Die empirischen Ergebnisse der Handlungspraxis von Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten in der Präventionsarbeit mit Kindern und Jugendlichen sind für diese Forschungsarbeit von zentraler Bedeutung. Sie werden in diesem Kapitel dargestellt. Mit Hilfe der Dokumentarischen Methode werden kollektive Orientierungen rekonstruiert. Es handelt sich dabei um implizite Wissensformen, die das Handeln der Akteurinnen und Akteure in ihrer Präventionspraxis leiten.

Die Darstellung erfolgt in der Form einer praxeologischen Typologie auf der Ebene der Sinngenese. Zur Ordnung des empirischen Befundes wurden die Fälle, in dieser Untersuchung handelt es sich um Gruppendiskussionen, über mehrere Auswertungsschritte komparativ analysiert und abstrahiert zu einer Idealtypologie verdichtet. Diese Ergebnisse bilden daher keine realen Fälle ab, also Orientierungsmuster, wie sie sich in Realgruppen von Beamtinnen und Beamten zeigten, sondern kontrastive Ausprägungen unterschiedlicher Handlungspraktiken. Ziel der Idealtypenbildung ist es, maximale Orientierungsunterschiede und sich daraus ergebende verschiedene Handlungsmuster in der polizeilichen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen trennscharf abzubilden. Es ist also möglich, dass sich unterschiedliche Orientierungen aus einem realen Fall heraus rekonstruieren lassen. Die Auswertung der Datenbasis zeigt jedoch, dass sich eine Reihe von Fällen in bestimmten Typen stärker verorten lassen als in anderen. Die Abstrahierung des empirischen Materials zu einer Idealtypik ermöglicht die Ausprägungen von Orientierungsmustern im Wege von Kontrastierungen und einer Reduktion auf wesentliche Merkmale, auf eine handhabbare Anzahl von Orientierungstypen zu reduzieren und die Ergebnisse so für eine Theorieanreicherung nutzbar zu machen.

Die Darstellung der Ergebnisse erfolgt nach Orientierungstypen geordnet, in ihr eingelagert ist die Zirkularität des Analyseprozesses, die Ausprägungen kollektiv geteilter Orientierungen in der polizeilichen Präventionsarbeit sichtbar macht. Sie skizziert den mehrstufigen Interpretationsprozess, ausgehend von der Interpretation einzelner Fälle, über fallinterne und fallexterne Vergleiche bis hin zur Typenbildung. Um den Interpretationsprozess nachvollziehbar zu machen, wird die systematisch kontrastierende Vergleichsarbeit anhand von Diskurssequenzen dargestellt, in denen sich konjunktive Sinngehalte besonders stark dokumentieren. Die Sequenzen stammen, entsprechend der methodischen Kriterien (vgl. Abschnitt 4.3), aus den durchweg ausgeprägt selbstläufigen Eingangspassagen und aus Diskursabschnitten mit einer hohen interaktiven oder metaphorischen Dichte.

Gleich anschließend werden alle neun Polizeigruppen des Samples vorgestellt (siehe Abschnitt 5.1), da die gesamten Gruppendiskussionen in die rekonstruktive Analyse einbezogen wurden. Mit der Beschreibung der Gruppenzusammensetzung, ihrer Arbeitsfelder und der Skizze der realen kollektiven Orientierungen wird die empirische Datenbasis transparent. Damit die zentralen Schritte der Generalisierung der empirischen Ergebnisse vom Datenmaterial bis zur Typologie nachvollzogen werden können, folgt dann die Beschreibung der Basistypik (siehe Abschnitt 5.2). Deren Emergenz ist die Grundlage für die Rekonstruktion der Idealtypen als zentralen Inhalt dieser Ergebnisdarstellung (siehe Abschnitt 5.3). In einer Zusammenfassung der Typologie und ihrer Basis werden die empirischen Ergebnisse dieser Untersuchung im Abschnitt 5.4 kompakt dargestellt. Im Rahmen dieser Untersuchung konnten im Zuge der sinngenetischen Typenbildung bereits erste Hinweis auf die Soziogenese der emergierten Orientierungsmuster gewonnen werden, deren Beschreibung den Abschluss dieses Kapitels bildet (siehe Abschnitt 5.5).

5.1 Portraits der Gruppen des Samples

Insgesamt neun GruppendiskussionenFootnote 1 mit Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten bilden die empirische Basis dieser Forschungsarbeit (vgl. Abschnitt 4.4). Die Akteurinnen und Akteure arbeiten in verschiedenen Regionen und Städten im Bundesgebiet als Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte mit Kindern und Jugendlichen. Die räumlichen Arbeitsbereiche weisen unterschiedliche Siedlungsstrukturen auf. Sie reichen von typisch ländlichen Räumen bis hin zu Großstädten. Damit einhergehend finden auch präventive Aktivitäten in Sozialräumen mit unterschiedlich starker Kriminalitätsbelastung Berücksichtigung. Bezogen auf räumliche Aspekte der polizeilichen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen, wurden auf der Basis des vorliegenden empirischen Materials jedoch keine Zusammenhänge mit bestimmten Ausprägungen von Orientierungen sichtbar. Vielmehr zeigten sich beim Vergleich einzelner Fälle maximale Kontraste bei Handeln im gleichen kriminalgeografischen Raum.

Im Folgenden werden die Gruppen in anonymisierter, alphabetischer Reihenfolge anhand von Kurzportraits vorgestellt. Alle Bezeichnungen sind erfunden und lassen keine Rückschlüsse auf die realen Gruppen zu. Von den Teilnehmerinnen und Teilnehmern an den Gruppendiskussionen sind individuelle und berufsbiografische Merkmale bekannt. Die Beamtinnen und Beamten sind zwischen 26 und über 55 Jahre alt, wobei die Mehrzahl der Personen über 45 Jahre alt ist. Sie leben in unterschiedlichen familiären Konstellationen. Aus Gründen der Anonymisierung werden Angaben zur fachlichen Qualifikation (Laufbahnzugehörigkeiten), wie die Ausbildung für schutz- oder kriminalpolizeiliche Aufgaben und die Zugehörigkeit zu bestimmten Qualifikationsebenen (Laufbahngruppen), wie mittlerer oder gehobener Dienst, für die einzelnen Gruppen nicht beschrieben. Das Gleiche gilt auch für die Berufsbiografien der Teilnehmenden an den Gruppendiskussionen. Die meisten Beamtinnen und Beamten sind bereits langjährig im Polizeidienst. Sie haben in der Regel vor der Übernahme von Präventionsaufgaben unterschiedliche andere polizeiliche Funktionen ausgeübt. Alle diese Merkmale führten mit Blick auf die Erkenntnisinteressen dieser Arbeit zu keinen spezifischen Ausprägungen kollektiver Orientierungen. Bei der Darstellung von Aufgaben aus dem Handlungsfeld der polizeilichen Präventionsarbeit werden Unschärfen genutzt, um Gruppen über spezifische Aufgabenzusammensetzung nicht identifizierbar zu machen. So werden beispielsweise Personen, die sich mit Verkehrsunfallprävention beschäftigen, nicht gesondert ausgewiesen.Footnote 2

Alle Gruppendiskussionen fanden in Besprechungsräumen von Polizeidienststellen in einer angenehmen Gesprächsatmosphäre statt. Die Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten sorgten selbst für Getränke und teilweise zusätzlich noch für Gebäck.

In allen Gruppendiskussionen wurden mehrere erzählgenerierende Gesprächsimpulse gegeben, an die sich weitüberwiegend ausführliche selbstläufige Diskurse anschlossen. Die Porträts enthalten Angaben zur Länge der Gruppendiskussionen. Je nach Diskursverlauf wurden eine unterschiedliche Anzahl erzählgenerierender Gesprächsimpulse gesetzt. Dabei indiziert die Länge des selbstläufigen Diskurses nach dem Eingangsimpuls die Anzahl der Gesprächsimpulse insgesamt. Je kürzer der Eingangsimpuls war, desto mehr Gesprächsimpulse wurden insgesamt gegeben.

Berta

Die Gruppe Berta setzt sich aus sieben Präventionsbeamtinnen und Präventionsbeamten in der Altersspanne von 36 bis 55 Jahren zusammen. Sie arbeiten in einer deutschen Großstadt und führen überwiegend Präventionsveranstaltungen an Schulen durch. Die Beamtinnen und Beamten kennen sich aus ihrer beruflichen Praxis. Sie arbeiten teilweise unmittelbar zusammen und stimmen ihre Arbeit wiederkehrend ab. Die meisten Personen haben eigene Kinder und nehmen die Präventionsaufgaben langjährig hauptamtlich seit vielen Jahren (8 bis 12 Jahre) wahr. Nach dem Eingangsimpuls entwickelte sich ein selbstläufiger Diskurs von 64 Minuten. Die Gruppendiskussion dauerte insgesamt 102 Minuten.

Die Gruppe diskutiert intensiv bis hin zur Schulentwicklung den strukturellen Kontext ihres Arbeitsfeldes. Wenn die Teilnehmenden ihre Erfahrungen mit Kindern und Jugendlichen beschreiben, nehmen sie deren Entwicklungschancen in den Blick. Abweichendes Verhalten verbinden die Beamtinnen und Beamten mit sozialen Verhältnissen. Sie zeigen Verständnis für die Entwicklungsprobleme junger Menschen und ordnen ihre Arbeit in einen größeren gesellschaftlichen Kontext ein. Ihre Rolle verorten sie im Polizeidienst, sehen sich aber auch als pädagogische Ratgeber gefragt. Die Polizistinnen und Polizisten stellen sich dieser Herausforderung, betonen aber gleichzeitig, dass das nicht ihre Aufgabe ist. Staatlicher Sanktionierung von Jugenddelinquenz billigen sie eine begrenzte Wirksamkeit zu und suchen stattdessen nach anderen Möglichkeiten zur Verhaltensbeeinflussung.

Bravo

Die Gruppe Bravo besteht aus sechs Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten in der Altersspanne von 26 bis 55 Jahren. Sie arbeiten überwiegend langjährig (6 bis 15 Jahre) als Jugendsachbearbeiterinnen und Jugendsachbearbeiter in einer deutschen Großstadt. Aus dieser Handlungspraxis kennen sich die Beamtinnen und Beamten und pflegen einen regelmäßigen Austausch. Alle Diskussionsteilnehmerinnen und -teilnehmer haben eigene Kinder. Nach dem Eingangsimpuls entwickelte sich ein selbstläufiger Diskurs von 44 Minuten. Die Gruppendiskussion dauerte insgesamt 125 Minuten.

Der Diskurs der Beamtinnen und Beamten ist von zahlreichen Erzählungen aus dem Berufsalltag, verbunden mit einer hohen interaktiven Dichte geprägt. Mit der Existenz von Kriminalität geht die Gruppe sehr gelassen um. Die Akteurinnen und Akteure suchen individuellen Erfolg in der Prävention delinquenten Verhaltens und vertrauen wenig auf die Wirksamkeit von Institutionen der Rechtspflege und Jugendhilfe. Obwohl sie gegen straffällige Jugendliche ermitteln, streben sie nicht die Bestrafung von jugendlichen Täterinnen und Tätern an. Justizielle Sanktionen gilt es nach Möglichkeit zu vermeiden, da sich Vorstrafen negativ auf die Entwicklungschancen junger Menschen auswirken.

Delta

Die Gruppe Delta setzt sich aus drei Polizeibediensteten in der Altersspanne von 46 bis 60 Jahren zusammen. Sie arbeiten in einer deutschen Großstadt und führen überwiegend Präventionsveranstaltungen an Schulen durch. Die Beamtinnen und Beamten kennen sich aus ihrer täglichen beruflichen Zusammenarbeit. Sie haben eigene Kinder und nehmen die Präventionsaufgaben hauptamtlich seit längerer Zeit (4 bis 19 Jahre) wahr. Nach dem Eingangsimpuls entwickelte sich ein selbstläufiger Diskurs von 13 Minuten. Die Gruppendiskussion dauerte insgesamt 90 Minuten.

Die Gruppe skizziert ein düsteres Bild von Kindheit und Jugend, das simplifizierende Bilder von Delinquenz und kriminellen Karrieren bemüht. Sie berichten in einer ausgeprägten Distanziertheit über ihre Arbeit mit jungen Menschen. Sie erzählen kaum von positiven Praxiserlebnissen. Als Polizeiangehörige sehen sie sich als Experten für die Bestimmungen des Strafrechts und informieren an Schulen über Verbotsnormen. Die Schülerinnen und Schüler sollen wissen, welches Handeln verboten ist und welche Strafandrohung in Aussicht gestellt wird. Die Besonderheiten des Jugendstrafrechts bleiben unberücksichtigt. Auf der Basis dieser Kenntnisse sollen die Kinder und Jugendlichen selbst entscheiden, ob sie gesetzliche Normen einhalten. Während bei anderen Gruppen häufig normative Arbeitsziele durchscheinen, konzentriert sich die Gruppe Delta auf die Wissensvermittlung.

Dora

Die Gruppe Dora besteht aus drei Polizeibediensteten in der Altersspanne von 26 bis 55 Jahren. Sie arbeiten in der Jugendsachbearbeitung der Polizeibehörde einer deutschen Großstadt und sind überwiegend langjährig im Polizeidienst. Die Beamten kennen sich aus der täglichen Zusammenarbeit und haben eigene Kinder. Nach dem Eingangsimpuls entwickelte sich ein selbstläufiger Diskurs von 59 Minuten. Die Gruppendiskussion dauerte insgesamt 108 Minuten.

Im Diskurs der Gruppe nimmt die Zusammenarbeit mit anderen Akteurinnen und Akteuren einen breiten Raum ein. Sie interpretieren es als ihre Aufgabe, diese Zusammenarbeit aktiv zu fördern und professionsübergreifend mitzugestalten. In Kindern und Jugendlichen sehen sie entwicklungsfähige Personen, die individueller Förderung und Unterstützung bedürfen, um Devianz zu vermeiden und gesellschaftliche Teilhabechancen zu gewährleisten. Dabei beschränken sie sich in ihrer eigenen Praxis auf genuin polizeiliches Handeln, denken aber über diesen Rahmen hinaus und unterstützen Akteure der Jugendarbeit und der Justiz mit ihrer Expertise. Mit dieser Arbeit im Verbund verbinden die Beamten eine hohe Erwartungen an Wirksamkeit.

Heinrich

Die drei Beamtinnen und Beamten der Gruppe Heinrich befassen sich ganzheitlich (Verkehrssicherheitsarbeit, Kriminalprävention, Jugendsachbearbeitung) mit Präventionsaufgaben in einer größeren Region, die Städte und Gemeinden umfasst. Sie kennen sich aus der täglichen Zusammenarbeit. Die Beamtinnen und Beamten sind zwischen 46 und über 55 Jahren alt, üben die aktuelle Tätigkeit langjährig aus (6 bis 16 Jahren) und haben überwiegend keine eigenen Kinder. Nach dem Eingangsimpuls entwickelte sich ein selbstläufiger Diskurs von 58 Minuten. Die Gruppendiskussion dauerte insgesamt 97 Minuten.

Für die Beamtinnen und Beamten der Gruppe Heinrich ist der Umgang mit Kindern und Jugendlichen eine Herausforderung. In bestimmten Stadtteilen und Schulformen ist es schwierig, die Schülerinnen und Schüler inhaltlich zu erreichen. Die Elaborationen der Gruppe zeichnen ein positives Bild von Kindheit und Jugend, andererseits wird von konfliktbeladenen Situationen, unaufmerksamen Schülerinnen und Schülern sowie Unterrichtssituationen berichtet, in denen sie selbst unsicher waren. Die Gruppe strebt eine positive Zusammenarbeit mit Schulen und Pädagogen an. Die kooperative Zusammenarbeit mit institutionellen Partnern ist bedeutsam. Es wird aber auch Kritik an Lehrkräften und Eltern geübt. Die Beamtinnen und Beamten beschreiben ihre Arbeit als erfolgreich und bedeutsam.

Hotel

Die Gruppe Hotel besteht aus sechs Personen, die in der Verkehrssicherheitsarbeit, Kriminalprävention und Jugendsachbearbeitung tätig sind. Sie kennen sich aus der täglichen Zusammenarbeit und arbeiten in einer Region, die mehrere Städte und Gemeinden umfasst. Die Beamtinnen und Beamten sind zwischen 36 und 60 Jahren alt, überwiegend langjährig im aktuellen Aufgabenbereich (5 bis 27 Jahre) tätig und haben eigene Kinder. Nach dem Eingangsimpuls entwickelte sich ein selbstläufiger Diskurs von 36 Minuten. Die Gruppendiskussion dauerte insgesamt 105 Minuten.

Die Gruppe setzt ähnliche Themen wie andere Gruppen: Arbeitsbeziehungen zu jungen Menschen, Förderung normkonformen Verhaltens, Zusammenarbeit mit Lehrkräften und anderen Akteurinnen und Akteuren sowie die Rolle der Erziehungsberechtigten. Die Beamtinnen und Beamten beschreiben die Arbeit mit Kindern einfacher als mit älteren Jugendlichen. Ein guter Kontakt zu Kindern und Jugendlichen soll über die Präventionsarbeit hinaus hilfreich sein. Aufgrund des Kennverhältnisses bzw. positiver Erfahrungen mit der Polizei, wird die Grundlage für einen späteren entspannten Umgang miteinander, auch in konfliktbeladenen Situationen gelegt. Die Zusammenarbeit mit Lehrkräften und anderen Akteuren in der Kinder- und Jugendarbeit ist bedeutsam für Erfolg und Innovation. Die Beamtinnen und Beamten gehen von einer hohen Wirksamkeit ihrer Arbeit aus. Bei Kindern mit Entwicklungsdefiziten beschreiben die Akteurinnen und Akteure die Wahrnehmung elterlicher Erziehungsaufgaben defizitär. Aspekte der Opferprävention (vgl. Abschnitt 2.3) werden intensiver formuliert als bei anderen Gruppen.

Lima

Die Gruppe Lima besteht aus vier Personen, die sowohl in der Jugendsachbearbeitung, als auch als Präventionsbeamtinnen und Präventionsbeamte arbeiten. Sie kennen sich aus der Arbeit der gleichen Polizeibehörde, die für eine deutsche Großstadt zuständig ist. Die Beamtinnen und Beamten sind zwischen 36 und 55 Jahren alt, überwiegend langjährig im aktuellen Aufgabenbereich (6 bis 20 Jahren) tätig und haben eigene Kinder. Nach dem Eingangsimpuls entwickelte sich ein selbstläufiger Diskurs von 89 Minuten. Die Gruppendiskussion dauerte insgesamt 119 Minuten.

Die Gruppe beschreibt unterschiedliche thematische Präventionsfelder. Die eigene Arbeit wird als bedeutsam beschrieben. Die Wirkung ihrer schulischen Präventionsarbeit ist aber nur punktueller Natur, da die Zeit, die sie mit einzelnen Klassen verbringen, sehr begrenzt ist. Anders als bei anderen Gruppen, in denen Jugendsachbearbeiterinnen und Jugendsachbearbeiter vertreten waren, schreibt diese Gruppe der Jugendsachbearbeitung keinen Präventionsauftrag zu. Der Umgang mit delinquenten Kindern und Jugendlichen wird ausschließlich dem repressiven Handlungsfeld zugeordnet. Als Erfolg ihres Handelns wird es angesehen, wenn junge Menschen mit Präventionsmaßnahmen erreicht werden und Interesse an den vermittelten Inhalten geweckt wird. Gleichzeitig sieht sich ein Teil der Gruppe mit überladenen Problemlösungserwartungen an die Polizei konfrontiert, die weit über die originäre polizeiliche Zuständigkeit hinausgehen und als Verantwortungsdelegation von pädagogischen Akteurinnen und Akteuren oder Eltern interpretiert werden.

Paula

Die Gruppe Paula setzt sich aus vier Personen in der Altersspanne von 36 bis 55 Jahren zusammen. Sie arbeiten in einer größeren Region, die Städte und Gemeinden umfasst und führen überwiegend Präventionsveranstaltungen an Schulen durch. Die Polizeibediensteten kannten sich vor diesem Termin nur teilweise persönlich. Sie haben eigene Kinder und nehmen die Präventionsaufgaben langjährig hauptamtlich (7 bis 16 Jahre) wahr. Nach dem Eingangsimpuls entwickelte sich ein selbstläufiger Diskurs von 43 Minuten. Die Gruppendiskussion dauerte insgesamt 114 Minuten.

Die Gruppe hadert mit den gesellschaftlichen Entwicklungen. Ihre Diskurse sind von der Annahme eines Werteverfalls gerahmt. Eltern versagen oder sind überfordert; Lehrkräfte kümmern sich nicht konsequent genug um die Einhaltung der Regeln. Sie haben den Anspruch, durch Präventionsarbeit eine Lücke in der Normerziehung zumindest punktuell zu füllen. Sie selbst legen großen Wert darauf, dass ihnen als Amtspersonen Respekt entgegengebracht wird. Ein zentrales Anliegen der Gruppe ist es, über Normen zu informieren und einen Beitrag zu deren Einübung zu leisten. Junge Menschen teilen die Beamtinnen und Beamten komplexitätsreduzierend in zwei Gruppen ein. Es gibt Kinder und Jugendliche, die sie mit ihrer Arbeit erreichen, und devianzgeneigte Personen, in denen der Weg zur Delinquenz angelegt ist und auf deren abweichendes Handeln letztlich nur mit Bestrafung reagiert werden kann.

Romeo

Die Gruppe Romeo besteht aus drei Polizeibediensteten, die sowohl in der Jugendsachbearbeitung tätig sind, als auch als Präventionsbeamtinnen und Präventionsbeamte arbeiten. Sie kennen sich aus der täglichen Zusammenarbeit und arbeiten in einer Region, die Städte und Gemeinden umfasst. Die Beamtinnen und Beamten sind zwischen 46 und 60 Jahren alt, sie sind langjährig im Polizeidienst und nehmen ihre aktuellen Aufgaben teilweise schon seit mehr als zehn Jahren wahr. Nach dem Eingangsimpuls entwickelte sich ein selbstläufiger Diskurs von 33 Minuten. Die Gruppendiskussion dauerte insgesamt 87 Minuten.

Die Gruppe elaboriert die gleichen Themen wie eine Reihe anderer Gruppen: Die Herstellung positiver Kontakte zu jungen Menschen ist hilfreich und zahlt sich später aus. Mit jüngeren Kindern ist der Umgang einfacher als mit älteren Jugendlichen. In der Schulzusammenarbeit gibt es gute und schlechte Erfahrungen. Die positiven Kooperationserfahrungen überwiegen und werden gleichzeitig in den Beschreibungen als ein wesentliches Element erfolgreicher Präventionsarbeit beschrieben. Ähnlich wie die Gruppe Hotel betont die Gruppe Romeo die Bedeutung der Zusammenarbeit mit außerschulischen Partnern.

5.2 Die Basis der Typologie: Spannungsfelder zwischen Gewährleistung staatlicher Ordnung und Befähigung zur gesellschaftlichen Teilhabe

Der Ausgangspunkt für die Rekonstruktion einer Typologie ist das Herausarbeiten eines gemeinsamen, fallübergreifenden Orientierungsrahmens. Mit Hilfe eines tertium comparationis werden die in der komparativen Analyse identifizierten Gemeinsamkeiten abstrahiert formuliert. Tertia comparationis finden „sich in jeder Form und Phase vergleichender Interpretation“ (Nohl 2013, S. 279), hier ist dieser Arbeitsschritt für die Erarbeitung der Basis der Typologie erforderlich. Diese Basistypik bildet wiederum den Ausgangspunkt für die Konstruktion einer ganzen Typologie (vgl. Bohnsack 2013, S. 253). Anhand des empirischen Materials dieser Untersuchung lassen sich also handlungsleitende Orientierungen von Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten rekonstruieren, die mit Präventionsaufgaben betraut sind (vgl. Abschnitt 2.3).

Die Basistypik ist durch eine komparative Analyse der Daten des gesamten Samples entstanden und der Ausgangspunkt, von dem aus sich die unterschiedlichen kollektiven Orientierungsmuster als Grundlage der Typologie kontrastieren lassen. Sie ist das vergleichende Moment, mit dem sich maximal kontrastive Typen bilden lassen. Die Besonderheit dieser Untersuchung besteht darin, dass auf methodischer Ebene durch die Identifizierung minimaler Kontraste nach Homologien gesucht wurde, die sich dann aber auf empirischer Ebene als Umgang mit Widersprüchlichkeiten, also mit maximal kontrastiven Anforderungen zeigten. Es werden empirische Merkmale emergiert, die „ein möglichst großes Maß an Homogenität innerhalb eines ‚Typus‘ und möglichst große Heterogenität zwischen den Typen erzeugen“ (Schmidt-Hertha und Tippelt 2011, S. 23). Durch die vergleichende Interpretation wurden Spannungsfelder zwischen der Gewährleistung staatlicher Ordnung und der Befähigung zur gesellschaftlichen Teilhabe als tertium comparationis sichtbar. Der gemeinsame, fallübergreifende Orientierungsrahmen lässt sich folglich nicht in abstrahierenden Begriffen, sondern nur über Spannungsfelder beschreiben. Der Umgang mit diesen Spannungsfeldern ist im nächsten Analyseschritt Gegenstand der Typenbildung.

Im Sample dieser Untersuchung dokumentieren sich die Widersprüchlichkeiten nicht nur in typisch pädagogischen Antinomien (vgl. Helsper 2010; Schlömerkemper 2017), sondern insbesondere auch durch Konfliktpotenzial, das durch verinnerlichte polizeiliche Orientierungsmuster beim Handeln in pädagogischen Situationen entsteht. Es zeigt sich eine wirkmächtige polizeispezifische Handlungslogik, die auch in der Präventionsarbeit sichtbar wird. Dieses Setting wirkt in der spezifischen Rolle der Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten in ihrer, dem Grunde nach professionsfremden, Handlungspraxis im Umgang mit Kindern und Jugendlichen, deren Bezugspersonen und relevanten institutionellen Akteuren.

Diese kontrastreichen Spannungsverhältnisse spannen sich zwischen den Polen Gewährleistung staatlicher Ordnung und Befähigung zur gesellschaftlichen Teilhabe auf. In diesem maximalen Kontrast zeigt sich in der Gewährleistung staatlicher Ordnung eine Orientierung an einer gemeinschaftlichen Perspektive, in der gesellschaftliche Normen und Ziele handlungsleitend sind. Diese sicherheitsbehördlichen Orientierungsmuster fokussieren die Stabilität und Funktionsfähigkeit staatlicher Institutionen, die rechtliche, politische, ökonomische und soziale Ordnung eines Staates sowie die Existenz von Bürger- und Menschenrechten. Dagegen wird bei der Befähigung zur gesellschaftlichen Teilhabe der Blick auf das Individuum handlungsleitend. Kinder und Jugendliche werden pädagogisch in ihrer gesellschaftsintegrierten Existenz gefördert. Dieser Kontrast zwischen einer Orientierung an gemeinschaftlichen Normen einerseits und individuellen Entwicklungszielen andererseits steht für eine Reihe von Spannungsverhältnissen, mit denen die Beamtinnen und Beamten umgehen.

Die Begriffe Gewährleistung und Befähigung drücken sprachlich kontrastive polizeiliche bzw. pädagogische Orientierungsmuster aus. Das Handeln von Polizistinnen und Polizisten sowie Pädagoginnen und Pädagogen richtet sich am Umgang mit Individuen aus. Als zentraler Unterschied wurden im Material die Bezugsrahmen der Handlungspraktiken deutlich. So wurde in polizeilichen Orientierungsmustern eine Fokussierung auf die Durchsetzung von Normen sichtbar, die sich in unmittelbar wahrnehmbaren Verhaltensänderungen von Personen ausdrücken sollen. Dabei ist Zwang immer eine Handlungsoption. In pädagogischen Handlungsmustern sind dagegen ergebnisoffene Lernprozesse handlungsleitend. Durch die Vermittlung von Wissen sollen Kenntnisse für die Entwicklung sozialer Kompetenzen und normkonformen Verhaltens gefördert werden, deren Ergebnis letztlich jedoch unverfügbar bleibt. Staatlicher Zwang und Freiheit im Umgang mit Wissen stehen bei genuin polizeilichem und pädagogischem Handeln in einem antinomischen Verhältnis zueinander, d. h. die inhärente pädagogische Antinomie zwischen Autonomie und Heteronomie wird im professionsübergreifenden Setting der polizeilichen Präventionsarbeit noch verstärkt. Andererseits können sich professionsspezifische Spannungsfelder reduzieren, wenn Polizei sich von genuin polizeilichen Handlungsschemata löst, d. h. auf die Anwendung von Zwangsmitteln verzichtet und vorbeugend Verhalten beeinflussen will. Damit geht dann ein Verzicht auf die Verfügbarkeit von Personen einher, der eine polizeiliche Situation zu einer pädagogischen Situation werden lassen kann.

In den Diskursen aller Gruppen dokumentiert sich implizites Wissen über den Umgang mit diesen Widersprüchlichkeiten, die der eigenen Rolle immanent sind und sich aus dem Handlungsauftrag bzw. vorhandenen Orientierungsschemata, eigenen Orientierungsmustern sowie Erwartungshaltungen unterschiedlicher Akteure ergeben. Entlang der folgenden vier Spannungsfelder wird die Basis der Typologie in diesem Abschnitt der Ergebnisdarstellung emergiert:

  • Die Beamtinnen und Beamten entwerfen eigene Rollenbilder, in denen polizeiliche Handlungsmuster mit pädagogischen Herausforderungen verbunden werden und die sich daher zwischen den Polen Sanktionierung und Entwicklung bewegen.

  • Die Akteurinnen und Akteuren werden auch in präventiven Handlungssituationen als Vertreterinnen und Vertreter einer Institution wahrgenommen, die zur Ausübung von Zwang berechtigt ist. Daraus ergibt sich das Erfordernis einer Orientierung im Spannungsfeld zwischen Prävention und Repression.

  • Im empirischen Material zeigen sich spezifische Bilder von Kindheit und Jugend, die in abweichendem Verhalten eine durchaus normale Entwicklungsphase oder darin Indizien für nicht beeinflussbare Verhaltensmuster sehen. Junge Menschen und alterstypische Delinquenz werden zwischen den Polen Entwicklungsfähigkeit und Prädisposition eingeordnet.

  • Auf der Basis dieser Orientierungen zeigen sich kollektive Handlungsmuster, die im Spannungsfeld zwischen Erziehung und Konditionierung verortet werden können.

Rollenbilder zwischen Sanktionierung und Entwicklung

Im empirischen Material dieser Untersuchung werden spezifische Rollenbilder der Beamtinnen und Beamten in der Präventionsarbeit sichtbar. Besonders deutlich zeigt sich die Konstruktion einer eigenen professionellen Identität in den Diskursen von Gruppen, die als Präventionsbeamtinnen und Präventionsbeamte an Schulen aktiv sind, so auch bei der Gruppe Paula in einer interaktiv dichten Sequenz.

Paula: Wir sind nur die „Puppenspieler“, Z. 16–54

figure a

Dieser Diskursausschnitt stammt aus einer Passage, in der die Personen ihre Arbeit und die dafür erforderlichen Kompetenzen von anderen Polizistinnen und Polizisten abgrenzen. Bezugspunkt der Kontrastierung sind ##Ortspolizisten##Footnote 3, also Beamtinnen und Beamte, deren Hauptaufgabe es ist, in einer Gemeinde oder in einem Stadtteil für die Bevölkerung ansprechbar zu sein, um einen niedrigschwelligen kommunikativen Zugang zur Polizei zu erleichtern.Footnote 4 Diesem Personenkreis schreibt die Gruppe ein Verständnis von Präventionsarbeit zu, das sich mit Mitteln wie die Präsentation von Einsatzfahrzeugen oder PuppentheateraufführungenFootnote 5 auf eine unterhaltsame Lobbyarbeit für die Polizei beschränkt. Für diese Tätigkeit bedarf es keiner Qualifikation, so die Interpretation des polizeiinternen Bildes durch die Gruppe Paula. Werden ##Ortspolizisten## in die Präventionsarbeit einbezogen, zeigt sich aber, dass sie, nach der Interpretation der Präventionsbeamtinnen, nicht in der Lage sind, schulische Situationen zu bewältigen. Diese Beschreibung wird durch die Gruppe validiert.

In dieser Sequenz zeigt sich die Konturierung der spezifischen beruflichen Identität der Gruppe in einem kontrastiven Vergleich des eigenen Handelns mit dem der ##Ortspolizisten##. Sie beschreiben ihre eigenen Kompetenzen und grenzen diese von den übrigen schutzpolizeilichen Aufgaben ab. Der Vergleich mit der Funktion der ##Ortspolizisten## dürfte nicht zufällig gewählt sein, da sie strukturell eine gewisse Nähe zu der Tätigkeit von Präventionsbeamtinnen und Präventionsbeamten aufweist. Beide Funktionsgruppen sollen anlasslos, also nicht vor dem Hintergrund einer konkreten Gefahrensituation oder Straftat, mit der Bevölkerung kommunizieren. Dabei schreibt sich die Gruppe selbstvergewissernd Kompetenzen zu, die für den Umgang mit Kindern und Jugendlichen in pädagogischen Situationen essenziell sind und über die nur sie als erfahrene Mitarbeitende in der Präventionsarbeit verfügen. Damit werden in einem abgrenzenden Modus Konturen einer eigenen Professionalität als Spezialisierung innerhalb der Polizei sichtbar.

Es deutet sich über die Gruppe Paula hinaus im Sample an, dass die Akteurinnen und Akteure Grundzüge polizeiinterner Maßstäbe zur Beurteilung von bestimmten Kompetenzen und Maßnahmen teilen und sich so in einem Spannungsfeld befinden, in dem auf Handeln in pädagogischen Situationen polizeiliche Bewertungsmaßstäbe angelegt werden.

Der Kritik an Präventionsmethoden, wie Mitwirkung am Schulunterricht und Gestaltung von Theateraufführungen, begegnen die Präventionsbeamtinnen und Präventionsbeamten nicht mit didaktischen Begründungen, sondern mit der kollektiv geteilten Annahme, dass andere Polizistinnen und Polizisten in pädagogischen Situationen nicht bestehen könnten. Sie inszenieren sich als Expertinnen und Experten für die pädagogische Arbeit mit Kindern und Jugendlichen. Gleichzeitig wird die Orientierung an typisch polizeilichen Handlungsschemata sichtbar. In den Grundformen polizeilichen Handelns müssen Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte in konfliktbeladenen Situationen handlungs- und durchsetzungsfähig sein. Dieser Modus wird auf schulische Situationen übertragen, in denen ebenfalls Handlungsfähigkeit bewiesen werden muss. Im Mittelpunkt steht also das zu bewältigende kommunikative Setting und nicht ein präventives Ziel. Dadurch zeigt sich, dass sich die Präventionsbeamtinnen und Präventionsbeamten an einer polizeilichen Bewertungslogik orientieren. Pädagogisches Handeln in der Präventionsarbeit wird nach polizeilichen Durchsetzungskriterien beurteilt und in der Wahrnehmung dieser und anderer Gruppen polizeiintern diskreditiert.

In Diskursabschnitten zu innerpolizeilicher Kritik deuten sich Erwartungen an Wirksamkeit an, die mangels entsprechender Technologie nicht erfüllt werden können. Die kreativen Kompetenzen, die für die Aufführung eines Puppenspiels erforderlich sind, werden ebenfalls negativ konnotiert. So wird dann Puppenspiel als Synonym für Präventionsarbeit implizit als reine Unterhaltung oder Beschäftigung interpretiert und diese Abwertung kollektiv geteilt, wie die Abgrenzung des eigenen Handelns von dem einer Puppenspielerin („von wegen Puppenspieler“ und „sind wir ja nicht mehr“), das kollektive Lachen über diese Zuschreibung und die Konklusion von Cw („Prävention is im- immer im Prinzip -n Puppenspieler“) zeigt. So wird trotz aller funktionalen Abgrenzungsbemühungen die Wirkmächtigkeit einer polizeispezifischen Orientierung sichtbar, weil keine Erfolge im Sinne polizeilicher Handlungslogik in kollegiale Diskurse eingebracht werden können.

Die Auswertung des empirischen Materials lässt erkennen, dass für die Gruppen des Samples Spannungsfelder bedeutsam sind, die sich aus polizeilichen und pädagogischen Handlungsmustern ergeben. Wobei, metaphorisch ausgedrückt, für das Rollenbild der Gruppe Paula Aspekte der Sanktionierung im Sinne polizeilicher Durchsetzungslogik stärker konstitutiv sind, als die Förderung der Entwicklung junger Menschen im pädagogischen Sinne.

Gleichzeitig wird durch diesen Diskurs der durch die Gruppe interpretierte geringe Stellenwert von Präventionsarbeit innerhalb der Polizei sichtbar. Da der konkrete Bezug zu den ##Ortspolizisten## im Laufe des Diskurses in den Hintergrund tritt, lässt sich die abwertende Interpretation der Bedeutung von Präventionsarbeit innerhalb der Polizei verallgemeinern. Die fehlende Präventionstechnologie und die mangelnde Brauchbarkeit genuin polizeilicher Handlungsschemata führen zur Konstruktion einer eigenen Rolle mit spezifischen Handlungsmustern in der Polizei, die sich deutlich von den intervenierenden Beamtinnen und Beamten abgrenzt.

Es deutet sich bei der Gruppe Paula, wie auch bei anderen Gruppen des Samples, das Bedürfnis nach einer eigenen kollektiven Identität an, das durch die wahrgenommene mangelnde Wertschätzung der Präventionsarbeit innerhalb der Polizei und mithin der Exklusion ihrer Akteurinnen und Akteure beeinflusst ist. Dieser Befund wird auch mit einem Blick auf andere untersuchte Arbeitsfelder nachvollziehbar. Die Präventionspraxis hat nichts mit der in polizeilichen Aufgabenbereichen dominanten „professionalisierten Gefahrengemeinschaft“ (Behr 2011, S. 3) gemein und ist nicht auf typisch polizeiliche Zwangsmaßnahmen ausgerichtet. So ist bei der Gruppe Delta die starke metaphorische Zuschreibung „Hobbypolizisten“ (Delta: Wertschätzung der eigenen Arbeit, Z. 10) zu finden. Mit dieser abwertenden Bezeichnung wird die Differenz zwischen intervenierenden und präventiv arbeitenden Polizistinnen und Polizisten ausgedrückt und ein innerorganisationales Spannungsfeld sichtbar. Allerdings sind Abgrenzungsbestrebungen zwischen unterschiedlichen Arbeitsbereichen Teil der polizeilichen Organisationskultur, wie Mensching (2008) in Bezug auf den Einsatz- und Streifendienst der niedersächsischen Polizei aufzeigt.

Der Wunsch nach einer eigenen, unverwechselbaren professionellen Rolle zeigt sich auch in Abgrenzungsbemühungen gegenüber Pädagoginnen und Pädagogen. Eine Reihe von Gruppen beschreibt explizit ihre Arbeitsbeziehungen zu Pädagoginnen und Pädagogen, insbesondere zu Lehrkräften. In diesen Diskursabschnitten werden durch Kontrastierungen professionsspezifischer Kompetenzen und Handlungsschemata identitätsstiftende Abgrenzungsbemühungen sichtbar. In einer ganz deutlich sichtbar gewordenen Homologie grenzen die Beamtinnen und Beamten ihr Handeln sowohl kommunikativ geteilt als auch implizit von pädagogischem Handeln ab. Pädagogische Beruflichkeit gibt für die Beamtinnen und Beamten keinen identitätsstiftenden Zufluchtsort. Ihrem Selbstbild nach sind sie Polizistinnen und Polizisten und wollen das auch bleiben. Diese Orientierung wird in allen Gruppen des Samples sichtbar, insbesondere in Passagen zur Zusammenarbeit mit anderen Akteuren, so auch bei der Gruppe Romeo. Die folgende Sequenz stammt aus einer Passage, in der die Gruppe ihre Präventionskonzepte beschreibt, die überwiegend in Schulen verwirklicht werden. Vorangegangen ist die Beschreibung einer Präventionsmaßnahme, an deren Ende Cw eine Erzählaufforderung an Bm weitergibt.

Romeo: Präventionskonzepte und pädagogische Netzwerkarbeit, Z. 192–207

figure b

Bm beschreibt Überlegungen zur Entwicklung eines Gewaltpräventionsprojekts, die später von Cw validiert werden („also ich denke mal da sin- wir nin richtigen Weg gegangen“ Romeo: Präventionskonzepte und pädagogische Netzwerkarbeit, Z. 212, 213). Unter Gewaltprävention werden Maßnahmen zur Reduktion und idealerweise die Verhinderung von körperlichen Auseinandersetzungen verstanden. So sollen z. B. junge Menschen dazu befähigt werden, Konflikte gewaltfrei auszutragen. Aus dem Gesamtkontext ergibt sich, dass es um ein Konzept für die Arbeit an Schulen geht. Die Verteilung von Broschüren bezieht sich auf die Nutzung von Informationsmaterial, das zur Opferpräventionsarbeit von der PolizeiFootnote 6 und anderen Institutionen hergestellt und genutzt wird. Es deutet sich an, dass die Gruppe diesen Informationsmedien und Verwendungsmöglichkeiten wenig Wirksamkeit beimisst („wir müssen da was Vernünftiges machen […] was nachhaltig is“). Dem Agieren in einem Abschreckungsmodus, wofür die Polizei die entsprechenden Mittel und Möglichkeiten hat, wird ebenfalls wenig Bedeutung beigemessen. So initiieren die Beamtinnen und Beamten eine Zusammenarbeit mit Schauspielerinnen und Schauspielern sowie Theaterpädagoginnen und Theaterpädagogen für ein arbeitsteiliges Präventionskonzept. In dieser Sequenz drücken sich die Beschreibung der Grenzen polizeilicher Handlungskompetenzen sowie gleichzeitig die fortbestehende Selbstverortung innerhalb polizeilicher Orientierungsmuster aus. Allerdings zeigen sich bei der Gruppe Romeo, jenseits der expliziten Beanspruchung einer polizeilichen Identität, implizite pädagogische Wissensbestände. Die Beschreibung der Planung einer Veranstaltung zur Gewaltprävention lässt differenzierte didaktische Kompetenzen sowie die Anerkennung und Relevanz pädagogischer Expertise anderer Akteure erkennen.

Im Vergleich mit Präventionsbeamtinnen und Präventionsbeamten befinden sich die Jugendsachbearbeiterinnen und Jugendsachbearbeiter in einem anderen Setting widerstreitender Rollenanforderungen. Als Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft (§ 152 Abs. 1 GVG) haben sie mit der Aufklärung von Straftaten mit jugendlichen Tatverdächtigen repressive polizeiliche Aufgaben wahrzunehmen. Gleichzeitig sollen sie innerhalb dieses Handlungsrahmens auch präventiv wirken, um zukünftiges abweichendes Verhalten junger Menschen zu verhüten. Da diese unterschiedlichen Zielsetzungen auf der Handlungsebene oftmals in der gleichen Interaktionssituation zwischen Polizeibediensteten und Jugendlichen verwirklicht werden, beinhalten solche Settings für die eigene professionelle Identität innerhalb der polizeilichen Präventionsarbeit eine spezifische Widersprüchlichkeit. Im Gegensatz zu den Präventionsbeamtinnen und Präventionsbeamten ist es ihnen räumlich oder zeitlich nicht möglich, Sanktionierung und Entwicklung voneinander zu trennen.

Im gesamten empirischen Material dieser Untersuchung dokumentiert sich zunächst ein Handeln in pädagogischen Situationen, denn als solche lassen sich viele Maßnahmen der polizeilichen Präventionsarbeit mit Kindern und Jugendlichen charakterisieren. Weiterhin zeigt sich, dass der typisch polizeiliche Durchsetzungsmodus in pädagogischen Situationen an seine Grenzen stößt, weil pädagogisches Handeln nicht zwangsläufig zu einem anderen Verhalten führt und bestimmte Einsichten und Haltungen eben nicht durch das Handeln von erziehenden oder lehrenden Personen bewirkt werden können. Daher werden in allen Fällen Handlungsorientierungen sichtbar, welche zu Rollenbildern führen, die sich zwischen den Polen polizeilich determinierter Sanktionierung und pädagogischer Entwicklung entfalten.

Orientierung in einem Spannungsfeld von Prävention und Repression

Polizeiliches Handeln umfasst ganz allgemein die Verhütung von Straftaten, die Gefahrenabwehr und die Verfolgung von Straftaten. Daraus können sich in der Handlungspraxis Spannungsfelder zwischen präventiven und repressiven Handlungsmustern ergeben. Das wird z. B. bei der Gruppe Lima auf der kommunikativ generalisierenden und impliziten Ebene sichtbar. Nach einem exmanenten Gesprächsimpuls im letzten Abschnitt der Gruppendiskussion zum konkreten Ablauf der Präventionsarbeit, beschreibt Cw zunächst allgemein und eher abstrakt die Abläufe der Zusammenarbeit mit Schulen. Dm validiert die Beschreibung und konkretisiert zum Thema „Drogenprävention“.

Lima: Ablauf der Präventionsarbeit, Z. 54–73

figure c

Dm benennt die Standardangebote der Präventionsarbeit seiner Dienststelle. Sie richten sich an Schülerinnen und Schüler, Eltern und Lehrpersonen. Anschließend beschreibt er die Struktur des Ablaufs von „Schülerveranstaltungen“ die nach dem Interesse und Bedarf von Schulen in Schulen angeboten werden. Er betont, dass zum Beginn solcher Veranstaltungen eine Belehrung „ganz wichtig“ ist. Belehren kann unterschiedliche Bedeutungen haben. In diesem Kontext ist eine „Belehrung“ im formaljuristischen Sinne gemeint, mit der Personen über ihre Rechte und Pflichten aufgeklärt werden. Bei vielen genuin polizeilichen Maßnahmen ist eine Rechtsbehelfsbelehrung gesetzlich vorgeschrieben. Bei Präventionsveranstaltungen ist das nicht so. Die Beamtinnen und Beamten wollen aber auf diese Weise unüberlegte Geständnisse von Jugendlichen verhindern, die dann eine Pflicht zur Straftatenerforschung auslösen würden. Die Präventionsbeamtinnen und Präventionsbeamten möchten also während ihrer Präventionsarbeit an Schulen genau das nicht erfahren, wonach sie in anderen Handlungskontexten suchen. Gleichzeitig ist die Erwartung gegeben, dass Kinder und Jugendliche über Drogendelinquenz berichten können, weil ihnen entsprechende Erfahrungen unterstellt werden („weil die illegalen Drogen so in unserer Gesellschaft angekommen sin-ˮ). Die polizeilichen Akteure müssen sich von ihrer genuinen Aufgabe distanzieren, ohne von den Pflichten dieser Rolle entlastet zu werden. In den Separierungsbemühungen zwischen repressiven und präventiven Aufgabenbestandteilen zeigt sich ein Spannungsfeld in Form einer Rollenambiguität.

Dieser empirische Befund korrespondiert mit polizeilichen Aufgabenzuweisungen und Handlungspflichten (Orientierungsschemata). Besonders eindrücklich lässt sich das Spannungsfeld, in dem sich polizeiliche Akteure befinden, mit Blick auf das Handeln an Schulen skizzieren, die als formale Bildungsorte dem allgemeinen gesellschaftlichen Leben entzogen sind und geschützte Räume bilden. Schulen sind für die Polizei nicht nur präventive Handlungsarenen. Unter Umständen werden diese Räume zu Orten genuin polizeilichen Handelns, wie jeder andere Ort auch, weil z. B. wegen Diebstählen, Betäubungsmittelhandel oder Amoksituationen interveniert werden muss. Dem gegenüber stehen Präventionsaktivitäten, die frei von polizeitypischen Zwangsmaßnahmen sind. Es bedarf also regelmäßig impliziter oder expliziter Klärungen, in welcher Funktion die Beamtinnen und Beamten mit Schülerinnen und Schülern in Kontakt treten. Ein pädagogisches Setting wie der Schulunterricht lässt eine pädagogische Rolle der dort handelnden Akteure erwarten, also auch der Präventionsbeamtinnen und Präventionsbeamten. Diese divergenten Zwecke, mit denen die Polizei an Schulen kommt, dürften bei potenziellen, externen Kooperationspartnern von Schulen einmalig sein. Bei allen anderen Akteuren herrscht Klarheit. Auch bei einem Wechsel zwischen Information und Intervention verändert sich der Zweck des Handelns nicht. Erklärt die Feuerwehr die Bedeutung des Brandschutzes oder löscht sie Brände, so haben beide Handlungen einen helfenden Charakter. Trainiert der Rettungsdienst mit Schülerinnen und Schülern Maßnahmen der Ersten Hilfe oder leistet er rettungsmedizinische Versorgung, geht es immer um Lebensrettung. Das pädagogische Handeln in der Gefahrenvorsorge und die Intervention in der Gefahrenabwehr dieser Institutionen haben immer die gleiche Zielstellung, während bei der Polizei alle Personen in Schulen Adressaten von Repression oder Prävention sein können. Im Ausnahmefall können beide Zielrichtungen sogar zusammenfallen. Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte dürfen aufgrund ihrer gesetzlichen Pflichten im Rahmen von Präventionsveranstaltungen nicht auf eine Intervention verzichten, wenn sie z. B. zufällig Zeugen von Gewalttätigkeiten an Schulen werden. Es reicht nicht aus, einmalig Rollenklarheit für alle Beteiligten und alle denkbaren Situationen herzustellen, es bedarf vielmehr einer kontinuierlichen Vergewisserung.

Die Herausforderungen des Umgangs mit divergierenden präventiven und repressiven Handlungsanforderungen wurden anhand des Transkriptauszugs des Diskurses der Gruppe Lima gezeigt. Während sich die Kumulation dieser Anforderungen eher situativ ergeben kann, ist das räumliche und zeitliche Zusammentreffen von repressiven und präventiven polizeilichen Handlungserfordernissen bzw. -erwartungen bei Jugendsachbearbeiterinnen und Jugendsachbearbeitern in Kommunikationssituationen mit Kindern und Jugendlichen systemimmanent.

