In diesem Kapitel werden zentrale empirische Ergebnisse dieser Untersuchung professionstheoretisch diskutiert und Impulse für die weitere Theoriebildung gegeben. Einleitend wird zunächst der Argumentationsgang vorgestellt.

In dem vorangegangenen Kapitel wurden die Ergebnisse der mit der Dokumentarischen Methode ausgewerteten Gruppendiskussionen von Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten zur Präventionsarbeit mit Kindern und Jugendlichen beschrieben. Nunmehr werden diese empirischen Befunde in den Kontext der erkenntnisleitenden Forschungsfragen gestellt (Abschnitt 6.1). Diese Ergebnisverdichtung bildet den Ausgangspunkt für die Diskussion polizeilicher Professionalität in der Präventionsarbeit.

Die Präventionsarbeit und damit auch die Aktivitäten der Polizei (vgl. Abschnitte 2.3 und 3.2) in diesem Handlungsfeld sind auf wissenschaftlicher Ebene traditionell in der Kriminologie verortet, die jedoch darüber hinaus „erheblich über verschiedene wissenschaftliche Disziplinen“ (Steffen 2014, S. 70) streut.Footnote 1 Für die Verkehrsunfallprävention ist die Verkehrssicherheitsforschung von Bedeutung (vgl. Abschnitte 2.3.1 und 3.2). Mit der Beschreibung und der Einordnung des polizeilichen und pädagogischen Handelns von Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten (Abschnitt 6.2) auf der Basis der qualitativen empirischen Erkenntnisse dieser Untersuchung wird eine erziehungswissenschaftliche Fundierung der Praxis der polizeilichen Präventionsarbeit möglich.

Wie in vielen professionellen Arrangements (vgl. Abschnitte 3.3 und 3.4) sind die Handlungsanforderungen in der Präventionsarbeit der Polizei von Spannungsfeldern, Paradoxien und Antinomien beeinflusst (vgl. Abschnitt 5.4 ). In der Erziehungswissenschaft wird hierzu ein intensiver professionalitätstheoretischerFootnote 2 Diskurs geführt. Aporien sind auch dem genuin polizeilichen Handeln immanent. Indem die Polizei mit ihrer Präventionsarbeit Verhalten beeinflussen will, Lerngelegenheiten schafft und bei Bildungsträgern aktiv wird, setzt sie sich nicht nur den professionsfremden, typisch pädagogischen Antinomien aus, sondern bleibt auch gleichzeitig in widerstreitende polizeiliche Handlungsanforderungen eingebunden (Abschnitt 6.3).

Mit einer theoretischen Kontextualisierung der Orientierungen von Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten in der Präventionsarbeit mit Kindern und Jugendlichen werden in diesem Kapitel die Ergebnisse im Lichte relevanter Theorien diskutiert und Konturen einer Professionalitätstheorie polizeilicher Präventionsarbeit beschrieben (Abschnitte 6.3. und 6.4).

6.1 Zentrale Erkenntnisse der Untersuchung

In dieser Untersuchung wurden Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte beforscht, die hauptamtlich mit Kindern und Jugendlichen arbeiten. Ihr präventionsbezogenes Handeln wurde in den Blick genommen, da zu dieser Praxis nur sehr begrenzte empirische Erkenntnisse vorliegen (vgl. Abschnitt 3.5). Es mangelt insgesamt an grundlegenden Theorien. So hat die Polizeiforschung (vgl. Abschnitt 3.1) bisher noch keine polizeiliche Handlungstheorie hervorgebracht, auf die sich die Präventionspraxis gründen ließe. Die Präventionsforschung (vgl. Abschnitt 3.2) hingegen ist auf die Wirksamkeit von Präventionsaktivitäten ausgerichtet, in der die Perspektive der Praktikerinnen und Praktiker bisher kein deutlich wahrnehmbares spezifisches Forschungsinteresse hervorruft. Der für diese Arbeit relevante Forschungsstand (vgl. Kapitel 3) lässt ein bedeutsames Forschungsdesiderat erkennen. So stellt sich die grundlegende Frage nach Orientierungen, die das Handeln von Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten in der Präventionsarbeit leiten. Zur Verkleinerung dieser Erkenntnislücke wurde ein hypothesengenerierendes Untersuchungsdesign gewählt und handlungsleitende Orientierungen, insbesondere die pädagogischen Orientierungen, der polizeilichen Akteurinnen und Akteure rekonstruiert. Zur Datenerhebung wurden Gruppendiskussionen mit Polizistinnen und Polizisten geführt (vgl. Abschnitt 4.2.). Die so gewonnenen Daten wurden mit der Dokumentarischen Methode ausgewertet (vgl. Abschnitt 4.3). Auf diese Weise ließen sich Wissensbestände emergieren, die das Handeln der Beamtinnen und Beamten in der Präventionspraxis anleiten und unmittelbar im täglichen Handeln wirksam sind.

Im Kern handelt es sich bei den beforschten Personen um Präventionsbeamtinnen und Präventionsbeamte, einschließlich Personen aus der Verkehrssicherheitsarbeit sowie Jugendsachbearbeiterinnen und Jugendsachbearbeiter. Beamtinnen und Beamte, die Planungs-, Leitungs- und Koordinationsaufgaben ausüben, sind ebenfalls im Sample vertreten (vgl. Abschnitt 4.4 und 5.1).

Bedeutsam für die gesamte empirische Analyse ist, dass sich handlungsleitende Orientierungen in der Präventionsarbeit nicht entlang spezifischer polizeilicher Aufgabenstellungen oder Organisationsstrukturen entwickeln, sondern vielmehr quer zu präventiven Handlungsschemata liegen (vgl. Abschnitt 5.3). Für die Handlungsorientierung der Beamtinnen und Beamten ist es nicht relevant, ob sie in der primären kriminalpräventiven Arbeit, der Verkehrssicherheitsarbeit oder der Jugendsachbearbeitung tätig sind, vielmehr sind von spezifisch präventiven Aufgabenzuweisungen unabhängige Rollenkonstruktionen und Erwartungen an Wirksamkeit für die Orientierungen des eigenen Handelns von Bedeutung. Aus diesem Grund sei noch einmal an die polizeilichen Präventionsfelder erinnert, die mit dieser Arbeit in den Blick genommen werden (vgl. Abschnitt 2.3).

Die Präventionsbeamtinnen und Präventionsbeamten wirken ohne Anwendung genuin polizeilicher Befugnisse an der Verkehrserziehung und der Verhütung von Straftaten mit, d. h. sie greifen grundsätzlich nicht unter Anwendung von Zwangsmitteln reaktiv in soziale Konflikte ein. Vielmehr soll durch ihre Aufklärungsarbeit erreicht werden, dass junge Menschen weniger Straftaten begehen und auch nicht Opfer krimineller Handlungen werden (primäre Prävention, vgl. Abschnitt 2.3.2). Die Verkehrsunfallprävention will dazu beizutragen, dass sich Kinder und Jugendliche sicher im Straßenverkehr bewegen und Unfallrisiken gesenkt werden (vgl. Bundesministerium des Innern 2012, Ziff. 2.1.3.1). Bedeutsame Handlungsorte für diese präventiven Aktivitäten sind Schulen.

Jugendsachbearbeiterinnen und „Jugendsachbearbeiter sind dagegen diejenigen Mitarbeiter in der Polizei, die auf der Ebene der Sachbearbeitung Vorgänge, an denen Kinder, Jugendliche und Heranwachsende beteiligt sind, abschließend und eigenverantwortlich bearbeiten“ (Bundesministerium des Innern 1996, S. 31). Neben kriminalistischer Ermittlungsarbeit umfasst ihre Tätigkeit auch Aspekte der Prävention. Ziel staatlicher Intervention ist es, eine wiederholte Delinquenz zu verhindern, das trifft in besonderem Maße auf Kinder und Jugendliche zu. Die hauptamtliche polizeiliche Arbeit mit jungen Menschen strukturiert sich in zwei große Bereiche, die der primären Prävention und die der Jugendsachbearbeitung, wobei die Präventionsarbeit eine Schnittmenge beider Handlungsfelder darstellt, deren Gemeinsamkeit in der Handlungspraxis von untergeordneter Bedeutung zu sein scheint.Footnote 3

Charakteristik der Typologie

Die Verdichtung des empirischen Befundes fokussiert auf die Forschungsfrage und folgt der Struktur der Typologie (vgl. Abschnitt 5.4). Ausgehend von der Basistypik werden die Orientierungstypen kurz charakterisiert. Zentrale Ergebnisse der Datenauswertung werden anschließend für die Strukturierung der empirischen Antworten auf die Forschungsfrage genutzt.

Als Basis der Typologie konnten Spannungsfelder emergiert werden, die sich zwischen der Gewährleistung der staatlichen Ordnung einerseits und der Befähigung zur gesellschaftlichen Teilhabe andererseits aufspannen (Abschnitt 5.2). Darauf aufbauend ließen sich drei Idealtypen konstruieren.

Der Typus obrigkeitsstaatliche Präventionsarbeit steht für ein defizitorientiertes Bild von Kindheit und Jugend und ein Handeln, das sich an dichotomen Wertvorstellungen sowie an einem Über-/Unterordnungsverhältnis zwischen Polizei und Bürgern orientiert. Aus der Repräsentanz gesetzlicher Normen wird ein Wahrheits- und Glaubwürdigkeitsanspruch abgeleitet, der dazu berechtigt in einem belehrenden, instruierenden Modus die Normkonformität bereits angepasster junger Menschen zu fördern. Weitere legitimatorische Grundlage für die polizeiliche Präventionspraxis sind exklusive polizeiliche Wissensbestände zu Kinder- und Jugenddelinquenz.

Unter der Bezeichnung pädagogisierte Präventionsarbeit versammeln sich positive Bilder von Kindheit und Jugend sowie das Streben nach Arbeitsbeziehungen zu jungen Menschen, die auf gegenseitige Anerkennung beruhen. Die Modi der angestrebten Normübernahme schwanken zwischen Normverdeutlichung und Normvermittlung, mit der die gesellschaftliche Integration der nachwachsenden Generation gefördert werden soll. Die Handlungsmuster dieses Typus changieren zwischen genuin polizeilichen und pädagogischen Handlungsmustern. Die Ambivalenz von Orientierungen ist charakteristisch für diesen Typus und führt letztlich zu einer Rollendiffusion.

Charakteristisch für den Typus subjektorientierte Präventionsarbeit ist die Orientierung an der Entwicklungsfähigkeit junger Menschen. Normkonformität soll durch die Vermittlung von Normsinn erreicht werden. Genuin polizeiliche Expertise wird für pädagogische Arbeit genutzt. Potenzielle Spannungsfelder, die sich zwischen genuin polizeilichen und pädagogischen Anforderungen ergeben, werden tendenziell durch Kooperationen mit anderen professionellen Akteurinnen und Akteuren aufgelöst.

Die empirischen Ergebnisse dieser Untersuchung zeigen (vgl. Kapitel 5, zusammenfassend Abschnitt 5.4), wie in der vorangegangenen Charakteristik der Typologie angedeutet, dass die Präventionspraxis von Polizistinnen und Polizisten durch polizeiliche und pädagogische Orientierungen geprägt ist. Ursächlich für die Wirkmächtigkeit dieser Orientierungen ist das Handeln in unterschiedlichen Systemen – genuin polizeiliches Aktionsfeld und Räume pädagogischen Handelns – mit divergierenden Eigenlogiken.Footnote 4

Die sich aus diesem Handlungsrahmen ergebenden kontrastiven Orientierungsmuster konnten mit Hilfe der Vergleichsdimensionen Konstruktion der eigenen Rolle und Modi der angestrebten Normübernahme systematisiert werden. Anhand dieser Vergleichsdimensionen konnten vier besonders charakteristische und maximal kontrastive Orientierungsmuster der polizeilichen Akteurinnen und Akteure herausgearbeitet werden. Mit der Beschreibung von Rollenkonstruktionen, normativen Dispositionen, Selbstlegitimationen und Wirkungserwartungen lässt sich verdichtet aber gleichzeitig differenzierend darstellen, welche Orientierungen das Handeln in der Präventionspraxis anleiten und damit für die Theorieanreicherung von besonderer Bedeutung sind. Hier zunächst der Überblick:

  • Rollenkonstruktion: Rolle zwischen genuin polizeilicher und pädagogischer Praxis.

  • Normative Disposition: Handlungsleitend sind positive oder negative Menschenbilder.

  • Selbstlegitimation: Spezifische Expertise

  • Erwartungen an Wirksamkeit: Hohe Selbstwirksamkeit in der Normverdeutlichung oder Normvermittlung

Die folgende Darstellung dieser Orientierungsmuster liefert die Grundlagen und den Ausgangspunkt für die anschließende Diskussion polizeilicher Professionalität in der PräventionsarbeitFootnote 5 (siehe Abschnitte 6.2 und 6.3).

Rollenkonstruktion

Mit Blick auf das Erkenntnisinteresse dieser Arbeit kann als erste grundlegend relevante empirische Erkenntnis festgehalten werden, dass die Beamtinnen und Beamten ihre Rolle spezifisch konstruieren, indem sie sich sowohl von pädagogischen als auch anderen polizeilichen Akteurinnen und Akteuren abgrenzen. Gleichzeitig beinhalten die unterschiedlichen Rollenbilder jeweils polizeiliche und pädagogische Handlungsmuster.

Im gesamten empirischen Material dieser Untersuchung dokumentieren sich in unterschiedlicher Deutlichkeit spezifische Rollenbilder innerhalb der Polizei, die die Akteurinnen und Akteure aufgrund ihrer Präventionsaufgaben konstruieren. Für die Präventionsarbeit ist charakteristisch, dass sie ohne den Zugriff auf genuin polizeiliche Handlungsschemata auskommen muss, so bleibt z. B. der Weg in die Zwangsanwendung versperrt. In der Wahrnehmung der Beamtinnen und Beamten wird die Präventionsarbeit innerhalb der Polizei weitgehend als ein nichtpolizeiliches Handlungsfeld suspendiert. Durch diesen Legitimationsdruck werden Selbstbilder gefördert, die ihre Identität innerhalb der Polizei suchen und gleichzeitig ihre spezielle Expertise zum Ausdruck bringen sollen. Bedeutsam ist auch, dass die Akteurinnen und Akteure häufig in pädagogischen Situationen handeln. Sie sehen sich selbst aber explizit nicht als Pädagoginnen und Pädagogen. Durch diese Abgrenzung drückt sich in unterschiedlichen Ausprägungen eine Distanz zur pädagogischen Professionalität aus.

In den Handlungsorientierungen der Orientierungstypen obrigkeitsstaatliche Präventionsarbeit und pädagogisierte Präventionsarbeit zeigen sich eher identitätsstiftende Abgrenzungsbemühungen zu genuin pädagogisch Professionellen. Dagegen sind beim Typus subjektorientierte Präventionsarbeit Erfahrungshorizonte und Kompetenzen zur Unterscheidung eigener und pädagogischer Professionalität relevant für Differenzierungen. Es dokumentiert sich im empirischen Material dieser Untersuchung, aus dem sich dieser Typus konstruieren ließ, dass anderen Orientierungen im Handlungsfeld der Präventionsarbeit gleichberechtigt Raum gegeben wird.

Die in dieser Forschungsarbeit rekonstruierten kollektiv geteilten Orientierungen zeigen in homologer Weise, dass sich Polizistinnen und Polizisten an einer polizeilichen Positionalität, verbunden mit pädagogischem Erfahrungswissen, orientieren. Die sich daraus ergebenden Erfahrungshorizonte sind jedoch kontrastreich. So dokumentiert sich in den Orientierungen des Typus obrigkeitsstaatliche Präventionsarbeit, dass Schulen und andere pädagogische Räume zu polizeilichen Handlungsarenen erklärt werden. Dagegen bleiben Schulen beim Typus subjektorientierte Präventionsarbeit im pädagogischen Sinne geschützte Räume des Lernens, die polizeiliche Handlungsmöglichkeiten begrenzen. Trotz aller Kontraste liegt in der spezifisch polizeilichen Perspektivität das Charakteristikum der spezifischen professionellen Orientierungen. Mit den impliziten Rollenkonstruktionen der Beamtinnen und Beamten verbindet sich die Konturierung einer eigenen Rolle innerhalb der Polizei im Sinne einer spezifischen Professionalität, die zwischen genuin polizeilicher Praxis und pädagogischem Handeln liegt.

