Neben den Orten und Figuren nehmen die Sequels auch an der Duschszene aus Psycho wechselseitige Relektüren vor, indem sie die Duschszene zuerst als ‚primäres‘ Objekt herausstellen, bevor in eigenen Versionen strukturelle Abweichungen (Psycho II) und semantische Umdeutungen (Psycho III) vorgenommen werden. Die Duschszene wird hierbei als ‚historische‘ Genresignatur festgeschrieben, deren Schrecken zwar nicht mehr aufgerufen werden kann, aber die sich dennoch auf die Wahrnehmung der Fortsetzungserzählungen und der ‚neuen‘ Duschszenen auswirkt. Zuerst wird an Psycho II aufgezeigt, wie die Duschszene als Prolog, oder auch pre-credit sequence, zum ‚originären‘ Duschmord transformiert wird und die Duschszenen der neuen Handlung über eine bedrohliche Semantik unterläuft. Anschließend wird an Psycho III deutlich, wie die Duschszene sich als abrupter Flashback einschiebt und zu einem unüberwindbaren Erinnerungsmoment erhebt, das eine Perspektivierung Maureens als Marions Doppelgängerin vornimmt und ihre Ankunft im Motel und die folgende Duschszene zwar determiniert, aber von einer Horror- in eine ‚Errettungsvision‘ verändert.
4.3.1 Der ‚originäre‘ Duschmord in Psycho II
Die Duschszene bildet den Auftakt der Fortsetzungsgeschichte von Psycho II, der sie als Prolog nicht nur vorangestellt wird, sondern in der sie auch Normans Rückkehr als narrative Folie begleitet. Die Szene setzt mit der Leuchttafel des ‚Bates Motel‘ ein, auf den Marions Gang in das Badezimmer folgt, und endet mit dem Blick durch das Motelzimmerfenster auf das Wohnhaus, wenn Normans Aufschrei erklingt: „Mother! Oh, God, Mother! Blood! Blood!“ Aus dem narrativen Kontext von Psycho herausgelöst, wird die Duschszene über zwei räumliche Bezugspunkte, Motel und Haus, eingerahmt. Das Zitat ruft aber nicht einfach den mörderischen Ablauf und die räumliche Verortung in Erinnerung; die Einbindung in Psycho II nimmt spezifische formalästhetische Veränderungen vor, die die Szene generisch-seriell neu verbinden. Zwei formale Aspekte sind hierbei markant, die allerdings nur in einem direkten Vergleich auffallen und für das Durchschnittspublikum kaum zu erkennen sind. Erstens variiert das Format zwischen der Kino- und späteren DVD-Veröffentlichung, was einen ästhetischen Bildzugewinn zur Folge hat, und zweitens ist die Szene um Einstellungen gekürzt worden.Footnote 25 Gegenüber dem ursprünglichen 1.85:1 Widescreen-Kinoformat von Psycho ist das Bild in Psycho II in ein 1.33:1 Fernsehformat ‚geöffnet‘ und erhält so einen Bildzugewinn (Abb. 4.7a und 4.7b), der für ein filmhistorisches Verständnis nicht zu unterschätzen ist (Distelmeyer 99 ff.; Heller, „Prettier than Ever“).Footnote 26 Die (restaurierten Neu-)Veröffentlichungen auf DVD, Blu-Ray und Streaming-Plattformen prägen buchstäblich unser ‚Bild‘ der Vergangenheit. Auch wenn die entscheidenden Bildinhalte horizontal ausgerichtet sind und der Bildzugewinn nicht unbedingt zusätzliche narrative Informationen liefert, schließen die zusätzlichen Details wie der Duschkopf, die Halterungsleiste und der Türrahmen vor allem den oberen Bildbereich anders ab, statt einen fließenden Übergang in das Off des Bildes zu leisten. Bereits an diesen minimalen Formatänderungen zeigt sich, dass die in Psycho II vorangestellte Duschszene nicht einfach aus Psycho ‚herauskopiert‘ und unverändert einfügt wird, sondern einem verändernden Zugriff unterliegt, der in der formattechnischen Öffnung Psycho bereits als vorausgehendes ‚Original‘ demaskiert.
