Die vorliegende Studie untersucht, wie sich die FMS Gesundheit neben der BGB FaGe als Gesundheitsausbildung auf der Sekundarstufe II positioniert(e) (Hauptfrage 1) und über welche Ausbildungsspezifika sich die FMS Gesundheit heute im Vergleich zur BGB FaGe profiliert (Hauptfrage 2). Im Folgenden wird aufgezeigt, wie die Theorieperspektive an das Datenmaterial herangetragen wurde, d. h., mit welchen Forschungsstrategien die theoretisch formulierten Forschungsfragen methodisch erhoben wurden (Diaz-Bone 2010, 2018a; Yin 2009). Die EC kennt hierfür keinen festen Kanon geeigneter Forschungs- und Auswertungsstrategien, sondern «verschiedene mögliche Sets kompatibler Instrumente […], die geeignet sind, die Theoriegrundlage in eine kohärente Forschungspraxis zu übersetzen» (Diaz-Bone 2018a, S. 369).

4.1 Methodologische Grundlagen

Der konventionensoziologische Anspruch, die zu untersuchende Situation stets aus Sicht involvierter Akteurinnen und Akteure zu verstehen (Diaz-Bone 2018a), impliziert für die empirische Analyse insbesondere zwei Aspekte: Zum einen wird die zu untersuchende Situation, die darin bestehende Pluralität an Konventionen, die daraus resultierenden Konfliktlinien sowie eingegangene Kompromisse aus Sicht der Akteurinnen und Akteure rekonstruiert (Diaz-Bone 2018a). Zum anderen wird die Definition der zu untersuchenden Situation und derer Elemente nicht vorab durch den Forscher bzw. die Forscherin festgelegt, sondern vielmehr situativ den Akteurinnen und Akteuren überlassen. Diese können z. B. Objekte und kognitive Formate in die zu untersuchende Situation einbringen und diese Elemente damit als situationsrelevant definieren (Hedtke et al. 2019). Zum Beispiel werden kantonale und nationale Diskurse «so lange zurückgestellt, bis Akteure oder Objekte in den beobachteten Situationen etwas als ‹national› markieren» (Hedtke et al. 2019, S. 284). Die Akteurinnen und Akteure selbst, nicht der Forscher bzw. die Forscherin, bestimmen dadurch die räumlich-zeitliche Ausdehnung der Situation (Dodier 2011; Hedtke et al. 2019). Die Definition der in der Studie zu untersuchenden Situation ist entsprechend einer pragmatischen Herangehensweise folgend Ergebnis einer «Ko-Konstruktion zwischen Forschungsinteresse und Untersuchungsgegenstand» (Vogel 2019, S. 127). Erste Sondierungsgespräche und Dokumentenanalysen ergaben z. B., dass es relevant ist, die Bedeutung der FMS Gesundheit im Vergleich zur BGB FaGe auch aus einer historischen Perspektive zu betrachten. Denn das Verständnis gegenwärtiger Dynamiken, Kritiken und Spannungsfelder zwischen den beiden Ausbildungsprogrammen erfordert, «die konfliktgeladene Dynamik zu rekonstruieren, die zu diesen Situationen geführt hat» (Barthe et al. 2016, S. 209), um auf diese Weise die Gegenwart über die Vergangenheit zu verstehen.Footnote 1 Die Freilegung bedeutender historischer Dynamiken und konfliktartiger Konstellationen zwischen den beiden Ausbildungsprogrammen sowie die Einbettung in den Gesamtkontext stellten sich mit Blick auf eine erhöhte Sensibilität sowie Nachvollziehbarkeit gegenwärtiger Situationskonstellationen als gewinnbringend heraus.

Der Fokus der Studie ist durchgehend auf Situationen gerichtet, in denen die Stimmigkeit infrage gestellt war bzw. ist. Denn Wertigkeiten, die den Ausbildungsprogrammen aus Sicht unterschiedlicher Akteurinnen und Akteure beigemessen werden, sind in solchen «Critical Moments» (Boltanski und Thévenot 1999, S. 359) besonders gut empirisch beobachtbar (Boltanski und Thévenot 2011; Diaz-Bone 2009; Wagner 2004). Die in der Studie untersuchten Situationen sind entsprechend i. w. S. als eine Kette miteinander über die Elemente der Infragestellung und Kritik verknüpfter Critical Moments («verkettete Situationen» [Diaz-Bone 2017a, S. 85]) im Zeitraum zwischen 1990 und 2019 zu verstehen. Tab. 4.1 hält die Critical Moments, die in die vorliegende Studie eingeflossen sind und die untersuchten Situationen konstituieren, im Überblick fest.

Tab. 4.1 Die untersuchten Critical Moments im Zeitraum von 1990 bis 2019; eigene DarstellungFootnote

Die Vernehmlassung ist eine «Phase des Vorverfahrens der Gesetzgebung […], in der Vorhaben des Bundes auf ihre sachliche Richtigkeit, Vollzugstauglichkeit und Akzeptanz hin geprüft werden. Zu diesem Zweck können Kantone, die in der Bundesversammlung vertretenen Parteien, die Dachverbände der Gemeinden, Städte und Berggebiete, die Dachverbände der Wirtschaft sowie weitere, im Einzelfall interessierte Kreise zur Vorlage Stellung nehmen» (https://www.parlament.ch/de/über-das-parlament/parlamentswörterbuch/parlamentswörterbuch-detail?WordId=225, letzter Aufruf 01. Juli 2020). Vernehmlassungen und die entsprechenden Stellungnahmen haben sich u. a. als geeignet erwiesen, um die die Argumentationen der Akteure fundierenden Konventionen zu rekonstruieren.

Footnote

Motionen sind ein politisches Instrument, mit dem «der Bundesrat den Auftrag [erhält], einen Entwurf zu einem Erlass der Bundesversammlung vorzulegen oder eine Maßnahme zu treffen» (https://www.parlament.ch/de/%C3%BCber-das-parlament/parlamentsw%C3%B6rterbuch/parlamentsw%C3%B6rterbuch-detail?WordId=146, letzter Aufruf 01. Juli 2020).

Footnote

Anhörungen werden zur Prüfung der sachlichen Richtigkeit, der Vollzugstauglichkeit und der Akzeptanz einer Vorlage, die von geringerer Tragweite ist als im Falle einer Vernehmlassung, durchgeführt. Aufgrund der geringeren Tragweite des Gegenstandes des Anhörungsverfahrens wird auch der Kreis der involvierten Adressaten kleiner gehalten als bei einer Vernehmlassung (https://www.admin.ch/ch/d/gg/pc/index.html, letzter Aufruf 01. Juli 2020).

Der Vergleich ist eine zentrale methodische Strategie dieser Studie, die die unterschiedlichen Logiken der Bewertung und Qualitätszuschreibung in Bezug auf Ausbildungsprogramme sichtbar macht und deren Kontingenz aufzeigt (Diaz-Bone 2015; Gonon 2015; Kiener 2016; Vogel 2019). Kombiniert wird ein diachron- und ein synchron-vergleichender Zugang (Diaz-Bone 2015): Die Frage, wie sich die FMS als funktional anschlussäquivalentes Ausbildungsprogramm neben der BGB FaGe auf der Sekundarstufe II positioniert(e), wird aus einer diachron-vergleichenden Perspektive untersucht. Dies ermöglicht es insbesondere Transformations- bzw. Wandlungsprozesse herauszuarbeiten, was mit Blick auf die Rekonstruktion und den Wandel dominanter Konventionen bedeutsam ist (Diaz-Bone 2015). Die Frage nach der Profilierung der FMS Gesundheit im Vergleich zur BGB FaGe wird hingegen mithilfe kantonaler Fallstudien aus einer synchron-vergleichenden Perspektive untersucht. Die in dieser Arbeit eingenommene vergleichende Perspektive ist in dreierlei Hinsicht als «intersituationale[s] Vergleichen» (Hedtke et al. 2019, S. 284) zu verstehen: Erstens wird ein Vergleich zwischen den beiden Ausbildungssituationen der FMS Gesundheit und der BGB FaGe angestellt. Zweitens werden die untersuchten Ausbildungssituationen der FMS Gesundheit in unterschiedlichen Kantonen miteinander verglichen, was drittens zugleich einen sprachregionalen Vergleich zwischen diesen Ausbildungssituationen impliziert (Diaz-Bone 2018a; Hedtke et al. 2019).

4.2 Forschungsdesign

4.2.1 Daten- und Methodentriangulation

Der Forschungsgegenstand wurde trianguliert, d. h. durch den Einbezug sowohl verschiedener Datenquellen und -arten als auch mehrerer methodischer Zugänge bearbeitet (Flick 2011, 2012; Kelle 2017; Muri 2014; Pickel 2009; Wiezorek und Fritzsche 2010). Die gewählten qualitativen methodischen Zugänge (Dokumentenanalyse, Experteninterviews und Beobachtungen) wurden i. S. eines Mixed-Methods-Designs um ein deskriptiv-statistisches quantitatives Vorgehen ergänzt (Baur et al. 2017; Flick 2011, 2012; Kelle 2017; Pickel 2009). Die qualitative und die quantitative Perspektive wurden zunächst separat voneinander verfolgt und erst auf der Ebene der erzielten Ergebnisse zu einem komplementären Gesamtbild verknüpft (Kelle und Erzberger 2012; Pickel 2009; Wiezorek und Fritzsche 2010). Das Ziel eines triangulierten Vorgehens ist es, «das interessierende Phänomen in seiner Vielschichtigkeit aus unterschiedlichen Perspektiven [zu] erfassen» (Flick 2011, S. 43), wodurch die Analyse so valide wie möglich wird (Weitkämper 2016). Obwohl gegenwärtig eine «Forderung nach ‹Methodenpluralismus›» (Pickel 2009, S. 517) festzustellen ist, sollte ein trianguliertes Vorgehen kein Selbstzweck sein. Vielmehr sollte es nur dann gewählt werden, wenn darüber komplementäre Ergebnisse erzielt werden, d. h. einander ergänzende Ergebnisse, die «ein breiteres, umfassenderes oder ggf. vollständigeres Bild des untersuchten Gegenstandes liefern» (Flick 2011, S. 49), sodass «der erwartbare Erkenntnisgewinn systematisch erweitert ist gegenüber der Einzelmethode» (Flick 2011, S. 49). Der Forschungsgegenstand wird demnach durch die gewählte Methode in einem bestimmten Ausmaß mitkonstruiert, weshalb eine theoretisch-methodologisch fundierte Legitimation des triangulierten Vorgehens unerlässlich ist (Flick 2011). In Abschn. 4.3 werden die einzelnen methodischen Zugänge sowie der dadurch erzielte zusätzliche Erkenntnisgewinn dargelegt. Zudem wird deren Verwendung theoretisch-methodologisch begründet.

