Genres sind allgegenwärtig. Sie bestimmen Herstellungsprozesse, Distributionswege und Vermarktungspraktiken, organisieren Programmübersichten von Kino, Fernsehen und Streamingdiensten und durchziehen kulturkritisch-wissenschaftliche Diskussionen und den filmgeschichtlichen Kanon ebenso wie Publikumsreaktionen und Fandebatten. Angesichts dieser Nutzungsbreite besteht in der Genretheorie allgemein Einigkeit darüber, dass Genres sich durch einen multidimensionalen und diskursiven Charakter auszeichnen: „All agree that genre is a multi-dimensional phenomenon and that its dimensions centrally include systems of expectation, categories, labels and names, discourses, texts and corpuses of texts, and the conventions that govern them all.“ (Neale, „Genre and Hollywood“ 25 f.) Auch wenn in dieser Breite und Vielfalt an Genrebegriffen und Verwendungskontexten die Schwierigkeit besteht, eine übergreifende Genretheorie zu entwickeln, liegt darin auch die produktive Kraft von Genres begründet. Denn wie Sarah Berry-Flint herausstellt: „The variety of contexts and uses for generic labels is important because it indicates the provisional nature of such categories. In practical terms, genres are vehicles for the circulation of films in industrial, critical, and popular discourses.“ (Berry-Flint 26) So arbeiten beispielsweise historische Genretheorien die dynamischen Verhältnisse von Genremerkmalen auf, während kognitivistische Ansätze die rezeptionsseitige Steuerung und Verständigung durch Genres untersuchen. Angesichts dieser Vielschichtigkeit des Genrekonzepts bedient sich die Arbeit eines Diskurs-Begriffs, der Michel Foucault entlehnt ist. Mit Foucault lassen sich die Diskurse jeweils als „eine Menge von Aussagen“ beschreiben, die „zur selben diskursiven Formation gehören“ und „durch und durch historisch“ (170) sind. Daran anschließend können fünf Diskurse identifiziert werden, „die systematisch die Gegenstände bilden, von denen sie sprechen“ (74): Produktion, Publikum, Distribution/Marketing und Kritik/Wissenschaft, wobei diese nur auf einer analytischen Ebene voneinander zu trennen sind. Vor dem Hintergrund dieser Diskurse beschränkt sich das Untersuchungskorpus auf distributionsseitige Materialien und kulturkritisch-wissenschaftliche Diskurse, ohne aber die Herstellungs- und Rezeptionsseiten ganz auszublenden. In der Praxis unterliegen die Diskurse zirkulären Austauschverhältnissen, denn Mitglieder einer Produktion sowie filmkritisches und wissenschaftliches Personal sind immer auch als (Fach-)Publikum zu verstehen, dessen Genrewissen nicht nur auf Produktionserfahrungen oder theoretisch-analytischen Auseinandersetzungen beruht, sondern dessen Seherfahrungen ebenso einer medialen Sozialisation entspringen. Die verfolgte Perspektive setzt sich anschließend mit dem Verhältnis zwischen Genreproduktion und Genrekonzept als produktivem Differenzverhältnis von Genres auseinander. Das Kapitel diskutiert anschließend poststrukturalistische Ansätze der Markierung und Konventionalisierung, die genrespezifische Wahrnehmungen steuern und ein Genrebewusstsein zusammenhalten. Schließlich rücken Vorgänge der Wiederholung und Variation in den Fokus, die als sich wechselseitig bedingende Verfahren die generischen Diskursivierungen des Untersuchungskorpus durchziehen.
2.2.1 Distributionsseitige Materialien und kritische Diskurse
Genres formen nicht einfach nur Gruppenzusammenhänge zwischen Produktionen, die ähnliche Merkmale aufweisen, sondern sie bilden Bezeichnungsgrößen für komplex angelegte, multidimensionale Phänomene, die sich „als ‚Instanzen des Gleichgewichts‘ auf veränderte Dispositionen des kulturellen Umfelds einstellen“ (Schweinitz, 107). Was als ‚Genre‘ verstanden wird, entsteht erst innerhalb der soziokulturellen, institutionellen und produktionstechnischen Konstellationen des jeweiligen Entstehungskontextes einer Produktion. Während des Herstellungsprozesses ermöglichen Genres Mitgliedern eines Produktionsteams einen Modus der Kommunikation, um sich über spezifische Produkteigenschaften auszutauschen sowie konkrete Produktionsentscheidungen zu treffen. Diese Verständigungen nehmen neben der grundsätzlichen, distributionsseitigen Genrezuteilung im Sinne Altmans auch eine aktive Rolle bei der Produktion ein, indem vor dem Hintergrund von Genrekonzepten oder erfolgreichen Vorgängerproduktionen an entsprechend bekannte Muster angeschlossen wird.