Auffälliger noch als das Format, jedoch auch nur im direkten Vergleich erkennbar, sind die vorgenommenen Kürzungen, die in den szenischen Ablauf eingreifen. Unter anderem fehlt die Toiletten-Einstellung, in der Marion die zerrissenen Papierschnipsel hinunterspült, welche ihren Diebstahl auflisten und von Lila innerhalb der Detektivhandlung als Beweis ihres Aufenthalts im Motel gefunden werden (nicht alle Schnipsel sind in die Toilette gefallen). Des Weiteren wurde die Abfluss-Einstellung herausgeschnitten, die nach Marions Tod dem fließenden Wasser folgt und in einer soghaften Drehung in Marions totes Auge überblendet. Stattdessen betritt Marion unmittelbar die Dusche und nachdem sie tot über den Badewannenrand fällt, wird von der Frontalaufnahme des Duschkopfs direkt auf Marions leeren Blick gewechselt (Abb. 4.7c und 4.7d). Damit ist die Szene nicht nur aus ihrem äußeren Narrationskontext, sondern auch von jenen generischen Markierungen gelöst, die sie in Psycho noch mit der vorgängigen Raubgeschichte des Thrillers sowie der nachfolgenden Detektivgeschichte verbindet und der audiovisuellen Brutalität noch eine indifferente Subkomponente verleiht. Die Kürzungen lösen die Duschszene aus diesen generischen Kontexten heraus, sodass sie als Zitat nur noch jenes innerszenische Moment markiert, in das die Gewalt als pointierte Brutalität, als „slicing and physical penetration“ (Kendrick, „Hollywood Bloodshed“ 43), in das intim-erotische und ungeschützte Moment der Dusche Einzug hält und ihr weibliches Opfer findet. Der überraschende und destabilisierende Effekt, der in Psycho noch mit der Tötung der Hauptfigur entsteht und in einer filmischen Gleichgültigkeit mündet, die das gleichförmige Weiterrauschen des Wassers und die soghafte Wirkung der Abfluss-Einstellung erzeugen, werden in Psycho II nicht mehr aufgerufen. Woher Marion kommt und warum sie im Bates Motel ist, interessiert in der Fortsetzung nicht mehr.
Die Formatänderung, aber insbesondere die Kürzungen, unterstreichen, was Distelmeyer als „anti-originale Eigenschaft des Films“ (101) beschreibt: Es existiert keine fixe Größe ‚Film‘, „die an irgendeinem Ort zu einer bestimmten Zeit in einem Kino gezeigt worden ist“ (102) oder im vorliegenden Fall reproduziert werden kann.Footnote 27 Ein vorausgehendes Original im Sinne eines stabilen Werkzusammenhangs kann nur diskursiv suggeriert werden, wobei dieser originäre Status durch den Transfer in einen neuen narrativen Kontext zugleich unterlaufen wird. Auch in Psycho II wird die Duschszene nur diskursiv als ‚originale Duschszene‘ gesetzt, indem sie prominent an den Anfang gestellt wird, aber damit Psycho de facto nachträglich ist. Darin folgt Psycho II dem bereits bestehenden Diskurs, der Psycho und die Duschszene längst als Klassiker und meisterliche Genreikone des Horrors kulturell genormt hat. Zugleich zeigt ein genauer Blick auf, dass diese kulturelle Normung im Material selbst nicht ohne Weiteres angelegt ist, sondern die spezifische ‚Originalität‘ einiger medialer Veränderungen bedarf, um als pointierte Genremarkierung des Horrors zu funktionieren. Erst die Lösung vom narrativen Kontext und den generischen Verbindungen in Psycho verändern die Szene zu dem brutalen Duschmord, als der sie im Diskurs bereits existiert und als welcher sie schließlich repräsentativ für Psycho an den Anfang der Fortsetzung gesetzt werden kann. Indem Psycho II die Duschszene an ihren diskursiven Status anpasst, greift sie retrospektiv in die Materialität von Psycho ein und führt den schon bestehenden Diskurs auf filmischer Ebene fort. Als ikonischer Duschmord konstituiert sich die Duschszene damit erst im Nachhinein.
