5.1.1 Die zeitgenössischen Genrekonventionen in Teasern und Plakaten
In Namen und Titeldesign zieht ‚Bates Motel‘ bereits eine erste Differenz zu den Vorgängerproduktionen und markiert einen Bruch zu dem diskurshistorischen Topos des Lustmords, der seit Psycho mit dem Titel assoziiert wird. Typographisch folgt die Serie nicht mehr Palladinos ikonischem Design des Psycho-Titels, das als key art-Symbol nicht nur die Werbekampagne von Hitchcocks Klassiker durchzieht, sondern seit den Sequels auch die filmischen Titelsequenzen und digitalen Wiederveröffentlichungen prägt.Footnote 8 Stattdessen etabliert die Serie den Motelnamen in einem blauen Neonröhren-Design als neues key art-Symbol und folgt damit einer high concept-Vermarktung, die auf dem filmhistorischen Bekanntheitsgrad zu Psycho aufbaut und in der ästhetischen Differenzierung den historischen Bezug wahrt (Abb. 5.1a).Footnote 9 Das Plakat und der erste 20-sekündige Teaser „Norma Norman“ arrangieren die Figuren in ähnlicher Pose und mit direktem Blick innerhalb eines Motelsettings aus Bett, Lampen und Bildern, das historisch anmutet und eine warme Gemütlichkeit ausstrahlt, dem aber durch die Markierungen auf Psycho eine doppelbödige Semantik des Unheimlichen und Monströsen vorauseilt. Im Mittelpunkt steht die verhängnisvolle Exklusivität der Mutter-Sohn-Beziehung, die sich auf dem Plakat in dem Psycho-Zitat „A boy’s best friend is his mother“ ausdrückt (Abb. 5.1d), während sich Normans harmlose Erscheinung im Teaser in dem doppelbödig-ikonischen (Fratzen-)Lächeln bricht (Abb. 5.1b und 5.1c). In einer (fast) gleichmäßigen Fahrt nähert sich die Kamera im Teaser langsam Normans Gesicht. Jump Cuts und aggressive Industrial-Musik setzen auf der Wahrnehmungsebene Verfremdungseffekte, die eine wahnwitzige Störung hinter der sympathischen Fassade der Mutter-Sohn-Beziehung und Normans Lächeln andeuten.
Die Plakate der nachfolgenden Staffeln setzen dieses Konzept fort und variieren das enge Verhältnis von Mutter und Sohn (Abb. 5.2a–5.2d). Ab dem Plakat zur zweiten Staffel ist das warme Farbsetting dem kühleren Schema des blauen Titeldesigns gewichen, das dem engen Mutter-Sohn-Bund („blood is thicker“) eine ‚neue‘ Düsternis verleiht. Weitere Psycho-Zitate und -Blicke markieren die verhängnisvolle Entwicklung des Sohnes zu seinem serienmörderischen Alter Ego „Mother“ („Psycho“ und „She wouldn’t even harm a fly“). Schließlich verkehrt die erste Ausgangsmotivik im Plakat zur fünften und letzten Staffel vollständig in eine dunkle und verstörende Variante, die das gemütliche Motelzimmer in eine nächtliche Horrorvision verwandelt. Normans Blick und Normas mumifizierter Körper gehen in einer weniger doppeldeutigen als vielmehr eindeutigen Semantik des Unheimlichen auf. Über die Rahmung zu Psycho adressieren der Teaser und die Plakate ein kompetentes Serienpublikum und setzen das Mutter-Sohn-Narrativ in seiner Horrorsemantik fort. Erst in den zusätzlichen Beschreibungen offenbart sich die zeitgenössische Ausrichtung der Serienerzählung: „Bates Motel is a modern-day prequel to the genre-defining film Psycho that gives viewers an intimate portrayal of Norman Bates as his psyche unravels through his teenage years.“ (A&E).
