Wie die Klärungen zur polizeilichen Präventionsarbeit im Kapitel 2 gezeigt haben, gibt es nicht die Polizei. Hinter der ausgeprägten hierarchischen Struktur und der nach außen sichtbaren Uniformität verbergen sich Funktionsgruppen mit jeweils eigenen Denk- und Verhaltensmustern (vgl. Christe-Zeyse 2006, S. 71). Die analytische Problemstellung dieser Untersuchung und die Beschreibung des Forschungsstandes in diesem Kapitel fokussieren die Arbeit der Polizei entlang von Schnittstellen zu anderen Funktionslogiken. Da Präventionsarbeit kein exklusives Handlungsfeld der Polizei ist (siehe Abschnitt 2.3), sind immer unterschiedliche Systeme mit jeweils eigenen Funktions- und Handlungslogiken betroffen. So ist die erziehungswissenschaftliche Verortung dieser Untersuchung von der Annahme getragen, dass Präventionsarbeit auf die Verhaltensbestärkung bzw. -veränderung durch Schaffung von Lerngelegenheiten und WissensvermittlungFootnote 1 und nicht auf die Durchsetzung von Normen ausgerichtet ist.

Für diese Untersuchung sind unterschiedliche Forschungsstände von Bedeutung. Die Richtungen, aus denen sich Erkenntnissen über die Praxis der polizeilichen Präventionsarbeit genähert wird, sind die Polizei-, Präventions- und Professionsforschung.Footnote 2 Mit Blick auf die Polizeiforschung (siehe Abschnitt 3.1) soll, ausgehend von einer Skizze dieses fragilen Arbeitsfeldes, aufgezeigt werden, wie es um die Erforschung der Handlungspraxis von Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten bestellt ist. Die polizeilichen Aufgaben und Aktivitäten in der Kriminal- und Verkehrsunfallprävention, bezogen auf die Zielgruppen Kinder und Jugendliche, bilden den Rahmen der zu betrachtenden Präventionsarbeit (siehe Abschnitt 3.2). Wie bei der sicherheitsbezogenen Präventionsforschung allgemein, stehen auch in der polizeibezogenen Präventionsforschung Wirksamkeitsfragen im Mittelpunkt des Erkenntnisinteresses der dominierenden Präventionsforschung, aber eben nicht die Handlungsorientierungen der Akteurinnen und Akteure.

In dieser Arbeit wird von der Relevanz pädagogischen Handelns in der Präventionsarbeit ausgegangen (vgl. Kapitel 2). Dieses Handeln ist wiederum eng verknüpft mit erziehungswissenschaftlicher Professionsforschung. Die Diskurse liefern Wissen über die Bedingungen und Herausforderungen von pädagogischer Professionalität (siehe Abschnitt 3.3), was wiederum für diese Untersuchung von Bedeutung ist. Professionalität scheint ein erstrebenswerter Zustand von Beruflichkeit zu sein, das zeigen nicht nur erziehungswissenschaftliche, sondern auch polizeiliche Beiträge zu diesem Thema (vgl. Jaschke 2006, S. 157; Mensching 2011, S. 59; Terhart 2011, S. 203). Daher ist auch auf den Stand der Erörterung polizeilicher Professionalität einzugehen (siehe Abschnitt 3.4).

Aus der Beschreibung der Forschungsstände zu polizeilichem Handeln, polizeilicher Präventionsarbeit mit Kindern und Jugendlichen sowie der Professionsforschung werden die Konturen des Forschungsdesiderats sichtbar, in dem sich das Erkenntnisinteresse dieser empirischen Untersuchung bewegt. Mit der Beschreibung des Forschungsdesiderats (siehe Abschnitt 3.5) schließt dieses Kapitel.

3.1 Polizeiliches Handeln

Wenn man sich der Erforschung des polizeilichen Handelns nähern möchte, stellt sich die Frage, wo nach entsprechenden Erkenntnissen zu suchen ist. Auf den ersten Blick erweckt die Bezeichnung PolizeiforschungFootnote 3, dass sich dort Theorien über Polizeiarbeit versammeln. Allerdings existiert bis heute keine eigenständige Polizeitheorie, vielmehr werden Wissensbestände unterschiedlicher Wissenschaftsdisziplinen nutzbar gemacht. Da polizeiliches Handeln ganz allgemein als soziales Handeln verstanden werden kann, sind sozialwissenschaftliche Zugänge naheliegend. „So sind vor allem, aber nicht ausschließlich, die Fächer Soziologie, Kriminologie, Politikwissenschaft, Verwaltungswissenschaft, Rechtswissenschaft und Geschichtswissenschaft im Forschungsfeld Polizei aufzufinden“ (Initiative Polizei in der Wissenschaft 2018, S. 259). Unterschiedliche wissenschaftliche Perspektiven auf die Polizei und eine praxeologische Wissenstradition (vgl. z. B. Spohrer 2003; Schulte 2006; Mokros 2010) führen bis heute zu einer randständigen Bedeutung von Polizeiforschung und keinen konsistenten Forschungsprogrammen. Schon allein die Beschreibung des Forschungsgegenstandes wirft Probleme auf (vgl. Ohlemacher 1999; Lange 2018, S. 8). Polizei ist letztlich das, was als Polizei definiert wird. Polizeiliche Aufgaben unterliegen einem Wandel. Auch wenn es sich bei der Polizei um einen zentralen Akteur der öffentlichen Sicherheit handelt, ist Präventionsarbeit keine alleinige Aufgabe der Polizei. Es stellt sich die Frage, wo Forschung zu polizeilicher Präventionsarbeit systematisch eingeordnet werden kann. Sowohl eine Verortung im Bereich der Verwaltungsforschung oder der Sicherheitsforschung wären beispielsweise möglich und würden unterschiedliche Kontexte abbilden, in denen Polizei betrachtet werden kann. Polizeiforschung bleibt ein mehrdeutlicher Begriff, mit dem wiederkehrend spezifische Interessen verbunden werden.

„Er bezeichnet zum einen sozialwissenschaftliche Forschungen, die die verschiedenen Aspekte polizeilichen Handelns zum Gegenstand haben, zum anderen Untersuchungen, die von Seiten der Polizeibehörden angeregt, finanziert oder durchgeführt werden. Zwischen beiden Forschungsansätzen besteht eine Spannung, die durch unterschiedliche Schneidung von Themen, Fragestellungen und Problemen entsteht. Die theoriegeleitete Herangehensweise universitärer Forschung führt oft zu anderen Forschungsprojekten als die aus der Innenperspektive der Instanzen angeregten Untersuchungen“ (Kreissl 1995, S. 375 f.).

Zudem erkennen Beobachtende des Forschungsfeldes in der Wissenschaft „eine häufig verengende Perspektive auf die Polizei, in der sie entweder als Gewalt- und/oder Labeling-Agent des Staates in Erscheinung tritt oder als juristisches Phänomen ohne reales soziales Eigenleben“ (Initiative Polizei in der Wissenschaft 2018, S. 258). Diese unterschiedlichen Positionen in der Betrachtung des Forschungsgegenstands Polizei machen darauf aufmerksam, dass im Umgang mit Polizeiforschung auf normative Implikationen geachtet werden muss. Trotz dieser definitorischen Schwierigkeiten, bestehender Theoriedefizite (vgl. Ohlemacher 1999, S. 36 f.) und im Vergleich zu etablierten Forschungsbereichen fragmentarischen organisatorischen RahmenbedingungenFootnote 4 wird Polizeiforschung betrieben.

Für das Verständnis der Ausrichtung polizeibezogener Sozialforschung ist ein Blick auf die Entwicklung dieses Forschungsgebiets hilfreich. „Der Versuch mit den Mitteln der sozialwissenschaftlichen Empirie das Feld ,Polizeiʻ systematisch zu analysieren, hat in Deutschland eine recht junge Geschichte. Einhergehend mit einem wachsenden Mißtrauen gegen Herrschaftsstrukturen allgemein, wurde gegen Ende der 60er Jahre von einigen Wissenschaftlern die Notwendigkeit gesehen, polizeiliches Handeln und dessen Folgen zu erforschen“ (Ohlemacher 1999, S. 5). Diese Impulse einer Forschung über die Polizei führten jedoch zu keiner nachhaltigen Verankerung der Diskurse in der wissenschaftlichen Community. Es war die Zeit der Studentenproteste und so wurden neben aller empirischer Fundierung in den Forschungsarbeiten ideologische Intentionen sichtbar (vgl. Turba 2018, S. 100 f.). „Besonders problematisch gestaltete sich aber nach den ersten Veröffentlichungen die Beziehung zwischen den Forschern und den Beforschten, sprich der Polizei. Die ablehnende Reaktion der Praktiker auf die Analyse ihrer Handlungsstrategien erschwerte den weiteren Zugang zum Feld auf absehbare Zeit – die Nachwirkungen hiervon sind noch Mitte der neunziger Jahre zu spüren“ (Ohlemacher 1999, S. 7 mit Hinweis auf Pick 1995). Es folgte eine Phase von Forschungen für die Polizei.