Auswirkungen auf Psycho bewirkt die Duschszene auch in Bezug auf Psycho II Rückkopplungen. Aus der letzten Haus-Einstellung schält sich die Fortsetzungshandlung heraus, wobei im genauen Vergleich zu Psycho geringe Unterschiede in der Perspektive und den Bilddetails festzustellen sind, die das Haus in seiner architektonischen Gesamtheit ohne die seitliche Gardine zeigen (Abb. 4.8). Es handelt sich in Psycho III um eine neue Aufnahme, die den Blick auf das Haus und die Schwarzweiß-Ästhetik von Psycho imitiert und sich so als ‚frühere‘ Aufnahme kaschiert. Dabei nehmen die visuellen Veränderungen, die ebenfalls ohne direkten Vergleich nicht zu erkennen sind, bei genauer Betrachtung eine wichtige Fokusverlagerung vor, die den Blick von zusätzlichen Rahmungen befreit und das Haus in der Bildmitte zentriert, sodass sich in der anschließenden langen Einstellung der Blick auf das Haus intensivieren kann und das Haus als dunkle und düstere Erscheinung vor dem hellen Nachthimmel umso expressiver hervortreten lässt. Diese Aufnahme ist der Ausgangspunkt eines langsamen transformativen Übergangs, in dem sich Psycho und Psycho II ineinanderschieben und wechselseitig verschieben. Nach Normans Aufschrei geht die Schwarzweiß-Einstellung langsam in eine blaue Sättigung über (Abb. 4.9a), auf die mit ‚Anthony Perkins‘ die Cast Credits eingeblendet werden, bevor in einer Schwarzblende der Titel ‚Psycho II‘ folgt.Footnote 28 Während sich die bereits blau gefärbte Nachtaufnahme in ein warmes Gelb der Morgendämmerung auflöst (Abb. 4.9b) und schließlich in volles Tageslicht und blauen Himmel übergeht (Abb. 4.9c), scheint nicht nur die nächtliche Düsternis von Psycho verschwunden, sondern in Psycho II scheinen auch die Jahre zwischen 1960 und 1983 nahtlos ineinander überzugehen und sinnbildlich einen Neuanfang einzuleiten.
Über die Duschszene werden beide Produktionen wechselseitig in Bezug zueinander gesetzt und die zwischen ihnen liegenden Jahrzehnte ästhetisch überbrückt. Das schließt insofern an die vorherigen theoretischen Ausführungen zu den generisch-seriellen Interdependenzen an, als dass Psycho zwar als vorherige primäre Produktion markiert wird, sich ihr originärer Status aber erst nachträglich über die in Psycho II geleistete Kürzung und den transformativen Übergang generiert. Psycho II stellt die Duschszene als genrespezifisches Initiationsmoment der eigenen Erzählung voran, die als brutaler Duschmord nicht nur ‚originär‘ auf Psycho zurückverweist, sondern auch die Fortführung in Psycho II als Slasherfilm vordeutet.
Dieses gezielte, wechselseitige Verbindungsverfahren erhebt die Duschszene zum vorausgehenden Bezugsobjekt, aber es generiert dieses in seiner dafür nötigen markanten Form und generischen Signifikanz erst nachträglich. Die Anbindung verläuft folglich gegenläufig: Nicht Psycho wird mit Psycho II verbunden, auch knüpft Psycho II nicht einfach an Psycho an, sondern vielmehr greift Psycho II transformativ auf Psycho zu. Erst darüber werden der Duschszene im Anschluss an Fehrmann et al. ein autonomer Status und ein Beurteilungsrecht für den nachfolgenden Film zugesprochen. Sie wird hierdurch zu demjenigen Standard erhoben, an dem es sich Psycho II messen lassen will. Dabei kann die Schockwirkung, die 1960 noch in der überraschenden Tötung der Hauptfigur entsteht, so nicht mehr hergestellt werden. Die Signifikanz der Duschszene ist von historischer Prägung, denn