In der Fortführung der Horrorsemantik und toten Mutterfigur nähert sich die Serie insbesondere in der letzten Staffel ihren historischen Vorläufern an, aber bietet erstmals eine ‚lebendige‘ Version der toten Mutterfigur. Während Psycho und die Sequels nach den Muttermorden nur die Stimme von „Mother“ wiederauferstehen lassen und die mumifizierten Leichenkörper als szenenbildnerische Attraktionen einsetzen, lebt Normans Mutter in Bates Motel in Normans dissoziativer Identität weiter und wird weiterhin von derselben Schauspielerin (Vera Farmiga) verkörpert. Nur einige Wochen nach dem Ende der vierten Staffel geben die Produktionsverantwortlichen bekannt, dass Farmiga weiterhin die Figur in ihrer dissoziativen Existenz spielen werde und liefern darin Hinweise zur ‚Wiederauferstehung‘ von Normans Alter Ego „Mother“. Für Fans entsteht so bereits weit im Vorfeld der letzten Staffel eine selbstreflexive Auseinandersetzung mit den „narrative special effects“ der Serie, die Mittell in seinem Konzept der „operational aesthetics“ von den üblichen technischen Special Effects wie beispielsweise Dinosauriern oder Weltallreisen abgrenzt:
The operational aesthetic is heightened in spectacular moments within narratively complex programs, specific sequences or episodes that we might consider akin to special effects. [...] While such special effects do appear on television [...], narratively complex programs offer another mode of attractions: the narrative special effect. These moments push the operational aesthetic to the foreground, calling attention to the constructed nature of the narration and asking us to marvel at how the writers pulled it off; often these instances forgo realism in exchange for a formally aware baroque quality in which we watch the process of narration as a machine rather than engaging in its diegesis. („Narrative Complexity“ 35)
Unterhaltungsformate wie Bates Motel steuern diesen Fandiskurs regelmäßig und explizit an, indem Creators und Cast an Fachmessen wie der San Diego Comic-Con International, eine der größten ihrer Art, teilnehmen und eigene Panels zur Serie anbieten. Panelmitschnitte und Interviewausschnitte mit Cast und Fans zirkulieren anschließend über soziale Netzwerke, wie unter anderem auch kurze Ausschnitte von der Comic-Con 2016 auf dem offiziellen YouTube-Kanal von A&E. In kurzen Videos reagieren Fans auf die Neuigkeiten, dass nicht nur Vera Farmiga (trotz Figurentod) als Norma Bates zurückkehrt, sondern auch Rihanna die Rolle der Marion Crane in der letzten Staffel übernimmt. Schon Anfang August werden so sechs Monate im Voraus Informationen für den Fandiskurs gestreut, die die narrative Ausgestaltung sowohl der ‚toten‘ Figur als auch die Annäherung an die Psycho-Handlung und ihr berühmtes Dusch-Opfer ‚anteasern‘. Die Vermarktung von Bates Motel nutzt mit der Besetzung von Rihanna als Marion Crane traditierte cross promotion-Effekte, um Rihannas internationales branding als „career artist“ (Lieb 41) und ihre mediale Reichweite auf digitalen Kanälen wie YouTube, Facebook und Twitter mit der Serie zu vernetzen.Footnote 10 Bates Motel schließt aber nicht nur an Rihannas symbolische Verkaufswerte an und verkoppelt ihr Star-branding mit Psycho’s Klassiker-Status und ikonischem Dusch-Opfer. In ikonischen Ausschnitten, die Rihanna als Marion Crane am Empfang (Abb. 5.3a) und im Badezimmer des Motels (Abb. 5.3b) zeigen, deutet die Serie bereits an, wie Rihannas Verkörperung dem weißen Opfer-Typus in Psycho entgegenläuft.
Erzählmaschinen populärer Medienangebote ziehen über Medienkopplungen wie diese Komplexitätsstrukturen ein, die, mit Mittell argumentiert, weniger in eine diegetische Welt hineinziehen als vielmehr eine medienkompetente Lektüre der Produktionsbedingungen und Erzählpraktiken auslösen. Es sind damit nicht mehr nur essayistische und avantgardistische Texte, die ein lustvolles ‚Lesen‘ eröffnen, wie es Barthes beschreibt („Die Lust am“), sondern nach Mittell legen ebenso konventionelle Erzählformate audiovisueller Unterhaltungsmedien ihre Sinnproduktion offen, indem sie die Bezüge und Zusammenhänge ihrer Semantiken preisgeben und zur medialen Zirkulation anregen. Die Erzählmaschine von Bates Motel bewegt sich hierbei zwischen der Fortführung beziehungsweise Annäherung an das bekannte Psycho-Narrativ und seine Genreindikationen als Horrorfilm, wobei das indirekt auch die Sequels umfasst, und einer semantisch-ästhetischen Distanzierung davon.