„Empirische Studien zur Polizei wurden in der Regel von polizeiangestellten Sozialwissenschaftlern bzw. Kriminologen durchgeführt oder aber erfolgten als Auftragsforschung durch polizeiexterne Wissenschaftler – zumeist mit dem (Forschungs) Ziel [sic!] einer Optimierung der Verbrechensbekämpfung. Erst im Laufe der späten achtziger und verstärkt in den neunziger Jahren hat sich eine neue empirische Polizeiforschung etabliert, die zumeist mit qualitativen Methoden und externer Finanzierung neuerlich Forschung über die Polizei betreibt“ (Ohlemacher 1999, S. 2).

Es „fand eine Diversifizierung der Polizeiforschung statt, die sich nunmehr teilweise von den lange Zeit vorherrschenden Auftragsarbeiten löste“ (Turba 2018, S. 105). Auch in dieser Phase beschäftigen sich empirische Studien mit der polizeilichen Rolle in der Kriminalitätsbekämpfung, hinzu trat aber die Erforschung von Binnenperspektiven der Polizei, Selbstbildern und Arbeitsbedingungen (z. B. Haselow 2000; Behr 2006; Dübbers 2015; Tietz und Mensching 2018).

Forschungsrelevant wurden ab den 1990ern auch die Interaktionen von Polizistinnen und Polizisten mit anderen Institutionen der sozialen Kontrolle bzw. mit Bürgerinnen und Bürgern (vgl. Mensching 2004, S. 125 f.). In den Diskursen spiegeln sich die gesellschaftlichen Konfliktlinien bzw. die sicherheitspolitischen Themen der letzten Jahrzehnte wider. Thematisiert wurden Fremdenfeindlichkeit in der Polizei (Kuratorium der Polizei-Führungsakademie 1996) oder der „Umgang mit migrantischen Opfern“ (Asmus und Enke 2016). Migration und Polizei können auch aus einer anderen Perspektive betrachtet werden, nämlich der von Personen mit Migrationshintergrund im Polizeidienst (z. B. Franzke 1999; Hunold 2008). Die Volkswagenstiftung förderte ein Theorie-/Praxisprojekt am Institut für Sicherheits- und Präventionsforschung (Hamburg) zum Umgang mit ethnischer Differenz bzw. mit der Integration von Migrantinnen und Migranten in den Polizeidienst (Hunold et al. 2010). Die Polizei in Deutschland steht vor Herausforderungen, die sich durch das soziale Leben in einer kulturell pluralen Gesellschaft ergeben. In einer kulturvergleichenden empirischen Studie befasst sich Faesel (2018) mit impliziten Einstellungsmustern von Polizistinnen bzw. Polizisten und Migrantinnen bzw. Migranten im Umgang miteinander.

Mit Blick auf junge Menschen widmet sich Hunold (2015) in einer ethnografischen Untersuchung dem Verhältnis von polizeilichem Wachdienst und Jugendlichen in segregierten Städten. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass sich die Beziehungen zwischen Jugendlichen und auf der Straße bzw. in Wohnquartieren aktiven Polizistinnen und Polizisten überwiegend spannungsfrei gestalten und „keine grundlegenden Muster polizeilicher Diskriminierung“ (Hunold 2015, S. 215) erkennbar sind, die sich auf ethnische Hintergründe beziehen. Allerdings ist für die Identifizierung städtischer sozialer Brennpunkte der Anteil fremdethnischer Bewohnerinnen und Bewohner bedeutsam (vgl. Hunold 2015, S. 215).

Zum Repertoire der Polizeiforschung gehören auch die Betrachtung des polizeilichen Umgangs mit Gewalt, aber auch Untersuchungen zu Gewalt gegen Polizistinnen und Polizisten (siehe z. B. Lüdtke et al. 2011; Ohlemacher 2012; Elsner und Laumer 2015; Lehmann 2016).

Mit der Ausweitung der Polizeiforschung etablierten sich auch in diesem Forschungsfeld Methoden der qualitativen Sozialforschung (vgl. z. B. Endruweit 2003, S. 403 ff.; Reichertz 2003) „Als „empirische Polizeiforschung“ kann jede im weitesten Sinne sozialwissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema Polizei gelten, die basierend auf der Methodologie und Methodik empirischer Sozialforschung theoretisch inspiriert und methodisch kontrolliert Daten erhebt, analysiert und / oder interpretiert“ (Ohlemacher 2006, S. 219). So arbeitete beispielsweise Turba (2018) mit einem ethnografischen Ansatz zur Untersuchung der polizeilichen Rolle im Kinderschutz. Mensching (2008) befasst sich mit Hierarchiebeziehungen in der Polizei und prüfte dabei die Anwendungsmöglichkeiten der Dokumentarischen Methode zur Rekonstruktion von Organisationskulturen. Die Polizei wird traditionell von Männern dominiert. Wilde und Rustemeyer (2007) befassten sich daher in einer quantitativen Studie mit den Selbstbildern von Frauen und Männern in der Polizei. Ebenfalls in einer quantitativen Studie wurden Schülerinnen und Schüler in Baden-Württemberg zu Autoritätsunterschieden von Polizistinnen und Polizisten befragt (Schäfer 2005). Einer polizeitaktischen Fragestellung bzw. Führungsfrage wandten sich Lorei et al. (2014) zu, indem sie in einer quantitativen Studie Verhaltensunterschiede von Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten aufgrund angewandter Befehls- oder AuftragstaktikFootnote 5 untersuchten und dabei auch methodische Erkenntnisse gewannen. Oevermann et al. (1994) untersuchen die Ermittlungspraxis der Polizei mit Hilfe der objektiven Hermeneutik. Mit teilnehmenden Beobachtungen untersuchte Reichertz (1991) die Bedeutung von Abduktion für die polizeiliche Ermittlungsarbeit bei Schwerverbrechen. Ley sieht in der Objektiven Hermeneutik nicht nur eine Forschungsmethode, sondern das Potenzial, „einen erheblichen Beitrag zu einer schutzpolizeilichen und kriminalistischen Handlungslehre“ (Ley 2016, S. 203) zu leisten.

Blickt man insgesamt auf die sozialwissenschaftliche Polizeiforschung, so dominieren die Befassung mit Kriminalität und genuin polizeilichem Handeln.Footnote 6 Unabhängig von den wissenschaftlichen Erkenntnissen, die noch zur Erforschung der Präventionsarbeit vorgestellt werden (siehe Abschnitt 3.2), darf schon hier der Frage nachgegangen werden, welche empirischen Erkenntnisse zu handelnden Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten bezogen auf das Arbeitsfeld Prävention vorliegen. Oechler hat sich im Rahmen einer Masterarbeit mit „Gewaltprävention an Schulen aus der Sicht polizeilicher Präventionskräfte“ (Oechler 2017) befasst. Die Untersuchung basiert auf leitfadengestützten Interviews mit sechs Präventionsbeauftragten der Berliner Polizei, die mit der qualitativen Inhaltsanalyse ausgewertet wurden (vgl. Oechler 2017, S. 41 ff.). Das Sample ist nicht gesättigt, worauf die Autorin selbst hinweist (vgl. Oechler 2017, S. 78). Ihr Ergebnis lässt vermuten, dass die Beamtinnen und Beamten sich für die Aufgabe entschieden haben, weil sie ein Interesse an der Arbeit mit jungen Menschen haben und im Bereich der Jugendkriminalität die Täter- und Opferzahlen reduzieren wollen. Bezogen auf die Arbeitsbeziehungen zu Kindern und Jugendlichen deutete sich ein heterogenes Verständnis von erstrebenswerter Distanz und Nähe an. Nach Maßgabe dieser ersten Ergebnisse sollen die Beamtinnen und Beamten der Ansicht sein, dass die Polizei bei jungen Menschen ein negatives Image hat, das sich aber durch ihre Präventionsarbeit verbessern lässt. Im Binnenverhältnis sollen die Präventionsakteurinnen und -akteure innerhalb der Polizei ein geringes Ansehen genießen. Dagegen soll die Arbeit von Lehrpersonen an Schulen nach Ansicht der befragten Polizistinnen und Polizisten überwiegend positiv wahrgenommen werden, so das tentative Ergebnis dieser Arbeit (vgl. Oechler 2017, S. 79 ff.).