Vor dem Hintergrund dieses Settings zeigt sich im empirischen Material dieser Untersuchung eine Rollenambiguität, die sich in ihren Polen zwischen gesetzlichen Handlungspflichten und Aktivitäten im pädagogischen Raum aufspannt. Wie polizeiliches Handeln interpretiert wird, ist nicht nur von den Intentionen der Beamtinnen und Beamten abhängig, sondern auch von Interpretationen anderer Personen, insbesondere der Interaktionspartner. Ob auf dem Polizeirevier, bei Verkehrsunfällen oder bei der Schlichtung von Streitigkeiten, Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte werden zunächst als Teil der Ordnungsmacht des Staates wahrgenommen. Während einer Fußstreife in der Fußgängerzone oder im Einsatz bei Großveranstaltungen können auch helfende und informierende Aspekte eine Rolle spielen. An Bildungsorten tritt dagegen die Repression in den Hintergrund. Ort und Auftrag verändern die Handlungsorientierung und die Wahrnehmung der Polizei.

In der Auswertung des empirischen Materials wird eine Antinomie zwischen präventiven Handlungsintentionen und repressiven Pflichten erkennbar. Diese Untersuchung zeigt jedoch ebenfalls, dass sich durch den Umgang mit dieser widersprüchlichen Rollenzuschreibung und -erwartung unterschiedliche kollektive Handlungsmuster herausbilden. Es wird auch sichtbar, dass der Raum für polizeiliche Orientierungen bedeutsam ist, indem die schulischen Handlungsschemata und Strukturen auf die Orientierungen der Beamtinnen und Beamten wirken. „Es zeigt sich aber vor allem, dass sich durch das Überschreiten von Grenzen – von dem Arbeitsraum Straße in den geschützten Raum Schule, von der Repression in die pädagogische Situation – der Handlungsrahmen wandelt und die eigenen professionsspezifischen Orientierungen irritiert werden und sich verändern“ (Eich und Kepura i.E.). Das zeigt sich in den bereits oben dargestellten Transkriptauszügen. Im Diskurs der Gruppe Paula dokumentiert sich beispielsweise ein Akzeptanz- und Rechtfertigungsdruck, während sich bei der Gruppe Romeo in der Beschreibung der Planung von Veranstaltungen zur Gewaltprävention ausgeprägte pädagogische Orientierungen dokumentieren.

Jugend und jugendtypische Delinquenz: Entwicklung vs. Prädisposition

Auf der kommunikativ generalisierenden Ebene befassen sich viele Diskurse mit der Wahrnehmung von Kindern und Jugendlichen, Interpretationen ihrer Normativität und jugendtypischer Delinquenz. Bevor auf die sich darin dokumentierenden konjunktiven Sinngehalte eingegangen wird, sei darauf hingewiesen, dass die komparative Analyse der Fälle dieser Studie gezeigt hat, dass die Gültigkeit gesetzlicher Normen von keiner Gruppe infrage gestellt wird. Das wurde in den Diskursen zu jugendtypischer Delinquenz und anderen Regeln sichtbar, wie z. B. Schulordnungen, die junge Menschen einzuhalten haben. Weiterhin zeigt sich die kollektive Orientierung, dass die Gruppen bei ihrem pädagogischen Handeln Enkulturation junger Menschen bzw. deren Rolle in der Gesellschaft im Blick haben.

Spannungsfelder werden dagegen in den Bildern von Kindheit und Jugend und der Wahrnehmung jugendtypischer Delinquenz sichtbar, bei der sich Entwicklung und Prädisposition gegenüberstehen. Anders ausgedrückt spannen sich die Menschenbilder der Beamtinnen und Beamten zwischen einer Einordnung als selbstbestimmte, entscheidungsfähige Subjekte und unmündigen, instruktionsbedürftigen Objekten auf.

Im Diskurs der Gruppe Paula wird die bereits erwähnte Wahrnehmung von Kindern und Jugendlichen als potenzielle Täter sichtbar, denen polizeiliche Intervention bei Grenzüberschreitungen angedroht wird.

Paula: Zusammenarbeit mit Pädagogen, Z. 169–187

figure d

Cw berichtet über die jährlich wiederkehrende Zusammenarbeit mit einer Lehrerin im ##Ethikunterricht## in einer höheren Jahrgangsstufe. In der unterrichtlichen Zusammenarbeit zwischen der Lehrerin und der Beamtin geht es um das Thema Jugendkriminalität. Cw informiert über Straftaten und setzt zur Unterstützung auf eine autoritätsausstrahlende Wirkung der Uniform. Cw glaubt, dass die durch sie inszenierten Wirkungsabsichten von der Lehrerin so auch gewünscht werden. Die Beschreibung von Cw wird durch Aw und einen weiteren Sprecher validiert.

In dieser Sequenz zeigen sich negative Verhaltenserwartungen der Gruppe Paula bezogen auf junge Menschen. Jugendliche und junge Erwachsene haben zwar eine höhere Delinquenzneigung als andere AltersgruppenFootnote 7, allerdings wird durch die Narration ein Generalverdacht gegenüber der Altersgruppe sichtbar. Dabei wird, so zumindest die Interpretation der Gruppe, ein deutlicher Kontrast zum Handeln einer Lehrerin bzw. eines Lehrers gewünscht. Der externe Akteur Polizei trägt sich nicht nur als Experte mit Wissen über Jugendkriminalität in eine Unterrichtssequenz ein, sondern strahlt auch in dieser schulischen Situation die Durchsetzungskraft der Staatsmacht aus. Uniform soll nicht nur die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Profession ausdrücken, sondern auch den damit verbundenen Machtanspruch verkörpern. Es geht auch nicht um die Polizistin oder den Polizisten, der durch seine persönliche Autorität Glaubwürdigkeit und fachliche Expertise verkörpert. Vielmehr soll die Uniform selbstständig wirken („Respekt vor der Uniform“). Die Individualität der Beamtin bzw. des Beamten tritt hinter die Funktion der Amtsträgerin bzw. des Amtsträgers zurück. In dieser Beschreibung der unterrichtlichen Inszenierung der eigenen Funktion deutet sich ein Belehrungsmodus an, in dem agiert wird. Junge Menschen werden über die potenziellen strafrechtlichen Folgen ihres Handelns informiert. Dadurch sollen sie von abweichendem Verhalten abgeschreckt werden.

Zu diesem defizitorientierten Blick auf junge Menschen und jugendtypischem Verhalten, zeigt sich bei der Gruppe Romeo (Präventionskonzepte und pädagogische Netzwerkarbeit, Z. 192–207) in dem bereits oben wiedergegebenen Transkriptausschnitt ein maximaler Kontrast. Es wird sichtbar, dass die Zusammenarbeit zwischen Polizeibediensteten und anderen Akteurinnen und Akteuren in der Präventionsarbeit nicht darauf ausgerichtet ist, kontrastreiche Rollen zwischen Polizeibediensteten und Lehrkräften zu konturieren und eine ausgeprägte Asymmetrie gegenüber Schülerinnen und Schülern zu gestalten. Ohne Überhöhung der eigenen Funktion und Aufgabe wird dort eine kooperative Zusammenarbeit mit Pädagoginnen und Pädagogen sowie Schauspielerinnen und Schauspielern angestrebt. Durch die Art des angestrebten Zusammenwirkens und den Verzicht auf die Inszenierung als Ordnungsmacht deutet sich ein Umgang mit Kindern und Jugendlichen an, der auf Abwertungen verzichtet und versucht, sie als entwicklungsfähige Personen zu erreichen, ohne sich von stereotypisierenden Delinquenzzuschreibungen leiten zu lassen.

Jugendtypische Delinquenz und andere Regelverstöße werden durch die Gruppen unterschiedlich gewertet. Die Interpretationen von Störungen und Rechtsverstößen reichen von hochgradiger Verwerflichkeit bis zu temporärem jugendtypischem Verhalten, was wiederum zu maximal kontrastiven Handlungsorientierungen führt. Durch die Diskurse über abweichendes Verhalten wurde sichtbar, dass die Bilder von Kindheit und Jugend und deren altersspezifische Delinquenz sehr kontrastreich sind, aber auch die Wirkmächtigkeit professionsspezifischer Orientierungen erkennen lassen. So zeigte sich eine im Sample weit verbreitete handlungsleitende Orientierung an simplifizierenden Täter- und Opferbildern, die in einzelnen Fällen bis zu einem prädispositiven Menschenbild reichen. Als maximaler Kontrast dazu konnte der Blick auf Jugendliche als entwicklungsfähige und unterstützungswürdige Personen rekonstruiert werden. Diese Breite an Orientierungsmöglichkeiten zeigt erneut, in welchem Spannungsfeld sich Handlungsmuster vor dem Hintergrund präventiver polizeilicher Aufgabenstellungen entwickeln können.

Handeln im Spannungsfeld von Erziehung und Konditionierung

Eine Reihe von Gruppen grenzt ihre Arbeit kommunikativ generalisierend von pädagogischem Handeln bzw. pädagogischer Professionalität ab (siehe oben unter Konstruktion einer spezifischen professionellen Rolle), während der konjunktive Gehalt dieser Selbstverortung ein Handeln in pädagogischen Situationen sichtbar macht, was wiederum die Möglichkeit pädagogischen Handelns indiziert. Sie unterwerfen sich keiner pädagogischen „Leitprofession“ (Stichweh 1996, S. 61). Ihre polizeiliche Identität und die Ziele der Herkunftsinstitution bleiben insbesondere im Handlungssetting Schule wirksam (vgl. Eich und Kepura i.E.). Das schließt jedoch ein Handeln in pädagogischen Situationen nicht aus. Mit einem Rückgriff auf den erziehungswissenschaftlichen Diskurs ist pädagogisches Handeln gegeben, wenn es sich kommunikativ auf eine Person, auf ein Thema und auf Lernen bezieht. Weiterhin bedarf es einer Zeitspanne, um Thema und Person zusammenzuführen (vgl. Prange und Strobel-Eisele 2015, S. 42). Ob bzw. in welchen Ausprägungen die Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten pädagogisch handeln, wird die weitere Entwicklung der Typologie zeigen. Für die Konstruktion dieser Basistypik lässt sich festhalten, dass sich im empirischen Material dieser Untersuchung pädagogische Antinomien dokumentieren. Zunächst wird jedoch beschrieben, dass sich Handeln in pädagogischen Situationen auch in Erwartungen an die Wirksamkeit der Akteurinnen und Akteure dokumentiert.

In den bereits zitierten Transkriptauszügen aus den Diskursen der Gruppen Paula, Romeo und Lima (siehe oben) werden jeweils auch Erwartungen an die Wirksamkeit sichtbar. Darüber hinaus deuten sich über das gesamte Sample hinweg ausgeprägte Selbstwirksamkeitserwartungen der Polizistinnen und Polizisten an. Diese Orientierungen werden in vielen Fällen des Samples mit dem Streben nach einer erfolgreichen Verhaltensbeeinflussung verknüpft. Dem Wunsch nach Reduzierung abweichenden Verhaltens bei Kindern und Jugendlichen steht die Unverfügbarkeit von Normativität gegenüber, mit der umgegangen werden muss. Auch wenn die Gruppen implizit wissen, dass Werthaltungen nicht gemacht werden können und Wissensvermittlung ergebnisoffen ist, wird die Orientierung an einer Reduktion abweichenden Verhaltens sichtbar. Damit deutet sich ein Spannungsfeld zwischen ErziehungFootnote 8 und Konditionierung an, in dem, unabhängig von typuspezifischen Kontrasten, nicht nur Normwissen und -akzeptanz, sondern immer auch Normbefolgung von Bedeutung ist. Es soll eine Normtreue mit anderen, nicht-polizeilichen Mitteln erzeugt werden. Mit dem Wechsel der Wahl der Mittel, weg von genuin polizeilichen Zwangsanwendungen, hin zur Initiierung von Lernprozessen, zeigt sich auch die implizite Klassifizierung dieser Settings als pädagogische Handlungssituationen. Mit diesem Perspektivwechsel, der der polizeilichen Präventionsarbeit immanent zu sein scheint, werden auch typische pädagogische Antinomien handlungswirksam:

  • Im Verhältnis zwischen Autonomie und Heteronomie wird der Umgang mit Normkonformität und freier persönlicher Entfaltung sichtbar. Bildungsziele wie Mündigkeit, selbstbestimmtes Leben und Entscheidungsfähigkeit werden durch die persönlichen Entfaltungsansprüche anderer und die Rechtsordnung begrenzt. Polizeiliche Aktivitäten sind in weiten Teilen von Handlungspflichten gekennzeichnet. Im empirischen Material deuten sich jedoch auch Opportunitätsbemühungen an, die den Rand der Legalität berühren.

  • Notwendige Arbeitsbeziehungen für Erziehen und Lehren bewegen sich in ihrer Gestaltung in einem Spannungsfeld zwischen Distanz und Nähe. Aufgrund ihrer repressiven Pflichten, die auch in der Präventionsarbeit ihre Gültigkeit haben, sind Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten im Aufbau und in der Ausgestaltung von Beziehungen zu Kindern und Jugendlichen deutlich engere Grenzen gesetzt als bspw. Pädagoginnen und Pädagogen.

  • Der Vermittlungsperspektive der Beamtinnen und Beamten stehen im pädagogischen Kontext strukturell unsichere Ergebnisse gegenüber. Sie müssen mit einem Technologiedefizit umgehen, das für andere polizeiliche Handlungsfelder untypisch ist. Gleichzeitig zeigt sich in mehreren Fällen des Samples ein kollektiv geteilter Druck, sich durch quantifizierbare Ergebnisse zu legitimieren.

Jenseits der beschriebenen Spannungsfelder, zeigen sich über das gesamte Sample hinweg weitere Homologien, die für den Forschungsfokus dieser Untersuchung bedeutsam sind. Alle Akteurinnen und Akteure scheinen sich daran zu orientieren, dass von justiziellen Sanktionen keine positiven Entwicklungsimpulse für delinquente junge Menschen ausgehen und auch keine Förderung der sozialen Integration erreicht wird. Polizeiliche Präventionsarbeit kann unterschiedliche Ziele haben und Schwerpunkte setzen. In den empirischen Daten, auf denen diese Forschungsarbeit basiert, deuten sich überwiegend Handlungsorientierungen an, die polizeiliche Präventionsarbeit primär auf die TäterpräventionFootnote 9 fokussieren.

Zusammenfassung

Bei den Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten werden spezifische Orientierungen sichtbar, in denen sich Widersprüchlichkeiten dokumentieren, wie sie auch pädagogischem Handeln inhärent sind. Durch die gleichzeitige Wirkmächtigkeit polizeispezifischer Handlungsmuster erhöht sich die Komplexität der Spannungsfelder.

Im gesamten empirischen Material zeigen sich minimale Kontraste in der Konstruktion einer spezifischen professionellen Rolle durch die Beamtinnen und Beamten selbst. Weiterhin zeigt sich in diesen Rollenbildern in homologer Weise der Umgang mit widersprüchlichen Handlungslogiken. So wird im Material sichtbar, dass die Präventionsbeamtinnen und Präventionsbeamten häufig in Situationen handeln, die als pädagogisch beschrieben werden können. Hauptaufgabe der Polizei ist es dagegen, in einem Durchsetzungsmodus einen Beitrag zur staatlichen Ordnung zu leisten. In der Präventionsarbeit dokumentieren sich Handlungsmuster, die ohne Rückgriffsmöglichkeiten auf typisch polizeiliche Handlungsschemata auskommen. Gleichzeitig deutet sich ein innerpolizeiliches Spannungsfeld an, da die polizeiliche Präventionsarbeit weitgehend als nichtpolizeilich suspendiert wird. Durch diesen Legitimationsdruck werden spezifische Selbstbilder gefördert, die ihre Identität innerhalb der Polizei suchen und sich gleichzeitig zwischen einer sanktionierenden oder entwicklungsfördernden Rolle aufspannen.

Sowohl in der Verhütung von abweichendem Verhalten als auch im Umgang mit jugendlicher Delinquenz zeigen sich Modi zur Trennung von repressivem und präventivem polizeilichen Handeln. In der repressiven Handlungspraxis kann im Rahmen der rechtlichen Möglichkeiten über Personen verfügt werden. In der Präventionsarbeit rückt dieser Modus in den Hintergrund, weil dem Charakter dieser Form von Verhaltensbeeinflussung Einsichten und Überzeugungen immanent sind. Der Weg in polizeiliche Zwangsanwendungen ist versperrt. Die Beamtinnen und Beamten sind mit der Unverfügbarkeit von Subjekten konfrontiert. Das irritiert und führt zur Entwicklung spezifischer, kollektiv geteilter, kontrastreicher Handlungsmuster in einem Spannungsfeld zwischen Prävention und Repression.

Gleichzeitig dokumentieren sich genuin polizeiliche und pädagogische Orientierungsmuster im konkreten Umgang mit jungen Menschen unvereinbar. Während die Polizei der inneren Ordnung der Gesellschaft verpflichtet ist, ist die Pädagogik auf die innere Ordnung von Subjekten ausgerichtet. Sichtbar wird das in den Bildern Kindheit und Jugend sowie jugendtypischer Delinquenz der Polizistinnen und Polizisten, die sich zwischen Entwicklung und Prädisposition bewegen. So wird polizeilich ein Blick auf Menschen in gesellschaftlichen Rollen sichtbar, insbesondere die Kategorisierung als potenzielle Opfer oder Täter. Dagegen sieht die Pädagogik in jungen Menschen entwicklungsfähige Personen. Auf der Handlungsebene stehen sich dann die Durchsetzung von Regeln und das Lernen von Normen und soziale Entwicklung gegenüber. Während die Polizistinnen und Polizisten, legitimiert durch gesetzliche Befugnisse, ein bestimmtes Verhalten erzwingen können, sind Pädagoginnen und Pädagogen, mangels vergleichbarer Technologien, darauf angewiesen, den Sinn von Normen zu vermitteln und Normkonformität durch Einsicht zu fördern. Die unterschiedlichen professionsbeeinflussten Orientierungsmuster lassen unterschiedliche temporalisierte Erwartungen an Wirksamkeit sichtbar werden. Der unmittelbaren, aber möglicherweise nur kurzzeitigen Verhaltensanpassung, steht die Beeinflussung von Haltungen gegenüber. In der Zielperspektive des Handelns zeigt sich, pointiert ausgedrückt, ein Spannungsfeld zwischen Konditionierung und Entwicklung in dem sich die Akteurinnen und Akteure orientieren müssen.

Präventionsarbeit soll einerseits dazu führen, dass die gesellschaftliche Ordnung hergestellt wird bzw. aufrechterhalten bleibt und andererseits junge Menschen zu einer inneren normativen Struktur befähigt werden. In

  • den entworfenen Rollen, die sich zwischen Abschreckung bzw. Sanktionierung und Entwicklung aufspannen,

  • der Orientierung zwischen Prävention und Repression,

  • den Bildern von Jugend und jugendtypischer Delinquenz, die sich zwischen Entwicklung und Prädisposition bewegen, sowie

  • dem Handeln in einem Spannungsfeld von Erziehung und Konditionierung

dokumentieren sich zusammengefasst Spannungsfelder zwischen Gewährleistung staatlicher Ordnung und Befähigung zur gesellschaftlichen Teilhabe.

In der Basis der Typologie zeigt sich, dass widersprüchliche Anforderungen durch das Handeln in unterschiedlichen Systemen, bereits durch Sprache bzw. Begriffe in zwei Systeme delegiert sind. „Staatliche Ordnung“ ist rein dem juristischen Verwaltungssprachgebrauch zuzuordnen und dient zur Beschreibung einer inneren Ordnung des Systems Staat, während dem „Befähigen zu gesellschaftlicher Teilhabe“ eine pädagogische Bedeutung zukommt, also auf die innere Ordnung von Individuen ausgerichtet ist. Die Ordnung des Staates wird durch Regeln und Gesetze repräsentiert. Die innere Ordnung von Individuen ist eine metaphorische Bezeichnung von Lernprozessen.

Ausgehend von der Basistypik lassen sich aus den Diskursen des Samples maximal kontrastive Orientierungen emergieren. Diese Interpretationsgrundlage ermöglicht es, Idealtypen zu konstruieren, die im nächsten Abschnitt dargestellt werden. Die folgende Abbildung 5.1 visualisiert die Spannungsfelder der Basistypik und markiert mit der Aufnahme von Orientierungstypen in der Darstellung den Übergang zur Beschreibung der Typenbildung.

Abbildung 5.1
figure 1

Spannungsfelder der Basistypik

5.3 Orientierungstypen in der polizeilichen Präventionsarbeit

In diesem Abschnitt wird die Konstruktion der Orientierungstypen auf der Grundlage rekonstruierter Handlungsmuster von Gruppendiskussionen mit Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten vorgestellt, die in der polizeilichen Präventionsarbeit tätig sind. Im Mittelpunkt stehen drei Orientierungstypen, die sich in Anwendung der Dokumentarischen Methode rekonstruieren ließen. Dazu war eine mehrstufige, systematische, komparative Analyse erforderlich. Mit Hilfe von fallimmanenten und fallexmanenten Vergleichen konnten zunächst die Orientierungsrahmen der Fälle sichtbar gemacht werden. In einem weiteren Arbeitsschritt wurden durch die Identifizierung maximaler Kontraste folgende Orientierungstypen entwickelt, die sich begrifflich prägnant charakterisieren lassen:

  • obrigkeitsstaatliche Präventionsarbeit,

  • pädagogisierte Präventionsarbeit,

  • subjektorientierte Präventionsarbeit.

Die Grundlage für die Typenbildung ist die im Abschnitt 5.2 erläuterte Basistypik. Wie dort dargestellt, bewältigen die in der Präventionsarbeit tätigen Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten über das gesamte Sample hinweg Ambiguitäten zwischen der Gewährleistung staatlicher Ordnung und der Befähigung zur gesellschaftlichen Teilhabe. Dieses Spannungsfeld eint die Gruppen des Samples und stellt das gemeinsame tertium comparationis dar, vor dessen Hintergrund drei Orientierungstypen rekonstruiert werden. Sie bilden die typischen Modi des Umgangs mit den Widersprüchlichkeiten des polizeilichen Berufsalltags ab. „Der Kontrast in der Gemeinsamkeit ist fundamentales Prinzip der Generierung einzelner Typiken und ist zugleich die Klammer, die eine ganze Typologie zusammenhält“ (Bohnsack 2014, S. 145; Hervorhebung i.O.). Schon die Rekonstruktion der Basistypik ließ erkennen, dass sichtbar gewordene Widersprüchlichkeiten für diese Studie von zentraler Bedeutung sind. Spannungsfelder beinhalten naturgemäß Ambiguitäten. Die untersuchten Akteurinnen und Akteure der polizeilichen Präventionsarbeit gehen in ganz unterschiedlicher Weise mit diesen Herausforderungen in ihrer täglichen Arbeit um.

Die Fälle, d. h. in dieser Studie die Gruppendiskussionen, wurden nicht nach ihren realen Ausprägungen systematisiert (Realtypenbildung). Vielmehr lassen sich auf der Ebene der Sinngenese Idealtypen bilden, die in ihren Vergleichsdimensionen die Gesamtheit des Samples repräsentieren. „Die Typenbildung ist also umso valider, je klarer am jeweiligen Fall auch andere Typiken aufgewiesen werden können, je umfassender der Fall innerhalb einer ganzen Typologie verortet werden kann“ (Bohnsack 2014, S. 145; Hervorhebungen i.O.). Die drei Idealtypen wurden auf Basis der in der komparativen Analyse der Fälle herausgearbeiteten Vergleichskriterien entwickelt und lassen sich anhand zweier Vergleichskategorien voneinander abgrenzen.

Für die Systematisierung der handlungsleitenden Orientierungen in einem zirkulären Arbeitsprozess sind Vergleichskategorien von Bedeutung, die im gesamten Sample sichtbar werden und entlang derer die komparative Analyse erfolgt. Aus den zunächst rekonstruierten Vergleichskriterien normative Disposition, Bild von Kindheit und Jugend, Selbstbild als Expertinnen und Experten sowie Wirkmächtigkeit professionsspezifischer Orientierungen ließ sich die Vergleichskategorie Konstruktion der eigenen Rolle abstrahieren. Die beforschten Akteurinnen und Akteure handeln in einem Feld, das jenseits des Kerns der eigenen Professionalität liegt. Damit wird nicht nur der Aktionsraum pädagogischer Akteurinnen und Akteure berührt, sondern auch das gesamte Setting des polizeilichen Handelns verändert.

Als weitere Vergleichskategorie für diese Typenbildung ließen sich die das Material strukturierenden Vergleichskriterien Zielperspektive der Normübernahme und Erwartungen an Wirksamkeit der Akteurinnen und Akteure zu Modi der angestrebten Normübernahme verdichten. In dieser Vergleichskategorie geht es um Präventionsziele. Diese Handlungsziele, so wird es im Material sichtbar, sind nicht mit genuin polizeilicher Handlungspraxis erreichbar. Das bewirkt Irritationen bei den Beamtinnen und Beamten, die zu kontrastreichen Orientierungsmustern führen und die sich im Spannungsfeld zwischen der Befähigung von Subjekten zur gesellschaftlichen Teilhabe und der Gewährleistung staatlicher Ordnung bewegen. Anhand der konjunktiven Sinngehalte der Diskurse konnte nicht nur die Basistypik (Gewährleistung staatlicher Ordnung und Befähigung zur gesellschaftlichen Teilhabe) rekonstruiert werden, sie sind auch für die Rekonstruktion der beiden Vergleichskategorien von Bedeutung. Dokumentarische Sinngehalte, wie sie in Konstruktionen der eigenen Rolle und Modi der angestrebten Normübernahme sichtbar werden, sind als Vergleichsaspekte für die Herausbildung kollektiver Handlungsmuster der Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten in der polizeilichen Präventionsarbeit von zentraler Bedeutung und strukturieren die Darstellung der drei Orientierungstypen in den nächsten Abschnitten. Zunächst bietet die folgende Abbildung 5.2 einen Überblick über die Typologie und den Typenbildungsprozess.

Entlang der Vergleichskategorien Konstruktion der eigenen Rolle und Modi der angestrebten Normübernahme und den dazugehörigen Vergleichskriterien wird jetzt der rekonstruktive Forschungsprozess anhand von Transkriptausschnitten dargestellt. Auf diese Weise werden das methodische Vorgehen und die Rekonstruktion der Orientierungstypen nachvollziehbar. Im gesamten empirischen Material dieser Studie wird die Suche der Beamtinnen und Beamten nach einer eigenen aufgabenspezifischen Identität innerhalb der Polizei, aber auch durch Abgrenzungen zu anderen Akteurinnen und Akteuren deutlich. Durch die Abstraktion rekonstruierter Orientierungen ließen sich mit Hilfe der beiden Vergleichskategorien die drei oben benannten maximal kontrastiven Idealtypen herausarbeiten.

Abbildung 5.2
figure 2

Typologie: Handlungsorientierungen der polizeilichen Präventionsarbeit

5.3.1 Obrigkeitsstaatliche Präventionsarbeit

Bezogen auf kollektive Handlungsorientierungen von Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten beschreibt obrigkeitsstaatlich ein Selbstbild, in dem die eigene Rolle durch Machtausübung über andere Personen und einem damit verbundenen Über-Unterordnungsverhältnis geprägt ist, insbesondere auch im Verhältnis zu Kindern und Jugendlichen. Das rekonstruierbare Rollenbild geht aber über das Verhältnis Bürger und Polizei hinaus. Es erstreckt sich als handlungsleitendes Gesellschaftsbild insgesamt auf das Verhältnis zwischen Bürgerinnen / Bürgern und staatlichen Akteurinnen / Akteuren, zu denen auch Lehrkräfte gehören. So werden beispielsweise von schulischen Akteurinnen und Akteuren die gleichen Reaktionsmuster bezogen auf die Einhaltung von Ordnungsvorschriften und im Umgang mit abweichendem Verhalten erwartet, wie bei polizeilichen Akteurinnen und Akteuren. Wie sich in der Rekonstruktion des Typus zeigt, orientieren sich die Akteurinnen und Akteure dieses Typus im Handeln an einem obrigkeitsstaatlichen Gesellschaftsbild, ohne von der Annahme der realen Existenz solcher Verhältnisse auszugehen.

Orientierungen, die diesem Typus zugeordnet werden können, finden sich insbesondere in den kollektiv geteilten Orientierungen der Gruppen Paula und Delta. Um die Verankerung dieser Orientierung im gesamten Sample zu dokumentieren, werden bei der Rekonstruktion auch Passagen aus den Diskursen der Gruppen Berta, Bravo und Hotel berücksichtigt.

5.3.1.1 Konstruktion der eigenen Rolle im Modus des Respekts

Im empirischen Material dieser Forschungsarbeit zeigt sich über alle Fälle hinweg, dass der hauptamtliche Umgang mit Kindern und Jugendlichen ein spezifisches Selbstbild sichtbar werden lässt. Dazu tragen z. B. Unterschiede in den Handlungsformen im Vergleich mit anderen polizeilichen Handlungsfeldern, der Umgang mit jungen Menschen und die Arbeitskontakte zu Pädagoginnen und Pädagogen bei. Aus der vergleichenden Interpretation heraus lässt sich die Kategorie Konstruktion der eigenen Rolle konstruieren. Da die Selbstverortung der Polizistinnen und Polizisten für ihr Handeln in pädagogischen Kontexten konstitutiv ist, bedarf es einer Rekonstruktion des Rollenbildes des Typus obrigkeitsstaatliche Präventionsarbeit. Im empirischen Material zeigt sich die Bedeutsamkeit normativer Dispositionen, des Bildes von Kindheit und Jugend, des Selbstbildes als Expertinnen und Experten sowie der Wirkmächtigkeit professionsspezifischer Orientierungen von Akteurinnen und Akteuren der polizeilichen Präventionsarbeit. Entlang dieser Vergleichskriterien wird die Rolle dieses Typus und auch der weiteren Orientierungstypen rekonstruiert.

Normative Disposition

In allen Gruppendiskussionen zeigen sich normative Dispositionen von Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten, die für die Entwicklung und Gestaltung der eigenen Rolle konstitutiv erscheinen. Spezifisch für Orientierungen im Sinne des Typus obrigkeitsstaatliche Präventionsarbeit ist, dass die Akteurinnen und Akteure aus einer Ordnungsperspektive auf Kinder und Jugendliche blicken. Die Einhaltung gesetzlicher Regeln, das Handeln im Rahmen informeller Ordnungsvorstellungen und bestimmter Werte scheinen Bürgerpflichten von herausragender Bedeutung zu sein. Dieser Priorisierung von Ordnung folgend zeigt sich, dass junge Menschen in das Gesellschaftssystem hineinsozialisiert werden sollen. Abgeleitet vom polizeilichen Auftrag in Gefahrensituationen einen Beitrag zur Einhaltung der staatlichen Ordnung zu leisten, deutet sich bei Orientierungen dieses Typus eine deterministisch erzieherische Interpretation des Präventionsauftrags an. So sollen junge Menschen Regelverstöße gar nicht als Handlungsoption in Betracht ziehen bzw. sich vor Gefährdungen durch andere schützen können. Die Orientierungsmuster zeichnen sich dadurch aus, dass es nicht nur um die Einhaltung von Rechtsnormen geht, welche die Polizei zu vertreten hat, sondern auch um die Vermittlung kollektiv geteilter, subjektiver Ordnungsvorstellungen, die ebenfalls als allgemeingültig und verbindlich interpretiert werden. Bei kollektiven Handlungsorientierungen die dem Typus obrigkeitsstaatliche Präventionsarbeit zugeordnet wurden, werden dichotome Wertvorstellungen und ein positivistisches Rechtsverständnis sichtbar. Verhalten ist richtig oder falsch. Menschen sind tendenziell gut oder böse und müssen sich auf ihrem Lebensweg für das eine oder andere entscheiden. So lässt sich die sichtbar gewordene Normativität der Akteurinnen und Akteure dieses Typus zusammenfassend charakterisieren.

Diese Orientierungsmuster zeigen sich auch in der Zusammenarbeit mit Lehrkräften an Schulen. Auf das Verhältnis zu Pädagoginnen und Pädagogen kommen alle Gruppen in unterschiedlicher Intensität kommunikativ generalisierend zu sprechen, die in der polizeilichen Präventionsarbeit an Schulen aktiv sind. In diesen Diskursen werden regelmäßig implizite Bilder von Normativität sichtbar. So zeigt sich bei der Gruppe Berta zu Beginn einer Passage, in der es um das Lernen des Einhaltens von Regeln geht, dass Lehrerinnen und Lehrer diesem Erziehungsziel zu wenig Bedeutung beimessen.

Berta: Entwicklung von Kindern: Grenzen setzen und fördern, Z. 1–13

figure e

Die Gruppe Berta diskutiert die Bedeutung des Verhaltens von Lehrerinnen und Lehrern für die Einhaltung von Regeln im Schulleben. Bm glaubt, dass es ganz entscheidend ist, wie das Kollegium in der Schule zusammenhält. Das hängt nach seiner Meinung auch von „Grenzziehungen“ der Lehrkräfte ab. Mit Grenzziehungen verbindet Bm die Einhaltung von Schulordnungen und anderen Regeln des sozialen Zusammenlebens, die in Schulen von Bedeutung sind. Da formulierte Verhaltensregeln eingehalten werden müssen, bedarf es auch einer Verständigung über die Durchsetzungsmodalitäten. Hier ergeben sich aus seinen Beobachtungen des Schullebens Defizite. Bm beklagt das Fehlen einer einheitlichen Interventionsschwelle, an der alle Lehrkräfte einer Schule ihr Handeln ausrichten. Werden Regelverstöße mit einer gewissen Beliebigkeit toleriert, beeinflusst es negativ das Schulklima. Cw validiert diese Beschreibung von Bm. Als Folge inkonsequenten Lehrerverhaltens werden, nach der Interpretation der Gruppe Berta, tolerierte Verhaltensgrenzen von Schülerinnen und Schülern ausgetestet, was umso leichter fällt, je heterogener die Interventionspraxis eines Schulkollegiums ist.

In dieser Sequenz zeigt sich, dass die Gruppe Regeln vor dem Hintergrund eines Durchsetzungsmodus diskutiert. Es deutet sich an, dass nicht näher benannte Sanktionen offensichtlich ein bedeutsames Instrumentarium darstellen, mit dem die Einhaltung von Regeln erreicht werden kann. Sanktionen muss es geben, wenn z. B. Einsicht in den Normsinn oder Rücksicht auf andere zu keinem sozialadäquaten Verhalten führen.

Relevant erscheint ebenfalls, dass Schulen ein Erziehungsauftrag zugeschrieben wird, der die Durchsetzung sozialadäquaten Verhaltens und mithin Zwangsmaßnahmen betont. Es deutet sich bei diesem Typus eine Orientierung an, die Regeln auch im pädagogischen Kontext unter der Perspektive der Einhaltung betrachtet, also auf die Übernahme gesellschaftlich legitimierter Ordnungen ausgerichtet ist. Schülerinnen und Schülern wird per se zugeschrieben, Sanktionierungsdefizite bei Regelverstößen zielgerichtet auszunutzen und danach zu streben, Grenzen zu überschreiten. Durch die Fokussierung auf Fehlverhalten deutet sich bereits in dieser Sequenz ein defizitorientierter Blick auf Menschen an (siehe differenzierter unten die Beschreibung des Bildes von Kindheit und Jugend). In diesem Diskursausschnitt dokumentiert sich ein typisch polizeilicher Blick auf das Setting. Zu den polizeilichen Kernkompetenzen gehören das Erkennen und der Umgang mit Regelverstößen. Die Unterbindung und Sanktionierung unerwünschter Verhaltensweisen ist in der genuin polizeilichen Handlungspraxis von zentraler Bedeutung.

Dieses Orientierungsmuster ist für den Typus obrigkeitsstaatliche Präventionsarbeit in der schulischen Präventionsarbeit handlungsleitend. Es zeigt sich bei einer ganzen Reihe von Fällen. So ist zum Beispiel auf der kommunikativ generalisierenden Ebene eine Sequenz bei der Gruppe Paula zu finden (Paula: Zusammenarbeit mit Pädagogen, Z. 127–131). Ein maximaler Kontrast wird dagegen in Fällen sichtbar, in denen die Förderung der Einsicht in den Normsinn handlungsleitend zu sein scheint (vgl. z. B. Hotel: Junge Menschen erreichen – Normsinn vermitteln, Z. 27–36, siehe Abschnitt 5.3.3.1). In dieser zu obrigkeitsstaatlichen Orientierungsmustern kontrastiven Handlungsorientierung wird der Reflexion von Normen und der EntwicklungFootnote 10 von Regeln Raum gegeben.

Die Orientierung des Handelns in pädagogischen Situationen in einem genuin polizeilichenFootnote 11 Modus zeigt sich besonders in der schulischen Präventionsarbeit, in der auch die Durchsetzung von Schulregeln und die Mitwirkung an der Beseitigung von Unterrichtsstörungen als Bestandteil der eigenen Aufgabe interpretiert wird. Nach einer kurzen Orientierungs- und Aushandlungsphase zu Beginn der Gruppendiskussion kommt die Gruppe Paula über eine schulform- und sozialraumbezogene Charakterisierung von Schülerinnen und Schülern zur Interpretation ihrer Rolle an Schulen. Aus der langjährigen Arbeitspraxis in der Zusammenarbeit mit den gleichen Schulen und vorbereitenden Gesprächen mit Lehrkräften wissen die Beamtinnen und Beamten wie ihre Arbeit zu gestalten ist. Bei der Analyse von Präventionsadressatinnen und Präventionsadressaten durch diesen Typus geht es um die Identifizierung von Problemen und Personen, die in schulischen Situationen durch die Polizei bearbeitet werden müssen. Lehrerinnen und Lehrer werden durch die Arbeit der Präventionsbeamtinnen und Präventionsbeamten bei der Beseitigung von Störungen, mittels abschreckender Inszenierungen von Interventionsmöglichkeiten der Polizei unterstützt. Nach der Interpretation der Akteurinnen und Akteure des Typus obrigkeitsstaatliche Präventionsarbeit wollen die Lehrkräfte genau diese Form der Mitwirkung der Polizei an der Unterrichtsgestaltung. Die Orientierung an der genuinen Polizeifunktion wird im folgenden Diskursausschnitt der Gruppe Paula sichtbar.

Paula: Eingangspassage, Z. 46–63

figure f

Die Gruppe beschreibt bereits am Anfang der Eingangspassage, die Besonderheit ihrer Rolle in der schulischen Präventionsarbeit. Sie haben die Möglichkeit schulische Ordnung zu fördern, wenn Lehrkräfte persönlich überfordert oder pädagogische Mittel ausgeschöpft sind. Im Gegensatz zu Lehrkräften sind sie „Respektspersonen“. Durch ihre Mitwirkung am Unterricht verändert sich die Perspektive auf den Unterrichtsgegenstand, der dann eine Verhaltensänderung und nach der kollektiv geteilten Orientierung dieser Gruppe so einen Lernerfolg bewirkt. Die Beschreibung und Konklusion von Bw werden durch Aw und Cw validiert.

In dieser Sequenz wird eine normative Grundhaltung dieses Typus deutlich, in der die Gewährleistung der staatlichen Ordnung als eigenständiger, übergeordneter gesellschaftlicher Zweck das Verhältnis zwischen der Gesellschaft und dem Einzelnen beschreibt. Aus dieser Hierarchie wird aus einem asymmetrischen Verhältnis zwischen Polizei und Bürger die eigene Rolle abgeleitet, das auch im Verhältnis zu jungen Menschen handlungsleitend ist. So spricht Bw in der zitierten Sequenz auch von „Hansels“, denen die „Richtlinien“ klargemacht werden müssen. „Hansel“ ist dem Wortsinn nach eine umgangssprachliche Bezeichnung für eine nicht weiter zu beachtende männliche Person. Der kontextuale Wortgebrauch von Bw legt jedoch eine abweichende Sinnzuschreibung nahe. Mit „Hansels“ beschreibt sie Schüler, die negativ in Erscheinung treten und benennt damit gleichzeitig die Gruppe, um die es in der polizeilichen Präventionsarbeit speziell geht. Durch die Verwendung der Bezeichnung wird eine Voreingenommenheit sichtbar.

Legitimiert durch ihre langjährige Erfahrung an unterschiedlichen Schulen (vgl. Abschnitt 5.1) bringen die Akteurinnen und Akteure zum Ausdruck, dass sie über gesicherte Erkenntnisse verfügen, was sie an Schulen erwartet und mit welchen Erwartungen anderer sie umzugehen haben. In der Beschreibung dokumentiert sich die Orientierung an einem gesättigten Erfahrungswissen eigener schulischer Präventionsarbeit, aus der heraus die Beamtinnen und Beamten ihre Rolle definieren. In der inszenierten Handlungssicherheit in Konfliktsituationen deutet sich eine normative Überlegenheit aus ihrem öffentlichen Amt heraus gegenüber den Lehrerinnen und Lehrern, Schülerinnen und Schülern sowie dem schulischen Setting insgesamt an, weil Regelbewusstsein intensiv mit Durchsetzungsstrategien verknüpft wird. Es zeigt sich weiterhin eine defizitorientierte Wahrnehmung von Schule, die eben auch der Polizei als Problemlöser bedarf. In dem „anern Blickwinkel“, der für ihre Arbeit konstitutiv sein soll, zeigt sich eine Rollenkonstruktion aus juristischem, polizeilichem und alltagspädagogischem Erfahrungswissen, die auf die Arbeit an Schulen ausgerichtet ist. Wie bei der Gruppe Paula zeigt sich bei dem Typus obrigkeitsstaatliche Präventionsarbeit die Konturierung des eigenen Profils durch Abgrenzungen gegenüber Lehrerinnen und Lehrern durch die Formulierung negativer Gegenhorizonte. Entscheidend für ihre Professionalität ist die polizeiliche Expertise. Getragen wird diese Orientierung durch ein Selbstbild von Polizistinnen und Polizisten, das tief in genuin polizeilichen Handlungspraxen verwurzelt ist.

Trotz ihrer überwiegend langjährigen Präventionspraxis in pädagogischen Situationen orientieren sie sich an Handlungsmustern, deren Praxis für die Beamtinnen und Beamten lange zurückliegt, die aber dennoch sehr wirkmächtig sind. Relevant erscheint, dass die Expertinnen- und Expertenrolle eng mit der Inszenierung als „Respektsperson“ verknüpft wird. Mit dieser Kombination wird das auf Durchsetzung von Regeln angelegte Rollenmuster verstärkt. Diese Orientierung wird dadurch legitimiert, dass nach der Interpretation der Akteurinnen und Akteure Lehrerinnen und Lehrer diese Form von Unterstützung wünschen. Sie sind mit „ihrem Latein am Ende“ und brauchen eine „Respektsperson“. Worin dieser Respekt begründet sein soll und welche „Richtlinien“ gemeint sind, wird nicht explizit. Bezogen auf Respekt deutet sich aus dem Diskurs heraus jedoch an, dass das der Polizei institutionell zur Verfügung stehende Repressionsinstrumentarium gemeint ist. Für diesen Typus lässt sich tendenziell ein auf Abschreckung und Durchsetzung angelegtes Rollenbild rekonstruieren. Sowohl auf der kommunikativ generalisierenden Ebene, als auch konjunktiv geteilt zeigt sich, dass mit dieser Orientierung auch den Erwartungen von Lehrkräften entsprochen werden will.

Diese Konstruktion der eigenen Rolle wirkt auch auf die Rekonstruktion der Zielperspektive der Präventionsarbeit und Erwartungen an Wirksamkeit des TypusFootnote 12 (siehe Abschnitt 5.3.1.2). In der folgenden Sequenz dokumentiert sich erneut das Bild von Recht und Ordnung mit klaren und eindeutigen Gültigkeitsvorstellungen im Umgang mit formellen und informellen Regeln. Der Transkriptauszug stammt aus dem Diskurs der Gruppe Bravo. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sind Jugendsachbearbeiterinnen und JugendsachbearbeiterFootnote 13, die nicht an Schulen arbeiten, sondern in polizeilichen Ermittlungssituationen mit Jugendlichen in Kontakt kommen.

Bravo: Sich Respekt verschaffen und Jugendliche vor Fehlverhalten abschrecken, Z. 70–77

figure g

Die Gruppe diskutiert in einem Diskursabschnitt in dem es um das Erfordernis geht sich Respekt zu verschaffen, ihre Erfahrungen bei der Herstellung bzw. Aushandlung von Gesprächssituationen. In der zitierten Sequenz geht es darum durchzusetzen, dass zum Beginn einer Vernehmung die Kopfbedeckung abgesetzt wird. Dm hatte zuvor die Herstellung eines Über- und Unterordnungsverhältnisses in der Vernehmungssituation eines jugendlichen Straftatverdächtigen beschrieben (Bravo: Sich Respekt verschaffen und Jugendliche vor Fehlverhalten abschrecken, Z. 48–58), nun wird diese Erfahrung von weiteren Beamtinnen und Beamten der Gruppe validiert. Mit der kurzen Erzählung von Ew wird der Diskurs des Themas abgeschlossen.

Hier zeigen sich in einem instruierenden Modus deutlich spezifische Aspekte der intendierten Normübernahme. Bezogen auf die Konstruktion der eigenen Rolle wird die Anerkennung der Person und ihre hoheitliche Funktion mit Akten sichtbarer Unterordnung verbunden. Mit dem Vollzug einer Höflichkeitskonvention wird dem angestrebten asymmetrischen Rollenbild genüge getan, indem das als Provokation empfundene Tragen einer Mütze während einer Gesprächssituation unterbunden wird. Ew geht es in dieser Situation nicht um die Erklärung der KonventionFootnote 14, zumal die Praxis des Abnehmens von Kopfbedeckungen in geschlossenen Räumen sich von möglichen ursprünglichen Sinngehalten bereits weit entfernt hat und sich zu einer selbstständigen Geste des Respekts vor anderen Anwesenden im Raum entwickelt hat. So ist z. B. bei jugendtypischen Schirmmützen häufig der Blick in Gesicht versperrt, wodurch wiederum eine Kommunikationsbarriere aufgebaut wird. Doch um all diese inhaltlichen Zwecke scheint es in der kurzen Erzählung nicht zu gehen. Es dokumentiert sich vielmehr, dass die Aushandlung von Machtverhältnissen im Mittelpunkt steht. In der Beschreibung der erwarteten unreflektierten Einhaltung von Regeln deutet sich ein dichotomes Normenbild an, das von einem festen, verbindlichen Regelkanon auch jenseits gesetzlicher Vorschriften ausgeht. Die Elaboration dieses Themas drückt auf expliziter Ebene ein Selbstverständnis der Polizeibediensteten als Hüterinnen und Hüter der Normen aus. Als kollektiv geteilte Normativität, kann eine Orientierung an Verhaltensoptionen rekonstruiert werden, die entweder richtig oder falsch sind, und in dem sich gleichzeitig ein auf Über- und Unterordnung angelegtes Rollenbild zeigt.

Die eigene Normativität und die Überhöhung der eigenen Rolle, als Ausdruck der dem Individuum übergeordneten Staatlichkeit, erscheint charakteristisch für diesen Typus und strahlt auch auf die Wahrnehmung anderer Menschen aus. Die Akteurinnen und Akteure nehmen Kinder und Jugendliche konjunktiv geteilt als Täterinnen und Täter oder Opfer, bzw. potenzielle Täterinnen und Täter oder potenzielle Opfer wahr. Im folgenden Transkriptauszug beschreibt Bw der Gruppe Paula die Differenz zwischen Präventionsarbeit und genuin polizeilicher Arbeit in problembeladenen Situationen.

Paula: Das Verhältnis zu den Schülerinnen und Schülern, Z. 34–43

figure h

Die Präventionsarbeit ist im Vorfeld polizeilicher Interventionen angelegt. Unbelastet von einem konkreten Anlass können die Präventionsbeamtinnen und Präventionsbeamten über Straftaten informieren, um Viktimisierungen zu verhindern oder deviantem Verhalten vorzubeugen. Die überwiegende Anzahl der jungen Menschen will Bw so erreichen können. Alle, die nicht durch vorbeugende Maßnahmen erreicht werden, müssen „den annern Part der Polizeibeamten kennen“. Diejenigen, die sich nicht instruieren lassen, die „Unbelehrbaren“, sind dann Fälle für die sanktionierende, Zwang ausübende Polizeiarbeit. Bw vermeidet es präzise zu benennen, was diesen Personen widerfährt. Sichtbar wird auf diese Weise die Dichotomie ihrer Argumentation. Normgemäßes Verhalten basiert auf einem Lern- bzw. Erziehungserfolg, abweichendes Verhalten auf pädagogischen Misserfolgen. Sie unterscheidet ohne Zwischenstufen zwischen Gut und Böse. Die Beschreibung wird von Aw validiert.

In dieser Sequenz werden instruierende Modi der angestrebten Normübernahme sichtbar. Es zeigt sich beispielsweise, dass die Präventionsarbeit auf Kinder und Jugendliche ausgerichtet ist, die im Belehrungsmodus erreichbar erscheinen. Die Rekonstruktion von Orientierungen soll sich hier jedoch auf die Rolle der Akteurinnen und Akteure konzentrieren, wobei das Bild von Kindheit und Jugend (siehe hierzu differenziert unten) nicht ganz ausgeschlossen werden kann. Auf der kommunikativ generalisierenden Ebene wird eine konfliktfreie Gesprächssituation über Vermeidung von abweichendem Verhalten beschrieben. Gleichzeitig wird jedoch mit der einfachen Differenzierung zwischen belehrbaren und unbelehrbaren Personen ein stereotypes Bild junger Menschen sichtbar. Hier zeigt sich eine Komplexitätsreduktion von der häufig genuin polizeiliche HandlungsformenFootnote 15 geprägt sind.

Dieses Orientierungsmuster bleibt bei diesem Typus in der Präventionsarbeit erhalten, obwohl das Handeln in pädagogischen Situationen einen deutlichen Kontrast zum Handeln in polizeilichen Settings darstellt. Weiterhin wird darin auch die kollektiv geteilte Wirkmächtigkeit professionsspezifischer Orientierungen sichtbar (siehe hierzu differenziert unten).

Vielmehr zeigt sich aber, dass Kinder und Jugendliche, in einem maximalen Kontrast zu anderen Fällen (z. B. Hotel oder Romeo), nicht unvoreingenommen als Persönlichkeiten mit Stärken und Schwächen, sondern nur durch eine polizeiliche Rollenfolie wahrgenommen werden. Genauso dichotom werden die Beeinflussungsmöglichkeiten junger Menschen beurteilt. Es gibt Menschen, die Interesse an den Informationen und Belehrung der Polizei haben und die „Unbelehrbaren“, deren Verhalten nicht kommunikativ beeinflusst werden kann. Eben weil sich stark kontrastive Bilder von Kindheit und Jugend aus dem empirischen Material dieser Untersuchung emergieren lassen, ergab sich aus diesem Befund ein weiteres Vergleichskriterium.