Per Definition gehören alle Filme – zumindest in den Verleihkategorien – Genres an, aber nur bestimmte Filme sind auf ein Genre hin produziert und werden aufgrund eines speziellen Genre-Typus konsumiert. Der Genrebegriff – wenn er Verleih- oder Klassifizierungszwecken dient – bezeichnet Filmgenres. Hingegen redet man von Genrefilmen, wenn der Begriff des Genres eine aktivere Rolle in der Produktion und im Konsum spielt. („Film und Genre“ 254)
Diese produktionsseitigen Verständigungs- und Herstellungsvorgänge zielen zwar auf eine Gestaltung und öffentliche Sichtbarkeit von Produktionen als Genreproduktion, insbesondere innerhalb der Vermarktung; von dieser kann aber nicht vice versa auf die vorausgehenden, produktionsseitigen Genrediskurse geschlossen werden. Vielmehr sind sie von den rezeptionsseitigen Lektüren zu unterscheiden und können erst über explizite Produktionsforschungen erschlossen werden, wie sie die Production Studies diskutieren (u. a. Caldwell, Mayer, Szcepanik/Vonderau). Dennoch lassen sich über die Produktionskontexte allgemeine Rückschlüsse auf die Rolle von Genres innerhalb von Herstellungsabläufen ziehen, wie es insbesondere Staiger für die serielle Arbeitsweise des klassischen Hollywoodsystems als Produktionsmodus aufzeigt (Bordwell et al.; Staiger, „Hybred and Inbred“ 208 ff.).Footnote 10 Da auch der vorliegende Untersuchungskorpus im Kontext von Hollywood steht, werden die Produktionen in den Analysen über eine historisch-ökonomische Perspektive kontextualisiert, wie bereits einführend skizziert, aber innerhalb der Analysekapitel hinsichtlich der genrespezifischen Produktionsumstände detaillierter ausgeführt. Diese so vorgenommenen Kontextualisierungen können zwar den produktionsseitigen Herstellungsprozess nicht dezidiert beleuchten, aber sie verorten die Produktionen innerhalb ihrer historischen Genrepraktiken, die auch für rezeptionsseitige Diskurse einen Kontextrahmen bereithalten.
Innerhalb von rezeptionsseitigen Diskursen erfüllen Genres ebenso wichtige Verständigungsfunktionen. Nicht nur schaffen sie für das Publikum Orientierung innerhalb diverser Programmangebote; sie erleichtern auch die individuelle Auswahl und kollektive Entscheidungsprozesse, weil sie Vorlieben, Erfahrungen und Erwartungen strukturieren und einen Kommunikationsmodus über potentiell zu Sehendes herstellen.Footnote 11 Zwar verlaufen viele Diskussionen und Fanpraktiken inzwischen über digitale Medien innerhalb eines öffentlichen Raums, der für Genrestudien zugänglich wäre. Da dies aber nicht für die historischen Kontexte von Psycho (1960) und für die Sequels (1980er Jahre) gilt, beziehungsweise historiografische Archivleistungen erfordert, wird diese Ebene aus Gründen der Einheitlichkeit auch für Bates Motel ausgespart.Footnote 12 Stattdessen wird einerseits von historischen Publikumsgrößen in einem abstrakten Sinn ausgegangen, die über Vermarktungspraktiken und Werbematerialien als Zielgruppen adressiert werden und über die historische Kontextualisierung in verschiedene Publika spezifiziert werden können. Anderseits wird innerhalb der Analysen der Fallbeispiele von ‚Zuschauenden‘ als analytische Kategorie ausgegangen, die in den medialen Texten als Blickposition konstruiert wird.