Auf Grundlage einer weiteren ethnografisch angelegten soziologischen Untersuchung zur Präventionsarbeit formulieren Scheffer et al. (2017) folgende These:

„Die präventiven Arbeiten sind jenseits ihrer je eigenen sachlich, personalen Ausformungen gleichgerichtet: Sie erarbeiten ein Bündnis zur Sache, welches allerdings die üblichen Formen von Autorität und Legitimität verschiebt. Diese Gerichtetheit erlaubt die praktische Definition polizeilicher Prävention. Präventionsbeamten*innen (PB), so die pragmatische Bestimmung, arbeiten mit verschiedenen Anderen an einer jeweils geteilten Angelegenheit im dabei erwachsenden sozialen Bündnis“ (Scheffer 2018, S. 11).

Herausgearbeitet wurden „Arbeitsformen der Prävention“ (Scheffer 2018, S. 16), zu denen u. a. Bildungsveranstaltungen sowie Kampagnen- und Projektarbeit gehören (vgl. Scheffer 2018, S. 16 ff.).

Die Struktur der polizeilichen Kriminalprävention des Landes Baden-Württemberg wurde von Schilling (2020) im Rahmen einer EvaluationsstudieFootnote 7 untersucht. Auf der Basis von „Organisationsdaten“ (vgl. Schilling 2020, S. 47 ff.) und Leitfadeninterviews mit Akteurinnen und Akteuren der polizeilichen Präventionsarbeit, die mit der qualitativen Inhaltsanalyse ausgewertet wurden, werden Empfehlungen für die Organisationsentwicklung gegeben. Der Autor kommt zu dem Ergebnis, dass sich die Polizei stärker auf die Gefahrenabwehr und die Strafverfolgung konzentrieren sollte. Die „kriminal- oder verkehrsunfallpräventive Struktur wäre überwiegend außerpolizeilich, eher kommunal-behördlich, durchaus auch bei freien Trägern oder Vereinen wie der Verkehrswacht zu formen“ (Schilling 2020, S. 297). Die Erkenntnisse der Arbeiten von Schilling, Oechler und Scheffer et al. stellen Beiträge zur Polizeiforschung dar und liefern gleichzeitig Erkenntnisse zur Präventions- und Professionsforschung.

Für diese Untersuchung ist Wissen über das polizeiliche Handeln an der Grenze des traditionellen polizeilichen Aufgabenspektrums relevant, also jenseits des Zusammenwirkens mit Justiz, Ordnungsbehörden, Feuerwehren und Rettungsdiensten. Schon Oevermann kommt zu der Erkenntnis, dass es in der Polizei und der Sozialen Arbeit um die „sachhaltige Krisenbewältigung“ (Oevermann 2000, S. 64) geht, welche „immer in die Spannung der beiden Pole: formal rationale Legalitätserfüllung und material rationale Krisenbewältigung eingespannt“ (Oevermann 2003, S. 5. zit. nach Ley 2013, S. 44) ist. Die Polizei befindet sich daher, wie die Akteurinnen und Akteure der Sozialen Arbeit, in einem „Strukturdilemma“ (Oevermann 2000, S. 71). Nicht zuletzt zeigt auch der Diskurs um die Schnittstellen zwischen polizeilicher und Sozialer Arbeit bzw. um die Möglichkeiten und Grenzen von Kooperation (z. B. Dold 2010; Möller 2010; Fritsch 2011; Pütter 2015; Gloss 2018; Jasch 2018), dass polizeiliches Handeln über genuin polizeiliche Praktiken hinausgeht.

Forschungsarbeiten, die sich näherungsweise mit ähnlichen Fragestellungen befassen, wie die, die dieser Arbeit zugrunde liegt, sind nur schwer auszumachen. Sie lassen sich jeweils in unterschiedlichen Forschungsgebieten verorten. So hat Turba polizeiliche Arbeit im Bereich des Kinderschutzes soziologisch untersucht. Er blickt, wie bereits erwähnt, auf das Handeln von Polizeibediensteten. Ähnlich wie in der allgemeinen kriminalpräventiven Arbeit und in der Verkehrssicherheitsarbeit sind im Kinderschutz komplexe Akteurskonstellationen gegeben. In diesem Handlungsfeld sind Akteurinnen und Akteure der Jugendhilfe, des Gesundheitswesens sowie der Polizei und Justiz an Interventionen beteiligt (vgl. Turba 2018, S. 2). Methodisch handelt es sich um eine qualitativ-ethnografischen Studie, in der keine repräsentativen Aussagen über diese spezialisierte Polizeiarbeit getroffen werden (vgl. Turba 2018, S. 368). Im Ergebnis stellt Turba fest, dass diese Arbeit von hybrider Komplexität geprägt ist, unterschiedliche, wenig kompatible institutionelle Logiken verarbeitet werden müssen und die genuin polizeiliche Arbeit um eine sozialprofessionelle Funktion erweitert wird (vgl. Turba 2018, S. 359 ff.). Letztlich folgert Turba daraus ein hohes Reflexionserfordernis sowie den Umgang mit widerstreitenden Handlungsanforderungen der im Kinderschutz aktiven Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten (vgl. Turba 2018, S. 361).

Ältere empirische Forschungen zur polizeilichen Ermittlungsarbeit in Strafsachen haben erzieherische Aspekte in der Vernehmungspraxis im weiteren Sinne herausgearbeitet. Nach einer Analyse polizeilicher Ermittlungsunterlagen in Diversionsverfahren (§ 45 Absatz 2 JGG) jugendlicher Kleinkriminalität (vgl. Kurt 1996, S. 183) blickt Kurt (1996) kritisch auf die Kumulation von ermittelndem, erzieherischem und prognostischem Tätigsein (vgl. Kurt 1996, S. 230). Wenn von Erziehung im Sinne des Jugendstrafrechts gesprochen wird, verbindet sich mit diesem Begriff keine spezifische erziehungswissenschaftliche Bestimmung, „weil der Erziehungsgedanke im Jugendstrafrecht eher eine Chiffre darstellt, einen allgemeinen Platzhalter für spezialpräventive Beeinflussungen mit dem Ziel der Straffreiheit bzw. Nichtrückfälligkeit“ (Cornel 2011, S. 455). Dieser unspezifischen Offenheit von Erziehung im kriminologischen Sinne und dem erziehungswissenschaftlichen Verständnis von Erziehung ist die Beeinflussung von Verhalten gemein. Erziehungswissenschaft stellt bei Erziehung auf „die Unterstützung von Kindern und Jugendlichen […] auf ihrem Weg zur selbstständigen, selbstverantwortlichen und selbstreflexiven Personalität durch bestmögliche Entfaltung ihrer Dispositionalität und Potenziale“ (Wiater 2012, S. 20; Hervorhebungen i. O.) ab. Jugendstrafrechtlich reicht „soziale Konformität“ (Kölbel und Eisenberg 2020, 9) bezogen auf das staatliche Normsystem als Erziehungsziel aus.

Eine empirische Untersuchung zur Geständnismotivierung von erwachsenen Personen, die Tötungs- oder Wirtschaftsdelikte begangen haben, arbeitet die Bedeutung der Beziehung zwischen Beschuldigten und Vernehmungspersonen heraus. Danach gestehen beschuldigte Personen ihre Tat, „weil für sie die Beziehung zum Vernehmer von Bedeutung geworden ist und weil der Bestand dieser Beziehung durch beharrliches Leugnen auf’s Spiel gesetzt würde“ (Schröer 2007a, S. 226). Dieses Verhältnis zwischen den Interaktionspartnern bezeichnet Schöer als eine „kommunikativ edukative Vernehmungssituation, in der der Beschuldigte zu seinem Besten, zum Geständnis, geführt werden soll“ (Schröer 2007b, S. 229). Auch hier wird sprachlich eine Nähe zu pädagogischer Terminologie gesucht, aber nicht erziehungswissenschaftlich fundiert.