Bild von Kindheit und Jugend

Charakteristisch für Orientierungen, die diesem Typus zugeordnet wurden, scheint eine simplifizierende Wahrnehmung ihres Umfelds zu sein; das nicht nur von ausgeprägt stereotypisierenden Rollenzuschreibungen geprägt ist, sondern auch von der Annahme einer stark pfadabhängigen Entwicklung junger Menschen ausgeht. Die folgende Sequenz stammt aus einer Passage, in der die Gruppe Paula ihre schulische Arbeit über die Jahrgangsstufen hinweg diskutiert.

Paula: Eingangspassage , Z. 106–120

figure i

Eine besondere Bedeutung misst Aw der Gruppe Paula der polizeilichen Präventionsarbeit in der Primarstufe bei. Kinder müssen früh zu einem normkonformen Verhalten erzogen werden, damit sozial erwünschte Verhaltensmuster dauerhaft praktiziert werden. Jugendliche sind dagegen kaum noch beeinflussbar. Auch in diesem Transkriptauszug zeigt sich erneut, die Orientierung an einer Einordnung in ein bestimmtes Werte- und Normensystem. Bereits in den ersten Klassen muss man „eine Spur gefunden haben“, d. h. die Akzeptanz von Normen muss bereits in jungen Jahren erfolgen. Später, so die konjunktiv geteilten Erfahrungen der Gruppe, nehmen die Möglichkeiten zur Verhaltensbeeinflussung ab. Bei „den Älteren“ braucht man sonst gar nicht „mehr reingehen“. Daher wollen sie bereits im Grundschulalter erreichen, dass die Kinder ungefähr wissen „wo der Hase lang läuft“. In dieser metaphorischen Redensart drückt sich die Erwartung aus, dass Kinder ein Gespür für Verhaltenserwartungen ihrer Umwelt erlangen, was „Recht“ bzw. „Unrecht“ ist und mit welchen Sanktionen die Kinder rechnen müssen, wenn sie gegen Verhaltenserwartungen verstoßen. „Bei den Älteren“, gemeint sein dürften Schülerinnen und Schüler in der Sekundarstufe, kann man sicherlich noch mit ein bis zwei Stunden bei akuten Problemen in den Unterricht gehen. Der „Grundstein“ muss bei den Kleinen gelegt werden. Hier wird sichtbar, dass mit zunehmendem Alter die Erziehung im Sinne einer nachhaltigen Verhaltensbeeinflussung schwieriger wird. Gleichzeitig scheint auch wieder der bereits rekonstruierte Interventionsmodus durch. „Probleme“, gemeint sein dürften Regelverstöße, müssen bearbeitet werden. Mit zunehmendem Alter der Adressatinnen und Adressaten von Präventionsmaßnahmen scheint die Information über Normen und Sanktionen als Inhalt der Präventionsarbeit durch die Mitwirkung bei der Beseitigung von Störungen durch junge Menschen überlagert zu werden. Diese Beschreibung wird von Bw mit dem Aphorismus „was Hänschen nicht lernt Hans nimmermehr“ validiert.

Wie bereits in der inhaltlichen Beschreibung der Sequenz angedeutet wurde, werden hier handlungsleitende entwicklungspsychologische und pädagogische Alltagstheorien sichtbar. Nach diesem Orientierungsmuster lassen sich frühkindliche Entwicklungen später durch erzieherische Maßnahmen kaum korrigieren. In diesem Bild von Kindheit und Jugend wird eine ausgeprägte Asymmetrie sichtbar, mit der die Beamtinnen und Beamten jungen Menschen begegnen. Das dokumentiert sich in der Akzentuierung einer hierarchischen Beziehung zwischen Erwachsenen und Kindern, die sich zusätzlich durch eine Betonung der polizeilichen Amtsautorität ausdrückt. Die Beamtinnen und Beamten inszenieren sich als Repräsentantinnen und Repräsentanten der Obrigkeit, die mit Untertanen umgehen. Dieser Modus zeigt sich nicht nur im Umgang mit Schülerinnen und Schülern, sondern auch in Bezug auf Erwartungen an Lehrerinnen und Lehrer.

Im Gesamtkontext der Diskurse dokumentiert sich für Orientierungen, die dieser Typus repräsentiert, dass sich das explizit negative Labeling junger Menschen nicht auf intensives delinquentes Verhalten bezieht, sondern auf mangelndes Wohlverhalten. Es reichen schon Respektlosigkeit gegenüber den Erwachsenen oder kleinere Ordnungsverstöße, aus denen eine negative Entwicklungsprognose gefolgert wird. Doch was dokumentiert sich darin bezogen auf die eigene Rollenkonstruktion? Die Dichotomie, die sich in der eigenen Normativität der Akteurinnen und Akteure gezeigt hat, setzt sich im Bild von Kindheit und Jugend fort. In der Vereinfachung der Komplexität von Lebenswelt, holzschnittartigen Entwicklungsprognosen und den damit verbundenen Überzeichnungen potenzieller biografischer Lebensläufe, dokumentiert sich die Legitimation polizeilicher Präventionsarbeit. Nur die Polizei hat neben der Normenverdeutlichung im Rahmen pädagogischer Settings auch die Option der Durchsetzung von Regeln. Die Option der Zwangsbefugnis unterscheidet Polizeibedienstete von anderen Akteurinnen und Akteuren in der Präventionsarbeit und scheint ein charakteristisches Merkmal der kollektiv geteilten eigenen Rollenkonstruktion zu sein. Insgesamt wird ein Bild von Kindheit und Jugend sichtbar, das menschliche Fehlbarkeit stigmatisiert und verurteilt.

Die Präventionsakteurinnen und Präventionsakteure empören sich normativ und inszenieren sich als normtreues Vorbild und Hüterinnen / Hüter der Moral. Gesetzestreue bedeutet für sie gesellschaftliche Inklusion, während Devianz einen dauerhaften Ausschluss aus gesellschaftlicher Teilhabe indiziert. So wird dann auch konjunktiv geteilt, dass kriminelle Karrieren meistens unumkehrbar zu sein scheinen. Aufgrund der angenommenen Pfadabhängigkeit von Entwicklungen verfehlen Erziehungsbemühungen bei devianten Jugendlichen regelmäßig ihr Ziel. Charakteristisch für Handlungsorientierungen dieses Typus ist die Prägung junger Menschen mit Hilfe von Präventionsarbeit und nicht die Fokussierung individueller Entwicklungen.

Im gesamten Sample finden sich Beschreibungen und Erzählungen der Beamtinnen und Beamten, wie sie von Kindern und Jugendlichen wahrgenommen werden. Das ist für die Polizistinnen und Polizisten bedeutsam und zeigt sich in der Elaboration positiver Kennverhältnisse. Sie interpretieren die Qualität und Güte dieser Beziehungen und ziehen daraus Schlussfolgerungen für ihre eigene Wahrnehmung durch junge Menschen. Die Untersuchung zeigt jedoch, dass die impliziten Rollenkonstruktionen maßgeblichen Einfluss darauf haben, wie die Bedeutung der Interaktion und der Feedbacks von jungen Menschen in konjunktiven Wissensbeständen wirkmächtig wird. Typisch für Erzählungen über Rückmeldungen von Kindern und Jugendlichen ist auch, dass sie eine zeitliche und räumliche Distanz zu der polizeilichen Präventionsmaßnahme haben. Wie Cm aus der Gruppe Hotel berichten mehrere Präventionsbeamtinnen und Präventionsbeamte von zufälligen Begegnungen mit jungen Menschen, die ihnen zuvor in ihrer Arbeit begegnet sind.

Hotel: Junge Menschen erreichen – Normsinn vermitteln, Z. 263–278

figure j

Cm trifft außerhalb des Dienstes auf einen Jungen, der ihn als Polizisten erkennt und sich auch noch an die Inhalte einer Präventionsveranstaltung erinnern kann. Das Zusammentreffen liegt schon rund ein Jahr zurück. Cm trägt beim erneuten, zufälligen Treffen keine Uniform. Aus der großen zeitlichen Distanz und dem Fehlen äußerlicher Merkmale, die Cm als Polizeibeamten zu erkennen geben, folgert er eine Wertschätzung seiner Person und seiner Arbeit. Dm validiert die Erzählung von Cm und betont in einer anschließenden Differenzierung die Bedeutung eines positiven Eindrucks der Polizei bei Kindern und Jugendlichen als eine „Investition“ für die Zukunft im Sinne einer Imagearbeit unabhängig von den Präventionsthemen.

Für den Typus obrigkeitsstaatliche Präventionsarbeit lässt sich das Streben nach einer einseitigen Kennbeziehung für die präventive Begleitung von Kindern und Jugendlichen in der Kindergarten- und Schulzeit und darüber hinaus für Begegnungen im Sozialraum bzw. in genuin polizeilichen Situationen rekonstruieren. Sie wollen positiv wiedererkannt werden. Kinder und Jugendliche sollen ihnen vertrauen. Begrüßungen oder ähnliche Aufmerksamkeitsreaktionen und die Erinnerung an frühere Begegnungen werden als positives Feedback gedeutet, als Akzeptanz und Nachhaltigkeit ihrer Arbeit und der Polizeiarbeit insgesamt. Ihnen ist es wichtig als Amtspersonen, als Akteure der Institution Polizei, wiedererkannt zu werden. Das wird als Anerkennung der Polizei und Unterwerfung unter die staatliche Ordnung interpretiert. Im empirischen Material deutet sich eine selbstzentrierte Wahrnehmung des Feedbacks junger Menschen an. Relevant zu sein scheint, welche Wertschätzung Polizistinnen und Polizisten als Hoheitsträger widerfährt. In diesem Orientierungsmuster dokumentiert sich ein erstrebter Eigennutzen polizeilicher Präventionsarbeit. Die Leichtigkeit des Ablaufs ihrer Arbeit sowie persönliche Wertschätzung von jungen Menschen scheinen als selbstbezogene Ziele besonders bedeutsam zu sein. Es besteht die Erwartung, dass ein positives Bild der Polizei Offenheit erzeugt und Zugänge zu anderen Menschen ermöglicht. In Beschreibungen von Fremdwahrnehmung dokumentiert sich für diesen Typus das implizite Wissen um die Bedeutung von Arbeitsbeziehungen, wobei bei der Bedeutung nicht zwischen polizeilicher und pädagogischer Arbeit differenziert wird. Positive Erinnerungen an vorangegangene Interaktionen fördern aus der Perspektive der Polizistinnen und Polizisten heraus gute Arbeitsbedingungen für die Präventionsarbeit. Es deutet sich auf diese Weise auch an, dass zugewandte Menschen als präventabel und für die polizeilichen Erziehungsziele besonders zugänglich klassifiziert werden.

Selbstbild als Expertinnen und Experten

Schon bei der Rekonstruktion der Rolle als „Respektsperson“ wurde sichtbar, dass für diesen Typus die selbst wahrgenommene Exklusivität der eigenen Expertise charakteristisch zu sein scheint. Diese Orientierung wird auch im Diskurs der Gruppe Delta sichtbar.

Delta: Eingangspassage, Z. 198–216

figure k

Diese Beschreibung schließt einen Diskursabschnitt ab, in dem die juristische Unkenntnis der Rechtsvorschriften von Erwachsenen zur Notwehr und Nothilfe erzählt wurde. Zwischen Eltern sowie Lehrerinnen und Lehrern soll es bei juristischen Kenntnissen keine Unterschiede geben. Genau diese Elaboration umfasst die ausgewählte Sequenz. Von der Gruppe Delta wird kollektiv geteilt, dass Lehrerinnen und Lehrer bezogen auf Strafrechtswissen „genauso dumm“ wie Eltern sind. Selbst wenn sie sich dieses Wissen aneignen, z. B. durch das Lesen von Rechtsvorschriften und Fachliteratur, würde ihnen immer noch praxeologisches Wissen fehlen. Sie könnten „noch den den Kommentar ähm aufsagen und das wärs auch könnte keine keine Fallbeispiele erzählen“. Genau diese Kenntnisse hätten nur sie als Polizistinnen und Polizisten aufgrund ihrer Strafverfolgungspraxis. Die Beschreibung von Cm wird aus der Gruppe Delta validiert.

Die Beanspruchung und Inszenierung von Expertise berührt regelmäßig die Konstruktion der eigenen Rolle oder allgemeiner ausgedrückt, die eigene Professionalität, die diese Expertise hervorbringt. Normwissen wird nur handlungsorientiert durch Akteurinnen und Akteure mit Erfahrungen in der Normdurchsetzung adressatengerecht vermittelbar, so das Selbstbild der durch den Typus obrigkeitsstaatliche Präventionsarbeit repräsentierten Orientierungen. Im zitierten Transkriptauszug zeigt sich die beanspruchte exklusive Expertise durch die elaborierten Referenzen. Nur Polizistinnen und Polizisten können Beispiele zur Bedeutung von Rechtsvorschriften in der Praxis in Form von „Geschichten“ erzählen. Neben Kenntnissen ist Authentizität erforderlich, die exklusiv nur die Polizei bieten kann. Die Gruppe nimmt für sich eine höhere Glaubwürdigkeit in Anspruch. In der o.a. Beschreibung drückt die Formulierung „so ein Lehrer“, eine gewisse Abschätzigkeit aus. Lehrerinnen und Lehrer können mangels praktischer Erfahrungen nur Rechtsvorschriften „zitieren“ und Erläuterungen „aufsagen“. Ihnen fehlt die Kompetenz für die Vermittlung von Präventionsthemen, weil sie nur über angelesenes Wissen verfügen. Wegen fehlender Strafverfolgungserfahrungen werden Lehrkräfte die handlungsorientierte Reflexionsfähigkeit von Rechtsnormen und eine themenspezifische pädagogische Transferleistung abgesprochen. Dem wird explizierbares Erfahrungswissen gegenüber gestellt, mit dem der didaktische Zweck deutlich besser erreicht werden soll. Praxis- und Erfahrungswissen aus der polizeilichen Arbeit hat für die Gruppe eine herausragende Bedeutung und damit einen angenommenen hohen Nutzwert für die Präventionsarbeit.

Es zeigt sich anhand der Interpretation dieser Passage, dass genuin polizeiliches Erfahrungswissen bedeutsam für die Konstruktion der eigenen Rolle ist. Durch die Betonung differenzierter Rechtskenntnisse in der Elaboration wird weiterhin deutlich, dass für den Typus juristisches Wissen von Bedeutung ist.

Diese Kenntnisse können, dem eigenen Selbstbild folgend, nur Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte vermitteln, weil sie Expertinnen und Experten für Normwissen sind. Im Mittelpunkt steht praxisbezogenes juristisches Wissen, das andere nicht haben, welches für kriminalpräventive Zwecke jedoch erforderlich ist. Im Diskurs wird ein simplifizierter juristischer Orientierungsrahmen sichtbar: Existieren Gesetze, ist das Zusammenleben geregelt, da die Voraussetzungen für eine funktionsfähige Gesellschaft geschaffen sind. In der Fokussierung auf die Legitimation positiv gesetzten RechtsFootnote 16 dokumentiert sich die lineare Übernahme der Wertvorstellungen verfasster Vorschriften.Footnote 17

Dieses Orientierungsmuster dokumentiert sich auch im Diskurs der Gruppe Paula, wie der folgende Transkriptauszug zeigt. Die Erreichung inhaltlicher Ziele wird eng mit der Exklusivität und der Bedeutung der eigenen Expertise für die polizeiliche Präventionsarbeit verknüpft.

Paula: Zusammenarbeit mit Pädagogen, Z. 194–208

figure l

Mit dieser Passage schließt die Gruppe Paula den Diskurs eines Themas ab, in dem es um unterschiedliche Präventionsthemen geht, mit denen Unterrichtssequenzen in Schulen gestaltet werden. Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit Pädagoginnen und Pädagogen werden ebenfalls elaboriert. Respekt und Autorität sind weiterhin Themen, die explizit diskutiert werden. Mit einer Konklusion wiederholt Aw zentrale Aspekte des bisherigen Diskurses und generalisiert sie zugleich. Die Akteurinnen hatten zuvor die ihnen zugedachte Multiplikatorenfunktion diskutiert. Dahinter verbirgt sich ein konzeptioneller Ansatz, mit dem Lehrkräfte befähigt werden sollen, Präventionsthemen selbst zu vermitteln. Mit diesem Modell könnten die unmittelbaren Unterrichtsaktivitäten der Präventionsbeamtinnen und Präventionsbeamten reduziert und letztlich polizeiliche Ressourcen für Präventionsarbeit eingespart werden. Wenn Aw in dieser Sequenz von „Multiplikatoren“ spricht, sind Lehrkräfte gemeint, denen ausschließlich die Fähigkeit zugebilligt wird, Gesetzestexte vorzulesen. Sie selbst bezeichnen sich als „Präventioner“, also Beamtinnen und Beamte, die über genuin polizeiliche Handlungserfahrung verfügen und jetzt als Präventionsbeamtinnen und Präventionsbeamte durch Informationsweitergabe Gefahrenvorsorge betreiben. Der unmittelbare Umgang der Polizei mit Rechtsverstößen und öffentlichen Gefahren verleiht die nötige Expertise und Glaubwürdigkeit, um diese Themen zu vertreten. Das Tragen der PolizeiuniformFootnote 18 unterstreicht diese exklusive Kompetenz symbolisch. Den Erfahrungshorizont von Polizistinnen und Polizisten in den Unterricht einzubeziehen, ist auch ein didaktisches Mittel, dessen Zweckmäßigkeit, nach der Interpretation dieses Typus, auch von Lehrerinnen und Lehrern geteilt wird.

Im Selbstbild dieses Typus drückt sich die beanspruchte Expertise in speziellem Rechtswissen und polizeispezifischem Erfahrungswissen aus, das für Lehrveranstaltungen nutzbar gemacht wird. Gleichzeitig deutet sich ein negativer Gegenhorizont zu den Kompetenzen von Lehrerinnen und Lehrern an. Entscheidend für die Normvermittlung ist für sie die aus ihrer Profession heraus begründete Expertise. Andere Gelingensbedingungen für die Lehrveranstaltungen (Präventionsmaßnahmen) scheinen für die polizeiliche Akteurinnen und Akteure nicht von Bedeutung zu sein. In den Orientierungen des Typus obrigkeitsstaatliche Präventionsarbeit zeigt sich eine Expertise, die nicht mehr der aktuellen Handlungspraxis entstammt. Die Beamtinnen und Beamten befassen sich überwiegend langjährig mit der Organisation und Durchführung von Präventionsveranstaltungen und sind nicht mehr im Bereich der polizeilichen Intervention aktiv.Footnote 19 Das Expertinnen- und Expertenwissen stammt also nicht aus unmittelbarer, aktueller, eigener polizeilicher Einsatzerfahrung, sondern vielmehr aus der Einbindung in die Polizeiorganisation bzw. aus der Identifikation mit der Rolle der Polizistinnen und Polizisten. Es dokumentiert für diesen Typus die Orientierung, dass sich die Akteurinnen und Akteure als Repräsentanten und Repräsentantinnen der Polizei verstehen. Gleichzeitig deutet sich an, dass bei Lehrkräften, in Bezug auf Normerziehung, die Fähigkeit zu didaktischen Transferleistungen in Frage gestellt wird. Das drückt sich auch in der Ablehnung aus, Lehrerinnen und Lehrer Präventionswissen zu vermitteln (Ablehnung der Multiplikatorenfunktion). Vielmehr soll der spezifisch polizeiliche Erfahrungshorizont essenziell für die Normvermittlung sein. Für diesen Typus ist es charakteristisch, sein eigenes Bild von Normativität mit der polizeilichen Normrepräsentanz gleichzusetzen und diese Perspektive allgemeingültig zu interpretieren. Angestrebte Normübernahmen werden in lebensnahes Fallwissen und Amtsautorität (Uniform) eingebettet und mit Wahrheitsansprüchen verbunden. Allein schon das Auftreten in Uniform soll als Referenz der eigenen Glaubwürdigkeit und Fachkompetenz dienen.

Wirkmächtigkeit professionsspezifischer Orientierungen

Die Gruppe Delta diskutiert in der Eingangspassage den Unterschied zwischen pädagogischer und polizeilicher Arbeit im Schulunterricht. In dieser Argumentation werden polizeiliche Orientierungen beim Handeln in pädagogische Situationen sichtbar, in der sich wiederum die Wirkmächtigkeit professionsspezifischer Orientierungen in der Präventionsarbeit dokumentieren.

Delta: Eingangspassage, Z. 126–135

figure m

Cm der Gruppe Delta unterscheidet in seiner Elaboration zwischen genuin polizeilicher Arbeit und dem „präventiv-polizeilichen Bereich“. Die Abgrenzung zu anderen polizeilichen Handlungsfeldern wird durch den Umgang mit Straftaten benannt. Cm beschreibt diese Differenzierung als „Unterhaltung“ über Verbotsnormen, während die Polizei ansonsten primär mit der Verfolgung von Rechtsverstößen befasst ist. In der weiteren Elaboration beschreibt Cm den Unterschied zwischen pädagogischer und polizeilicher Arbeit. Bezugnehmend auf eine vorangegangene Beschreibung zur polizeilichen Drogenprävention wird der Charakter pädagogischer Arbeit zu Suchtstoffen in die Nähe von Drogentherapie gerückt. Hingegen erklärt die Polizei Straftatbestände. Vorangegangen waren Beschreibungen der Kriminalitätsphänomene, die in schulischen Unterrichtssituationen thematisiert werden, und der Methoden, mit denen die Gruppe arbeitet. Die Differenzierung zwischen polizeilicher und pädagogischer Arbeit wird durch eine Person der Gruppe validiert.

Bereits bei der Rekonstruktion der orientierenden Bedeutung der eigenen polizeilichen Expertise für das Selbstbild deutete sich die Wirkmächtigkeit der polizeilichen Professionalität für die Präventionsarbeit an. Wenn auf der kommunikativ generalisierenden Ebene die Exklusivität der polizeilichen Wissensbestände thematisiert wurde, zeigte sich nicht nur, dass es um explizites Wissen über Delinquenz von Jugendlichen geht, sondern dass sich dadurch auch die kollektive Identität der Gruppe konstituiert. Das gleiche Orientierungsmuster zeigte sich in der Kategorisierung junger Menschen als potenzielle Täterinnen und Täter oder Opfer. Das Selbstbild wird nicht nur durch die Beschreibung der eigenen kollektiven Identität sichtbar, sondern auch durch die Abgrenzung von anderen Akteurinnen und Akteuren. Für die Gruppe sind Pädagogik und Polizei zwei Bereiche, die nebeneinander stehen und keine Verbindungen haben. In der Beschreibung des Unterschieds wird die Information über Strafrechtsnormen der Intervention bei Drogenabhängigkeit gegenübergestellt. Dabei wird die inhaltliche Vermittlungssituation in der Schule dem polizeilichen Handlungsfeld und außerschulische soziale und gesundheitliche Hilfe dem pädagogischen Handlungsfeld zugewiesen. Durch eine sehr freie, konstruierte Verknüpfung von Handlungszielen, Wissenstransfer bzw. Therapie, mit den Methoden Belehrung bzw. Hilfe, wird ein eigener polizeilicher Handlungsraum in Schulen definiert und von einem sehr individuell definierten und zugleich unspezifisch umrissenen „pädagogischen Bereich“ unterschieden. Die Sequenz kann als eine reine metaphorische Verstärkung der eigenen Rolle interpretiert werden. Durch die Formulierung dieses Gegenhorizonts wird die Ausgrenzung von helfenden, unterstützenden oder fürsorglichen Mustern aus der eigenen Präventionsarbeit sichtbar. Die Vermittlung von Rechtsvorschriften ist für die Gruppe kein Gegenstand der Pädagogik, weil Pädagogen selbst das entsprechende Wissen fehlt. Das wird auch von anderen Gruppen des Samples konjunktiv geteilt (Berta: Uns geht es gut mit unserer Arbeit, Z. 166–170, Paula: Eingangspassage, Z. 46–63 und Delta Eingangspassage, Z. 198–261).

Während der obrigkeitsstaatliche Modus der Präventionsarbeit auch hier Distanziertheit und hierarchische Über- und Unterordnung erkennen lässt, werden bei anderen Gruppen, wie z. B. bei der Gruppe Berta, das Streben nach größerer Nähe und Wahrnehmung individueller sozialer Probleme erkennbar. Es zeigt sich also ein deutlicher Kontrast zum Typus obrigkeitsstaatliche Präventionsarbeit durch eine größere Empathie und die Reduzierung von Asymmetrie.

Soweit die Akteurinnen und Akteure dieses Typus in Schulen polizeiliche Präventionsarbeit gestalten, wirken sie dort in Unterrichtssequenzen oder sonst in unterrichtsbezogenem Kontext am Schulleben mit. Über das gesamte Sample hinweg zeigt sich bei Gruppen, die diese Form der Präventionsarbeit praktizieren, dass sie an pädagogischen Orten und in pädagogischen Situationen handeln, auch wenn sie sich selbst von pädagogischer Handlungspraxis distanzieren. Wie bereits bei der Beschreibung der Basistypik angesprochen, ließ sich eine Homologie der Abgrenzung, sowohl von Pädagoginnen und Pädagogen, als auch von anderen polizeilichen Akteurinnen und Akteuren rekonstruieren. Charakteristisch für den Typus obrigkeitsstaatliche Präventionsarbeit ist daher, dass sein Handeln in pädagogischen Situationen an pädagogischen Orten durch die Akteurinnen und Akteure als nicht-pädagogisch, sondern präventiv-polizeilich beschrieben wird. Mit dem Begriff „Präventioner“ wird neben offiziellen Funktionsbezeichnungen, eine polizei-umgangssprachliche Rollenbeschreibung kreiert (Paula: Zusammenarbeit mit Pädagogen, Z. 199, siehe auch Abschnitt 5.3.1.2).

Neben der primären Präventionsarbeit der Präventionsbeamtinnen und Präventionsbeamten sind Jugendsachbearbeiterinnen und Jugendsachbearbeiter eine weitere relevante Funktionsgruppe der hauptamtlichen polizeilichen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen. Sie haben individuelle Kontakte zu delinquenten Personen dieser Altersgruppe. Neben strafrechtlichen Ermittlungen beinhaltet diese Aufgabe auch Präventionsaspekte (vgl. Abschnitt 2.3.3). Vor dem Hintergrund der spezifischen Aufgabenstellung stellt sich die Frage, ob sich in dieser Funktionsgruppe mit deutlich stärker ausgeprägten repressiven Handlungsschemata in der Aufgabenzuweisung gleichartige Orientierungsmuster wie bei den Präventionsbeamtinnen und Präventionsbeamten zeigen. Die Beamten der Gruppe Delta arbeiten zwar überwiegend langjährig als Präventionsbeamte. In ihrem Diskurs kommen sie auf ihre polizeilichen Vorerfahrungen im repressiven Umgang mit Kindern und Jugendlichen zu sprechen. Im Oberthema Beschreibung von Kinder- und Jugendkriminalität elaboriert die Gruppe Delta Fälle von strafrechtlich relevantem Verhalten. Vorangegangen war ein Erzählimpuls zu besonderen Erinnerungen an die berufliche Praxis.

Delta: Beschreibung von Kinder- und Jugendkriminalität, Z. 1–7

figure n

Nach diesem Erzählimpuls beschreibt die Gruppe ausschließlich defizitorientiert Fälle, die sie selbst erlebt oder die sich in ihrem beruflichen Umfeld ereignet haben. Die Erzählung von #Cognac-Catrin# schließt diesen Diskursabschnitt thematisch ab.

Delta: Beschreibung von Kinder- und Jugendkriminalität, Z. 159–171

figure o

In der Erzählung von Am der Gruppe Delta geht es um ein junges Mädchen, das an der Grenze zur Strafmündigkeit „mit Raubdelikten aufgefallen“ ist. Bereits vor der Vollendung des 14. LebensjahresFootnote 20 hatte #Cognac-Catrin# so intensiv Straftaten begangen, dass sie nach Erreichen der Strafmündigkeit und fortgesetzten Taten alsbald inhaftiert wurde. Am nutzt für die Beschreibung die polizei-umgangssprachliche Metapher „in die Kiste gegangen“. Alkoholmissbrauch dürfte auch eine Rolle gespielt haben, wie sich aus dem Spitznamen #Cognac-Catrin# und der Bezeichnung des Lebenswandels als „Blauleben“ interpretieren lässt.

Die familiäre Situation, in der das Mädchen lebt, wird als prekär beschrieben. Sie wird von Verwandten materiell versorgt. Die Mutter ist ohne sie nach Polen emigriert. Nachhaltige Maßnahmen der Jugendhilfe sollen unterblieben sein. Mit „präventiven Ansprachen“, also normenverdeutlichenden Gesprächen der Polizei, konnte keine Verhaltensänderung erreicht werden. Diese Erzählung schließt sich an Narrationen an, in denen das gleiche Orientierungsmuster sichtbar wurde. Zuvor wurden von einer Familie erzählt, für deren Kinder Straffälligkeit normal ist (Delta: Beschreibung von Kinder- und Jugendkriminalität, Z. 10–31), von „Klaukids“ (Delta: Beschreibung von Kinder- und Jugendkriminalität, Z. 53–72 und 93–153) und von Raubtaten, die von Grundschülern verübt worden sein sollen (Delta: Beschreibung von Kinder- und Jugendkriminalität, Z. 73–92). In diesem Diskursverlauf hat die Erzählung von #Cognac-Catrin# die Funktion einer inhaltlichen Konklusion.

Die Erzählung der Geschichte von #Cognac-Catrin# drückt aus, dass es sich um einen besonders schwerwiegenden, tragischen Fall handelt, der sich vom durchschnittlichen polizeilichen Umgang mit Kinder- und Jugenddelinquenz abhebt. So werden exemplarisch die Grenzen des polizeilichen, bzw. behördlichen Handelns illustriert. Mit der Wirkungslosigkeit „präventiver Ansprachen“ ist die polizeiliche Präventionsarbeit gemeint, die auf normenverdeutlichende Gespräche reduziert wird. Das Aufzeigen rechtlicher Konsequenzen von Fehlverhalten und das Hoffen auf eine abschreckende Wirkung wird bei jungen Menschen wie #Cognac-Catrin# für wirkungslos gehalten. In dieser Sequenz wird erneut ein negatives Bild von jungen Menschen deutlich, das in der Klassifizierung als Täterin verhaftet ist. Die Abwertung der Person wird auch durch den verwendeten Spitznamen #Cognac-Catrin# deutlich, der mögliche Alkoholprobleme verniedlicht und verharmlost. Gleichzeitig drückt die Erzählung eine Ohnmacht aus. Das polizeiliche bzw. behördliche Maßnahmenportfolio bleibt in Fällen wirkungslos, in denen deren Wirksamkeit in einem besonderen Maße erforderlich ist. Gesellschaftlichen Entwicklungen stehen sie machtlos gegenüber. Am zeichnet ein düsteres, negatives Bild von Präventionsmöglichkeiten. Von relevanten anderen Personen und institutionellen Akteuren werden keine Anstrengungen unternommen, Kinder von einem abweichenden Verhalten abzuhalten. Dadurch deutet sich an, dass sich die Polizei mit dem Problem Kinder- und Jugendkriminalität alleine gelassen fühlt, weil andere Akteure nicht wirksam handeln. Sie sind die einzigen, die der Kinder- und Jugenddelinquenz nicht ausweichen können.

Weiterhin wurden im Handlungsfeld von Jugendsachbearbeiterinnen und Jugendsachbearbeitern, trotz des Unterschieds zur Arbeit der Präventionsbeamtinnen und Präventionsbeamten, die gleichen Orientierungsmuster sichtbar. In den mangelnden Wirksamkeitserwartungen von Präventionsmaßnahmen und der ausschließlichen Orientierung am Strafverfolgungsmodus zeigte sich die Wirkmächtigkeit professionsspezifischer Orientierungen. Durch die etikettierende Klassifizierung devianter junger Menschen wurde erneut die Täterinnen- und Täterorientierung in dem bereits rekonstruierten Bild von Kindheit und Jugend sichtbar. Wegen prognostizierter Erfolglosigkeit scheiden erzieherische Bemühungen bei Kindern und Jugendlichen mit intensiver Delinquenzneigung aus. So zeigt sich einerseits die Suspendierung von Wirksamkeitsverantwortung, aber auch die Inszenierung der Polizei als die Institution, die sich überhaupt noch mit gravierenden gesellschaftlichen Problemen befasst, wenn andere Akteurinnen und Akteure ausweichen oder untätig sind. Auf diese Weise wird erneut der für den Typus obrigkeitsstaatliche Präventionsarbeit charakteristische Durchsetzungsmodus sichtbar.

In den Handlungsorientierungen dieses Typus dokumentiert sich nicht nur eine polizeiliche Rolle, sie bleibt auch umfassend in der Wirkmächtigkeit genuin polizeilicher Handlungsmuster verhaftet.

5.3.1.2 Modi der angestrebten Normübernahme: Belehrung und Instruktion

Die Konstruktion der eigenen Rolle im Modus des Respekts im vorangegangenen Abschnitt 5.3.1.1 ließ ein Fundament sichtbar werden, auf dem die Handlungsmuster der täglichen Arbeit mit jungen Menschen aufbauen. Bedeutsam für das Handeln ist die Wirkmächtigkeit der eigenen Normativität, der wertende Blick auf andere Menschen und die Einflüsse polizeilicher Orientierungen auf Präventionsarbeit. Anhand der Fälle des Samples lässt sich zeigen, dass die Orientierungen, in denen sich das eigene Rollenbild manifestiert, handlungsleitend in der täglichen Präventionsarbeit sind. Daraus ergeben sich kollektive Ziele und Erwartungen an Wirksamkeit, die primär auf die Beeinflussung von Verhalten zur Einhaltung sozialer Regeln ausgerichtet sind.

Auf der expliziten Ebene sind zahlreiche Diskurse von normativen Instruktionen und Information über gesetzliche Vorschriften geprägt. Es werden Ziele und Inhalte der eigenen Präventionsarbeit elaboriert. Es geht um Wissen über Strafrechtsnormen und das Rechtssystem. Das Lernen der Normbefolgung ohne den sozialen Kontext junger Menschen in den Blick zu nehmen, ist in Orientierungen des Typus obrigkeitsstaatliche Präventionsarbeit handlungsleitend. Durch Abschreckung soll die Rechtstreue gefördert werden. Wie bei allen Orientierungstypen ist hier die Täterinnen- und Täterprävention dominant. Aus diesen Diskursen ließen sich mit den Vergleichskriterien Zielperspektiven der Normübernahme und Erwartungen an Wirksamkeit die Vergleichsdimension Modi der angestrebten Normübernahme rekonstruieren. Es ist die zweite Vergleichsdimension, in der sich handlungsleitende Orientierungen von Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten in der Präventionsarbeit dokumentieren. Mit Hilfe dieser Kriterien ließen sich die kollektiven Erwartungen von Polizistinnen und Polizisten bezogen auf das Lernen von Normen rekonstruieren. Die Fallvergleiche ließen die Fokussierung auf bestimmte Personengruppen und spezifische inhaltliche Ziele erkennen (Zielperspektive der Normübernahmen) und die Modi des Handelns in pädagogischen Situationen (Erwartungen an Wirksamkeit).

Zielperspektive der Normübernahme

Die Akteurinnen und Akteuren dieses Typus inszenieren sich als Hüterinnen und Hüter der Normen (vgl. Abschnitt 5.3.1.1). Hinsichtlich ihrer Ziele dominiert die gesellschaftliche Perspektive. Sie sorgen sich um das friedliche Zusammenleben in der Gesellschaft, für die Ordnung und Sicherheit, die eine Grundvoraussetzung ist. Die Allgemeinheit gilt es zu schützen und so wird eine gesellschaftlich orientierte Zielperspektive sichtbar, die wie das Bild von der Entwicklung junger Menschen unterkomplex bleibt.

Wie die Rekonstruktion der Zielperspektive der Normübernahme zeigen wird, fokussieren sich Handlungsorientierungen des Typus obrigkeitsstaatliche Präventionsarbeit defizitorientiert und abschätzig auf die Entwicklungsfähigkeit junger Menschen und die Bereitschaft sich an gesellschaftliche Regeln zu halten. Dieser Typus agiert in einem instruierenden Modus, um Kinder und Jugendliche zu einem normgemäßen Verhalten zu bewegen und setzt darauf, mittels Amtsautorität insbesondere regelkonform handelnde junge Menschen in ihrem Verhalten zu bestärken.

Aus dem empirischen Material dieser Studie lassen sich Zielgruppen rekonstruieren, bei denen die Akteurinnen und Akteure ihre Präventionsarbeit als besonders lohnend ansehen und die sie in ihrer Praxis fokussieren. Im vorangegangenen Abschnitt zur Konstruktion der eigenen Rolle wurde bei der Rekonstruktion der normativen Disposition in einer Sequenz des Diskurses der Gruppe Paula sichtbar, dass jungen Menschen die Rolle potenzieller Täterinnen und Täter bzw. OpferFootnote 21 zugeschrieben wird (Paula: Das Verhältnis zu Schülerinnen und Schülern, Z. 34–43). Dort wird zwischen Personen unterschieden, die mit der polizeilichen Präventionsarbeit erreicht werden können und den „Unbelehrbaren“, denen die Polizei mit repressiven Mitteln begegnen muss. Neben der bereits (Abschnitt 5.3.1.1) rekonstruierten, etikettierenden Wahrnehmung junger Menschen wird gleichzeitig die Ausrichtung der eigenen Aktivitäten auf angepasste und konform handelnde Kinder und Jugendliche sichtbar, weil diese noch für die Informationen der Polizei und die methodischen Möglichkeiten der Akteure zugänglich sind.

Die Konturierung einer nicht-präventablen Gruppe junger Menschen, verbunden mit der charakteristischen Negativperspektive dieses Typus, zeigt sich auch bei der Gruppe Delta. Auf den erzählgenerierenden Impuls hin, besondere Erlebnisse mit Kindern und Jugendlichen aus ihrer beruflichen Praxis zu thematisieren, reiht die Gruppe mehrere Beschreibungen von Kinder- und Jugendkriminalität aneinander. Sie zeichnet ein sehr düsteres Bild von Jugenddelinquenz, bei dem die eigene Präventionsarbeit kaum einen Raum hat. Es wird von einer Familie berichtet, in der alle Kinder delinquent sind und implizit abweichendes Verhalten familiären Erziehungsdefiziten zugeschrieben wird (Delta: Beschreibung von Kinder- und Jugendkriminalität, Z. 1–31), von jungen Menschen, die geringere Strafen im Jugendstrafrecht für intensive kriminelle Aktivitäten ausnutzen (Delta: Beschreibung von Kinder- und Jugendkriminalität, Z. 32–72), und Kindern, die organisiert zur Begehung von Diebstählen ausgebildet werden (Delta: Beschreibung von Kinder- und Jugendkriminalität, Z. 73–153). In diesen bereits oben skizzierten Erzählstrang hinein formuliert Cm eine Konklusion, indem er auf der Basis der vorangegangenen Beschreibungen eine weitgehende Wirkungslosigkeit ihrer Präventionsarbeit folgert.

Delta: Beschreibung von Kinder- und Jugendkriminalität, Z. 87–105

figure p

Mit den Informationen, die sie „weitergeben“ wollen, erreichen sie nicht die gewünschte Wirkung. Die von den Beamten wahrgenommene Kriminalitätsentwicklung spricht gegen Präventionserfolge. Cm blickt dabei primär auf junge Menschen, die wiederholt straffällig werden. Er unterscheidet zwischen episodenhaftem abweichendem Verhalten, wie es durchaus jugendtypisch ist, und der Erziehung zu kriminellem Verhalten. Die Kinder wachsen in gewerbsmäßige Kriminalitätsstrukturen hinein. Sie werden zu kriminellem Verhalten bestimmt und so in einer Subkultur sozialisiert. Am nennt die „Mafia“ als Beispiel für eine solche Subkultur und als Sammelbegriff bzw. Synonym für die organisierten Kriminalitätsstrukturen.

Aus dem erneut sichtbar gewordenen negativen Blick auf junge Menschen wird nicht nur das bereits rekonstruierte Bild von Kindheit und Jugend sichtbar. Vielmehr lassen sich für den Typus charakteristische Exklusionen rekonstruieren. Junge Menschen mit Delinquenzneigung lassen sich mit Präventionsmaßnahmen nicht von kriminellem Verhalten abbringen. Entweder ist abweichendes Verhalten eng mit den Orientierungsprozessen in der Pubertät verknüpft und endet dann mit der Entwicklungsphase oder es ist durch Erziehung und Sozialisation prägend für das gesamte weitere Leben. Durch die Projektion des Verhaltens einer kleinen Gruppe junger IntensivtäterFootnote 22 und der weitgehenden Ausblendung ihrer Lebensumstände werden Jugendliche mit abweichendem Verhalten schnell in einen intensiv kriminellen Kontext gestellt und als Zielgruppe der Präventionsarbeit ausgeschlossen. Als Legitimation reichen stereotype und im Boulevardstil beschriebene Fallbeispiele aus. Es zeigt sich auf diese Weise, dass dieser Typus nicht das Ziel hat, delinquenzgeneigte Jugendliche von ihrem Handeln abzubringen. Derartigem Ansinnen wird durch die beschriebenen Fälle eine Erfolglosigkeit bescheinigt. Durch den gleichzeitig betriebenen Nachweis der Begrenztheit präventiv-polizeilicher Handlungsmöglichkeiten wird die Legitimation der Beschränkung eigener Aktivitäten und Erwartungen an Kriminalitätsverhütung durch polizeiliche Präventionsarbeit ausgedrückt.

Die Legitimation dieses Orientierungsmusters zeigt sich nicht nur in den eigenen Erfahrungen bzw. in der Interpretation der Wirklichkeit des eigenen Handlungsfeldes, vielmehr wird, wie die folgende Sequenz zeigt, unterstützend mit vergleichbaren Orientierungen von „Pädagogen“ argumentiert.

Delta: Beschreibung von Kinder- und Jugendkriminalität, Z. 124–135

figure q

Die Gruppe Delta beruft sich auf nicht näher spezifizierte „Pädagogen“, die ebenfalls die Auffassung vertreten, dass eine Delinquenzneigung irreversibel ist. Wenn ein Mensch einmal eine „kriminelle Laufbahn“ eingeschlagen hat, lässt sich das aus „pädagogischer Sicht“ nicht mehr verändern.

In diesem Transkriptauszug wird ein möglicherweise verfestigtes kriminelles Verhalten von Kindern und Jugendlichen dahingehend interpretiert, dass es sich nicht wieder ändern lässt und die Biografie dauerhaft prägt: „das kriegt man aus so einem Menschen nie wieder raus“. Dabei wird sich auf nicht näher spezifizierte Aussagen von Pädagogen als weitere Referenz berufen. Cm drückt auf diese Weise aus, dass es sich nicht nur um eine polizeiliche Sichtweise handelt, sondern diese Wertungen durch Professionelle aus dem Bereich der Erziehung geteilt werden. Am wiederholt mit ähnlichen Worten die Proposition von Cm und validiert sie dadurch. Cm bekräftigt noch einmal seine Proposition („das ist für immer und ewig“). Er beruft sich wieder auf eine „pädagogische Sicht“ nach der eine „kriminelle Laufbahn“ zu „hundert Prozent“ vorgezeichnet ist. Es geht nicht um alterstypisches abweichendes Verhalten, sondern um ein Leben, das von Kriminalität geprägt sein wird. Mit dem Verweis auf die Pädagogik wird eine Verallgemeinerung der Ratlosigkeit im Umgang mit intensiv delinquenten jungen Menschen sichtbar. So sollen die Möglichkeiten einer Verhaltensbeeinflussung durch pädagogisches Handeln stark begrenzt sein.

Die Berufung auf die vermeintlichen praxeologischen Erkenntnisse einer anderen Profession, dient zur Validierung der eigenen Orientierung. Für den Typus obrigkeitsstaatliche Präventionsarbeit lässt sich anhand des empirischen Materials dieser Untersuchung die Legitimierung der Exklusion bestimmter Gruppen junger Menschen von polizeilicher Präventionsarbeit rekonstruieren, weil ihnen eine rechtskonforme Entwicklungsmöglichkeit abgesprochen wird. Da sich die präventive Arbeit der Polizei mit Kindern und Jugendlichen als pädagogisches Handeln einordnen lässt, zeigt sich im Material, dass junge Menschen, die den Beamtinnen und Beamten schwer erreichbar erscheinen, als pädagogische Zielgruppe unausgesprochen ausgegrenzt werden. Das vollzieht sich nicht physisch. Diese Personen werden nicht von Präventionsmaßnahmen ausgeschlossen. Die Beamtinnen und Beamten haben vielmehr keine Erwartungshaltung an als schwierig etikettierte Jugendliche und exkludieren sie implizit auf diese Weise.

Jenseits dieser rekonstruierten Zielgruppenorientierung stellt sich natürlich die Frage nach dem kollektiven konjunktiven inhaltlichen Fokus der Präventionsarbeit. In der folgenden Sequenz aus der Eingangspassage der Gruppe Delta werden die zur Übernahme durch Kinder und Jugendliche angebotenen Normen bzw. die damit verbundene Normativität sichtbar.

Delta: Eingangspassage, Z. 160–177

figure r

Die Gruppe Delta beschreibt zum Beginn des Diskurses ihre Arbeit, bei der es thematisch um Drogen- und Gewaltprävention geht. Besonders wichtig scheinen ihnen die Erläuterung von Verbotsnormen und der Ablauf des Jugendstrafverfahrens zu sein. Für den Fall, dass sie selbst einmal straffällig werden, sollen junge Menschen wissen was auf sie zukommt. In diesem Zusammenhang beschreibt Am eine schulische Situation, in deren Mittelpunkt die Erläuterung einer Strafrechtsnorm steht. Er berichtet davon, dass er in Vorträgen auf das Thema Beleidigung zu sprechen kommt. Dann fragt er das Vorwissen der Schülerinnen und Schüler ab. Nach seiner Wahrnehmung melden sich dann regelmäßig in gleicher Anzahl Jugendliche, die Beleidigung für eine bzw. für keine Straftat halten. Die Ausgeglichenheit der Voten und die begrenzte Anzahl derjenigen, die eine Stimme abgeben, unterstützt seine Argumentation zu den Kenntnisdefiziten über Straftatbestände und deren Folgen. Bei der Beleidigung handelt es sich um ein sogenanntes Bagatelldelikt, also eine Straftat von geringer Bedeutung, die durch den Staat als PrivatklagedeliktFootnote 23 in der Regel von Amts wegen nicht verfolgt wird. Das Wissen in der Schulklasse über die richtige juristische Einordnung von Bezeichnungen wie „Hurensohn“ oder herabsetzende Äußerungen über Mütter von Mitschülerinnen oder Mitschülern ist begrenzt. Den Beamtinnen und Beamten dieser Gruppe ist es wichtig, über die strafrechtliche Relevanz der Alltagskommunikation zu informieren. Wobei die Ehrverletzung nur ein Beispiel ist. Aus dem Diskurskontext ergibt sich, dass es insgesamt um jugendtypische Delinquenz geht. Die Gruppe beklagt die verbreiteten mangelhaften kommunikativen Umgangsformen und das fehlende Unrechtsbewusstsein.

Am spricht davon, dass er in schulischen Situationen „Vorträge“ hält. Das impliziert eine bestimmte Form von Interaktion mit jungen Menschen. Er redet, die anderen hören zu. Die damit einhergehenden ungleichen Redeanteile, die starre Dramaturgie, bzw. der vorgezeichnet geplante Verlauf der Veranstaltung, die Asymmetrie zwischen Redner und Zuhörer drücken sich durch die Bezeichnung „Vorträge“ aus. Schätzfragen an Schülerinnen und Schüler scheinen in diesem Zusammenhang eher eine rhetorische Funktion zu haben, als eine methodengeleitete Erarbeitung von Wissen zu sein.

Mit der Information über die strafrechtliche Bedeutung von Beleidigungen wählt Am Situationen und Äußerungen, zu denen die Schülerinnen und Schüler aufgrund der Lebensnähe einen leichten Zugang finden können. Gleichzeitig wird der Kriminalisierung von Alltagsverhalten Vorschub geleistet. Auch wenn die Beleidigung formal eine Straftat ist, findet eine strafrechtliche Ahndung doch in einem sehr begrenzten Umfang statt. Das verschweigt Am. Es zeigt sich, dass er auf die abschreckende Funktion einer formalen Strafandrohung setzt und sich als Aufklärer über Verbotsnormen inszeniert. Gleichzeitig deutet sich an, dass kritisch auf mögliches kriminelles Verhalten an Schulen aufmerksam gemacht wird, obwohl es kontrollierte, geschützte Räume sind und sich pädagogisches Personal um die Jugendlichen kümmert. Cm validiert die Argumentation von Am mit einem „ja“. Am unterstreicht noch einmal wiederholend, dass die Nutzung von Schimpfwörtern wie „Hurensohn“ so normal ist, als wenn man „hallo #Franz#“ sagen würde. Das findet er erschreckend. Er drückt so sein Unverständnis darüber aus, dass strafrechtsrelevante, ehrverletzende Regelverstöße Teil der normalen Kommunikation von Schülerinnen und Schülern sind. Da sie aus der Perspektive des Strafrechts auf menschliches Verhalten blicken, sind Schulen für sie potenzielle Tatorte. Cm validiert die Argumentation von Am, indem er noch einen weiteren „Spruch“ als Beispiel hinzufügt: „deine Mutter fickt ihre Kinder“. In dieser Sequenz deutet sich an, dass abweichendes Verhalten ubiquitär ist. Selbst an Schulen, einem behüteten, vom übrigen Sozialraum abgegrenzten Ort finden Regelverstöße statt. Die validierte Argumentation der Gruppe kann auch dahingehend interpretiert werden, dass außer der Polizei niemand konsequent auf Normverstöße aufmerksam macht. Wäre bei den Schülerinnen und Schülern hinreichendes Normwissen vorhanden, könnten die Akteure nicht mit einem Vorsprung an juristischem Grundwissen im Schulunterricht überraschen und ihre Überlegenheit inszenieren.