Neben dem Titel, dem Mutter-Sohn-Narrativ, der Mutterfigur und Rihannas Besetzung lässt sich das Verhältnis zwischen narrativ-genrehistorischer Bezüglichkeit und semantisch-ästhetischer Differenzierung in weiteren Teasern zur ersten Staffel nachvollziehen. In dem zweiten, 20-sekündigen Teaser „Norman Bates – The Story of a Sweet Boy“, der ebenfalls einige Wochen im Vorfeld der Serienpremiere erscheint, künden Eingangssätze wie „You’re new.“ (Nicola Peltz als Bradley) von der allgemeinen Neuheit der Serie und der Besonderheit dieses Psycho-Prequels: Bates Motel erzählt Normans Vorgeschichte als ein zeitgenössisches Teenager-Drama mit High School-Setting (Abb. 5.4). Das ordnet die Prequel-Handlung auf zwei gegensätzlichen Zeitebenen an: Die Geschichte suggeriert eine Ursprünglichkeit, als wäre sie in die Vergangenheit ‚zurück gereist‘, und ist doch zugleich im 21. Jahrhundert angesiedelt. Von dieser Zeitlichkeit geht ein weiterer Differenzfaktor aus, der einen modernen Zugang auf bekannte Figuren und Handlungen verspricht. Bates Motel greift hierbei auf ein erprobtes Serienkonzept zurück, das Prequel-Serien wie Smallville und Hannibal bereits erfolgreich nutzten. Das narrative Zeitkonstrukt spielt bewusst mit der Widersprüchlichkeit seiner chronologischen Anordnung, um über die zeitliche Komplexitätssteigerung erneut das Engagement der Zuschauenden einzufordern. Auch die Kollision zwischen historischen Narrativen und einer gegenwärtigen Fortsetzungs- beziehungsweise Vorerzählung kann im Sinne von Mittells „operational aesthetics“ als Verfahren betrachtet werden, das eine Langzeitrezeption, aktive Teilnahme und narrative Verständnisfähigkeit erfordert (Mittell, „Narrative Complexity“ 37): „This is the operational aesthetic at work – we want to enjoy the machine’s results while also marveling at how it works.“ (Ebd. 38).
Dass Bates Motel in den Materialien auf solch ein kompetentes und explizit serienerprobtes Publikum zielt, lässt sich an mehreren Stellen herauslesen. Neben der historischen Lektüre als Psycho-Prequel weisen insbesondere die personellen Überschneidungen zu Lost (2004–2010) auf ein anspruchsvolles Seriennarrativ hin: „From the producers of LOST“ liest sich hierbei als Qualitätsmerkmal, das nicht nur ein breites Figurenensemble und verzweigte Handlungen anbietet, sondern ebenso eine zeitlich anspruchsvolle Dimensionierung verspricht und die angebotene filmhistorische Neuinterpretation zu einem seriellen Erlebnis erweitert. Der Teaser montiert Szenenausschnitte, Texteinblendungen und Produktionshinweise zu einer audiovisuell dichten Sequenz zusammen, die Gratifikationen aus Vergnügen, Leid, Lust und Angst bereithält. Über den Zusammenschnitt an halbnackten Partyszenen, tröstenden Umarmungen, Liebes-, Verfolgungs- und Gewaltszenen erzählen Dialogfragmente von einer schwierigen Vorgeschichte (Norma: „Norman has been through a lot.“) und einer unheilvollen Gegenwart (Norman: „There’s something wrong with me.“). Sie lösen die anfängliche Harmlosigkeit der Ankündigung „The story of a sweet boy and his loving mother“ in ein Pulverfass an sexuellen Begierden, familiären Tragödien und drohender Gefahren auf. Wenn am Ende dieser 20-sekündigen audiovisuellen ‚Tour de Force‘ Norma im Angesicht all dieser Extremerfahrungen ihren Neuanfang einfordert („We came here to start over and I am starting over.“), dann bezieht sich das im Teaser weniger auf innerdiegetische Zusammenhänge, sondern kündet vielmehr von der Neuinterpretation der ‚historischen‘ Psycho-Vorlage und ihren multiplen Genremarkierungen.
Innerhalb dieses breiten Genreangebots verorten Plakat und Teaser die Serie über den Bezug zu Psycho in einen narrativ-semantisch geprägten Horrordiskurs, den vier weitere, 15-sekündige Teaser zu einer Art-Horror-Ästhetik erweitern. Diese Teaser bestehen aus kurzen beklemmenden Bedrohungsszenarien. Die Szenen zeigen vor allem junge Frauen in körperlichen Ausnahmezuständen und ohne weiteren narrativen Kontext: am Boden hockend und keuchend („Breath“, Abb. 5.5a); halbnackt und in Neonfarben leuchtend („Party“, Abb. 5.5b) und in einem Kellerraum gefesselt („Handcuffs“, Abb. 5.5c). Ein weiterer zeigt einen an Hitchcocks The Birds erinnernen schwarzen Raben mit einer abgetrennten Hand („Hand“, Abb. 5.5d). Die Szenen bestechen durch den Wegfall raumzeitlicher Markierungen und kausaler Zusammenhänge in einer unheimlichen Bildlichkeit und gerinnen zu genrespezifischen Wahrnehmungsbildern, die ein audiovisuelles Spektrum an mysteriös-schöner ‚Angstlust‘ eröffnen, wie es Scahill für aktuelle Horrorserien beschreibt (319). Die Materialien von Bates Motel generieren einen Genrediskurs, der den Serientext zwar zwischen Teenage- und Erwachsenen-Drama, Mystery-Krimi und Psycho-Thriller verortet, aber insbesondere eine Semantik des Horrorgenres nutzt, die sich narrativ aus dem Bezug zu Psycho speist und sich ästhetisch an einem modernen, surrealen Art-Horror orientiert.