Normative Disposition

Die Rekonstruktion des empirischen Materials dieser Untersuchung zeigt als zweite analytisch verdichtete Erkenntnis, dass kollektiv geteilte normative Orientierungen handlungsleitend sind. Sie reichen je nach Typus von dichotomen Wertvorstellungen und einem rechtspositivistischen Normverständnis bis hin zu einer differenzierten Wahrnehmung sozialer Wirklichkeit und dem Bild, dass Normen und Regeln den Menschen dienen. So werden Regeln in den Orientierungen des Typus obrigkeitsstaatliche Präventionsarbeit primär unter der Perspektive ihrer Befolgung relevant. Die Präventionsarbeit wird so ein Beitrag zur Durchsetzung sozialadäquaten Verhaltens. Weiterhin ist die Gewährleistung staatlicher Ordnung ein der Individualität übergeordneter eigenständiger Zweck. Dieses Gesellschaftsbild dokumentiert sich in einem asymmetrischen Rollenbild des Verhältnisses zwischen Polizei und Bürgern, das auch im Umgang mit jungen Menschen handlungsleitend wird. Dagegen werden als maximale Kontraste in den Orientierungen der Orientierungstypen subjektorientierte Präventionsarbeit und pädagogisierte Präventionsarbeit die Wahrnehmung individueller Persönlichkeiten bzw. deren soziale Lebensbedingungen sichtbar. Normative Dispositionen zeigen sich auch in den Menschenbildern der Akteurinnen und Akteure, speziell im Bild von Kindheit und Jugend. In der Inszenierung als Respektspersonen sowie als Vorbilder und Hüterinnen / Hüter der Moral dokumentieren sich Orientierungen des Typus obrigkeitsstaatliche Präventionsarbeit. Junge Menschen werden als potenzielle Täterinnen und Täter bzw. Opfer klassifiziert, worin sich eine Orientierung an genuin polizeilichen Handlungsschemata zeigt. Dagegen wird die Subjektbezogenheit des Typus subjektorientierte Präventionsarbeit durch die Verdrängung polizeitypischer Rollenbilder aus dem Umgang mit Kindern und Jugendlichen sichtbar. Mündigkeit, Freiheit aber auch Eigenverantwortlichkeit sind Merkmale des orientierungsstiftenden und handlungsleitenden Menschenbildes dieses Typus. Beim Typus pädagogisierte Präventionsarbeit zeigt sich hingegen eine Tendenz zur Nähe und Gestaltung individueller Arbeitsbeziehungen, die zu einer Rollenambiguität führen kann.

In den Orientierungsmustern, die der Typologie zugrunde liegen, dokumentieren sich typspezifische normative Ankerpunkte, die in der Präventionspraxis handlungsleitend sind.

Selbstlegitimation

Als dritte empirische Erkenntnis für die Beschreibung der Professionalität der polizeilichen Präventionsarbeit konnten Selbstlegitimationen rekonstruiert werden. Alle Orientierungstypen stützen ihre Legitimation für die Präventionsarbeit auf eine spezifische polizeiliche Expertise und sehen sich als bedeutsame Akteurinnen und Akteure in der Präventionslandschaft. Kontraste zeigen sich jedoch in der Art und Verwendung polizeilicher Wissensbestände. Für die Handlungsmuster des Typus obrigkeitsstaatliche Präventionsarbeit sind Strafrechtskenntnisse von Bedeutung, die für die Informationsweitergabe genutzt werden. Beim Typus pädagogisierte Präventionsarbeit zeigt sich neben Normwissen die Relevanz von Problemlösungsangeboten für den Umgang mit Kindern und Jugendlichen. Dagegen dokumentiert sich in den Orientierungen des Typus subjektorientierte Präventionsarbeit eine Expertise, die auf den spezifischen Feldzugang der Polizei und sich daraus ergebenden Erkenntnissen beruht. Polizeiliche Wissensbestände werden mit anderen professionellen Akteuren geteilt und für die pädagogische Arbeit genutzt.

Polizeispezifische Expertise ist jenseits aller Präventionskonzepte und Handlungsanweisungen die kollektiv geteilte konjunktive Legitimation für die Präventionsarbeit.

Erwartungen an Wirksamkeit

Als vierte besonders relevante empirische Erkenntnis sind divergente Erwartungen an Wirksamkeit zu benennen. In den bisher skizzierten maximal kontrastiven Orientierungen zeigt sich eine spezifische Professionalität. Gleichzeitig markieren sie die Pole des Spannungsfelds zwischen der Gewährleistung staatlicher Ordnung und der Befähigung zur gesellschaftlichen Teilhabe, zwischen denen sich die Handlungsmuster verorten lassen.

Was in dieser Untersuchung mit dem Begriff Normverdeutlichung verbunden ist, zeigt sich besonders deutlich in den Orientierungen des Typus obrigkeitsstaatliche Präventionsarbeit. Als handlungsleitendes Ziel ließ sich die Verstärkung konformen Verhaltens von Kindern und Jugendlichen emergieren. Devianzgeneigte junge Menschen werden didaktisch von der Präventionsarbeit exkludiert. Aufgrund der Annahme pfadabhängiger Entwicklungsverläufe erscheint das Verhalten dieser Personengruppe nicht präventabel. So richtet sich die Präventionsarbeit primär an Personen mit einer positiven Entwicklungsprognose. Junge Menschen werden über gesellschaftlich akzeptierte Regeln und kodifizierte Normen informiert und mit Sanktionsandrohungen von Verstößen gegen Verhaltenserwartungen abgeschreckt, so die Erwartungen an Wirksamkeit. Als maximaler Kontrast dazu zeigen sich beim Typus subjektorientierte Präventionsarbeit Modi der Normvermittlung, die den Sinn von Regeln und die Reflexion von Normativität fokussieren, wodurch die Befähigung junger Menschen zur gesellschaftlichen Teilhabe gefördert werden soll. Die Orientierung an einer indirekten Wertevermittlung soll Selbst- und Sozialkompetenzen fördern. Ein weiteres Orientierungsmuster wurde beim Typus pädagogisierte Präventionsarbeit in der für diesen Typus charakteristischen Ambivalenz sichtbar. Solange Kinder und Jugendliche für die Beamtinnen und Beamten individuell konfliktfrei erreichbar sind, orientieren sich die Handlungsmuster an der Normvermittlung. Lassen sich diese Interaktionsbedingungen nicht herstellen oder durchhalten, wird in den Modus der Normverdeutlichung gewechselt.

In allen Orientierungstypen zeigt sich ein hoher Selbstwirksamkeitsanspruch, allerdings dokumentiert sich das in recht unterschiedlichen Handlungsmustern, in denen heterogene Orientierungsmuster sichtbar wurden. Beim Typus obrigkeitsstaatliche Präventionsarbeit verbinden sich Erwartungen an Wirksamkeit stark mit der Annahme einer Strahlkraft polizeilicher Amtsautorität, die mit einer Überzeugungserwartung im Belehrungsmodus verbunden wird. Die Bedeutung der Lehrperson wird über normative Deutungshoheit, instruierendes Handeln und Amtsautorität konstruiert. In den Handlungsmustern dieses Typus wird die Annahme einer linearen Beziehung zwischen Lehren und Lernen sichtbar, wobei es in dem praktizierten Normverdeutlichungsmodus eher um Anweisungen mit einer unbedingten Befolgungserwartung geht. Beim Typus pädagogisierte Präventionsarbeit zeigen sich Erwartungen, dass durch persönliche Authentizität und die Gestaltung individueller Arbeitsbeziehungen Normakzeptanz und ein entsprechendes Verhalten erreicht werden kann.

In Narrationen zur Präventionspraxis wurden jedoch auch didaktische Präventionsarrangements beschrieben, in denen Modi der Normvermittlung sichtbar wurden. Ausgeprägte implizite pädagogische Wissensbestände dokumentieren sich beim Typus subjektorientierte Präventionsarbeit in den Orientierungen an der Unverfügbarkeit von Personen und ihrem Lernen. Die Existenz eines pädagogischen Technologiedefizits und die Unmöglichkeit einer Herstellbarkeit von Normativität zeigten sich als kollektiv geteilter Wissensbestand.

Die unterschiedlichen Selbstbilder der Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten wirken in der beschriebenen Weise auf die Erwartungen an Wirksamkeit der polizeilichen Präventionsarbeit, in denen Modi der Normübernahme sichtbar werden. Ausgehend von der homologen Orientierung an der Beeinflussung des sozialen Verhaltens anderer spannen sich die Orientierungsmuster zwischen Normverdeutlichung und Normvermittlung auf.

Schlussfolgerungen

Ausgangspunkt dieser empirischen Arbeit war die Frage, in welchem Orientierungsrahmen sich Akteurinnen und Akteure polizeilicher Präventionsarbeit bewegen. Dabei wurde zunächst der Forschungshorizont herausgearbeitet und dann durch die empirischen Befunde sichtbar, dass sich das Feld deutlich komplexer darstellt als bisherige Erkenntnisse vermuten ließen.

Im gesamten Sample dieser Untersuchung zeigen sich in homologer Weise Modi zur Beeinflussung des Verhaltens junger Menschen, die jenseits dieser Gemeinsamkeit maximale Kontraste aufweisen. Gleichzeitig dokumentiert sich in wesentlichen Teilen der polizeilichen Präventionspraxis pädagogisches Handeln bei gleichzeitiger Wirkmächtigkeit genuin polizeilicher Orientierungsmuster. Damit geht jedoch einher, dass genuin polizeiliche Praktiken in ihrer Orientierungsrelevanz zurückgedrängt werden.

Mit den Daten dieser Untersuchung kann gezeigt werden, dass Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte, die in der Präventionsarbeit aktiv sind, kein einheitliches Rollenbild haben und sich in ihren Orientierungen divergente Wirksamkeitshorizonte zeigen. Sie unterscheiden sich vielmehr hinsichtlich ihrer Rollenkonstruktionen, ihrer normativen Orientierungen, ihrer Selbstlegitimation und ihrer Erwartungen an Wirksamkeit deutlich.

Polizei, Schulen und Jugendhilfe sind unterschiedliche Systeme mit jeweils eigenen Funktions- und Handlungslogiken. In der polizeilichen Präventionsarbeit werden Systemgrenzen überschritten, z. B. durch die Präventionsarbeit an Schulen oder im Zusammenhang mit der Kinder- und Jugendhilfe. Die Beamtinnen und Beamten handeln ja nicht nur in pädagogischen Situationen, sondern treffen auch auf pädagogische Professionalität. Diese systemübergreifenden Rollenanforderungen erzeugen in gesteigertem Maße bzw. erhöhter Komplexität widersprüchliche Handlungsanforderungen, die durch die Beamtinnen und Beamten in der Präventionsarbeit zu bewältigen sind.

Bezogen auf die professionellen Herausforderungen der polizeilichen Präventionsarbeit zeigen sich normative Dispositionen, aus denen typspezifisch divergente Handlungserfordernisse generiert werden. Sie scheinen in unterschiedlicher Intensität von Menschen- und Gesellschaftsbildern sowie von genuin polizeilichen und impliziten pädagogischen Wissensbeständen beeinflusst zu sein (siehe Abschnitt 5.5).

Während genuin polizeiliches Handeln durch definierte gesetzliche Aufgaben und Befugnisse bestimmt ist, mangelt es für die Präventionsarbeit an einem definierten Handlungsrahmen. Wie die Ergebnisse dieser Untersuchung zeigen, führt das zu handlungsspezifischen Legitimationserfordernissen. Die Unbestimmtheit eröffnet den Raum für heterogene Begründungsansätze, die sich im impliziten Wissen der polizeilichen Akteurinnen und Akteure dokumentieren.

In den Erwartungen an Wirksamkeit der polizeilichen Akteurinnen und Akteure dokumentiert sich implizites Wissen zu Lernfähigkeiten und Lernprozessen junger Menschen, das bisweilen Züge pädagogischer Alltagstheorie annimmt. In der Handlungspraxis führen diese Orientierungsmuster zu maximal kontrastivem Umgang mit individuellen Freiheiten von Kindern und Jugendlichen in Lernsituationen und der Beeinflussbarkeit von Lernprozessen.

Es dokumentiert sich weiterhin in den rekonstruierten Orientierungstypen der Umgang mit widersprüchlichen Handlungsanforderungen und Antinomien. Die sich daraus ergebenden Spannungsfelder in der Präventionspraxis lassen erkennen, dass sowohl polizeiliches als auch pädagogisches Handeln in Aporien angelegt ist.

Diese Zusammenfassung ermöglicht eine Einordnung der Erkenntnisse in einen professionstheoretischen Diskurs und dient als Grundlage für die Konturierung einer Professionalitätstheorie polizeilicher Präventionsarbeit mit Kindern und Jugendlichen.

6.2 Polizeiliche Präventionsarbeit in professionstheoretischer Perspektive

Die vorangegangene, auf die Forschungsfrage fokussierte Zusammenfassung der rekonstruktiven Analyse des empirischen Materials ließ eine Diversität von Orientierungsmustern in der polizeilichen Präventionspraxis sichtbar werden. Beeinflusst wurde dieser Befund von einem für sicherheitsbehördliche Verhältnisse schwach ausgeprägten und elastisch anmutenden Handlungsrahmen (vgl. Abschnitte 2.3 und 2.4). Bevor die Forschungsergebnisse in Form der Konturierung einer Professionalitätstheorie der polizeilichen Präventionsarbeit mit Kindern und Jugendlichen diskutiert werden, soll noch einmal der Kern genuin polizeilicher Arbeit und die davon abzugrenzende polizeiliche Präventionsarbeit vergegenwärtigt werden. Das letztere Handlungsfeld weist auf der Basis des empirischen Befundes dieser Untersuchung pädagogische Bezüge auf, die es ermöglichen, die Erkenntnisse mit einem Zugriff auf die erziehungswissenschaftliche Professionstheorie zu reflektieren.

Im Vergleich zum alltäglichen Sprachgebrauch wird Professionalität in dieser Arbeit nicht als wertender Begriff gebraucht (vgl. Abschnitt 3.3). Umgangssprachlich und in anderen fachlichen Kontexten wird professionell als Beurteilungskriterium für die Einhaltung fachlicher Regeln bzw. Standards und Anwendung entsprechender Technologien benutzt. Bezogen auf den Forschungsgegenstand dieser Arbeit bezeichnet Professionalität das Selbstverständnis einer in einem bestimmten Feld arbeitenden Gruppe. Dieses Selbstverständnis ist in der Pädagogik aus ganz unterschiedlichen Perspektiven beschrieben worden (vgl. Combe und Helsper 1996; Helsper und Tippelt 2011b).

Polizeiliche Präventionsarbeit findet in der Verkehrssicherheitsarbeit, der primären Kriminalprävention und der Jugendsachbearbeitung statt. Diese Handlungsfelder sind durch pädagogische und genuin polizeiliche Praktiken gekennzeichnet. Für die Beschreibung der polizeilichen Präventionsarbeit liegt eine Professionalitätstheorie bisher nicht vor. Bevor diese Theorie für die polizeiliche Kinder- und Jugendarbeit konturiert wird, bedarf es einer Vergewisserung, was dieses Handlungsfeld ausmacht, indem Handlungsrahmen und -schemata skizziert werden (siehe auch die ausführliche Darstellung im Kapitel 3).

Merkmale genuin polizeilichen Handelns

Genuin polizeiliches Handeln beschreibt die Anwendung polizeirechtlicher und strafprozessualer Befugnisse (vgl. Abschnitt 2.1). In abgeschwächter Form kommen diese Handlungsschemata auch als Formen der Normenverdeutlichung, wie mündliche Verwarnungen aufgrund geringfügiger Verstöße oder sogenannte Gefährderansprachen, in Betracht (vgl. z. B. Reuter 2019, S. 238 f., siehe auch Abschnitt 2.4). Es handelt sich häufig um situative Interaktionen „ohne Ansehen der Person“, punktuelle Kontakte für die Dauer einer Amtshandlung und nicht auf längere Zeit angelegte Arbeitsbeziehungen. Es geht um die Gewährleistung von objektiver und subjektiver öffentlicher Sicherheit sowie die Gewährleistung der Freiheit innerhalb der Grenzen der Rechtsordnung.

Pädagogische Merkmale polizeilicher Präventionsarbeit

Polizeiliche Präventionsarbeit soll einen Betrag dazu leisten, dass Kinder und Jugendliche zukünftig keine Straftaten begehen oder nicht Opfer von Straftaten werden. Weiterhin sollen sie sich sicher im Straßenverkehr bewegen und nicht Opfer von Verkehrsunfällen werden (vgl. Bundesministerium des Innern 2012, Ziff. 2.1.3.1). Üblicherweise greifen die Akteurinnen und Akteure in der Präventionspraxis nicht auf genuin polizei- und strafrechtliche Befugnisse zurück.