Um die Hauptfrage 1 nach der Positionierung der FMS Gesundheit neben der BGB FaGe auf der Sekundarstufe II des Schweizer Bildungssystems zu untersuchen, wurde ausgehend von einem schmalen Forschungsstand eine erste Dokumentenanalyse durchgeführt mit dem Ziel, einen Überblick über den Forschungsgegenstand zu gewinnen. Parallel dazu wurden erste Sondierungsgespräche mit Akteurinnen und Akteuren, die mit dem Forschungsgegenstand vertraut sind, u. a. Vertreter/-innen der Bildungsverwaltung, der FMS, der BGB FaGe sowie Expertinnen und Experten für Berufsbildung und Sekundarstufe II, geführt. Diese Sondierungsgespräche erfolgten in unterschiedlichen Kantonen und Sprachregionen, um eine breite und auch sprachregional sensibilisierte Perspektive auf den Forschungsgegenstand zu erhalten, die Forschungsfragen einzugrenzen sowie die zu untersuchenden Situationen grob zu definieren. Der Einbezug statistischer Daten erlaubte es zudem, die Positionierung der FMS Gesundheit im Vergleich zur BGB FaGe aus einer quantitativen Perspektive zu betrachten.

Die Hauptfrage 2 nach der Profilierung der FMS Gesundheit im Vergleich zur BGB FaGe wurde mittels dreier verschiedener, ausschließlich qualitativer methodischer Zugänge – Dokumentenanalysen, Experteninterviews sowie Beobachtungen – untersucht. Das Ziel dabei war, «systematisch unterschiedliche Perspektiven zu verbinden und unterschiedliche Aspekte des untersuchten Gegenstandes zu thematisieren» (Flick 2011, S. 23). Dadurch wird die interpretative Basis verdichtet und vertieft, was zu einer «Verbreiterung der Erkenntnismöglichkeiten» (Flick 2011, S. 19) beiträgt. An dieser Stelle ist eingrenzend anzufügen, dass sich die Analyse der Profile der beiden Ausbildungsprogramme auf Teilbereiche der beiden Curricula beschränkt: Für die FMS Gesundheit ist dies der berufsfeldspezifische Unterricht, für die BGB FaGe der Berufskundeunterricht. Dies bedeutet, dass erstens die praktischen Ausbildungsbestandteile (der betriebliche Lernort für die BGB FaGe und das Fachmaturitätspraktikum für die FMS Gesundheit), zweitens für die BGB FaGe die überbetrieblichen Kurse sowie drittens der allgemeinbildende Unterricht in beiden Ausbildungsprogrammen grundsätzlich nicht bzw. nur punktuell in die Analyse eingeflossen sind. Ausgewertet wurden die aus den qualitativen Erhebungszugängen generierten Daten mithilfe einer theoriegeleiteten qualitativen Inhaltsanalyse, die durch argumentationstheoretische Strategien ergänzt wurde. Tab. 4.2 zeigt das Forschungsdesign dieser Studie im Überblick.

Tab. 4.2 Übersicht über das Forschungsdesign; eigene Darstellung

4.2.2 Fallstudiendesign

Die vergleichende Untersuchung der Profilierung der FMS Gesundheit und der BGB FaGe (Hauptfrage 2) erfolgt mittels eines Fallstudiendesigns. Den Ausschlag für dieses Vorgehen gaben die folgenden drei Gründe (Yin 2009): Mit ihrem Fokus auf Wie- und Warum-Fragen streben Fallstudien erstens die sozialwissenschaftliche Erklärung komplexer, in ihre Umwelt eingebetteter Phänomene an (Yin 2009), was den konventionensoziologisch-methodologischen Überlegungen sowie dem erklärenden Anspruch der EC gerecht wird. Zweitens sind Fallstudien deshalb ein adäquates Forschungsdesign für die Untersuchung der Profilierung der FMS Gesundheit im Vergleich zur BGB FaGe, weil der Forschungsprozess nicht als linearer, sondern veränderbarer und neu ausrichtbarer Vorgang verstanden wird. Drittens sind Fallstudien bezüglich unterschiedlicher methodischer Zugänge offen, flexibel und damit multiperspektivisch (Gerring 2007; Pflüger et al. 2017; Snow und Trom 2002; Yin 2009), was es ermöglicht, die konventionensoziologisch-pragmatische Perspektive einzunehmen.Footnote 5

Die Ergebnisse aus den Fallstudien wurden überwiegend nicht entlang der einzelnen Fälle strukturiert, sondern in Anlehnung an Robert Yin (2009) als Synthese in den nach Teilfragen gegliederten Kapiteln fallübergreifend zusammengeführt. Aspekte, die bedeutende Unterschiede zwischen den Fällen betonen, wurden im Text aufgegriffen und ausgeführt. Verschriftliche Einzelfallanalysen dienten dabei als Ausgangspunkte bzw. fungierten als Basis der Evidenz (Yin 2009). Mehrfachnennungen und Wiederholungen konnten durch diese Form der Ergebnisdarstellung weitestgehend vermieden werden. Dieses Vorgehen ermöglicht zudem sowohl einen Gesamteindruck der beiden Ausbildungssituationen als auch einen unmittelbaren Vergleich der untersuchten Qualitätsdimensionen beider Ausbildungsprofile.

4.2.3 Fallauswahl

Die Untersuchung der Hauptfrage nach der Profilierung der beiden Ausbildungsprogramme erfolgt gemäß einem synchron-vergleichenden multiplen Fallstudiendesign (Diaz-Bone 2015; Gerring 2007; Yin 2009). Die Grundlage des Samplingverfahrens ist eine theoriegeleitete, kontrastive Auswahl, was für die Validität der Forschungsergebnisse bedeutsam ist (Yin 2009). Im Ergebnis wurden vier Kantone als Fälle ausgewählt, die drei unterschiedliche Sprachregionen (deutsche, französische und italienische Schweiz) repräsentieren. Die untersuchten Kantone interessieren nicht per se, sondern als stellvertretende bzw. exemplarische Fälle bestimmter theoriegeleiteter, struktureller Typologien. Die Ergebnisse der kantonalen Fallanalysen werden entsprechend an diese theoriegeleiteten Kriterien der Fallauswahl zurückgebunden und vor diesem Hintergrund reflektiert.

Im Folgenden werden, die der Fallauswahl zugrundeliegenden theoretischen Überlegungen und Kriterien erläutert. Zum Schluss dieses Kapitels weist Tab. 4.4 die vier ausgewählten Fälle entlang der definierten Kriterien im Überblick aus.

Angebot der Ausbildungsprogramme

Ein grundlegendes Kriterium der Fallauswahl ist das bestehende Angebot der FMS Gesundheit und der BGB FaGe. In zu Beginn geführten Sondierungsgesprächen wurde von den Akteurinnen und Akteuren zudem wiederholt auf eine zunehmend naturwissenschaftlichere Ausrichtung der FMS Gesundheit verwiesen. Um diese national festzustellende Dynamik in der Studie berücksichtigen zu können, wurde bewusst ein Fall in die Auswahl eingeschlossen, in dem das kombinierte Berufsfeld Gesundheit/Naturwissenschaften an der FMS angeboten wird. Für den Vergleich der praktischen Unterrichtsbestandteile zwischen FMS Gesundheit und BGB FaGe sollte die Fallauswahl zudem sowohl das duale als auch das schulische Ausbildungsmodell der BGB FaGe abdecken. Dies ist durch die Hypothese begründet, dass die Wissensvermittlung praktischer Wissensformen in der schulisch organisierten BGB FaGe einen Mittelweg zwischen FMS Gesundheit und dualer BGB FaGe verkörpert. Während die FMS Gesundheit als Ausbildungsprogramm in allen vier Kantonen, je am Beispiel einer ausgewählten Schule, untersucht wird, wird die duale BGB FaGe (duales Ausbildungsmodell) nur in einem Deutschschweizer Kanton umfassend und die schulisch organisierte BGB FaGe in einem Westschweizer Kanton ergänzend dazu betrachtet.Footnote 6

Sprachregion

Die prozentuale Verteilung der Schüler/-innen auf die drei unterschiedlichen Ausbildungstypen der Sekundarstufe II (Gymnasium, FMS und BGB) zeigt sprachregional typische Muster (Abschn. 2.5.2) und weist allgemein- und berufsbildungsstarke Kantone aus.Footnote 7 In allgemeinbildungsstarken Kantonen (insbesondere in der lateinischen Schweiz) besuchen i. d. R. überdurchschnittlich viele Jugendliche auf der Sekundarstufe II eine FMS. In solchen Kantonen wird eine bestimmte Mächtigkeit der staatsbürgerlichen Konvention (theoretisch-abstraktes Wissen, Abschirmung des schulischen Lernens von der Wirklichkeit) erwartet, was zu einer in diesen Kantonen vermuteten breiten Akzeptanz und Legitimation der FMS Gesundheit führt. In berufsbildungsstarken Kantonen (Deutschschweiz) hingegen absolvieren überdurchschnittlich viele Jugendliche eine berufliche Grundbildung. Für solche Kantone wird (auch auf Ebene der Bildungspolitik) entsprechend eine gewisse Mächtigkeit der häuslichen Konvention erwartet, was sich insbesondere im Vorzug von Handarbeit, betrieblicher Arbeitserfahrung und arbeitsintegrierten Lernprozessen äußert. Mit Blick auf die Positionierung der FMS Gesundheit neben der dualen BGB FaGe wird in berufsbildungsstarken Kantonen folglich sowohl eine Abwertung der schulisch allgemeinbildenden FMS als auch die Wahrnehmung der FMS als konkurrierendes Ausbildungsangebot zur BGB FaGe auf der Sekundarstufe II erwartet.