Anhand von Passagen wie dieser wird sichtbar, dass sich der Typus obrigkeitsstaatliche Präventionsarbeit auf die Präsentation von Normwissen konzentriert und dabei auf die abschreckende Wirkung von Sanktionsandrohungen setzt. Spezifisch zu sein scheint, dass Normkonformität im Sinne einer negativen Generalprävention (allgemeine Prävention durch Abschreckung) angestrebt wird. Wer sich an die Regeln hält, wird nicht bestraft und erfüllt gleichzeitig eine soziale Pflicht. Die Präventionsarbeit findet zwar unmittelbar mit Kindern und Jugendlichen statt, sie wollen auch erzieherisch deren Handeln beeinflussen, aber in Ihren Zielsetzungen steht der gesellschaftliche Nutzen im Vordergrund. Das sichtbar gewordene Erziehungsziel kann mit der Metapher braver Bürgerinnen und Bürger beschrieben werden.

Im Abschnitt, aus dem der folgende Transkriptauszug stammt, diskutiert die Gruppe Paula, wie ihnen von Schülerinnen und Schülern Respekt entgegengebracht wird bzw. wie sie sich Respekt verschaffen.

Paula: Eingangspassage, Z. 74–83

figure s

Kollektiv geteilt wird von den Präventionsbeamtinnen und Präventionsbeamten der Gruppe Paula, dass sie zu Kindern in Grundschulklassen einen leichteren Zugang haben, während es dann bei älteren Jahrgängen schwieriger wird. Schulformabhängige Unterschiede kommen noch hinzu. Es gibt aber auch Schulen mit „Problemen“. Dort gehen die Beamtinnen und Beamten hin, weil sich die Lehrerinnen und Lehrer Unterstützung bei der Bewältigung von Störungen wünschen. „Regeln setzen“ ist von zentraler Bedeutung und steht jeweils am Anfang aller Aktivitäten im schulischen Raum. Das Herstellen der Kontrolle über die Situation, verhindert ein „Abgleiten“ in Störungen. Die Durchsetzung von Schulregeln, bzw. die Unterstützung der Lehrenden dabei, wird durch das Erscheinen in Uniform gefördert. Die Dienstkleidung macht die Funktion nach außen deutlich sichtbar, unterstützt die Distanz und die von den Beamtinnen und Beamten gewollt betonte Amtsautorität. Auf diese Weise wird ein ganz anderes „Niveau“ erreicht. Meistens ist das in der „##Sekundarstufe##“ der Fall, in der es dann doch schon mehr Probleme gibt. Die Beschreibung zu Respekt und Einhaltung von Regeln in Grundschulen (Paula: Eingangspassage, Z. 63–83) knüpft im Diskursverlauf inhaltlich an eine Beschreibung an, in der es bereits um Regelverstöße von Schülerinnen und Schülern und die kommunikative polizeiliche Intervention ging (Paula: Eingangspassage, Z. 46–63, vgl. Abschnitt 5.3.1.1). Die beschriebene Bearbeitung von Störungen unterscheiden die Akteurinnen und Akteure selbst von der Gestaltung inhaltlicher Unterrichtssequenzen. Sie sehen sich also in doppelter Funktion an Schulen. Neben dem bereits rekonstruierten Ziel, über Regeln zu informieren, werden Modi zur Durchsetzung von Regeln sichtbar. Es deutet sich an, dass Erziehungsaufgaben punktuell von Lehrkräften an die Polizistinnen und Polizisten abgegeben werden, da es nicht um Regeln geht, für die Polizeibedienstete primär zuständig sind. Nach ihrer Wahrnehmung wünschen sich die Lehrerinnen und Lehrer die Verdeutlichung normativer Grenzen durch die Beamtinnen und Beamten und zwar im Zusammenhang mit schulischer Ordnung und nicht bezogen auf genuin polizeiliche Aufgaben. Die Beamtinnen und Beamten wechseln in einem schulischen Setting von der Lehre in die Störungsbeseitigung. In diese Situation kommen auch schulische Lehrkräfte. Sie bleiben dabei aber Pädagoginnen und Pädagogen, während die Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten von der präventiven Rolle in die polizeiliche Rolle der Normdurchsetzenden wechseln, was durch die getragene Uniform noch sichtbar unterstützt wird.

Charakteristisch für diesen Typus ist, dass die Uniform Macht, Distanz, Über- und Unterordnung als Ausdruck staatlicher Obrigkeit symbolisiert. Es zeigt sich, dass die Einhaltung von Normen eng mit der Abschreckung vor Regelverstößen verbunden ist. Es wird ein implizit suggeriertes Bild polizeilicher Sanktionsmöglichkeiten genutzt, um erwünschtes Sozialverhalten zu erreichen. Tatsächlich hat die Polizei aber keine speziellen Möglichkeiten, alltägliche Unterrichtsstörungen o.ä. zu beseitigen.

In dieser Passage dokumentiert sich, dass die bereits in der Rekonstruktion der Rolle herausgearbeitete Betonung des eigenen Status als Amtsträger zur Herstellung einer ausgeprägten Asymmetrie gegenüber Schülerinnen und Schülern auch in den Modi der angestrebten Normübernahme wirkt. Mit dem Statusbezug als Amtsträger, sichtbar auf die getragene Uniform gestützt, wird ein institutionell generierter Glaubwürdigkeits- und Wahrheitsanspruch verknüpft.

Wie sich bereits in der Rekonstruktion des dokumentarischen Gehalts der Rechtskundeunterweisung der Gruppe Delta (siehe oben: Delta: Eingangspassage, Z. 160–177) zeigt, befasst sich dieser Typus kommunikativ generalisierend mit Regelwissen. Ausgewählte Aspekte des deutschen Rechtssystems werden entlang von Verbotsnormen und Bürgerpflichten elaboriert. Dagegen weist der konjunktive Gehalt dieser Beschreibungen auf einen Abschreckungsmodus in einem instruierenden Modus hin, mit dem Regelverstöße verhindert werden sollen. Die Polizistinnen und Polizisten wollen „klar machen wie dort die Richtlinien sind“ (Paula: Eingangspassage, Z. 46–62), weil professionelle pädagogische Akteurinnen und Akteure in der Bewältigung von Störungen vermeintlich Defizite haben. Dabei geht es auch um die Einhaltung informeller Regeln des sozialen Zusammenlebens, die nicht zum genuin polizeilichen Aufgabenspektrum gehören, wie z. B. die Schulordnungen oder Respekt und Ehrerbietungsvorstellungen gegenüber Polizistinnen und Polizisten.

In der Funktion als Präventionsbeamtinnen und Präventionsbeamte zeigen sie sich interventionsbereit, um bei Bedarf die Lehrerinnen und Lehrer bei Störungen zu unterstützen. Intervenierendes und pädagogisiertes polizeiliches Handeln verbinden Präventionsbeamtinnen und Präventionsbeamte dieses Typus zu dem für sie widerspruchsfreien Handlungsziel: Belehrung und Instruktion. In diesem Orientierungsmuster dokumentiert sich die für den Typus obrigkeitsstaatliche Präventionsarbeit charakteristische Einordnung pädagogischer Situationen in genuin polizeiliche Handlungsschemata. Die Zielperspektive wird von polizeilichen Orientierungsmustern determiniert. Mit Blick auf die Basistypik und ihrem Spannungsfeld zwischen der Gewährleistung staatlicher Ordnung und der Befähigung zur gesellschaftlichen Teilhabe wird sichtbar, dass widerstreitende Handlungsanforderungen zugunsten polizeilicher Praktiken aufgelöst werden.

Erwartungen an Wirksamkeit

In der Zusammenschau der bisher rekonstruierten Orientierungen zeigt sich, dass sich der Typus obrigkeitsstaatliche Präventionsarbeit an einer stark asymmetrischen Beziehung zwischen Hoheitsträgerinnen und Hoheitsträgern sowie Bürgerinnen und Bürgern orientiert. Aus diesem Selbstbild heraus zeigen sich Handlungsmuster, die eine weitgehend unreflektierte Befolgung gesetzlicher Regelungen und allgemeiner sozialer Konventionen durch junge Menschen anstreben. Prioritär scheint eine größtmögliche Unterordnung, d. h. die bedingungslose Anerkennung gesellschaftlich etablierter Autoritäten und mehrheitlich praktizierter Konventionen zu sein. Dieser Typus inszeniert sich als ein wirkungsvoller Akteur. Im empirischen Material zeigen sich ausgeprägte Selbstwirksamkeitserwartungen, mit Hilfe der polizeilichen Rolle und individueller Kompetenzen pädagogische Situationen zu gestalten. Bei uniformierten Beamtinnen und Beamten soll die Dienstkleidung eine autoritätsfördernde Wirkung haben und so die Wirksamkeit des eigenen Handelns unterstützen. Dieses selbstzentrierte Orientierungsmuster ist auch für rekonstruierbare Erwartungen an Wirksamkeit dieses Typus relevant. Die folgende Rekonstruktion wird zeigen, dass das Ausmaß selbsterwünschter Wahrnehmung der eigenen Persönlichkeit maßgeblichen Einfluss darauf hat, wie dem eigenen Handeln auf konjunktiver Ebene Erfolg beigemessen wird.

Bereits in der Rekonstruktion des Rollenbildes wurde sichtbar, dass wahrnehmbare Unterordnung und intersubjektiv wahrnehmbarer Respekt, ein zentrale Voraussetzung für die Durchsetzung von Regeln ist (vgl. Abschnitt 5.3.1.1). Ein repressives Polizeibild wird implizit als Bedrohungspotenzial für Ordnungsmaßnahmen genutzt.

Paula: Eingangspassage, Z. 50–53, vgl. Abschnitt  5.3.1.1

figure t

Der instruierende, belehrende Modus, der sich mit Hilfe dieser Passage rekonstruieren lässt, scheint den polizeilichen Akteurinnen und Akteuren ein Wirksamkeitsmaßstab ihres Handelns zu sein. In diesen kommunikativen Situationen erfolgt auf eine Verhaltensanordnung auch immer eine Reaktion des Interaktionspartners, aus der dann der Erfolgsumfang einer Weisung abgeleitet wird. Wenn eine Beamtin bei einer polizeilichen Vernehmung einen Jugendlichen auffordert, die Mütze abzusetzen, lässt sich die Wirkung dieser Weisung daran messen, dass die Mütze sich nach kurzer Zeit nicht mehr auf dem Kopf befindet (Bravo: Sich Respekt verschaffen und Jugendliche vor Fehlverhalten abschrecken, Z. 71–77, siehe Abschnitt 5.3.1.1).

Der für diesen Typus charakteristische instruierende Modus zeigt sich bereits wiederkehrend im empirischen Material. Handlungsleitend ist dieser Modus aber nicht nur bei der Durchsetzung von Regeln, sondern auch bei Information über Normen. Bei der expliziten Annahme ausgeprägter pfadabhängiger Entwicklungen von Kindern und Jugendlichen bedarf es im Lebenslauf frühzeitiger Information über Gesetze und Strafen, um Normtreue zu erreichen.

Paula: Eingangspassage, Z. 112–114, vgl. Abschnitt  5.3.1.1

figure u

Implizit deutet sich dadurch das Erfordernis frühzeitiger polizeilicher Präventionsveranstaltungen in den Typus spezifischen Handlungsmustern an, um Wirkung zu erzielen (z. B.: Paula: Eingangspassage, Z. 106–120).

Während der Typus in Beschreibungen und Erzählungen auf der kommunikativ generalisierenden Ebene Gelingensbedingungen polizeilicher Präventionsarbeit elaboriert, zeigt sich implizit eine selbstbezogene Wirksamkeitserwartung. Am stärksten wird das in der konjunktiven Zielperspektive sichtbar, die in Diskursen um die Bedeutung der Expertise des Typus obrigkeitsstaatliche Präventionsarbeit sichtbar wird (siehe oben).

Am folgenden Transkriptauszug lassen sich ebenfalls Selbstwirksamkeitserwartungen rekonstruieren. Als Reaktion auf den erzählgenerierenden EingangsimpulsFootnote 24 beschreibt die Gruppe Delta ihre Arbeit und ihre Erfahrungen in der schulischen Präventionsarbeit.

Delta: Eingangspassage, Z. 61–70

figure v

Die Beamtinnen und Beamten der Gruppe Delta arbeiten in einer inhaltlichen Aufgabenstruktur, d. h. jeder macht Präventionsarbeit zu bestimmten Kriminalitätsphänomenen. Bm befasst sich mit „Drogenprävention“ (Delta: Eingangspassage, Z. 53) und formuliert in den Transkriptauszug eine Konklusion in einem beschreibenden Modus. Am hatte zuvor seine Eindrücke von Schülerinteresse an seinen Präventionsveranstaltungen beschrieben und zwischen interessierten und desinteressierten Schülerinnen und Schülern unterschieden. Dabei schätzt er das Interesse eher geringer ein, als es nach Beurteilungen von Lehrerinnen und Lehrern ist (Delta: Eingangspassage, Z. 11–51). Bm sagt, dass er ähnliche Erfahrungen macht wie Am. Nach seinen eigenen Eindrücken erreicht er die Schülerinnen und Schüler nur in einem begrenzten Maße. Sie sind häufig „desinteressiert“ oder „frech“. Lehrerinnen und Lehrer geben ihm dagegen das Feedback, dass die Schülerinnen und Schüler in den Unterrichtssequenzen, die er als Polizist gestaltet, disziplinierter als im übrigen Unterricht sind. Bm schließt sich dieser Bewertung an, woraufhin eine weitere Person aus der Gruppe parasprachlich Zustimmung äußert.

In der Reflexion ihres pädagogischen Handelns fokussiert sich die Gruppe Delta ausschließlich auf das Feedback, das Lehrende zur Interpretation des Schülerinnen- und Schülerverhaltens geben. Andere Indikatoren für die Wirksamkeit der Präventionsveranstaltungen, wie unmittelbares Feedback der Schülerinnen und Schüler oder eine Selbstreflexion scheinen für die Beurteilung der Lehr-/Lernsituation nicht von Bedeutung zu sein. Es deutet sich weiterhin an, dass es Bm, wie zuvor Am, trotz jahrelanger Praxis schwer fällt, das Verhalten junger Menschen differenziert wahrzunehmen. Sie scheinen dazu die Hilfe von Lehrkräften zu nutzen. Mit Blick auf Erwartungen an Wirksamkeit zeigt sich erneut, dass Wirkung der Präventionsveranstaltungen primär am Ausmaß des wahrnehmbaren erwünschten Wohlverhaltens interpretiert wird. Es zeigt sich, dass Höflichkeit und Respekt den Beamtinnen und Beamten gegenüber, mit Interesse am Inhalt und Erreichen der Lernziele gleichgesetzt werden. Im Vergleich mit Lehrkräften und dem Mehr an Aufmerksamkeit, das Polizistinnen und Polizisten im Vergleich zu Lehrkräften bekommen, dokumentiert sich gleichzeitig die Bedeutsamkeit der Rolle, die dieser Typus bei der Normübernahme für sich in Anspruch zu nehmen scheint.

Die konjunktiv geteilte Orientierung an einem belehrenden und instruierenden Modus zeigt sich nicht nur als impliziter Wissensbestand. Die Gruppe Bravo erzählt über eine Dauer von fünf Minuten Geschichten aus ihrem Arbeitsalltag, die eine hohe interaktive Dichte haben oder auch für die Gruppe besondere Erlebnisse beinhalten. Zwei dieser Erzählungen ranken sich zunächst um den Umgang mit Fremden. (Unter dieser Bezeichnung berichtet eine Reihe von Gruppen über den Schutz vor sexuellen Übergriffen durch fremde Personen, die versuchen mit Kindern in Kontakt zu kommen.) Die Bedeutung des Themas und die präventiven Grundregeln werden von der Gruppe geteilt. Der vorangegangene Diskursabschnitt endet mit der Konklusion, dass es „ja nicht für alles n Patentrezept gibt“ (Bravo: Interventionserlebnisse, Z. 67, 68). Daraufhin erzählt Dm ein Erlebnis aus dem Streifendienst.Footnote 25

Bravo: Interventionserlebnisse, Z. 70–131

figure w

Anlass der polizeilichen Intervention in dieser Erzählung war, dass zehnjährige Kinder im öffentlichen Verkehrsraum Schlaftabletten gefunden und zumindest einige dieser Kinder die Tabletten auch geschluckt haben. Es mussten nicht nur Rettungsmaßnahmen eingeleitet, sondern auch geklärt werden, wie viele Kinder überhaupt Tabletten konsumiert hatten. Aufgrund dieses Anlasses entwickelte sich ein relativ zeit- und personalaufwendiger Polizei- und Feuerwehreinsatz. Zur Vermeidung von Wiederholungen erfolgten anschließend präventive Belehrungen von Schülerinnen und Schülern der Schule, die von den Kindern besucht wurde, die mit dem Tablettenfund zu tun hatten. Die Schule belehrte in Anwesenheit der Polizei darüber, dass gefundene Tabletten nicht gegessen werden dürfen. Von der Gruppe wird kollektiv geteilt, dass Kinder im Alter von zehn Jahren selbst wissen sollten, dass man keine Tabletten isst, die einem nicht aufgrund von Krankheiten verschrieben werden. Weiterhin wird die Orientierung geteilt, dass Schulen für derartige Belehrungen nicht zuständig sind, sondern der Umgang mit Tabletten familiären Lernprozessen zuzuordnen ist. In ironischer Weise kommentiert Dm die Themen, über die Kinder institutionell belehrt werden, indem er darüber spekuliert, ob sie zukünftig auch darüber informieren müssen, dass Farbe nicht getrunken werden darf. Ebenfalls ironisch beschreibt Dm, dass er sich bei den meisten Familien, die er aufgrund dieses Einsatzes aufgesucht hat, nach dem Verlassen der Wohnungen die Füße abputzen müsste. Damit will er ausdrücken, dass es in den Wohnungen schmutziger war als in den Hausfluren und öffentlichen Verkehrsräumen. Nach allgemein verbreiteten Reinlichkeits- und Hygienevorstellungen wird von genau entgegengesetzten Reinigungszuständen ausgegangen. In dieser Sequenz wird von einem Anlass berichtet, in dem es um die Abwendung von Gefahren für Kinder geht und zwar um eine Gefahrensituation, in die sie sich selbst gebracht haben. Es wird von Fehlverhalten erzählt, aber in diesem Fall bezieht sich die Narration nicht auf strafbares Verhalten der zehnjährigen Kinder. Wie in anderen Passagen zeigen sich auch in diesem Transkriptauszug ganz unterschiedliche Facetten polizeilicher Handlungsmuster. Bezogen auf Erwartungen an Wirksamkeit dokumentiert sich, dass die Akteurinnen und Akteure Belehrungen nicht in jedem Fall als probates Mittel der Präventionsarbeit sehen und sie in dieser Situation in Frage stellen. Sie sehen es nicht als ihre Aufgabe an, über den richtigen Umgang zu informieren, sondern weisen diese Aufgabe den Erziehungsberechtigten zu. Mit der ironischen Beschreibung verschmutzter Wohnungen, die während des Einsatzes aufgesucht wurden, wird eine wahrgenommene Vernachlässigung von Kindern bildhaft beschrieben. Damit soll ausgedrückt werden, dass Eltern elementar erforderliche Lernprozesse ihrer Kinder nicht anstoßen und Erziehungspflichten vernachlässigen. In einer Auffangzuständigkeit für jugendbezogene Maßnahmen am Wochenende und einer Art Rettungsmodus kümmert sich die Polizei um den Medikamentenmissbrauch. Mit dem fiktiven Beispiel der Belehrung über die Schädlichkeit des Konsums von Farbe deutet sich implizites Wissen um die Grenzen dieser Methode an. Nicht jedem Problem kann mit Belehrungen wirksam begegnet werden. Dennoch wird auf diese Methode zurückgegriffen, die auch in anderen Interventionssituationen polizeilicher Handlungspraxis entspricht, wie z. B. Rechtsbehelfsbelehrungen oder GefährderansprachenFootnote 26 bzw. normenverdeutlichende Gespräche. In dem Material dokumentieren sich Erwartungen an Wirksamkeit, die mit Handlungsschemata aus dem genuin polizeilichen Aufgabenbereich vergleichbar sind.

Im traditionellen polizeilichen Handeln ist es üblich, dass Personen belehrt werden. Das ergibt sich teilweise formgebunden aus gesetzlichen Vorschriften. Wie im Verwaltungshandeln üblich, gehört zu jedem Verwaltungsakt eine Rechtsbehelfsbelehrung. Dem Grundgedanken folgend, dass Bürger über die Rechte und Pflichten gegenüber dem Staat informiert sein sollen, gibt es, neben den allgemeinen Verwaltungsvorschriften, spezielle Vorschriften für die Polizei, die der Mündlichkeit und Unmittelbarkeit der polizeilichen Handlungspraxis gerecht werden. Die Möglichkeit bei geringfügigen Ordnungswidrigkeiten mündliche Verwarnungen auszusprechen, hat ebenfalls einen belehrender Charakter, nämlich dass das Verhalten falsch war und im Wiederholungsfall mit einem Verwarnungs- oder Bußgeld geahndet werden kann. Normenverdeutlichende Gespräche bzw. Gefährderansprachen haben ebenfalls zum Inhalt, den Adressaten zu vermitteln, dass sie zukünftig keine Straftaten mehr begehen sollen.

Im o.a. Transkriptauszug dokumentiert sich, dass das Aussprechen von Belehrungen ein typisches, genuin polizeiliches Handlungsschema ist, das bei diesem Typus in der Präventionsarbeit erhalten bleibt. In der von Dm beschriebenen Situation werden zwar Zweifel an der Sinnhaftigkeit einer Belehrung über den Konsumverzicht gefundener Tabletten sichtbar. Aber im Ergebnis bleiben Belehrungen das Mittel der Wahl, die auch in einer schulischen Situation angewandt werden. Es deutet sich auf diese Weise zumindest an, dass eine gewisse Erwartung an Wirksamkeit bei den Akteurinnen und Akteuren besteht. Weiterhin zeigt sich in der Beschreibung der polizeilichen Intervention, dass das Selbstbild als Problemlöser in einer Situation, in der elterliche Aufsicht und Erziehung möglicherweise versagen, nicht tragfähig erscheint.

Anhand dieser Sequenz lässt sich die Wirkmächtigkeit einer Handlungsorientierung im instruierenden und belehrenden Modus in unterschiedlichsten professionellen Handlungsfeldern rekonstruieren. Er findet Anwendung innerhalb und außerhalb der Präventionsarbeit, in genuin polizeilichen Situationen und in der Präventionsarbeit, zur Verhinderung von Straftaten oder Selbstgefährdungen. Im Ausmaß der Orientierung des Typus obrigkeitsstaatliche Präventionsarbeit an diesem Handlungsmuster dokumentiert sich eine entsprechende Erwartung an Wirksamkeit.

Der folgende Transkriptauszug stammt aus einem Diskursabschnitt, in dem die Gruppe Delta nach dem erzählgenerierenden Eingangsimpuls ihre Arbeit beschreibt.

Delta Eingangspassage, Z. 89–108

figure x

Zunächst beschreibt Bm seine Arbeit zum Thema Drogenprävention (siehe oben Delta: Eingangspassage, Z. 61–70). Daran schließt sich Cm mit der Beschreibung seines Arbeitsfeldes an. Neben „allgemeiner Verhaltensprävention“ (Delta: Eingangspassage, Z. 82, 83) und „Amokprävention“ (Delta: Eingangspassage, Z. 88, 89) befasst er sich mit der Präventionsarbeit zu „Politisch motivierter Kriminalität“Footnote 27, also mit Extremismus und Terrorismus. Es ist ein Thema, das erst seit kürzerer Zeit für seine Arbeit von Bedeutung ist. Bm nimmt ein überraschend großes Interesse an diesem Thema wahr, das er mit einer Kollegin zusammen bearbeitet. In den Unterrichtssequenzen, die sie gestalten, halten sie nicht nur Vorträge, sondern verwenden auch eine PowerPoint-Präsentation, setzen kurze Filme ein und berücksichtigen Diskussions- und Arbeitsphasen. Die Einordnung der Bedeutung dieser Sequenz für den Diskursverlauf wird zusammen mit dem nachfolgenden Transkriptauszug vorgenommen (siehe unten).

In der Gesamtbeschreibung der Präventionsarbeit zur Politisch motivierten Kriminalität (Delta: Eingangspassage, Z. 89–143) zeigt sich, dass Cm mit diesem Thema aus genuin polizeilicher Berufspraxis weniger vertraut zu sein scheint. Es dokumentiert sich keinerlei spezifische Expertise, die in den Diskursen elaboriert wurde. Auch die Herausforderung, den Gegenstand dieser Phänomene in pädagogische Settings zu transferieren, ist wohl relativ neu. Cm beschreibt seine Überraschung über das Interesse an dem Thema. Darin deutet sich an, dass Reaktionsmuster von Schülerinnen, Schülern und Lehrkräften wegen mangelnder Erfahrungen bzw. Routinen noch schwer vorhersehbar sind und sie in der Durchführung solcher Präventionsveranstaltungen eine besondere Herausforderung sehen. Die Komplexität des Themenfeldes Extremismus und Terrorismus sowie die mangelnde Lehrerfahrung scheinen Unsicherheiten zu fördern. Die sonst sichtbar werdende Dichotomie zwischen richtig und falsch bzw. erlaubt und verboten als Grundform instruierender Präventionsarbeit wird überlagert. Während sich sonst Gebote und Verbote leicht mit Rechts- und Unrechtsgefühl oder Normverständnis verbinden lassen, bedarf es eines Verstehens der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes bzw. politischen und verfassungsrechtlichen Vorwissens. Das Wissen um diese Komplexität und die damit verbundenen pädagogischen Herausforderungen deuten sich in der als Vielfalt beschriebenen Methodenwahl an. Die Präventionsbeamtinnen und Präventionsbeamten gehen als Doppelbesetzung in die schulischen Präventionsveranstaltungen und setzen unterschiedliche Methoden ein, von der sie sich Wirksamkeit versprechen. Dazu formuliert Cm den Gegenhorizont, dass sie sich nicht vor die Klasse stellen und über das Thema referieren. In dieser Kontrastierung werden das Halten von Vorträgen und die damit verbundene Lehrerzentrierung als methodische Grundform der schulischen Präventionsarbeit sichtbar, in der sich erneut der instruierende Modus dokumentiert.

Gleichzeitig scheint weiterhin, mit der Reduktion des Themas auf Verbotsnormen, die Orientierung an Dichotomien erhalten zu bleiben, wie der nächste Transkriptauszug zeigt.

Delta: Eingangspassage, Z. 133–143

figure y

Cm der Gruppe Delta beschreibt, dass „Politisch motivierte Kriminalität“ in der Kriminalprävention ein „total interessantes Thema“ ist. Es werden die Grenzen zwischen freier Meinungsäußerung und Strafbarkeit thematisiert und die Zuständigkeiten von Verfassungsschutz und Polizei. Die Ausrichtung der Präventionsarbeit auf die Information über Strafrechtsnormen wird von einer Person der Gruppe Delta validiert (Delta: Eingangspassage, Z. 130). Die beiden letzten zitierten Transkriptauszüge mit Elaborationen von Cm der Gruppe Delta erfüllen im Diskursverlauf die Funktion einer Konklusion.

In dieser Sequenz dokumentiert sich für den Typus obrigkeitsstaatliche Präventionsarbeit das zentrale Orientierungsmuster zu Zielen und Wirksamkeitserwartungen in der Normübernahme. Junge Menschen sollen darüber informiert sein, was verboten ist. Die Akteurinnen und Akteure sehen sich in ihrer emergierten Alltagsdidaktik durch innerbehördliche Vorschriften legitimiert. In der Konzentration der inhaltlichen Arbeit auf Verbotsnormen und die Begründung der Richtigkeit des eigenen Handelns mit Dienstvorschriften deutet sich die Befreiung von der kritischen Selbstreflexion an. Wer sich ausschließlich auf Vorschriften beruft, befreit sich davon, den Sinn zu hinterfragen. In der Beschreibung von Unterrichtssequenzen zur Politisch motivierten Kriminalität dokumentiert sich eine hohe Selbstwirksamkeitserwartung durch lehrerzentrierte Lehr-Lernarrangements, in denen durch Medieneinsatz bzw. Methodenvielfalt Interesse an Verbotsnormen geweckt werden soll.

Der Typus obrigkeitsstaatliche Präventionsarbeit scheint die Wirksamkeit des eigenen Handelns am Grad der Erfüllung von Wohlverhaltenserwartungen sich selbst gegenüber zu beurteilen. Das bezieht sich nicht nur auf Kinder und Jugendliche als Adressaten ihrer Präventionsarbeit, sondern auch auf Pädagoginnen und Pädagogen und Eltern. Das implizite Bild der Akteurinnen und Akteure von einem guten Zusammenwirken im Sinne der Erwartungen an Wirksamkeit dieses Typus, lässt sich anhand der folgenden Sequenz des Diskurses der Gruppe Paula rekonstruieren.

Paula: Zusammenarbeit mit Pädagogen, Z. 119–128 und 134–152

figure z

Aw beschreibt die Arbeit mit Kindern und die Zusammenarbeit mit Pädagoginnen und Pädagogen in einer Förderschule. Von dieser Arbeit ist sie begeistert, weil Kinder sowie Pädagoginnen und Pädagogen so „mitmachen“ wie sie sich das vorstellt. Die Pädagoginnen und Pädagogen haben die Kinder auf die Präventionsveranstaltung vorbereitet und zeigen sich auch selbst interessiert, was die Polizistin im Unterricht macht. Die Beschreibung wird von der Gruppe validiert, indem andere Beamtinnen von ähnlichen Erfahrungen berichten. Sie nehmen in pädagogischen Situationen Unterschiede wahr, ob Lehrerinnen und Lehrer das Erscheinen von Polizistinnen und Polizisten im Unterricht vorbereiten oder ob sie auf unvorbereitete Klassen treffen. Sie haben ein leichteres Arbeiten, wenn Lehrende aus einem eigenen Interesse Präventionsmaßnahmen der Polizei in den Unterricht integrieren.

Die Gruppe zeigt sich über ihre positiven Erlebnisse an einer Förderschule überrascht, da sich der Typus mit seinen Erwartungen an Wirksamkeit stark an kognitiven Fähigkeiten und damit an der Hierarchie des Schulsystems orientiert. Es deuten sich implizite Erwartungen an, dass in anderen Schulformen größere Lernergebnisse erzielt werden können, als an Förderschulen. An Gymnasien hat man ein „leichteres Spiel“ weil dort „die Lernbereitschaft einfach ne andere ist“ und die „soziale Auslese ja schon vorher passiert“ (alle Zitate in diesem Satz aus der Gruppendiskussion Delta: Eingangspassage, Z. 109–112). Durch die Kontrastierung der eigenen alltagspädagogischen Erwartungen und der Praxiserfahrungen zeigt sich die Beurteilung pädagogischer Situationen vor einem nicht-pädagogischen Professionshintergrund. Pädagogische Settings scheinen danach beurteilt zu werden, wie angenehm die polizeilichen Akteurinnen und Akteure die Lehrsituation wahrnehmen. So wird das pädagogische Arrangement einer Förderschule, kleine Klassen und intensive Betreuung, primär aus der Perspektive der Leichtigkeit der Lehre betrachtet. Darin dokumentiert sich die Erwartung, dass zwischen der Leichtigkeit der Lehre und dem erwarteten Lernzuwachs ein Zusammenhang besteht. Je leichter den Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten die Präventionsveranstaltungen gemacht werden, z. B. durch die Einbindung in den Unterricht oder durch Unterstützung durch Lehrkräfte, desto mehr Lernen kann stattfinden. In der Art, wie sich der Typus Zusammenarbeit mit Schulpersonal wünscht, nämlich in einer Assistenzfunktion für die Polizei, zeigt sich erneut eine ausgeprägte Selbstbezogenheit. Wenn Lehrkräfte dafür sorgen, dass Produkte der Präventionsarbeit, wie z. B. ein Bild, möglichst lange im Unterrichtsraum aufgehängt bleiben, freuen sich Präventionsbeamtinnen und Präventionsbeamte. Es dokumentiert sich aber in solchen Diskursteilen, dass der Umgang mit Arbeitsergebnissen nicht aus der Perspektive des Lernens beurteilt wird, sondern vielmehr die Anerkennung der eigenen Arbeitsleistung fokussiert wird.

Zusammenfassung

In der folgenden inhaltlichen Verdichtung des Typus obrigkeitsstaatliche Präventionsarbeit werden die charakteristischen Merkmale der Konstruktion der eigenen Rolle in der Präventionsarbeit durch die Akteurinnen und Akteure und die von ihnen angestrebten Modi der Normübernahme zusammengefasst und mit der Basistypik in Beziehung gesetzt, um so diesen Typus im Spannungsfeld zwischen der Gewährleistung staatlicher Ordnung und der Befähigung zur gesellschaftlichen Teilhabe zu verorten.

Mit Blick auf die Rekonstruktion der eigenen Rolle ließen sich beim Typus obrigkeitsstaatliche Präventionsarbeit dichotome Wertvorstellungen und ein positivistisches Rechtsverständnis rekonstruieren. Aus dieser Positionierung heraus, wird als Kern der eigenen Aufgabe die Repräsentanz und Vermittlung kodifizierter Normen und kollektiv geteilter, subjektiver Ordnungsvorstellungen gesehen. Ähnliche Orientierungen werden auch von pädagogischen Akteuren erwartet, zumindest wenn sie Aufgaben öffentlicher Institutionen wahrnehmen. Regeln werden unabhängig vom polizeilichen oder pädagogischen Kontext unter der Perspektive der Einhaltung betrachtet. Der Erziehungsauftrag von Schulen und die eigene Präventionsarbeit werden primär als Auftrag zur Durchsetzung sozialadäquaten Verhaltens interpretiert. Die Gewährleistung der staatlichen Ordnung ist für Orientierungen dieses Typus ein eigenständiger, der menschlichen Individualität übergeordneter Zweck. Es geht darum die bestehende Ordnung zu übernehmen und nicht darum – um einen maximalen theoretischen Gegenhorizont zu formulieren – eine existente Ordnung weiterzuentwickeln.

Dieses Gesellschaftsbild dokumentiert sich in einem asymmetrischen Rollenverhältnis zwischen Polizei und Bürger, das auch im Verhältnis zu jungen Menschen handlungsleitend ist. Das Orientierungsmuster wird in der normativen Empörung, der Inszenierung als Respektspersonen und Hüterinnen / Hüter der Moral sichtbar. Menschliche Fehlbarkeit wird stigmatisiert und verurteilt. In den Diskursen, in denen sich die Orientierungen dieses Typus dokumentieren, erfolgt eine Klassifizierung junger Menschen als potenzielle Täter oder Opfer. Das explizit negative Labeling junger Menschen wird nicht nur mit Gesetzesverstößen, sondern auch mit mangelndem Wohlverhalten verbunden. Gesellschaft und Jugend werden mit Hilfe von eher schlichten Alltagstheorien reflektiert. Ein Beispiel: Weil Erziehung pfadabhängig verläuft, müssen Kinder früh zu einem normkonformen Verhalten erzogen werden. Jugendliche sind dagegen kaum noch beeinflussbar eine Verhaltensbeeinflussung entsprechend gering.

Die Akteurinnen und Akteure, bei denen sich Orientierungen des Typus obrigkeitsstaatliche Präventionsarbeit rekonstruieren lassen, sehen sich als Repräsentantinnen und Repräsentanten der einzigen Institution, die sich konsequent der Normerziehung verschrieben hat. Sie legitimieren ihre Handlungsmuster durch fachliche Expertise und die Idealisierung polizeilichen Erfahrungswissens. Trotz einer Handlungspraxis in pädagogischen Situationen und an pädagogischen Orten dokumentiert sich eine Dominanz polizeilicher Orientierungsmuster; es zeigt sich die Wirkmächtigkeit genuin polizeilicher Handlungsmuster in der Präventionsarbeit.

Als Zielperspektive obrigkeitsstaatlicher Präventionsarbeit dokumentiert sich die implizite Ausrichtung der Präventionsmaßnahmen auf eine bestimmte Zielgruppe. Obwohl die Akteurinnen und Akteure mit jungen Menschen aus ganz unterschiedlichen sozialen Kontexten und Lebenssituationen umgehen, wird primär die Normkonformität angepasster Kinder und Jugendlicher gefördert. Gleichzeitig wird eine Ausgrenzung devianzgeneigter junger Menschen aus dem impliziten Adressatenkreis ihrer Präventionsarbeit sichtbar. Zur Legitimation dieser Orientierung dienen triviale, etikettierende Zuschreibungen von Delinquenzerwartungen, verbunden mit der Annahme einer Irreversibilität von Entwicklungspfaden. Als Zielperspektive dokumentiert sich die Verstärkung konformen Verhaltens und nicht die Beeinflussung devianter Verhaltensdispositionen. Dieses Orientierungsmuster zeigt sich auch in den inhaltlichen Zielen. Es wird über gesetzliche Normen in einem belehrenden und instruierenden Modus informiert, mit dem Ziel, die Einhaltung gesellschaftlich akzeptierter Regeln und verfasster Normen zu fördern, dabei stehen Sanktionsandrohungen im Mittelpunkt, mit denen eine Abschreckung von Normverstößen erreicht werden soll. Gleichzeitig zeigt sich bei den Akteurinnen und Akteuren eine Bereitschaft, jenseits ihrer polizeilichen Aufgaben, Pädagoginnen und Pädagogen bei der Beseitigung von Störungen in einem Durchsetzungsmodus zu unterstützen. Charakteristisch für Handlungsorientierungen dieses Typus ist, dass aus dem obrigkeitsstaatlichen Rollenbild heraus ein Bedrohungspotenzial generiert wird, mit dem die Einhaltung von Regeln, wie z. B. Schulordnungen, unterstützt werden soll. In der rekonstruierten Handlungspraxis dokumentiert sich in der Repräsentanz gesetzlicher Normen ein Wahrheits- und Glaubwürdigkeitsanspruch, der auch in der beanspruchten Expertise sichtbar wird. Die Polizei, bzw. deren Präventionsarbeit, wird aufgrund ihrer exklusiven Wissensbestände als ein bedeutsamer und unverzichtbarer Akteur in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen inszeniert. In der Unverzichtbarkeit der polizeilichen Expertise für die Präventionsarbeit dokumentiert sich eine selbstbezogene Zielperspektive.

Im gesamten Sample dieser Studie lassen sich unterschiedliche Ausprägungen von Erwartungen an Wirksamkeit der Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten rekonstruieren. Beim Typus obrigkeitsstaatliche Präventionsarbeit dokumentiert sich diese Handlungsorientierung in unterschiedlichen Facetten von Selbstwirksamkeitserwartungen. Es zeigt sich als kollektiv geteiltes konjunktives Wissen, dass Normübernahmen durch junge Menschen erfolgen, indem ihnen Handlungsanweisungen in lehrerzentrierten Unterrichten durch Polizistinnen und Polizisten gegeben werden. Pädagoginnen und Pädagogen wirken idealerweise mit und unterstützen die Arbeit der Polizei. Sowohl im Umgang mit Schülerinnen und Schülern, als auch in der Zusammenarbeit mit Lehrkräften werden ausgeprägt asymmetrische Arbeitsbeziehungen favorisiert. Im Streben nach Umsetzung vorstrukturierter Abläufe und starker Lenkung der Aktivitäten in pädagogischen Situationen, zeigt sich die Orientierung an der Beherrschung von Situationen. Die Leichtigkeit der möglichst störungsfreien Umsetzung ihrer Vorstellungen von Lehren bzw. Belehren, wird als Erfolg der inputorientierten Normvermittlung interpretiert. Das Ausmaß der Einordnung bzw. Unterordnung von Kindern sowie Pädagoginnen und Pädagogen zeigt sich als Beurteilungskriterium für den eigenen Arbeitserfolg. Positives Feedback von Schülerinnen, Schülern und Lehrkräften interpretieren sie als Wirksamkeit des eigenen Handelns.

Mit Blick auf die rekonstruierten Modi der angestrebten Normübernahme insgesamt zeigen sich für diesen Typus eine Orientierung an einer angestrebten Dominanz der polizeilichen Akteurinnen und Akteure sowie einer Beherrschung von pädagogischen Präventionssituationen. In den Sequenzen, anhand derer die Erwartungen an Wirksamkeit rekonstruiert werden konnten, dokumentierte sich durch die Fokussierung auf inputorientiertes Lehren auch ein entsprechendes Bild von Lernen. Es besteht die Erwartung, dass was gelehrt wird, auch gelernt wird.

Als Basis der Typologie ließen sich Spannungsfelder zwischen der Gewährleistung staatlicher Ordnung und der Befähigung zur gesellschaftlichen Teilhabe rekonstruieren, in denen sich die Akteurinnen und Akteure der polizeilichen Präventionsarbeit orientieren (vgl. Abschnitt 5.2). Die unterschiedlichen Handlungsanforderungen entstehen durch das Zusammentreffen inkorporierter polizeilicher Handlungsmuster und pädagogischer Situationen. In den Diskursen von Akteurinnen und Akteuren bei denen sich Handlungsorientierungen dieses Typus zeigten, wurde auf der kommunikativ generalisierenden Ebene sichtbar, dass sie sich mit diesem Spannungsfeld auseinandersetzen. Aus den entsprechenden Passagen des empirischen Materials ließen sich Handlungsorientierungen rekonstruieren, die inhärente Spannungsfelder der polizeilichen Präventionsarbeit zugunsten einer Gewährleistung staatlicher Ordnung aufzulösen vermögen. So kann der polizeitypische Durchsetzungsmodus handlungsleitend bleiben, wenn die eigene Rolle eng mit Abschreckung und Sanktionierung verbunden und das Handeln auf die Konditionierung zu normkonformen Verhalten ausgerichtet ist. Ein pädagogisches Scheitern wird durch die Exklusion der vermeintlich „Unbelehrbaren“ (Paula: Das Verhältnis zu den Schülerinnen und Schülern, Z. 41) vermieden.

5.3.2 Pädagogisierte Präventionsarbeit

Für den Typus obrigkeitsstaatliche Präventionsarbeit konnten ganz klare und einfache Bilder gesellschaftlicher Strukturen und öffentlicher Aufgaben als handlungsleitende Orientierungsmuster rekonstruiert werden. Während diese Akteurinnen und Akteure die Funktionsfähigkeit des sozialen Systems im Blick haben, ist für die Orientierungen des Typus pädagogisierte Präventionsarbeit die Berücksichtigung der sozialen Situation von Individuen charakteristisch. Doch diese Perspektive allein erklärt noch nicht die Zuschreibung pädagogisiert. Zunächst wird damit ausgedrückt, dass es um eine Handlungspraxis geht. Das ergibt sich schon allein aus dem Forschungsfokus, der auf die Rekonstruktion von Handlungsorientierungen ausgerichtet ist. So können bei diesem Typus implizite pädagogische Wissensbestände sichtbar gemacht werden. Es lässt sich ein Rollenbild rekonstruieren, bei dem die Beamtinnen und Beamten als individuelle Personen und nicht als Hoheitsträger wahrgenommen werden wollen. An die Stelle des Strebens nach Unterordnung und Beherrschung tritt der Wunsch nach individuellen, vertrauensvollen Arbeitsbeziehungen zu Kindern und Jugendlichen. Junge Menschen sollen in ihrer Lebenssituation erreicht werden. Statt belehrender Aktivitäten werden vermittelnde Handlungsmuster sichtbar. Die folgende Rekonstruktion wird zeigen, dass die Handlungsmuster des Typus in pädagogischen Situationen an ihre Grenzen stoßen können. Anhand der Diskurse im empirischen Material dieser Untersuchung lassen sich Irritationen und Rollenkonflikte zeigen, denen die Polizistinnen und Polizisten in ihrer Arbeit mit Kindern und Jugendlichen ausgesetzt sind. Während polizeiliche Befugnisse es ermöglichen, über Personen zu verfügen, lässt sich beim Typus pädagogisierte Präventionsarbeit eine gewisse Ambivalenz im Umgang mit der Unverfügbarkeit von Menschen in pädagogischen Situationen emergieren. In dem Streben nach einer Veränderbarkeit menschlichen Verhaltens mit Hilfe pädagogischer Technologie zeigt sich die fortdauernde Suche nach pädagogischer Technologie. Im Umgang mit dieser Antinomie zeigt sich die spezifische Orientierung dieses Typus, die mit pädagogisiert, also mit begrenzter Wirkmächtigkeit von impliziten kollektiven pädagogischen Wissensbeständen in der polizeilichen Präventionspraxis, beschrieben wird.

Orientierungen, die diesem Typus zugeordnet werden können, finden sich insbesondere in den kollektiv geteilten Orientierungen der Gruppen Berta und Bravo. Um die Verankerung dieser Orientierung im gesamten Sample zu dokumentieren, werden bei der Rekonstruktion auch Passagen aus den Diskursen der Gruppen Hotel und Romeo berücksichtigt.

5.3.2.1 Konstruktion der eigenen Rolle im Modus der Hilfe

Die Konstruktion des Typus obrigkeitsstaatliche Präventionsarbeit hat gezeigt, dass das Selbstbild der Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten in der Präventionsarbeit handlungsleitende Orientierungen sichtbar werden lässt. Trotz ähnlicher Aufgaben sowie vergleichbarer Organisations- und Qualifikationsmuster von Polizeibediensteten in Deutschland, werden die eigenen Rollen im empirischen Material ganz unterschiedlich beschrieben. So ist für diesen Typus ein Menschenbild von Bedeutung, das abweichendes Verhalten als einen Teil der Normalbiografie ansieht, junge Menschen in ihren Lebenssituationen auf Augenhöhe erreichen will und für Kooperation mit anderen Akteurinnen und Akteuren offen ist. Trotz eines Handelns in pädagogischen Situationen lässt sich die Bedeutsamkeit der polizeilichen Professionalität im Handeln zeigen. So wird auch das Rollenbild dieses Typus auf der Basis rekonstruierter kollektiver Orientierungsmuster entlang der normativen Disposition der Akteurinnen und Akteure, ihres Bildes von Kindheit und Jugend sowie der Wirkmächtigkeit professionsspezifischer Orientierungen konstruiert.

Normative Disposition

In den Diskursen der Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten dieses Samples werden in den Narrationen über die Interaktion mit anderen Menschen normative Dispositionen sichtbar, die in der Präventionsarbeit handlungsleitend werden, maximale Kontraste aufweisen und so für die Konstruktion von Orientierungstypen geeignet sind. Diese Orientierung zeigt sich in einem Diskursabschnitt der Gruppe Romeo, in der auf der kommunikativ generalisierenden Ebene die Ausrichtung der schulischen Präventionsarbeit beschrieben wird.

Romeo: Eigene Rolle und Ausrichtung der Präventionsarbeit, Z. 1–12, 21–54, 58–64 und 66–74

figure aa

Zu Beginn dieses DiskursabschnittsFootnote 28 setzt Am der Gruppe Romeo ein neues Thema. Er beschreibt den Unterschied zwischen der Präventionsarbeit und der genuin polizeilichen Arbeit. Dabei sind für ihn die Aspekte Zeit und Intervention als Unterscheidungsmerkmale von Bedeutung. Während in der Präventionsarbeit bei der Interaktion mit Kindern und Jugendlichen im schulischen Kontext kein Zeitdruck besteht, ist es aus Anlass genuin polizeilicher Maßnahmen anders. Die polizeiliche Interventionssituation, die er als Beispiel heranzieht, stellt offensichtlich auf typische Handlungsmuster im Wachdienst ab. Die Beamtinnen bzw. Beamten werden aus irgendeinem Anlass „gerufen“, klären die Situation und führen mit den verantwortlichen Personen ein normenverdeutlichendes Gespräch. Am beschreibt diese Handlung, indem er sagt, dass die Streifenwagenbesatzung „schimpft“ und so „für Ordnung sorgt“. In dieser kurzen Zeit ist es kaum möglich, eine über die Situation hinausgehende Arbeitsbeziehung aufzubauen. Die Rahmenbedingungen für Präventionsarbeit sind grundlegend andere. Im Vergleich mit den Beamtinnen und Beamten im Wachdienst haben sie in der schulischen Präventionssituation relativ viel Zeit mit den Schülerinnen und Schülern ins Gespräch zu kommen. Die Präventionsbeamtinnen und Präventionsbeamten „bringen Zeit mit“, um sich über das zu unterhalten, was Kinder und Jugendliche bewegt. Es geht also nicht nur um die Informationsanliegen der Polizei, sondern die Kinder und Jugendlichen rücken mit ihren Fragen und Gesprächsthemen in den Mittelpunkt.

Aufgrund der auf Dauer angelegten Zusammenarbeit mit Schulen entwickeln sich auch zu schulischen Akteurinnen und Akteuren Arbeitsbeziehungen. Daraus entwickeln sich Erwartungshaltungen, die sich nicht auf die Präventionsarbeit, sondern auf die Intervention bei „Schulverweigerung“ beziehen. „Schuln“ haben den Wunsch, dass Präventionsbeamtinnen und Präventionsbeamte den Schulbesuch von Kindern bei Erziehungsberechtigten einfordern, wenn sie selbst Eltern zur Einhaltung der Schulpflicht ihrer Kinder nicht erreichen können. Nach den Erfahrungen von Am erzielen polizeiliche Hausbesuche zum Thema Schulpflicht durchaus die gewünschte Wirkung. Nach einer kurzen Pause sagt Cw, dass man bei diesem Thema durchaus differenzieren muss. In dieser Formulierung deutet sich eine Divergenz zur Elaboration von Am an. Sie bezieht sich allerdings nur auf die Interventionsbereitschaft von Am in Fällen von unerlaubtem Fernbleiben vom Unterricht.

Bezogen auf die Trennung von Präventionsarbeit und genuin polizeilicher Interventionsarbeit führt Cw den Diskurs mit einer Anschlussproposition differenzierend fort. Cw berichtet ebenfalls von Situationen, in denen schulische Akteurinnen und Akteure Normenverdeutlichung aufgrund von Fehlverhalten erwarten, wenn es z. B. zu Diebstählen in der Schule kommt. Die Mitwirkung bei der Beseitigung von Störungen ist jedoch nicht ihre Aufgabe. Nach der Einschätzung von Cw lernt man im Laufe der Präventionsarbeit den Wünschen nach Beseitigung von innerschulischen Störungen mittels polizeilicher Autorität zu widerstehen. Für sie ist schulische Präventionsarbeit ein Handeln für alle Schülerinnen und Schüler einer Klasse und nicht eine Arbeit mit devianzgeneigten jungen Menschen. Cw validiert auf diese Weise die ursprüngliche Proposition von Am. Nach einer von einem kurzen Auflachen unterbrochenen Pause von 11 Sekunden, schließt Cw ihre Argumentation mit einem Verweis auf den bisherigen rund dreißigminütigen selbstläufigen Diskurs ab. Diese Beendigung des Diskurses hat die Funktion einer rituellen Konklusion im Modus der Metakommunikation.