Wenn Polizei auf die Zukunft gerichtet ohne Drohung und Abschreckung Verhalten von Personen beeinflussen will, stellt sich die Frage nach der Klassifizierung dieses Handelns. Die Ziele der Präventionsarbeit und die rekonstruierte Handlungspraxis lassen z. B. Merkmale von Erziehung sichtbar werden. Auch typische Settings der Verkehrssicherheitsarbeit und der primären Kriminalprävention weisen auf ein pädagogisches Handeln hin. Polizistinnen und Polizisten handeln pädagogisch, wenn sie am Bildungsort Schule in Lernsituationen, insbesondere im Unterricht, eingebunden sind oder außerschulisch Lerngelegenheiten schaffen. In allen Gruppen des Samples dieser Forschungsarbeit, in denen Präventionsbeamtinnen und Präventionsbeamte vertreten waren, finden sich Narrationen, die solche Situationen beschreiben. Darüber hinaus zeigten sich auf der kommunikativ generalisierenden Ebene pädagogische Handlungsschemata, wenn durch Kooperation mit anderen Akteurinnen und Akteuren pädagogisches Handeln angeregt wurde, da sich in solchen Orientierungen auf pädagogisches Handeln ausgerichtetes Denken zeigt. Entsprechende Handlungsmuster dokumentieren sich insbesondere beim Typus subjektorientierte Präventionsarbeit.

Pädagogische Orientierungen zeigten sich auch bezogen auf die JugendsachbearbeitungFootnote 6 beim Typus pädagogisierte Präventionsarbeit. Ausgehend von den normenverdeutlichenden Aspekten der Individualkontakte zu delinquenten Jugendlichen dokumentieren sich in einer Reihe beschriebener Gesprächssituationen und Erzählungen vom Umgang mit Kindern und Jugendlichen Bestrebungen, Lernimpulse zu setzen. Die Jugendsachbearbeiterinnen und Jugendsachbearbeiter dürften regelmäßig kontingenten Handlungserfordernissen ausgesetzt sein, in der Repression und Prävention zusammentreffen. Anders formuliert: Die kriminalistische Grundstruktur der Arbeit ist mit pädagogischen bzw. mit sozialpädagogischen Handlungserfordernissen verzahnt.

Gleichzeitig darf nicht unerwähnt bleiben, dass nicht jegliche Präventionsarbeit aus polizeilicher Perspektive mit pädagogischem Handeln gleichzusetzen ist. Die Grenzen dürften immer dann erreicht werden, wenn Abschreckung und damit Zwang handlungsleitend wird. So haben normenverdeutlichende Gespräche in der Form von sogenannten Gefährderansprachen einen erzieherischen Charakter. In solchen Gesprächen wird Jugendlichen verdeutlicht, dass die Polizei aufgrund ihres bisherigen Verhaltens damit rechnet, dass sie weiterhin Straftaten begehen könnten und als potenzielle Tatverdächtige in Betracht kommen. Zwar handelt es sich aus polizeirechtlicher Perspektive nur dann um eine Zwangsmaßnahme, „wenn sie lenkend in die Willensbetätigungsfreiheit eingreift“ (Reuter 2019, S. 239). Durch den Modus der Abschreckung wird aber auf reine Normverdeutlichung gesetzt und eine pädagogische Normvermittlung exkludiert. Diese Grenzziehung zeigt, dass polizeiliche Präventionsarbeit nicht per se als pädagogisches Handeln zu bezeichnen ist.

Zusammenfassung

Die Präventionspraxis in dem hier nur noch einmal grob skizzierten Handlungsrahmen weist sowohl auf expliziter als auch auf impliziter Ebene ineinander verwobene polizeiliche und pädagogische Orientierungsschemata bzw. -rahmen auf. Der empirische Befund dieser Untersuchung verdeutlicht, dass pädagogisches Handeln aus der Gestaltung des präventivpolizeilichen Umgangs mit Kindern und Jugendlichen nicht hinweggedacht werden kann, sondern elementarer Bestandteil polizeilicher Präventionspraxis ist. Diese Differenzierung ist erforderlich, weil genuin polizeiliches und pädagogisches Handeln in unterschiedliche Funktionslogiken eingebettet sind. Diese Klärung unterstreicht einerseits die Komplexität, die durch das Zusammentreffen unterschiedlicher Handlungsrahmen und -schemata entsteht und begründet andererseits die folgende professionstheoretische Diskussion.

6.3 Der aporetische Charakter polizeilicher Präventionsarbeit

Weil sich nicht alle widerstreitenden polizeilichen Handlungsanforderungen als Antinomien beschreiben lassen, wird der Begriff Aporie als Oberbegriff für Paradoxien, Antinomien und Spannungsfelder genutzt (vgl. Abschnitt 3.3). Im genuin polizeilichen Handlungssprektrum muss die Polizei widersprüchliche Anforderungen balancieren (z. B. im Umgang mit unterschiedlichen gesetzlichen Funktionslogiken, siehe Abschnitt 6.3.1) und Gegensätzlichkeiten zumindest abmildern. Gleiches gilt auch für die polizeiliche Präventionsarbeit. Im empirischen Ergebnis dieser Untersuchung dokumentiert sich z. B. bei den Orientierungstypen obrigkeitsstaatliche Präventionsarbeit und subjektorientierte Präventionsarbeit ein Streben danach, das Spannungsfeld zwischen Gewährleistung staatlicher Ordnung und Befähigung zur gesellschaftlichen Teilhabe aufzulösen (vgl. Abschnitte 5.2, 5.3.1 und 5.3.3). In der polizeilichen Präventionspraxis sind auch typische pädagogische Antinomien wirkmächtig. Die Nutzung des Begriffs Antinomie zur Charakterisierung der polizeilichen Präventionsarbeit insgesamt wäre jedoch eine Engführung, die der Gesamtheit aller unterschiedlichen Handlungsanforderungen nicht gerecht wird.

Pädagogisches und polizeiliches Handeln sind unterschiedliche Formen sozialen Handelns. Charakteristisch für soziales Handeln ist die Interaktion der Handelnden. Daraus ergibt sich, dass es sowohl in polizeilichen als auch in pädagogischen Situationen immer mehrere Möglichkeiten des Agierens gibt, je nachdem wie sich der Interaktionspartner verhält. Es existiert kein verallgemeinerbar richtiges, sondern nur angemessenes, vernünftiges bzw. zielorientiertes pädagogisches bzw. polizeiliches Handeln (in Anlehnung an Giesecke 2015, S. 20 f.). Die Komplexität der polizeilichen Präventionspraxis entsteht durch die Verschränkung pädagogischer und polizeilicher Systeme auf der Handlungsebene. Mit der Präventionsarbeit verlässt die Polizei ihren angestammten genuin polizeilichen Wirkungskreis und begibt sich in pädagogische Situationen. Die Ergebnisse dieser Untersuchung zeigen, dass sich in der polizeilichen Präventionsarbeit verschiedene aporetische Herausforderungen überlagern, die charakteristisch für die spezifische Professionalität sind. Daher werden zunächst die genuin polizeilichen Aporien in den Blick genommen, die im empirischen Material aufscheinen und damit handlungsleitend sind (siehe 6.3.1).

Von zentraler Bedeutung scheint das polizeiliche bzw. juristische Spannungsfeld zu sein, das sich zwischen repressiver und präventiver Aufgabenwahrnehmung aufspannt (vgl. Denninger 2018, Rn 6). Darüber hinaus ist es ertragreich, strukturelle Antinomien, die professionelles pädagogisches Handeln prägen (vgl. Schütze 1992; Helsper 2010; Schlömerkemper 2017), für eine theoretische Fundierung der polizeilichen Präventionsarbeit fruchtbar zu machen. Allein schon die Anknüpfung an den Diskurs zur grundlegendsten Antinomie (vgl. Helsper 2010, S. 19), dem spannungsreichen Verhältnis zwischen Autonomie und Zwang (vgl. Helsper 2010, S. 19 f.), verspricht Erkenntnisse zu den Herausforderungen, denen pädagogisch handelnde Akteurinnen und Akteure der mit Zwangsmitteln ausgestatteten Polizei unterliegen.

Diese pädagogischen Antinomien (siehe Abschnitt 6.3.2) werden von der spezifisch polizeilichen Aporie (siehe Abschnitt 6.3.1) überformt, durch die sich widerstreitende hybride Handlungsanforderungen ergeben (siehe Abschnitt 6.3.3). Mit dieser theoretischen Fundierung der Praxis werden empirisch begründete theoretische Eckpunkte sichtbar, die es ermöglichen Konturen einer pädagogischen Theorie der polizeilichen Präventionsarbeit zu zeichnen. Im sich daran anschließenden Abschnitt 6.4 sind diese Konturen einer Professionalitätstheorie polizeilicher Präventionsarbeit mit Kindern und Jugendlichen überblicksartig zusammengestellt.

6.3.1 Bewältigung genuin polizeilicher Aporien

Zunächst lohnt sich ein Blick auf die Aporien, die der polizeilichen Arbeit immanent sind. Widersprüchliche Erwartungen und Anforderungen an die Polizei finden sich in gesellschaftlichen Diskursen zur Rolle der Polizei, in der divergenten Funktionslogik von Prävention und Repression und den sich daraus ergebenden Erwartungen an Wirksamkeit.

Merkmale der polizeilichen Professionalität in der Präventionsarbeit werden zunächst kurz skizziert, dann an die empirischen Ergebnisse dieser Untersuchung angebunden und abschließend theoretisch fundiert.

Widersprüchliche gesellschaftliche Erwartungshaltungen an die Polizei

Wissenschaftliche und programmatische Diskurse zur öffentlichen Sicherheit befassen sich wiederkehrend mit der Rolle der Polizei in der Gesellschaft (vgl. Abschnitte 2.2 und 3.1). Aus historischer Perspektive sind Militär und Polizei mit ihren Repressionsinstrumentarien in Deutschland Institutionen zur Beherrschung des Volkes. In einer freiheitlichen Demokratie muss die Gewährleistung staatlicher Ordnung demokratisch legitimiert sein. Das Handeln der Polizei bedarf einer gesellschaftlichen Legitimation. Als Teil der Gesellschaft spiegeln sich im polizeilichen Selbstverständnis (vgl. Abschnitt 2.2) auch immer Erwartungshaltungen der Bürgerinnen und Bürger wider.

Als empirisches Ergebnis dieser Untersuchung kann festgehalten werden, dass sich unabhängig von polizeibehördlichen Leitlinien und Zielen in den kollektiven Selbstbildern der beforschten Gruppen von Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten maximal kontrastive Grundausrichtungen polizeilicher Arbeit dokumentierten. So zeigt sich beim Typus obrigkeitsstaatliche Präventionsarbeit, dass Modi der Durchsetzung von Regeln mit Mitteln der Abschreckung handlungsleitend sind. In dem Maße, in dem Repression in der Prävention Orientierung gibt, dokumentiert sich die Grundorientierung an einer Menschen beherrschenden Ausrichtung polizeilicher Arbeit. Dagegen wird in der Fokussierung auf die Vermittlung von Werten und den Sinn von Normen beim Typus subjektorientierte Präventionsarbeit maximal kontrastiv die Fähigkeit einer situativen Loslösung von genuin polizeilichen Praktiken sichtbar. In diesem polizeilichen Rollenbild zeigt sich, dass für die facettenreiche polizeiliche Arbeit ein breites Handlungsrepertoire erforderlich ist. Die Anwendung traditioneller polizei- und strafrechtlicher Befugnisse lässt sich mit weniger asymmetrischen, den Bürgerinnen und Bürgern zugewandten Interaktionsformen verbinden. Zwischen diesen beiden Orientierungspolen lässt sich der Typus pädagogisierte Präventionsarbeit verorten. Bei diesem Typus zeigt sich kommunikativ generalisiertes Wissen zu förderlichen Bedingungen des Aufwachsens junger Menschen. Im konjunktiven Wissensbestand wird jedoch eine Suche nach Zwangsmitteln als ultima ratio der Normerziehung sichtbar. In den Handlungsmustern dokumentiert sich implizites Wissen zu den Wirksamkeitsgrenzen von Präventionsarbeit, zu deren Überwindung ein Rückgriff auf repressive, genuin polizeiliche Praktiken opportun erscheint. In den drei Orientierungstypen ließen sich in dieser Untersuchung kontrastreiche Handlungsorientierungen in der polizeilichen Präventionspraxis abbilden. Da allen Orientierungsmustern eine Verankerung in der polizeilichen Handlungslogik gemein ist, lassen sich grundlegende, von der Präventionsarbeit unabhängige polizeiliche Rollenbilder generalisieren. Die Heterogenität der Orientierungen spiegelt die Widersprüchlichkeiten gesellschaftlicher Erwartungshaltungen wider, wie sie in Diskursen zur Rolle der Polizei in der Gesellschaft zu finden sind.

In einer pluralistischen Gesellschaft gibt es vielfältige Erwartungshaltungen an den Staat im Allgemeinen und an die Polizei im Besonderen. Unabhängig von polizeilichen Interventionsanlässen lassen sich die Handlungsmuster immer aus verschiedenen Perspektiven betrachten. Diese unterschiedlichen normativen Standpunkte finden beispielsweise regelmäßig in Diskussionen um Sicherheitsgesetze ihren Ausdruck, hinter denen heterogene Ideen von Staat und Polizei stehen. So werden in Diskursen um die Befugnisse der Polizei immer unterschiedliche Lösungsansätze gesellschaftlicher Probleme sichtbar. Groß stellt dem Modell einer dienstleistungsorientierten Bürgerpolizei eine primär öffentliche Institutionen schützende Staatspolizei gegenüber (vgl. Groß 2019, S. 10).

„Das bürgerpolizeiliche Grundverständnis vertraut darauf, dass in der Gesellschaft selbst Potenziale zur Sicherheitsgewährleistung und kooperativen Sicherheitsproduktion vorhanden sind, die erkannt, gefördert und nachhaltig institutionalisiert werden können! Im Kontrast zu dieser gesellschaftspolitisch orientierten Polizeiphilosophie steht ein Verständnis von Polizei als reinem Staatsschutzorgan“ (Barthel und Buschkamp 2019, S. 189).

Auf der Ebene der Akteurinnen und Akteure stellt Behr in metaphorischen Rollenbezeichnungen das Bild des „Schutzmanns“ bzw. der „Schutzfrau“ dem des „Polizei-Kriegers“ gegenüber und charakterisiert damit unterschiedliche organisationskulturelle Ausrichtungen (vgl. Behr 2019, S. 25 f.). Die dahinter liegenden Grundannahmen lassen sich auf eine Betonung von Prävention oder von Repression in Handlungskonzepten verdichten. In diesem Spannungsfeld gegensätzlicher Handlungsempfehlungen hat sich die Idee einer bürgernahen, grundrechtsgewährleistenden Polizei verstetigt. Dabei ist die Rolle der Polizei nicht nur von politischen Intentionen oder institutionellen Selbstbildern abhängig, sie manifestiert sich auch in einer zutiefst normativen Rollenzuschreibung von Bürgerinnen und Bürgern sowie institutioneller Akteurinnen und Akteure. Polizeiliches Handeln und damit auch die Präventionsarbeit bewegt sich immer in einem Spannungsfeld, das durch die Standortgebundenheit der Betrachter geprägt ist.

Beitrag zur Theoriebildung

Die empirischen Ergebnisse dieser Untersuchung und der polizeifachliche Diskurs zeigen übereinstimmend, dass aporetische Handlungsanforderungen an die polizeiliche Arbeit in widersprüchlichen gesellschaftlichen Erwartungshaltungen an die Polizei zu finden sind. Es gibt keine eindeutige bzw. einheitliche Erwartungshaltung an Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte in der Präventionsarbeit. (Genauso wie es an die genuin polizeiliche Arbeit unterschiedliche Erwartungshaltungen gibt.) Eine Theorie polizeilicher Präventionsarbeit darf nicht von einer bestimmten gesellschaftlichen Erwartungshaltung ausgehen, sondern muss gerade die Widersprüchlichkeit unterschiedlicher Erwartungshaltungen in den Mittelpunkt stellen, die zwischen kompromisslosem Normvollzug und Bürgernähe oszillieren. Für diesen Zweck müssen die divergierenden Anforderungen und Interessen expliziert und für eine diskursive Auseinandersetzung zugänglich gemacht werden.Footnote 7

Divergierende gesetzliche Funktionslogiken und Erwartungen an Wirksamkeit

Die Polizei leistet Beiträge zur öffentlichen Sicherheit und Ordnung. Unterhalb dieser Integrationsebene versammeln sich ganz unterschiedliche Aufgaben mit heterogenen Zielsetzungen. Damit gehen divergente Funktionslogiken und Erwartungen an Wirksamkeit einher, die sich in der Praxis vereinigen und zu antinomischen Handlungsanforderungen führen.