In die Fallauswahl eingeschlossen wurde vorerst je ein typischer Kanton der Deutsch- und der Westschweiz, d. h. je ein Fall mit einem schweizweit über- bzw. unterdurchschnittlichen FMS-Anteil auf der Sekundarstufe II.Footnote 8 Zusätzlich wurde je ein atypischer Kanton der Deutschschweiz (überdurchschnittlicher FMS-Anteil) und der lateinischen Schweiz (unterdurchschnittlicher FMS-Anteil) als Fälle ausgewählt. Tab. 4.3 verortet die ausgewählten Fälle grafisch entlang der beiden Achsen Sprachregion und FMS-Anteil auf der Sekundarstufe II.

Tab. 4.3 Typisierung der Fallauswahl; eigene Darstellung
Tab. 4.4 Strukturelle Merkmale der vier ausgewählten Fälle; eigene Darstellung

Angebotsstruktur auf der Tertiärstufe

In ersten Sondierungsgesprächen wurden der Einfluss sprachregionaler Ausbildungstraditionen und die damit einhergehende Angebotsstruktur auf der Tertiärstufe (HF und/oder FH) im Bereich Gesundheit (sowie auch Life Sciences) für die Positionierung und Profilierung der beiden Ausbildungsprogramme auf der Sekundarstufe II betont. Die vertikale angebotsstrukturelle Dimension wurde entsprechend als Kriterium der Fallauswahl berücksichtigt.

Dynamiken

Mit dem Ziel «[to] choose the case(s) that will most likely illuminate your research questions» (Yin 2009, S. 26), wurden die bisherigen technischen Kriterien um ein forschungsgegenstandspezifisches Kriterium ergänzt: die Frage, inwiefern während der Bearbeitungszeit der Studie in einem Kanton z. B. Dynamiken, Dispute oder Critical Moments erwartet werden können.

Kantonsgröße

Die Größe eines Kantons (gemessen am Bevölkerungsstand am 31.12.2017) wurde als Kriterium berücksichtigt, weil angenommen wird, dass bildungspolitische Entscheide großer Kantone eine größere Ausstrahlwirkung haben als solche kleiner Kantone. Es wird erwartet, dass dies insbesondere im Hinblick auf Aushandlungssituationen bedeutsam ist, in denen die Akteurinnen und Akteure in (de-)stabilisierende Kompromissformate zur Legitimation bzw. Delegitimation der FMS Gesundheit investiert haben. In die Fallauswahl eingeflossen sind mittelgroße bis große Kantone (die Definition der Kantonsgröße ist in Fußnote 9 dargelegt).

Tab. 4.4 charakterisiert die ausgewählten vier Fälle entlang der ausgeführten Kriterien.

Basierend auf Tab. 4.4 fassen die folgenden Ausführungen die Typologien zusammen, für die die ausgewählten vier Fälle stellvertretend stehen. An dieser Stelle ist ergänzend anzumerken, dass die Auswahl der jeweiligen innerhalb eines Kantons untersuchten Schule primär auf Kontakte zurückzuführen ist, die im Verlauf des FMS-Forschungsprojekts geknüpft wurden.

Fall A – der Kanton Zürich – steht für einen typischen Deutschschweizer Kanton. Dies wird daran festgemacht, dass im Vergleich zum schweizweiten Durchschnitt überdurchschnittlich viele Jugendliche auf der Sekundarstufe II eine berufliche Grundbildung absolvieren, während nur ein unterdurchschnittlicher Anteil die FMS besucht. Da die BGB FaGe in diesem großen Kanton quantitativ stark ausgeprägt ist und ausschließlich im dualen Modell angeboten wird, werden für Fall A Infragestellungen in Bezug auf die FMS Gesundheit erwartet. Fall A ist zudem Stellvertreter für einen Kanton, der bereits seit Mitte der 2000er Jahren das kombinierte Berufsfeld Gesundheit/Naturwissenschaften anbietet. Auf der Tertiärstufe kennt Fall A im Bereich Gesundheit beide Ausbildungstypen HF und FH. Zudem besteht auch ein vielfältiges Angebot an FH-Studiengängen im Bereich Life Sciences. Als einwohnerstärkster Kanton der Schweiz kommt Fall A eine hohe Ausstrahlkraft bildungspolitischer Entscheide zu.

Fall B – der Kanton Basel-Landschaft – steht für einen untypischen Deutschschweizer Kanton: Überdurchschnittlich viele Jugendliche besuchen eine FMS, während der Anteil der Jugendlichen, die eine berufliche Grundbildung absolvieren, unterdurchschnittlich ausfällt. Aufgrund dessen werden für Fall B Konkurrenzdynamiken zwischen der Berufsbildung und der FMS erwartet. Wie in Fall A sind auch in Fall B die tertiären Gesundheitsausbildungen sowohl an HF als auch FH möglich. Ebenfalls besteht ein breites Angebot an FH-Studiengängen im Bereich Life Sciences.

Fall C – der Kanton Waadt – repräsentiert einen typischen und den einwohnerstärksten Kanton der Westschweiz: Ein überdurchschnittlicher Anteil der Jugendlichen absolviert auf der Sekundarstufe II eine allgemeinbildende Ausbildung (Gymnasium oder FMS), während entsprechend der Anteil der Jugendlichen, die eine berufliche Grundbildung absolvieren, deutlich unter dem schweizweiten Durchschnitt liegt. Fall C steht im Gegensatz zu Fall A für einen Kanton, in dem das duale Ausbildungsmodell der BGB FaGe nur in etwa der Hälfte der Fälle gewählt wird, während die andere Hälfte der FaGe-Lernenden eine schulisch organisierte Ausbildungsform der BGB FaGe absolviert. Wie für einen Westschweizer Kanton typisch, können tertiäre Gesundheitsausbildungen in Fall C (fast ausschließlich) an der FH absolviert werden. Ein Angebot an FH-Studiengängen im Bereich Life Sciences besteht zwar, ist aber im Vergleich zu den Fällen A und B deutlich weniger breit gefächert. Als Stellvertreter für einen Kanton der Westschweiz, der eine starke Hierarchisierung auf der Sekundarstufe II zu Gunsten allgemeinbildender Bildungsangebote kennt, werden für Fall C keine Konkurrenzdynamiken zwischen FMS und Berufsbildung erwartet.

Fall D – der Kanton Tessin – repräsentiert die italienische Schweiz. Ausgewählt wurde dieser Fall, weil er insofern speziell ist, als er zwar als allgemeinbildungsstarker Kanton gilt, gleichzeitig jedoch der prozentuale Anteil von Schülerinnen und Schülern, die auf der Sekundarstufe II eine FMS besuchen, unterdurchschnittlich ausfällt. Wie auch in Kanton C wird die BGB FaGe je etwa hälftig dual bzw. schulisch organisiert absolviert. Auf der Tertiärstufe werden Gesundheitsausbildungen sowohl an der HF als auch der FH angeboten, während kein Angebot an FH-Studiengängen im Bereich Life Sciences besteht. Mit derselben Begründung wie bei Fall C, werden auch für Fall D keine konkurrenzartigen Dynamiken zwischen FMS und Berufsbildung erwartet.

Die Nichtanonymisierung der ausgewählten Fälle wird u. a. mit der Problematik begründet, dass die Originalzitate in italienischer Sprache unmittelbar auf den Kanton Tessin hätten schließen lassen und eine Differenzierung zwischen der Westschweiz und der italienischen Schweiz nur bedingt möglich gewesen wäre. Angesichts der Offenlegung der Kantone, wurde ein besonderes Augenmerk auf die Sicherstellung des Datenschutzes der befragten natürlichen und juristischen Personen (befragte Akteurinnen und Akteure sowie untersuchte Schulen) gelegt. Da in Fall D z. B. Rückschlüsse auf befragte Personen und die Schule möglich sind, wurden für diesen Fall u. a. keine kritischen Zitatpassagen verwendet oder diese wurden paraphrasiert. Um insgesamt die Anonymität der befragten Personen aller Fälle zu schützen, wurden die Quellenangaben der verwendeten Interviewpassagen zudem auf die Funktion bzw. die Rolle (Schüler/-innen, Lehrperson, Leitung usw.) sowie die Zugehörigkeit der Person zu einem spezifischen Fall beschränkt. Beispielsweise wurden Aussagen von FMS-Schülerinnen und -Schülern sowie Lehrpersonen, die im Rahmen des Falls A befragt wurden, mit der Quellenangabe FMS-S_A bzw. FMS-LP_A versehen. In Fällen, bei denen innerhalb eines Kantons mehrere Personen mit derselben Funktion oder Rolle befragt wurden, wurde zusätzlich eine Nummerierung angefügt (z. B. FMS-S_1_A), um die Nachvollziehbarkeit zu gewährleisten. Eine Liste, die Rückschlüsse dieser codifizierten Quellenangaben auf die konkreten befragten Personen erlaubt, liegt der Autorin dieser Studie vor. Angesichts der Tatsache, dass aus der Nichtanonymisierung der Fälle keine Datenschutzproblematik resultiert, ist ein wesentlicher Vorteil dieses gewählten Vorgehens, dass die Leserschaft ihr Vorwissen über die Fälle in die Reflexion der Lektüre miteinfließen lassen kann.