In allen Fällen des Samples ist auf der kommunikativ generalisierenden Ebene die Einhaltung von Normen bzw. der Schutz vor Gefahren von Bedeutung. Charakteristisch für den Typus pädagogisierte Präventionsarbeit ist jedoch, dass er nicht Regeln in den Mittelpunkt rückt, sondern Menschen, die mit ihren Bedürfnissen und Fragen an Bedeutung gewinnen. Regelkonformität wird vom Individuum aus gedacht, das nicht ein Objekt innerhalb einer staatlichen Ordnung ist. Normen erfüllen keinen Selbstzweck, sondern haben eine dienende Funktion für das zwischenmenschliche Zusammenleben. Dieser Blick auf Normen wird in der angestrebten strikten Trennung zwischen präventivem und repressivem Handeln sichtbar. Bei einer polizeilichen Intervention, insbesondere wenn Straftaten begangen wurden, rückt die Durchsetzung der Einhaltung von Regeln in den Mittelpunkt. Damit wird eine Distanz zu den Polizistinnen und Polizisten erzeugt, die sich mit Normdurchsetzung befassen. Es deutet sich eine Orientierung an, die Asymmetrie zwischen Hoheitsträger und jungen Menschen reduzieren will, um die Grundlage für eine wertschätzende, vertrauensbasierte Arbeitsbeziehung zu legen.

Wenn in diesem Transkriptauszug von „Schule“ die Rede ist, dürften primär Lehrkräfte gemeint sein. Trotz der Präventionspraxis und überwiegend dauerhafter Kooperationen sehen, nach der Wahrnehmung dieses Typus, Lehrerinnen und Lehrer in den Präventionsbeamtinnen und Präventionsbeamten Akteurinnen und Akteure, an die Störungs- und Konfliktbeseitigung zur eigenen Entlastung delegiert werden kann. Dieser Typus versucht sich diesem Bild und einer möglichen Engführung zu entziehen. In dieser Orientierung deutet sich an, dass Normativität nicht nur mit Normverdeutlichung und latenter Zwangsandrohung verbunden ist. Vielmehr müssen Kinder und Jugendliche kommunikativ erreicht werden, um Normen zu vermitteln ohne jemanden auszugrenzen. Dennoch scheint diese Grenzziehung in der Handlungspraxis nicht ganz einfach zu sein, wie die Beschreibung von Am zeigt. Die Intervention gegen Schulabstinenz dient zwar einem pädagogischen Zweck, nämlich die Teilnahme am Unterricht zu bewirken. Das Mittel ist jedoch kein pädagogisches. Am ist in dieser Situation als Polizist gefragt. Für die Überzeugung der Eltern auf den Schulbesuch ihrer Kinder zu achten, spielt das der polizeilichen Amtsautorität innewohnende Bedrohungspotenzial eine Rolle. Es deuten sich hier Unschärfen in der Konstruktion der eigenen Rolle an, die in der weiteren Rekonstruktion noch deutlicher und konturenreicher sichtbar werden.Footnote 29

Bei der isolierten Interpretation dieser Diskurspassage deuten sich konjunktive Wissensbestände dieses Typus vielleicht bisweilen nur an. Deutlich stärker zeigen sich die spezifischen Orientierungsmuster im kontrastiven Vergleich mit dem zuvor konstruierten Typus, dessen Selbstbild einen maximalen Kontrast sichtbar werden lässt. Für Typus obrigkeitsstaatliche Präventionsarbeit ist die Durchsetzung von Normen zentraler Bestandteil der Handlungsorientierung, verbunden mit der Bereitschaft beim schulischen Erziehungsauftrag mitzuwirken. Junge Menschen werden mit Hilfe einer Wohlverhaltensprognose taxiert und vermeintlich devianzgeneigte Jugendliche als Adressaten der Präventionsarbeit exkludiert. Die Schule wird zu einer Interventionsbühne. Dagegen zeigen sich beim Typus pädagogisierte Präventionsarbeit gegensätzliche Bestrebungen. Menschen sollen erreicht und so die Voraussetzungen für eine Vermittlungssituation geschaffen werden. Bezogen auf die normative Disposition dokumentieren sich bei diesem Typus pädagogische Orientierungsmuster, die genuin polizeiliche Orientierungen in ihrer Wirkmächtigkeit reduzieren. Weiterhin zeigt sich, dass das System Schule nicht ganzheitlich wahrgenommen wird, sondern eine Konzentration auf primäre Kriminalprävention im engeren Sinne handlungsleitend ist. In diesem Orientierungsmuster wird ein maximaler Kontrast zu einer Durchsetzungsorientierung sichtbar, wie sie sich beim Typus obrigkeitsstaatliche Präventionsarbeit dokumentiert.

Gleichzeitig wird bei dem Typus pädagogisierte Präventionsarbeit ein Menschenbild sichtbar, das Fehlbarkeit als normalen Bestandteil menschlichen Lebens ansieht. Dieses kollektiv geteilte Orientierungsmuster dokumentiert sich in der Erzählung von Am der Gruppe Berta.

Berta: Eingangspassage, Z. 104–119

figure ab

Am differenziert die vorgegangenen Elaborationen des Diskurses der Gruppe Berta zur Akzeptanz der Präventionsbeamtinnen und Präventionsbeamten durch Schülerinnen und Schüler, indem er unterschiedliche Begrüßungssituationen zum Beginn von Unterrichtseinheiten beschreibt. Nach seinen Erfahrungen ist da eine große Bandbreite möglich, von „freundlich“ bis „abwartend“. Aber auch Provokationen will er schon erlebt haben, wenn seine fehlende Kopfbehaarung mit einer rechtsextremen politischen Gesinnung in Verbindung gebracht wurde. Am beschreibt weiterhin, wie mit unterschiedlichen Provokationen umgegangen werden kann. Er benennt zwei Varianten der kommunikativen Bewältigung solcher Situationen. Es ist möglich über Provokationen hinwegzugehen oder das damit verbundene Konfliktpotenzial „offensiv“ zu bearbeiten. Am ist der Meinung, dass man sich „halbwegs authentisch“ verhalten sollte. „Halbwegs“ stellt eine Einschränkung dar, die im Sinne von kontrolliertem Verhalten verstanden werden kann, das den sozialen Gepflogenheiten entspricht und seiner Funktion angemessen ist. Am vollzieht auf den ersten Blick in dieser Sequenz einen Themenwechsel. Zunächst wird die Akzeptanz als Polizist in der Schule beschrieben, dann das Sprechen mit den Schülerinnen und Schülern. Der innere Zusammenhang ergibt sich durch die Thematisierung des kommunikativen Umgangs mit Provokationen oder Störungen. In einer selbstreflexiven Weise beschreibt er, wie Asymmetrien und Distanzen in der Kommunikation mit jungen Menschen abgebaut werden können. Er sagt, dass er in der Präventionsarbeit gelernt hat auszudrücken, dass Erwachsene strukturell die gleichen Erfahrungen wie die jungen Menschen heute gemacht haben, nur zu einer anderen Zeit. Wenn er auf nicht näher genannte Probleme anspielt (die gleichen „Sachen […] durchgemacht“), stellt er auf einen gemeinsamen altersspezifischen Erfahrungsraum ab, bei dem es sich verbietet, eine moralisch überhöhte Position einzunehmen und eine eigene Fehlerlosigkeit zu suggerieren. Am drückt Verständnis für die Lebenssituation junger Menschen aus. Empathiefähigkeit wird sichtbar. Zunächst erzählt Am von seinem ersten Kontakt mit der Polizei in seiner Kindheit. Er saß nach einem begangenen Diebstahl zur Faschingszeit im Cowboykostüm in einer Polizeiwache. Diese Erzählung illustriert nicht nur seine eigene vorangegangene Beschreibung, sondern auch einen typischen Erstkontakt zwischen jungen Menschen und der Polizei außerhalb der Präventionsarbeit. Die Sequenz endet ohne explizite Validierung oder Konklusion durch die Gruppe. Die minimalen Kontraste im gesamten thematischen Diskursabschnitt können als Validierung interpretiert werden (Berta: Eingangspassage, Z. 53–134).

In der Reflexion eigener Rechtsverstöße zeigt sich eine Toleranz bezogen auf jugendtypische Kleinkriminalität an. Junge Menschen werden nicht verurteilt, sondern deren Entwicklungschancen beurteilt. Durch Normkonformität wird nicht nur sozialen Erwartungen entsprochen, es werden auch bessere Lebenschancen offeriert, wie die weitere Rekonstruktion von Handlungsorientierungen zeigen wird, die für den Typus pädagogisierte Präventionsarbeit charakteristisch sind. Ein maximaler Kontrast zum Typus obrigkeitsstaatliche Präventionsarbeit zeigt sich in der fehlenden normativen Empörung. Die Akteurinnen und Akteure dieses Typus beanspruchen für sich keinerlei Unfehlbarkeit. Episodenhafte Jugendkriminalität kann durchaus Bestandteil normaler biografischer Entwicklungsverläufe sein. Gleichzeitig wird aber auch keinerlei Romantisierung oder Bagatellisierung von Straftaten sichtbar. Abweichendes Verhalten wird weder toleriert, noch stigmatisiert. Dagegen zeigen sich bei Orientierungen die für obrigkeitsstaatliche Präventionsarbeit typisch sind, Inszenierungen als vorbildhafte, untadelige, ordnungsliebende Repräsentanten der öffentlichen Ordnung. Für die Akteurinnen und Akteure des Typus pädagogisierte Präventionsarbeit scheint Toleranz eine orientierende Bedeutung zu haben. Bedingungslose, absolute Normkonformität wird nicht erwartet. Die Polizistinnen und Polizisten sehen sich nicht als Hüterinnen / Hüter der Moral (vgl. Abschnitt 5.3.1.1), sondern als Menschen mit Stärken und Schwächen. Im Kontakt zu jungen Menschen ist ihnen wichtig, dass sie nicht als „Bullen“ (Berta: Eingangspassage, Z. 53) sondern als Menschen wahrgenommen werden (Berta: Eingangspassage, Z. 53–81). Darin wird Authentizität und eine angestrebte Reduzierung von professionsspezifischer Distanz zu Kindern und Jugendlichen sichtbar. In den Diskursen dokumentiert sich weiterhin ein reflektierter Umgang mit der eigenen Biographie und beruflichen Erfahrungen.

Bild von Kindheit und Jugend

Der Typus pädagogisierte Präventionsarbeit nimmt Kinder und Jugendliche in ihrer Lebens-umwelt wahr und sieht auch Entwicklungschancen in diesem Kontext. Normkonformität wird implizit zum Gegenstand intentionaler Erziehung, aber auch Hilfe und Beratung sollen Sozialisationsdefizite und prekäre Lebenslagen abmildern. Entwicklungsverläufe und -potenziale junger Menschen werden von Dw der Gruppe Berta in dieser Sequenz beschrieben.

Berta: Entwicklung von Kindern: Grenzen setzen und fördern, Z.123–215

figure acfigure ac

Dw aus der Gruppe Berta wendet sich den Chancen, bzw. der Chancenungleichheit, von Kindern und Jugendlichen zu, stellt Entwicklungsverläufe in den Mittelpunkt und beschreibt die Bedeutung der Familien. Sie vertritt die Auffassung, dass Betreuungsangebote keine problematischen Familienverhältnisse ausgleichen können.

Exemplifizierend berichtet sie von einer Weihnachtsfeier. Die Erzählung mündet in eine Argumentation. Dw mit anderen Personen in einer Kirchengemeinde. Gemeinsam haben sie dort mit bedürftigen Kindern gebastelt. Sie erzählt, dass sie mit einem ca. vierzehnjährigen Mädchen ins Gespräch kam. Dieses Mädchen wünschte sich mehr Aufmerksamkeit der Mutter. Stattdessen trägt sie die Verantwortung für ihre vier jüngeren Geschwister. Solche Lebensläufe, prägen nach der Auffassung von Dw das ganze Leben. Sie drückt damit aus, dass diese altersunangemessene Aufgabe eher erdrückend ist und emotionale Defizite erzeugen kann. Mit sozial abweichendem Verhalten bringt sie die Zuwendungsdefizite nicht in Verbindung. Sie folgert aus ihrer Erzählung ganz allgemein Wirkungen des Familienlebens auf die Persönlichkeitsentwicklung.

Dw erzählt auch von der Begegnung mit dem jüngsten Kind aus dieser Familie bei der Weihnachtsfeier. Das Mädchen hat außer im Unterrichtsfach Deutsch gute Schulnoten. Die Finanzierung von Nachhilfe scheitert an den finanziellen Möglichkeiten der Familie. Dw wirft der Familie vor, ein relativ kleines Problem nicht zu lösen. Diese mangelnde Förderung kann später „größere Probleme“ auslösen. In der Gruppe entwickelt sich ein antithetischer Diskurs um die Fördermöglichkeiten von Kindern. Es werden sowohl finanzielle Unterstützungsmöglichkeiten, als auch eine psycho-soziale Unterstützung der Mutter diskutiert, die ihr eine intensivere emotionale Zuwendung zu ihren Kindern ermöglichen soll. Einigkeit besteht in der Gruppe darin, dass die Entwicklung junger Menschen stark von sozialen Rahmenbedingungen, insbesondere von der Zuwendung der Eltern abhängt. Das zeigt sich im Diskursverlauf durch eine Konklusion von Dw und der Validierung („richtig“) eines unbekannt gebliebenen Sprechers.

Der Diskurs der Gruppe hat sich auf der expliziten Ebene weit von polizeilichem Handeln und Präventionsaufgaben entfernt. Die Erzählung von Dw hat die Teilnehmer dazu angeregt, sich allgemein mit Entwicklungsproblemen von sozial benachteiligten Kindern und Jugendlichen auseinanderzusetzten.

Mit Blick auf kollektiv geteiltes implizites Wissen wird in den Handlungsorientierungen des Typus pädagogisierte Präventionsarbeit eine differenzierte Wahrnehmung junger Menschen sichtbar. Anders als beim Typus obrigkeitsstaatliche Präventionsarbeit, der sich an einem Täter-Opfer-Bild von Kindern und Jugendlichen orientiert, sind für diesen Typus auf der kommunikativ generalisierenden Ebene die Entwicklungsbedingungen von Bedeutung. Es zeigt sich ein positives Bild von Kindheit und Jugend, das in jungen Menschen, unabhängig von ihrer sozialen Herkunft, entwicklungsfähige und erziehungsbedürftige Personen sieht. In der Orientierung an der Verbesserung der Lebenschancen, dokumentiert sich zugleich ein Bild von Prävention, das sehr allgemein mit Lernen, Erziehung und Sozialisation verbunden ist und weniger mit polizeilicher Normenverdeutlichung. Jugendliche Devianz wird häufig von den sozialen Rahmenbedingungen beeinflusst. Ihr auf Differenzierung ausgelegtes Bild von Kindheit und Jugend wird von kollektiv geteiltem implizitem Wissen geleitet, dass sich nicht alle Probleme mit polizeilichen Mitteln lösen lassen. Damit sind dann auch die präventiven Handlungsmöglichkeiten begrenzt. Die Verantwortlichkeit anderer Akteure relativiert den eigenen Handlungsdruck. Defizite in der Funktionsfähigkeit von Hilfesystemen entlasten auch die Verantwortung der Polizei, die ja keine Bildungseinrichtung ist und keine soziale Unterstützungen gewährt.

Aber nicht nur die institutionellen Möglichkeiten zur Förderung junger Menschen zeigen sich in der Wahrnehmung dieses Typus als begrenzte Optionen. Gleiches gilt auch für die Einschätzung der Entwicklungsfähigkeit und Lernbereitschaft junger Menschen. In der positiven Wahrnehmung von Kindern und Jugendlichen und dem Wissen um deren begrenzte Beeinflussbarkeit, zeigt sich die Ambivalenz des Bildes von Kindheit und Jugend.

Berta: Entwicklung von Kindern: Grenzen setzen, fördern, Z. 32–47

figure ad

Vorangegangen ist eine Beschreibung von Bm der Gruppe Berta, in der das erfolglose Handeln von schulischen und anderen Akteurinnen und Akteuren zur nachhaltigen Intervention gegen Störungen von Schülerinnen und Schülern beschrieben wurde.

Am unterbricht Bm und differenziert die Problemstellung, indem er auf biografische Entwicklungen von Schülerinnen und Schülern verweist. Er beschreibt den Sozialisationsverlauf eines fiktiven Kindes, das nie zur Einhaltung von Regeln wirksam angehalten wurde und dessen Verhalten mit zunehmendem Alter zu immer größeren „Problemen“ führt. Am drückt damit aus, dass die Verhaltensauffälligkeiten in langjährigen Entwicklungs- und Erziehungsdefiziten begründet liegen und sich in ihren Auswirkungen potenzieren. Hier sieht er alle Beteiligten in der Verantwortung und benennt explizit Eltern und Lehrkräfte. Nach seiner Auffassung können so erzeugte Defizite kaum revidiert werden, deshalb muss man „so klein wie möglich anfangen“. Bm wollte so offensichtlich auch verstanden werden, denn er validiert den Einwurf von Am. Bm argumentiert, dass ihm auch Fälle bekannt sind, in denen es trotz kontinuierlicher, erzieherischer, beratender o.a. Aktivitäten zu Verhaltensauffälligkeiten kam. Mit Intervention ist ein Einwirken auf die Kinder, z. B. im Sinne von Grenzen setzen, gemeint. Er erwähnt „massive häusliche Probleme […], die keiner ändern kann“. Bm deutet damit an, dass Erziehungsberechtigte ihrem Erziehungsauftrag nicht nachkommen. Diesen Zustand hält er für erfolgskritisch. Die häusliche Situation und deren Wirkungen auf die Kinder hält er entscheidend für die Entwicklung junger Menschen. Die Validierung erfolgt etwas später im Diskursverlauf durch Gm (Berta: Entwicklung von Kindern: Grenzen setzen, Z. 52–69, siehe unten).

Neben den hier sichtbar werdenden Erwartungen an Wirksamkeit erzieherischen Handelns, zeigt sich auch ein Bild von begrenzten Entwicklungsmöglichkeiten junger Menschen. Anders als beim Typus obrigkeitsstaatliche Präventionsarbeit werden keine Vorverurteilungen von verhaltensauffälligen Schülerinnen und Schülern sichtbar. Die Pfadabhängigkeit devianter Entwicklungen wird nicht linear mit Fehlverhalten des Individuums verknüpft, sondern mit dem Leben in einem ungünstigen sozialen Setting verbunden. Damit erklären sich aber noch nicht normkonforme Entwicklungen jungen Menschen, die unter gleichen Bedingungen wie delinquenzgeneigte Jugendliche aufwachsen. Es zeigt sich daher ein vereinfachendes Orientierungsmuster, das Devianz mit den Bedingungen des Aufwachsens begründet. Charakteristisch für die Orientierungstypen obrigkeitsstaatliche und pädagogisierte Präventionsarbeit scheinen vereinfachende Deutungsmuster jugendlicher Devianz zu sein. Lediglich die Erklärungsansätze und das damit sichtbar werdende Bild von Kindheit und Jugend unterscheiden sich. Weiterhin deutet sich bereits an, dass auch bei diesem Typus implizite Grenzen der Präventionsarbeit handlungsleitend sind (siehe unten Abschnitt 5.3.2.2).

Selbstbild als Expertinnen und Experten

Polizeiliche Präventionsarbeit, unabhängig von dem Setting in dem sie stattfindet, löst sich von der Unmittelbarkeit der Verhaltensänderung und auch von der Option der Zwangsanwendung. In diesem Spannungsfeld befinden sich alle Orientierungstypen. Charakteristisch für den Typus pädagogisierte Präventionsarbeit ist jedoch, dass er für sich in spezifischer Weise eine Rolle beansprucht, die sich von anderen polizeilichen Aufgaben, aber auch vom Rollenbild anderer Typen unterscheidet. (Kontrast: Die Orientierungen des Typus obrigkeitsstaatliche Präventionsarbeit verbleiben in einem genuin polizeilichen Handlungsmodus, was sich beispielsweise im praktizierten Belehrungsmodus zeigt.) Die eigene Rolle konturiert sich auch durch selbst beanspruchte Expertise und die Erwartungen anderer an die Beamtinnen und Beamten, wie in der folgenden Passage sichtbar wird.

Berta: Entwicklung von Kindern: Grenzen setzen und fördern, Z. 216–231

figure ae

Am der Gruppe Berta formuliert eine Konklusion im Modus einer Proposition. Vorangegangen waren ein längerer Diskurs über die Fördermöglichkeiten von Kindern und die Rollen der Eltern in diesem Zusammenhang. Nachdem zuvor die polizeiliche Präventionsarbeit in den Elaborationen in den Hintergrund getreten war, stellt Am nunmehr wieder explizit die Bezüge zur polizeilichen Präventionspraxis her, mit dem das Thema Entwicklung von Kindern: Grenzen setzen und fördern abgeschlossen wird. Im Rahmen von Elternabenden, an denen er als Präventionsbeamter teilnimmt, fühlt er sich in die Rolle eines Erziehungsberaters gedrängt. Inhaltlich geht es in seiner Beschreibung um die Entstehungsbedingungen von Gewalt. Nach seiner Wahrnehmung zwingen ihn die Themenstellungen und Erwartungen der Teilnehmenden in diese Richtung. Er nimmt einen Rollenkonflikt oder eine Rollendiffusion wahr. Er ist Polizeibeamter und sieht es nicht als seine Aufgabe an, Informationen oder Hilfestellung für Erziehungsprobleme zu geben. Die Proposition „bleib bei deinen Leisten“ ist dem Sprichwort Schuster bleib bei deinen Leisten entlehnt und drückt aus, dass jeder das machen soll, was er kann, wofür er ausgebildet ist bzw. was seine Aufgabe ist. Später bekräftigt er noch einmal, dass er „Polizist bleiben möchte bei der ganzen Geschichte“. Es handelt sich dabei um eine negative Abgrenzung. Er sagt nicht was seine Aufgabe ist, sondern exemplarisch, wo Grenzen zu Aufgaben anderer Akteure überschritten werden. Gleichwohl stellt er sich dieser Aufgabe („du kommst automatisch auf dieses Thema“). Am sieht sich nicht in der Rolle eines Pädagogen, auch wenn die von ihm beschriebene Beratungssituation deutliche Bezüge zur Sozialen Arbeit bzw. zu pädagogischem Handeln aufweist.

Am grenzt seine Aufgabe nicht nur von der eines Erziehungsberaters ab, sondern weist auch auf praktische Überschneidungen hin. Er hört sich bei Elternabenden „selbst fast als Erziehungsberater“ an. So drückt er aus, dass er nur näherungsweise diese FunktionFootnote 30 übernimmt und sich in eine Aufgabe gedrängt fühlt, die er gar nicht wahrnehmen möchte. Gleichzeitig reagiert er auf die Informationswünsche der Eltern und delegiert die Fragen nicht an andere Akteurinnen und Akteure. In dieser Beschreibung der Kommunikation mit Eltern und der darin sichtbar gewordenen Expertise zeigen sich Kompetenzen, die gewünschte Beratungsleistung zu erbringen. Weiterhin wird in der Distanzierung eine Verbundenheit mit polizeilichen Handlungsmustern sichtbar, obwohl die tägliche Präventionspraxis deutlich von genuin polizeilichen Aktivitäten der Gefahrenabwehr oder Strafverfolgung abweicht. Bezogen auf die handlungsleitenden Orientierungen, die für den Typus pädagogisierte Präventionsarbeit charakteristisch sind, wird in der Interpretation der eigenen Expertise eine Ambivalenz sichtbar. Die Akteurinnen und Akteure wissen um die Bedeutsamkeit pädagogischen Handelns in der Präventionsarbeit, zeigen sich handlungssicher und distanzieren sie gleichzeitig von den eigenen Kompetenzen, weil sie nicht genuin polizeilichen Handlungsschemata entsprechen. Diese Orientierung bildet einen Kontrast zu anderen Handlungsmustern, da sich zeigt, dass das spezifische implizite Wissen aus der Präventionspraxis sowohl für polizeiliches Handeln, als auch für pädagogische oder helfende Akteure relevant ist. Hier zeigt sich ein maximaler Kontrast zum Expertinnen-/Expertenselbstbild des Typus obrigkeitsstaatliche Präventionsarbeit. Dort werden die juristische Expertise und eigenes polizeiliches Erfahrungswissen als exklusive Kompetenzen von zentraler Bedeutung für die Präventionsarbeit sichtbar.

Wirkmächtigkeit professionsspezifischer Orientierungen

Mit dem Vergleichskriterium normative Disposition (siehe oben) konnte bereits rekonstruiert werden, dass die Akteurinnen und Akteure dieses Typus in ihrem professionellen Handeln darauf bedacht sind, Asymmetrien in den Arbeitsbeziehungen zu Kindern und Jugendlichen zu reduzieren. Sie wollen als individuelle Persönlichkeiten und nicht als polizeiliche Amtsträger wahrgenommen werden. Die beiden folgenden Sequenzen aus Diskursen von Jugendsachbearbeitern werden die Grenzen dieser Orientierung und die Wirkmächtigkeit polizeispezifischer Orientierungen zeigen.

Bravo: Arbeit mit Intensivtätern: Beziehungen aufbauen und gestalten, Z. 96–11

figure af

Als Beispiel für die Intensität seiner Arbeitsbeziehungen zu Kindern und Jugendlichen beginnt Fm der Gruppe Bravo den Vertrauensaufbau zu beschreiben. Vorangegangen war eine Sequenz, in der beschrieben wurde, dass zwischen sexuellem Missbrauch und beginnender intensiver Straffälligkeit zwei Jahre liegen können. In dem Fall, der die Grundlage seiner Beschreibung bildet, ist das Opfer aufgrund der Tat unerkannt schwer traumatisiert. Damit drückt Fm aus, dass ein intensiver, vertrauensaufbauender Kontakt zu Jugendlichen erforderlich ist, um die Gründe der Devianz zu erkennen und helfen zu können. Da dieser Kontext in der vorangegangenen Beschreibung relativ implizit blieb, fragt Ew ihn, was er denn mit „Sex meint“. Fm erläutert, dass er sich auf Missbrauchserfahrungen bezieht. Ew entgegnet darauf belustigt, dass sie dachte, die Jugendlichen erzählen ihm, wann sie „ihre Jungfräulichkeit verloren haben“. Hier deutet sich an, dass die Art und Weise, mit der sich Fm um Jugendliche kümmert, von anderen Personen aus der Gruppe Bravo nicht geteilt wird. Mit der Beschreibung seiner Erfahrungen mit Missbrauchsfällen will er verdeutlichen, dass die Jugendlichen eine „Vertrauensperson brauchen“. Momentan hat er noch genügend Zeit für den Aufbau und Pflege solcher Beziehungen.

Zum Vertrauensaufbau gehört auch, dass er nicht alles dokumentiert, was er erfährt. In dieser Handlungspraxis zeigt sich, dass Fm in der Beziehung zu seinen jugendlichen Delinquenten einen vertraulichen Raum schaffen möchte, der dem Zugriff anderer behördlicher Akteure entzogen ist. Verschwiegenheit dient als eine Art Vertrauensbeweis. Er ist dann nicht der „böse Polizist der immer gleich bam bam oben draufhaut, sondern zuhört“. Gleichzeitig drückt sich in dieser Praxis auch die Ausübung von Macht aus, weil er entscheidet was aktenkundig wird und was nicht. Dieses Verhalten ist möglicherweise nicht regelkonform, denn einen verbrieften Vertraulichkeitsbereich gibt es in der polizeilichen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen nicht. Die Handlungspraxis wird durch seinen Vorgesetzten geduldet. Fm bewilligt sich einen Ermessensspielraum, den er nach individuellen subjektiven Kriterien gestaltet („unterste Schwelle, könnt ich jetzt schreiben, müsste ich nich“). Seine eigenen Gerechtigkeits- und Zweckmäßigkeitsvorstellungen dürften hierbei handlungsleitend sein. Gleichzeitig zeigt sich in dieser Orientierung auch Initiative und Engagement. Fm will sich selbst förderliche Bedingungen für den Umgang mit Jugendlichen schaffen. Er möchte in einem gewissen Umfang das Vertrauen der jungen Menschen gewinnen. Nach seiner Interpretation wird das von den Jugendlichen auch „gut angenommen“; es lässt sich „wunderbar arbeiten“. Die Gruppe toleriert das beschriebene Verhalten, indem sie schweigt. Schweigen im Diskurs kann zwar nicht per se als Zustimmung gedeutet werden, hier kann das aber so interpretiert werden, weil die Gruppe Bravo sonst im Diskurs Gegenhorizonte formuliert, wenn sie eine Arbeitspraxis ablehnt. Fm schließt seine Elaboration mit einer Selbstvalidierung ab, indem er zum wiederholten Mal seine guten Arbeitsbedingungen preist und bezogen auf seine Arbeitsweise der Zustimmung seines „#Dienststellenleiters#“ gewiss ist.

In dieser Sequenz dokumentiert sich, dass dieser Typus in spezifischer Weise Macht ausübt, um eine Ein-/Unterordnung in die Verhaltensregeln und Umgangsformen zu erreichen. Als Jugendsachbearbeiterinnen und Jugendsachbearbeiter begegnen sie Jugendlichen primär in polizeilichen Ermittlungssituationen. Die jungen Menschen stehen als Tatverdächtige oder Opfer in Beziehung zu einer Straftat. Solche genuin polizeilichen Situationen sind von der Beherrschung der Interaktionssituation geprägt. So soll die Durchführung der polizeilichen Maßnahme gewährleistet werden und auf der personalen Ebene die Autorität der Ermittlungspersonen nicht in Frage gestellt werden. Andererseits versucht der Typus pädagogisierte Präventionsarbeit mit den jungen Menschen in Beziehung zu gehen. Bei sogenannten Intensivtäterinnen und Intensivtätern, also Personen, die in kurzer Zeit zahlreiche Straftaten begehen (vgl. Abschnitt 2.3.3), sind diese Arbeitsbeziehungen auf längere Zeit angelegt. Unter Umständen erstreckt sich dieser Zeitraum auf die gesamte Phase der Jugend.Footnote 31 Sie wollen ihnen zwar nicht auf Augenhöhe, aber dennoch verständnisvoll begegnen. Junge Menschen mit einer hohen Delinquenzneigung haben häufige Polizeikontakte. Die Arbeit mit Intensivtäterinnen und Intensivtätern ist ein besonders anspruchsvoller Teil ihrer Arbeit. In den Beschreibungen und Erzählungen zeigt sich, dass die Intensität der Kontakte bei diesem Typus teilweise zu Rollenkonflikten führt, weil sie auf der Beziehungsebene junge Menschen in einer Weise erreichen wollen, die mit ihrer Funktion als Ermittlungsperson nicht vereinbar ist. Es wird sichtbar, dem Wunsch nach Zuwendung und einer Bezugsperson gerecht zu werden. Die Akteurinnen und Akteuren sehen sich teilweise mit einem Vertrauen von Jugendlichen konfrontiert, dem sie in ihrer polizeilichen Rolle nicht immer entsprechen können oder wollen. Die Jugendsachbearbeiterinnen und Jugendsachbearbeiter organisieren ihre Rolle antinomisch und sehen darin ihre Wirksamkeit: Sie setzen auf die hierarchische Distanz und die Rolle, die sie durch die Ausübung des Gewaltmonopols haben. Sie durchbrechen ihr Gewaltmonopol durch den Aufbau persönlicher Beziehungen. So wird z. B. im Modus der kumpelhaften Jugendversteher agiert, um Distanzen zu reduzieren und um die Bereitschaft zur Verhaltensänderung zu fördern.

Spannungsfelder, die durch die Beziehungsgestaltung zu jugendlichen Delinquenten entstehen, zeigen sich auch in anderen Erzählungen. In der folgenden Sequenz möchte ein Mädchen von Dm der Gruppe Brigit 120 zu einem Gerichtstermin begleitet werden.

Bravo: Eingangspassage, Z. 226–249

figure ag

Zu den Aufgaben von Dm gehört u. a. die Arbeit mit Mehrfachtäterinnen / Mehrfachtätern bzw. Intensivtäterinnen / Intensivtätern. Derzeit bearbeitet er die Fälle von vier Intensivtäterinnen / Intensivtätern. Unter diesen Jugendlichen ist auch ein sehr problembeladenes Mädchen. Aktuell lebt sie in einer Einrichtung für betreutes Wohnen, dort wird sie wohl etwas besser erreicht als mit vorangegangenen Maßnahmen. Zu diesem Mädchen hat er einen besonders intensiven Kontakt. Die Initiative dazu geht von dem Mädchen aus. „Mitkommen“ wird von Dm und weiteren Gruppenangehörigen (lachende Personen im Hintergrund) als Wunsch nach einer Betreuung in einer Gerichtsverhandlung interpretiert. Zwischen der Ermittlungsperson des Staates und dem (Rechts-)Beistand im Strafverfahren besteht naturgemäß ein unauflösbarer Rollenkonflikt, den das Mädchen nicht erkennt. Das führt in der Gruppe zur Erheiterung. Selbst wenn Dm wollte, kann er diesem Wunsch nicht entsprechen. Das Mädchen scheint Dm zu vertrauen. So sind auch die Reaktionen der Gruppe zu interpretieren. Für Dm scheint der Kontakt etwas zu intensiv zu sein. Er fühlt sich möglicherweise zu stark in Anspruch genommen oder bedrängt. Dm kann die Nähe jedenfalls nicht mit seiner Rolle als Ermittlungsperson der Staatsanwaltschaft verbinden. Als Beschuldigte verhält sie sich vorbildlich. Die Jugendliche kommt zu jeder Vernehmung und gesteht jede Tat. Dazu sind Beschuldigte nicht verpflichtet. Für Dm ist das ein Ausdruck von Naivität und begrenzter intellektueller Möglichkeiten. Gleichzeitig setzt er sich aber auch für sie jenseits seiner beruflichen Aufgaben ein und versucht ihr verständlich zu machen, dass sie nicht über alle ihre Gesetzesverstöße berichten muss.Footnote 32

Ähnlich wie Fm reizt Dm die Grenzen seiner beruflichen Pflichten aus, es widerspricht zumindest der polizeilichen Praxis, Chancen zur Entgegennahme von Geständnissen nicht zu nutzen. Auf jeden Fall wird sichtbar, dass nicht nur einseitig von dem Mädchen eine vertrauensvolle Beziehung angestrebt wird. Ohne die intensiven Kontakte würde sich Dm wohl kaum für die Belange des Mädchens einsetzen und auf die Aufklärung der einen oder anderen Tat verzichten wollen, zumindest möchte er in seinen Ermittlungen ohne Geständnis des Mädchens auskommen. Es wird sichtbar, dass das subjektive Wohl des Kindes, dass das, was der Beamte individuell für die Entwicklung des jungen Menschen für richtig hält, schwerer wiegt als der Strafverfolgungsanspruch des Staates. Gleichzeitig wird ein mangelndes Vertrauen in positive Wirkungen des Jugendstrafrechts deutlich. Es scheint eher eine Tendenz zum punktuellen Strafverfolgungsverzicht gegeben zu sein, weil es subjektiv aus der Sicht des Beamten die zweckmäßigere Maßnahme ist. Dms Verhalten drückt eine Art von Hilfeleistung aus. Er kümmert sich um das Mädchen und zeigt trotz aller Distanz Empathie. Bezogen auf das Vernehmungsverhalten des Mädchens lacht Ew nach der Charakterisierung „die hat nicht so viel im Kopf“ kurz auf. Das untypische Vernehmungsverhalten belustigt sie. Cm merkt, nach einem kurzen Auflachen, wohl ironisch „die ist verliebt in dich“ an. Diese Bemerkung führt zu einer interaktiv dichten Passage. Dw antwortet darauf ebenso ironisch „wahrscheinlich“, um dann klarzustellen, dass Dm für das Mädchen zu einer Bezugsperson geworden ist. Ew validiert diese Einschätzung („die braucht eine Bezugsperson“, „die kriegt sie woanders nicht“). Dm sagt in diese Feststellung hinein dreimal „ja“. Er ist sich seiner Rolle bewusst und validiert die Einschätzung der Gruppe. Eher abwertend erzählt Dm kurz von einer Therapie des Mädchens. Gleichzeitig wird dadurch eine gewisse persönliche Entlastung sichtbar. Er braucht sich nicht allein um das Mädchen zu kümmern, so scheint er zu hoffen.

Insgesamt dokumentiert sich in der Erzählung von Dm ein Spannungsfeld zwischen Distanz und Nähe. Die eher abfälligen Bemerkungen drücken eine Distanz aus, das Kümmern zeigt eher Nähe zum Mädchen. Es besteht eine Ambivalenz zwischen der Rolle als Ermittlungsperson mit einem Strafverfolgungsauftrag und dem Beziehungsaufbau, der den Beamten weg von der amtlichen Funktion in eine individuelle soziale Rolle führt. Ew sagt abschließend zweimal „ja“, was als Konklusion interpretiert werden kann. Es zeigt sich insgesamt, dass es diesem Typus an Rollenklarheit mangelt. Nach ganz individuellen, subjektiven Kriterien variieren die Ermittlungspersonen zwischen betreuenden, beratenden und investigativen Handlungsmustern, die in ihrer Kumulation weder polizeilicher noch pädagogischer Professionalität gerecht zu werden scheinen.

Die Funktionalisierung pädagogischer Arbeitsbeziehungen für genuin polizeiliche Zwecke, die aus pädagogischer Perspektive auch ethische Fragen aufwirft, wird in der Praxis der Präventionsbeamtinnen und Präventionsbeamten sichtbar. Zunächst wird eine deutliche Grenze zwischen präventivem und repressivem Handeln gezogen. Die Präventionsbeamtinnen und Präventionsbeamten wollen es vermeiden, Normen durchsetzen zu müssen. In dieser angestrebten Trennung drückt sich eine Abgrenzung der intendierten Vermittlungspraxis in der Präventionsarbeit von einer auf Verhaltenssteuerung ausgerichteten Interventionspraxis in der genuin polizeilichen Arbeit aus (siehe oben Romeo: Eigene Rolle und Ausrichtung der Präventionsarbeit, Z. 21–54). Gleichzeitig wird aber explizit das Ziel formuliert, positive Arbeitsbeziehungen zeitlich versetzt in Interventionssituationen für genuin polizeiliche Zwecke zu nutzen (siehe Abschnitt 5.3.2.2. Bravo: Eingangspassage, Z. 59–78 und Hotel: Junge Menschen erreichen – Normsinn vermitteln, Z. 358–373). In dieser Orientierung wird sichtbar, dass pädagogische Handlungsmuster in ein polizeiliches Orientierungssystem eingeordnet werden.

Anders als bei dem Typus obrigkeitsstaatliche Präventionsarbeit zeigt sich beim Typus pädagogisierte Präventionsarbeit ein intensiveres Streben nach einem Beziehungsaufbau in der pädagogischen Situation. Die Akteurinnen und Akteure wollen Distanzen kommunikativ überwinden und streben bisweilen eine persönliche Vertrautheit an (Bravo: Arbeit mit Intensivtätern: Beziehungen aufbauen und gestalten, Z. 20–34 und 120–138). Die individuelle Ebene, die Authentizität als Mensch und nicht als Amtsperson wird stark betont. Als Kontrast dazu deutet sich in Diskursen anderer Gruppen an, dass selbst- und organisationsbezogene Beziehungsziele weitgehend in den Hintergrund treten. Weitere Problemlösungen werden von helfenden Akteurinnen und Akteuren bzw. sozialen Institutionen erwartet (Bravo: Eingangspassage, Z. 94–122). In der Rekonstruktion der Rolle dieses Typus zeigen sich in der Wertschätzung von Jugendlichen und dem Aufbau von Arbeitsbeziehungen Orientierungen, wie sie auch in pädagogischen Handlungsmustern erwartbar sind. Gleichzeitig wird aber auch die Wirkmächtigkeit polizeilicher Handlungsmuster, insbesondere im Handlungsfeld der Jugendsachbearbeitung, sichtbar, wo präventive und repressive Aspekte polizeilichen Handelns oftmals zusammenfallen.

5.3.2.2 Modi der angestrebten Normübernahme: Sozialisation und Förderung

Die vorangegangene Rekonstruktion der Rolle der Akteurinnen und Akteure bildet den Orientierungsrahmen, aus dem sich die Handlungsmuster der Präventionsarbeit dieses Typus enaktieren lassen. Wie beim Typus obrigkeitsstaatliche Präventionsarbeit, sind auch beim Typus pädagogisierte Präventionsarbeit die normative Disposition der Beamtinnen und Beamten, das Bild von Kindheit und Jugend sowie die Wirkmächtigkeit der polizeilichen Professionalität in pädagogischen Situationen handlungsleitend. Durch die Rekonstruktion des empirischen Materials lässt sich zeigen, dass das Rollenbild für die Präventionspraxis konstitutiv ist. Die Ambivalenz der eigenen Rolle führt auch zu Widersprüchlichkeiten im Umgang mit Kindern und Jugendlichen. Es wird sich zeigen lassen, dass dieser Typus die Entwicklung von Kindern fördern möchte, jedoch an die Grenzen pädagogischer Handlungsoptionen stößt und dann auf inkorporierte genuin polizeiliche Handlungsroutinen zurückgreift. Es lässt sich der Wunsch einer Machbarkeit normativer Beeinflussung rekonstruieren, die aufgrund der menschlichen Autonomie nicht mit Hilfe von Technologien herstellbar ist. Es dokumentiert sich im Material, dass die dadurch entstehenden Irritationen mit Machtausübung kompensiert werden, um wirksam zu sein. Auf der Zielebene werden sich in der Konstruktion des Typus pädagogisierte Präventionsarbeit Handlungsmuster zeigen, die versuchen, gleichzeitig pädagogischen und polizeilichen Zwecken gerecht zu werden. Die Modi der Normübernahme werden unter Verwendung der Vergleichskriterien Zielperspektive der Normübernahme und Erwartungen an Wirksamkeit der polizeilichen Akteurinnen und Akteure rekonstruiert.

Zielperspektive der Normübernahme

Für diesen Typus ist es charakteristisch, dass junge Menschen auf einer persönlichen Ebene und in ihrer Lebenswelt erreicht werden. Das zeigt sich in der Bedeutung von Bezugspersonen und der sozialen Situation, die der Entwicklung junger Menschen beigemessen wird. Die relativ differenzierte Wahrnehmung biografischer Entwicklungen von Kindern und Jugendlichen lässt bei diesem Typus ein komplexes Bild von Kindheit und Jugend erkennen.

Im Umgang mit Beziehungen wird die bipolare Zielperspektive des Typus rekonstruierbar, die sowohl pädagogischen als auch polizeilichen Zwecken dienen soll. Im Handlungsfeld der Jugendsachbearbeiterinnen und Jugendsachbearbeiter besteht die Herausforderung mit den Vertrauens- und Beziehungsgrenzen umzugehen, die durch die eigene Professionalität gesetzt werden. Aus der Arbeit als Präventionsbeamtinnen und Präventionsbeamte entstehen nach ihrer eigenen Interpretation positive KennverhältnisseFootnote 33 zu Schülerinnen und Schülern. Sie werden von den Kindern und Jugendlichen im privaten Umfeld oder in anderen polizeilichen Situationen erkannt und gegrüßt (Berta: Eingangspassage, Z. 53–81). Im gesamten Datenmaterial finden sich ähnliche Erzählungen mit der immer gleichen homologen Interpretation des jugendlichen Verhaltens. Bei den Polizistinnen und Polizisten mit Orientierungsmustern im Sinne des Typus pädagogisierte Präventionsarbeit zeigt sich jedoch, dass das so entstandene Vertrauen für unterschiedliche Zwecke genutzt wird. Vertrauen und Vertrautheit zwischen Kindern und Jugendlichen sowie den Akteurinnen und Akteuren der polizeilichen Jugendarbeit soll nach dem Bild dieses Typus, die Grundlage für die Erreichung pädagogischer und polizeilicher Ziele sein. Das lässt sich mit Hilfe der folgenden beiden Transkriptauszüge rekonstruieren.

Hotel: Junge Menschen erreichen – Normsinn vermitteln, Z. 358–373

figure ah

Im Diskurs der Gruppe Hotel hat die Sequenz die Funktion einer generalisierenden Konklusion. Vorangegangen war eine Passage, in der konkrete Präventionsmaßnahmen als „Investitionen“ (Hotel: Junge Menschen erreichen – Normsinn vermitteln, Z. 276) in die Jugend beschrieben wurden. Die Präventionsbeamtinnen und Präventionsbeamten, die aus dem Zuständigkeitsbereich dieser Polizeibehörde kommen, haben nach der Interpretation der Gruppe Hotel ein gutes, dichtes Netzwerk, das ihnen einen leichten Zugang zu Kindern und Jugendlichen ermöglicht. Sie müssen Kinder nicht aufsuchen, um mit ihnen in Kontakt zu kommen. Dm spricht davon, dass die Kinder auf sie zukommen. Das dürfte dahingehend interpretierbar sein, dass von Pädagogen, Eltern und ähnlichen Akteuren Impulse für die Präventionsarbeit mit der Polizei ausgehen. Da der Modus der Erstkontakte explizit erwähnt wird, scheint es für die Gruppe wichtig zu sein, dass sehr früh, also in jungen Jahren, positive Kontakte unmittelbar am Wohnort entstehen. Es wird eine große räumliche und persönliche Bürgernähe beschrieben. Zeitliche und niedrigschwellige Erreichbarkeit gelten gemeinhin als erstrebenswerte polizeiliche Leistungsziele. In der Konklusion von Dm drückt sich als Selbstbewertung eine hohe eigene Arbeitsqualität aus. Da sich der vorangegangene Diskursabschnitt auf Prävention durch Sportprojekte und auf den Umgang mit digitalen Medien bezog, zielen die angestrebten positiven Arbeitsbeziehungen auf das Feld der sogenannten primären Präventionsarbeit (vgl. Abschnitt 2.3.2). Mit „positivem Kontakt“ dürften ein konfliktfreies, wertschätzendes Miteinander und eine vertrauensvolle Akzeptanz der Polizei gemeint sein.

Die Arbeitsbeziehungen, die in pädagogischen Situationen entstehen, richten sich nicht nur auf die Lernsituation bzw. das Erziehungsziel aus, sondern sollen mitgängig ein positives Polizeibild erzeugen. Implizites Ziel ist es, einen dauerhaften Imagegewinn zu erzielen, sich als die gute Polizei zu inszenieren und Konflikte in Situationen polizeilicher Intervention zu reduzieren. Für die Akteurinnen und Akteure ist die Annahme handlungsleitend, dass das Kennenlernen in einer konfliktfreien Situation Konfrontationen in späteren konfliktbeladenen Situationen vorbeugt. In der Arbeitsbeziehung sind also Zwecke angelegt, die außerhalb von pädagogischen Situationen liegen und genuin polizeilichen Zielen dienen. Bei diesem Typus dokumentiert sich eine Vertrautheit, die in pädagogischen Settings gebildet wird und später für Beherrschungsoptionen genutzt werden kann. Durch diese Kumulation von Zwecken wird die Wirkmächtigkeit der fortbestehenden polizeilichen Handlungsorientierungen sichtbar. Die Gestaltung der Beziehungsebene dient primär dazu, die polizeiliche Situation abzumildern. So kann die Kommunikation im Sinne eines konfliktfreien Arbeitens erleichtert werden. Gleichzeitig erhalten einzelne Jugendliche nach subjektiven Auswahlkriterien persönliche Zuwendung. Diese Zweckwechseloptionen entstehen nicht nur beiläufig, sondern sind von Anfang an intendiert. Die Bekanntheit aus der Präventionsarbeit in Schulen wird positiv bewertet und zwar für ihre polizeiliche Arbeit („ich kenne Sie aus der Schule, hallo“, Bravo: Eingangspassage, Z. 73). Die im schulischen Kontext entstandene Arbeitsbeziehung und das damit möglicherweise entstandene Vertrauen zwischen Schülerinnen und Schülern und den Beamtinnen und Beamten, dient nicht nur der Normvermittlung, sondern auch der Ermittlungstaktik oder der Deeskalation in konfliktbeladenen polizeilichen Interventionssituationen. Diese Kumulation unterschiedlicher divergierender Zwecke und der damit einhergehende Wechsel zwischen pädagogischer und polizeilicher Perspektive zeigt sich bei den Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten dieses Orientierungstyps durch eine unreflektierte, widerspruchsfreie Verknüpfung unterschiedlicher Handlungsorientierungen, die intuitiv situationsbezogen gewechselt werden. Das Vertrauen, das für eine positive Beziehung konstitutiv ist und im pädagogischen Kontext den Interessen und Bedürfnissen von Kindern und Jugendlichen gerecht werden soll, wird bei Bedarf selbstbezogenen oder polizeilich-investigativen Zwecken untergeordnet und ausgenutzt.

Bravo: Eingangspassage, Z. 59–78

figure ai

Am der Gruppe Bravo beschreibt grob eine altersbezogene Didaktik der Präventionsarbeit an Schulen. Sie beginnen in der zweiten Klasse mit „Verhalten Fremden gegenüber“, erläutern später was verboten ist, bis hin zu „Cybermobbing“ in der 10. Klasse. Am spricht von „kindlicher Prävention“, mit der sie ihre Präventionsarbeit an Schulen beginnen, gemeint sein dürfte aber kindgerechte Arbeit. Als eine Wirkung der Arbeit an Schulen sieht Am die Steigerung der persönlichen Bekanntheit, den Beziehungsaufbau, das Entstehen einer latenten Vertrautheit. Für Am wird das sichtbar, wenn er im Streifendienst wiedererkannt wird.