Mit Blick auf die Ergebnisse dieser Untersuchung lassen sich Hinweise auf die aporetische Charakteristik der polizeilichen Arbeit auch auf die Präventionsarbeit bezogen bereits auf der kommunikativ generalisierenden Ebene des empirischen Materials finden. In der Präventionspraxis versuchen die Akteurinnen und Akteure das Zusammentreffen von präventiven Interaktionsmöglichkeiten und repressiven Interventionserfordernissen zu trennen. Das zeigt sich selbst beim Typus obrigkeitsstaatliche Präventionsarbeit, in dessen Orientierungen sonst ein ganz traditionelles polizeiliches Rollenbild wirkmächtig ist, indem sich um die funktionale Trennung der Präventionsarbeit von der repressiven polizeilichen Aufgabenwahrnehmung bemüht wird. So ist im Diskurs der Gruppe Paula eine Beschreibung zu finden, in der die erforderliche repressive Aufklärungsarbeit eines vermutlichen Jackendiebstahls an einer Schule an den für diesen Stadtteil zuständigen ##Ortspolizisten## weitergereicht wird. Dagegen ist eine in die Zukunft gerichtete, repressive Normenverdeutlichung zur Unterstützung von Lehrkräften Teil des Präventionsverständnisses und damit einer sich selbst zugeschriebenen Aufgabe der Präventionsbeamtinnen und Präventionsbeamten. Bei der Gruppe Lima ist eine Narration zu finden, in der beschrieben wird, dass die Schülerinnen und Schüler zu Beginn einer Präventionsmaßnahme darüber belehrt werden, dass sie nicht von Straftaten berichten sollen, in die sie möglicherweise selbst verwickelt sind, da dann die Strafverfolgungspflichten auch für die Präventionsbeamtinnen und Präventionsbeamten greifen. Arbeitsbeziehungen, die ein Mindestmaß an Offenheit und Vertrauen erfordern, lassen sich nicht mit einem konfrontativen Repressionssetting verbinden, in dem die Polizei Fehlverhalten nachweisen will und die Adressatinnen und Adressaten dieses nicht zugegeben müssen. Unabhängig von unterschiedlichen Rollenbildern in der rekonstruierten Typologie der Handlungsorientierungen dokumentiert sich in den Diskursen dieser Untersuchung implizites Wissen, das präventives und repressives polizeilichen Handeln balanciert.

Prävention und Repression „folgen zwei ganz verschiedenen, teilweise antinomischen Funktionslogiken“ (Denninger 2018, Rn 5), so die juristische Charakterisierung Denningers zum Verhältnis der Säulen polizeilicher Aufgaben zueinander. Unabhängig von der Präventionsarbeit ist polizeiliches Handeln kontinuierlich von Abwägungsprozessen zwischen Gefahrenabwehr (Prävention) und Repression geprägt. Es gilt die Faustformel Gefahrenabwehr vor Strafverfolgung (Repression), wobei es immer einer Rechtsgüterabwägung zwischen der Gefahr und einer mit Strafandrohung untermauerten Strafverfolgungspflicht (Legalitätsprinzip) bedarf (Dominanzentscheidung). Beispiel: Das Opfer eines Raubüberfalls wird am Tatort rettungsmedizinisch versorgt, dabei werden Spuren der Tat vernichtet und so die Aufklärung der Tat erschwert.Footnote 8 Der kurze Blick auf die juristische Argumentationslogik, von der polizeiliche Orientierungsschemata geprägt sind, zeigt, dass allein schon im genuin polizeilichen Handlungsfeld eine Komplexität von Repression und Prävention mittels Gefahrenabwehr gegeben ist. Der Repressionslogik ist es immanent, dass strafverfolgende Maßnahmen des Staates von zukünftigen Regelverstößen abschrecken und so Normkonformität bewirken (§ 46 Abs. 1 StGB).

Beitrag zur Theoriebildung

Das genuin polizeiliche Handeln ist von divergierenden präventiven und repressiven gesetzlichen Funktionslogiken und damit verbundenen unterschiedlichen Erwartungen an Wirksamkeit durchzogen. Diese Divergenz wirkt auch in die Präventionsarbeit hinein. Eine Theorie der polizeilichen Präventionsarbeit hat der Logik von Prävention zu folgen und daher die Grenzen der Repression deutlich zu formulieren. Es muss ganz klar die spezifische Funktion des Polizeilichen in der Präventionsarbeit beschrieben werden. Da die Polizei in der Präventionsarbeit nicht alleiniger Akteur ist, gilt es, diese Aufgabe und das damit verbundene Handeln zu spezifizieren. Dabei geht es nicht so sehr um die Bestimmung konkreter Inhalte oder Adressatengruppen für diese Form der polizeilichen Arbeit. Es stellt sich die Frage nach dem unverwechselbaren polizeilichen Kern der Arbeit. Die spezifische präventive Funktion ist einerseits von der genuin polizeilichen Arbeit und andererseits von der Präventionsarbeit anderer gesellschaftlicher Akteurinnen und Akteure abzugrenzen. Nur so kann diese spezifische Professionalität hinreichend bestimmt werden.

Gesteigerte aporetische Handlungsanforderungen

Die sich aus den unterschiedlichen Funktionslogiken und Erwartungen an Wirksamkeit ergebenden komplexen widerstreitenden Anforderungen erhöhen die Komplexität des Handelns der polizeilichen Präventionsarbeit und entfalten sich in Aporien. Die Polizei muss ohne polizeitypische Handlungsschemata auskommen, was auch mit Blick auf die empirischen Ergebnisse dieser Untersuchung in pädagogischen Handlungsmustern sichtbar wird.

Die in dieser Arbeit rekonstruierten maximal kontrastiven Handlungsmuster der drei Idealtypen zeigen, neben unterschiedlichen Modi, divergente Ziele der Präventionsarbeit, in denen sich die Komplexität des Handelns dokumentiert. Während sich in den Orientierungen des Typus obrigkeitsstaatliche Präventionsarbeit Belehrungsmodi zeigen, wird bei Orientierungen, die der Typus subjektorientierte Präventionsarbeit repräsentiert, die Schaffung von Lerngelegenheiten deutlich. Dagegen zeigt sich in den Orientierungen des Typus pädagogisierte Präventionsarbeit kollektiv geteiltes implizites Wissen um die Grenzen der Präventionsarbeit, wobei dennoch nach Druckmitteln gesucht wird, um Normativität zu bewirken, worin sich insgesamt eine ambivalente Handlungslogik dokumentiert.

Jenseits dieser unterschiedlichen Orientierungsmuster seien noch homologe, kollektiv geteilte, implizite Wissensbestände erwähnt, die das Handeln der Polizistinnen und Polizisten in der Präventionsarbeit leiten. So zeigt sich in dieser Untersuchung bei allen Gruppen eine Normakzeptanz. Das ist eine bei Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten durchaus erwartbare Orientierung. Regeln, die junge Menschen typischerweise verletzen, werden als gültig angesehen, die dadurch geschützten Werte sind akzeptiert. Bei Akteurinnen und Akteuren, deren Handlungsmuster sich in den Orientierungstypen pädagogisierte Präventionsarbeit bzw. subjektorientierte Präventionsarbeit widerspiegeln, dokumentierte sich ein Bild entwicklungsbedingter Normalität temporär abweichenden Verhaltens junger Menschen. Damit sind Rechtsverstöße von Jugendlichen gemeint, die der Klein- und Massenkriminalität zuzurechnen sind, wie z. B. Ladendiebstähle oder Sachbeschädigungen. Sogenannte jugendliche Mehrfach- und IntensivtäterFootnote 9 sind dagegen eine eher kleine Gruppe (vgl. Steffen 2003, S. 152). Die Präventionsarbeit mit diesen Personen stellt eine besondere Herausforderung dar und führt bei Handlungsorientierungen, die dem Typus pädagogisierte Präventionsarbeit entsprechen, zu Irritationen, so der empirische Befund dieser Untersuchung. So dokumentieren sich in interaktiv dichten Diskurspassagen der Gruppe Bravo die Grenzen individueller Präventionsarbeit mit delinquenzgeneigten jungen Menschen.

Als empirisches Ergebnis wurde weiterhin sichtbar, dass mit der justiziellen Sanktionierung jugendtypischer Delinquenz keine positiven Entwicklungsimpulse verbunden werden. Wird Strafzweckprogrammatik (§ 46 Abs. 1 StGB) als theoretischer Vergleichshorizont bemüht, liegt die Vermutung nahe, dass die Akteurinnen und Akteure in ihrer Funktion als Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft dem System des Jugendstrafrechts eine signifikant positive Wirkung beimessen, zumal es im Vergleich zum Erwachsenenstrafrecht den Erziehungsgedanken betont (vgl. Abschnitt 2.3.3). Dagegen dokumentiert sich im empirischen Befund dieser Untersuchung eine Distanz zu den Wirkungen des justiziellen Sanktionssystems, an dem Polizistinnen und Polizisten als Ermittlungspersonen mitwirken. Gerade im Handlungsfeld der Jugendsachbearbeiterinnen und Jugendsachbearbeiter mit ihrem hohen repressiven Aufgabenanteil wäre eine solche Orientierung theoretisch erwartbar gewesen. Es zeigt sich vielmehr in homologer Weise ein kollektiv geteiltes Wissen bezogen auf eine stigmatisierende und damit entwicklungshemmende Wirkung der justiziellen Befassung mit jugendlicher Delinquenz. Darin dokumentiert sich eine Skepsis gegenüber der präventiven Wirkung justizieller Reaktionen auf abweichendes Verhalten in Form eines Spannungsfeldes zwischen dem konjunktiven Erfahrungswissen der Akteurinnen und Akteure polizeilicher Präventionsarbeit und den gesetzlichen Zielsetzungen des Jugendstrafrechts. Hinzu kommt noch, dass die Arbeitspraxis von Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten mit der Anwendung des Gefahrenabwehrrecht einerseits und mit dem Strafrecht andererseits, von Rechtsvorschriften geprägt sind, die widersprüchlichen Funktionslogiken unterliegen. Der empirische Befund dieser Untersuchung zeigt, dass die polizeiliche Praxis bedingt durch gesetzliche Handlungsanforderungen und divergierende Erwartungen an Wirksamkeit von einer Komplexität geprägt ist, die sich in aporetischen Anforderungen entfaltet.

Das traditionell reaktive Handeln, bezogen auf Gefahren oder Straftaten, wird im Bereich der GefahrenvorsorgeFootnote 10 „eine prinzipiell unbegrenzte, nie endende Aktivität des Staates zur Risikominimierung“ (Denninger 2018, Rn 6). „Während das Ziel früher die Bekämpfung von Kriminalität war, ist heute die per definitionem unerreichbare Aufgabe der Herstellung von Sicherheit in den Vordergrund gerückt“ (Kretschmann und Legnaro 2019, S. 11). Jenseits unterschiedlicher Funktionslogiken von Repression und Prävention geben die explizierten polizeilichen Handlungsgrundlagen nur eine begrenzte Orientierung, die der Komplexität der Handlungspraxis nicht gerecht wird. Polizeigesetzen sind zwar Aufgabenzuweisungen für die Verhütung von Straftaten zu entnehmen, spezifische Befugnisse für die Präventionsarbeit gibt es dagegen nicht.Footnote 11 Der Handlungsrahmen wird vielmehr aus Dienstanweisungen, Konzeptionen, Zusammenarbeitsvereinbarungen u.ä. untergesetzlichen Regelungen gebildet. In Wissensbeständen, wie der polizeilichen EinsatzlehreFootnote 12 und der KriminalistikFootnote 13, die das polizeiliche Handeln beschreiben und die jeweils für sich einen wissenschaftlichen Anspruch reklamieren, ist die polizeiliche Präventionsarbeit nur am Rande relevant.

Im Gegensatz zu vielen anderen polizeilichen Arbeitsbereichen existiert für die Präventionsarbeit keine bundeseinheitliche Polizeidienstvorschrift, die mit Einzelmaßnahmen und fachlichen Standards die Handlungspraxis steuern und gestalten will. Zur Erklärung der Spezifik des Systems der polizeilichen Präventionsarbeit kann die Theorie der Strukturierung (vgl. Giddens 1995, S. 51 ff.) bemüht werden, die Handeln in Organisationen als eine Dualität von Struktur und Handlung beschreibt. Im Vergleich mit anderen polizeilichen Aufgaben, wie z. B. dem schutzpolizeilichen Streifendienst, sind die Regeln in der Präventionsarbeit deutlich unschärfer formuliert und die Interpretationsschemata des professionellen Handelns und der zu erreichenden Ergebnisse weniger verbindlich. Diese Orientierungsschemata und der empirische Befund dieser Untersuchung lassen eine rekursiv organisierte Struktur dieses polizeiliche Arbeitsfeldes erkennen (vgl. Giddens 1995, S. 77).

Weiterhin mangelt es in der Präventionsarbeit an einer genuin polizeilichen Gefahrenbewältigung und damit an kurzfristig sichtbaren Ergebnissen. Die Akteurinnen und Akteure in der Präventionsarbeit „wissen sehr wohl, dass ihre Tätigkeiten weniger spektakulär und prestigeträchtig sind, dass die Erfolgskriterien für ihre Arbeit weniger greifbar (und weniger messbar) sind und daher Anerkennung durch Vorgesetzte und Kollegen aus dem (repressiven) Einsatzbereich kaum zu erwarten sind“ (Barthel und Buschkamp 2019, S. 176). Dieses strukturelle Setting reduziert anerkannte Handlungsroutinen und den Umfang anerkannter Präventionsstandards (allgemeiner ausgedrückt: soziale Praktiken). Dadurch wird nicht nur Gestaltungsfreiheit und Individualität ermöglicht, begrenzt ausgeprägte Strukturen können auch organisational gewünschte Orientierungen vermissen lassen, Irritationen hervorrufen oder Simplifizierungen fördern. In diese Richtung weist auch der empirische Befund dieser Arbeit. Bei Orientierungen, die der Typus obrigkeitsstaatliche Präventionsarbeit repräsentiert, zeigt sich das in Modi zur Reduktion komplexer sozialer Zusammenhänge. Dagegen versammeln sich beim Typus subjektorientierte Präventionsarbeit Orientierungen, die mit komplexen Zusammenhängen differenziert umgehen. Bei Handlungsorientierungen im Sinne des Typus pädagogisierte Präventionsarbeit wurden die beschriebenen Irritationen sichtbar.

Es scheint insgesamt so zu sein, dass der Umgang mit Aporien an die Handlungspraxis delegiert ist und so eine gewisse Kontingenz fördert, die auf der Handlungsebene zu dem beschriebenen Herausforderungen führt. So kontrastiv sind dann auch die Orientierungsmuster. Die Modi zur Herstellung von Sicherheit reichen von Normverdeutlichung bis zur Normvermittlung.

Beitrag zur Theoriebildung

PräventionFootnote 14 erhöht die Komplexität des aporetischen polizeilichen Handelns, die in bisherigen Diskursen zu wenig Beachtung findet. Eine professionstheoretische Betrachtung dieses polizeilichen Handlungsfeldes steht vor der Herausforderung, erforderliche Kompetenzen und geeignete Methoden für dieses Handlungsfeld zu beschreiben. Eine Theorie der polizeilichen Präventionsarbeit muss über die in diesem Handlungsfeld erhöhte Komplexität aufklären und Beiträge zu ihrer Bewältigung liefern.

Die theoretische Ausdifferenzierung dieser spezifischen Professionalität soll auch strukturrelevante Erkenntnisse generieren, die ebenfalls der weiteren Professionalisierung dienlich wären.

6.3.2 Umgang mit pädagogischen Antinomien in der polizeilichen Präventionsarbeit

Neben den bereits beschriebenen Aporien der polizeilichen Handlungspraxis sind in der polizeilichen Präventionsarbeit auch typisch pädagogische Antinomien wirkmächtig. Wie der Diskurs um pädagogische Antinomien zeigt (vgl. Abschnitt 3.3), ist der Umgang mit widersprüchlichen Herausforderungen pädagogischer Arbeit prägendes Merkmal pädagogischer Professionalität. Die empirischen Ergebnisse dieser Untersuchung zeigen jedoch, dass die polizeiliche Präventionsarbeit neben genuin polizeilicher Professionalität von antinomischen pädagogischen Orientierungsmustern geprägt ist. Daher ist zu beschreiben, wie dieser Befund, unter Berücksichtigung spezifischer Erkenntnisse der pädagogischen Professionstheorie, eine pädagogische Theorie polizeilicher Präventionsarbeit konturieren kann. Den Ausgangspunkt für die folgende Argumentation bildet die Darstellung der Wirkmächtigkeit widersprüchlicher Anforderungen unterschiedlicher Systemlogiken, die das Handeln beeinflussen. Von zentraler Bedeutung ist die pädagogische Antinomie, die sich zwischen Freiheit und Zwang aufspannt, weil sie sich auf jegliche erzieherische Bemühungen erstreckt und daher auch für die polizeiliche Präventionsarbeit relevant ist. Eng verbunden damit ist die die Antinomie der Förderung der Entfaltungsmöglichkeiten und der Disziplinierung von Heranwachsenden. Ein weiteres Spannungsfeld ergibt sich durch Ungewissheiten, die sowohl dem professionellen pädagogischen als auch polizeilichen Handeln immanent sind. Letztlich ist noch ein Blick auf die Unterschiedlichkeit polizeilicher und pädagogischer Legitimation erforderlich.

Merkmale der polizeilich-pädagogischen Professionalität in der Präventionsarbeit werden zunächst kurz skizziert, dann an die empirischen Ergebnisse dieser Untersuchung angebunden und abschließend theoretisch fundiert.