Im Kontext des gegenwärtigen Serienmarkts bietet der Serientext damit ein abwechslungsreiches Genresetting, das auf ein breites Publikum zielt. Innerhalb dieser breiten Diskursivierung bewirkt der Rekurs auf Psycho eine Nobilitierung, die die Serie im Kanon der Filmkunst verankert und die zeitgenössische Neuperspektivierung zugleich akzentuiert. Demgegenüber fehlt es den Psycho-Sequels (wie auch dem gleichnamigen Pilotfilm von 1987 und dem Psycho-Remake von Gus van Sant von 1998) an symbolischen Verkaufswerten, um im Diskurs qualitative Mehrwerte für die Serie zu generieren. Während sie unerwähnt bleiben, bietet Psycho hingegen eine historische Reibungsfläche, die die kurzen Making-of-Trailer zur ersten Staffel zu einer Form der Selbstbefragung ausbauen.
5.1.2 Making-of-Trailer als generisch-serielle Selbstbefragung
Zur ersten Staffel werden vier 2–3-minütige Making-of-Trailer produziert, die den Fokus auf die Serie verstärken, ohne in semantische Redundanzen mit den übrigen Materialien aufzugehen.Footnote 11 Stattdessen bilden diese Trailer „die ideale Plattform zur Selbstdarstellung der Industrie“ (Hediger, „Verführung zum Film“ 137). Während ein allgemeiner „Behind the Scenes“-Trailer parallel zum ersten Teaser im Vorfeld veröffentlicht wird und Szenenmaterial mit Interviews und Set-Aufnahmen zu einer ersten Gesamtschau montiert, erscheinen im Anschluss an die Serienpremiere drei weitere Trailer mit Fokus auf den Produktionseinheiten des Drehbuchschreibens („The Writer’s Room“), der Regieführung („Directing Bates Motel“) und des Szenen- wie Kostümbilds („Designing Bates Motel“). Durch Interviews und Set-Aufnahmen weichen diese von konventionellen Trailerformen ab und markieren einen ‚Blick hinter die Kulissen‘, ohne aber eine vollständige Demaskierung der medialen Bühne zu leisten. Dies scheitert nach Hediger bereits an dem Umstand, dass „das Medium unhintergehbar ist“ („Verführung zum Film“ 136) und sich die erzeugten Gratifikationen aus Angst und Schrecken „als industriell fabrizierter Effekt (erweisen), der sich kraft der Operationen des medialen Systems unendlich aus sich selbst heraus reproduzieren kann“ (ebd.). Folglich werden in den Trailern im Sinne Caldwells auch keine ‚wahren‘ Herstellungsabläufe sichtbar, sondern „scripted performances“ („Screen Studies“ 172) über die eigene Arbeitsmoral, Sinnproduktion und Herstellungspraxis geliefert. In stilisierten Ausschnitten und inszenierten Kommentaren thematisieren die Trailer den industriellen Charakter und das technische Handwerk der Produktion von Bates Motel. Zu Wort kommt ausschließlich ein gewohntes ‚Above the line‘-Personal aus Cast, Creators, Regie, Szenen- und Kostümbild, das als konventionalisierte Instanz einer ‚Autorschaft‘ für die Serie spricht.Footnote 12 Indem die Produktionsmitglieder die eigenen Praktiken des Konzipierens, Schreibens, Schauspielerns, Drehens und Ausstattens reflektieren, entsteht in den Videos trotz des vermarktungstechnischen Attraktivitätszwangs eine spannende Metakommunikations-ebene, an der sich zwei zentrale generische Diskursivierungen aufzeigen lassen.