Solche Erfahrungen beschreiben auch andere Gruppen (Berta und Paula). Den Nutzen eines intendierten langfristigen Beziehungsaufbaus sieht er in der Förderung seiner eigentlichen genuin polizeilichen Arbeit (minimaler Kontrast zur Gruppe Hotel, siehe oben). Das Kennverhältnis wird zweckrational zur Förderung der polizeilichen Ermittlungsarbeit benötigt. Er hat dann ein „leichtes Spiel“ um an „Informationen“, „Tatbeteiligte“ oder „Zeugen ranzukommen“. Das entstandene Vertrauen dient der Ermittlungstaktik. Die Präventionsarbeit sieht Am nicht als ein eigenständiges polizeiliches Arbeitsfeld, sondern deren Wirkungen wird in den Dienst der Strafverfolgung gestellt. Hier wird eine Orientierung sichtbar, die alle Facetten seines Handelns in den Ermittlungszweck integriert, bzw. dafür dienstbar machen möchte. Das zeigt die starke metaphorische Rahmung der Elaboration mit Begriffen wie „leichteres Spiel“ oder „spielt natürlich uns sehr gut in die Karten“. Die Beschreibung von Am erfolgt auf den Eingangsimpuls der Gruppendiskussion. Der Transkriptauszug beinhaltet eine Konklusion, die durch eine zur Differenzierung anregende Nachfrage eingeleitet wird.

Der zunächst wiedergegebene Diskursausschnitt der Gruppe Hotel (siehe oben Hotel: Junge Menschen erreichen – Normsinn vermitteln, Z. 358–373) lässt das Ziel der konfliktreduzierenden Fernwirkung eines in der Präventionsarbeit erzeugten positiven Polizeibildes für spätere Polizeikontakte auf zwischenmenschlicher Ebene sichtbar werden. In der Sequenz aus der Gruppendiskussion von Bravo (siehe oben Bravo: Eingangspassage, Z. 59–78) zeigt sich darüber hinaus die konkrete Verwendungsabsicht der Kennbeziehung für die polizeiliche Informationsbeschaffung. Neben dem Individualbezug bleiben aber auch die sozialen Systeme, in denen Kinder und Jugendliche aufwachsen, für die Zielperspektive bedeutsam.

Für den Typus pädagogisierte Präventionsarbeit ist eine gewisse Zieldiffusion rekonstruierbar. Mögliche Erziehungsziele und pädagogisches Handeln werden durch die Lebensbedingungen devianzgefährdeter junger Menschen relativiert. Das wirkt auch auf die eigenen Ziele in der Präventionsarbeit mit Kindern und Jugendlichen, wie die Interpretation des folgenden Transkriptauszugs zeigen wird.

Bravo: Eingangspassage, Z. 94–119

figure aj

Diese Sequenz stammt aus einer Argumentation von Ew der Gruppe Bravo, mit der sie sich nach dem Eingangsimpuls erstmals zu Wort meldet und ihre Arbeit beschreibt. Sie befasst sich als Jugendsachbearbeiterin mit schwereren Straftaten von Kindern und Jugendlichen, jenseits von Klein- und Massenkriminalität. Ew kommt dann auf die Möglichkeiten einer nachhaltigen Verhaltensbeeinflussung zu sprechen. Polizeiliche Präventionsmöglichkeiten sollen gegeben sein, wenn das kriminelle Verhalten noch nicht zu stark verfestigt ist. Jedoch zeigen sich Unsicherheiten in Ursache-Wirkungs-Zusammenhängen von Verhaltensänderungen bei Jugendlichen und ihrer kognitiven Erreichbarkeit. Die mangelnde Kenntnis über die Verwertung der eigenen Ermittlungsergebnisse und Berichte zu den Jugendlichen lässt auf einen hohen arbeitsteiligen Prozess und begrenzte Kooperation mit Justiz und Jugendhilfe schließen. Die sozialen Verhältnisse in der Stadt werden mit der Ursache für die Jugendkriminalität verknüpft. Viele Kinder und Jugendliche, mit denen sie es beruflich zu tun hat, hatten nach ihrer Einschätzung nie die „Chance“ ihre deviante Lebensgestaltung zu ändern. Dieser Erwartungshorizont wird vor dem Hintergrund eines Bildes elterlichen Handelns entworfen, das von Versorgung, Zuwendung und Wertevermittlung geprägt ist. Im impliziten Wissen der Gruppe dokumentiert sich eine starke Kausalität zwischen Devianz und individuellen Lebensbedingungen. Für Jugendkriminalität werden primär soziale Gründe gesucht. Den Jugendlichen fehlt also die Möglichkeit, sich konform zu den gesellschaftlichen Regeln zu entwickeln, bzw. entsprechend moralisch zu urteilen. Gleichzeitig zeigt sich, dass den Eltern in der Normerziehung ihrer Kinder eine herausgehobene Bedeutung zugeschrieben wird, die deutlich wirkmächtiger bleibt als pädagogische Bemühungen anderer Akteurinnen und Akteure. Darin drückt sich auch die Begrenztheit des eigenen polizeilichen Handlungsrahmens aus. Am validiert die Argumentation von Ew mit einer differenzierenden Anschlussproposition.

Auch für Am ist die häusliche Sozialisation für die Entwicklung junger Menschen von entscheidender Bedeutung. Er rahmt sein Bild von defizitärem Elternverhalten stark metaphorisch. Nach seiner Wahrnehmung sind Erziehungsberechtigte von straffälligen Kindern und Jugendlichen häufig mit sich selbst und mit der Aufrechterhaltung ihrer physischen Existenz beschäftigt. Der Einfluss schulischer Erziehung auf die Kinder ist dagegen begrenzt. Es wird sichtbar, dass sich Lehrerinnen und Lehrer sowie Erzieherinnen und Erzieher nach seiner Wahrnehmung nicht nur mit der Wissensvermittlung befassen, sondern die Entwicklung junger Menschen fördern und deren soziale Teilhabe in der Gesellschaft insgesamt fördern wollen.

Bei den bisher konstruierten Orientierungstypen zeigen sich jeweils vereinfachende Orientierungsmuster für die Entstehungsbedingungen abweichenden Verhaltens. Während der Typus obrigkeitsstaatliche Präventionsarbeit die Ursachen in der Person sucht und die Normbefolgung in der Mittelpunkt stellt, findet der Typus pädagogisierte Präventionsarbeit Erklärungen in den Sozialisationsbedingungen. Es zeigt sich, dass die Jugendsachbearbeiterinnen und Jugendsachbearbeiter dieses Typus nicht nur Straftaten aufklären, sondern auch Verhaltensdispositionen junger Menschen beeinflussen wollen oder zumindest darüber nachdenken, wie sozialadäquates Verhalten auch durch ihr Handeln bzw. durch die polizeiliche Arbeit insgesamt erreicht werden kann.

Charakteristisch für diesen Typus ist, dass er die Lebenssituation junger Menschen in einer größeren Komplexität wahrnimmt als der Typus obrigkeitsstaatliche Präventionsarbeit. In Diskursen über Entwicklungschancen von Kindern (Berta: Entwicklung von Kindern: Grenzen setzen und fördern, Z.123–215) und Schulstrukturen (Berta: Eingangspassage) wird eine ganzheitliche Erfassung der Lebenssituation und Förderungsmöglichkeiten versucht. Auf der Handlungsebene zeigen sich dagegen Irritationen, die eine diffuse, inkonsistente Zielperspektive sichtbar werden lassen. Das Wissen um diese Komplexität und auch die bereits rekonstruierte Bedeutung des Zugangs zu jungen Menschen führt zur Kooperation mit anderen Akteurinnen und Akteuren, insbesondere in Schulen. Dabei zeigt sich in den Handlungsorientierungen ein defizitorientiertes Bild von Schulwesen und Jugendhilfe (vgl. im Abschnitt 5.3.2.1, Bild von Kindheit und Jugend), welches dazu neigt bei Erziehungsdefiziten zu versagen. Für die einzelne Beamtin, für den einzelnen Beamten kann diese Interpretation der Rahmenbedingungen die eigenen Zielsetzungen in entlastender Weise begrenzen. Wenn das System erzieherischer und sozialer Hilfen nicht funktioniert, kann von den einzelnen Mitarbeitenden in der polizeilichen Präventionsarbeit keine Kompensation erwartet werden. In den Argumentationen von Ew und Am der Gruppe Bravo wird diese Selbst-Entlastung von Erwartungen an Wirksamkeit sichtbar. Das implizite theoretische Ziel, wie Pädagoginnen und Pädagogen einen Betrag zur Normerziehung zu leisten, wird praktisch häufig durch die Sozialisationsbedingungen relativiert, so die Orientierung dieses Typus.

Erwartungen an Wirksamkeit

In der Rekonstruktion der Zielperspektive des Typus pädagogisierte Präventionsarbeit zeigt sich die Orientierung an begrenzten präventiven Handlungsmöglichkeiten, zumindest bei Personen, die besonders intensiv mit abweichendem Verhalten auffallen. Die Beamtinnen und Beamten blicken defizitorientiert auf die Funktionsfähigkeit von Hilfesystemen und Beiträgen von Schule zur Erziehung. Auch die Kooperation von Institutionen zeigt sich defizitär ausgeprägt. Sie streben danach, ihr Handeln im Feld aller Akteurinnen und Akteure der Kinder- und Jugendarbeit abzustecken, ohne dass es zu Überschneidungen kommt. Dabei orientieren sich die Polizistinnen und Polizisten eher an individuell erkannten Kommunikations- und Handlungsnotwendigkeiten als formal definierten polizeilichen Zuständigkeiten und Aufgaben. Anders als beim Typus obrigkeitsstaatliche Präventionsarbeit, bei dem Regeln und Ordnungsvorstellungen fokussiert werden, rücken die Kinder und Jugendlichen ins handlungsleitende Blickfeld dieses Typus. Die Beamtinnen und Beamten selbst wollen junge Menschen auf der Beziehungsebene erreichen und über das Versprechen eines persönlichen Benefits durch Normkonformität Verhaltensänderungen bzw. die Stabilisierung normkonformen Verhaltens fördern.

In der Rekonstruktion von Erwartungen an Wirksamkeit dieses Typus lassen sich Ambivalenzen und Irritationen zeigen, da sowohl verfügbare Methoden, als auch die polizeiliche Rolle der Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten gewünschte Präventionserfolge beschränken. Eben diese Grenzen werden anhand der folgenden Sequenz rekonstruierbar.

Berta: Entwicklung von Kindern: Grenzen setzen und fördern, Z. 52–69

figure ak

Gm der Gruppe Berta unterbricht Bm, der zuvor fallbezogen die Wirkungslosigkeit von Präventionsaktivitäten beschrieben hat (Berta: Entwicklung von Kindern: Grenzen setzen, fördern, Z. 1–51). Er knüpft an die Argumentation von Bm an und beklagt das Fehlen von Zwangsmitteln. Es geht um Maßnahmen oder Methoden, mit denen bei Personen nachhaltig eine Verhaltensänderung auch gegen ihren ursprünglichen Willen erreicht werden kann. Darin zeigt sich der Wunsch nach weiteren Handlungsoptionen, wenn pädagogische Maßnahmen nicht das intendierte Ziel erreichen. Es deutet sich hier die Wirkmächtigkeit des typisch polizeilichen Orientierungsmusters an, Handlungsoptionen von ihrer Durchsetzbarkeit her zu denken, die zumeist auch Zwangsoptionen hat. Das ersehnte Druckmittel soll auch schon bei der Verweigerung von Arbeitsaufträgen im schulischen Kontext wirken und nicht erst bei verbotenen Handlungen, um die sich die Polizei üblicherweise kümmert. Die kollektive Orientierung der Gruppe wird von dem impliziten Wissen getragen, dass sich von Normen abweichendes Verhalten verfestigt, wenn nicht bereits in jungen Jahren interveniert wird. Fehlverhalten zieht sich durch die Schulzeit, steigert und verfestigt sich und endet dann vor dem Jugendrichter. Dieses Entwicklungsszenario wird nicht als zwangsläufig oder linear erwartbar beschrieben. In der Elaboration wird jedoch sichtbar, dass abweichendes Verhalten intensiv mit biografischen Verläufen in Beziehung gesetzt wird. Mit früher Intervention wird ein größerer Erfolg bei der Verhinderung abweichenden Verhaltens verbunden. An das Ende aller möglichen vergeblichen Erziehungsoptionen wird die justizielle Ahndung gesetzt. In der Argumentation zeigt sich, dass mit formalen Strafen keine positiven Wirkungen verknüpft werden, sondern sie eher als Endpunkt aller Erziehungsbemühungen gesehen werden. Die Verhängung von Jugendstrafen scheint kein anzustrebendes Ziel zu sein. Es ist kein Erziehungsmittel, mit dem die Gruppe positive Entwicklungsimpulse verbindet. Weiterhin deutet sich an, dass aufgrund der Dokumentation von Strafen in Registern und der Erklärungsbedürftigkeit in beruflichen Bewerbungsverfahren eine Etikettierung als Straftäterin bzw. Straftäter verbunden ist. Die Gruppe sieht darin eine starke Einschränkung gesellschaftskonformer Entwicklungschancen. Jugendstrafen scheinen als das Ende jeglicher Prävention wahrgenommen zu werden. Die Anmerkung eines nicht identifizierten Sprechers, „dann ist er aber schon vierzehn“ lässt diese Orientierung ebenfalls validierend sichtbar werden. Die Person wünscht sich früher wirkende Erziehungsmaßnahmen. Zusammengefasst zeigt sich der Wunsch nach wirksamen Druckmitteln, mit denen Kinder und Jugendliche unterhalb der Ebene des Jugendstrafrechts erforderlichenfalls zwangsweise zu normkonformen Verhalten bewegt werden können. Entsprechende Handlungsoptionen beansprucht die Gruppe nicht exklusiv für die polizeiliche Präventionsarbeit, sondern hält sie für alle am Erziehungsprozess beteiligten Akteurinnen und Akteure erforderlich.

Regelkonformes Verhalten ermöglicht gesellschaftliche Inklusion, die ihren Ausdruck in schulischen und beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten findet. Dabei kommt es nicht nur auf die Einhaltung formal sanktionsbewehrter Normen, sondern auch auf die Befolgung informeller Regeln an. Entwicklung von Kindern ist immer dann positiv, wenn dadurch eine Enkulturation bewirkt wird. Handlungsorientierungen vom Typus pädagogisierte Präventionsarbeit fokussieren einen Sozialisationsbeitrag. Regelkonformität soll gelernt werden. Dabei werden Rollenkonflikte sichtbar, die einerseits durch inkorporierte traditionelle polizeiliche Handlungsmuster und andererseits durch davon abweichende Handlungspraxen in der Präventionsarbeit entstehen. Die Orientierungen des Typus obrigkeitsstaatliche Präventionsarbeit sind von genuin polizeilichen Orientierungen geprägt. Für den Typus pädagogisierte Präventionsarbeit ließ sich eine aufgabenspezifische Rolle konturieren, die sich durch die Integration pädagogisierter Orientierungen vom Typus obrigkeitsstaatliche Präventionsarbeit und von anderen polizeilichen Aufgaben unterscheidet.

Polizeiliches Handeln, wie es Polizeigesetze vorschreiben, ist immer auf die unmittelbare Veränderung des Handelns von Personen in einer konkreten Situation bezogen und eröffnet die Option der Zwangsanwendung. Orientierungen dieses Typus verkennen die Unverfügbarkeit von Subjekten in pädagogischen Situationen. Einsichten oder bestimmte Verhaltensweisen können nicht hergestellt werden. So wird der Wunsch nach einer Technologie für die Präventionsarbeit sichtbar, mit der den eigenen Erwartungen an Wirksamkeit, aber auch organisationsimmanenten Erfolgsschemata entsprochen wird. Dagegen dokumentiert sich in den Diskursen des Typus obrigkeitsstaatliche Präventionsarbeit die Annahme der Existenz einer pädagogischen Technologie, was in dem praktizierten Belehrungsmodus sowie durch Lernvorstellungen im Sinne des Nürnberger Trichters sichtbar wird. Bildung kann nicht gemacht werden. Lehren ist ungleich Lernen. Während eine Vielzahl polizeilicher Maßnahmen unmittelbar nach ihrer Beendigung konkrete intersubjektiv wahrnehmbare (messbare) Ergebnisse vorweisen, ist das mangels pädagogischer Technologie in der Präventionsarbeit nicht der Fall.

Wie sich bereits bei der Rekonstruktion des Rollen- und Zielbildes gezeigt hat, soll durch die Vermittlung von Verhaltensregeln die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen gefördert und nicht nur Kriminalität verhindert werden. Die Akteurinnen und Akteure setzen sich diskursiv explizit mit Situationen auseinander, in denen Lehrerinnen und Lehrer mit ihren Handlungsoptionen nicht zum Ziel kommen, von Beamtinnen und Beamten erwünschte Lernziele nicht erreicht werden, die Normerziehung defizitär bleibt oder polizeiliche bzw. strafverfolgende Maßnahmen auch nicht zielführend sind. Im empirischen Material dieser Untersuchung dokumentiert sich für Orientierungen dieses Typus, dass juristische Sanktionen kein besonders geeignetes Mittel zur Förderung eines straffreien, gesellschaftskonformen Lebens sind. Für alle an der Erziehung beteiligten Personen besteht u. U. die Notwendigkeit, Druck auszuüben, um Verhalten zu beeinflussen. Da es dieses Erziehungstool nicht gibt, zeigt sich eine erzieherische Dilemmasituation: Das Gute soll werden, es lässt sich aber nicht erzwingen. Wird diese Grenze erreicht, greift der Typus pädagogisierte Präventionsarbeit situativ auf polizeiliche Kommunikations- und Handlungsmuster zurück, die Zwangsausübung standardmäßig als eine Handlungsoption beinhalten (vgl. Abschnitt 2.5). Das wird noch die weitere Rekonstruktion der Erwartungen an Wirksamkeit in Konfliktsituationen zeigen (siehe unten Berta: Uns geht es gut mit unserer Arbeit, Z. 254–299).

Der Durchsetzungsmodus scheint ein Handlungsmuster zur vermeintlichen Überwindung der Grenzen pädagogischen Handelns zu sein. Er stellt eine Art Rückfallebene dar. Damit kann die Bewältigung von Situationen erreicht, aber nicht die Entwicklung junger Menschen gefördert werden. Normative Einsichten und Verhaltensweisen können nicht mit Zwang vermittelt werden. Die Diskurse dieses Typus zeigen, dass sich die Akteurinnen und Akteure in den Antinomien des pädagogischen Handelns und dem Spannungsfeld des polizeilichen Handels in pädagogischen Situationen verstricken. So wird ergebnislos nach Mitteln gesucht, die erfolgssicher eine Einhaltung von Regeln pädagogisch bewirken und gleichzeitig negative Begleiterscheinungen institutioneller Sanktionen vermeiden. Das Wissen um dieses Spannungsfeld wird kollektiv geteilt, aber handlungspraktisch nicht aufgelöst.

Besonderes sichtbar wird der Wechsel zwischen pädagogischen und polizeilichen Handlungsmustern in Konfliktsituationen. In der folgenden Sequenz erzählt Em der Gruppe Berta von einem, für ihn unerwartet verlaufenem Unterrichtsgespräch.

Berta: Uns geht es gut mit unserer Arbeit, Z. 254–299

figure al

In dieser Erzählung berichtet Em von einer schulischen Situation, die er am Tag zuvor erlebt hat. Die kognitiven Fähigkeiten der Schülerinnen und Schüler schätzt er gering ein und will im Gespräch „auf niederstes niedrigstes Niveau runterfahren“. In dieser Adressatenanalyse wird eine ausgeprägte, abwertende Distanz zur Lerngruppe sichtbar.

Offensichtlich erreicht er die Schülerinnen und Schüler nicht. Die Situation scheint Em hinsichtlich seiner pädagogischen Möglichkeiten an Grenzen zu führen („das kann alles nicht wahr sein“). In dieser Überforderungssituation wird Em gebeten, in der Lerngruppe einen bestimmten Fall exhibitionistischer HandlungenFootnote 34 zu thematisieren. Ein Mann hatte sich vor der Schule in Sichtweite von Schülerinnen in einem Auto selbstbefriedigt. Neben dem Problem die Kinder zu erreichen, sieht sich Em vor weitere Herausforderungen gestellt: Es geht in der Unterrichtssituation relativ spontan um Intimität, männliches Sexualverhalten, Straftaten, Opferschutz und den Umgang mit den Betroffenen der Tat innerhalb einer größeren Gruppe. Gleichzeitig ist dem Beamten die bisherige Aufarbeitung der exhibitionistischen Handlung unbekannt. Das Ausmaß des eingetretenen Schadens, die psychischen Beeinträchtigungen der Mädchen, scheint er für begrenzt zu halten. Das drücken seine bagatellisierenden Beschreibungen aus. Die Schülerinnen waren „hellauf begeistert oder auch nicht“. In dieser Situation fragt ihn eine Schülerin, ob man sich in einem PKW mit rundherum getönten Scheiben bei einem längeren Aufenthalt im Stau selbstbefriedigen darf. Sie konstruiert eine Situation, in der sich der Fahrer zwar im öffentlichen Verkehrsraum befindet, aber den Blicken anderer entzogen ist. Die Standzeit im Stau soll wohl eine Situation begründen, in der sexuelle Triebe nicht mehr unterdrückt werden können und aufgrund der Straßenverkehrssituation das Erreichen einer Privatsphäre nicht möglich ist. Em zeigt sich durch diese Provokation überrascht. Die Schülerin kann sich sexuelle Praktiken in einem Kraftfahrzeug im öffentlichen Raum vorstellen. Allein in dieser Imagination sieht Em einen Normbruch. In der legalistischen Antwort, die auf die Konstruktion von Kraftfahrzeugen abstellt, zeigen sich eine inhaltliche Reduktion auf den Umgang mit der implizierten Provokation und die Demonstration von Überlegenheit. In der als Bewältigung der Situation beschriebenen Interaktion besteht für pädagogische Lösungsmöglichkeiten kein Raum mehr. Lernprozesse werden nicht initiiert, vielmehr rückt die Selbstbehauptung in einem Durchsetzungsmodus in den Mittelpunkt. Die belustigten Reaktionen der Gruppe Berta lassen sich als Validierung des Handlungsmusters von Em interpretieren.

Die für den Typus pädagogisierte Präventionsarbeit charakteristische Ambivalenz der Handlungsmuster wurde in der Rekonstruktion dieser Konfliktsituation erneut sichtbar. Zur Bewältigung einer Störung wird auf Machtausübung gesetzt. Die im Vergleich mit dem Typus obrigkeitsstaatliche Präventionsarbeit abgemilderte Asymmetrie im Umgang mit Kindern und Jugendlichen wird situativ durch das Abstützen auf Amtsautorität wieder vergrößert. Es zeigt sich, dass bei Erreichen von Grenzen der individuell verfügbaren pädagogischen Handlungsoptionen in Handlungsmuster gewechselt wird, die professionell unspezifisch sind oder polizeilichen Handlungsmustern entstammen.

Diese Orientierungen zeigen sich nicht nur bei den Präventionsbeamtinnen und Präventionsbeamten, sondern auch bei Jugendsachbearbeiterinnen und Jugendsachbearbeitern. Die wiederkehrend elaborierte polizeiliche Standardsituation ist bei diesem Personenkreis die Interaktion mit Jugendlichen anlässlich von Beschuldigtenvernehmungen in Polizeidienststellen. Dabei handelt es sich um Zwangssituationen und nicht um freiwillige Gesprächstermine. Aufgrund juristischer Vorgaben sind es hochformalisierte Gesprächssituationen. In den präventionsbezogenen Gesprächsanteilen stehen dann nicht die Taten im Mittelpunkt, sondern die interpretierten Folgen für den Jugendlichen. Für die Herstellung einer Arbeitsbeziehung ist jedoch die Akzeptanz und die Befolgung von Ordnungsvorstellungen der Beamtinnen und Beamten konstitutiv. Die Kontrolle von Situationen und Personen entspringt genuin polizeilichen Handlungsmustern. Die Jugendlichen müssen sich in ihrer Kommunikation und in ihrem nichtsprachlichen Verhalten unterordnen. So werden z. B. zur Durchsetzung von Höflichkeits- und Respektvorstellungen einem Jugendlichen gewaltsame Hafterfahrungen in Aussicht gestellt und mittels Drohung eine Disziplinierung in der polizeiliche Situation erreicht und eine erzieherische Fernwirkung erhofft (Bravo: Sich Respekt verschaffen und Jugendliche von Fehlverhalten abschrecken, Z. 15–37). Im Vergleich zur bereits rekonstruierten Präventionsarbeit an Schulen (siehe oben), erfolgt ein Wechsel der Handlungsmuster in genau umgekehrter Reihenfolge; es wird vom polizeilichen in einen pädagogisierten Modus gewechselt. Nach der Herstellung eines Unterordnungsverhältnisses, ist eine konstruktive Arbeitsbeziehung möglich. Kinder und Jugendlichen werden dann als individuelle Persönlichkeiten in ihren spezifischen Lebenswelten wahrgenommen. (Bravo: Eingangspassage, Z. 111 ff., Z. 202 ff.). Aber auch in diesen asymmetrischen Gesprächssituationen im Rahmen polizeilicher Ermittlungen werden pädagogische Bemühungen durch Provokationen unterlaufen. So scheitert der Versuch eines Jugendsachbearbeiters durch die Verdeutlichung schlechter Berufsaussichten aufgrund dauerhaften devianten Verhaltens und schlechter Schulleistungen ein Mädchen zu einer Verhaltensänderung zu bewegen, weil sie als Berufswunsch „Nutte“ angibt (Bravo: Vernehmungsgespräch: Berufswunsch „Nutte“: Z. 1–42). Auch in diese Konfliktsituation wird die Lösung durch den Beamten in der Demonstration kommunikativer Überlegenheit gesucht. Werden die ich meine es ja nur gut-Kommunikationsschemata durchschaut, stehen den Beamtinnen und Beamten keine weiteren Interaktionsmuster zur Verfügung. Werden die von den Bedingungen her einseitig konstruierten Beziehungsangebote abgelehnt, erfolgt ein Wechsel in das Handlungsmuster der Amtsperson. Nicht zuletzt um sich zu behaupten, wird auf die Vergrößerung von Distanz zwischen den Interaktionspartnern gesetzt (Asymmetrie). Es zeigt sich weiterhin, dass die Provokation pädagogisch nicht bearbeitet werden kann, was zu dem Wechsel in ein vertrauteres Handlungsmuster führt. Weiterhin wird sichtbar, dass Beratung oder Erziehung mit einer unbedingten Annahmeerwartung der angebotenen Verhaltensoption verknüpft werden, die jedoch die Ergebnisoffenheit pädagogischen Handelns verkennt. Es werden erneut die für diesen Typus charakteristischen Dilemmata sichtbar, die nicht aufgelöst werden. In ihren Gesprächssituationen mischen sich polizeiliche Handlungsschemata (Vernehmung) und pädagogische Situation (Verhaltensänderung), deren unterschiedliche Ziele sich nur schwer verbinden lassen. Wenn die Jugendlichen nicht so wie erwartet reagieren, ziehen sich die Jugendsachbearbeiterinnen und Jugendsachbearbeiter auf ihre Ermittlungsrolle zurück. Sie müssen den Fall dann nur noch aufklären und keine Verhaltensänderung herbeiführen. Über den Wechsel der Zielstellungen entscheiden sie selbst nach individuellen impliziten Kriterien. Es zeigt sich, dass die Autonomie des Subjekts kein Bestandteil des kollektiv geteilten konjunktiven Wissens dieses Typus ist. Durch die rekonstruierte Wechselhaftigkeit der Modi im Umgang mit Kindern und Jugendlichen werden wenig konsistente Handlungsmuster sichtbar.

Personen, die mit den Interaktionsmöglichkeiten im Sinne dieses Typus nicht erreichbar erscheinen, werden von der Präventionsarbeit exkludiert. Hier zeigt sich ein Kontrast zu Handlungsmustern des Typus obrigkeitsstaatliche Präventionsarbeit, bei dem schon devianzgeneigte Personen per se als Adressaten von Präventionsarbeit exkludiert werden (Delta: Beschreibung von Kinder- und Jugendkriminalität, Z. 10171). Unabhängig von der Funktion der Akteurinnen und Akteure polizeilicher Präventionsarbeit ist für den Typus pädagogisierte Präventionsarbeit eine Orientierung an einer persönlichen Selbstwirksamkeit handlungsleitend. Das zeigt sich einerseits an den Bemühungen, individuelle Arbeitsbeziehungen zu jungen Menschen aufzubauen, und andererseits in Normverdeutlichungen im Modus der Abschreckung. In diesem Wechsel zwischen Nähe und Distanz, bzw. der Interaktion auf Augenhöhe vs. asymmetrischer Kommunikation, wird auch der für diesen Typus charakteristische Wechsel zwischen pädagogischen und genuin polizeilichen Handlungsmustern sichtbar. Auch beim Typus obrigkeitsstaatliche Präventionsarbeit konnte die Durchsetzung von Machtansprüchen rekonstruiert werden. Dort fokussiert sie sich primär auf den Respekt gegenüber der Institution Polizei und den Beamtinnen und Beamten als deren Repräsentanten. Diese Orientierung zeigt sich auch in der gesellschaftlichen Zielperspektive der Präventionsarbeit (vgl. Abschnitt 5.3.1.2). Dagegen wird beim Typus pädagogisierte Präventionsarbeit eine individualisierte Zielperspektive sichtbar. Normkonformität wird mit dem persönlichen Nutzen für Kinder und Jugendliche verbunden. Gesellschaftliche Teilhabe soll ermöglicht und nicht durch Devianz behindert oder gestört werden. In den polizeilichen Facetten der handlungsleitenden Orientierungen deutet sich in der Relevanz von Abschreckung als Präventionsmethode ein minimaler Kontrast zum Typus obrigkeitsstaatliche Präventionsarbeit an. Als maximaler Kontrast wird gleichzeitig, statt eines belehrenden Modus, ein vermittelnder Modus sichtbar, soweit sich das Handeln an pädagogischer Systemlogik orientiert. Unabhängig davon zeigt sich der Wunsch nach Durchsetzungsmöglichkeiten. So suchen die Akteurinnen und Akteure vergeblich nach pädagogischen Druckmitteln, während beim Typus obrigkeitsstaatliche Präventionsarbeit auf die abschreckende Wirkung von Strafe bzw. Strafandrohungen gesetzt wird (Berta: Entwicklung von Kindern: Grenzen setzen und fördern, Z. 52–69; Bravo: Eingangspassage, Z. 83–110).

Ein weiterer maximaler Kontrast zeigt sich in der Abgrenzung von repressivem und präventivem Handeln in der Präventionspraxis. Es wird kommunikativ generalisierend kollektiv für den Arbeitsbereich der Präventionsbeamtinnen und Präventionsbeamten das Wissen geteilt, dass unterschiedliche Ziele im Umgang mit jungen Menschen deutlich zu trennen sind. Jegliche polizeiliche Eingriffsmaßnahme soll nicht unmittelbar mit Handeln in pädagogischen Situationen verbunden werden, um den vermittelnden Modus nicht zu durchbrechen (Hotel: Beziehung zu Kindern und Jugendlichen, Z. 99–111; Berta: Uns geht es gut mit unserer Arbeit, Z. 65–135). Sie streben nach einer Rollenklarheit, da implizites Wissen um Antinomien zwischen polizeilichem und pädagogischem Handeln kollektiv geteilt wird.

Zusammenfassung

In der folgenden inhaltlichen Verdichtung des Typus pädagogisierte Präventionsarbeit werden die charakteristischen Merkmale der Rollenkonstruktion durch die Akteurinnen und Akteure der polizeilichen Präventionsarbeit und die von ihnen angestrebten Modi der Normübernahme zusammengefasst und mit der Basistypik in Beziehung gesetzt, um so die Einordnung dieses Typus im Spannungsfeld zwischen der Gewährleistung staatlicher Ordnung und der Befähigung zur gesellschaftlichen Teilhabe zu ermöglichen.

Die Rollenrekonstruktion zeigt, dass beim Typus pädagogisierte Präventionsarbeit Regelkonformität aus der Perspektive des Individuums gedacht wird. Regeln dienen der Ermöglichung des Zusammenlebens in einem Gemeinwesen und sind kein Selbstzweck und auch nicht zur Absicherung von Herrschaft zu denken. In dieser Perspektivität zeigt sich das normativ leitende Handlungsmuster.

Die Akteurinnen und Akteure, in deren Rollenbild sich Orientierungen dieses Typus dokumentieren, sehen in der Einhaltung von Regeln die Wahrung gesellschaftlicher Teilhabechancen. Handlungsleitend zeigt sich die Orientierung am individuellen Nutzen von angepasstem Verhalten im Sinne einer rational choice, mit der Entwicklungsversprechen verbunden werden. In der Fokussierung auf individuelle Normzwecke deutet sich auch an, dass gesellschaftliche Werte bzw. der Normsinn in den Hintergrund treten. Andererseits dokumentiert sich im empirischen Material ein Menschenbild, bei dem Fehler und Schwächen zu einer Normalbiografie gehören. So lässt sich auch eine Toleranz bezogen auf episodenhafte jugendtypische Kleinkriminalität emergieren, ohne allgemein Devianz zu tolerieren oder zu stigmatisieren.

Im empirischen Material, aus dem sich dieser Typus konstruieren lässt, dokumentiert sich ein positives Bild von Kindheit und Jugend, das in jungen Menschen unabhängig von ihrer sozialen Herkunft entwicklungsfähige und erziehungsbedürftige Personen sieht. Gleichzeitig zeigt sich aber auch, dass durch die sozioökonomischen Rahmenbedingungen des Aufwachsens und die in Familien erbrachte Erziehungsleistung Entwicklungspfade vorgezeichnet werden, die es ggf. mit Hilfesystemen zu beeinflussen gilt. In dieser Orientierung dokumentiert sich weiterhin ein vereinfachender Erklärungsansatz für abweichendes Verhalten, der die Ursachen primär in der Lebenswelt heranwachsender junger Menschen sucht.

Vor dem Hintergrund der defizitären Wahrnehmung von Hilfe- und Bildungssystemen inszenieren sich die Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten dieses Orientierungstyps als Akteurinnen und Akteure, die aus ungünstigen Arbeitsbedingungen das Beste machen, die in einem Umfeld großer Unzulänglichkeiten handeln. Das betrifft sowohl die Möglichkeiten, das Verhalten von Kindern und Jugendlichen zu beeinflussen, als auch die institutionelle Kooperation. Sie suchen individuelle Lösungen und versuchen institutionelle Lücken durch persönliches Engagement auszugleichen. Dabei werden in der Präventionspraxis Grenzen ihrer Handlungsmöglichkeiten erreicht, wobei sich in den Handlungsmustern eine Expertise zeigt, die deutlich über den genuin polizeilichen Handlungsrahmen hinausgeht. Sie sehen sich als Personen, die ihre persönliche Expertise authentisch einbringen und nicht als Überbringer institutioneller Botschaften fungieren. Vom Handeln in diesem Modus, geht eine hohe Selbstwirksamkeitserwartung aus.

Bezogen auf die Wirkmächtigkeit professionsspezifischer Orientierungen ließ sich emergieren, dass Arbeitsbeziehungen angestrebt werden, die eine häufig vorhandene Distanz zwischen Vertretern der Polizei und jugendlichen AdressatenFootnote 35 der Präventionsarbeit reduzieren wollen. Es ließ sich rekonstruieren, dass die Akteurinnen und Akteure selbst als individuelle Persönlichkeiten und nicht als Amtsträger wahrgenommen werden möchten. Dabei wurde sichtbar, dass die angestrebte Vertrautheit, insbesondere im Handlungsfeld der Jugendsachbearbeiterinnen und Jugendsachbearbeiter, zu Rollenkonflikten führen kann. Den Umgang mit jungen Menschen scheinen ganz individuelle, implizite Kriterien zu determinieren, die Wechsel zwischen betreuenden, beratenden und investigativen Handlungsmustern zulassen. In ihrer Kumulation scheinen sie weder polizeilicher, noch pädagogischer Professionalität gerecht zu werden. Andererseits streben die Präventionsbeamtinnen und Präventionsbeamten, deren Orientierungen diesem Typus zugerechnet werden, eine strikte Trennung zwischen präventivem und repressivem Handeln an. Was sich zunächst als ein Streben nach Rollenklarheit interpretieren lässt, zeigt letztlich auch eine Rollendiffusion. In der Intention, die im präventiven Arbeitsbereich hergestellten vertrauensbasierten Arbeitsverhältnisse auch für Informationsbedürfnisse und Kommunikationsziele im genuin polizeilichen Bereich zu nutzen, zeigt sich eine Orientierung an Zweckwechseloptionen für polizeitaktische Zwecke. So wird insgesamt ein ambivalentes Rollenbild dieses Typus sichtbar.

Das emergierte Selbstbild der Akteurinnen und Akteure der pädagogisierten Präventionsarbeit orientiert das Handeln in den Modi der angestrebten Normübernahme. Die Ambivalenz der eigenen Rolle ist auch in der Zielperspektive der Normübernahme wirkmächtig. Durch die Vermittlung von Normwissen sollen bei Kindern und Jugendlichen Kompetenzen zur Normeinhaltung und Gefahrenvermeidung gefördert werden. Es geht um die Initiierung von Lernprozessen, also wissensbasierten Fähigkeiten, mit denen Alltagsanforderungen bewältigt werden können. Bedeutsam sind nicht nur die Vermittlung von Normkenntnissen, sondern insbesondere auch die Beratung und Hilfe zur Verbesserung der sozialen Situation junger Menschen und deren Lebenschancen. In der Rekonstruktion des empirischen Materials zeigte sich, dass in einem Problemlösungsmodus agiert wird, aber keine Bereitschaft zur Verantwortungsübernahme für die Entwicklung junger Menschen intendiert ist. Das wurde in den Elaborationen eines defizitorientierten Bildes von Schulen und Jugendhilfe bei der Wertevermittlung und Förderung junger Menschen in schwierigen Lebensbedingungen sichtbar. Diese systemischen Unzulänglichkeiten werden zur entlastenden Bestimmung eigener Handlungsgrenzen genutzt. Gleichzeitig wird der Umgang mit diesem Setting als besondere, positive eigene Leistung betont. In diesem Zusammenhang zeigt sich auch die Wahrnehmung einer fehlenden präventiven Wirkung des jugendgerichtlichen Sanktionssystems, die sich als Homologie im gesamten empirischen Material dieser Untersuchung finden lässt. Die implizite Distanzierung deutet sich insbesondere in der stigmatisierenden Wirkung justizieller Ahndungen jugendlichen Fehlverhaltens an.

Für die Präventionsarbeit dieses Typus sind auch Selbstwirksamkeitserwartungen handlungsleitend, die mit Authentizität und Entwicklung von Arbeitsbeziehungen verbunden werden. Als Anreiz für die Stabilisierung oder Förderung von Normkonformität junger Menschen dient das Versprechen sozioökonomischer Entwicklungschancen. Regelkonformes Verhalten, also die Einhaltung von Normen und Konventionen, ermöglicht gesellschaftliche Inklusion. Die Praxis der Wechselhaftigkeit von Handlungsmustern drückt sich auch im unerfüllten Wunsch nach einer pädagogischen Technologie aus, mit der intendierte Verhaltensbeeinflussung bewirkt werden kann.

Als Basis der Typologie wurden Spannungsfelder emergiert, die sich zwischen der Gewährleistung staatlicher Ordnung und der Befähigung zur gesellschaftlichen Teilhabe aufspannen. In diesem Koordinatensystem orientieren sich die Akteurinnen und Akteure der polizeilichen Präventionsarbeit. In der Präventionspraxis entstehen unterschiedliche Handlungsanforderungen durch das Zusammentreffen inkorporierter polizeilicher Handlungsmuster und pädagogischer Situationen. In den Diskursen der Akteurinnen und Akteure dieses Typus wurde auf der kommunikativ generalisierenden Ebene sichtbar, dass dieses Spannungsfeld explizit wahrgenommen wird und ein Gestaltungsfeld der eigenen Präventionspraxis ist. Aus den entsprechenden Diskursen der geführten Gruppendiskussionen ließen sich Irritationen und Ambivalenzen in den Handlungsmustern rekonstruieren, die inhärente Spannungsfelder der polizeilichen Präventionsarbeit nicht aufzulösen vermögen.

So ist für den Typus pädagogisierte Präventionsarbeit eine Wechselhaftigkeit zwischen polizeitypischem Durchsetzungsmodus und pädagogischem Vermittlungsmodus charakteristisch. Das Handeln bewegt sich maximal kontrastiv im Spannungsfeld zwischen der Gewährleistung staatlicher Ordnung und der Befähigung zur gesellschaftlichen Teilhabe.

Ein pädagogisches Scheitern wird durch die Begrenzung der Wirkungserwartung an die eigene Präventionsarbeit und durch die Überweisung in den Verantwortungsbereich anderer Akteurinnen und Akteure vermieden.

5.3.3 Subjektorientierte Präventionsarbeit

Mit Subjektorientierung werden Orientierungs- und Handlungsmuster verbunden, die Individuen in ihrer Autonomie im Kontext ihrer jeweiligen Lebenswelt wahrnehmen und von der aktiven Gestaltbarkeit der persönlichen Entwicklung ausgehen. Soziale Verhältnisse und andere Rahmenbedingungen des Lebens beeinflussen Entwicklungsmöglichkeiten, stellen aber keine statischen Barrieren oder unüberwindlichen Grenzen dar. Aus dem empirischen Material dieser Untersuchung lassen sich Orientierungen emergieren, in denen sich eine ausgeprägte Subjektorientierung als handlungsleitend in der polizeilichen Präventionsarbeit mit Kindern und Jugendlichen zeigt. Die Rekonstruktion der Orientierungen erfolgt wiederum entlang der Vergleichsdimensionen Konstruktion der eigenen Rolle und Modi der angestrebten Normübernahme. Der Befund, aus dem sich der Typus subjektorientierte Präventionsarbeit konstruieren lässt, zeigte sich primär in den Handlungsmustern der Gruppen Bravo, Hotel und Romeo.

5.3.3.1 Konstruktion der eigenen Rolle im Modus des Netzwerks

Wie bei den bereits konstruierten Orientierungstypen obrigkeitsstaatliche Präventionsarbeit und pädagogisierte Präventionsarbeit wird sich auch beim Typus subjektorientierte Präventionsarbeit ein spezifisches Selbstbild zeigen, welches für die polizeiliche Arbeit mit Kindern und Jugendlichen handlungsleitend ist. In der vergleichenden Interpretation der Gruppendiskussionen zeigt sich die implizite Konstruktion einer eigenen Rolle der Akteurinnen und Akteure, die sich im Spannungsfeld zwischen der Gewährleistung staatlicher Ordnung und der Befähigung zur gesellschaftlichen Teilhabe verortet.

Mit Hilfe der Rekonstruktion der normativen Disposition, des Bildes von Kindheit und Jugend, des Expertinnen- und Expertenselbstbildes sowie der Wirkmächtigkeit professionsspezifischer Orientierungen von Akteurinnen und Akteuren in der polizeilichen Präventionsarbeit lässt sich das handlungsleitende Selbstbild beschreiben, das sich maximal kontrastiv von anderen Typen unterscheidet und somit konstitutiv für den Typus subjektorientierte Präventionsarbeit ist.

Normative Disposition

Anhand des empirischen Materials des Samples lässt sich die kollektiv geteilte Orientierung emergieren, dass Menschen als individuelle, autonome Persönlichkeiten wahrgenommen werden. Das wiederum impliziert ein Menschenbild, das vom Respekt menschlicher Würde und von der Gewährleistung persönlicher Freiheit geprägt ist. Aus dem empirischen Material heraus konnte für den Typus subjektorientierte Präventionsarbeit die gesellschaftliche Perspektive rekonstruiert werden, mit der auf junge Menschen geblickt wird. Danach funktioniert Zusammenleben in Gemeinschaften nur, wenn sich deren Mitglieder respektieren, verstehen und Regeln für das Zusammenleben einhalten. Jeder Einzelne ist Teil dieser Ordnung. Durch die Einhaltung von Regeln wird der Ordnung entsprochen und sie gleichzeitig aber auch mitgetragen. Es geht also nicht nur um die Einhaltung von Pflichten, sondern um soziale Verantwortungsübernahme, aus der sich dann auch soziale Teilhabechancen ergeben. Diesem Bild von Mensch und System folgend wird sich in der rekonstruktiven Beschreibung des Typus zeigen, dass junge Menschen zu einer wertebasierten Einsicht in Normen und sozialadäquatem Handeln befähigt werden sollen. Es werden sich Orientierungen zeigen, die maximal kontrastiv zum Typus obrigkeitsstaatliche Präventionsarbeit nicht nur darauf ausgerichtet sind eine bestehende Ordnung zu übernehmen, sondern auch die vorgefundene Ordnung weiterzuentwickeln.

Weitgehend losgelöst von genuin polizeilichen Handlungsschemata wird sich bei diesem Typus eine Entwicklungs- und Vermittlungsperspektive in der Präventionspraxis zeigen.

Polizeiliche Jugendsachbearbeitung widmet sich der Aufklärung von Jugenddelinquenz. Dieses kriminalistische Handeln umfasst strafverfolgende und vorbeugende Maßnahmen (vgl. Abschnitt 2.3.3). In den Diskursen von Jugendsachbearbeiterinnen und Jugendsachbearbeitern zeigt sich, neben anderen Orientierungen, auch immer wieder die normative Disposition der Akteurinnen und Akteure.

Dora: Eingangspassage, Z. 34–59

figure am

Der Transkriptausschnitt ist Teil einer Beschreibung der Aufgaben der Gruppe Dora mit der der Diskurs der Gruppe nach dem Einstiegsimpuls beginnt. Nachdem Cm zunächst beschrieben hat, dass sich die Gruppe mit jugendtypischer Kriminalität beschäftigt, wendet er sich in der zitierten Passage mit einer Anschlussproposition und der folgenden Elaboration der Beschreibung von Personengruppen zu, die für ihre Arbeit von Bedeutung sind. Die Elaboration von Cm wird durch Bm mit einer ergänzenden Beschreibung validiert (Dora: Eingangspassage, Z. 124–183).

Wenn Cm von Kindern spricht, so bezieht er sich auf den strafrechtlichen KindheitsbegriffFootnote 36, der Personen umfasst, die das vierzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet haben. Kinder können sich nicht strafbar machen. Dennoch kann es zur Gefahrenabwehr erforderlich sein Kinder anzuhörenFootnote 37, während ältere Personen strafrechtlich vernommen werden. Ein polizeifachlicher zentraler Gesprächsanlass ist immer in der Klärung des Tathergangs und der Ermittlung strafunmündiger Tatverdächtiger zu finden.

Die Gruppe hat es sich zur Aufgabe gemacht, systematisch Kinder, die für die Begehung von Straftaten in Betracht kommen, anzuhören. Dabei steht weniger die Aufklärung von Straftaten im Mittelpunkt, vielmehr scheinen präventive Aspekte handlungsleitend zu sein. Es wird sichtbar, dass es hierbei um eine Besonderheit, einen selbstgewählten Arbeitsschwerpunkt und damit um eine quantitative Erhöhung des eigenen Arbeitsaufkommens geht. Nicht die primäre Aufklärung der Tat, sondern die Ermittlung der Gründe für Devianz und die Lebenssituation der Kinder sind für die Anhörung von Bedeutung. Auf diese Weise zeigt sich, dass die Entwicklung der Person im Mittelpunkt stehen soll. Mit Hilfe der Anhörung werden Informationen über das Kind gesammelt und bewertet. Der Zweck ist die Erstellung einer „Prognose“ über das zukünftige Verhalten eines Kindes. Sie soll die Entscheidung über ggf. erforderliche soziale oder pädagogische Maßnahmen anderer professioneller Akteure unterstützen.

Die Akteurinnen und Akteure inszenieren sich als Teil eines Netzwerks, das sich um delinquente Minderjährige kümmert. Es deutet sich eine multiprofessionelle Kooperation an, deren Ziel ein arbeitsteiliges Handeln im Sinne einer Gesamtverantwortung für die Intervention aufgrund von jugendlicher Delinquenz ist. Es wird sichtbar, dass die Beamtinnen und Beamten über ihre eigenen polizeilichen Handlungsmöglichkeiten hinausdenken. Der junge Mensch steht im Mittelpunkt, nicht die Tat. Es geht nicht primär um gesetzliche polizeiliche Handlungspflichten, sondern um die Beurteilung und Prognose der Entwicklung von Kindern. Die weitere Elaboration von Cm im Anschluss an den o.a. Transkriptauszug lässt erkennen, dass allein schon durch die Involviertheit der Polizei in diesen Situationen eine abschreckende Wirkung intendiert ist. Jedoch zeigt sich, dass der helfende Handlungskreis vom polizeilichen Handeln begrenzt wird. Erziehung, Beratung und Hilfe werden an professionelle, helfende oder erziehende Akteurinnen und Akteure überwiesen, Abschreckung dagegen, als ein Modus, der ein Mindestmaß an subjektiv empfundener Bedrohung beinhalten muss, bleibt eine polizeiliche Handlungsoption. Gleichzeitig erfolgt so implizit eine Trennung zwischen polizeilichem und pädagogischem Handlungsfeld, obwohl der Anlass des Handelns in einer polizeilichen Situation liegt. Liegt ein Straftatverdacht, vor hat die Polizei zu ermitteln. Auch bei den anderen Typen zeigen sich Modi der Abschreckung, allerdings werden die eng mit dem Handeln in pädagogischen Situationen verbunden. Die Akteurinnen und Akteure, bei denen sich Orientierungen im Sinne des Typus obrigkeitsstaatliche Präventionsarbeit zeigen, setzen polizeiliche Amtsautorität zur Normverdeutlichung ein. Beim Typus pädagogisierte Präventionsarbeit, lässt sich in den Orientierungen eine Sehnsucht nach pädagogischen Zwangsmitteln erkennen, mit denen das Einhalten von Normen bewirkt werden kann.