Wirkmächtigkeit widersprüchlicher Anforderungen unterschiedlicher Systemlogiken

Die polizeilichen Aporien der Präventionsarbeit ergeben sich im Wesentlichen aus der Antinomie von Prävention und Repression (siehe Abschnitt 6.3.1). Durch die pädagogisch determinierte Präventionsarbeit werden die Grenzen professionsspezifischer Systemlogiken überschritten. Polizeiliches Handeln wird so typischen Herausforderungen pädagogischen Handelns ausgesetzt.

In den empirischen Ergebnissen dieser Untersuchung dokumentiert sich ein Spannungsfeld, welches sich zwischen der Gewährleistung der staatlichen Ordnung und der Befähigung zur gesellschaftlichen Teilhabe aufspannt. Der Umgang mit den Systemgrenzen wird durch die Selbstverortung der beforschten Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten im polizeilichen System sichtbar. Gleichzeitig ließ sich aber rekonstruieren, dass die Präventionspraxis von pädagogischem Handeln eben dieser Beamtinnen und Beamten durchzogen ist. Die Orientierungstypen unterscheiden sich im Umgang mit pädagogischer Systemlogik und dem Ausmaß der Adaption entsprechender Handlungsmuster. Während sich beim Typus obrigkeitsstaatliche Präventionsarbeit Orientierungen zeigen, mit denen pädagogische Situationen im Law-and-Order-Modus bewältigt werden, wurden bei den beiden anderen Orientierungstypen Modi sichtbar, die weitaus stärker pädagogisch beeinflusst sind. Bei den Orientierungstypen pädagogisierte Präventionsarbeit und subjektorientierte Präventionsarbeit dokumentiert sich implizites Wissen, dass die Entwicklung von jungen Menschen nicht mit polizeilichen Mitteln gefördert werden kann. Orientierungsmuster des Typus pädagogisierte Präventionsarbeit weisen ein Streben nach eigenem pädagogischen Handeln auf, das bei der Gestaltung von Arbeitsbeziehungen und dem Umgang mit der Unverfügbarkeit des LernensFootnote 15 von Menschen an seine Grenzen stößt. Dagegen überwindet der Typus subjektorientierte Präventionsarbeit die Grenzen der eigenen Handlungsmöglichkeiten in komplexeren pädagogischer Settings durch die Kooperation mit genuin pädagogischen Akteuren.

Abstrahiert man diesen Befund, werden unterschiedliche Perspektiven des Handelns deutlich. Polizeiliches Handeln erfolgt aus einem gesellschaftlichen Fokus heraus, dessen Ziel es ist, Normkonformität zu fördern, um das soziale Zusammenleben zu gewährleisten. Auf das Individuum wird aus der Perspektive der Gesellschaft bzw. des Staates eingewirkt. Dagegen sind pädagogische Orientierungsmuster von einer Subjektorientierung geprägt.Footnote 16 Eine Werteerziehung soll den Normsinn vermitteln, die Befolgung aus Einsicht fördern und so gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen und zur Übernahme von gesellschaftlichem Engagement anregen.

Sowohl Pädagoginnen und Pädagogen, als auch Polizistinnen und Polizisten in der Präventionsarbeit handeln in ihren jeweiligen Kontexten pädagogisch. Für die einen ist es der Kernbereich ihrer Professionalität und für die anderen ist damit ein Systemwechsel verbunden. Wenn sich in der polizeilichen Präventionsarbeit, wie dem Befund dieser Untersuchung zu entnehmen ist, pädagogisches Handeln dokumentiert, spiegelt sich die dafür erforderliche Professionalität in der Wirkmächtigkeit pädagogischer Antinomien wider, wie sie im Theorem von Helsper (2010) formuliert werden. Die pädagogischen Antinomien der Moderne fokussieren dabei primär das schulische Handlungsfeld oder, etwas allgemeiner ausgedrückt, pädagogische Professionalität in formalen Bildungssettings. Ein ähnlicher Fokus ist auch bei Schlömerkemper (2017) zu finden. Darüber hinaus „ist pädagogisches Handeln im Kontext von Erziehung und Bildung per se in Aporien angelegt“ (Welser 2017, S. 418). Welser (2017) hat Aporien und damit antinomische Handlungsanforderungen in der offenen Jugendarbeit rekonstruiert. Das weist über den spezifischen schulpädagogischen Diskus hinaus. Die Bewältigung pädagogischer Antinomien ist nicht nur von einer eng konturierten pädagogischen Professionalität geprägt, sondern vielmehr von spezifischen formellen und informellen pädagogischen Settings determiniert. Hinweise darauf sind bei Endres (2019) und Eich (2021) zu finden. Helsper nimmt in seinen Schriften primär das professionelle Lehrerinnen- und Lehrerhandeln in den Blick, sieht aber auch den professionsübergreifenden Forschungsbedarf. „Woran es allerdings mangelt, sind differenzierte empirische Studien über die verschiedenen professionellen Handlungsfelder hinweg“ (Helsper 2016, S. 60). Die bereits erwähnten neueren Studien von Welser, Endres und Eich liefern aus qualitativ-rekonstruktiver Perspektive Erkenntnisse zu diesem Forschungsdesiderat. Diese Untersuchung bietet ebenfalls Erkenntnisse zur professionsübergreifenden Relevanz von Antinomien und darüber hinaus zur Bedeutung von Aporien für die polizeiliche Präventionspraxis (siehe hierzu diesen Abschnitt 6.3 insgesamt). Der beschriebene Forschungsstand legt nahe, deutlich stärker Aporien in den unterschiedlichsten pädagogischen Situationen in den Blick zu nehmen und nicht nur auf Antinomien aus dem schulpädagogischen Kontext zu schauen.Footnote 17

Beitrag zur Theoriebildung

In der Präventionspraxis werden die Logik der Polizei und die Logik pädagogischer Systeme wirkmächtig. Eine Professionalitätstheorie der polizeilichen Präventionsarbeit muss es ermöglichen, die unterschiedlichen Systemlogiken professionell zu balancieren, indem reflektiert und situationsgerecht zwischen verschiedenen Modi gewechselt werden kann. Der empirische Befund dieser Untersuchung legt zunächst einmal offen, dass systemübergreifend gehandelt wird und pädagogische Handlungslogik zwangsläufig bei der Professionalisierung der polizeilichen Präventionsarbeit Berücksichtigung finden muss. Die zu entwerfende Theorie muss relevantes pädagogisches Wissen und erforderliche Kompetenzen für die polizeiliche Präventionsarbeit beschreiben. Mit diesen theoretischen Fundierungen wird über das polizeiliche Handlungsfeld hinaus systemisches Denken und Handeln ermöglicht.

Gewaltfreie, aber nicht zwangsbefreite Präventionsarbeit

Die legitime Anwendung von Gewalt in Form von unmittelbarem Zwang ist ein zutiefst polizeiliches Thema. Im Selbstbild der Beamtinnen und Beamten dokumentiert sich diesbezüglich eine Unvereinbarkeit von Prävention und Repression (siehe Abschnitt 6.3.1). Der Umgang mit Zwang ist sowohl für die polizeiliche als auch für die pädagogische Professionalität von Bedeutung. Sie nähern sich diesem Gegensatz aber aus unterschiedlichen Perspektiven. In der polizeilichen Handlungslogik beinhaltet Zwang Mittel zur Durchsetzung der staatlichen Ordnung und zur Gewährleistung einer freiheitlichen Gesellschaft. Mit Blick auf die Erziehung junger Menschen ist pädagogisches Handeln ebenfalls nicht frei von Zwängen. Pädagogische Begrenzungen der Machtausübung sollen zur Freiheit befähigen und gesellschaftliche Integration fördern. In der polizeilichen Präventionsarbeit treffen polizeiliche und pädagogische Aspekte von Zwang und Freiheit in spezifischer Weise zusammen und beeinflussen das professionelle Handeln der Polizistinnen und Polizisten. Die Charakterisierung der polizeilichen Präventionsarbeit als gewaltfrei, aber nicht zwangsbefreit weist pointiert darauf hin, dass genuin polizeiliche Zwangsausübung (insbesondere Machtausübung durch physische Gewaltanwendung) zurückgedrängt wird, genuin pädagogische Zwänge aber wirkmächtig bleiben, bzw. an ihre Stelle treten.

Die empirischen Ergebnisse dieser Untersuchung zeigen, dass sich in allen drei konstruierten Orientierungstypen Orientierungsmuster verorten lassen welche die Einhaltung von NormenFootnote 18 fördern wollen. Im Umgang mit Freiheit und Zwang dokumentieren sich jedoch maximal kontrastive Menschenbilder, die auf die jeweiligen Modi der Normvermittlung wirken. In den Orientierungen des Typus obrigkeitsstaatliche Präventionsarbeit dokumentieren sich Modi der Normübernahme, die auf die Anpassung junger Menschen an die durch die Akteurinnen und Akteure repräsentierten Normen abzielen. Im schulischen Kontext wird z. B. eine Unterstützung von Lehrkräften durch die Bereitstellung von psychischen Zwangsoptionen offeriert. Zur Unterbindung von Störungen und Androhung von Disziplinierungen wird auf die Strahlkraft der polizeilichen Repressionsautorität gesetzt. Diese Orientierungsmuster dokumentieren sich insbesondere in den Diskursen der Gruppe Paula. Die Freiheit des Einzelnen spielt in den Handlungsmustern eine untergeordnete Rolle.

In den Orientierungen des Typus pädagogisierte Präventionsarbeit dokumentiert sich dagegen implizites Wissen zu den Grenzen von Zwang in der Präventionspraxis. Eine Normakzeptanz und freiwillige Normübernahme kann mit Zwang nicht erreicht werden. Im empirischen Material dieser Arbeit wird sichtbar, dass Entwicklung Freiheit benötigt. Als Experten für öffentliche Sicherheit wollen sie deviantes Verhalten junger Menschen reduzieren und deren Selbstschutz fördern. Diese Handlungsmuster dokumentieren sich im Streben nach partnerschaftlichen Arbeitsbeziehungen und in Elaborationen zu Entwicklungsbedingungen junger Menschen.

In den Handlungsorientierungen, die für den Typus subjektorientierte Präventionsarbeit konstitutiv sind, zeigen sich Modi pädagogischer Wertevermittlung. Basierend auf konjunktiv geteiltem Wissen um die Unverfügbarkeit von Lernprozessen soll durch Einsicht in den jeweiligen Normsinn Normkonformität gefördert werden.

Da sich die Polizei in der Präventionsarbeit über angestammte repressive Handlungsschemata hinaus der präventiven Funktionslogik stellt, indem sie Normen vermittelt, rückt die Rolle von Zwang zwangsläufig ins Blickfeld (vgl. Abschnitte 2.5 und 6.3.1). Dafür gibt es unterschiedliche Gründe. Einerseits weist der empirische Befund dieser Untersuchung darauf hin, dass es bezogen auf den Umgang mit Zwang zu unterschiedlichen Orientierungsmustern bei den Akteurinnen und Akteuren der polizeilichen Präventionsarbeit kommt. Andererseits bewegt sich pädagogisches Handeln strukturell in einem Spannungsfeld zwischen der Befähigung zur Freiheit unter den Bedingungen des Zwanges. Das professionelle präventive Handeln der Polizei ist von der genuin pädagogischen Antinomie determiniert, die sich zwischen Autonomie und Heteronomie aufspannt, in dem Zwang aber eine besondere Gewichtung bekommt.

In dieser Untersuchung konnte sichtbar gemacht werden, dass sich die Beamtinnen und Beamten ihre Rolle in der Polizei als eine spezifische konstruieren. Bei den Präventionsbeamtinnen und Präventionsbeamten zeigte sich in homologer Weise die Abstinenz physischer Gewaltanwendung bzw. die Vermeidung repressiver Handlungspraktiken. Dieser Befund kann dahingehend interpretiert werden, dass repressives Handeln mit genuin polizeilichem Zwang gleichgesetzt wird und Präventionsarbeit vermeintlich Gewaltfreiheit symbolisiert. Darin zeigt sich, dass nicht nur auf theoretischer Ebene (vgl. Abschnitt 2.5), sondern auch in professionellen bzw. handlungspraktischen Zusammenhängen ganz unterschiedliche Bilder von ZwangFootnote 19 existieren. Damit wird dann auch der „Kern der Polizeiarbeit“ (Brodeur 2003, S. 259) verlassen. Das gelingt aber nicht vollständig, weil die polizeiliche Identität Teil des Handlungskonzepts bleibt, damit auch die Verwobenheit mit der Zwangsausübung.Footnote 20

In diesem Setting zeigt sich „wohl die grundlegendste Antinomie pädagogischen Handelns“ (Helsper 2010, S. 19): „Eines der größten Probleme der Erziehung ist, wie man die Unterwerfung unter den gesetzlichen Zwang, mit der Fähigkeit sich seiner Freiheit zu bedienen, vereinigen könne. Denn Zwang ist nötig! Wie kultiviere ich die Freiheit bei dem Zwange?“ (Kant 1995, S. 32). Das allgemeine Bildungsziel, junge Menschen in ihrer Selbstständigkeit und Eigenverantwortung zu fördern, führt schon durch die Regelhaftigkeit von Lehr-Lern-Arrangements in der Erziehungspraxis zu einem Spannungsfeld zwischen Freiheit und Regeln bzw. Zwängen. Mit diesem Spannungsfeld müssen alle Lehrenden umgehen. Wenn aber Regeln durch die zur Normdurchsetzung berufene Polizei vermittelt werden, rückt Zwang ungleich stärker in das Zentrum dieses Spannungsfeldes.

Es scheint verhältnismäßig leicht zu fallen, normative pädagogische Sollensvorstellungen zu formulieren und dazu Zwang als missliebige Begleiterscheinung pädagogischen Handelns gegenüberzustellen. Dagegen ist es auf praxeologischer Ebene weitaus schwieriger, zwischen zulässiger Einflussnahme und unerlaubtem Zwang zu unterscheiden und zwar insbesondere den Übergang zwischen dem einen und dem anderen Bereich zu bestimmen.

Spezifische Regeln für die pädagogische Praxis werden durch den Beutelsbacher Konsens (vgl. Wehling 1977) formuliert. Einst für die Didaktik der politischen Bildung entwickelt, sind die Inhalte dieses Beschlusses zumindest im schulischen Kontext Orientierungspunkte für die Begrenzung der Beeinflussung normativen Lernens.

Schülerinnen und Schüler dürfen durch Unterricht nicht überwältigt und nicht indoktriniert werden. Dieser normative Leitgedanke für den Politikunterricht hat eine Ausstrahlungswirkung auf die gesamte schulische Praxis, z. B. bezogen auf Globales Lernen (vgl. Scheunpflug 2008, S. 15 f.) oder die Religionspädagogik (vgl. Herbst 2019, S. 158). Diese Grundsätze haben daher auch Bedeutung für die Präventionsbeamtinnen und Präventionsbeamten sowie andere pädagogisch handelnde Akteurinnen und Akteure an Schulen oder, noch etwas weiter gefasst, ganz allgemein für das Handeln in pädagogischen Arrangements in staatlicher Verantwortung.

Als maximaler Kontrast dazu ist die Überwältigung anderer Personen im genuin polizeilichen Aufgabenbereich elementarer Bestandteil polizeilicher Handlungskonzepte. Besonders deutlich wird das an der Berechtigung oder gar Verpflichtung der Beamtinnen und Beamten zur körperlichen Überwältigung anderer Personen. Doch die Grenzen sind fließend, wie normenverdeutlichende Gespräche bzw. Gefährderansprachen zeigen (vgl. Abschnitt 2.4). Aus polizeilicher Perspektive handelt es sich um niedrigschwellige Eingriffsmaßnahmen ohne physische Zwangsanwendung. Junge Menschen sollen mit der Thematisierung ihres sozialschädlichen Verhaltens und der Verdeutlichung zukünftiger repressiver Konsequenzen von weiterem Fehlverhalten abgeschreckt werden. Pädagogisch betrachtet handelt es sich schon um eine starke, lenkende Einflussnahme auf den Willen anderer Personen.

Die staatliche Überwältigung hat auch Rechtmäßigkeitsgrenzen, wie die bereits erwähnte Berücksichtigung des VerhältnismäßigkeitsgebotsFootnote 21 oder des Verbots bestimmter Vernehmungsmethoden (vgl. § 136a StPO). Die polizeiliche Macht ist nicht unbegrenzt, dennoch kann als ultima ratio des polizeilichen Handelns von einem Überwältigungsgebot gesprochen werden, das dem Überwältigungsverbot pädagogischen Handelns gegenüber steht. Anders ausgedrückt: Freiheit soll pädagogisch durch Lernarrangements zu Denken und Urteilsbildung gefördert werden. Dagegen soll Freiheit mit genuin polizeilichen und justiziellen Mitteln den Kernbereichs der kommunikativen Willensbetätigung schützen. Idealerweise wollen Polizei und pädagogische Institutionen in einer freiheitlichen Demokratie das gleiche, aber ihre Ausgangspunkte und genuinen Mittel sind unterschiedlich.

