eigenständig getroffenen bindenden Entscheidungen, sodass der Anwender (und damit der Mensch) völlig aus dem Vorgang herausgenommen wird. Dabei kann die Datenauswertung im Rahmen von KI-basierter Situationswahrnehmung auch im Millisekundenbereich erfolgen. Ein solches System kann dann nahezu in Echtzeit eine Situation bewerten und mit Hinweisen, Alarmen, Prognosen oder Entscheidungen sofort reagieren (vgl. Etscheid et al., 2020, S. 11–12).

Leistungsfähige Hardware, ausreichend große Datenmengen und entsprechende KI-Algorithmen erweisen sich zunehmend als beschleunigende Katalysatoren dieser Entwicklung (BSP, 2021, S. 13). Der deutsche Gesetzgeber hat 2017 darauf mit § 35a des Verwaltungsverfahrensgesetzes reagiert: Ein Verwaltungsakt kann vollständig durch automatische Einrichtungen erlassen werden, sofern dies durch Rechtsvorschrift zugelassen ist und weder ein Ermessen noch ein Beurteilungsspielraum besteht.

5.5.2 Bürgerbeteiligung und künstliche Intelligenz

Prinzipiell bestehen viele Einsatzmöglichkeiten für künstliche Intelligenz im Rahmen von Bürgerbeteiligung. Konkret empfehlen sie sich derzeit zur Unterstützung im Front Office und in der Aufbereitung der eingegangenen Vorschläge. KI spielt ihre Stärken aus, wenn sie Metadaten zu Einträgen automatisch generiert und diese dann filtert, wenn sie Ideen und Argumente auswertet und sortiert, wenn sie Reaktionen auf Vorschläge (Likes und Dislikes) analysiert, Kennzahlen (Scores) erstellt und wenn sie Argumente zusammenfasst. So haben die Universität Hamburg, das Forschungsinstitut fortiss in München und der Landesbetrieb Geoinformation und Vermessung (LGV) zusammen einen Chatbot für ein Beteiligungsverfahren entwickelt, der über einen strukturierten Prozess Beitragstexte entgegennimmt, diese kategorisiert und räumlich verortet sowie weitere Impulse zur Ideenanreicherung setzt. Auch das belgische Citizenlab setzt im Nachgang von Beteiligungsverfahren auf eine KI-basierte Filterung, Auswertung und Sortierung der eingegangenen Ideen und Argumente.

Jede mehrkanalfähige Entgegennahme von Beiträgen durch eine KI wirkt niedrigschwellig, schnell, asynchron, hybrid und digital. Durch Muster- und Strukturerkennung kann eine KI die Sammlung und Aufbereitung von Argumenten erheblich verbessern. Eine KI-basierte Fehlererkennung eröffnet zahlreiche Korrektur- und Verbesserungsmöglichkeiten. Jede automatisierte Vorbewertung von Vorschlägen und Argumenten sorgt zudem für ein effizienteres Verfahren und geringeren personellen Aufwand.

Allerdings müssen auch mögliche Risiken einer Verwendung von KI in Beteiligungsverfahren erkannt und durch geeignete Maßnahmen minimiert werden. Sorge bereiten jegliche Intransparenz über die verwendeten KI-basierten Algorithmen und deren Einsatz im Beteiligungsprozess, jede fehlende Nachvollziehbarkeit zum Beitragenden sowie jede Unsauberkeit und Verzerrung in den Datengrundlagen. Jeder Fehler im Algorithmus, jede Diskriminierung durch diesen Algorithmus sowie jede Manipulation von Meinungsbildung und Abstimmungen wären inakzeptabel. Auch jedes Profiling der Teilnehmer gilt es in demokratischen Prozessen zu verhindern, denn dies würde zu einer Überwachung der Bevölkerung führen.

5.5.3 Ethische Grundsätze

Insofern bedarf es breit akzeptierter ethischer Grundsätze für den Einsatz von künstlicher Intelligenz in Staat und Verwaltung, die auch alle Formen von Bürgerbeteiligung umschließen. Loi/Spielkamp/Metzner haben im Auftrag der Staatskanzlei des Kantons Zürich 2021 dazu eine wertvolle Grundlage vorgelegt, die es in den kommenden Jahren umzusetzen gilt. Beim Einsatz von KI im öffentlichen Sektor muss von Anfang an Wert auf eine Schadensvermeidung gelegt werden. Gerechtigkeit und Fairness sind wesentliche Faktoren bei allen entscheidungsunterschützenden Maßnahmen. Die menschliche Autonomie darf durch eine KI nicht infrage gestellt werden. Zusätzlich wird gefordert, dass KI-basierte Lösungen eine substanzielle Verbesserung (Benefizienz) zur Folge haben, jederzeit eine Kontrolle möglich sein muss, Transparenz über das gesamte Einsatzfeld besteht und der Rechenschaftspflicht genüge getan wird (Loi et al., 2021).