Laut Oevermann weisen bestimmte Formen polizeilichen Handelns sozialpädagogische Züge auf (Krisenbewältigung, siehe oben in diesem Abschnitt Oevermann 2000). Lukas und Hunold machen zutreffenderweise darauf aufmerksam, dass die Polizei zur Ausübung staatlicher Gewalt berufen ist und ihr Handeln nicht einfach als Soziale Arbeit deklariert werden kann. In der Alltagspraxis bewegen sich die Beamtinnen und Beamten allerdings häufig zwischen staatlicher Machtausübung und Hilfeleistungen (vgl. Lukas und Hunold 2010, S. 345). Zur Arbeit in diesem Spannungsfeld gehört auch der polizeiliche Umgang mit delinquenten Jugendlichen. Damit ist aber die polizeiliche Präventionsarbeit nicht vollständig erfasst. Es besteht Grund zu der Annahme, dass in der primären Präventionsarbeit (Kriminal- und Verkehrsunfallprävention, vgl. Abschnitt 2.3) pädagogisches Handeln ganz allgemein von Bedeutung ist (vgl. Abschnitt 3.2) Daher bedarf es einer Differenzierung relevanter pädagogischer Bezüge für die polizeiliche Arbeit. Soziale Arbeit befasst sich mit planmäßigem, zielgerichtetem, berufsmäßigem Umgang mit sozialen Problemen auf der Basis spezifischer Methoden und Konzepte (vgl. Krauß 2017, S. 651 ff.). Anlass für sozialarbeiterisches Handeln sind materielle und psychosoziale Mangelsituationen, aus denen Hilfsbedürftigkeit entsteht. Unterstützungsangebote beinhalten regelmäßig Lernangebote zur Förderung einer eigenständigen, selbstbestimmten Lebensführung. Pädagogisches Handeln bezieht sich dagegen ganz allgemein auf Lernen bzw. die Initiierung von Lernprozessen. Mit Blick auf den Diskurs zur Klärung der Verbindungs- und Trennlinien von Sozialer Arbeit und SozialpädagogikFootnote 8 stellt Enke fest, dass die Bedeutung des Pädagogischen in der Sozialen Arbeit gestiegen ist, da materielle Hilfen zur Unterstützung der Lebensbewältigung häufig nicht ausreichen (vgl. Enke 2000, S. 15).Footnote 9 Anlass und Ziel des Lernens machen den entscheidenden Unterschied zwischen allgemeinem pädagogischen und sozialpädagogischen Handeln aus. Bezogen auf die wissenschaftlichen Untersuchungsgegenstände heißt das, die Soziale Arbeit befasst sich mit Handeln in öffentlichen Hilfesystemen, die Erziehungswissenschaft hat Bildungs- und Erziehungsfragen in großer Weite zum Gegenstand. Die polizeiliche Präventionsarbeit mit Kindern und Jugendlichen lässt sich in ihrer Gesamtheit nicht allein aus sozialpädagogischer Perspektive betrachten, da eine entsprechende Hilfsbedürftigkeit häufig fehlt. Wird der pädagogische Blick über die sozialpädagogische Perspektive hinaus erweitert, zeigt sich hinsichtlich der zugänglichen erziehungswissenschaftlichen Forschung ein großes Desiderat.

Bezogen auf polizeiliche Präventionsarbeit nimmt die Dissertation von Sibylle Schäfer (2013) eine Sonderstellung ein. Sie nimmt die Gewaltpräventionsarbeit der hessischen Polizei handlungsbezogen aus pädagogischer Perspektive in den Blick. In dieser Arbeit, die sich auch mit der polizeilichen Aus- und Weiterbildung befasst, wird die Etablierung einer „Polizeipädagogik für die hessische Schutzpolizei“ (Schäfer 2013, S. 17 ff.) postuliert, zu deren Förderung bzw. Ausgestaltung eine „Kontaktstelle“ (Schäfer 2013, S. 15) zwischen Polizei und Erziehungswissenschaft aufgebaut werden soll. Die Arbeit hat eher einen programmatischen, konzeptionellen Charakter.Footnote 10 Das Erfordernis einer Polizeipädagogik wird vorangestellt und nur sehr begrenzt erziehungswissenschaftlich fundiert. Die erhobenen empirischen Daten werden explizit nicht methodengeleitet ausgewertet.Footnote 11 Aufgrund augenfälliger Theoriedefizite wird von einer Verwendung der Erkenntnisse dieser Studie abgesehen.

Die Relevanz von Pädagogik für die Polizei wird ansonsten auf die Aus- und Weiterbildung von Polizeibediensteten bezogen thematisiert und aus der Perspektive Polizei erörtert (vgl. Behr et al. 2013; Frevel und Kuschewski 2017; Möllers und Goertz 2018; Eberherr 2019; Hauff und Schulze 2019; Kagel 2019). Das ist umso erstaunlicher, als dass sich die präventive polizeiliche Präventionsarbeit mit Kindern und Jugendlichen in den letzten Jahrzehnten nicht nur verstetigte, sondern gerade die polizeiliche Arbeit in Schulen strukturelle pädagogische Rahmungen erfahren hat (vgl. Abschnitte 2.3 und 2.4).

Zusammenfassung

Mit Blick auf die Forschung über die Polizei bleibt festzuhalten, dass das Handeln der Beamtinnen und Beamten aus unterschiedlichen wissenschaftlichen Perspektiven thematisiert wird. Erziehungswissenschaftliche Diskurse und empirische Untersuchungen zur polizeilichen Handlungspraxis, insbesondere im Umgang mit Kindern und Jugendlichen, sind dagegen nicht wahrnehmbar.Footnote 12

3.2 Präventionsarbeit

In der Beschreibung der Präventionsarbeit der Polizei mit Kindern und Jugendlichen (siehe Abschnitt 2.3) wurden die Kriminalprävention und die Verkehrsunfallprävention als Gegenstand polizeilicher Präventionsarbeit mit Kindern und Jugendlichen dargestellt. Im Folgenden gilt es, Forschungsstände zu diesen Präventionsfeldern zu skizzieren und sich so dem Wissen über polizeiliche Präventionsarbeit zu nähern. Die Diskurse zum Umgang mit Kinder- und Jugendkriminalität, sowie zur Verhütung von Verkehrsunfällen werden separat geführt. Daher werden die wissenschaftlichen Erkenntnisse dazu ebenfalls separat nacheinander dargestellt. Es gibt jedoch teilweise Überschneidungen. Jugendtypische Risikobereitschaft und die Affinität, Grenzen auszutesten und zu überschreiten, fördern sowohl die Bereitschaft sozialschädliches Verhalten (Devianz) und Kriminalunrecht (Delinquenz) zu begehen oder in gefährlicher Weise am Straßenverkehr teilzunehmen.

Kriminalprävention

Grundlagen für die Kriminalprävention ergeben sich traditionell aus der kriminologischen Forschung zu Ursachen und Erscheinungsformen abweichenden Verhaltens junger Menschen. Devianz ist natürlich auch immer eine Frage eigener Rechts- bzw. Unrechtsvorstellungen. Bei jungen Menschen ist ihre individuelle, altersabhängige Entwicklung von Bedeutung, in der sich Werte, Normen und Gerechtigkeitsvorstellungen entwickeln.Footnote 13 Daher ist nicht nur die Verhinderung von Kriminalunrecht von Bedeutung, sondern insgesamt die Förderung sozialadäquaten Verhaltens (vgl. z. B. in Bezug auf Schulen Melzer 2015, S. 99 f.). So sind wissenschaftliche Arbeiten zu jugendtypischer Kriminalität, insbesondere die Erforschung von Jugendgewalt (Blick auf die Täter und Opfer) ein bedeutsames Thema.Footnote 14 Prävention will Verhaltensänderungen erreichen, die vor schädigendem Verhalten schützen und von deviantem Handeln abhalten soll. Die Perspektive, zunächst die unerwünschte Handlung wahrzunehmen, die eine Intervention begründet und dann die Personen zu betrachten, die zu adressieren sind, dominiert die Präventionsforschung. Im Mittelpunkt stehen unerwünschte soziale Phänomene, die mit bestimmbaren Maßnahmen für eine definierte Zielgruppe reduziert oder idealerweise beseitigt werden sollen. So richtet sich die kriminalpräventive Forschung primär auf die Entwicklung von Maßnahmen und deren Evaluation aus.

Als Meilensteine der evaluativen Erkenntnisgewinnung wird gerne auf den sogenannten Sherman Report aus dem Jahr 1997 verwiesen, in dem für den US-Kongress mehr als 500 Evaluationsstudien untersucht wurden (Sherman et al. 1997; siehe auch Füllgrabe 2000). Diese Metastudie konnte nachweisen, dass die Wirkung von Kriminalprävention messbar ist und lieferte Erkenntnisse über die methodische Güte der Evaluationsforschung. Weiterhin wurde die Effektivität der untersuchten Programme bewertet. Die „Befunde gaben grundlegende Orientierungen zur Effizienz und Wirkung bestehender Präventionsansätze und wurden im nationalen Raum durch das Düsseldorfer Gutachten (2002) […] aufgegriffen und auf die nationale Situation angepasst“ (Schubarth und Niproschke 2014, S. 21; Hervorhebung i. O.). „Eines der wichtigsten Ergebnisse des Düsseldorfer Gutachtens ist die Erkenntnis, dass eine erfolgreiche Kriminalprävention differenzieren muss zwischen kriminalitätsunspezifischen Maßnahmen zur Beeinflussung der Gesellschafts- und Sozialisationsbedingungen für eine möglichst ungestörte Integration des Individuums in die Gesellschaft und spezifisch, problemorientierte Maßnahmen zur gezielten Reduktion bestimmter Formen von Kriminalität“ (Coester 2018, S. 46; Hervorhebung i. O.). Messbare positive Wirkungen von Kriminalprävention auf kommunaler Ebene sollen laut dieser Untersuchung von Interventionsprogrammen ausgehen, die unmittelbar an strafbares Verhalten anknüpfen. Soziale Integrationsprogramme ließen ebenfalls positive Effekte im Sinne angestrebter Präventionsziele erkennen. Für die Präventionspraxis wurden Empfehlungen in Form eines Fünf-Punkte-Programms für spezifische Präventionsmaßnahmen formuliert (vgl. Landeshauptstadt Düsseldorf 2002, S. 35). Gleichzeitig muss aber bedacht werden, dass die Rahmenbedingungen des Aufwachsens, die Sozialisation in Familie und Peergroup, die Wirkungen von formellen und informellen Lernmöglichkeiten usw. eine Relevanz für die gesellschaftliche Integration haben, sich aber typischen maßnahmenbezogenen evaluativen Messinstrumenten entziehen (vgl. Coester 2018, S. 46 f.).