Doch auch diese Autonomie respektierende und gewährleistende Selbstbeschränkung pädagogischen Handelns hat ihre Grenzen. Individuelle Freiheiten haben dort ihre Grenzen, wo elementare, unveräußerbare Rechte anderer berührt werden. Sie sind nicht nur durch Pädagoginnen und Pädagogen zu respektieren, Angriffe auf die Menschlichkeit sind vielmehr aktiv zu verteidigen. Darauf macht Adorno in eindrücklicher Weise aufmerksam: „Die Forderung, daß Auschwitz nicht noch einmal sei, ist die allererste an Erziehung. Sie geht so sehr jeglicher anderen voran, daß ich weder glaube, sie begründen zu müssen noch zu sollen“ (Adorno 2017, S. 88). Anhaltspunkte für das Erlaubte in der pädagogischen Praxis sind in den Maßstäben „der Moral des Zeigens“ (Prange 2010, S. 11 ff.) enthalten: „Wo immer erzogen wird, haben wir uns darum zu bemühen, dass unser Zeigen verständlich ist, zumutbar und anschlussfähig. Nur das Verständliche ist auch zumutbar und anschlussfähig, nur das Anschlussfähige zugleich auch zumutbar, nur das Zumutbare hat eine Chance verstanden und auch tatsächlich fortgesetzt zu werden“ (Prange 2010, S. 26). In diesem Koordinatensystem beinhaltet insbesondere das Merkmal der Zumutbarkeit Aspekte der Machtausübung. Was gelernt werden soll, liegt nicht in der freien Entscheidung der Kinder und Jugendlichen, ihre Wünsche und Interessen nicht zu berücksichtigen, ist auch nicht angemessen. Vielmehr handelt sich es sich um einen Aushandlungsprozess zwischen Lehrenden und Lernenden. „Es wäre aber verfehlt, diese Frage der Zumutbarkeit dadurch zu umgehen, dass man darauf verzichtet, überhaupt etwas zuzumuten und nur noch Angebote zu machen, die dann entweder angenommen oder verworfen werden“ (Prange 2010, S. 24). Dagegen will Giesecke professionelles pädagogisches Handeln auf die Schaffung von Lerngelegenheiten beschränken (vgl. Giesecke 1996, 2015, S. 27).

Das Spezifische einer Machtausübung in pädagogischen Situationen ist, dass es einerseits jegliches Handeln umfasst, Lerngegenstände bestimmt, dazu Lernangebote unterbreitet, aber auch Lernen fordert (Verbindlichkeit), und dass andererseits die Lernenden auch erreicht und nicht überwältigt werden dürfen (Freiheit). Im Unterschied zur Ausübung polizeilicher Macht existieren bei pädagogischer Machtanwendung Aushandlungsoptionen. Diesen Unterschied beobachten die Polizeibeamtinnen und Polizei in ihrer Präventionspraxis, so zumindest Erkenntnisse auf der kommunikativ generalisierenden Ebene dieser Untersuchung. Sie nehmen Pädagoginnen und Pädagogen als Akteurinnen und Akteure war, die an die Einhaltung von Regeln keine eindeutigen bzw. im Kollektiv, z. B. im Lehrkollegium, keine einheitlichen Maßstäbe anlegen. So empfehlen Prange und Strobel-Eisele auch, auf Normverletzungen eher nicht zu reagieren und mit Fehlverhalten mit Rücksicht auf die Lernenden eher großzügig umzugehen (vgl. Prange und Strobel-Eisele 2015, S. 152). Giesecke ist der Auffassung, „dass die Schule erzieherische Einwirkungen auf das Verhalten in der Schule beschränken muss“ (Giesecke 2015, S. 31). Die in dieser Untersuchung rekonstruierten polizeilichen Orientierungsmuster bilden hierzu einen maximalen Kontrast, da für Polizeiarbeit die Verbindlichkeit von Normen unabhängig von Adressaten und Orten konstitutiv ist. In dieser Gegenüberstellung unterschiedlicher Handlungsoptionen wird deutlich, dass Freiheiten und Zwänge im pädagogischen Handeln nicht nur durch die in der Situation handelnden Lehrenden und Lernenden bestimmt werden, sondern auch durch zugrundeliegende professionsspezifische Handlungslogiken der Akteurinnen und Akteure.

Ganz allgemein ist die Anwendung von Zwang charakteristisches Merkmal der Polizeiarbeit, die in spezifischer Weise in die polizeiliche Präventionsarbeit hineinwirkt. In diesem zentralen Merkmal unterscheidet sich die polizeiliche Präventionsarbeit von anderen polizeilichen Handlungsfeldern. Sie will ohne polizeilichen Zwang auskommen, wie auch die rekonstruierten Orientierungen dieser Untersuchung zeigen. Wirkmächtig bleibt allerdings die dem pädagogischen Handeln innewohnende Antinomie von Freiheit und Zwang. Mit Zwang alleine würde eine freiheitliche Gesellschaft keine stabile normative Konstitution erreichen können. „Ohne moralische Einsicht der Bürger in die Legitimität demokratischer Verfahren sind Demokratien gar nicht denkbar“ (Brumlik 2011, S. 108). Es bedürfte eines permanenten Repressionsdrucks, dem wiederum der Freiheitsgedanke entgegensteht.

Regeln müssen also nicht nur vermittelt, gelernt und eingehalten, sondern auch durch die Gesellschaft getragen werden, beschränkend, z. B. durch informelle Sozialkontrolle, ermöglichend durch Engagement für die Rechte anderer, z. B. durch Zivilcourage bzw. Nothilfe. Die Übernahme von Normen soll auch immer gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen,Footnote 22 wie sich in den Handlungsorientierungen des empirischen Befundes dieser Untersuchung zeigt. Weder die Polizei noch Bildungseinrichtungen können Regelkonformität und Normativität herstellen, sondern immer nur einen Beitrag dazu leisten. Polizeiliche Bildungsarbeit in Gestalt von Präventionsmaßnahmen verbindet dabei unterschiedliche Handlungsfelder und erweitert damit den eigenen Aktionsradius. Die Durchbrechung der repressiven Rollenzuweisung kann nicht ohne Wirkungen auf die eigene Professionalität bleiben.

Die Polizei begibt sich freiwillig bzw. zwangsläufig mit ihrem präventiven Handeln in pädagogische Spannungsfelder, die sich zwischen Autonomie und Heteronomie aufspannen. Wie sich auch im empirischen Befund dieser Untersuchung zeigt, sind Modi der Zwangsanwendung tief in der polizeilichen Rolle verhaftet, mit ihr untrennbar verbunden. Polizistinnen und Polizisten können sich dieser Rollenzuweisung aufgrund bestehender Handlungspflichten nicht entledigen (siehe Abschnitt 6.3.1). Das Spezifische polizeilicher Expertise mit Blick auf die Präventionsarbeit sind unmittelbare Erfahrungen im Umgang mit abweichendem Verhalten und die Legitimation zur weitreichenden Zwangsausübung. In der polizeilichen Präventionsarbeit ist pädagogisches Handeln immer dann zu vermuten, wenn es nicht auf eine direkte Verhaltenslenkung oder Verhaltensbeschränkung ausgerichtet ist, sondern die Wirkung aufgrund der gewährleisteten Unverfügbarkeit der Adressaten für die Handlungssituation konstitutiv ist. Selbst wenn Polizei mit pädagogischen Mitteln Normen vermitteln möchte oder in einem Abschreckungsmodus Normen verdeutlichen will, bleibt am Ende immer die gesellschaftliche Erwartung bzw. die gesetzliche Pflicht zur Normdurchsetzung (vgl. Abschnitt 2.5). Die Freiheiten des pädagogischen Handelns in der polizeilichen Präventionsarbeit sind daher begrenzt. In pädagogischen Professionalitäten ist der Umgang mit Regelverstößen dagegen von einem Opportunitätsprinzip geprägt. Es gibt ein Entschließungsermessen, eine Handlungsfreiheit, ob und in welcher Intensität interveniert wird. In dem Maße, in dem die Polizei jungen Menschen Lerngelegenheiten bietet und sich damit auf die pädagogische Perspektive einlässt, wird der Umgang mit Freiheit und Zwang zu einem handlungsrelevanten Spannungsfeld. Der Perspektivwechsel wird jedoch dadurch begrenzt, dass die Akteurinnen und Akteure immer in der Rolle der Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten verbleiben und so auch durch ihre Präventionsumwelt wahrgenommen werden wollen, so zumindest der empirische Befund dieser Untersuchung. Es mangelt nicht an Feststellungen, dass pädagogisches Handeln von Zwang begleitet ist (vgl. Radtke 2007). Allein der Umstand, dass das Disziplinieren zum polizeilichen Kerngeschäft gehört, pädagogisch jedoch „ein lange Zeit vernachlässigtes systematisches Problem“ (Brumlik 2011, S. 106) ist, erhöht die Anforderungen des Handelns von Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten in pädagogischen Settings.

Daraus folgt, was Zwang ist, was zulässige Beeinflussung von Lernprozessen bzw. pädagogische Machtausübung umfasst oder unpädagogisches Handeln jenseits von gesetzlichen Verboten darstellt, eröffnet weite Interpretationsspielräume.

Beitrag zur Theoriebildung

Polizeiliche Präventionsarbeit ist gewaltfrei, aber nicht zwangsbefreit. Pädagogisches Handeln ist durch die Antinomie von der Befähigung zur Freiheit durch Zwang geprägt. Dieser Gegensatz wird verstärkt, wenn zur unmittelbaren Zwangsanwendung verpflichtete Akteure in Bildungsräumen bzw. pädagogischen Settings handeln. Eine Professionalitätstheorie der polizeilichen Präventionsarbeit sollte den reflexiven Umgang mit unterschiedlichen Formen von Zwang thematisieren.

Der Umgang mit pädagogischer Macht, mit Zwang und mit Sanktionen sind in der Erziehungswissenschaft marginalisierte Themen. Es fehlt ein deutlich wahrnehmbarer Diskurs, der sich mit diesen ubiquitären Bestandteilen pädagogischer Praxis unaufgeregt auseinandersetzt. Für die polizeiliche Präventionsarbeit bedarf es theoretischer Klärungen, weil sich das genuin polizeiliche Überwältigungsgebot in der gesellschaftsorientierten Normdurchsetzung und das pädagogische Überwältigungsverbot in der subjektorientierten Normvermittlung handlungspraktisch ineinander verschränken. Damit erhält Zwang zumindest implizit ein besonderes Gewicht, insbesondere wenn er unreflektiert und damit unkontrolliert bleibt. Eine theoretische Fundierung dieses Handlungsrahmens ist schon allein deshalb erforderlich, weil Polizei a priori mit Zwangsausübung in Verbindung gebracht wird, während es pädagogisch nur mitgängig und weniger offenkundig Teil des Handeln ist. Auf der Grundlage des empirischen Befundes dieser Untersuchung kann schon jetzt eine Grenze pädagogisch fundierter polizeilicher Präventionsarbeit gezogen werden. Der zu definierende Handlungsrahmen wird überschritten, wenn Prävention als smarte Variante der RepressionFootnote 23 daher kommt.

Polizeiliche Präventionsarbeit ist Handeln in doppelter Ungewissheit

Im vorangegangenen Abschnitt wurde die Bedeutung von Zwang für die polizeiliche Präventionsarbeit beschrieben. Damit einher geht die Überlagerung von Wirksamkeitshorizonten, die divergenten polizeilichen und pädagogischen Handlungslogiken entstammen. Polizeiliche und pädagogische Akteurinnen und Akteure haben unterschiedliche Ungewissheitshorizonte. Polizeiliches Handeln soll unmittelbar das Verhalten beeinflussen, muss aber nur in der spezifischen Situation bzw. zeitlich befristet wirken. Die Langzeitwirkung ist ungewiss. Abschreckung oder Einsicht als Folge von polizeilichen Maßnahmen können zu Verhaltensänderungen führen. Eine solche Wirkung ist zwar erwünscht, aber nicht vordringliches Messinstrument polizeilicher Erfolge. „Ungewissheit ist zunächst ein Strukturmerkmal jeder Lebenspraxis“ (Helsper 2008, S. 162) und somit auch konstitutiv für jegliches professionelles Handeln. Unsicherheiten sind typisch für zukunftsgerichtetes Handeln, das auf der Basis eines begrenzten bzw. unvollständigen Informationsstandes erfolgt. Im Vergleich mit polizeilicher Handlungslogik ist pädagogisches Handeln von einer doppelten Ungewissheit geprägt. Die Heranwachsenden sind bereits während der pädagogischen Interaktion unverfügbar, ob und in welcher Weise Lernen stattgefunden hat, ist ebenfalls unverfügbar. „Die wertbezogenen Versprechen der Professionen […] sind nur unter Mitwirkung ihrer Adressaten möglich, die zumindest als Konstrukteure fungieren, und die nie direkt und vollständig von Professionellen zu instruieren und zur Mitwirkung aufzufordern sind“ (Helsper 2016, S. 55).

Im empirischen Befund dieser Untersuchung zeigt sich kollektiv geteiltes Wissen zur Differenz zwischen genuin polizeilichen Handlungsmodi und den Handlungsanforderungen der polizeilichen Präventionsarbeit. Dieses kollektiv geteilte implizite Wissen drückt sich in unterschiedlichen Erwartungen an Wirksamkeit aus. Bei Akteurinnen und Akteuren, deren Handlungsorientierungen im Typus obrigkeitsstaatliche Präventionsarbeit verortet werden können, zeigt sich in der Fokussierung auf Belehrungen junger Menschen, insbesondere die Erwartung, mit Abschreckung Verhalten junger Menschen beeinflussen zu können. Die aporetische Struktur des Handelns wird durch eine Orientierung an genuin polizeilichen Praktiken abgemildert. Beim Typus pädagogisierte Präventionsarbeit wird dagegen eine Exklusion der Wirksamkeitsverantwortung für Lernerfolge sichtbar. Lernerfolge werden ganz entscheidend durch die Entwicklungsbedingungen junger Menschen beeinflusst. Sofern Eltern hier an ihre Grenzen stoßen, ist soziale Unterstützung erforderlich. Dafür ist die Polizei nicht zuständig. Weiterhin mangelt es an pädagogischen Zwangsmitteln im Sinne einer Sozialtechnologie. In Diskursen, die für diesen Typus konstitutiv sind, werden Entlastungsstrategien sichtbar, mit denen widersprüchliche Handlungsanforderungen handhabbar gemacht werden. Dagegen wird beim Typus subjektorientierte Präventionsarbeit, der sich an einem Vermittlungsmodus orientiert, konjunktives Wissen um pädagogische Technologiedefizite und der Unverfügbarkeit von Menschen in pädagogischen Situationen sichtbar.

In der Typologie der Handlungsorientierungen polizeilicher Präventionsarbeit dieser Arbeit dokumentiert sich ein maximal kontrastiver Umgang mit den Ungewissheiten des eigenen Handelns. Darin zeigt sich aber auch gleichzeitig die Bedeutung der pädagogischen Ungewissheitsantinomie für die Professionalität der polizeilichen Präventionsarbeit. Jegliche Erziehungsbemühungen sind mit einer Ergebnisungewissheit verbunden. Die Ungewissheitsantinomie macht daher deutlich, dass pädagogisch Handelnde „einerseits davon ausgehen müssen, wissen zu können, was ihr Handeln bewirkt, andererseits aber keine ‚Technologie‘ besitzen, um ihre Absicht sicher stellen zu können. Sie müssen im Modus des ‚Als-ob‘ Gewissheit simulieren, da ansonsten ihr Handeln grund- und haltlos würde“ (Helsper 2008, S. 165).

Die Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten müssen in pädagogischen Situationen mit einer veränderten Handlungsstruktur umgehen. In polizeilichen Interventionssituationen steht die Ungewissheit typischerweise am Anfang. So ist beispielsweise schwer kalkulierbar, wie eine unbekannte Person reagiert, die nach einem begangenen Diebstahl überprüft wird. Im Laufe der Interaktion wird die Situation kalkulierbarer, die Ungewissheit reduziert sich. In pädagogischen Situationen sind die Ungewissheiten anders gelagert. Die Adressatinnen und Adressaten sind in der Regel bekannt und damit einschätzbar. Die Situation ist grundsätzlich deutlich weniger konfliktorisch definiert. Der Schwerpunkt der Ungewissheit liegt am Ende des Handelns, in der Ungewissheit dessen, was gelernt wurde. Beispiel: „Die normative Erwartung wird temporalisiert – vielleicht lernt der Schüler es später oder es klappt bei der nächsten Klassenarbeit“ (Treml 2000, S. 97).