Einerseits führt das montierte Szenenmaterial den Genrediskurs der Teaser fort und benennt konkrete Genrezugehörigkeiten: „Not only are we dealing with this psychological thriller but I think there’s quite a bit of humor in it.“ (Tucker Gates in „Directing Bates Motel“) Die Produktionsmitglieder bestätigen die über Szenenausschnitte aufgerufene multiple Erlebnisspanne und beschreiben die Serienerzählung als „scary, and funny, and surprising“ mit jeder Menge „suspense“ und „twists and turns“ („Behind the Scenes“). Dabei sei nicht nur das kleinstädtische Setting „beautiful on the outside, but underneath […] very dark and malevolent“ (Carlton Cuse in „Behind the Scenes“). Insgesamt biete die Serie „a world of mystery and exploring darkness in the quirks of life“ (Tucker Gates in „Directing Bates Motel“). Die diskursive Rhetorik der Trailer führt zwar wesentliche Genremarkierungen aus den Teasern fort, aber hält diese derart allgemein, dass das montierte Serienmaterial einen generischen Serientext zwischen Psycho-Thriller, makabrem Mystery-Krimi und Art-Horror-Ästhetik entstehen lässt. Dieser bleibt hinreichend flexibel, damit sich die Zuschauenden ein individuelles ‚Genrebild‘ machen können. Andererseits entwerfen die Produktionsmitglieder Bates Motel in Abgrenzung zu ‚gewöhnlichen‘ Sequels und Remakes als eine „Reimagination“ von Psycho: „We are not remaking Psycho, we are using it as an inspiration. […] It’s an incredible reimagining of the original Psycho.“ (Vera Farmiga und Nestor Carbonell in „Behind the Scences“) Die Reimagination drückt sich im „Behind the Scenes“-Trailer in den Besonderheiten der Produktion aus, die von ‚atemberaubenden Kulissen und Drehorten‘ über einen ‚talentierten Cast‘ bis zu einem ‚außergewöhnlichen Drehbuch‘ eine Reihe an symbolischen Verkaufswerten umfassen, wie aus den kurzen Interview-Kommentaren zu erfahren ist. Davon zeugt auch die technisch-apparative Komplexität der Produktion, die in den Innen- und Außenaufnahmen vom Set zum Vorschein kommt (Abb. 5.6a–5.6d) und den übergreifenden Genrediskurs an einen Arbeitsdiskurs bindet, der demonstriert, welch aufwändige Produktionsleistungen in der Unterhaltungsindustrie erforderlich sind. Über die Making-of-Trailer kann sich das Publikum vergewissern, dass die erlebte Befriedigung durch die Serienunterhaltung keinem mysteriösem Wunderwerk entspringt, sondern durch harte Arbeit hergestellt wird (Hediger, „Verführung zum Film“ 136 f.) Gegenüber dem allgemeinen Making-of-Trailer sprechen die Interviewten in den Trailern zu „The Writer’s Room“, „Directing Bates Motel“ und „Designing Bates Motel“ ausführlicher über ihren Arbeitsbereich. Das montierte Serienmaterial enthält zudem längere Szenenausschnitte, die wie ‚Beweismaterial‘ die Aussagen zu den zugrundeliegenden Gestaltungskonzepten des Drehbuchs, der Regieführung, des Szenen- und Kostümbilds belegen. Durch den Ausstrahlungskontext dieser Trailer, im Anschluss an die Serienpremiere, entstehen neue intertextuelle Zusammenhänge.
Wenn beispielsweise Kerry Ehrin in „The Writer’s Room“ die Figuren- und Handlungsdramaturgie als ein Katz-und-Maus-Spiel beschreibt, demonstriert zwar die anschließende Motelzimmerszene, inwiefern dies gemeint ist, allerdings leistet sie das nicht aus sich allein heraus. Erst der Kontext aus der ersten Folge entschlüsselt die Szene hinsichtlich der dramaturgischen Metapher: Der nächtliche Polizeibesuch im Motel erschließt sich als spannungsreiches Thriller-Moment nur mit dem Wissen, dass sich hinter dem Duschvorhang die Leiche des ehemaligen Motelbesitzers versteckt (Abb. 5.7).
Aus generischer Sicht auffällig ist, dass sich die herangezogenen Szenen angesichts des zur Verfügung stehenden Serienmaterials und der Vielzahl an zu bestückenden Materialien auf nur wenige reduzieren. In den Trailern und Teasern tauchen oftmals dieselben Szenen auf, die jeweils in leicht versetzten Ausschnitten eingefügt werden. Nicht nur ergeben sich so zwischen den Materialien diverse audiovisuelle Wiederholungsmuster, die zugleich über Schnitt und Montage jeweils neu arrangierte und erweiterte Differenzstrukturen annehmen. Im Kontext ihrer diskursiven Verwendung erzeugen sie so einen Genrediskurs, der zwar einen ‚engen‘ generischen Serientext konstruiert, aber diesen wiederum semantisch auffächert. Die einzelnen Ausschnitte gehen je nach Diskursivierung in mehreren Genresemantiken auf, wie beispielsweise Normas oben beschriebenem Wutausbruch: Während dieser im zweiten Teaser „Norman Bates – A Story Of a Sweet Boy“ die audiovisuelle Intensität der zeitgenössischen Genreausrichtung der Serie markiert und im Trailer „Behind the Scenes“ die Beschreibungsrethoriken der Produktionsmitglieder bestätigt, unterstreicht er im Trailer „Directing Bates Motel“ die vom Regisseur Tucker Gates herausgestellten „Survivor“-Qualitäten der Figur. Wiederum im Kontext des Serienwissens bezieht diese Qualität die Rape-Revenge-Szene der ersten Folge ein, in der sich Norma gegen den Angriff des ehemaligen Motelbesitzers zur Wehr setzt und die Genresemantik des Final girl aufruft.Footnote 13
Dass die Trailer Szenen nutzen, um einen Genrediskurs zu belegen, den die Teaser zuvor über dieselben Szenen erst generierten, hat zwei Konsequenzen: Einerseits ergibt sich ein diskursiver Zirkelschluss, wie es die Arbeit zuvor für Genres allgemein als konstitutiv und produktiv theoretisierte. Anderseits ergeben sich so zwischen den Materialien Rückbezüglichkeiten, die die Szenenausschnitte innerhalb einer industriellen Selbstthematisierung zu genrespezifischen Interrogationsmaterialien formieren. Caldwell beschreibt diese Diskursivierung als eine selbstreferentielle, semantische Form des „commercial, industrial self ‚theorizing‘“ (176). Die interviewten Produktionsmitglieder reflektieren Arbeitsvorgänge, Produktionsherausforderungen und individuelle Leistungen an der Gesamtentstehung, während die Szenenausschnitte das ‚Beweismaterial‘ bilden. Diese Form der Selbstthematisierung zielt weniger auf eine selbstkritische Reflexion und theoretisch-analytische Erkenntnisse, sondern entspricht vielmehr einer kritischen Selbstbefragung, die die dramaturgischen Herausforderungen innerhalb der Drehbuchpraxis, Regieführung, des Szenen- und Kostümbilds beleuchtet.