Die Frage nach Wirksamkeit und damit verbundene Evaluationen stehen im Mittelpunkt der kriminalpräventiven Forschung (z. B. Habschick 1994; Guder und Sonnen 2014; Fischer et al. 2018; Yngborn und Hoops 2018). Es geht um Wirksamkeitsmessungen von Präventionsprogrammen, deren Konzeptionierung und Umsetzung auf den Prüfstand gestellt wird (vgl. z. B. Scheithauer et al. 2008, S. 81 ff.; Kahl 2014, S. 110). Es wird der Begriff der Nachhaltigkeit bemüht, der in diesem Zusammenhang die Dimensionen Entwicklungsorientierung, kommunale Netzwerkarbeit sowie Qualität und Evaluation umfassen soll (vgl. Schubarth und Niproschke 2014, S. 22). Dominant ist in dem Diskurs jedoch der Ruf nach evidenzorientierter Kriminalprävention (vgl. z. B. Bubenitschek et al. 2014, S. 45). So sieht dann auch Steffen in einem programmatisch ausgerichteten Gutachten für den 19. Deutschen Präventionstag 2014, das Forderungen für die Präventionspraxis, -politik und -wissenschaft formuliert, den wesentlichen Beitrag der Wissenschaft in der Bereitstellung theoretischer und empirischer Erkenntnisse für eine evidenzbasierte Kriminalprävention (vgl. Steffen 2014, S. 69). „Evidenzbasiert heißt, dass Entscheidungen auf Grundlage empirischer Daten und daraus abgeleiteter Forschungsergebnisse getroffen werden“ (Armborst 2018, S. 6). Im Kern geht es darum, Präventionsarbeit zu steuern und zu legitimieren, also politische Steuerung, Praxis und Wissenschaft zu verbinden (vgl. Dollinger 2018, S. 187).

„Handlungsleitend für eine evidenzbasierte Prävention und Kontrolle von Kriminalität sind also Fragen wie: Welche Ansätze führen nachweislich zu einer Reduzierung von Kriminalität und verwandter Probleme? Wie belastbar, praxistauglich und aussagekräftig ist eine solche wissenschaftliche Erkenntnis? Wie können neue wissenschaftliche Erkenntnisse über Ursachen, Risiko- und Schutzfaktoren gegen Kriminalität für Politik und Praxis besser nutzbar gemacht werden?“ (Armborst 2019, S. 5).

„Evidenzbasierung sollte entsprechend als ein ‚realistisches‘, d. h. an tatsächlichen Lebensbedingungen ausgerichtetes und flexibles Konzept ausgelegt werden, das Raum für subjektive Sichtweisen zulässt. Maßnahmen werden in interpersonellen, ressourcenabhängigen Interaktionen realisiert, und diese Praxis bedarf des Wissens um empirische Befunde. Diese sind ein entscheidendes Korrekturmittel, um Eigensinnigkeiten politischen und professionellen Handelns konstruktiv zu wenden“ (Dollinger 2018, S. 198).

Wenn also in der deutschen Präventionslandschaft mehr Forschung gefordert wird, verbirgt sich hinter diesem Ruf Evaluationsforschung (vgl. Deutscher Präventionstag 2015, S. 8). Auch in der Polizei werden Evaluationen kriminalpräventiver Programme und Maßnahmen zur Qualitätssicherung und letztlich zur Legitimation dieser Arbeit durchgeführt (vgl. Dungs 2018; Mayer und Klotter 2018, S. 114). Diese Forschungsrichtung will Wissen über Präventionsarbeit erzeugen, auf der Praxisebene zur Reflexion anregen und Erkenntnisse über die Wirksamkeit dieser Arbeit prüfen. Im Mittelpunkt stehen Programme, Maßnahmen und Konzepte. So kommt z. B. Beelmann mit einer entwicklungspsychologischen Fundierung zu einem Modell der Evidenzbasierung von Präventionsmaßnahmen, das fünf Aspekte umfasst:

„(1) die Legitimation und Begründung einer Präventionsmaßnahme; (2) ihre veränderungstheoretische Fundierung; (3) die Programmtheorie oder die Begründung der Präventionsinhalte; (4) die Interventionstheorie oder Begründung des Durchführungskonzepts und schließlich (5) die empirische und praktische Bewährung“ (Beelmann 2018, S. 388).

Trotz aller methodischer Fortschritte und forschungsprogrammatischer Anregungen bleibt die evaluative Forschungspraxis dahinter zurück und liefert nur punktuelle empirische Erkenntnisse. Auf hinderliche Spannungsfelder und Interessenkonflikte zwischen Wissenschaft, Praxis und Politik in der Evaluationspraxis weisen Pniewski und Walsh (2018, S. 264 ff.) hin. Görgen et al. (2013) bilanzieren auf der Grundlage von Expertinnen- und Expertenbefragungen in ihrer kriminologischen Studie zu Perspektiven für die Prävention von Jugendkriminalität und Jugendgewalt, dass Prävention „zu selten durch evaluative Maßnahmen begleitet“ (Görgen et al. 2013, S. 124) wird. Für die polizeiliche Präventionsarbeit kommt Schilling (2020, S. 285 ff.) zu keinem anderen Ergebnis.

In einer quantitativen Studie untersucht Schwedes die Präventionslandschaft und fragt „nach schulformspezifischen, (über-)regionalen und lokalen Differenzierungen“ (Schwedes 2009, S. 13) der Prävention von abweichendem Verhalten. „Diesbezügliche Unterschiede werden insbesondere für drei Aspekte herausgearbeitet: die Ausprägung schulischer Präventionsarbeit, das als abweichend thematisierte Schülerverhalten und die Grundbedingungen des schulischen Alltags“ (Schwedes 2009, S. 13). Die Ergebnisse stützen sich primär auf die Befragung von Schulleitenden und Lehrkräften. Nach dem Befund ist Präventionsarbeit an Schulen von Nützlichkeitserwartungen getragen, basiert auf unterschiedlichen Wahrnehmungen sozialer Wirklichkeit, ist eine Antwort auf problematische Verhältnisse und orientiert sich nicht unbedingt an den Herausforderungen des schulischen Alltags (vgl. Schwedes 2009, S. 75 ff.). Die „Zusammenarbeit mit Schüler/-innen, Kolleg/-innen und außerschulischen Akteuren ist aus Sicht der Befragten entscheidend für eine positive Einschätzung von Präventionsarbeit“ (Schwedes 2009, S. 77).

Handlungsorientierungen professioneller Präventionsakteurinnen und -akteure rücken mit evaluationszentrierten Ansätzen und darüber hinausgehender Forschungspraxis nicht in das zentrale Blickfeld des Erkenntnisinteresses der kriminalpräventiven Forschung.Footnote 15 Diesem Befund stehen auch nicht die bereits erwähnten ethnografischen Studien von Scheffer et al. (2017) und Turba (2018) bzw. die Evaluationsstudie von Schilling (2020) entgegen (vgl. Abschnitt 3.1). Mit Interventionen im Bereich des Kinderschutzes sollen Kinder vor Gewalteinwirkungen geschützt werden, womit dann ein Beitrag zum Opferschutz geleistet wird (vgl. Turba 2018, S. 374). Scheffer et al. (2017) blicken aus soziologischer Perspektive auf die gesamte Bandbreite der primären polizeilichen Präventionsarbeit (also nicht nur auf die Arbeit mit jungen Menschen) in Großstädten und kommen zu dem Ergebnis, dass Kriminalprävention „angewandter Kommunitarismus“ (Scheffer 2018, S. 16) ist. Aber einzelne Arbeiten, wie die von Turba bzw. Scheffer et al. oder aber auch mit Einschränkungen die von Oechler (vgl. Abschnitt 3.1) führen zu empirischen Erkenntnissen über die polizeiliche Präventionsarbeit mit Kindern und Jugendlichen, stehen aber nicht ansatzweise für einen verstetigten wissenschaftlichen Diskurs.