4.3 Erhebungs- und Auswertungsverfahren

Wie für pragmatische Forschungsdesigns typisch, wurde für die vorliegende Studie keine strikte Reihenfolge von Erhebungs- und Auswertungsschritten festgelegt, sondern im Verlaufe des Forschungsprozesses immer wieder von der Datenerhebung zur Datenauswertung und zurück gewechselt.

4.3.1 Methoden der Datenerhebung

4.3.1.1 Qualitative Dokumentenanalyse

Eine qualitative Dokumentenanalyse ist als Methode der Datenerhebung mit Blick auf den vorliegenden Forschungsgegenstand deshalb geeignet, weil sie ausschließlich auf bestehende Dokumente als Informationsquellen abzielt, also nicht auch auf menschliche Akteurinnen und Akteure. Zudem erlaubt sie, «einen schier unglaublichen Variantenreichtum möglicher Materialien» (Hoffmann 2018, S. 100) in die Untersuchung einzubeziehen.Footnote 13 In der Fachliteratur findet sich keine abschließende Definition des Dokumentenbegriffs (Hoffmann 2018). Festgehalten werden kann jedoch, dass darunter nicht nur Textdokumente, sondern auch andere «Objektivationen des menschlichen Handelns» (Schmidt 2017, S. 446) fallen. In der vorliegenden Studie bezeichnet der Dokumentenbegriff jegliche Form fixierten Texts, z. B. Informationsbroschüren, Websites, Berichte von Arbeitsgruppen, Zeitungsartikel (Klein 2014), Lehrpläne, aber auch Archivmaterial wie Unterlagen aus Vernehmlassung- oder Anhörungsverfahren. Zusätzlich wurden auch im Rahmen der Unterrichtsbesuche entstandene Fotos (Pilarczyk und Mietzner 2005) sowie Videos als Dokumente definiert (Hoffmann 2018; Prior 2003; 2008; Schmidt 2017; Wolff 2012). Tab. 4.5 zeigt die im Rahmen der beiden Hauptfragen analysierten Dokumente im Überblick.

Tab. 4.5 Übersicht über die je Hauptfrage analysierten Dokumente; eigene Darstellung

Texte werden vor dem konventionensoziologischen Hintergrund «nicht allein als verschriftlichte Artikulationen von Sprechern [aufgefasst, R. E.], sondern als Objekte, in denen sich Konventionen niederschlagen» (Diaz-Bone 2018a, S. 394), die also Spuren von Konventionen in sich tragen und damit als Artefakt zur Rekonstruktion von Konventionen sowie der Ermittlung von Wertigkeit dienen. Dokumentenanalysen tragen u. a. auch dazu bei, das institutionelle Arrangement zu rekonstruieren, in das die untersuchte Situation eingebettet war bzw. ist. Viele Dokumente wurden von den Akteurinnen und Akteuren in die zu untersuchende Situation eingebracht und fungierten damit nicht nur als reine Informationsbasis, sondern auch als Teil des relevanten Dispositivs der Valorisierung der zu untersuchenden Ausbildungssituation. Viele Dokumente wurden entsprechend von der Forscherin erst gesichtet, nachdem sie von den Akteurinnen und Akteuren in die Situation eingebracht worden waren und damit in der Handlungskoordination aktiviert (Smith 2007) und als situationsrelevant definiert wurden (Hedtke et al. 2019). Die Eingrenzung bzw. Beschränkung der zu analysierenden Dokumente wurde weitestgehend in Bezug auf die Situation ausgewählt (Diaz-Bone 2011b; Hedtke et al. 2019), kristallisierte sich entsprechend erst im Verlauf des Forschungsprozesses heraus und wurde nicht vorab festgelegt.

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass Dokumente in der vorliegenden Studie als Quellen zur Schaffung einer Informationsbasis, als Grundlage zur Definition möglicher zu befragender Expertinnen und Experten, zur Sensibilisierung für bestimmte Themen in den Experteninterviews (Schmidt 2017) sowie im Sinne «ruhende[r] Dispositive» (Dodier 2010, S. 12) auch als Artefakte zur Rekonstruktion von Argumenten und damit als Ausgangslage zur Identifikation von Konventionen dienten.

4.3.1.2 Experteninterview

Um die «Perspektive der Koordinierenden» (Diaz-Bone 2018a, S. 393) zu berücksichtigen, wurde die qualitative Dokumentenanalyse als Verfahren der Datenerhebung durch qualitative Experteninterviews ergänzt (Gläser und Laudel 2010; Schmidt 2017). Experteninterviews sind insbesondere in der Bildungsforschung ein häufig eingesetztes Verfahren zur Erhebung von Daten. Experteninterviews gelten als «wenig strukturiertes Erhebungsinstrument, das zu explorativen Zwecken eingesetzt wird» (Meuser und Nagel 2009, S. 465) und sie zielen auf eine spezifische Form von Wissen ab, das sogenannte Expertenwissen. Dieses haben Akteurinnen und Akteure aufgrund eines «privilegierten Zugang[s] zu Informationen» (Meuser und Nagel 2009, S. 468) erworben.

Auswahl der Expertinnen und Experten

Im Zusammenhang mit Experteninterviews wird in der Fachliteratur von einer «flexiblen» (Helfferich 2011, S. 163) und «recht divergent[en]» (Rosenthal 2005, S. 134) Definition des Expertenbegriffs ausgegangen. Einigkeit besteht dahingehend, dass der Expertenstatus nicht allgemeingültig ist, sondern jeweils in Abhängigkeit vom konkreten Forschungsgegenstand und -interesse durch den Forscher bzw. die Forscherin zugeschrieben wird. Expertinnen und Experten interessieren meist nicht als Privatpersonen, sondern in ihrer Rolle als Funktionsträger/-innen, in der sie sich ein Sonderwissen in Bezug auf den zu untersuchenden Forschungsgegenstand erworben haben (Helfferich 2011; Meuser und Nagel 2009). Michael Meuser und Ulrike Nagel (2009) folgend werden zwei Arten von Expertinnen und Experten unterschieden: aktive/r Partizipant/-in und Beobachter/-in. Im ersten Fall sind Expertinnen und Experten aktiv in das soziale Phänomen involviert und das in diesem Rahmen erworbene Expertenwissen kommt einem sogenannten «Betriebswissen» (Meuser und Nagel 2009, S. 470 f.) gleich. Als aktive Partizipantinnen und Partizipanten stehen Expertinnen und Experten also «für eine Problemperspektive, die typisch ist für den institutionellen Kontext, in dem [sie ihr] Wissen erworben ha[ben] und in dem [sie] handel[n]» (Meuser und Nagel 2009, S. 469). Für die vorliegende Studie wurden entsprechend im ersten Schritt Expertinnen und Experten definiert, die aktiv an der zu untersuchenden Ausbildungssituation partizipieren und folglich über Betriebswissen verfügen: Rektorinnen und Rektoren sowie Ausbildungsverantwortliche, Lehrpersonen, Vertreter/-innen der Abnehmerinstitutionen (HF und FH). Sie alle sind als aktive Partizipantinnen und Partizipanten im Rahmen unterschiedlicher Funktionen und mit verschiedenen Kompetenzen ausgestattet in die beiden Ausbildungsprogramme involviert: Sie setzen z. B. Rahmenlehrpläne und bildungspolitische Vorgaben um, gestalten den Schulalltag oder entwickeln die Ausbildungsprogramme weiter.

Im zweiten Fall verfügen Expertinnen und Experten als Beobachter/-innen mit Blick auf den Forschungsgegenstand über ein sogenanntes «Kontextwissen» (Meuser und Nagel 2009, S. 470).Footnote 14 Dafür ist nicht zwingend erforderlich, dass die Person aktiv in das soziale Phänomen involviert und an diesem beteiligt ist. Vielmehr können Expertinnen und Experten ihr Sonderwissen auch als Beobachter/-innen durch Kontakte oder Beobachtungen über das soziale Phänomen erworben haben. Gegenstand des Forschungsinteresses sind in diesem Fall relevante Hintergrundinformationen zum Forschungsgegenstand, um bestimmte Aspekte der Situation (wie Konfliktlinien und Spannungsfelder zwischen der FMS Gesundheit und der Berufsbildung) in einen größeren, insbesondere auch bildungssystemischen und -politischen Gesamtkontext einbetten zu können, sodass der komplexe Sachverhalt dadurch für den Forscher bzw. die Forscherin verständlicher wird (Meuser und Nagel 2009). Mit Blick auf den vorliegenden Forschungsgegenstand wurden als Personen mit relevantem Kontextwissen u. a. Expertinnen und Experten für Berufsbildung und Sekundarstufe II, Vertreter/-innen der (kantonalen und nationalen) Bildungsverwaltung sowie Interessensvertreter/-innen (z. B. der KFMS) definiert.