sie steht ästhetisch für ein state of art-Horrorkino von 1960, das nicht nur als Zitat funktioniert, sondern auch als Archivbild betrachtet werden kann. Mit den Überlegungen von Matthias Steinle zum Archivbild als „Zeichenkomplex“ und „Wahrnehmungsphänomen“, das sich „aufgrund ästhetischer Markierungen zeitlich in der Vergangenheit und räumlich in einem anderen Ursprungskontext situiert“ (262 f.), ist auch die Duschszene in Psycho II als ‚bereits existent‘ semantisch-medial präformiert und strahlt eine Autorität als authentisches Zeitzeugnis bzw. Genrezeugnis aus. Durch die Wiederverwendung wird der Szene ähnlich den Archivbildern nach Steinle besondere Signifikanz zugesprochen. Ihr Schrecken jedoch kann als genrespezifisches Grundmoment nicht mehr erlebbar gemacht werden. Im Kontext von Psycho II kommt ihr daher eine neue Funktion zu. Die Duschszene wirkt im Anschluss an Kelleter an der eigenen medialen (Selbst-)Historisierung mit. Indem sie gegenüber anderen Elementen als erinnerungswürdig herausgelöst und als signifikant vorangestellt wird, verweist sie als ‚historischer‘ Duschmord nicht nur retrospektiv auf Psycho, sondern bildet in Psycho II den Auftakt einer genrespezifischen Mordserie. Auf generisch-serieller Ebene geht damit von Psycho II die ‚produktive Kraft‘ des Genres aus, wie sie Grindon (49) und Berry-Flint (26) beschreiben, denn indem das Sequel die Duschszene verändert, öffnet es die als abgeschlossen angelegte Erzählung von Psycho nachträglich für eine Fortführung und bindet diese in einem transformativen Übergang prospektiv an eine neue Horrorerzählung. In der Verbindung bildet sie im Sinne Oltmanns ein unfinished business, das nicht nur auf den früheren Text rückwirkt, sondern sich auch auf die Wahrnehmung der ‚neuen‘ Duschszene in Psycho II auswirkt.
4.3.2 Abweichende und bleibende Gefahren in Psycho II
Als in Psycho II die junge Kellnerin Mary Samuels in das Haus einzieht und das Badezimmer in der oberen Etage benutzt, erfolgt eine Reinszenierung der Duschszene, die ähnlich wie in Psycho nach dem ersten Drittel des Films platziert ist und zuerst das gleiche Einstellungsarrangement bedient (Abb. 4.10a–4.10f): Die Kamera folgt ihren Füßen, wie sie die Dusche besteigt und den Vorhang schließt, hinter dem sie wie einst Marion schemenhaft zu erkennen bleibt. In der Dusche folgen seitliche und frontale Einstellungen des Duschkopfs sowie ihres Gesichts. Während Marion in Psycho nicht nur von vorn und von beiden Seiten gezeigt wird, sondern sich in einer langsamen Kamerabewegung auch die kommende Gefahr ankündigt, wechselt die Kamera in Psycho II wieder relativ schnell zurück auf den äußeren Blick auf den Duschvorhang, um ‚neue‘ Einstellungen folgen zu lassen (Abb. 4.10g–4.10j): Von der Dusche löst sich der Blick und dreht sich um 180 Grad entlang der eigenen Achse zur gegenüberliegenden Wand, um sich ähnlich der doppelten Annäherung von Gestalt und Kamera in Psycho langsam auf das Loch im floralen Tapetenmuster anzunähern. In diesem taucht überraschend ein anderes Auge auf. Die Kamera alterniert zwischen den gegenläufigen Blicken, bis Mary, Verdacht schöpfend, in Richtung des Gucklochs schaut. Nicht nur Mary vermutet, heimlich von Norman beobachtet zu werden; das Einstellungsarrangement legt auch kurzzeitig für die Zuschauenden nah, dass der voyeuristische Blick Norman gehört. Diese ‚neue‘ Duschszene verkehrt Psycho auf mehreren Ebenen.