Verkehrsunfallprävention

Die Frage nach Verkehrssicherheit stellt sich im Zusammenhang mit allen Verkehrsmitteln. Forschungsrelevant sind technische, bauliche, psychologische, medizinische oder sozialwissenschaftliche Aspekte. Der Bedarf an disziplinübergreifender Forschung ist unmittelbar offenkundig. Da sich Polizei in ihrer Arbeit mit Kindern und Jugendlichen primär mit den Gefahren des StraßenverkehrsFootnote 16 befasst, verengt sich der Fokus auf diese Verkehrsart und hinsichtlich des Erkenntnisinteresses auf die Arbeit von Verkehrssicherheitsberaterinnen und Verkehrssicherheitsberatern. Anders als die Kriminalprävention blickt die Verkehrs- bzw. Mobilitätserziehung auf eine lange (schul-)pädagogische Tradition zurück, die parallel mit der Entwicklung des motorisierten Straßenverkehrs begann (vgl. Raithel et al. 2007, S. 323 ff.). Die polizeiliche Verkehrsunfallpräventionsarbeit mit jungen Menschen ist primär auf Verhaltensprävention ausgerichtet. „Eine effiziente Verhaltensprävention setzt die Kenntnis der Ursachenfaktoren sicherheitsgefährdenden Verhaltens voraus“ (Glitsch 2014, S. 77).Footnote 17

Die Teilnahme am Straßenverkehr ist soziales Handeln im Straßenverkehrsraum, das erlernt werden muss, insbesondere, wenn dabei Verkehrsmittel genutzt werden. Daher erscheinen erziehungswissenschaftliche Erkenntnisse zur Verkehrs-/Mobilitätserziehung relevant, die aber nur sehr begrenzt vorhanden zu sein scheinen. So ist einer nicht ganz aktuellen Studie zur „Verkehrserziehung in der Sekundarstufe“ aus dem Jahr 2003 zu entnehmen, dass die Situation der schulischen Verkehrserziehung zuvor im Jahr 1980 empirisch analysiert wurde und in dem dazwischenliegenden Zeitraum von 20 Jahren kaum Veränderungen eingetreten sind (vgl. Weishaupt et al. 2004, S. 3). „Verkehrserziehung spielt im Denken vieler Lehrkräfte keine wesentliche Rolle, sie sollte Experten vorbehalten sein (Polizei usw.). Insbesondere ist das mangelnde Interesse von Lehrkräften der Sekundarstufe II an der Verkehrserziehung nicht zu übersehen“ (Weishaupt et al. 2004, S. 3). Deutlich mehr Interesse ist dagegen bei Erzieherinnen in Kindergärten und Lehrkräften in Grundschulen gegeben, so das Ergebnis einer vergleichbaren quantitativen Studie zur Verkehrserziehung im Elementar- und Primarbereich (vgl. Funk et al. 2013, S. 3). Das bedeutet allerdings nicht, dass keine Straßenverkehrssicherheitsforschung betrieben wird, wie eine Überblicksdarstellung von Funk (2013) zeigt. Ähnlich wie in der Kriminalprävention nimmt die Forschung die Bewertung von Maßnahmen und Programmen zur Verhütung von Verkehrsunfällen in den Blick. So untersuchte beispielsweise Vogelsberg (2008) den Einfluss spielerischer Lernsoftware auf Verkehrswissen, Gefahrenbewusstsein und Verkehrsverhalten. Asmus und Fuchs befassten sich mit der Wirkung einer Ausstellung zum Verkehrsunfalltod junger Menschen bei Jugendlichen (Asmus und Fuchs 2003).Footnote 18 Bezogen auf die Radfahrausbildung in Grundschulen, an deren Realisierung die Polizei einen großen Anteil hat, wurde einerseits untersucht „mit welchen Inhalten und Vorgehensweisen die heutige Radfahrerziehung in der Grundschule arbeitet. Andererseits war auch zu klären, wie sich individuelle Leistungsunterschiede und -schwächen von Kindern beim Beherrschen des Fahrrads empirisch erfassen lassen und von welchen individuellen, sozialen oder physischen Randmerkmalen sie vorrangig beeinflusst werden“ (Günther und Kraft 2015, S. 3). Grundlegendes Ziel der polizeilichen Verkehrssicherheitsarbeit ist die Reduktion der Verkehrsunfallzahlen und so steht bei der Analyse der eigenen Arbeit die Wirksamkeit der Verbundstrategie (Engineering, Education, Enforcement) mit Mittelpunkt des Erkenntnisinteresses (vgl. Günzel et al. 2009, S. 223 ff.).

Einleitend wurde angemerkt, dass Kriminal- und Verkehrsunfallprävention im Zusammenhang betrachtet werden können. Die Polizeipraxis sieht dieses Erfordernis, wenn z. B. jugendliches Risikoverhalten, der Konsum von Rauschmitteln und die Nutzung von Kraftfahrzeugen zusammentreffen (vgl. Günzel et al. 2009, S. 190 ff.). Korrelationen zwischen unterschiedlichen Delikten unter Berücksichtigung soziodemografischer Aspekte sind z. B. einer kriminologischen Untersuchung von Reiff (2015, S. 493 ff.) zu entnehmen.

Zusammenfassung

Mit Blick auf die für diese Untersuchung relevante Präventionsforschung in der Kriminal- und Verkehrsunfallprävention lässt sich eine Fokussierung auf Maßnahmen- bzw. Wirkungsorientierung festhalten. Die Perspektive der Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten auf ihre Arbeit wird dabei weitgehend außer Acht gelassen.Footnote 19

3.3 Pädagogische Professionalität

Die erziehungswissenschaftliche Erforschung pädagogischer Professionalität ist darauf angelegt, berufsbezogene soziale Tatsachen zu beschreiben, zu analysieren und nach bestimmten Kriterien unter Begriffen wie Profession oder Professionalität zusammenzufassen. Die Erforschung des Handelns von Polizeibediensteten findet je nach Erkenntnisinteresse punktuell in unterschiedlichen Wissenschaftsdisziplinen statt und die Bezeichnung Polizeiforschung markiert zumindest eine thematische Klammer. Die Frage nach der Charakterisierung der Berufsmäßigkeit polizeilichen Handelns wird von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern formuliert, die polizeibezogen arbeiten (siehe Abschnitt 3.4). Entsprechende Diskurse zur pädagogischen Professionalität bzw. Professionalisierung sind dagegen viel stärker ausgeprägt und bilden ein Forum zur Beschreibung und Analyse des Handelns von berufsmäßig handelnden Pädagoginnen und Pädagogen. Mit Blick auf Bildungsaspekte von Präventionsarbeit und damit verbundener pädagogischer Praxis bedarf es einer analytischen Betrachtung polizeilichen Handelns als berufsmäßig pädagogisches Handeln. Profession bzw. Professionalität gilt als Gütekriterium beruflichen Handelns, basierend auf wissensbasierter hochqualifizierter beruflicher Tätigkeit (vgl. Helsper und Tippelt 2011a, S. 275; Mieg 2016, S. 28). Ähnliche Argumentationsmuster, wenn auch nicht in gleicher Vielzahl und Differenziertheit, finden sich auch in dem entsprechenden polizeibezogenen Diskurs (vgl. Asmus 2011, S. 5 ff.; Groß und Schmidt 2011, S. 1; Strebling 2011, S. 29).

„Profession ist ein klassischer Begriff der Soziologie“ (Dick 2016, S. 19). Traditionell werden damit bestimmte Formen von Beruflichkeit erfasst. „Unter der Kategorie ,Professionʻ verstehen wir in Anlehnung an einschlägige Definitionen einen ,besonderenʻ, in der Regel akademischen Beruf, der eine aufwändige Sozialisation voraussetzt, eine starke innere Bindung einschließt, eine hochgradige Arbeitsteilung ausschließt und zumeist über die gesamte Berufsbiographie hinweg praktiziert wird“ (Nittel 2011, S. 42). Die Professionsforschung hat sich in den letzten Jahrzehnten von der Betrachtung bestimmter Berufsgruppen abgewandt (vgl. Helsper und Tippelt 2011a, S. 272). Der Begriff Professionalität erfasst, anders als der Begriff Profession keinen bestimmten Status, sondern die Ausprägung von Professionalitätsmerkmalen. In den letzten Jahrzehnten verlagerte sich der Forschungsfokus „von der Profession als statischer, sozialstruktureller und funktionaler Größe hin zum professionellen Handeln als der dynamischen, prozessualen und akteursgebundenen Seite von Professionalität“ (vgl. Schmidt 2008, S. 843). „Die Pädagogik stellt den Fall- und Interaktionsbezug heraus und befasst sich intensiv mit der Bestimmung pädagogischer Professionalität“ (Dick 2016, S. 19 mit Hinweis auf Combe und Helsper 1996, Nittel 2000, Helsper und Tippelt 2011). Pädagogisches Handeln umfasst eine nicht abschließend explizierbare Anzahl von Formen (siehe Abschnitt 2.4), dazu gehören auf alle Fälle Aktivitäten wie Informieren, Beraten, Betreuen, Unterrichten, Arrangieren, Erziehen, Zeigen usw. (vgl. Giesecke 2015, S. 72 ff.; Prange und Strobel-Eisele 2015, S. 37 ff.).