Bezogen auf die normative Disposition des Typus subjektorientierte Präventionsarbeit wird hier die Fokussierung auf das Individuum, losgelöst von genuin polizeilichen Zwecken deutlich. Es besteht kein zwingendes polizeiliches Erfordernis, sich mit der Tatmotivation eines Kindes im Bereich der Kleinkriminalität auseinanderzusetzen und dessen Lebensumstände zu ergründen. Für zielgerichtetes pädagogisches Handeln ist dieses Wissen dagegen von grundlegender Bedeutung. In diesem Erkenntnisinteresse drückt sich ein wertschätzendes Interesse an anderen Menschen aus. Im Streben danach, Kindern zu helfen, ohne einen professionsspezifischen Nutzen zu haben, deuten sich altruistische Einflüsse auf die Handlungsorientierung und ein positives Menschenbild der Beamtinnen und Beamten an. Weiterhin zeigt sich in der Beschreibung der Zusammenarbeit mit anderen Akteuren eine Kooperation auf Augenhöhe mit Jugendhilfe und Justiz, während bei den beiden anderen Orientierungstypen asymmetrische Arbeitsbeziehungen zu anderen professionellen Akteuren der Kinder- und Jugendarbeit sichtbar wurden. Normkenntnis, -akzeptanz und -treue sind von den sozialen Rahmenbedingungen und Entwicklungschancen abhängig. Allerdings ist Regelwissen kein Garant für vollständige und kontinuierliche Normtreue. Auch beim Typus pädagogisierte Präventionsarbeit hat sich implizites Wissen zum Einfluss sozialer Aspekte auf individuelle Entwicklungsbedingungen junger Menschen gezeigt. Allerdings wird der Zusammenhang zwischen guten sozioökonomischen Bedingungen und Regelbefolgung als ein linearer interpretiert. Beim Typus subjektorientierte Präventionsarbeit wird dagegen deutlicher die Differenzierung zwischen Normakzeptanz und Regelkonformität sichtbar, die nicht unbedingt zusammenfallen muss. Durch die Anerkennung nicht-polizeilicher Kompetenzen in der Präventionsarbeit und das Vertrauen in die Wirksamkeit des Handelns anderer Akteurinnen und Akteure wird Toleranz, Anerkennung und Wertschätzung auf institutioneller Ebene sichtbar. Die partnerschaftliche Orientierung im Umgang mit anderen Akteurinnen und Akteuren dokumentiert sich auch in der Verwendung polizeilicher Fähigkeiten zur Sachverhaltsaufklärung, als Grundlage für eine ganzheitliche Fallbeurteilung.

In dem sich konturierenden Bild der normativen Disposition des Typus subjektorientierte Präventionsarbeit deutet sich an, dass Normakzeptanz und das Erkennen des positiven Werts von Regeln für das konfliktfreie Leben in einer sozialen Gemeinschaft von Bedeutung sind. Dabei geht es nicht nur um die Bedeutung von Normen für das Zusammenleben in einem Staat, sondern auch um deren Sinn für Peer Groups, das Schulleben und die Familie. Für diesen Typus steht das Verständnis für Normen und die Einsicht in deren Regelungsgehalt im Mittelpunkt der handlungsleitenden Orientierungen. So geht es z. B. in der Verkehrsunfallprävention primär um die Einschätzung von Gefahren und Selbstdisziplin, also um den Sinn der Regeln und nicht um die Ahndung von Verstößen gegen Verkehrsregeln.

Hotel: Junge Menschen erreichen – Normsinn vermitteln, Z. 27–36

figure an

Der Transkriptausschnitt ist einer längeren Konklusion entnommen, die den Diskurs der Gruppe Hotel nach dem gegebenen Eingangsimpuls abschließt. Am der Gruppe Hotel beschreibt die polizeiliche Arbeit im Handlungsfeld der Verkehrsunfallprävention (vgl. Abschnitt 2.3.1). Thematisiert werden Hauptunfallursachen, wie das Fahren von Kraftfahrzeugen mit überhöhter Geschwindigkeit oder Fahren unter Alkoholeinfluss. Die Themenauswahl zeigt, dass er in seiner Beschreibung implizit auf Jugendliche oder junge Erwachsene als Adressaten der Verkehrssicherheitsarbeit abstellt. Diese Altersgruppe stellt empirisch eine Hauptrisikogruppe im Straßenverkehr dar. Ansatzpunkt für die Präventionsarbeit sind die individuellen Fähigkeiten, sich im Straßenverkehr sicher zu bewegen. Neben einer erhöhten Risikobereitschaft junger Menschen ist die Überschätzung der eigenen Fähigkeiten, ein Fahrzeug im Straßenverkehr sicher zu führen, häufiger Grund für Straßenverkehrsunfälle. Im Diskursauszug deutet sich an, dass es der Gruppe primär darum geht, über Risiken aufzuklären und individuelle Dispositionen zu verändern. Dadurch wird sichtbar, dass die Beeinflussung persönlicher Haltungen und Einstellungen in den Mittelpunkt der Verkehrsunfallprävention rücken. Verhaltensbedingte Erhöhungen der Risiken im Straßenverkehr führen nicht nur zur Erhöhung der Eigengefährdung, sondern insbesondere auch zu Steigerungen der Fremdgefährdung. In dieser Ausrichtung der Verkehrssicherheitsarbeit deutet sich an, dass die Reflexion des eigenen Verhaltens als Teilnehmende im Straßenverkehr in den Mittelpunkt der Präventionsarbeit rückt. So erlangen dann auch die Vermittlung des Sinns von Verkehrsregeln und die damit verbundenen Werte an Bedeutung.

Es geht in diesem Modus der Präventionsarbeit nicht um die Vermittlung von Verbotswissen. Das wird als bekannt vorausgesetzt (Hotel: Junge Menschen erreichen – Normsinn vermitteln, Z. 22). Natürlich sind auch formale Grenzen, also Verbotsnormen im Straßenverkehr von Bedeutung, aber sie dominieren nicht das pädagogische Handeln. Nach der Interpretation der Gruppe lassen sich auch Einsichten vermitteln, die zu einer Normakzeptanz führen. In dieser Orientierung zeigt sich ein maximaler Kontrast zu den Typen obrigkeitsstaatliche Präventionsarbeit und pädagogisierte Präventionsarbeit. Dort dominieren Modi der Belehrung bzw. Vermittlung von Rechtsvorschriften. Die Normakzeptanz soll über Abschreckung erreicht werden.

Hinsichtlich der normativen Orientierung des Typus subjektorientierte Präventionsarbeit wurde sichtbar, dass es in der Präventionsarbeit neben der Formung von Verhalten auch um die Entwicklung von Haltungen und Einstellungen geht. In dem Orientierungsmuster werden daher neben Erziehungszielen auch Bildungsziele handlungsleitend. Charakteristisch für diesen Typus sind der Respekt gegenüber der menschlichen Entschlussfreiheit und Einsichtsfähigkeit. In der Fokussierung auf die Vermittlung von Normsinn dokumentiert sich die Orientierung an der Wahrung von Freiheitsrechten, der Anerkennung individueller Autonomie und die sich daraus ergebende Wertschätzung von Personen. Weiterhin deutet sich an, dass abweichendes Verhalten als normal interpretiert wird und es nicht zwangsläufig einer Sanktionierung bzw. Sanktionsandrohung bedarf, um sozialadäquates Verhalten zu erreichen. Gleichzeitig zeigt sich in diesen Wissensbeständen, dass Menschen und deren Handeln konstitutiv für eine Gemeinschaft sind. Ein deutlicher Kontrast zu dieser Orientierung konnte beim Typus obrigkeitsstaatliche Präventionsarbeit rekonstruiert werden. Dort dokumentiert sich ein Blick auf Bürgerinnen und Bürger als Pflichtenträgerinnen und Pflichtenträger. Es kommt nicht auf die persönliche Haltung zur Norm an, sondern ausschließlich auf deren Einhaltung. Bürger sind im Bild dieser Akteurinnen und Akteure Menschen, die der staatlich gelenkten Gemeinschaft dienen müssen, sich also unter- bzw. einordnen müssen. Dagegen hat sich bei der Rekonstruktion der Orientierungen des Typus pädagogisierte Präventionsarbeit gezeigt, dass Wohlverhalten mit besseren gesellschaftlichen Teilhabechancen als Konformitätsanreiz verknüpft wird. Der gesellschaftliche Wert normkonformen Verhaltens ist beim Typus pädagogisierte Präventionsarbeit von keiner handlungsleitenden Relevanz.

Sensibilität für Personen und Situationen zeigt sich auch im Transfer polizeirelevanter Ereignisse im pädagogischen Handeln.

Romeo: Präventionskonzepte und pädagogische Netzwerkarbeit Z. 152–166

figure ao

Die Elaboration von Am stammt aus einer positiven Beschreibung der Zusammenarbeit von Schulen und der Polizei. Nach seiner Bewertung ist es positiv, wenn in den Schulen feste Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner vorhanden sind, die auch die Möglichkeiten und Grenzen der polizeilichen Präventionsarbeit an Schulen kennen (Romeo: Präventionskonzepte und pädagogische Netzwerkarbeit, Z. 146–148). In dem Transkriptauszug beschreibt Am zur Exemplifizierung seiner Proposition den Umgang mit einem Verkehrsunfall, bei dem ein Kind schwer verletzt wurde. Die Validierung der Elaboration von Am erfolgt durch Cw in einer Anschlussproposition (Romeo: Präventionskonzepte und pädagogische Netzwerkarbeit, Z. 167–169). Die Schule wünscht sich von der Polizei eine Aufarbeitung dieses Ereignisses. Für die Polizei ist das jedoch nicht der richtige Zeitpunkt für die Verkehrsunfallprävention. Die Wahrnehmung des Leids des verunfallten Kindes könnte möglichweise den sachlichen Blick auf die Situation emotional überlagern. Der Unfallhergang ist noch nicht vollständig geklärt. Jegliche polizeiliche Positionierung würde auf der Basis einer unsicheren Informationslage und unter Vernachlässigung der Rechte der Unfallbeteiligten eine Schulöffentlichkeit herstellen und die Gefahr von Vorverurteilungen fördern. Trotz der großen Aufmerksamkeit, die die Aktualität des Falls vermutlich bewirken würde, sind aus der Perspektive der Gruppe Romeo Maßnahmen zur Verkehrsunfallprävention nicht angezeigt. Das Ereignis soll nicht instrumentalisiert werden. Vielmehr empfiehlt sich nach der Auffassung der Gruppe eine generalisierende pädagogische Maßnahme zur Verkehrserziehung zu einem späteren Zeitpunkt unter Berücksichtigung weiterer Gefahrenkonstellationen. Im Umgang mit den Handlungserwartungen zeigt sich eine differenzierte Analyse des Anlasses und der pädagogischen Herausforderungen. Gleichzeitig wird das Bemühen sichtbar, bei den schulischen Akteurinnen und Akteuren ein Verständnis für die eigene Haltung zu erlangen.

Für die Normativität dieses Typus ist eine ausgeprägte Sensibilität für Personen und eine differenzierte Analyse von pädagogischen Situationen charakteristisch. In der Rücksicht auf Opfer, Zeugen, Angehörige und Unfallverursacher wird Empathiefähigkeit und ein würdebetontes Menschenbild sichtbar. Im Verzicht auf die Nutzung eines Aufsehen erregenden emotionalen Ereignisses dokumentieren sich ethische Grenzen der polizeilichen Präventionsarbeit. Es gibt keine Prävention um jeden Preis.

Auf der Basis dieses Befundes lässt sich ein Menschenbild rekonstruieren, das ähnlich wie beim Typus pädagogisierte Präventionsarbeit Fehlbarkeit als normalen Bestandteil menschlichen Lebens ansieht. Es zeigt sich zunächst ein minimaler Kontrast. Für beide Typen ist es charakteristisch, dass sie sich nicht normativ empören und mit kleineren Regelverstößen gelassen umgehen. Beim Typus pädagogisierte Präventionsarbeit sind die reflektierte eigene Biografie (z. B. Bewältigung eigener episodenhafter Jugenddelinquenz) bzw. die Beobachtung der Entwicklung von Kindern und Jugendlichen (z. B. Wahrnehmung tatbegünstigender Lebensumstände in der Lebenswelt von Kindern) handlungsleitend. Dagegen zeigt sich beim Typus subjektorientierte Präventionsarbeit eine explizitere, theoriegeleitetere Wissensbasis als beim Typus pädagogisierte Präventionsarbeit, deren kollektiv geteiltes Wissen primär auf eigenem Erleben basiert.

Bild von Kindheit und Jugend

Das für den Typus subjektorientierte Präventionsarbeit rekonstruierte charakteristische Menschenbild zeigt sich auch in dem Bild von Kindheit und Jugend. Die folgende Sequenz stammt aus der Beschreibung des Projekts einer Schulklasse zum sozialen Lernen. Verhaltensauffällige Kinder sollen in ihrer Kooperations-, Konflikt- und Empathiefähigkeit gestärkt werden. Dieses Schulprojekt wurde durch die polizeiliche Präventionsarbeit begleitet. Die Beschreibung der Kooperation von Polizei und Schule der Gruppe Hotel lässt auch das Bild von Kindheit und Jugend dieses Typus sichtbar werden.

Hotel: Junge Menschen erreichen – Normsinn vermitteln, Z.230–248

figure ap

Die Passage im Transkriptauszug nimmt Bezug auf die Begleitung eines Langzeitprojekts, mit dem die Entwicklung sozialer Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern gefördert wurde. Die relativ ausführliche Beschreibung dieses Projekts von Fm und Am der Gruppe Hotel entfaltet sich nach einem Gesprächsimpuls, in dem die Gruppe aufgefordert wurde, von Erlebnissen mit Kindern und Jugendlichen zu berichten, die ihnen besonders in Erinnerung geblieben sind (Hotel: Junge Menschen erreichen – Normsinn vermitteln, Z. 152–262). Am stand dem pädagogischen Konzept, das auch soziale Trainingselemente enthält, zunächst skeptisch gegenüber. Die wahrnehmbaren Entwicklungen der Schülerinnen und Schüler haben ihn beeindruckt. Am beschreibt das aus der Perspektive der jungen Menschen und bringt zum Ausdruck, dass ihnen die Trainingselemente, die Bestandteil des Konzepts sind, geholfen haben, sich in die Schulgemeinschaft einzubringen und das als persönlichen Erfolg wahrzunehmen. Darin zeigt sich, dass die Entwicklung von Subjekten handlungsleitend ist und nicht wie beim Typus obrigkeitsstaatliche Präventionsarbeit der Nutzen für die gesellschaftliche Ordnung. Gleichzeitig dokumentiert sich in dieser Orientierung eine professionsübergreifende Offenheit für pädagogisches Denken und Handeln. Das Handeln der Gruppe wird in ein pädagogisches Setting zur Entwicklung sozialer Kompetenzen bzw. sozialen Lernens integriert. Als maximaler Kontrast konnte beim Typus obrigkeitsstaatliche Präventionsarbeit die Dominanz einer Repräsentation der Polizei und eine Präsentation von Normvorschriften in Schulen in einem belehrenden Modus rekonstruiert werden. Im Diskurs der Gruppe Hotel deutet sich bereits eine Subjektorientierung der polizeilichen Präventionsarbeit an, die mit Hilfe der Vergleichsdimension Modi der Normübernahme differenzierter rekonstruiert wird (siehe Abschnitt 5.3.2.2).

Durch das Streben, für Kinder und Jugendliche positive Lernerfahrungen zu schaffen, zeigt sich, dass sich die Akteurinnen und Akteure dieses Typus an den individuellen Entwicklungsmöglichkeiten junger Menschen orientieren. Auf der kommunikativ generalisierenden Ebene zeigt sich ein minimaler Kontrast zu den rekonstruierten Handlungsorientierungen der bereits beschriebenen Typen. Alle Beamtinnen und Beamten streben danach, das Verhalten von Kindern und Jugendlichen zu beeinflussen, um ein sozialadäquates Verhalten zu fördern und deren Resilienz zu stärken. Maximale Kontraste zeigen sich jedoch in den Modi, mit denen die Normübernahme erreicht werden soll und in denen sich auch die Bilder von Kindheit und Jugend dokumentieren.

Während sich in den Orientierungen des Typus obrigkeitsstaatliche Präventionsarbeit eine Klassifizierung junger Menschen als potenzielle Täterinnen bzw. Täter oder Opfer zeigt und der Typus pädagogisierte Präventionsarbeit das soziale Umfeld von Kindern und Jugendlichen fokussiert, dokumentiert sich beim Typus subjektorientierte Präventionsarbeit eine Orientierung am Individuum. Das Bild von Kindheit und Jugend ist nicht nur von Entwicklungsbedürftigkeit und Entwicklungsfähigkeit geprägt. Als normative Grundannahmen zeigen sich Handlungsmuster, die Eigenständigkeit, Autonomie und Individualität junger Menschen in der polizeilichen Präventionsarbeit berücksichtigen. Beim Typus obrigkeitsstaatliche Präventionsarbeit zeigt sich dagegen als maximaler Kontrast eine Orientierung an einer Entwicklung junger Menschen durch die determinierende Erziehung Erwachsener. Das Bild von Kindheit und Jugend, das durch diesen Typus repräsentiert wird, ist dagegen davon geprägt, dass sich junge Menschen durch äußere Einflüsse entwickeln und diesen Prozess mit zunehmendem Alter selbst aktiv beeinflussen.

Bei den beiden anderen Orientierungstypen sind Klassifizierungen von Jugendlichen als potenzielle Täter oder Opfer wirkmächtig. Diese professionsspezifische, stereotypisierende Wahrnehmung junger Menschen lässt sich für den Typus subjektorientierte Präventionsarbeit nicht rekonstruieren. Im Vergleich mit dem Typus obrigkeitsstaatliche Präventionsarbeit zeigt sich, bezogen auf die dort sichtbar gewordene Exklusion nicht präventabler Jugendlicher, beim Typus subjektorientierte Präventionsarbeit ein maximaler Kontrast. Personen, die aktuell oder zukünftig eine Devianzneigung erwarten lassen, werden nicht ausgegrenzt, sondern rücken in das Zentrum der Präventionsarbeit.

Selbstbild als Expertinnen und Experten

Wenn sich die Frage nach Expertise stellt, so kann einerseits spezielles Wissen relevant sein und andererseits besondere Handlungskompetenzen. Die Relevanz der Rolle als Expertinnen und Experten für die rekonstruktive Analyse der handlungsleitenden Orientierungen von Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten in der Präventionsarbeit zeigte sich im empirischen Material dieser Untersuchung selbst. In unterschiedlichen Ausprägungen dokumentiert sich implizites Wissen, das aus der Perspektive der Beamtinnen und Beamten die Besonderheit und Unverwechselbarkeit ihrer Rolle ausmacht. Akteurinnen und Akteure, die sich im Sinne des Typus obrigkeitsstaatliche Präventionsarbeit orientieren, inszenieren sich als Respektspersonen, die exklusiv das Gewaltmonopol des Staates im Bereich der inneren Sicherheit repräsentieren. Dagegen wurde bei Orientierungen vom Typus pädagogisierte Präventionsarbeit eine gewisse Ambivalenz sichtbar. Der Zugriff auf polizeiliches Erfahrungswissen stößt dort an seine Grenzen, wo pädagogisches Handeln für die Expertise pädagogischer Professionalität keinen Raum lässt (z. B. keine Anwendungsmöglichkeiten von Zwangsmitteln bestehen).

Die folgende Rekonstruktion wird für den Typus subjektorientierte Präventionsarbeit die Relevanz einer spezifischen Feldkenntnis zeigen.

Hotel, Außerschulische Präventionsarbeit, Z. 63–92

figure aq

Diese Sequenz ist Teil eines Diskurses, der sich nach einem Gesprächsimpuls zu außerschulischen Erfahrungen mit Kindern und Jugendlichen entfaltet. Aufeinander folgend werden drei unterschiedliche Situationen beschrieben, in denen über Kontakte mit Kindern und Jugendlichen in der Präventionsarbeit außerhalb der Schule berichtet wird. In drei aufeinander folgenden Erzählungen bzw. Beschreibungen zeigt sich u. a. ein Verständnis für die Bedürfnisse und das Verhalten von jungen Menschen. Die zitierte Sequenz schließt das Thema ab. Ihr kommt in der Diskursorganisation eine validierende Funktion zu.

Am beschreibt in dieser Sequenz die polizeiliche Arbeit aus Anlass von Feierlichkeiten zum Ende von Schuljahren. Die Schülerinnen und Schüler treffen sich jährlich an einem Flussufer und feiern. Wenn größere Menschengruppen gemeinsam feiern, kommt es zu veranstaltungstypischen Gefahrensituationen und Regelverstößen. Mit anderen Akteuren hat die Polizei ein Sicherheitskonzept entwickelt, das Gefahrensituationen verhindern soll und zu dem auch die Einhaltung von Jugendschutzvorschriften gehört. Dieses Präventionskonzept beinhaltet auch die polizeiliche Präsenz. In der Beschreibung deutet sich an, dass die polizeilichen Aktivitäten zu Beginn nicht unumstritten waren. Zu der gewählten polizeilichen Strategie gehört offensichtlich auch ein Verzicht auf die Verfolgung kleinerer Ordnungsverstöße. So wird dann z. B. auch nicht nach minderjährigen Rauchern gesucht, um den Nikotinkonsum zu unterbinden („also das interessiert uns jetzt eigentlich nicht so“). Es geht vielmehr darum, den friedlichen Gesamtverlauf der Feier im Blick zu haben. Nach der Selbstwahrnehmung der Gruppe scheinen die defensiven Aktivitäten der Polizei zwischenzeitlich akzeptiert zu sein. Bei Konzerten wird die Aufrechterhaltung der Ordnung zunächst privaten Dienstleistern überlassen. Die zurückhaltende polizeiliche Präsenz und das damit verbundene Abschreckungspotenzial reichen, um die Lage zu befrieden. So bewerten die polizeilichen Akteurinnen und Akteure ihre eigene Einsatzstrategie. In der wiederholten Erwähnung der Akzeptanz polizeilicher Präsenz bei Veranstaltungen durch die Jugendlichen und andere relevante Akteurinnen und Akteure dokumentiert sich das Streben nach Zustimmung für das eigene Handeln. Gleichzeitig zeigt sich darin der Wunsch nachzuweisen, dass vorbeugende Maßnahmen ganz konkret zur Bewältigung polizeilicher Gefahrensituationen geeignet sind.

Alle Gruppen des Samples teilen die Orientierung, dass sie über eine spezifische Expertise für die Präventionsarbeit aus der genuin polizeilichen Handlungspraxis verfügen, die in dieser Weise bei keiner anderen Akteurin und bei keinem anderen Akteur vorhanden ist. Anhand des Materials dieser Untersuchung kann rekonstruiert werden, dass sie sich in spezifischer Weise als Expertinnen und Experten für die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen sehen. Sie haben Einblicke in die Lebenswelt junger Menschen. Die Polizei ist in der Lage rund um die Uhr an Orten, an denen sich junge Menschen aufhalten, präsent zu sein. Sie nimmt dort junge Menschen wahr, ist häufig als erste Institution mit Normverstößen von Jugendlichen konfrontiert und verfügt so über exklusives empirisches Wissen. Diese strukturell gemeinsame Feldkenntnis führt jedoch zu maximal kontrastiven Handlungsmustern. Für die Orientierungen des Typus obrigkeitsstaatliche Präventionsarbeit sind angewandte Strafrechtskenntnisse von Bedeutung. Der Typus pädagogisierte Präventionsarbeit orientiert sich an seiner sozialen Feldkenntnis und individuellen, polizeilichen Zugangsmöglichkeiten zu jungen Menschen. Dagegen ist für den Typus subjektorientierte Präventionsarbeit polizeiliches Erfahrungswissen für die Entwicklung ganzheitlicher Lösungsansätze von Bedeutung, bei dem das polizeiliche Handeln nicht dominant sein muss, um polizeiliche Präventionsziele zu erreichen. Anders ausgedrückt: Für die polizeiliche Präventionsarbeit ist nicht primär die genuin polizeiliche Rolle relevant. Bedeutsam sind vielmehr das polizeilichen Erfahrungswissen und deren Deutungen, insbesondere im Zusammenhang mit problembeladenen Situationen.

Wirkmächtigkeit professionsspezifischer Orientierungen

In der bisherigen Konstruktion dieses Typus deutete sich bereits ein Selbstbild an, das sich klar in einem polizeilichen Handlungsrahmen verortet und aus dieser Systemlogik resultierendes Erfahrungswissen transferiert. Dieser Spur folgend, soll mit den nächsten Sequenzen die spezifische Wirkmächtigkeit professionsspezifischer Orientierungen emergiert werden.

Hotel: Junge Menschen erreichen – Normsinn vermitteln, Z. 78–88

figure ar

Dieser Transkriptausschnitt stammt aus einer gut neunminütigen Beschreibung der Präventionsarbeit an Schulen von Am der Gruppe Hotel. Zuvor wurden unterschiedliche Beispiele der Präventionsarbeit an Schulen, der Zusammenarbeit mit anderen Akteurinnen und Akteuren sowie des Umgangs mit jungen Menschen beschrieben. In dieser Sequenz wird auf der kommunikativ generalisierenden Ebene der eigene Beitrag zur Präventionsarbeit durch eine Negativabgrenzung zu anderen Akteurinnen und Akteuren thematisiert. Die Polizistinnen und Polizisten wollen „nicht versuchen irgendwelche verkappten Pädagogen zu sein“, so die Proposition von Am. Da ihre Präventionsarbeit kontinuierlich vom Handeln in pädagogischen Zusammenhängen geprägt ist, kann nicht die Handlungssituation an sich gemeint sein. Vielmehr wird hier die Abgrenzung der eigenen von der pädagogischen Professionalität sichtbar, ohne die Bedeutsamkeit unterschiedlicher Expertisen zu werten. Vielmehr beschreibt Am die Zusammenarbeit mit anderen Akteurinnen und Akteuren als eine Kooperation unterschiedlicher Partner auf Augenhöhe. Dieser Arbeitsform, die ohne Überhöhung oder Abwertung der Diversität einzelner Akteurinnen und Akteure auskommt, wird ein besonderer Wert beigemessen. Wenn qualitativ hochwertige Präventionsarbeit durch die Nutzung unterschiedlicher Wissensbestände und Kompetenzen entsteht, wird auch dem eigenen Erfahrungsschatz eine Exklusivität zuteil und zwar ein unverzichtbarer für die Präventionsarbeit. Gleichzeitig wird eine aktive Rolle beansprucht. Die Formulierung „dass wir das eben im Verbund machen also sozusagen mit anderen“ drückt eine initiative, gestaltende Rolle bei der Vermittlung von Werten und Normen aus. So wird sichtbar, dass die Beamtinnen und Beamten Vermittlungsnotwendigkeiten aus der polizeilichen Praxis heraus erkennen, diese einbringen wollen, aber nicht per se methodische und didaktische Vermittlungskompetenzen für sich beanspruchen. Das heißt nicht, dass sie in der Präventionspraxis nicht selbst pädagogisch handeln, sondern sich vielmehr idealerweise in der Rolle der Mitwirkenden sehen. Mit Blick auf die noch zu rekonstruierenden Modi der Normübernahme deutet sich schon hier die auf einem interdisziplinären Ansatz beruhende Erwartungen an Wirksamkeit von Präventionsarbeit an (siehe Abschnitt 5.3.3.2). Am schließt selbst den Gesamtdiskurs, der aufgrund des Eingangsimpulses entstanden ist, mit einer Konklusion im Modus der validierenden Bewertung des bisher Gesagten ab. Er bringt in den Zeilen 149 bis 151 (Hotel: Junge Menschen erreichen – Normsinn vermitteln) zum Ausdruck, dass die polizeilichen Akteurinnen und Akteure in der Präventionsarbeit in ihrer professionsspezifischen Rolle bleiben sollen, weil das authentisch ist.

Bei diesem Typus scheint eine Differenzierung von Verhaltensbeeinflussung charakteristisch zu sein. Die Beamtinnen und Beamten sehen sich aufgrund ihrer Feldkenntnisse als Expertinnen und Experten für die Wirkung von Devianz und die Beeinflussung des Verhaltens anderer Personen. Es zeigt sich aber eine Differenzierung zwischen pädagogischen und polizeilichen Handlungsmustern. In einem minimalen Kontrast zu den anderen konstruierten Orientierungstypen zeigt sich implizites Wissen hinsichtlich der begrenzten Anwendbarkeit genuin polizeilicher Handlungsmuster in pädagogischen Situationen. Ein maximaler Kontrast dokumentiert sich jedoch in der Suspendierung dieser Handlungsmuster im Vergleich mit dem Typus obrigkeitsstaatliche Präventionsarbeit, der auf Modi der Abschreckung und Belehrung zurückgreift. Maximal kontrastive Orientierungen werden auch im Vergleich mit dem Typus pädagogisierte Präventionsarbeit sichtbar, bei dem das Wissen um die Grenzen genuin polizeilicher Handlungsmuster in der Präventionsarbeit tendenziell zu einer Rollendiffusion führt. Ein erster, oberflächlicher Zugriff auf das empirische Material könnte zu der Interpretation führen, dass die Wirkmächtigkeit polizeispezifischer Orientierungsmuster weniger stark ausgeprägt ist als bei den anderen konstruierten Orientierungstypen dieser Untersuchung. Aber die spezifische Wirkmächtigkeit professionsspezifischer Orientierungen zeigt sich in Funktionalisierung polizeilicher Wissensbestände für die pädagogische Arbeit und nicht in der Übertragung polizeilicher Handlungsmuster auf das Handeln in pädagogischen Situationen.

Wertschätzung gegenüber anderen Akteurinnen und Akteuren wird auch bei der Gruppe Romeo sichtbar. Während für die bisherige Rekonstruktion der Wirkmächtigkeit professionsspezifischer Orientierungen die Art der Kooperation mit anderen Personen von Bedeutung war, rückt nunmehr die Relevanz der Zusammenarbeitsintensität in den rekonstruktiven Fokus.

Romeo: Zusammenarbeit mit anderen Akteuren, Zeile 31–52

figure as

Diese Sequenz stammt aus dem exmanenten Fragenteil nach rund einer Stunde Gesprächsdauer. In dem vorangegangenen Gesprächsimpuls wurden Narrationen zum Handeln anderer Akteure in der Präventionsarbeit angeregt. Cw der Gruppe Romeo beginnt daraufhin die Bedeutung der Schulsozialarbeit und die Zusammenarbeit mit Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern zu beschreiben. Der Transkriptauszug umfasst den Schlussteil dieser Elaboration. Im Gegensatz zur Gruppe Romeo ist Schulsozialarbeit in anderen Diskursen des Samples kaum ein Thema. Cw beschreibt zunächst die Arbeitsbeziehungen zu Schulsozialarbeiterinnen und Schulsozialarbeitern. Wenn es um „Problemfälle“ geht, also Schülerinnen und Schüler, die im weitesten Sinne polizeirelevantes Verhalten zeigen, sind Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter die primären schulischen Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner. Zu diesen Partnern haben sich beständige, positive Arbeitsbeziehungen entwickelt. In der Elaboration von Cw werden Akzeptanz und Wertschätzung sichtbar, die sich in der Beschreibung des Lernens von der Arbeit der Schulsozialarbeiterinnen und Schulsozialarbeitern ausdrückt. Gleichzeitig zeigt sich, dass pädagogisches Handeln eben nicht zu genuin polizeilichen Handlungsmustern gehört und zumindest diese Gruppe ihre eigene Qualifikation für die Präventionsarbeit mit Kindern und Jugendlichen nicht als ausreichend empfindet. Es deutet sich auch an, dass die Lerngelegenheiten, die sich aus der Zusammenarbeit ergeben, nicht zur Übernahme von Handlungsfeldern der Sozialen Arbeit dienen. Vielmehr wird darin eine Bereicherung der eigenen Handlungsmuster gesehen. Es zeigt sich also erneut eine Orientierung an der Begrenztheit präventiv-polizeilicher Möglichkeiten zur Normvermittlung und das Streben nach partizipativer Kooperation in der Präventionsarbeit.

Mit Blick auf die Konstruktion der Rolle des Typus subjektorientierte Präventionsarbeit zeigt sich erneut die Funktionalisierung polizeilicher Wissensbestände für die pädagogische Arbeit. Zusätzlich wurde eine Anerkennung und Übernahmebereitschaft professionsfremder Handlungsmuster sichtbar, sofern sie vor dem Hintergrund des eigenen Erfahrungshorizonts für die Entwicklung des eigenen Handlungsrepertoires als nützlich empfunden werden. Dagegen deutet sich bei den beiden anderen Orientierungstypen der polizeilichen Präventionsarbeit eine Überhöhung der Bedeutung bzw. Wirksamkeit der eigenen Handlungsmuster für die Normerziehung von Kindern und Jugendlichen an. Die polizeiliche Verankerung der eigenen Handlungsorientierung bleibt auch beim Typus subjektorientierte Präventionsarbeit erhalten; sie gibt aber anderen Orientierungsmustern gleichberechtigt Raum. In dieser Perspektivität liegt das Charakteristikum der Wirkmächtigkeit der professionsspezifischen Orientierung dieses Typus.

5.3.3.2 Modi der angestrebten Normübernahme: Entwicklung und Vermittlung

Die Rekonstruktion der Rolle der polizeilichen Akteurinnen und Akteure (vgl. Abschnitt 5.3.3.1) bildet den Orientierungsrahmen, aus dem sich die Handlungsmuster der Präventionsarbeit dieses Typus enaktieren lassen. Wie bei allen Orientierungstypen sind die normative Disposition der Beamtinnen und Beamten, deren Bild von Kindheit und Jugend, das Selbstbild als Expertinnen und Experten sowie die Wirkmächtigkeit der polizeilichen Professionalität in pädagogischen Situationen handlungsleitend. Durch die Rekonstruktion des empirischen Materials lässt sich zeigen, dass auch für den Typus subjektorientierte Präventionsarbeit das Rollenbild für die Präventionspraxis konstitutiv ist.

Die Klarheit in der eigenen Rolle zeichnet sich durch eine Verankerung in der polizeilichen Professionalität und einem Transfer der sich daraus ergebenden praxeologischen Wissensbestände auf pädagogisches Handeln aus. Das wurde in der Ausrichtung auf eine Mitwirkung in pädagogischen Settings sichtbar, die keine dauerhafte Übernahme der Verantwortung für Lern- und Bildungsprozesse anstrebt.

Die Modi der Normübernahme werden unter Verwendung der Vergleichskriterien Zielperspektive der Normübernahme und Erwartungen an Wirksamkeit der polizeilichen Akteurinnen und Akteure rekonstruiert. Auf der Zielebene werden sich in der Konstruktion des Typus subjektorientierte Präventionsarbeit Handlungsmuster zeigen, die sich primär auf Lernerfolge und die Förderung sozialer Kompetenzen ausrichten und Normkonformität dabei mitgängig erreichen wollen. Wie bei den Orientierungstypen obrigkeitsstaatliche Präventionsarbeit und pädagogisierte Präventionsarbeit wird sich bei diesem Typus eine ausgeprägte Erwartung an Wirksamkeit emergieren lassen. Charakteristisch wird jedoch sein, dass die Wirkungserwartung stark mit pädagogischen Orientierungsmustern verbunden wird.

Zielperspektive der Normübernahme

In homologer Weise zeigt sich im empirischen Material dieser Untersuchung, dass Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte in ihrer Präventionsarbeit das Verhalten junger Menschen beeinflussen. Den Zielrichtungen nach geht es entweder um die Reduzierung von Fehlverhalten oder um Opferprävention. Bei dem Typus obrigkeitsstaatliche Präventionsarbeit wurde eine Orientierung an Modi der direkten WertevermittlungFootnote 38 besonders deutlich sichtbar. Gebots- oder Verbotsnormen werden präsentiert und mittels Erläuterung formaler Strafandrohung Abschreckungsversuche unternommen, so lässt sich grob das Handlungsschema skizzieren. Dagegen werden in der folgenden Rekonstruktion von Orientierungsmustern des Typus subjektorientierte Präventionsarbeit Modi indirekter Wertevermittlung sichtbar. Durch die Schaffung bestimmter pädagogischer Arrangements soll implizit gesellschaftskonforme Normativität gefördert werden.

Hotel: Außerschulische Präventionsarbeit, Z. 3–32

figure at

Diese Beschreibung einer außerschulischer Präventionserfahrung von Cm der Gruppe Hotel erfolgt nach einen Gesprächsimpuls, der zu eben solchen Narrationen anregen sollte, und einer zehnsekundigen Pause. Cm beschreibt eine von der Polizei organisierte pädagogische Maßnahme, bei der sportliche Aktivitäten im Mittelpunkt stehen. Die Ausrichtung entspricht Zielen, die üblicherweise mit freizeitpädagogischen Maßnahmen verbunden werden, wie die Förderung von Sozialorientierung, Gemeinschaftserfahrungen und Engagement. Das Angebot wird von Kindern und Jugendlichen in der Altersspanne von 12 bis 15 Jahren angenommen. Das ursprünglich intendierte Trainingskonzept geht jedoch nicht auf. Ein Teil der Kinder und Jugendlichen kann besser skateboarden als der Trainer von der Polizei. Daraus ergibt sich die Gefahr einer mangelnden Attraktivität des Angebots und der Reiz des Abwanderns an einen Jugendtreffpunkt, ohne organisiertes Freizeitangebot. In der „##Gartenstraße##“ treffen sich, nach der Interpretation von Cm, junge Menschen, die zu Gewalt neigen. In dieser Situation überträgt Cm den Skateboard-Experten Verantwortung, indem er sie in die Übungsleitung einbezieht. Er bindet sie auf diese Weise an die eigene Maßnahme. Bei diesem Peer-Teaching überträgt Cm ihnen gleichzeitig Verantwortung und orientiert sich damit an der Stärkung der Kompetenzförderung. Auf diese Weise möchte er die Entwicklung sozialer Kompetenzen fördern und Delinquenzgelegenheiten reduzieren. In dieser Beschreibung dokumentieren sich pädagogische Entwicklungsziele und die Förderung sozialadäquaten Verhaltens. Dahinter verbirgt sich aber auch der implizite Erwartungshorizont über soziales und kommunikatives Lernen mittelbar Kriminalität zu reduzieren. Es zeigt sich auch eine Rolle, die sich weit von genuin polizeilichen Handlungsmodi entfernt. Der Polizist wird hier als Trainer aktiv, geht in dieser Rolle kooperativ mit den jungen Menschen um und drängt den polizeilichen Habitus zurück. Der Beschreibung dieser freizeitpädagogischen Aktivität folgen weitere Narrationen über Erfahrungen aus der außerschulischen Präventionsarbeit, in denen sich ähnliche Orientierungen dokumentieren (Hotel: Außerschulische Präventionsarbeit, Z. 32–92). Die Validierung des propositionalen Gehalts dieser Sequenz ist in den unmittelbar folgenden Narrationen eingelagert.

Für den Typus subjektorientierte Präventionsarbeit wurde eine Orientierung an der Vermittlung des Normsinns sichtbar. Pädagogisches Handeln wird darauf ausgerichtet, Selbstbestimmtheit, Entscheidungsfähigkeit, die Entwicklung sozialer Tugenden und Verhaltensweisen zu stärken. (In dem o.a. Transkriptauszug war die Stärkung des Selbstwertgefühls durch die Anerkennung sportlicher Fähigkeiten und Übernahme von Verantwortung von Bedeutung.) Durch das Einüben allgemeiner Regeln des Miteinanders, wie z. B. der friedlichen Klärung von Konflikten, wird ein Bewusstsein für Recht und Unrecht entwickelt. So soll die Motivation gefördert werden, Regeln einzuhalten und einen Gerechtigkeitssinn zu entwickeln. Junge Menschen sollen durch soziales Lernen vom Normsinn überzeugt werden. Dadurch soll auch die Bereitschaft gefördert werden, selbst formale Regeln einzuhalten. Für den Typus obrigkeitsstaatliche Präventionsarbeit ist hingegen im maximalen Kontrast die Motivation für die Normbefolgung irrelevant. Die Akteurinnen und Akteure, die dem Typus pädagogisierte Präventionsarbeit zugeordnet werden, locken mit sozialen Teilhabechancen als Konformitätsanreiz. Weiterhin streben sie die Nutzung pädagogischer Arbeitsbeziehungen für polizeiliche Zwecke an. Dagegen strebt der Typus subjektorientierte Präventionsarbeit danach, unter Wahrung individueller Autonomie, Normativität (Einstellungen, Werthaltungen) zu verändern und Reflexivität zu fördern. Zielbezogen genügt den anderen beiden Orientierungstypen eine unreflektierte Normbefolgung.

Die Präventionsarbeit dieses Typus beschränkt sich aber nicht nur auf die Vermittlung von Werten und Normen, sondern umfasst auch Verhaltenstrainings zur Bewältigung von Gefahrensituationen. In der folgenden Erzählung geht es um den Schutz vor sexuell motivierten Übergriffen, die typspezifische Orientierungsmuster sichtbar werden lässt.

Hotel: Kritische Reflexion der eigenen Arbeit, Z. 36–72

figure au

Die Erzählung von Bw der Gruppe Hotel über Wirkungen einer Präventionsveranstaltung zur Opferprävention stammt aus einem Diskursabschnitt, in dem es explizit um Schwierigkeiten ging, die Adressatinnen und Adressaten der Präventionsarbeit inhaltlich und persönlich zu erreichen. So berichtet Bw von persönlichen Herausforderungen im Umgang mit Jugendlichen in der Pubertät und von Eltern, die in konfliktbeladenen Situationen Probleme im Umgang mit ihren Kindern haben. Bereits aus ihren allgemeinpolizeilichen Erfahrungen nimmt sie wahr, dass Eltern versuchen, erzieherische Herausforderungen auch an die Polizei zu delegieren. So wird dann auch die Proposition formuliert, mehr in die Elternarbeit zu investieren. In diese diskursive Rahmung fügt sich die Erzählung über die Erfahrungen mit einem Selbstbehauptungskurs für Mädchen ein. Bw berichtet über die erfolgreiche Abwehr eines sexuellen Übergriffs einer Schülerin. Das Mädchen wendet kommunikativ die unauffällige Handlung eines Mannes in einem Bus ab, indem sie eine Öffentlichkeit der Situation herstellt und so von anderen Reisenden unterstützt wird. Der Übergriff kann so unterbunden und der Täter bis zum Eintreffen der Polizei festgehalten werden. Bw freut sich über die Reaktion des Mädchens und interpretiert das als einen Erfolg ihrer Präventionsarbeit. Von der Lehrerin gibt es dazu eine Rückmeldung. Sie erzählt Bw von diesem Ereignis. Offensichtlich muss es in der Schule auch zu einer Thematisierung dieses Übergriffs gekommen sein. Auch dieses Feedback ist für Bw ein Ausdruck ihrer erfolgreichen Arbeit. In dieser Erzählung wird sichtbar, dass junge Menschen zum Handeln befähigt werden sollen. Urteilsfähigkeit, Selbstbestimmtheit und Autonomie sollen sich auch im Handeln ausdrücken können. Das Mädchen überwindet in dieser Situation die Anonymität, altersmäßige Überlegenheit des Mannes sowie mögliche Schamgefühle und handelt der Beschreibung nach souverän. Gradmesser des Erfolgs scheint die Förderung der Resilienz einer einzelnen Person zu sein. Es wird auf den individuellen Lernerfolg geschaut. In den Diskursen anderer Gruppen wird eher eine defizitorientierte Perspektive auf die Lernbereitschaft junger Menschen sichtbar. Hier scheint der qualitative und nicht der quantitative Lernerfolg von Bedeutung. Darin drückt sich auch der Respekt vor der Autonomie der Schülerinnen und Schüler aus. In der dem Transkriptauszug vorangegangenen Elaboration wurde die Rolle erwachsener Bezugspersonen in der Präventionsarbeit mit Kindern und Jugendlichen beschrieben. Cw vergleicht das Verhalten des Mädchens mit den Kompetenzen von Erwachsenen zur Konfliktbeseitigung. Cw bringt zum Ausdruck, dass Erwachsene und auch sie selbst an ihre Grenzen stoßen. Von Kindern wird aber in komplexen Situationen ein problemlösendes Verhalten erwartet, ohne den Entwicklungsstand zu berücksichtigen. In dieser Argumentation dokumentiert sich eine Perspektive, die Verhaltenserwartungen mit Lebensalter verknüpft. Im Diskus schwingt auch implizit die Frage mit, ob die Polizei in ihrer Kinder- und Jugendarbeit auch relevante Erwachsene ausreichend einbezieht. Hier deutet sich eine Differenzierung von Am an, die dann aber doch zu einer Validierung des Sinngehalts der Erzählung und Argumentation führt.

Im Diskurs der Gruppe Hotel dokumentiert sich erneut die für diesen Typus charakteristische Orientierung am Subjekt. Über die Vermittlung des Normsinns hinaus ist die Zielperspektive der polizeilichen Präventionsarbeit auf die Stärkung der Urteilskraft und sozialadäquater Handlungsmöglichkeiten, auch in Opfersituationen, ausgerichtet. Es lässt sich rekonstruieren, dass die Zielperspektive auf die individuelle Entwicklung von Persönlichkeiten ausgerichtet ist. Es steht nicht, wie bei dem Typus obrigkeitsstaatliche Präventionsarbeit, die Kenntnis einzelner Verbotsnormen im Mittelpunkt, vielmehr zeigt sich eine Fokussierung auf Handeln und Urteilsfähigkeit in Gefahrensituationen.

Entsprechende Orientierungsmuster zeigen sich auch im Handlungsfeld der Jugendsachbearbeiterinnen und Jugendsachbearbeiter. Die Subjektorientierung lässt sich dort mit Hilfe von Beschreibungen und Erzählungen über den Umgang mit Jugenddelinquenz emergieren.

Dora: Extreme Belastung eines Kindes, Z. 1–51

figure av

Die dieser Sequenz vorausgegangen Elaborationen enthielten Argumentationen und Beschreibungen zur Herstellung von Kontakten zu Eltern von delinquenten Jugendlichen. Die Gruppe misst Elternkontakten bei der Intervention gegen Jugenddelinquenz eine entscheidende Bedeutung bei. Der propositionale Gehalt dieses Diskursabschnitts wird durch die im Transkriptausschnitt enthaltene Erzählung von Bm validiert. Der Erzählende rahmt seine Elaboration als Darstellung eines besonderen Einzelfalls. Bm war mit den Ermittlungen zu einem Fall befasst, in dem ein Mädchen in einem kurzen Zeitabstand zwei „Körperverletzungen“ begangen hat. An der polizeilichen Vernehmung hat auch die Mutter teilgenommen. Das Gespräch bezog sich auf eben diese körperlichen Auseinandersetzungen, aber nicht auf die Lebensumstände des Mädchens. Vom familiären Kontext hat der ermittelnde Beamte erst später durch das Jugendamt erfahren. Nach den Selbsttötungen von Vater und Bruder, zeigten sich bei dem Mädchen Verhaltensänderungen. Sie beendete ihre sportlichen Aktivitäten in einem Fußballverein. Die Schulleistungen verschlechterten sich ebenfalls und mündeten in Schulabstinenz. Nach zwei Jahren fiel das Mädchen dann durch die beiden Gewaltdelikte auf. Biografie und Delinquenz wurden in einen Zusammenhang gebracht. Die Analyse ergab, dass die Belastungen, die durch den Tod der Familienangehörigen entstanden sind, nie aufgearbeitet wurden. So wurde dann eine Trauertherapie veranlasst. Dem Mädchen wurde als Reaktion auf ihr Fehlverhalten die Auflage erteilt, wieder am Vereinssport teilzunehmen. Nach der Interpretation von Bm führten diese Maßnahmen dazu, dass das Mädchen keine Straftaten mehr beging. Mit dieser Erzählung stellt Bm die aktive, Zusammenhänge herstellende Rolle der Polizei dar. Mit der Metapher „geliehene Autorität“ wird die Bedeutung von Kooperation und das Erfordernis des Zusammenwirkens unterschiedlicher Akteurinnen und Akteure herausgestellt. Nach einer Sprechpause von vier Sekunden, die das Ende der Erzählung markiert, schließen sich minimalkontrastive Anschlusspropositionen und Beschreibungen an, die wiederum einen validierendenden Charakter haben.

In dieser Erzählung dokumentieren sich auf das Individuum und dessen Entwicklung ausgerichtete Handlungsmuster. Nicht die Reaktion auf das Verhalten ist der Präventionsansatz, sondern die Beseitigung der Ursachen rückt in den Mittelpunkt der Zielperspektive dieses Typus. So zeigen sich auch im Aufgabenbereich der Jugendsachbearbeiterinnen und Jugendsachbearbeiter maximale Kontraste bei den handlungsleitenden Präventionszielen. Beim Typus obrigkeitsstaatliche Präventionsarbeit dokumentiert sich der Ausschluss straffälliger junger Menschen von der Präventionsarbeit. Aufgrund pfadabhängiger Entwicklungsannahmen und sich daraus ergebender krimineller Karrieren scheint die Sanktionierung ein probates Reaktionsmittel auf Fehlverhalten zu sein. Beim Typus pädagogisierte Präventionsarbeit zeigt sich eine Orientierung an der Vermittlung von Anreizen eines regelkonformen Lebenswandels. In den für die Jugendsachbearbeitung typischen individuellen Interaktionssituationen wird die Verhaltensbeeinflussung über einen eigenen pädagogischen Bezug angestrebt. Dagegen dokumentiert sich beim Typus subjektorientierte Präventionsarbeit in der Ermittlungsarbeit eine Konzentration auf polizeiliche Handlungsmuster. Pädagogisches Handeln und soziale Hilfe bleiben anderen Akteurinnen und Akteuren zugewiesen. Charakteristisch scheint für diesen Typus eine Differenzierung zwischen eigenem unmittelbarem Handeln im Kontakt mit Kindern, Jugendlichen und deren Bezugspersonen und insgesamt erforderlichen Präventionsmaßnahmen zu sein. Die Begrenzung der eigenen Handlungsziele ist verbunden mit einer impliziten Rollenklarheit, die Irritationen auf der Handlungsebene vermeidet. Es dokumentiert sich im empirischen Material dieser Untersuchung, dass das Wissen über junge Menschen und ihr soziales Umfeld für die Initiierung und Gestaltung von Präventionsmaßnahmen handlungsleitend ist. Im Unterschied zu den beiden anderen Orientierungstypen stehen individuelle Lebenswelten im Mittelpunkt der Zielperspektive des Typus subjektorientierte Präventionsarbeit.

Erwartungen an Wirksamkeit

Die Rekonstruktion der Zielperspektive der Normübernahme des Typus subjektorientierte Präventionsarbeit zeigte klar konturierte Handlungsmuster im polizeilichen Aufgabenfeld. Die Akteurinnen und Akteure nehmen einen aktiv gestaltenden Platz im System der Präventionsarbeit ein. In der Auswertung der geführten Gruppendiskussionen dokumentiert sich ein Vertrauen auf die Geeignetheit pädagogischer Maßnahmen und die Funktionsfähigkeit sozialer Hilfesysteme. In der Rekonstruktion von Erwartungen an Wirksamkeit dieses Typus wird das bereits rekonstruierte, von Selbstbestimmtheit und Autonomie geprägte Menschenbild erneut sichtbar. In der folgenden Sequenz zeigen sich die konjunktiv geteilten Wirksamkeitsgrenzen der Präventionsarbeit.