Innerhalb der intim-erotischen Rahmung, die Psycho II deutlich an gegenwärtige Darstellungskonventionen von Nacktheit anpasst, betritt Marion in Psycho noch einen geschützten Raum, in dem das brutale Ende noch nicht abzusehen ist und das gleichförmige Rauschen des Wassers eine sinnlich-berauschende Intensität erlaubt. Die Dusche markiert innerhalb des generischen Settings eines Slasherfilms inzwischen einen gefährlichen Ort des Alltäglichen, mit dem nicht nur eine antizipierte Angstlust einhergeht. In Psycho II unterläuft das (erinnerte) Wissen um genau diese trügerische Ruhe und ihr brutales Ende auch die Wahrnehmung der Szene. Die Autorität von Psycho’s Duschszene determiniert Marys Duschszene von ihrem potentiellen Ende her. Während sich die ersten Einstellungen in der Dusche deutlich eng an Psycho orientieren und trotz der räumlichen Variation (Haus statt Motel) eine Parallelität aufrufen, deutet sich mit dem Wechsel zurück auf die Außenperspektive eine strukturelle Abweichung an. Doch in der langsamen Annäherung an das Guckloch und dem plötzlich auftauchenden Auge hält diese Abweichung die gleiche semantische Bedrohung bei, die über die doppelte Annäherung und theatrale Öffnung des Duschvorhangs in Psycho bewirkt wird. Auch in Psycho II wird kein furchterregendes Gesicht geboten, sondern nur eine ‚anonyme Horrorvision‘, deren Blick sich genauso an die Zuschauenden richtet wie die Attacke in Psycho. Während im Vergleich zu Psycho die Duschszene und der voyeuristische Blick verkehrt erscheinen, denn in Psycho geht Normans Blick der Duschszene voraus, wird dieser spezifische Zusammenhang in Psycho II widerlegt. Nicht nur hält sich Norman im Erdgeschoss auf; sein voyeuristischer Blick aus Psycho ist auch nicht Teil des unfinished business der Duschszene. Vielmehr wird die bleibende Gefahr über das generische Wissen ergänzt, dass das heimliche Beobachten nackter Körper potentielle Morde ankündigt und sexuell vorkonnotiert. Mary wird zwar in der Dusche nicht erstochen, ihr Tod scheint aber angesichts der bleibenden Gefahr ebenso nur aufgeschoben wie die genrespezifische ‚Entladung‘ der aufgebauten Anspannung. In der Antizipation kommender Morde erhält die Anspannung bereits in der darauffolgenden Szene im zwielichtigen Motelmanager Toomey ihr erstes Opfer.
Die Blickanordnung und die Gefahr des anonymen Auges wird in Psycho II ein weiteres Mal ausgespielt, wenn Mary schließlich das Guckloch im Badezimmer entdeckt und selbst hindurch in das ehemalige Zimmer von Normans Mutter schaut (Abb. 4.11a–4.11c). Als sie das Versteck des Gucklochs auf der anderen Wandseite hinter einem Vogelbild entdeckt und von da selbst in das Badezimmer blickt, taucht wieder das ominöse Auge auf (Abb. 4.11d).Footnote 29 Erneut zeigt sich die anonyme Horrorvision, deren mörderische Semantik und sexuelle Konnotation sich gegen die von Mary eingenommene voyeuristische Position wenden und ein Schockmoment produzieren, den die vorherige Duschszene noch nicht besaß. Wem das Auge gehört, bleibt bis zum Ende unklar. Während in Psycho die Blicke und Morde auf Normans psychotische Persönlichkeit zurück geführt werden, die über die destruktiv-monströse Semantik einer dominanten Mütterlichkeit gerahmt werden, übersetzt Psycho II dieses ödipale Konstrukt von „Mother“ in eine wahre monströse Mutterfigur, die sich als Ms. Spool aus dem Diner herausstellt. Während Psycho II als Nachfolgeproduktion transformativ auf Psycho zurückwirkt, führt die Duschszene aus Psycho zu einer genrespezifischen Lektüre der ‚neuen‘ Duschszene, die von ihrem früheren Ende her unterlaufen wird und Erwartungen an ein Schreckensmoment weckt. Auch wenn Mary nicht zum neuen Dusch-Opfer wird, bleibt trotz der strukturellen Abweichungen eine bedrohliche Semantik bestehen, die allerdings in der Dusche keine Mordszene mehr generiert. Vielmehr wird sie genutzt, um über heimliche, erotische Blicke eine mörderische Instanz einzuführen und kommende Morde vorauszudeuten.