Im beruflichen Kontext ist dieses Handeln typischerweise insbesondere von folgenden Merkmalen und Rahmenbedingungen geprägt: auf Lernen ausgerichtete Arbeitsbeziehung, Förderung der autonomen Lebensbewältigung, Anerkennung, Handeln in einem geschützten Raum, Temporalisierung, Qualifikation, entgeltliches Beschäftigungsverhältnis, institutionelle Arrangements und kollektive pädagogische Identität (vgl. Brade 2009, 36 f.; Nittel 2011, S. 52 ff.). Blickt man auf die pädagogische Professionsforschung, so lassen sich kompetenzbezogene und strukturbezogene Diskurslinien erkennen (vgl. Helsper und Tippelt 2011a). Die Bedeutung von Wissen und Können sowie die Relevanz von Normativität im gesellschaftlichen Kontext stehen im Mittelpunkt der kompetenztheoretischen Professionsforschung (vgl. Helsper und Tippelt 2011a, 272 f.) die sich bisher am intensivsten mit schulischen Lehrpersonen (vgl. Terhart 2002; Baumert und Kunter 2006, S. 505 ff.) sowie Akteurinnen und Akteuren der Sozialen Arbeit (vgl. Thole 2016) befasst haben. Aus dieser Perspektive beschreibt Professionalität „den Stand der fachlichen Entwicklung der Mitarbeiter in einem beruflichen Segment“ (Thole 2016, S. 522).

Die Polizei tritt in der Präventionsarbeit aus ihren historisch angestammten Handlungsfeldern der Gefahrenabwehr und Strafverfolgung heraus und begibt sich in pädagogische Settings. Es darf daher angenommen werden, dass insbesondere strukturbezogene Erklärungsansätze für diese Forschungsarbeit von Bedeutung sein können. „Professionelles Handeln ist durch grundlegende Spannungen gekennzeichnet“ (Helsper 2016, S. 50). Dieser Befund ist professionalitätsübergreifend und nicht nur im pädagogischen Kontext von Bedeutung. Zur Erforschung handlungsspezifischer AporienFootnote 20 sind diese Erklärungsansätze daher geeignet, sowohl polizeiliche als auch pädagogische Professionalität zu erfassen. Sie lassen für diese Untersuchung eine ausreichend weite theoretische Reflexionsfläche erwarten.

Aus dem Bereich des strukturtheoretischen ProfessionalitätsdiskursesFootnote 21 befasst sich die systemtheoretische Perspektive mit Paradoxien des professionellen Handelns. So sind z. B. die Wirkungen der pädagogischen Kommunikation nicht einseitig durch Lehrpersonen steuerbar. Es besteht die Möglichkeit, dass sich Interaktionspartnerinnen und Interaktionspartner nicht auf die Lernangebote einlassen, sondern sich Erziehungsintentionen widersetzen und daher z. B. Ungewissheit ein Strukturelement pädagogischen Handelns ist. Paradoxien können aber auch erst durch Beobachtungen zweiter Ordnung entdeckt werden, wie z. B. schulische Differenzierungsmechanismen, die Gleichheit und Ungleichheit einer bestimmten Systemlogik unterwerfen (vgl. Helsper 2016, S. 52 f.).

Damit verbunden sind Entscheidungszwänge und Begründungspflichten vor dem Hintergrund unsicherer, unvollständiger Erkenntnisse (vgl. Helsper 2016, S. 51). Schütze (1996, 2000) konzentriert sich auf Paradoxien im pädagogischen Handeln. „Interaktionstheoretische Positionen heben die fragile und störanfällige Situierung des professionellen Handelns hervor“ (Helsper 2016, S. 51). Weitere Spannungsfelder entstehen durch das Handeln in institutionellen Rahmungen. Professionell Handelnde sind in organisationale und gesellschaftliche Strukturen eingebunden, die einerseits professionelles Handeln ermöglichen, andererseits jedoch regulierend und ggf. stark kontrollierend eingreifen (vgl. Schütze 1996, S. 185). Dieser Befund ist gerade für diese Untersuchung von Bedeutung. Durch ihr augenfälliges Machtinstrumentarium ist die Zugehörigkeit der Polizei zum Kernbereich staatlicher Hoheitsgewalt offenkundig. Dagegen verschleiern Autonomieansprüche von schulischen Lehrpersonen sowie Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern die Gebundenheit an staatliche Aufträge (vgl. Schütze 1996, S. 243). Gemeinsames charakteristisches Merkmal strukturbezogener Professionalitätstheorien ist die Herausarbeitung von Aporien. Eben diese Spannungen entstehen durch Asymmetrien in der Interaktion, in den Arbeitsbeziehungen, durch ein pädagogisches Technologiedefizit sowie durch eine Begründungs- und Legitimationsverpflichtung (vgl. Schütze 1996, S. 183 ff.; Helsper 2010, S. 18 f.). „Während in den klassischen Dienstleistungen der Klient von einer Mitwirkung sozusagen weitestgehend entlastet und entbunden wird, beruht das professionelle pädagogische Handeln auf der unumgänglichen freiwilligen Mitwirkung des Klienten“ (Brade 2009, S. 32, mit Hinweis auf Koring 1996, S. 333).Weiterhin sind für die pädagogische Professionalität eine hohe Qualifikation, eine kollektive Identität und eine ausgeprägte Reflexionsfähigkeit von Bedeutung (vgl. Schütze 1996, S. 183 ff.; Helsper und Tippelt 2011a, 272, 278; Nittel 2011, S. 55).Footnote 22

Die wissenschaftliche Befassung mit Fragen von Professionalität bzw. pädagogischer Professionalität hat bisher vielfältige Ergebnisse hervorgebracht (vgl. z. B. jeweils im Überblick Dick et al. 2016; Helsper 2021, S. 242 ff.). Wenn nach Professionalität gefragt wird, rücken die Modalitäten der Berufsausübung ins Zentrum des Forschungsinteresses. Erkenntnisreich erwiesen sich qualitativ-rekonstruktive Studien mit denen die Handlungspraxis von Pädagoginnen und Pädagogen emergiert werden konnte. Exemplarisch sei auf die Arbeiten zu Akteurinnen und Akteuren in der Elementarpädagogik von Nentwig-Gesemann (1999), in der Erwachsenenbildung von Franz (2016) sowie in der Lehramtsausbildung von Wiernik (2020) hingewiesen.Footnote 23 In diesen Arbeiten wurden mittels Gruppendiskussionen oder narrativen Interviews erhobene Daten mit Hilfe der Dokumentarischen Methode ausgewertet. Emergierte professionsbezogene Handlungsorientierungen ließen u. a. auch immer Spannungsfelder erkennen, in denen Pädagoginnen und Pädagogen handeln. So dokumentierte sich beispielsweise bei Erzieherinnen eine große Spannbreite des Umgangs mit programmatischen Vorgaben der DDR-Krippenpädagogik (vgl. Nentwig-Gesemann 2006, S. 190). In ihrer Untersuchung zu Zusammenhängen zwischen pädagogischem Handeln und organisationalem Kontext, deuteten sich Spannungsfelder zwischen pädagogischer Autonomie und der Heteronomie des Marktes an (vgl. Franz 2017, S. 178). Wiernik arbeitete wiederum die Gleichzeitigkeit unterschiedlicher Anforderungen und Zieldimensionen heraus, die Seminarleitende in der Lehramtsausbildung balancieren müssen (vgl. Wiernik 2020, S. 138 ff.). Diese Befunde weisen nicht nur auf eine konstitutive Bedeutung von Aporien für professionelles pädagogisches Handeln hin, sondern zeigen auch deren Relevanz in unterschiedlichen pädagogischen Kontexten.

Zusammenfassung

Die Erziehungswissenschaft hat sich in vergangen Jahrzehnten intensiv mit der Professionalität von Pädagoginnen und Pädagogen befasst. Neben der kompetenzbezogenen Forschung hat sich ein strukturtheoretischer Theoriezweig entwickelt, der sich dem Umgang mit Kontingenz und widersprüchlichen Anforderungen in pädagogischen Settings widmet. Die bisherige empirische Forschung zeigt, dass sich mit qualitativ-rekonstruktiven Forschungsdesigns grundlegende Erkenntnisse zur beruflichen Praxis und damit zur Professionalität von Pädagoginnen und Pädagogen gewinnen lassen. In dieser Untersuchung ist zu erwarten, dass in der polizeilichen Präventionsarbeit Aporien sichtbar werden, die dann im Lichte entsprechender professionalitätstheoretischer Erkenntnisse betrachtet werden können. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass die pädagogische Professionalitätstheorie nur genuin pädagogische Akteurinnen und Akteure im Blick hat.