Die Trailer „The Writer’s Room“ und „Directing Bates Motel“ nehmen für das zeitgenössische Prequel-Konzept der Serie eine solche Selbstbefragung vor. Während für den Regisseur Tucker Gates die ikonischen Räumlichkeiten eine zentrale Herausforderung darestelle – „Our real challenge was, taking those icons and then built a living world […], a modern world.“ („Directing Bates Motel“), gehe für die Creators Carlton Cuse und Kerry Ehrin mit diesem Konzept ein befreiender Zugriff auf die historische Erzählvorlage einher, an der sie sich zwar orientieren, aber in der dramaturgischen Entwicklung nicht eingeschränkt fühlen: „They are huge iconic characters. So, starting with that as a base and kind of staying true to it but not being withholden to it.“ (Kerry Ehrin) Psycho bilde dabei eine übergeordnete Spannung aus, bei der das Publikum bereits weiß, worauf alles hinausläuft: „We know that Norman is going to become the version of the guy from the movie. And I think that gives the show an incredible tension because you know what the characters' fates are but how are they going to get there?“ (Carlton Cuse) Woraus die Freiheiten und Einschränkungen konkret bestehen, bleibt rhetorisch ebenso vage wie die Hinweise auf das Ende, das vermeintlich alle kennen. Erst die Szenenausschnitte vermögen die mit dem konzeptionellen Ansatz verbundene Darstellung der Jugendkultur (Abb. 5.8a) sowie die Einbettung ikonischer Elemente, wie dem gleichen Motelschild (Abb. 5.8b) und Normas Schlafzimmerfenster im oberen Stockwerk (Abb. 5.8c), zu illustrieren. Auch hier wird ein zusätzliches Kontextwissen eingefordert, welches über das Serienwissen hinaus ein filmhistorisches Wissen zu Psycho einbezieht, um die angebotene Semantik der Ausschnitte zu verstehen. Die Trailer suggerieren eine cinephile Publikumsexpertise, wobei ein fehlender Wissensvorsprung weder aus der vergemeinschaftenden Rhetorik ausschließt, noch von den Trailern selbst aufgefüllt wird. Wer Psycho und sein Ende (noch) nicht kennt, dem nehmen die Trailer das Erlebnis, dieses noch zu entdecken, nicht vorweg. Stattdessen animieren sie zu einer nachträglichen Recherche und Lektüre von Psycho, um im Modus der „operational aesthetics“ nach Mittell die gesetzten Markierungen zu entschlüsseln und das Erlebnis der Serienrezeption zu steigern.
Neben dem übergeordneten Umgang mit der filmhistorischen Vorlage innerhalb des zeitgenössischen Prequel-Konzepts befragt der Trailer „The Writer’s Room“ auch die dramaturgische Entwicklung von Norman Bates’ Geschichte und schreibt der ‚eigenen‘ Drehbuchpraxis eine aufrichtige Arbeitsweise zu: „There’s a lot sort of fundamental questions that you ask as a storyteller and through answering these questions the story reveals itself.“ (Carlton Cuse) Gleichzeitig erhält diese eine detektivische Bildkomponente, wenn der Sheriff das Auto inspiziert (Abb. 5.8d).Footnote 14 Die dramaturgische Herausforderung bestehe darin, sowohl Bekanntes wie auch Neues einfließen zu lassen: „It’s like doing a Rubik’s Cube. It’s a puzzle.It’s like, how can I take this character that everybody knows and read some new qualities into that?“ (Kerry Ehrin) Die Serienautorin Kerry Erhin beschreibt darin einen Kern generischer Produktivität: die ästhetisch-semantische Differenzleistung von Genres, die Genres diskursiv wie historisch zu überaus komplexen Phänomenen gestaltet. Doch anstelle einer theoretischen Abstraktion formuliert Ehrin eine dramaturgische Praxis, die sich wie ein ‚Rätsel‘ verhält und dessen Lösung den jugendlichen Serienfiguren überlassen wird: „You’re different. – What’s so different about me? – I don’t know. I just … a feeling I get.“ (Bradley und Norman, Abb. 5.8e).