In der strukturellen Veränderung nimmt Psycho II eine Distanzierung zu der Vorgängerproduktion vor und hebt die Wirkmechanik der Duschszene hervor. Diese erste strukturelle Distanzierung wird in der nachfolgenden Fortsetzung von Psycho III weiter ausgebaut, indem die Duschszene aus Psycho erneut aufgerufen, aber diesmal semantisch verkehrt wird.
4.3.3 Das unüberwindbare Erinnerungsmoment in Psycho III
Während Psycho II die Duschszene prominent an den Anfang stellt, fügt Psycho III die Duschszene als Flashback erst im Verlauf der Handlung ein. Während des Gesprächs mit der Reporterin Tracy Venable, die zu Normans Rehabilitation und dem Mord an Marion Crane recherchiert, beobachtet Norman, wie eine junge Frau (Maureen) einem Lastwagen entsteigt und das Diner betritt. Ihr Anblick löst in Norman Erinnerungen an den Duschmord aus. Auf die Fragen der Reporterin entgegnet Norman, dass ihn die Vergangenheit nicht loslässt: „The past is never really past. It stays with me all the time. And no matter how hard I try; I can’t really escape. It’s always there, throbbing inside you, coloring your perceptions of the world, and sometimes controlling them.“ Zusammen mit dem Flashback des Muttermords aus Psycho II nutzt Psycho III hier typische Fortsetzungsstrategien, die Normans weitere Entwicklung in einen generisch-seriellen Sinnzusammenhang mit den vorherigen Produktionen stellen.
This kind of flashback is a typical strategy for sequels to refresh the viewers’ memory. By evoking its two predecessors in this manner, the sequel visually reaffirms that all three movies function as installments of an ongoing narrative, and this retrospective serialization ultimately affects the ways in which audiences make sense of Norman Bates’ actions in the earlier films. (Loock 82)
Bereits hier stellt Psycho III zwischen den ‚befragten‘ Geschichten (Marion in Psycho und Lila in Psycho II) und der ‚neuen‘ Geschichte (Maureen in Psycho III) eine erste Verbindung her, die durch Normans „the past is never really past“ selbstreflexiv markiert ist. Norman kann sich von den Fesseln seiner Vergangenheit nicht befreien und bleibt in Wiederholungsschleifen gefangen. So löst der Anblick der jungen Frau und der Initialien M.C. auf ihrem Koffer einen Flashback aus, der Norman Ausschnitte der Duschszene – ihren Schrei, die schwarze mordende Gestalt und die brutale Tötung (Abb. 4.12a–4.12d) – sehen lässt. Nur für einen kurzen Moment kehrt der Film in die Gegenwart des Diners zuvor, bevor weitere Bilder der Duschszene folgen, die zeigen wie Marion langsam an der Duschwand hinuntergleitet (Abb. 4.12e) und tot über den Badewannenrand fällt (Abb. 4.12f). Dabei löst sich Marions toter Blick (Abb. 4.12g) in eine farbige Einstellung auf, die unheilvoll den toten Blick von Maureen trägt (Abb. 4.12h). Von der auditiven Ebene und ihren messerscharfen ‚Violinenschreien‘ sowie ihrem quälenden Horror befreit, schieben sich die Flashbacks wie visuelle ‚Störungen‘ ein. Während über den ersten Bildern noch die Fragen der Reporterin zu hören sind, erklingt über die zweite Sequenz nur noch das kratzende Geräusch einer stockenden Schallplatte, die immer wieder dieselben Töne anspielt.
Erneut gehen die Filme, wie bereits am Anfang von Psycho II, in einer gemeinsamen Aufnahme nahtlos ineinander über. Diese gemeinsame Aufnahme imitiert den toten Blick aus Psycho und nutz das Schwarzweiß, um die neue Aufnahme zu kaschieren. Erst der Farbwechsel löst die Einstellung als ‚neu‘ und imaginativ auf. Ein weiteres Mal wird die Duschszene verändert und in ihrer szenischen Länge auf zwei Tötungsmomente – die Attacke und Marions Tod – reduziert. Während die Veränderungen in Psycho II die Duschszene zu einer (historisch geprägten) markanten Genresignifikanz verdichten, wird sie durch die fehlende Tonspur in ihrer raumgreifenden Wirkung beschnitten und als unüberwindbares Erinnerungsmoment, das Norman nicht los wird, eingeschoben („It stays with me“). Auch in Psycho III markieren die Flashbacks Psycho und die Duschszene als vorausgehendes Bezugsobjekt, das seine erinnernde Semantik nachträglich über die Gestaltung als Flashback und die Vergegenwärtigung in Bezug auf Norman und Maureen erhält. Damit verschiebt Psycho III die generische Signifikanz, die die Duschszene auch in ihrer bereits historischen Prägung in Psycho II noch einnimmt, ganz in eine Erinnerungsignifikanz.