FMS-Schüler/-innen bzw. FaGe-Lernende werden in dieser Studie nicht i. e. S. als Expertinnen und Experten verstanden. Begründet wird dies damit, dass FMS-Schüler/-innen bzw. FaGe-Lernende zwar eine Rolle, aber keine Funktion in der Ausbildungsorganisation einnehmen und zudem in ihrer Rolle nur über ein sehr beschränktes «Betriebswissen» verfügen. Anschließend an eine organisationssoziologische Perspektive werden die FMS-Schüler/-innen bzw. FaGe-Lernende in dieser Studie methodologisch vielmehr als zu bearbeitendes Rohmaterial, denn als Expertinnen und Experten eingeordnet (Preisendörfer 2011).

Im Zusammenhang mit der Definition der zu befragenden Expertinnen und Experten ist ein weiterer theoretisch-methodologischer Aspekt von Bedeutung: Qualität wird konventionensoziologisch als Ergebnis eines von Akteurinnen und Akteuren erfolgten konventionenbasierten sozialen Prozesses der Valorisierung bzw. Devalorisierung verstanden (Diaz-Bone 2018a; Eymard-Duvernay 2012b; Favereau 2017). Ausgehend davon weisen Franck Bailly und Elisabeth Chatel (2004) für die Validität von Qualitätsanalysen (im Bereich der Bildung) darauf hin, dass möglichst viele unterschiedliche Perspektiven von Akteurinnen und Akteuren miteinzubeziehen sind. Entsprechend wurde bei der Auswahl der zu befragenden Expertinnen und Experten darauf geachtet, die Vielfalt unterschiedlicher Perspektiven möglichst breit zu wählen (Meuser und Nagel 2009). Die Auswahl der Expertinnen und Experten wurde zudem nicht im Vorfeld abschließend festgelegt, sondern ebenfalls während des Forschungsprozesses und mit zunehmender Eingrenzung der Hauptfragen laufend angepasst (Gläser und Laudel 2010). Tab. 4.6 zeigt die im Rahmen der beiden Forschungsfragen geführten Experteninterviews im Überblick.

Tab. 4.6 Übersicht der je Hauptfrage geführten (Experten-) InterviewsFootnote

Die Task Force Berufsbildung im Gesundheitswesen war eine kleine Expertengruppe, die Ende der 1990er Jahre von der Sanitätsdirektorenkonferenz beauftragt wurde, ein neues Modell zur Ausgestaltung der Berufsausbildungen auf der Sekundarstufe II und auf der Tertiärstufe im Bereich Gesundheit zu erarbeiten (Kiener 2004a).

Footnote

Die Vertretung der KFMS wurde in einer Doppelfunktion befragt. Das Interview als Vertretung der KFMS wird deshalb nicht gezählt, sondern nur dasjenige in der anderen Funktion.

Footnote

Die Vertretung Pflege HF hat zugleich die Leitung der BGB FaGe an einer Berufsfachschule inne und wurde in dieser Doppelrolle befragt. Das Interview als Vertretung Pflege HF wird nicht doppelt gezählt.

Interviewform, Leitfaden und Interviewführung

Um das Expertenwissen zu erheben, wurde ein offenes leitfadengestütztes Interview gewählt (Meuser und Nagel 2009). Da das Interview nicht auf eine Standardisierung der Interviewsituation abzielte, sondern vielmehr den Prinzipien der Offenheit und des Verstehens gerecht werden sollte (Gläser und Laudel 2010), wurden die teilstandardisierten thematischen Leitfäden in der Interviewsituation flexibel gehandhabt (Meuser und Nagel 2009). Der Vorbereitung des Leitfadens kam, aufgrund der damit einhergehenden Aneignung eines fundierten Vorwissens bzgl. der Gesprächsinhalte, eine relevante Funktion zu. Dies war insbesondere für Interviews mit ranghohen Vertreterinnen und Vertretern der Bildungsverwaltung sowie Leitungspersonen der beiden Ausbildungsprogramme von Bedeutung, denn so konnte den Expertinnen und Experten das Gefühl eines inhaltlich auf Augenhöhe stattfindenden Gesprächs vermittelt werden (Gläser und Laudel 2010). Die Leitfäden wurden jeweils spezifisch auf die zu befragenden Expertinnen und Experten zugeschnitten. Aufgrund der begrenzten Interviewzeit sowie der unterschiedlichen Gesprächsverläufe konnten nie alle Themen in gleichem Umfang erfragt werden, sodass je Gespräch Schwerpunkte gesetzt werden mussten (Imdorf 2010). Tab. 4.7 hält je Hauptfrage zentrale Themenblöcke fest, die in den meisten Interviews behandelt wurden.

Tab. 4.7 Zentrale Themenblöcke in den Experteninterviews; eigene Darstellung

Um Qualität möglichst umfassend zu erheben, verweisen Bailly und Chatel (2004) auf den Einbezug enttäuschter Erwartungen der Akteurinnen und Akteure. Diesen wurde insbesondere in den Leitfäden der Schüler/-innen bzw. Lernenden Rechnung getragen, z. B. mit der Frage «Was schätzt du besonders an deiner gegenwärtigen Ausbildung? Warum schätzt du genau diese Aspekte? Inwiefern gibt es auch Sachen, die du anders erwartet bzw. dir vor Ausbildungsbeginn anders vorgestellt hast?»

Konventionen können in Gesprächen nicht unmittelbar erfragt werden, sondern müssen basierend auf den von den Akteurinnen und Akteuren vorgebrachten Argumenten und eingebrachten Dispositiven durch die Forschenden rekonstruiert werden (Meuser und Nagel 2009).Footnote 18 Für die Interviewführung bedeutete dies Folgendes: Um die argumentativen Begründungen u. a. von Kritik, Qualitätsurteilen und Handlungen in den Interviews zutage treten und damit beobachtbar werden zu lassen, war erstens ein stetes Nachfragen nach Begründungen und konkreten Beispielen erforderlich (Barthe et al. 2016). Denn «Erklärungen erfolgen als interpretativer Prozess, in welchem die Handlungslogiken der Akteurinnen und Akteure exploriert werden, die diese für ihre Koordination heranziehen» (Diaz-Bone 2018a, S. 385). Ein FMS-Rektor wurde im Interview beispielsweise folgendermaßen befragt: «Sie sagen also, dass nach der Einführung der BGB FaGe die FMS Gesundheit insbesondere seitens Vertreter/-innen der dualen Berufsbildung infrage gestellt wurde. Welches sind Ihrer Meinung nach die Gründe hierfür, wie erklären Sie sich das?» Zweitens wurden in den Interviews, wo immer möglich, Fragen gestellt, die auf das Aufspüren möglicher Dispute und Konfliktlinien abzielten. Denn Argumente (verstanden als Grundlage zur Rekonstruktion der von Akteurinnen und Akteuren angerufenen Konventionen) sind insbesondere in «Situationen, in denen viel auf dem Spiel steht» (Coloma Andrews 2015, S. 77), besonders gut beobachtbar. Ausgehend von der Prämisse, die Akteursperspektive in der zu untersuchenden Situation zu rekonstruieren, war drittens auch das Stellen naiver Fragen ein wesentlicher Bestandteil der Interviewführung. An dieser Stelle sei angemerkt, dass bei sämtlichen Interviews besonders darauf geachtet wurde, die Fragen in einer den Befragten vertrauten Alltagssprache zu formulieren (Gläser und Laudel 2010), und dass die Interviews stets in der Sprache der jeweiligen Sprachregion abgehalten wurden, d. h. auf Deutsch, Französisch oder Italienisch.

Kontaktaufnahme, Durchführungsort und Transkription

Alle Expertinnen und Experten wurden im Vorfeld per E-Mail erstkontaktiert (Gläser und Laudel 2010; Przyborski und Wohlrab-Sahr 2014). Dabei wurden die wesentlichen Eckpunkte der Studie sowie das konkrete Forschungsinteresse dargelegt. Dieses Vorgehen stellte sicher, dass die angefragte Person darüber informiert ist, wozu sie ihre Einwilligung gibt resp. worauf sich ihre Bereitschaft zum Interview bezieht («informierte Einwilligung» [Gläser und Laudel 2010, S. 159]). Dazu gehörten auch die Hinweise zur gewünschten Tonaufzeichnung und zur anschließenden Transkription des Gesprächs sowie die Zusicherung von Anonymität bei der Verwendung der Interviewdaten (Gläser und Laudel 2010). Es kam vor, dass Expertinnen und Experten mehrere für die zu untersuchende Hauptfrage interessante Funktionen in sich vereinten. In solchen Fällen wurde aus Gründen der Transparenz bei der ersten Kontaktaufnahme bereits das Interesse an dieser Doppelrolle offengelegt und sichergestellt, dass sich die Bereitschaft der Expertin bzw. des Experten zum Interview auf beide ausgeübten Funktionen bezieht (Gläser und Laudel 2010). Im Gespräch wurde diese Herausforderung der Doppelrollen so gelöst, dass die zur Verfügung stehende Interviewzeit entsprechend aufgeteilt wurde und für die unterschiedlichen Funktionen separate Leitfäden erstellt wurden. Dies schuf im Verlauf des Gesprächs sowohl für die Expertinnen und Experten als auch die Forscherin Klarheit darüber, in welcher Rolle die Interviewten angesprochen sind und aus welcher Perspektive sie Auskunft geben.