Im pädagogischen Kontext verändert sich für die Polizistinnen und Polizisten die Handlungslogik in Bezug auf den Raum. Pädagogische Arrangements, insbesondere an formalen Lernorten wie Schulen, sind davon geprägt, dass Lernen unter einem herabgesetzten Risiko des Scheiterns ermöglicht wird (vgl. Scheunpflug 2001, S. 71). Giesecke will sogar die Reichweite der Lehrverantwortung auf die Lernort Schule begrenzen. Was mit den Gelernten angefangen wird, liegt dann in der unverfügbaren Mündigkeit der Schülerinnen und Schüler (vgl. Giesecke 2015, S. 26). Es zeigen sich unterschiedliche Erwartungen an Wirksamkeit pädagogischer und polizeilicher Systeme. Allerdings dürfte unstrittig sein, dass mit der Vermittlung von Normen (vgl. Stein 2012, S. 663 f.) eine Wirkung erreicht werden soll, die über die Dauer der pädagogischen Handlung deutlich hinausgeht.

Jenseits von Wirksamkeitshorizonten fokussiert sich pädagogisches Handeln auf mehr oder weniger ausgeprägte Laborsituationen. Genuin polizeiliches Handeln findet dagegen nicht nur in der Welt des vollen Risikos statt, es ist vielmehr darauf ausgerichtet, bestimmte Risiken final zu beseitigen oder zumindest zu reduzieren. Die Ergebnisverantwortung von Lehrerinnen und Lehrern ist möglicherweise auf den Lernort Schule begrenzt, polizeiliche Verantwortung macht dagegen nicht an Schultoren halt. Wird dann noch auf inhaltlicher Ebene die Ergebnisoffenheit von Wertevermittlung berücksichtigt, können die unterschiedlichen Erwartungen an Wirksamkeit wie folgt zusammengefasst werden: Pädagogisches Handeln kann bzw. soll verhaltenswirksam sein. Genuin polizeiliches Handeln muss verhaltenswirksam sein. Am Ende jeder Prävention steht die Freiheit, sich erwartungswidrig zu verhalten.

Beitrag zur Theoriebildung

Polizeiarbeit ist auf Ergebnisgewissheit zum Zeitpunkt des Handelns durch Anwendung gesetzlicher Befugnisse ausgerichtet. In den rekonstruierten Orientierungen dieser Untersuchung dokumentiert sich die Wirkmächtigkeit unterschiedlicher Handlungslogiken in der polizeilichen Präventionspraxis. Im Gegensatz zu genuin polizeilichen Erwartungen an Wirksamkeit muss eine Professionalitätstheorie für die polizeiliche Präventionsarbeit den Umgang mit der Ergebnisoffenheit pädagogischen Handelns beschreiben. Eine Theorie der polizeilichen Präventionsarbeit muss sich mit der doppelten Ungewissheit in der polizeilichen Präventionspraxis hinsichtlich der Unverfügbarkeit situativen Lernens und langfristiger Wirkungen befassen.

Pädagogischer Legitimationszwang

Die Polizei ist ein Teil der Eingriffsverwaltung des Staates und soll im genuinen Aufgabenbereich exklusiv für Sicherheit und Ordnung sorgen. Aufgaben und Befugnisse sind normiert (vgl. Abschnitt 2.1, 6.2 und 6.3.1). Das Handeln bedarf, wie im Verwaltungsrecht üblich, immer einer Legitimation durch spezifische Aufgaben und Befugnisse. Auch wenn das Schulwesen unter der Aufsicht des Staates steht, ist Bildung und Erziehung keine alleinige öffentliche Aufgabe, sondern wird von vielen Institutionen bzw. Akteurinnen und Akteuren getragen. Während das Polizeiwesen als ein eher geschlossenes System konstruiert ist, zeigt sich das Bildungswesen in einer vergleichsweise großen Diversität und Offenheit. Wie bereits in diesem Kapitel mehrfach beschrieben, haben polizeiliche und pädagogische Systeme ganz individuelle Funktionslogiken, die sich auf der praxeologischen Ebene in ganz unterschiedlichen Handlungsmustern zeigen und so zu einer spezifischen Legitimationsantinomie führen.

Wie oben zum Spannungsfeld widersprüchliche gesellschaftliche Erwartungshaltungen an die Polizei (vgl. Abschnitt 6.3.1) dargestellt, zeigten sich bei den in dieser Untersuchung rekonstruierten Orientierungstypen, bezogen auf die Präventionsarbeit, maximal kontrastive Handlungsmuster, bei gleichzeitiger Verankerung im System der Polizei. In den Diskursen zu dieser Selbstverortung zeigte sich auf der kommunikativ generalisierenden Ebene, dass die Beamtinnen und Beamten ihre Präventionsarbeit aus der polizeilichen Aufgabenstellung ableiten. Aus diesen Beschreibungen ließen sich Orientierungsmuster rekonstruieren, in denen ein polizeiliches Selbstbild handlungsleitend bleibt. Gleichzeitig ist in pädagogischen Situationen der Präventionspraxis auch mit der spezifischen Systemlogik umzugehen. Beiden Systemen ist gemein, dass ihr Handeln begründbar sein muss. Unterschiede ergeben sich jedoch bezogen auf inhaltliche Aushandlungsprozesse, der Mitwirkung der Adressatinnen und Adressaten sowie dem Erfordernis von Arbeitsbeziehungen. Streng genommen sind diese Kriterien im genuin polizeilichen Handeln verzichtbar, weil die polizeilichen Ziele im Zweifelsfall mit Zwang durchgesetzt werden können oder sogar müssen. Für Lernen ist dagegen eine Kooperation zwischen Lehrenden und Lernenden konstitutiv. Begründungen für das Handeln, für die Gestaltung von Lehr-Lern-Arrangements, müssen nicht nur begründbar sein, sie müssen vor allem akzeptiert werden. In pädagogischen Situationen gibt es nicht die Möglichkeit, sich auf eine Kasuistik gesetzlich definierter Maßnahmen zu berufen. Pädagogisches Handeln muss jeweils individuell entworfen werden und unterliegt damit deutlich umfassenderen Legitimationserfordernissen.

Mit dem Wechsel von genuin polizeilichem Handeln in die Präventionsarbeit unterwerfen sich die Beamtinnen und Beamten auch dem pädagogischen Legitimationszwang. Die polizeilichen Akteurinnen und Akteure müssen persönliche Akzeptanz und Autorität erwerben, die ihnen sonst institutionell zugewiesen sind, bzw. sich aus den gesetzlichen Aufgaben und Befugnissen ergeben. Sie unterliegen den Herausforderungen, die Helsper (2016) als Begründungsantinomie beschreibt.

„Professionelle müssen ihr Handeln und ihre Interventionen begründen können. Sie sind besonders stark gefordert, ihr Handeln an begründbaren und legitimen Orientierungen auszurichten. Zugleich agieren sie in hochkomplexen, von starkem Entscheidungsdruck gekennzeichneten und mit deutlichen Risiken für die ihnen anvertrauten Klienten verbundenen Situationen und Handlungsdynamiken“ (Helsper 2016, S. 54).

So müssen beispielsweise pädagogische Arbeitsbeziehungen zu Kindern und Jugendlichen durch den Erwerb individueller Autorität der pädagogisch handelnden Polizistinnen und Polizisten hergestellt und können nicht als selbstverständlich angesehen werden. Dagegen kann der genuin polizeiliche Kontakt zwischen Polizistinnen bzw. Polizisten und jungen Menschen rein technischer Natur sein. Die Unterwerfung unter das Gesetz ist nicht aushandlungsfähig. Die Akzeptanz des polizeilichen Handelns ist nicht disponibel, sondern hinzunehmen (Option des Sofortvollzugs gesetzlicher Zwangsmaßnahmen). Der hoheitliche Status und die Uniform erzeugen allerdings keine pädagogische Legitimation für die Arbeit in Bildungseinrichtungen. Eine statusbezogene, legitimierende Erwartung ist in den Orientierungen des Typus obrigkeitsstaatliche Präventionsarbeit sichtbar geworden. Jenseits der Schulpflicht, die zu einer Selbstverständlichkeit geworden ist (vgl. Prange 2010, S. 80), gibt es in einer freiheitlichen, demokratischen, pluralistischen Gesellschaft kaum Verbindlichkeiten, was Bildung und Erziehung anbelangt. Und selbst an Schulen besteht zwar eine Anwesenheits- aber keine Lernpflicht. Darüber hinaus ist eine große Vielfalt von Bildungsangeboten, einschließlich informeller Lerngelegenheiten, gegeben. Begründungen von Lernarrangement dienen nicht nur der Transparenz von Lehrabsichten und der Gewinnung der Lernenden für die Lernziele, sondern auch der Absicherung und ReflexionFootnote 24 des pädagogischen Handelns.

Eine weitere Facette des Legitimationserfordernisses ergibt sich durch die Existenz einer Vielzahl unterschiedlicher Akteure in der Präventionsarbeit. In den Diskursen der für diese Arbeit interviewten Gruppen wurde das z. B. in der Kooperation mit anderen Akteurinnen und Akteuren sichtbar. Anders als im genuin polizeilichen Handeln verfügt die Polizei in der Präventionsarbeit über kein Alleinstellungsmerkmal. Die Präventionsarbeit ist multiprofessionell geprägt (vgl. z. B. Görgen et al. 2013, S. 123 f.). Die Polizei befindet sich im Verhältnis zu anderen Akteurinnen und Akteuren schlechtestenfalls in einer Konkurrenzsituation und bestenfalls in einem Kooperationsarrangement. Der schulische Erziehungsauftrag umfasst auch Aspekte der Präventionsarbeit (vgl. Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland 2004, S. 9 f.; Schubarth 2010, S. 12 ff.; Melzer 2015, S. 99).

Während die Zusammenarbeit von Schulen und der Polizei konzeptionellFootnote 25 und praxisbezogenFootnote 26 unterlegt ist und einen Hauptaktionsraum der polizeilichen primären Präventionsarbeit darstellt, scheint ein Professionalitätsdiskurs insbesondere zur Zusammenarbeit zwischen polizeilichen und schulischen Akteure weitgehend auszubleiben. Eick (2014, 2017)Footnote 27 kommt aus politikwissenschaftlicher Perspektive in einer ethnografischen UntersuchungFootnote 28 zum Ergebnis, dass aufgrund einer fehlenden gesetzlichen Aufgabenzuweisung und zweifelhafter Wirkung der Präventionsbestrebungen die Polizei gar nicht an Schulen tätig werden sollte. Nach der ähnlichen Bewertung von Schilling ist die Präventionsarbeit an Schulen – entgegen aller Praxis – keine polizeiliche Aufgabe, weil die Polizei nicht dazu befähigt ist (vgl. Schilling 2020, S. 278) und es an einer entsprechenden Rechtsgrundlage mangelt (vgl. Schilling 2020, S. 281 ff.). In der Erziehungswissenschaft ist das Engagement der Polizei kein schulpädagogisch wahrnehmbares Thema. So befasst sich beispielweise Schubarth mit Theorie und Praxis schulischer Gewaltprävention. Mit der Polizei als bundesweit aktiven Institution in der schulischen Präventionsarbeit setzt sich der Autor jedoch nicht auseinander (vgl. Schubarth 2010, S. 98 ff.).

Systembedingt gibt es zwischen professionellem polizeilichem und pädagogischem Handeln Spannungsfelder. (Die unterschiedlichen Systemlogiken wurden bereits skizziert.) Dafür steht der kontinuierliche Diskurs zum Verhältnis zwischen Polizei und Sozialer Arbeit in der Kinder- und Jugendarbeit. Je nach Perspektive und Interessenlage zeigen die Autoren Kooperations- oder Abgrenzungserfordernisse auf (vgl. Pütter 2015, S. 69). Jenseits normativer Implikationen, berufsständischer Überlegungen und unterschiedlicher Perspektiven auf die Rolle von Polizei und Sozialer Arbeit (vgl. Pütter 2015, S. 2) sowie den Möglichkeiten und Grenzen von Kooperation verdeutlichen die Diskurse an sich das offensichtlich bei beiden Berufsgruppen bestehende Legitimationsbedürfnis. Die folgende Skizze markiert exemplarisch die unterschiedlichen professionsspezifischen Positionen. So betont z. B. Jasch die „konträren Arbeitsgrundlagen“ (Jasch 2018, S. 2) und folgert, dass daher Spannungen zwischen den beiden Professionen immanent sind (vgl. Jasch 2018, S. 2). Eine deutlich optimistischere Position vertritt dagegen Gloss: „Polizei und Sozialarbeit arbeiten häufig an den gleichen Problemlagen und sind insbesondere dann erfolgreich, wenn die Maßnahmen und das Engagement abgesprochen werden. Das Miteinander besteht in der guten Kooperation“ (Gloss 2018, S. 6). Sozialarbeiter sehen sich durch die Kooperationsbemühungen der Polizei vereinnahmt. „Es verwundert daher nicht, dass sich viele Sozialpädagogen vor einer Verpolizeilichung der Sozialen Arbeit fürchten“ (Jasch 2018, S. 2). Fritsch verweist dagegen vermittelnd darauf, dass die Schnittstellen der Berufsgruppen Knotenpunkte und keine Schwachstellen sein sollten (vgl. Fritsch 2011, S. 397).

Da die hier untersuchte Präventionsarbeit keine genuin polizeiliche Aufgabe ist, bedarf es regelmäßig legitimierender Begründungen zur Klärung, warum Polizei, in welchem Umfang, mit welchen Zielen in der Präventionsarbeit aktiv ist. Exklusiv sind in diesem Handlungsfeld nur die spezifische Expertise und der sich damit verbindende Habitus.

Beitrag zur Theoriebildung

Die polizeiliche Präventionsarbeit unterwirft sich dem pädagogischen Legitimationszwang. Pädagogisches Handeln bedarf kontinuierlich individueller bzw. gruppenbezogener Begründungen, aus denen dann Legitimation für Arbeitsbündnisse und Lernziele erwachsen. Bei genuin polizeilichem Handeln reichen dagegen gesetzliche Eingriffsermächtigungen aus. Eine freiwillige Unterwerfung unter rechtmäßige Polizeimaßnahmen erleichtert deren Durchsetzung, sie ist aber keine konstitutive Voraussetzung für erfolgreiche Polizeiarbeit. Mit der Übernahme pädagogischer Handlungsmuster in die polizeiliche Praxis wird das ordnungs- und sicherheitsbehördliche Legitimationserfordernis um eine pädagogische Handlungsbegründung ergänzt. Die Aufgabe einer Professionalitätstheorie polizeilicher Präventionsarbeit ist es, die spezifische Legitimation dieser Praxis explizit zu begründen. Diese Theorie muss weiterhin Orientierungen zur Erarbeitung von Arbeitsbeziehungen geben und Autorität im pädagogischen Kontext ermöglichen.

6.3.3 Hybridität der Handlungsanforderungen

In den vorangegangenen Abschnitten 6.3.1 und 6.3.2 wurden die Handlungsanforderungen an die polizeiliche Präventionsarbeit mit Kindern und Jugendlichen beschrieben. Dabei wurde sichtbar, dass sowohl die genuin polizeiliche Arbeit, als auch die von pädagogischem Handeln geprägte Präventionsarbeit in Aporien angelegt ist. Für die Beschreibung des professionellen Handelns in der polizeilichen Präventionsarbeit ist die Gleichzeitigkeit des Handelns in unterschiedlichen Systemen von herausgehobener Bedeutung. Die folgende Zusammenschau ausgewählter empirischer Ergebnisse dieser Untersuchung soll zeigen, dass sich die Handlungsanforderungen nicht ergänzen, sondern sich in hybrider Weise überlagern, damit die Komplexität erhöhen und die darin eingelagerten Aporien in der Handlungspraxis zu balancieren sind.

Diese Überlagerung lässt sich exemplarisch an der pädagogischen Antinomie von Autonomie und Heteronomie sowie der polizeilichen Antinomie von Prävention und Repression zeigen. Zentrales antinomisches Merkmal pädagogischer Professionalität ist die Förderung von Autonomie unter den Bedingungen von Heteronomie. Jegliche Lernangebote zur Förderung von Mündigkeit, Entscheidungs- und Partizipationsfähigkeit sind in Lernarrangements von Regeln bzw. Zwängen durchsetzt. Diesen Widerspruch muss auch die polizeiliche Präventionsarbeit bewältigen (vgl. Abschnitt 6.3.2). Zwang ist nur ein Begleitmerkmal pädagogischen Handelns; Repression ist dagegen in viel stärkerem Maße konstitutives Merkmal polizeilicher Praxis. Aber auch im System der Polizei zeigen sich unterschiedliche Funktionslogiken, die sich zwischen Repression und Prävention aufspannen (vgl. Abschnitt 6.3.2).