In Normans Blick und der ‚gemeinsamen‘ Aufnahme bildet die Duschszene weiterhin ein unfinished business, das nicht nur Psycho nachträglich verändert, sondern auch die Fortsetzungsgeschichte von Psycho III determiniert und in Maureens (von Norman imaginiertem) toten Blick bereits ihren Tod ankündigt. Hierbei unterläuft die Duschszene nicht nur den weiteren Verlauf der Handlung, sondern zieht auch eine Lektüre von Maureen als Marions Doppelgängerin (M.C.) ein, die der bisherigen Erzählung nachträglich eine spezifische Ähnlichkeit zu Psycho zuschreibt: Auch Maureen bricht aus ihrem bisherigen (Kloster-)Leben aus und landet über Umwege im Bates Motel. Die Wege von Marion und Maureen sind in Psycho und Psycho III auf unterschiedliche Weise von ‚fatalen‘ Ereignissen, Zweifeln und Verunsicherungen gepflastert. Während Marions Flucht zwar kriminell konnotiert ist (der Diebstahl von 40.000 Dollar), aber vor allem durch die Hoffnung auf eine ‚anständige‘ Zukunft erfolgt, flieht Maureen nach einem tragischen Unfall aus dem Kloster und vor ihren religiösen Zweifeln („There is no God!“). Sie fliehen letztlich beide nur indirekt vor ihren vergangenen (kriminellen und tragischen) Taten, sondern hoffen vielmehr, woanders eine bessere Zukunft zu finden. Auf ihren Wegen begleitet die Figuren eine emotionale Verunsicherung und Desorientierung, die in den verregneten Windschutzscheiben und unklaren Blickverhältnissen ähnliche audiovisuelle Wahrnehmungsstrukturen erzeugen. Die Lichter entgegenkommender Autos und der Regen auf der Windschutzscheibe blenden auch Maureens Sicht; ihre inneren Unsicherheiten und Ängsten teilen die Zuschauenden wie einst mit Marion. Denn die regnerische Nacht kennzeichnet eine für Maureen unbekannte und düstere Welt außerhalb der Klostermauern. Während sich Marion von dem Polizisten verfolgt fühlt, stellt sich Maureens Mitfahrgelegenheit als eine gefährliche, zwielichtige Gestalt heraus, die sie mitten in der Nacht am Highway aussetzt. Letztlich finden beide im Bates Motel nach ihren individuellen Odysseen nur einen scheinbaren ‚sicheren Hafen‘, denn Maureen ereilt ebenso das gleiche Schicksal – zwar nicht in der Dusche, aber im Haus wird sie ein Opfer von „Mother“. Im Motiv der Doppelgängerin erscheint zwar Psycho III als Wiederholung von Psycho, diese läuft aber in ihrer eigenen erzählerischen Singularität ab, wie sie Deleuze beschreibt.Footnote 30 Dabei konkretisiert sich die grundsätzlich im Sequel angelegte Wiederholungsstruktur erst durch den Flashback der Duschszene zu einem zentralen Lektüremodus von Psycho III. Die erzählerische Engziehung offenbart wesentliche Differenzmomente, die sich erneut in einer Variation der Duschszene ausdrücken.