Durchgeführt wurden die rund 45- bis 90-minütigen Interviews als Einzel-, Zweier- oder Gruppeninterviews. Einzelinterviews wurden insbesondere mit den Verantwortlichen der Ausbildungsprogramme sowie den Expertinnen und Experten geführt, die meist als einzige über ein spezialisiertes Kontextwissen verfügen. Zweier- und Gruppeninterviews wurden hingegen geführt, wenn mehrere Expertinnen und Experten desselben Typs befragt wurden wie Lehrpersonen oder Schüler/-innen derselben FMS. Einerseits ist dieses Vorgehen forschungspragmatischen Gründen geschuldet, andererseits hat es damit zu tun, dass diese Expertinnen und Experten über ähnliches Betriebswissen verfügen. Doppel- und Gruppeninterviews ermöglichten zudem in den Gesprächen unmittelbare Bezüge der Expertinnen und Experten auf Gesagtes, wie z. B. Widersprüche, andere Meinungen, Dispute und Kritik, und trugen damit zu einer möglichst natürlichen Gesprächssituation bei. Dies sollte die anschließende Analyse der verwendeten Argumente und damit die Rekonstruktion der mobilisierten Konventionen vereinfachen. Mit Ausnahme der untersuchten Schule in der Westschweiz, in der die Leitung aus organisatorischen Gründen festgelegt hat, dass die Interviews mit den Schülerinnen und Schülern im Klassenverband stattfinden, umfassten die Gruppeninterviews drei oder vier Personen. Durchgeführt wurden die Interviews stets an einem von den Expertinnen und Experten vorgeschlagenen Ort, was meist Büro- oder Schulräumlichkeiten waren. Aus konventionensoziologisch-methodologischer Perspektive haben sich Schulräumlichkeiten als Durchführungsorte der Interviews insbesondere mit Blick auf die Vernetzung der Argumentationen mit der soziomateriellen Ausstattung der zu untersuchenden Ausbildungssituation bewährt. So leitete z. B. eine FMS-Lehrperson ihre Ausführungen zur disziplinären Organisation der Bildungsinhalte in der FMS folgendermaßen ein: «Wie Sie beim Hierherkommen bestimmt gesehen haben, hat unsere FMS einen Biologie-, Physik- und Chemietrakt.»

Im Anschluss an die Interviews wurde jeweils ein kurzes Interviewprotokoll verfasst, in dem relevante Aussagen, Ereignisse vor oder nach dem Interview sowie Kontextbedingungen und besondere Geschehnisse notiert wurden. Die Interviews wurden mittels Aufnahmegerät aufgezeichnet und gemäß Transkriptionsregeln von unterschiedlichen studentischen Hilfskräften unter Benutzung der Transkriptionssoftware f4 verschriftlicht. Fremdsprachige Interviews wurden in der Originalsprache belassen. In der Ergebnisdarstellung wurden die zitierten Interviewpassagen ebenfalls in der Originalsprache verwendet und in Fußnoten ins Deutsche übersetzt.

4.3.1.3 Beobachtung

Aus konventionensoziologischer Sicht treten die von Akteurinnen und Akteuren mobilisierten Konventionen nicht nur auf der diskursiven Ebene zutage, sondern sind auch in der soziomateriellen Ausstattung der Ausbildungssituation (Objekte und Formate des Schulalltags, z. B. Lehrmittel, Arbeitsaufträge, aber auch Schulräumlichkeiten) formatiert und objektiviert (Dangschat 2014; Daudigeos und Valiorgue 2018; Dodier 2010; Landri 2015; Latour 1996; Schubert 2014; Thévenot 1984). Daher wurde die Analyse der Ausbildungsprofile der beiden Ausbildungsprogramme zusätzlich zur qualitativen Dokumentenanalyse und zu den Experteninterviews um den dritten methodischen Zugang der qualitativen Beobachtung ergänzt (Gläser und Laudel 2010; Thierbach und Petschick 2014; Weischer und Gehrau 2017). Denn dieser methodische Zugang ermöglicht eine «Blickverschiebung zugunsten der sozio-materiellen Dimension» (Röhl 2013, S. 37), d. h. zugunsten alltäglicher Objekte des Schulalltags in den zu untersuchenden Ausbildungssituationen (Latour 1996; Schubert 2014). Da weder Dokumentenanalysen noch Experteninterviews zufriedenstellend Aufschluss darüber geben, wie Akteurinnen und Akteure die «sozio-materielle Rahmung» (Röhl 2016, S. 169) der Ausbildungssituation bzw. die Dispositive der Valorisierung in der Handlungskoordination situativ mobilisieren, werden durch die qualitative Beobachtung im Vergleich zu den anderen beiden Zugängen andersartige und komplementäre Daten generiert (Flick 2011). Außerdem befördert ein beobachtender Zugang eine Bottom-up Perspektive (Röhl 2016) auf die zu untersuchende Ausbildungssituation, was zum einen der Rekonstruktion der Akteursperspektive dient und zum anderen eine möglichst detaillierte und genaue Beschreibung der Ausbildungssituationen ermöglicht (Barthe et al. 2016).

Die Beobachtungen erfolgten in Schul- und Unterrichtsbesuchen, Berufsfeldwahltagen bestimmter FMS, den SwissSkills 2018 sowie einer Einführungsveranstaltung zum neuen Zulassungsverfahren an FMS. Anders als alltägliche Beobachtungen, die oftmals spontan, zufällig und ungeplant stattfinden, sind Beobachtungen als wissenschaftliche Methode der Datenerhebung geplant und durch eine konkrete Forschungsfrage geleitet (Thierbach und Petschick 2014; Weischer und Gehrau 2017). Für die Durchführung war insbesondere von Interesse, wie Akteurinnen und Akteure die Soziomaterialität der zu untersuchenden Ausbildungssituation in ihren Handlungen, Rechtfertigungen und Evaluationen mobilisieren, um damit z. B. den Physikunterricht in der FMS Gesundheit oder die im Berufskundeunterricht der BGB FaGe vermittelten Bildungsinhalte zu valorisieren, zu legitimieren oder zu kritisieren. Im Fokus standen aber auch «ruhende Dispositive» (Dodier 2010, S. 12) der Ausbildungssituation wie Schulräumlichkeiten, die Spuren von Konventionen aufweisen und deren Mächtigkeit formatieren und stabilisieren. Während der Beobachtungen wurde der Fokus bewusst nicht nur auf das Gesagte, sondern primär auf die soziomaterielle Ausstattung der Situation gerichtet (Dangschat 2014; Thierbach und Petschick 2014; Weischer und Gehrau 2017). Angesichts der daraus resultierenden Flut an Informationen bestand eine der zentralen Herausforderungen dieser Erhebungsmethode darin, die Aufmerksamkeit ausschließlich auf das zu lenken, was der Beantwortung der Forschungsfrage dient (Weischer und Gehrau 2017). Die Definition der für die zu untersuchende Situation relevanten Objekte wurde mehrheitlich den Akteurinnen und Akteuren überlassen (Hedtke et al. 2019), womit der methodologischen Position der EC Rechnung getragen wurde. Dieser zufolge liegt «[i]n der konventionensoziologischen Perspektive die Definitionsmacht über die Relevanz von Objekten, über deren Einbettung in die Situation und über die Situation selbst bei den Akteurinnen und Akteuren» (Hedtke et al. 2019, S. 297). Ausgehend von Erkenntnissen bereits ausgewerteter Interviews sowie anderen Forschungsarbeiten im Bereich der Bildung, die die Soziomaterialität berücksichtigen (Daudigeos und Valiorgue 2018; Derouet 1992; Röhl 2013, 2016; Romito 2017; Romito et al. 2019), bestanden im Vorfeld der Beobachtungen jedoch bereits «heuristische Haltepunkte» (Hedtke et al. 2019, S. 291) bzw. Vermutungen darüber, welche Objekte möglicherweise in den untersuchten Ausbildungssituationen Bedeutung erlangen könnten.

Beobachtungen lassen sich entlang der fünf dialektischen Dimensionen offen versus verdeckt, teilnehmend versus nicht teilnehmend, stark strukturiert versus schwach strukturiert, natürlich versus künstlich sowie Selbst- versus Fremdbeobachtung typisieren (Thierbach und Petschick 2014). Im Folgenden werden die durchgeführten Beobachtungen mithilfe dieser Dimensionen charakterisiert.

Offen versus verdeckt

Für die Unterrichts- und Schulbesuche sowie die Berufsfeldwahltage wurde eine offene Beobachtungsform gewählt, d. h., dass die Beobachteten im Vorfeld über die Beobachtung informiert wurden. Die Rolle der Forscherin war in diesen Fällen entsprechend diejenige einer «sichtbaren Beobachter[in]» (Weischer und Gehrau 2017, S. 33). Die Lehrpersonen und die Schüler/-innen bzw. Lernenden wurden entsprechend im Vorfeld über die Beobachtung und deren Ziel informiert. Die restlichen Beobachtungen (Einführungsveranstaltungen und SwissSkills) erfolgten hingegen verdeckt, sodass niemand von der Beobachtung wusste.

Nicht teilnehmend (passiv) versus teilnehmend (aktiv)

Die Rolle der Beobachterin war in den Unterrichts- und Schulbesuchen sowie den Berufsfeldwahltagen eine nicht teilnehmende und damit passive. Dies wurde bewusst so gewählt, um die Ausbildungssituation soweit möglich nicht durch die Anwesenheit der Forscherin zu beeinflussen (Thierbach und Petschick 2014). Die Rolle der Forscherin während diesen Beobachtungen (Gold 1958) war folglich diejenige einer «Beobachter[in] als Teilnehmer[in]» (Weischer und Gehrau 2017, S. 31), bei den Beobachtungen im Rahmen der SwissSkills sowie den Infoveranstaltungen hingegen diejenige einer «Teilnehmer[in] als Beobachter[in]» (Weischer und Gehrau 2017, S. 31).