Die Hybridität der Aporie, die durch die Gleichzeitigkeit widersprüchlicher polizeilicher und pädagogischer Handlungsanforderungen entstehen, zeigt sich bei den Orientierungstypen polizeilicher Präventionsarbeit im unterschiedlichen Umgang mit diesen Praxisherausforderungen. Akteurinnen und Akteure, bei denen sich Orientierungsmuster im Sinne des Typus obrigkeitsstaatliche Präventionsarbeit zeigen, tragen genuin polizeiliche Handlungsmuster in die Schule, was zu einer Durchbrechung pädagogischer Eigenlogik führt und auf diese Weise Konfliktpotenziale beinhaltet. Besonders sichtbar wird das, wenn z. B. am Lernort Schule aus der Präventionsarbeit heraus für Ordnung gesorgt wird. Dann wird der Bildungsort zu einer polizeilichen Arena. Als maximaler Kontrast dazu wird der polizeiliche Auftrag zur Gewährleistung staatlicher Ordnung beim Typus subjektorientierte Präventionsarbeit in einen Prozess der Normvermittlung transferiert. Die Lernarrangements werden darauf ausgerichtet, dass junge Menschen Normen verstehen, reflektieren und entsprechende Werthaltungen entwickeln. Jenseits dieser Orientierungsmuster können Schulen gleichzeitig pädagogischer Präventionsort und polizeilicher Interventionsort sein. Beispiel: Ein Schüler berichtet in einer Präventionsveranstaltung über den Vertrieb illegaler Drogen an der Schule. Aufgrund der Pflicht zur Strafverfolgung (Legalitätsprinzip) müssen die Präventionsbeamtinnen und Präventionsbeamten einem solchen Hinweis nachgehen und entgegen ihrer ursprünglichen Handlungsabsicht vom Präventions- in den Repressionsmodus wechseln. Polizei wird dann nicht nur als Polizei wahrgenommen, sondern handelt auch genuin polizeilich.

Unabhängig vom Orientierungstyp wurden in den empirischen Daten dieser Untersuchung in homologer Weise Orientierungen sichtbar, die nach eigener Rollenklarheit durch die Trennung von Prävention und Repression streben, obwohl die polizeilichen Handlungspflichten fortbestehen. So diskutiert z. B. die Gruppe Bravo Vermeidungsstrategien zur Wahrnehmung repressiver Aufgaben, da schulische Akteurinnen und Akteure auch bei der Verfolgung von Straftaten in Schulen durch die Präventionsbeamtinnen und Präventionsbeamte betreut werden möchten.

In den Narrationen der Beamtinnen und Beamten dokumentiert sich, dass sie losgelöst von ihrem Auftrag und bei aller Bürgernähe immer als Vertreter der Staatsmacht mit der Lizenz zur Repression wahrgenommen werden. Sofern sie in Uniform ihren Dienst versehen, wird das allein schon durch das Erscheinungsbild sichtbar. Auch wenn die Polizei aufgrund der Gewaltenteilung grundsätzlich keine strafende Organisation ist, verschwimmt dieses Detail in der öffentlichen Wahrnehmung. Die Berechtigung zur Zwangsanwendung und die öffentliche Präsenz macht sie zu dem Normdurchsetzungsorgan. Die Zugehörigkeit zur Polizei ist auch homologer Bestandteil der rekonstruierten kollektiven Orientierungen von Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten in dieser Untersuchung. Im Gegensatz zu Präventionsbeamtinnen und Präventionsbeamten fallen bei den Jugendsachbearbeiterinnen und Jugendsachbearbeitern repressive und präventive Aspekte des Handelns zumeist innerhalb eines strafverfolgenden Handlungsrahmens zusammen, wie die Erzählungen und Beschreibungen von Vernehmungssituationen (vgl. Abschnitt 5.3.2.1) zeigen. Die Doppelfunktionalität der Jugendsachbearbeitung ist systemimmanent und strukturell kaum geeignet, im pädagogischen Sinne präventiv zu handeln. So zeigen sich beim Typus pädagogisierte Präventionsarbeit auch Verstrickungen in Widersprüchlichkeiten zur Bewältigung der Gleichzeitigkeit von Prävention und Repression. Die hybride Komplexität wirkt irritierend. Beim Typus subjektorientierte Präventionsarbeit konnten dagegen Orientierungen an Kooperation mit anderen Akteurinnen und Akteuren zur Reduktion der Gleichzeitigkeit widerstreitender Handlungsanforderungen sichtbar gemacht werden.

In den Orientierungen des Typus obrigkeitsstaatliche Präventionsarbeit dokumentiert sich wiederum die Exklusion devianzgeneigter jungen Menschen von Präventionsaktivitäten, weil von ihrer pfadabhängigen und damit unumkehrbaren Entwicklung ausgegangen wird. Die aporetischen Handlungserfordernisse der Präventionsarbeit zeigen sich im unterschiedlichen Umgang mit den Grenzen genuin polizeilicher Arbeit.

Auf der Basis pädagogischer Alltagstheorien werden Lern- und Erziehungsziele formuliert, bei denen die Förderung von Normkonformität im Mittelpunkt steht. Die Polizei begibt sich mit ihrer Präventionsarbeit in pädagogische Situationen. Am augenfälligsten wird das bei Präventionsmaßnahmen an Schulen. Die Akteurinnen und Akteure bleiben in der eigenen Rolle verankert und sehen sich mit der Eigenlogik der Pädagogik konfrontiert. So entsteht das durch diese Untersuchung rekonstruierte Spannungsfeld zwischen Prävention und Repression. Während genuin polizeiliche Befugnisse durchaus geeignet sind, Normen durchzusetzen, fördern sie im pädagogischen Sinne nichts im Sinne eines Vermittlungsprozesses. Eine Befähigung zur gesellschaftlichen Teilhabe kann mit Mitteln einer Eingriffsverwaltung nicht erreicht werden. Das erwarten selbst die beforschten Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten nicht, so der Befund dieser empirischen Untersuchung. Würde die polizeiliche Präventionsarbeit auf der Basis einer solchen Annahme konzipiert sein, bedürfte es keiner präventiven Ausdifferenzierung dieser polizeilichen Aufgabe und der Konstruktion einer spezifischen Rolle innerhalb der Polizei. Es gäbe dann weder Normverdeutlichung noch Normvermittlung, sondern im Sinne der Repressionslogik nur Normdurchsetzung.

Die Verankerung der Akteurinnen und Akteure im Herkunftssystem Polizei, die sich daraus ergebende Standortgebundenheit sowie das erforderliche systemübergreifende Denken und Handeln erfordern die Überwindung der Grenzen bzw. die Erweiterung der eigenen Systemlogik. In der Bandbreite der rekonstruierten Orientierungsmuster in dieser Untersuchung dokumentiert sich der Umgang mit der Hybridität des Orientierungsrahmens polizeilicher Präventionsarbeit, der sich zwischen aporetischen polizeilichen und pädagogischen Handlungsmustern aufspannt.

Auch wenn der Blick auf die Orientierungstypen obrigkeitsstaatliche Präventionsarbeit und subjektorientierte Präventionsarbeit komplexitätsreduzierende Handlungsmuster zeigt, bleibt die Gleichzeitigkeit der beschriebenen widersprüchlichen Anforderungen für die polizeiliche Präventionsarbeit konstitutiv. Die polizeiliche Präventionsarbeit unterwirft sich freiwillig der pädagogischen Handlungslogik und damit u. a. Antinomien, die dem genuin polizeilichen Handeln systemfremd sind. Da pädagogische Modi aus dem präventiven Umgang mit Kindern und Jugendlichen nicht hinweggedacht werden können, besteht die Notwendigkeit, in beiden Modi gleichzeitig agieren zu können.

Der Umgang mit pädagogischen Antinomien gilt als ein prägendes Merkmal pädagogischer Professionalität (vgl. Abschnitt 6.3.2). Die empirischen Ergebnisse dieser Untersuchung zeigen jedoch, dass es nicht alleiniges Merkmal pädagogischer Professioneller ist, aporetische Handlungsanforderungen zu bewältigen. Diese ergibt sich vielmehr professionsunabhängig immer dann, wenn in pädagogischen Situationen pädagogisch gehandelt wird (vgl. die bereits erwähnten empirischen Ergebnisse von Welser (2017), Endres (2019) und Eich (2021)).

Beitrag zur Theoriebildung

Die Akteurinnen und Akteure der polizeilichen Präventionsarbeit müssen um die strukturelle Hybridität ihres Handelns wissen, die Komplexität der sich überlagernden Aporien bewältigen und mit den sich daraus ergebenden gleichzeitigen Anforderungen aus unterschiedlichen Systemen reflexiv umgehen. Eine Professionstheorie der polizeilichen Präventionsarbeit muss daher auf die strukturelle Hybridität des Handelns verweisen und Wege zum gleichzeitigen Umgang mit systembedingten Widersprüchlichkeiten aufzeigen.

6.4 Zusammenfassung: Konturen einer Professionalitätstheorie polizeilicher Präventionsarbeit mit Kindern und Jugendlichen

In diesem Kapitel wurden die Aporien polizeilicher Präventionsarbeit profes-sionstheoretisch kontextualisiert. Empirische Grundlage waren dafür die in dieser Untersuchung rekonstruierten Handlungsorientierungen von Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten, die zu einer Typologie der polizeilichen Präventionsarbeit mit Kindern und Jugendlichen verdichtet wurden. Der aporetische Charakter polizeilicher Präventionsarbeit mit Kindern und Jugendlichen wurde für weitere wissenschaftliche Diskurse dahingehend fruchtbar gemacht, dass für dieses Handlungsfeld Konturen einer Professionalitätstheorie entwickelt wurden (vgl. Abschnitt 6.3). In dieser Zusammenfassung werden die Beiträge zur Konturierung der Theorie zusammengestellt, um einen schnellen Überblick über die Eckpunkte einer zukünftigen Professionalitätstheorie zu geben. Die einzelnen Merkmale (Konturen) wurden zunächst (vgl. Abschnitt 6.3) nach polizeilichen und nach pädagogischen Professionalitätsbezügen entwickelt und diskutiert. Dabei handelt es sich lediglich um analytische Trennungen. In der Handlungspraxis sind diese Konturen aufeinander bezogen und miteinander verwoben, daher wird jetzt auf eine entsprechende Trennung verzichtet. Diese hybride Professionalität wird in der Gleichzeitigkeit komplexer polizeilicher und pädagogischer Handlungsanforderungen sichtbar. Der Bewältigung dieser Hybridität ist das übergreifende und damit zentrale charakteristische Merkmal polizeilicher Präventionsarbeit mit Kindern und Jugendlichen. Mit diesen übergreifenden Gelingensbedingungen schließt die Zusammenfassung der Konturen einer Professionalitätstheorie polizeilicher Präventionsarbeit mit Kindern und Jugendlichen.

Widersprüchliche gesellschaftliche Erwartungshaltungen an die Polizei

Widersprüchliche gesellschaftliche Erwartungshaltungen an die Polizei spannen sich zwischen einer normendurchsetzenden Law-and-Order-Perspektive und einer normenvermittelnden, kommunikativen Erwartungshaltung auf. Eine Theorie polizeilicher Präventionsarbeit muss deshalb so formuliert sein, dass sie nicht von einer bestimmten gesellschaftlichen Erwartungshaltung ausgeht, sondern gerade die Widersprüchlichkeit unterschiedlicher Erwartungshaltungen in den Mittelpunkt stellt, die zwischen kompromisslosem Normvollzug und Bürgernähe oszillieren (vgl. Abschnitt 6.3.1).

Divergierende gesetzliche Funktionslogiken und Erwartungen an Wirksamkeit

Genuin polizeiliches Handeln ist von divergierenden präventiven und repressiven gesetzlichen Funktionslogiken und damit verbundenen unterschiedlichen Erwartungen an Wirksamkeit durchzogen. Eine Theorie der polizeilichen Präventionsarbeit muss daher, der Logik von Prävention folgend, ganz klar die spezifische Funktion des polizeilichen in der Präventionsarbeit beschreiben und von anderen Funktionen deutlich abgrenzen (vgl. Abschnitt 6.3.1).

Gesteigerte aporetische Handlungsanforderungen

Präventionsarbeit erhöht die Komplexität der aporetischen Anforderungen polizeilichen Handelns. Eine professionstheoretische Betrachtung dieses polizeilichen Handlungsfeldes steht vor der Herausforderung, erforderliche Kompetenzen und geeignete Methoden für diese Aufgabe zu beschreiben. Der Gegenstand dieses Arbeitsfeldes muss noch klarer gerahmt werden. Das kann die Herausforderungen der Komplexität reduzieren und idealerweise das Ausmaß an zu bewältigenden Aporien beschränken (vgl. Abschnitt 6.3.1).

Wirkmächtigkeit widersprüchlicher Anforderungen unterschiedlicher Systemlogiken

In der Präventionspraxis werden die Logik der Polizei und die Logik pädagogischer Systeme wirkmächtig und müssen durch die Akteurinnen und Akteure professionell balanciert werden. Eine Professionalitätstheorie muss relevantes pädagogisches Wissen und erforderliche Kompetenzen für die polizeiliche Präventionsarbeit beschreiben. Mit diesen anzustrebenden theoretischen Fundierungen wird über das polizeiliche Handlungsfeld hinaus auch Reflexion sowie systemisches Denken und Handeln im pädagogischen Kontext angeregt (vgl. Abschnitt 6.3.2).

Gewaltfreie aber nicht zwangsbefreite Präventionsarbeit

Polizeiliche Präventionsarbeit ist gewaltfrei, aber nicht zwangsbefreit. Pädagogisches Handeln ist durch die Antinomie von der Befähigung zur Freiheit durch Zwang geprägt. Dieser Gegensatz wird verstärkt, wenn zur unmittelbaren Zwangsanwendung verpflichtete Polizistinnen und Polizisten in Bildungsräumen bzw. pädagogischen Settings handeln. Eine theoretische Fundierung dieses Handlungsrahmens ist erforderlich, weil die Polizei a priori mit Zwangsausübung in Verbindung gebracht wird, während es pädagogisch nur mitgängig und weniger offenkundig Teil des Handelns ist. Eine Professionalitätstheorie muss die Beschreibung des Umgangs mit hoheitlichen Zwangsbefugnissen und pädagogischer Machtausübung beinhalten, die auch die Grenze zwischen pädagogisch fundierter Präventionsarbeit und polizeilicher Gefahrenabwehr markiert (vgl. Abschnitt 6.3.2).

Handeln in doppelter Ungewissheit

Pädagogisches Handeln in der polizeilichen Präventionsarbeit ist von einer doppelten Ungewissheit geprägt. Die Heranwachsenden sind bereits während der pädagogischen Interaktion unverfügbar. Lehrende können auch nicht darüber verfügen, ob und in welcher Weise Lernen stattfindet. Genuin polizeiliches Handeln ist dagegen auf Ergebnisgewissheit ausgerichtet; es soll unmittelbar und bestimmbar das Verhalten anderer Personen beeinflussen. Im Gegensatz zu genuin polizeilichen Erwartungen an Wirksamkeit muss eine Professionalitätstheorie für die polizeiliche Präventionsarbeit den Umgang mit der Ergebnisoffenheit pädagogischen Handelns beschreiben (vgl. Abschnitt 6.3.2).

Pädagogischer Legitimationszwang

Die polizeiliche Präventionsarbeit unterwirft sich dem pädagogischen Legitimationszwang. Pädagogisches Handeln bedarf kontinuierlich individueller bzw. gruppenbezogener Begründungen, aus der dann die Legitimation für Arbeitsbündnisse und Lernziele erwächst. Bei genuin polizeilichem Handeln reichen dagegen gesetzliche Eingriffsermächtigungen aus. Eine freiwillige Unterwerfung unter rechtmäßige Polizeimaßnahmen erleichtert deren Durchsetzung, sie ist aber keine konstitutive Voraussetzung für erfolgreiche Polizeiarbeit. Mit der Übernahme pädagogischer Handlungsmuster in die polizeiliche Praxis wird das ordnungs- und sicherheitsbehördliche Legitimationserfordernis um eine pädagogische Handlungsbegründung ergänzt. Die Aufgabe einer Professionalitätstheorie polizeilicher Präventionsarbeit ist es, die spezifische handlungsbegründende Legitimation explizit zu begründen (vgl. Abschnitt 6.3.2). Von einer solchen Theorie dürfen darüber hinaus Hinweise zum Erwerb von Autorität und zur Gestaltung von Arbeitsbeziehungen im pädagogischen Kontext erwartet werden.

Hybridität der Handlungsanforderungen

Die Akteurinnen und Akteure der polizeilichen Präventionsarbeit müssen um die strukturelle Hybridität ihres Handelns wissen, die Komplexität der sich überlagernden Aporien bewältigen und mit den sich daraus ergebenden gleichzeitigen Anforderungen aus unterschiedlichen Systemen reflexiv umgehen. Eine Professionstheorie der polizeilichen Präventionsarbeit muss daher auf die strukturelle Hybridität des Handelns verweisen und Wege zum gleichzeitigen Umgang mit systembedingten Widersprüchlichkeiten aufzeigen (vgl. Abschnitt 6.3.3).