Mit Maureens Ankunft am Bates Motel und dem Bezug des Zimmers 1 wird eine weitere Duschszene auf narrativer Ebene aufgerufen, aber statt einer strukturellen Abweichung wie in Psycho II verkehrt Psycho III die Duschszene semantisch in eine religiös konnotierte Errettungsvision. Norman betritt als „Mother“ mit der Intention, Maureen in der Dusche zu töten, das Motelzimmer. Darauf deuten nicht nur Details und Silhouette, sondern der Duschszene geht der voyeuristische Blick aus dem Hinterzimmer voraus, über den Norman einst Marion heimlich beim Auskleiden beobachtete und der auch den folgenden Mord(-versuch) sexuell konnotiert (Abb. 4.13a).Footnote 31 Die in der Blickachse aufblitzende Messerklinge macht diese inzwischen paradigmatische Konnotation symbolisch manifest (Abb. 4.13b), sodass die folgende Duschszene nicht nur durch Psycho vorgeprägt ist, sondern auch der zur Genrekonvention gewordenen Verbindung von Sexualität und Gewalt folgt. Doch als sich der Duschvorhang öffnet und die dunkle Silhouette in bekannter Pose das Messer über Maureen erhebt (Abb. 4.13c), ergibt sich ein abweichendes Bild: Statt eines verängstigten und schreienden Opfers liegt Maureen mit aufgeschnittenen Pulsadern im blutgetränkten Wasser; im Nahtod erscheint ihr statt einer Horrorvision die Jungfrau Maria (Abb. 4.13d).
Die religiöse Symbolik verkehrt die Alptraum-Metaphorik und zerstörerische Wirkung der Duschszene in eine ‚Errettungsvision‘, die erneut den erwarteten brutalen Mord in der Dusche verweigert. Maureens Tod ist ebenfalls nur aufgeschoben; auch sie kann dem Schicksal, dem die weiblichen Figuren in den Psycho-Sequels unterliegen, nicht entkommen und stürzt wie bereits der Psychiater in Psycho II (Abb. 4.14a) und der Privatdetektiv Arbogast in Psycho tödlich die Treppe hinunter (Abb. 4.14b).Footnote 32 Die semantische Umdeutung der Duschszene folgt dem grundsätzlichen Differenzierungsbestreben der Sequels, sowohl in eine generisch-serielle Erzähleinheit mit Psycho aufzugehen, als auch sich zugleich von dem genreikonischen Status zu distanzieren. In Psycho III wird dies nicht nur über eine semantische Variation der Duschszene erzeugt, sondern auch über die Reduktion der Duschszene auf eine erinnernde Signifikanz, die als Flashback zudem dem Muttermord in Psycho II nachgeordnet wird.
In dem Umgang mit der Duschszene zeigt sich, wie sich die Sequels Psycho II und III wechselseitig in Bezug zu Psycho setzen und mit der Duschszene ein semantisch-medial präformiertes ‚Genrezeugnis‘ aufgreifen, das sie als ‚originären‘ Duschmord und unumgängliche Erinnerung nachträglich konstituieren und in Einstellungen imitieren (Haus und toter Blick). Zugleich wirken die Fortsetzungen darin transformativ auf Psycho zurück, indem sie die Erzählung nicht nur öffnen und fortführen, sondern auch verändern. Die Duschszene aus Psycho gerinnt innerhalb der Anordnungen zu einer selbstreflexiven Verbindungsstelle, die die Variationen einerseits als Schreckensmoment (Psycho II) und anderseits als Vorausdeutung (Psycho III) unterläuft. Doch die ‚eigenen‘ Versionen dekonstruieren gerade durch ihre strukturellen und semantischen Abweichungen die aufgerufenen Erwartungen und überführen die Duschszene in differente Versionen, die statt weiterer Dusch-Opfer neue (mörderische) Blickinstanzen (Mutterfigur in Psycho II) und neue Visionen (Errettung in Psycho III) hervorbringen. Dem ‚primären‘ Bezugsobjekt und seiner ‚historischen‘ Duschszene werden ‚eigene‘ Kreationen gegenübergestellt, die in ihrer Differenzierung eine Loslösung von Psycho und einen Übergang in generisch-serielle Bezugsverhältnisse bewirken, in denen der Schrecken nicht mehr über die Duschszene, sondern über neue genrespezifische Momente eingezogen wird. Zu der so generierten ‚historischen‘ Signifikanz der Duschszene werden die neuen Morde der Sequels in ihren genrespezifischen Weiterentwicklungen und Darstellungskonventionen in Bezug gesetzt.