Stark strukturiert versus schwach strukturiert

Sämtliche Beobachtungen erfolgten schwach strukturiert, d. h. nicht nach einem vorab standardisierten Schema, jedoch stets durch das konventionensoziologische Erkenntnisinteresse geleitet (Diaz-Bone 2018a; Thierbach und Petschick 2014; Weischer und Gehrau 2017).

Natürlich versus künstlich sowie Selbst- versus Fremdbeobachtung

Die Fremdbeobachtungen haben alle im natürlichen Umfeld der Beobachteten (z. B. in alltäglichen Unterrichtslektionen und Schulräumlichkeiten) stattgefunden.

In Tab. 4.8 sind die durchgeführten Beobachtungen im Überblick dargestellt.

Tab. 4.8 Übersicht über die durchgeführten Beobachtungen; eigene Darstellung

Das Beobachtete, persönliche Eindrücke sowie auch erste Überlegungen zur Auswertung wurden vor Ort mittels Beobachtungsnotizen dokumentiert und unterschiedlich gekennzeichnet (Weischer und Gehrau 2017). Um die Aufmerksamkeitsspanne und damit auch die Qualität der Beobachtungen zu gewährleisten, wurden die Beobachtungen meist auf 45‒60 min beschränkt, bevor eine kurze oder längere Pause erfolgte. Um die Genauigkeit der Beobachtungen zu verbessern (Barthe et al. 2016; Weischer und Gehrau 2017), wurden (das Einverständnis der Lehrperson vorausgesetzt) zusätzlich Audioaufnahmen interessanter Unterrichtssequenzen sowie Fotos u. a. von Schulräumlichkeiten, Arbeitsaufträgen, Lehrmitteln gemacht (Pilarczyk und Mietzner 2005; Weischer und Gehrau 2017), denn diese «zeichne[n] auf, was unsere Augen wahrgenommen haben» (Harper 2012, S. 403). Im Kontext des hier beschriebenen triangulierten Forschungsdesigns dienten die während der Beobachtungen aufgenommenen Fotos «zur Erweiterung und Bereicherung [des] Untersuchungsrepertoires» (Harper 2012, S. 403). Das Verfassen des Beobachtungsprotokolls, also das eigentliche Datenmaterial, wurde unmittelbar im Anschluss an die Beobachtung vorgenommen, um so die Verzerrung der Beobachtungsergebnisse aufgrund selektiven Erinnerns möglichst gering zu halten (Weischer und Gehrau 2017).

4.3.1.4 Deskriptiv-statistische Analyse

Um die Positionierung der FMS Gesundheit im Vergleich zur BGB FaGe auf der Sekundarstufe II zu untersuchen, wurden die beiden Ausbildungsprogramme auch hinsichtlich ihrer Zubringerfunktion zu den tertiären Gesundheitsausbildungen mithilfe eines deskriptiv-statistischen Zugangs untersucht. Hierfür wurden von Andrea Peifer Brändli mithilfe der beiden Statistikprogrammen SPSS und R Daten für Längsschnittanalysen im Bildungsbereich (LABB-Daten) aufbereitet und ausgewertet (BFS 2018a).Footnote 19 Die deskriptiven Auswertungen basieren auf einer Kohorte, die alle Personen umfasst, die 2012 einen FMS-Ausweis im Gesundheitsbereich oder ein EFZ FaGe erworben haben. Der gewählte Beobachtungszeitraum beträgt 54 Monate (2012‒2016). Ausgeschlossen sind Lernende, die beim Abschluss auf der Sekundarstufe II nicht zur ständigen Wohnbevölkerung der Schweiz zählten, die Schweiz während des Beobachtungszeitraums verlassen haben oder bei ihrem Abschluss über 25 Jahre alt waren (BFS 2018b). Mithilfe dieser deskriptivstatischen Analysen konnte die Bedeutung der FMS Gesundheit als Zubringer zu den tertiären Gesundheitsausbildungen im Vergleich zur BGB FaGe aus einer quantitativen Perspektive bzw. abgestützt auf statistische Kennzahlen untersucht werden.

Die Ausführungen haben dargelegt, weshalb ausgehend vom theoretisch-methodologischen Standpunkt der EC ein trianguliertes Vorgehen als sinnvoll und erkenntnisgewinnbringend erachtet wird, um die Positionierung und Profilierung der beiden Ausbildungsprogramme vergleichend zu untersuchen. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass das triangulierte Vorgehen ermöglicht, die Positionierung und Profilierung der beiden Ausbildungsprogramme in ihrer «Vielschichtigkeit aus unterschiedlichen Perspektiven [zu] erfassen» (Flick 2011, S. 43).

4.3.2 Methoden der Datenauswertung

Mit der theoriegeleiteten qualitativen Inhaltsanalyse nach Jochen Gläser und Grit Laudel (1999) wurde eine Auswertungsheuristik gewählt, die pragmatische und strukturalistische Aspekte vereint und damit eine eng an den konventionensoziologischen Konzepten ausgerichtete systematische Datenauswertung ermöglicht (Diaz-Bone 2018a). Mit Blick auf das primäre Ziel, Konventionen, auf die sich die Begründungen, die Evaluationen oder die Kritiken der Befragten beziehen, im Datenmaterial zu rekonstruieren, wurde dieses theoriegeleitete inhaltsanalytische Vorgehen um Strategien der Argumentationsanalyse (Coloma Andrews 2015; Eggler 2006; Toulmin et al. 1979) ergänzt. Der gemeinsame Ausgangspunkt dieser beiden Auswertungsmethoden ist die qualitative Inhaltsanalyse, die grundlegend darauf abzielt, fixierte, d. h. «in irgend einer Form» (Mayring 2012, S. 469) festgehaltene Kommunikation (Texte, aber auch Bilder und Fotos oder Videos) regel- und theoriegeleitet mithilfe eines vorab festgelegten Codierschemas zu analysieren (Coloma Andrews 2015; Gläser und Laudel 2013; Mayring 2015; Stamann et al. 2016).Footnote 20

4.3.2.1 Theoriegeleitete qualitative Inhaltsanalyse

Ausgehend von der Kritik an bisherigen inhaltsanalytischen Verfahren – die aufgrund der Arbeit mit geschlossenen Kategoriensystemen «keine wirkliche Synthese von Offenheit und theoriegeleitetem Vorgehen» (Gläser und Laudel 1999, S. 1) bieten sowie das Auftreten «empirischer Überraschungen» (Gläser und Laudel 2013, S. 23) verhindern – haben Gläser und Laudel (1999) eine Alternative zur Grundkonzeption bisheriger qualitativer inhaltsanalytischer Verfahren erarbeitet. Deren Auswertungsschritte werden im Folgenden in Bezug auf den Forschungsprozess erörtert.

Theoretische Vorüberlegungen und Vorbereitung der Extraktion

In engem Bezug zum Forschungsgegenstand sowie basierend auf theoretischen Überlegungen – in der Grounded Theory wird in diesem Zusammenhang von «theoretische[r] Sensibilität» (Strauss und Corbin 1996) gesprochen – wurde ein erstes grobes Kategorienschema angelegt.Footnote 21 Hierfür waren die Qualitätsdimensionen Zielgruppe, Bildungsziele, Bildungsinhalte, Wissensformen sowie Modi der Wissensvermittlung und -aneignung leitend. Dieses Kategorienschema diente als «Suchraster, das offen ist für Unerwartetes» (Gläser und Laudel 1999, S. 21), indem es «in der theoretischen Diskussion nicht vorhergesehene Einflussfaktoren zu extrahieren» (Gläser und Laudel 1999, S. 10) erlaubt. Dadurch wurde eine methodische Synthese von Offenheit und theoretischem Vorgehen ermöglicht.

Extraktion

Anschließend fand die Auseinandersetzung mit dem Datenmaterial statt.Footnote 22 Angeleitet wurde dieser Analyseschritt stets durch die Frage, ob die Textstelle oder der Bildausschnitt unter eine bereits bestehende Kategorie subsumiert werden kann oder ob es einer neuen Kategorie resp. einer zusätzlichen Differenzierung oder Ausprägung bedarf. Das gesamte schriftliche Datenmaterial wurde so entlang des groben Kategorienschemas, das im Verlauf des Forschungsprozesses laufend induktiv aus dem Material heraus differenziert und erweitert wurde, codiert (Gläser und Laudel 1999, 2013).Footnote 23 Die Auswertung der Daten erfolgte also durch die methodische Vereinigung von deduktiver und induktiver Kategorienbildung. Bezüglich des Erkenntnisinteresses sinntragende Textstellen wurden in vielen Fällen mit mehreren Kategorien codiert (z. B. Bezug zur Berufspraxis/Vorbereitung FH/Kritik an der FMS), wobei die Größe der codierten Textstellen so gewählt wurde, dass die Gefahr der Dekontextualisierung verhindert wurde. Textstellen, die für die Beantwortung der Forschungsfragen nicht relevant waren, blieben uncodiert. Um Argumente identifizieren und anschließend die von den Akteurinnen und Akteuren in ihren Evaluationen, Kritiken oder auch Begründungen angerufene Konventionen rekonstruieren zu können, wurde im Rahmen dieses Auswertungsschritts auf argumentationsanalytische Strategien zurückgegriffen (dies wird in Abschn. 4.3.2.2 näher ausgeführt). Zwecks Unterstützung des Analyseprozesses (z. B. Möglichkeit, diverse Datenformate wie Texte, Audiodateien oder Fotos zu integrieren, Memos und Kommentare zu verfassen) sowie der Nachvollziehbarkeit der Datenauswertung, erfolgte die Extraktion relevanter Textstellen oder Bildausschnitte mithilfe der Software ATLAS.ti (Kelle 2012). Die Software ermöglichte zudem die Definition von Zuordnungsregeln je Kategorie bzw. Ausprägung sowie die Referenz der codierten Textstellen zum Originaldokument. Das Ergebnis dieses zeitintensiven Forschungsschrittes war ein «umfangreiches, immer noch kaum überschaubares Rohmaterial» (Gläser und Laudel 1999, S. 18), das schließlich die Grundlage für die anschließenden Auswertungsschritte bildete, sodass nur im Falle z. B. von Unklarheiten oder Widersprüchen ein erneuter Rückgriff auf die Originaldateien erfolgte (Gläser und Laudel 2013).