Dora: Eingangspassage, Z. 235–266

figure aw

Cm der Gruppe Dora beschreibt die Wirksamkeit von „Gefährderansprachen“ (zum Begriff siehe Abschnitt 2.4). Er bezeichnet sich selbst als „absoluten Fan“ dieser Maßnahme, die als normenverdeutlichendes Gespräch eher als niedrigschwellige genuin polizeiliche Maßnahme bezeichnet werden kann. Damit drückt der Sprecher aus, von dem Erfordernis bzw. von der Wirkungsmöglichkeit dieser Interventionsmöglichkeit überzeugt zu sein. Er entfaltet selbst einen Gegenhorizont zu seiner Orientierung, nämlich die Kritik der potenziellen Unwirksamkeit, da der „Erfolg nicht messbar“ ist. In diesem skizzierten Spannungsfeld zeigt sich die Erwartungshaltung an polizeiliches Handeln im traditionellen Sinne. Die polizeiliche Praxis soll – so die Erwartungshaltung – zu intersubjektiv wahrnehmbaren Ergebnissen führen. Das ist bei polizeilichen Zwangsmaßnahmen leicht herstellbar, unabhängig davon wie nachhaltig die Wirkung dann ist. Es deutet sich auch an, dass Prävention ohne Zwang auskommen muss, weil nicht über das Handeln der Adressatinnen und Adressaten dieser Gespräche verfügt werden kann. Cm beschreibt die Gründe für die ausbleibende Wirkung, indem er imaginär die Perspektive jugendlicher Adressatinnen und Adressaten von Gefährderansprachen einnimmt. Er beschreibt zwei unterschiedliche Denkmuster. Cm nimmt an, dass es jugendliche Delinquenten gibt, die Ratschläge von der Polizei ablehnen. Andere wiederum begehen aufgrund eines Gruppendrucks oder wegen günstiger und verlockender Tatgelegenheiten erneut Straftaten. Trotz der Wirksamkeitsbedenken und möglicher Misserfolge haben Gefährderansprachen für die Gruppe eine zentrale Bedeutung, weil die Polizei die jungen Menschen erreichen kann, gleiches gilt für die Eltern, wie die Gruppe im weiteren Diskursverlauf beschreibt (Dora: Eingangspassage, Z. 266–373). In dieser Elaboration dokumentiert sich die Orientierung an einer begrenzten Erwartung an Wirksamkeit, die Autonomie und Unverfügbarkeit des Handelns anderer respektiert oder zumindest als Verhaltensoption hinnimmt. Das wird dadurch sichtbar, dass die begrenzte Wirkung dieser Gespräche ohne jegliche normative Empörung formuliert wird. Der propositionale Gehalt der Beschreibung von Cm wird im folgenden Diskursverlauf durch weitere differenzierende Beschreibungen der Gruppe validiert.

Der eben erwähnte weitere Diskursverlauf gibt Auskunft darüber, in welches Orientierungsschema die Interventionsform Gefährderansprache eingebunden ist und eröffnet die Möglichkeiten kollektiv geteiltes implizites Wissen zum Orientierungsrahmen dieser spezifischen Interaktionsform und damit zu charakteristischen Handlungsorientierungen dieses Typus zu emergieren. Die Gefährderansprachen werden „in der Regel auch Zuhause durchgeführt“. Für das Betreten von Wohnungen für Gefährderansprachen gibt es in der überwiegenden Anzahl der Fälle keine rechtliche BefugnisFootnote 39, d. h. es muss zumindest eine gewisse Mitwirkungsbereitschaft der Familie geben. Diese Gesprächssettings sind auch zeitlich deutlich aufwendiger. Gleichzeitig sind sie potenziell erkenntnisreicher, weil sie den Beamtinnen und Beamten einen unmittelbaren Eindruck über die Lebenssituation verschaffen. Diese Erkenntnisse, also nicht nur die Angaben zum Gesprächsinhalt, werden dokumentiert und als Arbeitsgrundlage an die Staatsanwaltschaft und Jugendhilfe weitergegeben (Dora: Eingangspassage, Z. 270–282). Diese Institutionen bekommen so einen „background“ (Dora: Eingangspassage, Z. 282) für ggf. erforderliche Entscheidungen und Maßnahmen. Weiterhin soll diese Gesprächssituation entspannter sein, weil sie nicht in unmittelbarem zeitlichen oder örtlichen Zusammenhang mit den Ermittlungen steht. Gleichzeitig sind die Jugendlichen von ihrer Peergroup getrennt, was die Ansprechbarkeit und den Dialog mit den jungen Menschen erleichtert. Zuhause können häufig auch die Eltern erreicht werden. Dabei bleibt jedoch ungewiss, ob die Anwesenheit der Erziehungsberechtigten für die Erreichung der Gesprächsziele hilfreich ist. Es besteht die Möglichkeit, dass die Eltern im Lichte der Informationen über das Fehlverhalten ihrer Kinder überreagieren oder gleichgültig bleiben (Dora: Eingangspassage, Z. 301–306 und Z. 339–357). In dieser Interventionsstrategie dokumentiert sich ein über die reine Normenverdeutlichung im Sinne einer kommunikativen Einwirkung auf junge Menschen hinausgehender Wirksamkeitshorizont. Eltern sollen nach Möglichkeit auch erreicht, über das Verhalten ihrer Kinder informiert und hinsichtlich ihrer Erziehungsverantwortung sensibilisiert werden. Gleichzeitig wird eine systemische Erwartungen an Wirksamkeit sichtbar. Durch eine mitgängige Erhebung von Eindrücken zur Lebenssituation und die Weitergabe der Erkenntnisse an die Jugendhilfe und die Justiz sollen deren Handlungsmöglichkeiten verbessert werden. Jugendsachbearbeiterinnen und Jugendsachbearbeiter, die im Sinne des Typus subjektorientierter Präventionsarbeit orientiert sind, konzentrieren sich auf genuine Aspekte polizeilicher Arbeit in einem abschreckenden, Grenzen setzenden Modus. Pädagogisches Handeln wird nicht im Umgang mit Kindern und Jugendlichen angestrebt, dagegen wird pädagogisches Denken in der Zusammenarbeit mit anderen Akteuren sichtbar.

Dieser Befund lässt sich für den Typus subjektorientierte Präventionsarbeit dahingehend generalisieren, dass Wissen um das Technologiedefizit in der Pädagogik konjunktiv geteilt wird und die Akteurinnen und Akteure sich an der Unverfügbarkeit des Lernens und Handelns des Subjekts orientieren. Lehrenden bzw. erziehenden Personen wird die Verantwortung für Lernangebote, aber nicht die für Lernergebnisse zugeschrieben. Dagegen zeigen sich bei den Orientierungstypen obrigkeitsstaatliche Präventionsarbeit und pädagogisierte Präventionsarbeit Orientierungen, die sich an einer Machbarkeit von Lernen bzw. dem Wunsch danach orientieren.

Als maximalen Kontrast zu den anderen Orientierungstypen scheint für den Typus subjektorientierte Präventionsarbeit die Differenzierung zwischen eigenem polizeilichen Handeln und pädagogischem Denken kollektiv geteilt zu werden. Durch die institutionelle Trennung auf der Handlungsebene werden nicht nur Rollenkonflikte vermieden, sondern wird auch antinomischen Handlungssituationen vorgebeugt, wie sie beim Typus pädagogisierte Präventionsarbeit emergiert werden konnten.

Normtreue wird von der spezifischen Entwicklung junger Menschen und von den sozialen Bedingungen des Aufwachsens beeinflusst, so der kollektiv geteilte, kommunikativ generalisierende Wissensbestand der Akteurinnen und Akteure des Typus subjektorientierte Präventionsarbeit. Aufgrund der Komplexität der Lebenswelten und dem bereits rekonstruierten impliziten Wissen um die Unverfügbarkeit von Menschen dokumentiert sich für diesen Typus, dass Lernen und Entwicklung weder von Polizistinnen und Polizisten, noch von Pädagoginnen und Pädagogen hergestellt werden kann. Dieser empirische Befund aus der Jugendsachbearbeitung lässt sich auch im Handlungsfeld der Präventionsbeamtinnen und Präventionsbeamten finden. Anhand des folgenden Transkriptauszugs, der schon für die Rekonstruktion der Basistypik verwendet wurde, kann weiterhin gezeigt werden, dass die Handlungsmuster von einer starken Erwartung an Wirksamkeit bezogen auf multiprofessionelle Angebote und systemischen Handelns geprägt sind.

Romeo: Präventionskonzepte und pädagogische Netzwerkarbeit, Z. 192–213

figure ax

Die Gruppe Romeo diskutiert über einen längeren Diskursabschnitt (Romeo: Präventionskonzepte und pädagogische Netzwerkarbeit, Z. 1–292) die Zusammenarbeit von schulischen und anderen Akteurinnen und Akteuren in der Kommune, widmet sich Finanzierungsfragen und inszeniert sich als aktive gestaltende Kraft für die Präventionsarbeit mit Kindern und Jugendlichen „##in der Stadt##“. Die aufeinander folgenden Beschreibungen und Argumentationen weisen minimale Kontraste auf. Die Elaboration von Bm der Gruppe Romeo hat insofern neben einem differenzierenden auch einen validierenden Charakter.

Bm beschreibt ein Konzept zur Gewaltprävention, das nunmehr seit „#8 Jahren“# wiederholend umgesetzt wird. Zu Beginn waren sie auf der Suche nach einem nachhaltig wirksamen Konzept. Sie wollen etwas „Vernünftiges“ machen. So schied das Verteilen von Informationsmaterial und die Normenverdeutlichung im Belehrungsmodus („nich mi = m erhobenen Zeigefinger hinstellen“) aus. Die Polizei hat dann eine Zusammenarbeit mit Theaterpädagoginnen und Theaterpädagogen initiiert, die aus Mitteln des örtlichen Präventionsrats finanziert wurde. Das Programm wird arbeitsteilig gestaltet. Die Präventionsbeamtinnen und Präventionsbeamten geben Sachinformationen zum Thema und die Theaterpädagoginnen und Theaterpädagogen übernehmen die didaktische Umsetzung in Rollenspiele. Da die Beamtinnen und Beamten nach ihrer eigenen Einschätzung nicht über die methodischen Kompetenzen verfügen, junge Menschen mit den Mitteln der Theaterpädagogik in ihrer Entwicklung zur Konfliktbewältigung zu fördern, wird dieser Teil des Programms Fachkräften überlassen. Mit Gewaltprävention verbinden sich Maßnahmen, die konfliktbetonten verbalen und körperlichen Auseinandersetzungen vorbeugen sollen. Gewalt ist auch ein Thema für die Polizei. Die Gruppe Romeo sieht in der Information über Gewalt und deren Pönalisierung keinen tragfähigen Präventionsansatz. Die Fokussierungsmetaphern „es bringt uns nichts wenn wir nur Broschüren verteiln“ und „wir wolln uns nich mi = m erhobenen Zeigefinger hinstellen“ drücken eine Ablehnung solcher Vermittlungsmethoden aus, weil mit ihnen begrenzte Erwartungen an Wirksamkeit verbunden werden. Bm sagt, dass sie sich „son = n bisschen breiter“ aufgestellt haben. Es soll wohl vermieden werden, dass der Eindruck von Belehrungen und Instruktionen durch die Polizei entsteht, vielmehr soll ein pädagogischer Charakter wahrnehmbar werden. So deuten sich durch die Aktivierung pädagogischen Handelns durch Pädagogen didaktische Ziele in einem Vermittlungsmodus an, der auf die Bedeutung des Verstehens sozialer Zusammenhänge und die Entwicklung von Handlungskompetenzen setzt. Anders als beim Typus obrigkeitsstaatliche Präventionsarbeit steht nicht das kognitive Normenlernen im Vordergrund, vielmehr zeigt sich eine Orientierung an Werten wie Gerechtigkeit, Freiheit und dem Recht auf körperliche Integrität. Durch die Entwicklung von Selbst- und SozialkompetenzFootnote 40 soll sozial auffälliges oder deviantes Verhalten reduziert werden. Einsicht und Wertebewusstsein sind von Bedeutung, nicht Modi der Abschreckung, wie sie sich beim Typus obrigkeitsstaatliche Präventionsarbeit dokumentieren. Die Gruppe Romeo sieht sich als aktiven, impulsgebenden, gestaltenden Akteur. Das wird insbesondere dadurch sichtbar, dass dieses Projekt schon „seit #8 Jahren#“ läuft und sich die Polizei um die Finanzierungsfragen kümmert. In der Metapher „dazu werden andere mit ins Boot geholt“ dokumentiert sich die Übernahme einer organisatorischen Leitfunktion. Gleichzeitig wird in der multiprofessionellen Zusammenarbeit zwischen Pädagoginnen und Pädagogen sowie Polizistinnen und Polizisten auch eine professionsspezifische Aufgabenteilung sichtbar, die pädagogische und künstlerische Kompetenzen der Theaterpädagoginnen und Theaterpädagogen anerkennt.

Für den Typus subjektorientierte Präventionsarbeit scheint die netzwerkartige Zusammenarbeit mit anderen Akteurinnen und Akteuren ein bedeutendes Element für die Wirksamkeit der Präventionsarbeit zu sein. Dabei wurde erneut sichtbar, dass es den polizeilichen Akteurinnen und Akteuren nicht nur um die Selbstwirksamkeit geht, sondern die gemeinsam erzielten Lernergebnisse fokussiert werden. Hinsichtlich der Netzwerkarbeit institutioneller Akteurinnen und Akteure (Schulen, Jugendsozialarbeit, Justiz, Vereine, Verbände) schreiben sie sich selbst bzw. der Institution Polizei ein hohes Aktivierungspotenzial und eine große Akzeptanz zu. Das wird auch in weiteren Diskursen des Samples sichtbar (Romeo: Präventionskonzepte und pädagogische Netzwerkarbeit Z. 16–60; Hotel: Grenzen der eigenen Arbeit, Z. 20–55; Dora: Eingangspassage, Z. 124–183). Auch beim Typus pädagogisierte Präventionsarbeit zeigten sich Kooperationsmuster, allerdings in Form individueller partnerschaftlicher Zusammenarbeitsformen (z. B. Berta: Uns geht es gut mit unserer Arbeit, Z. 19–72 und Z. 165–198). Persönliche Beziehungen, insbesondere zu einzelnen Schulleitungen und Lehrkräften sind wichtig für den Zugang zur Schule und die gemeinsame Arbeit. Der Typus obrigkeitsstaatliche Präventionsarbeit interpretiert gute Kooperation als eine, in der andere Akteurinnen und Akteure die Rolle potenzieller Unterstützer und Helfer polizeilicher Präventionsmaßnahmen und -ziele einnehmen (z. B. Paula: Zusammenarbeit mit Pädagogen Z. 17–28 und Z. 77–100). Hier werden Handlungsmuster sichtbar, die Wirksamkeit von Prävention mit einer Kontrolle pädagogischer Situationen im genuin polizeilichen Modus verbinden. Beim Typus subjektorientierte Präventionsarbeit werden Erwartungen an Wirksamkeit aus der eigenen Innovations- und Reflexionsfähigkeit generiert. In den Selbstbeschreibungen der Akteurinnen und Akteure wird sichtbar, dass die Bereitschaft bzw. die sich selbst zugeschriebene Fähigkeit neue pädagogische Konzepte auszuprobieren und eigene Erfahrungen kritisch zu reflektieren, mit Erfolgsvermutungen verbunden werden. Charakteristisch für diesen Typus ist die Inszenierung der Selbstwirksamkeit über Erfolgsreferenzen in Form von Evaluationen (Hotel: Junge Menschen erreichen – Normsinn vermitteln, Z. 36–49), der Anzahl von Initiativen bzw. Laufzeiten von Projekten und der Größe des eigenen Netzwerks (Romeo: Präventionskonzepte und pädagogische Netzwerkarbeit Z. 1–192). Gleichzeitig dokumentiert sich so eine empirische Legitimationsgrundlage für die eigene Arbeit. Diskurse im Referenzmodus lassen diese Orientierung sichtbar werden. In homologer Weise wurde im empirischen Material dieser Untersuchung sichtbar, dass das Handeln von Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten mit ihrer Präventionsarbeit von der Beeinflussung des Verhaltens von Kindern und Jugendlichen geleitet ist. Modi der direkten Normvermittlung wurden bei den Orientierungstypen obrigkeitsstaatliche Präventionsarbeit (instruierender Modus) und pädagogisierte Präventionsarbeit (vermittelnder Modus) sichtbar. Die Akteurinnen und Akteure, deren Handlungsmuster diesen Orientierungstypen zugeordnet werden können, orientieren sich primär an der Intensität bzw. Nachhaltigkeit von Kennbeziehungen und individuellen Feedbacks als Interpretationsfolie für Selbstwirksamkeit. Dagegen lassen die Handlungsmuster des Typus subjektorientierte Präventionsarbeit eine Initiierung sozialen Lernens erkennen.

Zusammenfassung

Die Rekonstruktion der Handlungsorientierungen des Typus subjektorientierte Präventionsarbeit wird nunmehr komprimiert dargestellt, indem die charakteristischen Merkmale der Rollenkonstruktion durch die Akteurinnen und Akteure der polizeilichen Präventionsarbeit und die von ihnen angestrebten Modi der Normübernahme zusammengefasst und mit der Basistypik in Beziehung gesetzt werden, um so die Einordnung dieses Typus im Spannungsfeld zwischen der Gewährleistung staatlicher Ordnung und der Befähigung zur gesellschaftlichen Teilhabe zu ermöglichen. Die Rollenkonstruktion macht sichtbar, dass die Präventionsarbeit subjektorientiert ausgerichtet ist. Mündigkeit, Freiheit aber auch Eigenverantwortlichkeit sind Merkmale des Orientierung stiftenden und handlungsleitenden Menschenbilds. Neben der Fokussierung auf Individuen und deren Lebenswelt wird auch die Verdrängung polizeitypischer Rollenzuschreibungen aus der Präventionspraxis bzw. dem Umgang mit Kindern und Jugendlichen sichtbar. Toleranz und Wertschätzung wird im kooperativen Umgang mit anderen professionellen Akteurinnen und Akteuren deutlich. Sie dokumentiert sich in Beschreibungen partnerschaftlicher Arbeitsformen. Die Beamtinnen und Beamten sehen in der Einhaltung von Regeln die Grundlage eines sozialen Lebens, die eine gesellschaftliche Gemeinschaft trägt. So ist diesem Orientierungsmuster die Vermittlung von Normsinn und die Herstellung gemeinsamer Verantwortung, z. B. für Familie, Peergroup oder Schulleben, immanent. Weiterhin zeigt sich bei den Akteurinnen und Akteuren ein Bild von Normalität und Episodenhaftigkeit, bezogen auf sozial auffälliges oder abweichendes Verhalten. Das Bild von Kindheit und Jugend ist nicht nur von einer Entwicklungsbedürftigkeit, sondern auch von der Entwicklungsfähigkeit junger Menschen geprägt, unabhängig von individuellen kognitiven Kompetenzen, vom Sozialverhalten und der konkreten Lebenswelt. Dieser Typus entwirft für sich ein Rollenbild und eine Expertise, die auf dem spezifischen Feldzugang der Polizei und den sich daraus ergebenden Erkenntnissen beruht. Die Polizei hat hier unbestritten eine unverwechselbare Aufgabenzuweisung. Wie bei allen Orientierungstypen zeigt sich auch beim Typus subjektorientierte Präventionsarbeit das Selbstbild positiver Akteurinnen und Akteure in der Präventionslandschaft. Ein Selbstbezug zeigt sich in der angestrebten Akzeptanz von Eltern, Lehrkräften, Justiz, Jugendhilfe und andere Netzwerkpartnern. Akteurinnen und Akteure dieses Typus sehen sich allerdings nicht als Ersatzpädagogen oder gar als die besseren Erzieher, weil Schulen oder Eltern ihrem Erziehungsauftrag nicht gerecht werden. Die eigene Rolle wird funktionalisiert und weniger personifiziert und damit weniger selbstbezogen entworfen, als sich dieses bei anderen Orientierungstypen dokumentiert. Polizeiliche Wissensbestände werden für die pädagogische Arbeit genutzt.

Auch wenn sich bei diesem Typus pädagogisches Handeln zeigt, führen die Orientierungsmuster nicht zu einer Veränderung des eigenen Professionsverständnisses. Die polizeiliche Verankerung der eigenen Orientierungen bleibt auch beim Typus subjektorientierte Präventionsarbeit erhalten; sie gibt aber anderen Orientierungen im Handlungsfeld der Präventionsarbeit gleichberechtigt Raum. In dieser Perspektivität liegt das Charakteristikum der Wirkmächtigkeit der professionsspezifischen Orientierung dieses Typus. Die Beamtinnen und Beamten sehen sich weiterhin als Polizistinnen und Polizisten und konstruieren aus dieser Positionalität spezifische Rollen für die Präventionsarbeit. So dokumentiert sich auch in den Gruppendiskussionen dieser Untersuchung, dass Schulen und andere pädagogische Räume, anders als es beim Typus obrigkeitsstaatliche Präventionsarbeit sichtbar wurde, nicht zu polizeilichen Handlungsarenen erklärt werden, sondern im pädagogischen Sinne geschützte Räume des Lernen bleiben. So zeigt sich eine Präventionspraxis, die nicht von modifizierten polizeilichen Handlungsschemata determiniert ist, sondern vom Transfer des eigenen Erfahrungswissens. Zusätzlich wurde noch eine Übernahmebereitschaft professionsfremder Orientierungen und Handlungsmuster sichtbar, sofern sie vor dem Hintergrund des eigenen Erfahrungshorizonts für die Entwicklung des eigenen Handlungsrepertoires als nützlich empfunden werden. Allerdings zeigt sich auch, dass sie ihre Rolle je nach Arbeitsbereich unterschiedlich gestalten bzw. auf die Handlungssituation anpassen. In der Funktion als Präventionsbeamtinnen und Präventionsbeamte (Haupttätigkeitsfeld primäre Präventionsarbeit vgl. Abschnitt 2.3.2) ist die Handlungsorientierung pädagogisch dominiert (Lernen ermöglichen, Entwicklung fördern, Wissen vermitteln). In der Jugendsachbearbeitung beschränkt sich die Handlungspraxis dagegen auf genuin polizeiliche Maßnahmen. Die Handlungsorientierung reicht jedoch über das eigene, unmittelbare Handeln hinaus. Aufgabenübergreifend dokumentiert sich systemisches und damit pädagogisches Denken in Orientierungsmustern der Akteurinnen und Akteure, die durch diesen Typus repräsentiert werden.

Als Zielperspektive wurde sichtbar, dass die Beeinflussung des Verhaltens anderer in pädagogischen und genuin polizeilichen Settings der Präventionsarbeit die Entwicklung junger Menschen, insbesondere deren Selbst- und Sozialkompetenz fördern soll. Durch eine indirekte Wertevermittlung soll normkonformes Verhalten gefördert werden.

Pädagogischem Denken und Handeln wird ein Wert zugemessen. Es findet keine abgrenzende, ausschließlich defizitorientierte Betrachtung pädagogischer Handlungsmöglichkeiten bezogen auf Normvermittlung statt. In den Diskursen der Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten dokumentiert sich, dass Lernprozesse in einer methodischen Vielfalt idealerweise in von Interaktion geprägten Settings initiiert werden, bei denen die Perspektive von Kindern und Jugendlichen berücksichtigt wird. Ausgehend von dem bereits beschriebenen inkorporierten Menschenbild und den impliziten pädagogischen Wissensbeständen orientiert sich der Typus an der Unverfügbarkeit von Personen und ihrem Lernen. Für den Typus subjektorientierte Präventionsarbeit ist daher charakteristisch, dass das Wissen um das Technologiedefizit in der Pädagogik konjunktiv geteilt wird und sich Erwartungen an Wirksamkeit nicht auf die Herstellbarkeit von Normativität beziehen, sondern nur Lern- und Bildungsangebote unterbreitet werden können.

Wie bereits mehrfach erwähnt, wurden als Basis der Typologie Spannungsfelder rekonstruiert, die sich zwischen der Gewährleistung staatlicher Ordnung und der Befähigung zur gesellschaftlichen Teilhabe aufspannen. In diesem divergenten Ziel- und Handlungsspektrum orientieren sich die Akteurinnen und Akteure der polizeilichen Präventionsarbeit. So dokumentieren sich in der Präventionspraxis durch das Zusammentreffen inkorporierter polizeilicher Handlungsmuster und pädagogischer Situationen unterschiedliche Handlungsanforderungen. Anders als bei den anderen beiden Orientierungstypen zeigt sich die Präventionsarbeit hier als ein multiprofessionelles bzw. interdisziplinäres Handlungsfeld. So ließen sich auch kaum konfliktbeladene Handlungsmuster zwischen den professionellen Akteurinnen und Akteuren der Präventionsarbeit aus den Diskursen der Polizistinnen und Polizisten emergieren. Aus den geführten Gruppendiskussionen ließen sich Orientierungsmuster rekonstruieren, die inhärente Spannungsfelder der polizeilichen Präventionsarbeit zugunsten einer Befähigung zur gesellschaftlichen Teilhabe aufzulösen vermögen. So werden ein subjektorientierter Vermittlungsmodus im pädagogischen Denken und die Begrenzung des eigenen pädagogischen Handelns auf Situationen sichtbar, in denen ohne die Gefahr eines Rollenkonflikts der Umgang mit Kindern und Jugendlichen möglich ist. Die vertrauensvolle, kooperative Zusammenarbeit mit anderen Akteurinnen und Akteuren ist ein charakteristisches Orientierungsmuster des Typus subjektorientierte Präventionsarbeit.

5.4 Die Typologie und ihre Basis: Eine Zusammenfassung der Ergebnisse

Die bisherige Darstellung der Ergebnisse dieser Untersuchung folgte den Analyseschritten der Dokumentarischen Methode. Auf der Grundlage der rekonstruierten Orientierungen ließen sich, ausgehend von der Basis der Typologie, Orientierungstypen polizeilicher Präventionsarbeit konstruieren. Bezüge zwischen der Basistypik und den Orientierungstypen wurden bereits jeweils in den Zusammenfassungen der Beschreibungen der einzelnen Orientierungstypen aufgezeigt. Nunmehr erfolgt eine Gesamtsystematisierung der empirischen Ergebnisse. Dazu werden die einzelnen Orientierungstypen vergleichend in den Orientierungsrahmen eingeordnet. Eine Besonderheit dieser Studie ist die spezifische Basis der Typologie, die sich selbst als Spannungsfeld zwischen der Gewährleistung staatlicher Ordnung und der Befähigung zur gesellschaftlichen Teilhabe aufspannt. Während es der Dokumentarischen Methode immanent ist, mittels maximal kontrastiver Handlungsorientierungen auf der Grundlage einer Basistypik Orientierungstypen zu konstruieren, ist hier das tertium comparationis der Typologie bereits ein Spannungsfeld. Die Rekonstruktion maximaler Kontraste in den handlungsleitenden Orientierungen ist für diese Forschungsarbeit nicht nur methodisch von Bedeutung, sondern auch ein Teil der empirischen Ergebnisse. Die sichtbar gewordenen Spannungsfelder entstehen durch Handeln aus unterschiedlichen Systemen heraus, die jeweils eigene Handlungslogiken repräsentieren. Polizeiliche und pädagogische Systeme fokussieren sich mit ihrem Handeln wiederum selbst auf unterschiedliche Systeme. Die Polizei hat mit der Bewältigung interpersonaler Konflikte primär die Gesellschaft im Blick, während für die Pädagogik einzelne Subjekte von Bedeutung sind. Es geht einerseits um die innere Ordnung der Gesellschaft, das an Regeln gebundene Zusammenleben, und andererseits um die innere Ordnung von Personen, die Entwicklung junger Menschen.

In dem, was sich als Spannungsfelder der Präventionsarbeit zeigt, dokumentiert sich die Wirkmächtigkeit unterschiedlicher professionsspezifischer Orientierungen beim Handeln in professionsfremden Settings. Handlungsmuster polizeilicher Arbeit begegnen professionsspezifischen Orientierungen der Jugendsozialarbeit oder schulischer Bildungsarbeit. Soweit es den Akteurinnen und Akteuren um die Beeinflussung des Verhaltens anderer Personen bzw. die Entwicklung von Normativität geht, zeigen sich maximale Kontraste, deren Pole mit Normverdeutlichung und Normvermittlung beschrieben werden können. Zwischen diesen Extremen spannen sich die Handlungsorientierungen der Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten auf.

Die widerstreitende Komplexität des Arbeitsfeldes und die immanenten Antinomien werden in homologer Weise im empirischen Material dieser Untersuchung als Spannungsfelder sichtbar. Es zeigen sich

  • Rollenbilder der Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten, die sich zwischen Sanktionierung und Entwicklung aufspannen,

  • Orientierungen, die zwischen präventivem und repressivem polizeilichem Handeln schwanken,

  • Bilder von Kindheit und Jugend, die sich zwischen Entwicklung und Prädisposition bewegen,

  • sowie Handlungsmuster, die sich in einem Spannungsfeld von Erziehung und Konditionierung einordnen lassen.

In dieses Spannungsfeld der Basistypik werden nun die Orientierungstypen obrigkeitsstaatliche Präventionsarbeit, pädagogisierte Präventionsarbeit und subjektorientierte Präventionsarbeit eingeordnet und die unterschiedlichen Orientierungsmuster beschrieben.

Die Akteurinnen und Akteure der polizeilichen Präventionsarbeit konstruieren für sich eine eigenständige Rolle innerhalb der Polizei, die sich zwischen der Sanktionierung abweichenden Verhaltens und der Förderung der Entwicklung junger Menschen verortet. Diese widersprüchlichen Anforderungen an ihre Arbeitspraxis ergeben sich durch das für die Polizei atypische Handeln in pädagogischen Situationen, das sich im gesamten empirischen Material der Untersuchung dokumentiert. Am deutlichsten sichtbar wird das in den Rollenkonstruktionen der Präventionsbeamtinnen und Präventionsbeamten. So zeigen sich einerseits Orientierungsmuster, die auf die polizeitypische Durchsetzung bestimmter Verhaltensweisen (vgl. Abschnitt 2.5) ausgerichtet sind, und andererseits Handlungsmuster, die eine Einsicht in Regeln und die Reflexion von Normen fokussieren.

Beim Typus obrigkeitsstaatliche Präventionsarbeit dokumentiert sich sehr deutlich die Orientierung an polizeilicher Amtsautorität, die als eine den Bürgerinnen und Bürgern übergeordnete Funktion interpretiert wird. Neben der inhaltlichen Arbeit besteht z. B. die Bereitschaft, das pädagogische Personal bei der Beseitigung von Störungen zu unterstützen. Dagegen streben die Akteurinnen und Akteure des Typus pädagogisierte Präventionsarbeit nach Arbeitsbeziehungen zu Kindern und Jugendlichen im pädagogischen Sinne. Sie versuchen junge Menschen in ihren individuellen sozialen Situationen zu erreichen. Allerdings sind diese Arbeitsbeziehungen streng an einseitige Bedingungen geknüpft. Die Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten erwarten Wohlverhalten und bei Jugendlichen mit einer Delinquenzneigung Fortschritte bei der Einhaltung von Normen. Wird diesen Erwartungen nicht entsprochen, erfolgt ein Zugriff auf genuin polizeiliche Handlungsmuster, die eine Art Rückfallebene der polizeilichen Präventionsarbeit bilden. Dann werden Modi der Abschreckung sichtbar, wie sie sich auch in den Orientierungen des Typus obrigkeitsstaatliche Präventionsarbeit handlungsleitend zeigen. In der Information über Strafandrohungen und Interaktionsmustern mit belehrendem Charakter zeigt sich die Asymmetrie zwischen jungen Menschen und Polizeibediensteten. Es dokumentiert sich die polizeitypische Orientierung an Sanktionen. Beim Typus obrigkeitsstaatliche Präventionsarbeit sind daher sanktionierende Handlungsmuster wirkmächtig, während sie beim Typus pädagogisierte Präventionsarbeit nur das Handeln leiten, wenn den Akteurinnen und Akteuren keine anderen Methoden zur Problemlösung oder Konfliktbewältigung zur Verfügung stehen. Im Handeln zeigen sich ambivalente Orientierungen mit divergenten Handlungsmustern, in denen sich das für diese Basistypik charakteristische Spannungsfeld besonders deutlich dokumentiert.

Beim Typus subjektorientierte Präventionsarbeit werden dagegen deutlich stärker als bei den anderen beiden Orientierungstypen pädagogische Handlungsmuster sichtbar. Dieser Typus zeichnet sich dadurch aus, dass keine Gruppen junger Menschen aus der Präventionsarbeit exkludiert werden. Zur Überwindung von Zielkonflikten wird die Kooperation mit anderen Akteurinnen und Akteuren gesucht. Komplexe pädagogische Settings, wie z. B. Präventionsveranstaltungen mit theaterpädagogischen Mitteln, werden Expertinnen und Experten überlassen. Insgesamt dokumentiert sich in den für diesen Typus relevanten Forschungsdaten eine Orientierung an der Vermittlung des Normsinns. In diesem Orientierungsmuster zeigt sich wiederum ein maximaler Kontrast zu den beiden anderen Orientierungstypen, in denen die Normbefolgung als Ziel der Präventionsarbeit sichtbar wurde. So dokumentieren sich für den Typus subjektorientierte Präventionsarbeit Handlungsmuster, die sich an der Förderung der Entwicklung junger Menschen orientieren. Gleichzeitig wird so eine Rollenklarheit erreicht, die Ziel- und Handlungskonflikte zwischen präventivem und repressivem polizeilichen Handeln aufzulösen vermag. Immer dann, wenn für die Akteurinnen und Akteure des Typus subjektorientierte Präventionsarbeit die Gefahr von Rollenkonflikten besteht, orientieren sie sich an genuin polizeilichen Handlungsmustern, zeigen aber implizit pädagogische Orientierungen, die auf der kommunikativ generalisierenden Ebene in ganzheitlichen Handlungsstrategien sichtbar werden. Orientierungen, die durch diesen Typus repräsentiert werden, vermögen es, widerstreitende Anforderungen an die Präventionsarbeit aufzulösen.

Insgesamt zeigt sich jedoch in den Daten dieser Forschungsarbeit eine Rollenambiguität der polizeilichen Akteurinnen und Akteure, die sich in den Polen zwischen polizei- bzw. strafrechtlichen Handlungspflichten und pädagogischen Aktivitäten aufspannt. Mit Blick auf Orientierungen, die für den Typus pädagogisierte Präventionsarbeit handlungsleitend sind, dokumentiert sich eine Ambiguität, die im Umgang mit Systemgrenzen sichtbar wird. So deutet sich bei Akteurinnen und Akteuren dieses Typus an, intuitiv auf die Dokumentation personenbezogener Erkenntnisse über delinquente Jugendliche zu verzichten, wenn das einem Vertrauensaufbau dienlich ist. Auf der Basis einer so entwickelten Arbeitsbeziehung soll das Verhalten in Richtung Normakzeptanz beeinflusst werden. Durch dieses Handeln können Grenzen von Dienstpflichten erreicht werden. Andererseits zeigen sich Handlungsmuster, die bedenkenlos in der Präventionsarbeit aufgebautes Vertrauen für genuin polizeiliche Zwecke nutzen. Durch dieses Handeln können ethische Grenzen tangiert sein. Für den Typus pädagogisierte Präventionsarbeit dokumentiert sich ein diffuses Rollenbild, das Widersprüchlichkeiten in sich trägt. Dagegen ist der Typus obrigkeitsstaatliche Präventionsarbeit durch den bereits beschriebenen Law-and-Order-Modus in der Lage, potenzielle Spannungsfelder zugunsten einer Orientierung an repressivem Handeln aufzulösen.

Im gesamten empirischen Material dieser Untersuchung wurde in homologer Weise sichtbar, dass Menschenbilder für die polizeilichen Aktivitäten in der Präventionsarbeit eine orientierende Funktion haben. Mit Hilfe der Bilder von Kindheit und Jugend wurden altersspezifische Menschenbilder rekonstruiert, die implizites Wissen zu Entwicklungsfähigkeiten und Entwicklungschancen sichtbar werden ließen. Die handlungsleitenden Orientierungen erstrecken sich von simplifizierender bis differenzierender Wahrnehmung junger Menschen. Während sich in den Orientierungen des Typus obrigkeitsstaatliche Präventionsarbeit eine Klassifizierung junger Menschen als potenzielle Täterinnen bzw. Täter oder Opfer zeigt und der Typus pädagogisierte Präventionsarbeit das soziale Umfeld von Kindern und Jugendlichen fokussiert, dokumentiert sich beim Typus subjektorientierte Präventionsarbeit eine Orientierung am Individuum. Das bei diesem Typus rekonstruierbare Bild von Kindheit und Jugend ist von der Entwicklungsbedürftigkeit und der Entwicklungsfähigkeit junger Menschen geprägt. Weiterhin zeigen sich Handlungsmuster, in denen konjunktiv geteiltes Wissen über Eigenständigkeit, Autonomie und Individualität junger Menschen erkennbar ist. Junge Menschen entwickeln sich durch äußere Einflüsse und beeinflussen diesen Prozess mit zunehmendem Alter selbst aktiv. Beim Typus obrigkeitsstaatliche Präventionsarbeit zeigt sich dagegen als maximaler Kontrast eine Orientierung an der Entwicklung junger Menschen durch Erwachsene und die Annahme einer Pfad-abhängigkeit von Entwicklungsverläufen. So wird mit Jugenddelinquenz auch primär der dauerhafte Einstieg in kriminelle Karrieren verbunden, als Kontrast bestände auch die Möglichkeit, sich an dem Wissen um die Episodenhaftigkeit von Kinder- und Jugendkriminalität zu orientieren, wie sie bei den beiden anderen Orientierungstypen sichtbar wurde. Bezogen auf die Basisorientierung, die sich zwischen Orientierungen an der Entwicklungsfähigkeit junger Menschen und der Prädisposition biografischer Entwicklungen entfaltet, dokumentiert sich beim Typus obrigkeitsstaatliche Präventionsarbeit eine Orientierung an vorgezeichneten Entwicklungsverläufen. So werden Regelverstöße als Anzeichen einer dauerhaften Delinquenzneigung gedeutet, die unumkehrbar ist. Diese Prognose legitimiert dann wiederum die Exklusion delinquenter Jugendlicher als Adressatinnen und Adressaten von Präventionsarbeit. Prädispositive Spuren zeigen sich im Bild von Kindheit und Jugend des Typus pädagogisierte Präventionsarbeit. Diesem Orientierungsmuster liegt aber die Annahme einer determinierenden Kraft sozialer Lebensbedingungen zugrunde. Anders ausgedrückt: Kinder, die in problembeladenen sozialen Verhältnissen aufwachsen, haben geringere Entwicklungschancen. Längere Phasen jugendtypischer Devianz sind unter diesen Lebensbedingungen eher wahrscheinlich als in gut situierten Familien. Dagegen zeigen sich in Handlungsmustern, die für den Typus subjektorientierte Präventionsarbeit von Bedeutung sind, Orientierungen an der Entwicklungsfähigkeit aller jungen Menschen.

Die bisher beschriebenen Spannungsfelder wirken auch auf die Zielperspektive und die Erwartungen an Wirksamkeit der polizeilichen Präventionsarbeit (Modi der Normübernahme), die sich zwischen Erziehung und Konditionierung bewegen. Nach der bisherigen Einordnung der Orientierungstypen in den Orientierungsrahmen der Akteurinnen und Akteure der polizeilichen Präventionsarbeit, überrascht es nicht, dass beim Typus subjektorientierte Präventionsarbeit die Modi Normübernahme, die den Sinn von Regeln und die Reflexion von Normativität fokussieren, rekonstruiert werden konnten. Ebenso erwartbar sind aufgrund der direktiven Handlungsmuster des Typus obrigkeitsstaatliche Präventionsarbeit Orientierungsmuster, die tendenziell in Richtung Konditionierung weisen. Das dokumentiert sich in dem handlungsleitenden Drohungs- und Abschreckungsmodus dieses Typus. Dagegen zeigt sich beim Typus pädagogisierte Präventionsarbeit erneut die bereits beschriebene charakteristische Ambivalenz. Solange Kinder und Jugendliche für die Beamtinnen und Beamten individuell konfliktfrei erreichbar sind, zeigen sich Handlungsmuster der Normvermittlung. Lassen sich diese Interaktionsbedingungen nicht herstellen oder durchhalten, wird in den Modus der Normverdeutlichung gewechselt.

Nachdem die Orientierungstypen in die einzelnen Spannungsfelder der Basistypik eingeordnet wurden, bleibt noch die Frage zu klären, welche Positionierungen sich für die Orientierungstypen im gesamten Orientierungsrahmen ergeben. Handlungsmuster, die für die Orientierungstypen obrigkeitsstaatliche Präventionsarbeit und subjektorientierte Präventionsarbeit charakteristisch sind, vermögen es Widersprüchlichkeiten zu reduzieren, d. h. Spannungen im Handeln aufzulösen. Dabei sind beim Typus obrigkeitsstaatliche Präventionsarbeit Modi der Normverdeutlichung wirkmächtig, in denen sich Orientierungen an der Gewährleistung staatlicher Ordnung zeigen. Dagegen sind beim Typus subjektorientierte Präventionsarbeit primär Modi der Normvermittlung handlungsleitend, wodurch eine Orientierung an der Befähigung junger Menschen zur gesellschaftlichen Teilhabe sichtbar wird. Durch die rekonstruierte Rollenambiguität des Typus pädagogisierte Präventionsarbeit und damit verbundenen ambivalenten Handlungsmustern in der Präventionsarbeit, zeigen sich in den Orientierungen vergleichsweise große Widersprüchlichkeiten.

Zur Veranschaulichung der empirischen Ergebnisse dieser Untersuchung dient die folgende Tabelle 5.1. Strukturiert nach den Vergleichsdimensionen und Vergleichskriterien der TypenbildungFootnote 41 werden die emergierten Handlungsorientierungen der Orientierungstypen stichwortartig charakterisiert.

Tabelle 5.1 Empirische Ergebnisse der Untersuchung

5.5 Soziogenetische Spuren

Die auf der Grundlage der empirischen Datenauswertung konstruierten Orientierungstypen zeigen die Varianz der Handlungspraxen polizeilicher Präventionsarbeit mit Kindern und Jugendlichen. Mit Hilfe einer soziogenetischen Typenbildung wäre es möglich zu klären, „welchem spezifischen Erfahrungsraum, welcher Erfahrungsdimension oder welcher sozialen Lagerung eine generelle Orientierung zuzurechnen ist, wofür sie also typisch ist“ (Bohnsack 2013, S. 270; Hervorhebung i.O.). Der Frage nach strukturellen und sozialen Fundierungen rekonstruierter Handlungsmuster wurde in dieser Untersuchung nicht nachgegangen. Die Rekonstruktion von Handlungsorientierungen und die sinngenetische Typenbildung ergaben, über das damit verbundene Erkenntnisinteresse hinaus, Hinweise auf „die Erfahrungsräume, die Sozialisationsgeschichte, die „existentiellen Hintergründe“, innerhalb derer die (Sozio-) Genese handlungsleitender Orientierungen verankert ist“ (Nentwig-Gesemann 2013, S. 316). Einzelne soziogenetische Spuren dokumentieren sich in der polizeilichen Perspektivität der Präventionsarbeit, in der Herausbildung von Gruppenidentität (vgl. Schäfers und Lehmann 2018), im verfügbaren kommunikativen Wissen und in Kooperationserfahrungen.

Polizeiliche Perspektivität der Präventionsarbeit

Die Präventionsarbeit, als Gegenstand dieser Untersuchung, ist ein Arbeitsfeld, in dem viele unterschiedliche Institutionen aktiv sind. Die Polizistinnen und Polizisten sind neben einer Vielzahl anderer Akteurinnen und Akteure aktiv (vgl. Abschnitt 2.3.2). Im empirischen Material, das dieser Untersuchung zugrunde liegt, wurde in homologer Weise die Orientierung an der polizeilichen Rolle sichtbar. Die Ausübung dieses Berufs, der spezifische Erfahrungshorizont und die praktizierten Handlungsmuster weisen auf die Bedeutung einer polizeilichen Sozialisation für die Genese handlungsleitender Orientierungen hin. Erfahrungen im Umgang mit Menschen in sozialen Konfliktsituationen und abweichendem Verhalten von Jugendlichen sowie juristisch geprägte Normkenntnisse, eingebettet in fachspezifische Orientierungsschemata, bilden eine spezifische Expertise und werden in der Präventionspraxis bzw. in der Jugendsachbearbeitung aktualisiert. Aus dieser Perspektivität wird Fachwissen für die Bewältigung von Präventionsanlässen gezogen. Sie stützt sich zumindest teilweise auf Wissen aus diesem Erfahrungsraum, auch wenn die eigene operative genuine Polizeipraxis schon lange Jahre zurückliegt. In dieser Spurenlage deuten sich starke, lang anhaltende Wirkungen eigener genuin polizeilicher Berufserfahrungen an. Dagegen scheinen Unterschiede in der formalen beruflichen QualifikationFootnote 42 und andere soziodemografische Merkmale keine entscheidende Rolle zu spielen, so zumindest die tentativen Erkenntnisse aus dieser Untersuchung. Gleiches gilt für sozialräumliche Heterogenität sowie die Herkunft aus unterschiedlichen Bundesländern und damit aus verschiedenen Polizeiorganisationen.

Andererseits gibt es auch Hinweise darauf, dass vergleichbare pädagogische Settings, wie z. B. der Unterricht an öffentlichen Schulen, ganz unabhängig von beruflicher bzw. professioneller Prägung, auf die Handlungsorientierungen der jeweiligen Akteurinnen und Akteure wirken. Wenn formal nicht pädagogisch qualifizierte Akteurinnen und Akteure in pädagogischen Arenen aktiv sind, wirken sowohl die biografische bzw. berufsbiografische Herkunft, als auch die pädagogischen Rahmenbedingungen (vgl. Eich und Kepura i.E.).

Herausbildung von Gruppenidentität

Betrachtet man die Polizei aus einer Binnenperspektive heraus, so kann aufgrund der Fülle an Aufgaben und funktioneller Ausdifferenzierungen nicht von der Polizei gesprochen werden, vielmehr versammelt sich organisationskulturelle Vielfalt in der nach außen so einheitlich wirkenden Institution (vgl. z. B. Behr 2006; Mensching 2008). Gruppendynamische Prozesse im Sinne von sinnstiftender Identitätsbildung scheinen auch durch die Präventionsarbeit und die Arbeit mit jungen Menschen zu entstehen. Die Aufgabenzuweisung, gewährte Handlungsspielräume und polizeiliche Organisationsstrukturen erzeugen Subsysteme. Sie fördern einerseits polizeiliche Zusammenarbeitsstrukturen aber auch andererseits die präventionsspezifische bzw. jugendarbeitsspezifische Abgrenzung von anderen polizeilichen Erfahrungsräumen. Durch die Abgrenzung zu anderen Systemen im Binnenverhältnis innerhalb der Polizei sowie im Außenverhältnis zu pädagogischen bzw. sozialpädagogischen Institutionen wird wohl die Entwicklung von GruppenidentitätenFootnote 43 angeregt, die Handlungsmuster beeinflussen können (siehe z. B. im Abschnitt 5.2 die von der Gruppe Paula beschriebene Fremdzuschreibung der Präventionsbeamtinnen und Präventionsbeamten als „Puppenspieler“ (Paula: Wir sind nur die „Puppenspieler“, Z. 16–54).)

Verfügbares kommunikatives Wissen und Kooperationserfahrungen

In den Gruppendiskussionen dieser Forschungsarbeit dokumentieren sich Wahrnehmungen von sozialer Wirklichkeit in unterschiedlicher Differenziertheit. Es deutet sich an, dass kommunikativ verfügbare Wissensbestände und Erfahrungen, die über rein polizeiliches Fachwissen hinausgehen, Orientierungen der Beamtinnen und Beamten beeinflussen, indem sie Kenntnisse ermöglichen, eigenes Handeln in größerer Komplexität zu erfassen und zu reflektieren. Mit der Verfügbarkeit von fundiertem Fachwissen über die Erziehung und die Entwicklung junger Menschen scheinen sich die Deutungsmuster der eigenen Handlungspraxis zu verändern. Einen ähnlichen Einfluss haben wohl die Kooperationserfahrungen mit anderen Akteurinnen und Akteuren. Partizipative Kooperationsformen mit Schulen und Jugendhilfeeinrichtungen scheinen eine umfassende bzw. systemische Betrachtung der Präventionsanlässe zu fördern, den gegenseitigen Wissensaustausch anzuregen und handlungsleitend wirksam werden zu lassen.

Wirkmächtigkeit spezifischer normativer Dispositionen

Im gesamten empirischen Material dieser Untersuchung dokumentiert sich die Wirkmächtigkeit spezifischer normativer Dispositionen, die in Verbindung mit beruflichen Erfahrungen handlungsleitend werden. In einzelnen Erzählungen der Interviewpartnerinnen und Interviewpartner in den Gruppendiskussionen deuten sich normative Dispositionen an, die aus biografischen Erfahrungsräumen stammen. So wird der eigene erste Polizeikontakt nach einem selbst begangenen Ladendiebstahl als junger Mensch erzählt (Berta: Eingangspassage, Z. 104–119) oder über die Aufklärung emotional bewegender Kriminalfälle, an denen Jugendliche beteiligt waren (Hotel: Sensibilität für Prävention, Z. 59–112), berichtet. Die Genese normativer konjunktiver Wissensbestände blieb in der Interpretation der Diskurse weitgehend verborgen. Für die Rekonstruktion der Genese kollektiver Normativität boten diese wenigen Narrationen zu geringe Anhaltspunkte. Das Sample dieser Untersuchung scheint bezogen auf diese soziogenetische Fragestellung nicht gesättigt. Um im Rahmen einer soziogenetischen Analyse den Entstehungsprozess dieser Dispositionen zu untersuchen, wäre voraussichtlich eine Erweiterung des Samples notwendig. Zur Verfolgung dieser Spur und darüber hinaus dürften insgesamt zum soziogenetischen Erkenntnisgewinn biografisch ausgerichtete Forschungsarrangements die empirischen Erkenntnisse dieser Untersuchung sinnvoll ergänzen.

Insgesamt deutet sich an, dass in institutionellen Settings, explizitem Fachwissen und biografischen Erfahrungen Spuren für die Soziogenese von Handlungsorientierungen in der polizeilichen Präventionsarbeit mit Kindern und Jugendlichen angelegt sind.