In den Making-of-Trailern kennzeichnet die generisch-serielle Differenzleistung von Bates Motel eine industrielle Herstellungsform, die trotz der technisch-apparativen Maschinerie aus einer kreativen Kollektivarbeit heraus entsteht und erzählerische Freiheiten wie Rätsel bereithält.
The writing process on the show was really different than any other show that I worked on. We developed these stories in a much more personal manner than they are normally developed in a big room when you have a television show. And I think that the show reflects that. There is kind of a real personal quality to the storytelling. (Carlton Cuse)
Demgegenüber gestaltet der Making-of-Trailer „Designing Bates Motel“ zum Szenen- und Kostümbild die Reimagination von Psycho als eine nostalgische Kreativarbeit.
5.1.3 Der nostalgische Rückbezug
Im Trailer zu „Designing Bates Motel“ erfährt das Publikum nicht nur, dass das Filmset von Psycho nach Hitchcocks Blueprints originalgetreu nachgebaut und in fantastisch historischer Weise ausgestattet wurde:Footnote 15 „The set arc and the constructions are so terrific, the decorations, specifically all the stuff that’s in there, all the historical stuff, there’s a story behind all of it and it’s wild to be in the space and feel all of it.“ (Vera Farmiga) Die Figur des ehemaligen Motelbesitzers verrät zudem, aus welchen Epochen Haus und Motel stammen: „My great−great−grandfather built this house in 1912 and my grandfather built that motel in the 50s.“ Darin entspricht das Szenenbild aber weniger einer realhistorischen Bezugnahme als vielmehr einer filmhistorischen Rekonstruktion von Psycho. Die Aufnahmen vom Motelzimmer-Set und der Dusche (Abb. 5.9a), der Hausfassade (Abb. 5.9b) und dem Interior der Schlaf- und Wohnräume (Abb. 5.9c und 5.9d) spiegeln einen rekonstruktiven Ansatz, der nicht auf eine historische Präzision des „historical stuff“ ausgelegt ist, sondern vor allem eine Nähe zu dem ästhetisch-semantischen Erscheinungsbild von Psycho herstellen will. Dagegen bezieht sich das Kostümbild weniger auf Psycho, sondern wird vielmehr in seiner dramaturgischen Funktion diskursiviert: „The actor has a lot to do with costume. I try to understand the character and then we built a closet that support[s| the character, that has history, that feels like [that it] hasbeen there for a long time.“ (Monique Prudhomme) Insbesondere bei der Figur von Norma Bates greift hierbei ein Stilansatz, den die Kostümbildnerin Monique Prudhomme als „reinterpretation of the beautiful lines of the 40 s, 50 s, and 60 s“ beschreibt. Auch dieser Stil folgt keiner historischen Präzision; in den Kleidern fließen verschiedene Zeiten und vergangene Stile in einem Retro-Stil ineinander (Abb. 5.9e und 5.9f), der eine ‚Originarität‘ suggeriert, wie es in vielen Unterhaltungsmedien und Produktionsdesigns bereits seit längerem als ‚Retro-Trend‘ zu beobachten ist (Abend et al. 20).
An der Selbstdiskursivierung des Szenen- und Kostümbilds zeigt sich ein für die Serie insgesamt geltender Umgang mit medialer Geschichtlichkeit. Rekonstruktionen, Zitate, Anleihen und historische Stile gehen in einer nostalgischen Retroästhetik zusammen, die einen ‚Eindruck‘ von Psycho und dem sich darin spiegelnden zeithistorischen Kontext zu rekonstruieren anstrebt. Denn weder im Szenenbild oder „historical stuff“ der Ausstattung noch in der stilistischen Reinterpretation der Kostüme geht es um eine historische Kohärenz. Vielmehr vermittelt der Trailer ein medial geprägtes ‚Gefühl‘ von Vergangenheit und Geschichte, das einerseits den technisch-apparativen Präzisionsaufwand würdigt, der den Räumen, Requisiten und Kostümen eine ikonische Wiedererkennbarkeit verleiht. Anderseits beschwört das ‚Gefühl‘ eine filmische ‚Lebendigkeit‘ herauf, die die Zuschauenden gleichermaßen ergreifen soll wie das Produktionsteam: „You look at the playground that is goning to be your set and it’s really wonderful… [it] doesn’t feel like work, feel like play.“ (Vera Farmiga).