Datenaufbereitung

Das codierte Datenmaterial wurde aufbereitet, je Hauptfrage sowie Fallstudie in vier separate Word-Dokumente eingefügt und nach inhaltlichen Gesichtspunkten strukturiert, verglichen, sortiert und komprimiert (Gläser und Laudel 1999, 2010, 2013). Ergänzt wurde diese Zusammenstellung um konventionensoziologische Überlegungen und erste Interpretationen.Footnote 24 So entstand für jede Fallstudie ein erster schriftlicher Auswertungsbericht entlang fallübergreifender Themen, wie z. B. den Qualitätsdimensionen Bildungsziele, Wissensformen, usw.

Datenauswertung

Im letzten Schritt wurden die Ergebnisse im Hinblick auf die Teilfragen konventionensoziologisch interpretiert. Dabei wurden fallspezifische, fallübergreifende und damit verbunden auch sprachregionale Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den Ausbildungssituationen rekonstruiert (Gläser und Laudel 2010). Ausgehend davon wurden schließlich die beiden Hauptfragen nach der Positionierung und der Profilierung der beiden Ausbildungsprogramme beantwortet.

Abschließend werden an dieser Stelle einige Anmerkungen zur Güte der Arbeit angefügt. Inhaltsanalysen werden oftmals für ihre fehlende Reliabilität (Zuverlässigkeit) kritisiert, wobei sich die Kritik meist auf den Auswertungsschritt der Extraktion, also das Codieren des Datenmaterials bezieht. Hierbei kann sowohl ein Interpretationsspielraum zwischen unterschiedlichen Codierern (Inter-Coder-Reliabilität) als auch ein Lerneffekt während des Codierprozesses (Intra-Coder-Reliabilität) problematisch sein und damit zu Verzerrungen und Verfälschungen im Verlauf der Analyse führen (Mayring 2015). Da keine weiteren Personen als die Forscherin selbst die Dokumente codiert hat, konnten Divergenzen zu anderen Codierern ausgeschlossen werden. Die Lerneffektproblematik und damit das Risiko, bedeutsame Textstellen, die nicht im ersten grob definierten Codierschema enthalten sind, zu übersehen, wurde durch die Kombination von induktiver und deduktiver Kategorienbildung minimiert. Die Definition von Zuordnungsregeln ermöglichte schließlich die Aufrechterhaltung einer konsistenten Zuordnungspraxis zu den Codes.

4.3.2.2 Argumentationsanalyse

Um die von den Akteurinnen und Akteuren u. a. in ihren Entscheidungen, Evaluationen oder Kritiken situativ mobilisierten Konventionen im transkribierten Interviewmaterial sowie den verschriftlichten Dokumenten (z. B. Stellungnahmen einer Vernehmlassung oder Motionstext) besser identifizieren und rekonstruieren zu können, wurde auf das toulminsche Argumentationsschema sowie weitere argumentationstheoretische Analysestrategien zurückgegriffen. Diese dienen der Freilegung von Argumenten (Coloma Andrews 2015; Imdorf 2010). Argumentationsanalytisch werden Argumente als Sprachhandlungen aufgefasst, die zur Rechtfertigung, Begründung oder als Beweis vorgebracht werden, «um Sachverhalte zu klären, zu denen es gegensätzliche Meinungen gibt, Sachverhalte also, die strittig sind» (Coloma Andrews 2015, S. 16). Argumentationen werden insbesondere in Situationen empirisch gut sichtbar, in denen etwas öffentlich legitimiert, begründet, in Frage gestellt oder kritisiert wird (Coloma Andrews 2015; Diaz-Bone 2018a; Toulmin et al. 1979). Dies ist z. B. der Fall, wenn es im Rahmen einer Aushandlungssituation darum geht, ob die FMS Gesundheit als Zubringer zu den FH anerkannt werden soll. Um gemäß der Argumentationstheorie überzeugen zu können, müssen die vorgebrachten Argumente an geteilte Gewissheiten anschließen (Coloma Andrews 2015). Bewährte Muster, die einen solchen Anschluss ermöglichen, werden als Topen bezeichnet. «Topen differenzieren gewissermaßen die Art und Weise, in der der argumentative Anschluss in Argumentationen erfolgt» (Coloma Andrews 2015, S. 57). Topen bzw. Deutungs- oder Erwartungsmuster sind für die empirische Analyse relevant, weil sich Argumentierende faktisch an ihnen orientieren (Coloma Andrews 2015). Hier wird die Nähe zur EC deutlich, die diese Topen als kollektiv geteilte Rechtfertigungs- bzw. Wertigkeitslogiken oder Konventionen interpretiert (Imdorf 2010).Footnote 25

Das in Abb. 4.1 dargestellte toulminsche Argumentationsschema (Toulmin et al. 1979) dient als Hilfsmittel, um die einer Konklusion zugrunde liegende Schlussregel empirisch identifizieren und damit die Konventionen rekonstruieren zu können, die u. a. die Evaluationen, Begründungen und Kritiken der Akteurinnen und Akteure fundieren. Gemäß Stephen Toulmin et al. (1979) besteht ein basales Argumentationsmuster aus einer Feststellung (Datum/Beobachtung), von der aus basierend auf einer sogenannten Schlussregel eine Konklusion erzielt wird.Footnote 26 Die identifizierte Schlussregel wird anschließend einer von Boltanski und Thévenot (2007) rekonstruierten Konventionen oder einem Kompromiss davon zugeordnet (Imdorf 2010). Dies kann anhand des folgenden Beispiels verdeutlicht werden: Eine Vertretung der Berufsbildung ist der Ansicht, die FMS Gesundheit habe im Vergleich zur BGB FaGe kaum praktische Ausbildungsbestandteile, und konkludiert daraus, dass die FMS Gesundheit nicht als Zubringer zur FH anerkannt werden sollte. Dieser Konklusion liegt (möglicherweise) die Schlussregel zu Grunde, dass umfassende (berufs-) praktische Fertigkeiten eine unerlässliche Ausbildungsqualität für den Zugang zu einer FH sind. Aus Sicht der EC fußt diese Schlussregel auf der häuslichen Konvention, die (berufs-) praktische Fertigkeiten i. S. eines Handlings als eine zentrale Wissensform valorisiert. Diese die duale Berufsbildung vertretende Person stützt sich also auf die häusliche Konvention, die sich in diesem Beispiel als relevante Bezugslogik der Kritik und des Werturteils rekonstruieren lässt.

Abb. 4.1
figure 1

(Eigene Darstellung in Anlehnung an Toulmin et al. [1979])

Das toulminsche Argumentationsschema.

Während sowohl die Beobachtung als auch die Konklusion explizit im zu analysierenden Text identifizierbar sind, trifft dies auf Schlussregeln nicht zwangsläufig zu, sondern diese können implizit bleiben, was ihre Identifikation erschwert (Toulmin et al. 1979). Aus diesem Grund wurde sowohl in den Vorbereitungen als auch bei der Durchführung der Interviews darauf geachtet, die befragten Akteurinnen und Akteure immer wieder in einen argumentativen Antwortmodus zu bringen (Coloma Andrews 2015). Dazu wurden folgende und ähnliche Fragen formuliert: «Warum sind Sie der Meinung, die FMS Gesundheit bereite nicht ausreichend auf die FH vor?» und «Welche Ausbildungsqualitäten erachten Sie als unerlässlich für den Zugang zu einer FH? Warum genau diese?» Als weitere argumentationsanalytische Hilfestellungen zur Identifikation von Argumenten und Schlussregeln im Datenmaterial dienten «Argumentationsindikatoren» (Deppermann 2006, S. 16; Eggler 2006, S. 89). Damit sind Wörter gemeint, die im Datenmaterial argumentative Verknüpfungen anzeigen, z. B. ‹weil›, ‹denn›, ‹daher› oder ‹deshalb›. Obwohl solche Wörter mehrdeutig sein können und daher noch keine hinreichende Bedingung zur Identifikation von Argumenten sind, können sie als entsprechende Hinweise dienen (Coloma Andrews 2015). Zudem wurde im Datenmaterial auf stark bewertende (bestärkende, ablehnende oder widersprechende) Äußerungen seitens der Interviewten geachtet, z. B.: «Ich finde, die FMS Gesundheit sollte abgeschafft werden». Denn

Einwände sind das wohl deutlichste Zeichen für anschließende Argumentationen. Wer widerspricht, trägt in der Regel die Beweislast und steht damit unter unmittelbarem Rechtfertigungsdruck. Es ist also sehr wahrscheinlich, dass solche Äußerungen unmittelbar von argumentativen Rechtfertigungen gefolgt sind. (Coloma Andrews 2015, S. 106)

Nachdem dargelegt wurde, wie der konventionensoziologischen Perspektive in der empirischen Analyse Rechnung getragen wird, wie das Forschungsdesign dieser Studie ausgestaltet ist und mittels welcher Methoden die Daten erhoben und ausgewertet werden, beginnt mit Kap. 5 die Darstellung der empirischen Ergebnisse.