Wie sich nach diesem ersten Blick bereits abzeichnet, nehmen die distributionsseitigen Diskurse eine entscheidende Schnittstellenposition ein, über die sowohl das Publikum als auch die Produktionsebene mitgeführt werden, auch wenn diese in ihren spezifischen Genrediskursen nicht dezidiert analysiert werden. Die distributionsseitigen Diskurse sind überdies aus mehreren Gründen von besonderem Genreinteresse. Einerseits stehen sie in einer medialen Öffentlichkeit, für die sie explizit hergestellt werden. Anderseits übernehmen sie für einzelne Produktionen ankündigende Funktionen, weil sie darauf zielen, die jeweilige generische Spezifik der einzelnen Filme im Umfeld des entsprechenden Angebotsspektrums von Kino, Fernsehen oder Streaming-Diensten herauszustellen. Neben Stars, Plot, Schauwerten und Grad des Realismus bilden auch Genres symbolische Vermarktungselemente, um über konkrete Genrebezeichnungen oder genrespezifische Rhetoriken und Bildlichkeiten auf Plakaten, Aushängen oder in Trailern und Webseiten die Produktionen genrespezifisch zu ‚labeln‘ und damit zielgruppenorientiert zu vermarkten. Die Werbematerialien bilden aufgrund der genrespezifischen Gestaltungsmöglichkeiten und zentralen diskursiven Stellung zwischen Produktions- und Publikumsbereichen einen wichtigen Genrediskurs innerhalb der vorliegenden Untersuchung. Statt der üblichen Konzeptualisierung als „Paratexte“, werden die Werbematerialien hier aber als ‚Materialien‘ verstanden, die keine den Produktionen nur ‚äußerlichen‘ Beiwerke darstellen, sondern einen Diskurs im Sinne Foucaults formieren. Ein kurzer Blick auf den Paratext-Begriff verdeutlicht, warum dieses Konzept nicht herangezogen wird.
Mit Paratexten beschreibt Gérard Genette eine problematische ‚äußere Kontur‘ des Textes, die letztlich alles, was außerhalb von diesem liegt, paratextuell erscheinen lässt.Footnote 13 Kritisch ist nach Stanitzek, dass zwischen dem ‚eigentlichen‘ Text und dem Beiwerk nicht zweifelsfrei unterschieden werden kann und Elemente aus dem Text herausgelöst und abgetrennt werden, um sie wiederum auf den Text als Ganzes zu beziehen. Der somit entblößte ‚nackte Text‘ wird zum Oppositum der Paratexte erklärt, wobei er weder konkretisierbar noch vorstellbar ist, sondern nur ein regulativer Horizont für die Argumentation bildet („Texte, Paratexte“ 6). Das Konzept zielt einzig auf die Konkretisation des literarischen Werkes als „Einheit der Differenz von Text und Paratext“ (ebd. 8). Für das vorliegende Untersuchungskorpus, insbesondere die Fallanalysen zu Psycho und Bates Motel, bilden diese Materialien aber nicht ‚nur‘ Randphänome eines darüber hinaus bloß vage auszumachenden Haupttextes, sondern vielmehr in einem poststrukturalistischen Sinn diskursive Instanzen, die „systematisch die Gegenstände bilden, von denen sie sprechen“ (Foucault 74) und den ‚generischen Text‘ als semantische Einheit – im Zusammenspiel mit den anderen Diskursen und in Bezug zu semantischen Genrekonzepten – erst erzeugen.
Von Werbematerialien geht aber nicht nur eine generische Diskursivität aus, sondern auch eine generische Materialität, denn sie verhelfen Genres angesichts der zwischen Genreproduktion und Genrekonzept herrschenden strukturellen Lücke, die nachfolgend als konstitutiver Bestandteil von Genres erläutert wird, zu einer konkreten Sichtbarkeit in Form von „generic images“ (Neale, „Questions“ 182). Neale weist auf die Bedeutung von „institutional discourses“ (ebd. 185) hin, die filmindustrielle (Werbe-)Materialien und Filmkritiken umfassen, weil diese erst die Existenz von Genres bezeugen und Evidenzen herstellen: „In the public sphere, the institutional discourses are of central importance. Testimony to the existence of genres and evidence of their properties, is to be found primarily there.“ (Ebd.) Vor allem distributionsseitig und vermarktungstechnisch eingesetzte Plakate, Trailer, Aushangfotos, Werbeanzeigen etc. verbinden konkrete Genrebezeichnungen und generische Ankündigungsrhetoriken mit konventionalisierten Genreikonografien, sodass Produktionen eine bestimmte ‚Generizität‘ erhalten.