3.4 Polizeiliche Professionalität

Gemessen an dem erziehungswissenschaftlichen Professions- bzw. Professionalitätsdiskurs (siehe Abschnitt 3.3) sind es nur einzelne Stimmen, die sich explizit mit entsprechenden Fragen bezogen auf die Polizei beschäftigen. Der Ausgangspunkt ist jedoch ein ähnlicher wie bei der Beschreibung pädagogischer Professionalität. Entlang traditioneller Professionsmerkmale wird geprüft, ob polizeiliches Handeln mit diesen Kriterien in Beziehung gebracht werden kann. Asmus (2011) weist darauf hin, dass die Professionalisierbarkeit der Polizei nicht summarisch beantwortet werden kann, sondern die unterschiedlichen polizeilichen Tätigkeitsfelder separat betrachtet werden müssen (vgl. Asmus 2011, S. 19). Je mehr Qualifizierung der Arbeit und Akademisierung der Ausbildung erfolgt (vgl. Kirchhoff 2011, S. 88 f.; Mensching 2011, S. 65 ff.), desto näher rückt Polizeiarbeit in Richtung Professionalität. Asmus (vgl. 2011, S. 19 f.) sieht Professionalitätsmerkmale im Ermessenspielraum des Handelns, im Bereich von Expertise (z. B. hochqualifizierte Ermittlungspersonen im Bereich der Wirtschaftskriminalität) oder überhaupt in der Arbeit der Kriminalpolizei, deren Handlungsstruktur einer wissenschaftliche Methodik zugrunde liegt.

Publikationen, die sich mit der Begründung oder Entwicklung einer polizeilichen Profession befassen (vgl. z. B. Behr 2004, S. 148 ff.), erwecken den Eindruck auf bestimmte Eigenschaften von Polizistinnen und Polizisten bzw. Merkmale ihrer Arbeit ausgerichtet zu sein. Für eine Handlungstheorie reicht es jedoch nicht aus, statusbezogene Fragen zu klären, insofern sind die bisherigen Ansätze eines polizeilichen Professionsdiskurses von begrenzter Reichweite. Handeln in der Polizei wird, anders als in der Erziehungswissenschaft, nicht primär unter dem Label Professionalität geführt. Fragen nach Rolle und Selbstverständnis werden eher bezogen auf Funktionsgruppen geführt. Gemessen am Ausmaß von Theorieanbindung und theoretischer Reflexion hat das Thema Führung eine gewisse Prominenz (vgl. Barthel und Heidemann 2017a, 2017b) und erfüllt bezogen auf Rollenbeschreibung, Selbstverständnis und Statuszuweisung ähnliche Funktionen wie der Professionsdiskurs in der Erziehungswissenschaft. Darüber hinaus werden zur beruflichen Standortbestimmung die Rolle der Polizei in der Gesellschaft (z. B. Grunau 2005; Schöne 2014; Schulte 2017; Hamm und Sander 2018), die Organisationskulturen bzw. die polizeiliche Binnenperspektive (z. B. Schiewek 2006; Bosold 2007; Dübbers 2016; Vera und Jablonowski 2017) oder, wie in dieser Forschungsarbeit, spezifische Handlungspraktiken untersucht (vgl. Abschnitt 3.1). Wegen des Erkenntnisinteresses dieser Arbeit soll allerdings nicht unerwähnt bleiben, dass Asmus (vgl. 2011, S. 17) auf das strukturtheoretische Problem präventiver Polizeiarbeit aufmerksam macht, da repressive Polizei und präventiv helfende Polizei unweigerlich zu Rollenkonflikten führen. Die professionellen Potenziale sieht er in einer Arbeitsbeziehung zwischen Polizistinnen und Polizisten und Jugendlichen in Klientenbeziehungen, die auch in repressionsfreier Präventionsarbeit entstehen können (vgl. Asmus 2011, 13–17).

Mit der Einführung des Professionalitätsbegriffs wird der Fokus auf berufsmäßiges Handeln verengt. Polizeiliche Professionalität ist untrennbar mit der entsprechenden Amtsträgereigenschaft und der damit einhergehenden Berechtigung zur Ausübung legitimer staatlicher Gewalt verbunden. In pädagogischen Arbeitsfeldern existiert keine vergleichbare Lizensierung pädagogischen Handelns. Für diese Untersuchung ist das Handeln von Akteurinnen und Akteuren in pädagogischen Settings von Bedeutung, die aus nicht-pädagogischen Berufen stammen. Erkenntnisse dazu sind rar und erhalten allenfalls über die schulpädagogischen Kooperationsforschung in pädagogische Diskurse Einzug (vgl. z. B. Eich und Kepura i. E.).

Zusammenfassung

Die Theoriebildung zum Handeln von Pädagoginnen und Pädagogen versammelt sich unter den Begriffen Profession und Professionalität. In der Polizeiforschung wurde in den letzten Jahren zumindest ansatzweise die Frage polizeilicher Professionalität diskutiert.

Polizei handelt in der Präventionsarbeit in Situationen bzw. in Handlungsfeldern, in denen Pädagoginnen und Pädagogen sowie andere gesellschaftliche Akteurinnen und Akteure aktiv sind. Daraus folgt die Relevanz dieses Forschungsstandes für diese Untersuchung. Es mag dahingestellt bleiben, ob sich das genuin polizeiliche Handeln im Allgemeinen und die polizeiliche Präventionsarbeit im Besonderen als Profession beschreiben lassen. Vor dem Hintergrund klassischer ProfessionsmerkmaleFootnote 24 ist das eher unwahrscheinlich. Bedeutsam ist die Frage nach Professionalität, weil sich damit die Theoriebildung zu pädagogisch Handelnden verbindet.

3.5 Forschungsdesiderat

Für die Markierung des Forschungsstandes zur polizeilichen Präventionsarbeit wurde ein weiter Rahmen aufgespannt. Die Polizeiforschung befasst sich in den letzten Jahrzehnten zunehmend methodisch fundierter mit polizeilichen BinnenperspektivenFootnote 25, wie Organisationskulturen und handlungsleitenden Orientierungen von Polizistinnen und Polizisten. Die empirische Polizeiforschung konnte bisher noch kein umfassendes Bild polizeilichen Handelns zeichnen, geschweige denn eine polizeiliche Handlungstheorie entwickeln. Die Komplexität des polizeilichen Handelns und die Diversität der polizeilichen Aufgaben lassen entsprechende Ergebnisse auch nicht zeitnah erwarten. Vielmehr scheint, mangels einer Polizeitheorie, ein interdisziplinärer Zugang zweckmäßig zu sein, um polizeiliche Arbeit zu erforschen. Das gilt umso mehr, wenn, wie in der Präventionsarbeit, der genuin polizeiliche Kernbereich verlassen wird.

Mit Blick auf die Entwicklung junger Menschen eröffnet sich mit Lernen, Erziehung, Beratung und Hilfe als Merkmale von Präventionsarbeit zwangsläufig ein pädagogischer bzw. sozialpädagogischer Horizont. Pädagogische Professionalitätstheorie liefert Erkenntnisse über die Bedingungen pädagogischen Handelns, aber eben explizit nur für Angehörige der pädagogischen Community. Auf Akteurinnen und Akteuren, die nicht Teil von Bildungseinrichtungen oder Kinder- und Jugendhilfesystemen sind, kann nicht ohne weitere Prüfung eine Übertragung erfolgen. Bleibt noch ein Blick auf die Präventionsforschung, die sich sowohl in der Kriminal- als auch in der Verkehrsunfallprävention den Wirksamkeitsfragen verschrieben hat. Im Mittelpunkt steht die maßnahmenbezogene Frage: Was wirkt wie? Die handelnden Personen in der Präventionsarbeit werden hingegen weniger beachtet. Wer wirkt wie? Diese Frage tritt dann in den Hintergrund. Diese drei Näherungen – Polizei-, Präventions- und Professionsforschung – lassen die Größe der Forschungslücke erkennen, die zu Handelnden in der Präventionsarbeit und mithin zu Handelnden in der polizeilichen Präventionsarbeit besteht. Dieses Desiderat gilt es zu verkleinern und die Frage zu beantworten, welche Orientierungen von Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten in der Präventionsarbeit mit Kindern und Jugendlichen handlungsleitend sind. Ziel dieser Untersuchung ist es, entsprechende Orientierungsmuster zu rekonstruieren und erziehungswissenschaftliche Diskurse anzureichern.