Mit der prominenten Bezüglichkeit auf Psycho bauen die herangezogenen Materialien zur ersten Staffel einen semantischen und selbstbezüglichen Genrediskurs auf, der über ikonische Referenzen auf das verhängnisvolle Mutter-Sohn-Verhältnis und die Genese der Serienmörderfigur narrativ-semantische Bezüge zum Horrorgenre herstellt. Diese verknüpfen die Teaser mit einer zeitgenössischen Art-Horror-Ästhetik, die ein breites Spektrum an ‚Angstlust‘-Momenten und multiplen Genreerlebnissen aus Teenage-/Familiendrama und spannender Kriminalunterhaltung bietet. Die historische Bezugnahme auf Psycho steht als „Reimagination“ zudem im Fokus einer Selbstbefragung. Nicht nur formuliert sich darin die Serie als dramaturgisch konstruierter generischer Serientext und als eine technisch-apparative Rekonstruktionspraxis; in beidem kommt eine Vorstellung von (Film-)Geschichte und eine Haltung zur „Inspirationsquelle“ zum Ausdruck, die am ehesten als nostalgisch zu beschreiben ist. Nostalgie beschreibt eine Gefühlsregung, die nach Abend et al. begrifflich und kulturgeschichtlich die Rückkehr zu einem Ort ersehnt und zugleich mit der Sehnsucht nach diesem verschwimmt:
Obschon es demzufolge nahe läge, mit Nostalgie eine auf einen bestimmten Ort gerichtete Gefühlsregung zu bezeichnen, handele es sich vielmehr um die Sehnsucht nach einer anderen Zeit. Die Rückkehr an die Orte der Vergangenheit sei lediglich ein vergeblicher Versuch, vergangene Empfindungen heraufzubeschwören und die unerbittlich fortschreitende Zeit zurückzudrehen. (15)
Die Sehnsucht nach diesen vergangenen und angeblich besseren Orten entspringt dabei einer veränderten Zeitvorstellung (ebd. 16) und einem mit der französischen Revolution und Industrialisierung einsetzenden Fortschrittsgedanken, der „den wiederholten Bruch mit der Vergangenheit (voraussetzt) und sich auf die Zukunft (richtet), wodurch der Erwartungshorizont eine utopische Komponente erhält“ (ebd. 17). In der Heterogenität und Parallelität der im 20. Jahrhundert auffächernden Stile und Diskurse, die in Frederic Jamesons Postmoderne-Kritik regressiv und idealistisch auf Vergangenes zurückgreifen, sehen Abend et al. Vorläufer aktueller Retro-Trends (19). Die Nostalgie gerät zu einer Vermittlungsinstanz zwischen einer Gegenwart, die unzulänglich erscheint, und einer Vergangenheit, die eine vermeintlich ursprüngliche Erfahrungsdimension verspricht. Mediale Erzählungen wie Bates Motel beschwören diese herauf, „um ein tröstliches Gefühl von Transzendenz und Schließung zu ermöglichen“ (ebd. 20).
In dem Genrediskurs der Materialien scheint damit die Vorstellung einer medialen Genrevergangenheit auf, die als zu rekonstruierende Orte, Kostüme, Dramaturgien und Einstellungen zwar mit erheblichem Produktionsaufwand, aber dennoch relativ ‚einfach‘ wiederherzustellen ist. In diesem Sinn gehen die kritischen Selbstbefragungen des zeitgenössischen Prequel-Konzepts in einer nostalgisch-idealistischen Haltung gegenüber dem Bezugsobjekt Psycho auf. Das liefert aber nur „ein gefiltertes Nachbild, bei dem es weniger um historische Authentizität geht, als vielmehr darum, gegenwärtige Utopien in die Vergangenheit zurück zu projizieren.“ (Ebd. 21) Denn nicht eine präzise Historie steht im Zentrum, sondern gegenwärtige Erfahrungsdimensionen, die im Mantel einer Vergangenheit (re-)imaginiert werden, die sich als utopisch herausstellt. Denn eine Rückkehr in diese Vergangenheit von Psycho ist nicht nur durch lebensweltliche, sondern auch durch generische Veränderungen längst versperrt. In Bates Motel geht es also um die Reimagination gegenwärtiger Genrewelten, die nicht durch eine Art-Horror-Ästhetik und multiple Genreangebote bestechen, sondern vor allem genrespezifische Gender-Semantiken aufweisen, die gerade durch die Rückprojektion einen Reflexionsfilter durchlaufen, der ihre Aktualität verstärkt. Dem wird im Folgenden anhand der Figur von Norma Bates und der Duschszene nachgegangen.