Genre is, of course, an important ingredient in any film’s narrative image. The indication of relevant generic characteristic is therefore one of the most important functions that advertisements, stills, reviews, and posters perform. Reviews nearly always contain terms indicative of a film’s generic status, while posters usually offer verbal generic (and hyperbolic) description – ‚The Greatest War Picture Ever Made’ – as anchorage for the generic iconography in pictorial form. (Ebd. 181)
Die Idee der Zeugenschaft, wie sie Neale für die Diskurse der Filmkritik und Werbematerialien aufmacht, ist für das Untersuchungskorpus, insbesondere für Psycho, dahingehend wichtig, dass sie einen Zugriff auf den damaligen ‚praktischen‘ Genrediskurs bereithalten, wie unter anderem die Filmkritik von Peter John Dyer illustriert: „Psycho contains one of the bloodiest murders ever filmed, he then asks this spirited actress to sustain the daylight panic of a secretary in love who robbed her firm of $40,000.“ (195) Aber auch Trailer und Plakat verkünden: „Alfred Hitchcock’s Greatest Shocker Psycho – A Paramount Picture“ und „A New – And Altogether Different – Screen Excitement“.
Da das Untersuchungskorpus also nicht nur auf die textuelle Analyse der Produktionen von Psycho, den Sequels und Bates Motel zielt, sondern ebenso die Werbematerialien als Genrediskurse untersucht, wird im weiteren Verlauf die Bezeichnung als ‚Materialien‘ benutzt, um eine methodische Gleichwertigkeit zu markieren. Durch den Wegfall des ‚Werbe‘-zusatzes wird die Werbefunktion und Hierarchisierung dieser Materialien unter den zu bewerbenden Produktionen aufgebrochen. In digitalen Medienkulturen zirkulieren sowohl Medienproduktionen als auch Materialien in einer nach Paech und Schröter formalen Kontinuität als ‚Film‘ (11) beziehungsweise ‚Serie‘ intermedial zwischen Kino(wieder-)aufführungen, Fernsehausstrahlungen, DVD-Veröffentlichungen und digitalen Streamingdiensten.Footnote 14 In Bezug auf die mediale Diversität der Materialien ist allerdings ein reiner intermedialer Ansatz weniger geeignet, sodass zusätzlich auf eine Multimedialität zurückgegriffen wird, die, wie Ruchatz formuliert, „das Zusammengehen ‚ganzer‘ Medien meint“ (16) und die ‚klassischen‘ Materialien wie Plakate und Trailer ebenso innerhalb eines Medienverbunds zusammenbringt wie digitale Angebote auf DVD- und Blu-ray-Editionen, YouTube-Kanälen und Q&A-Formaten, ohne diese in ihrer Medienspezifik aufzulösen. Anderseits wird in Bezug auf die Materialien neben einem diskursanalytischen Genreansatz und einer multimedialen Überblicksperspektive auch eine transmediale Perspektive eingenommen, die generisch konventionalisierte Genreikonografien als „medienunspezifische ‚Wanderphänomene‘“ (Rajewsky 12) begreift, wobei der medienspezifische Kontexte für die Funktion der generischen Wirkung zwar noch wichtig ist, aber nicht mehr ein medialer Ursprung ausgemacht werden muss.
Zusätzlich zu diesem distributionsseitigen Diskurs der Materialien stehen auch kulturkritische Diskurse im Fokus, wobei diese getrennt von den Materialien betrachtet werden und nicht wie bei Neale gemeinsam als „institutional discourses“ erfasst werden. Die kulturkritischen Diskurse ermöglichen eine generische Perspektivierung der Produktionen, die eine ‚theoretisch-analytische‘ Genauigkeit verfolgt. Anderseits wird die Filmkritik in ihren Genrediskursen von den Konzeptualisierungen der Genretheorie unterschieden. Auch wenn die kulturkritischen wie wissenschaftlichen Diskurse Genres für diverse Fragen der Zuordnung, Entwicklung und Bewertung benutzen (Hickethier, „Genretheorie“ 63), bilden sie unterschiedliche diskursive Formationen aus. Während Genres in Kritiken stärker für normative Wertmaßstäbe genutzt werden, wie die Filmkritiken zu Psycho sehr deutlich zeigen, ermöglichen Theoriekonzepte „Aussagen ‹mittlerer Reichweite› zwischen der Makroebene (Theorien des Films) und der Mikroebene (Analyse einzelner Filme)“ (Hickethier, „Genretheorie“ 62) und die Wiedergabe der historischen Entwicklung von Genres.
Dieser erste Blick auf Genres als diskursive Größen verdeutlicht vor allem die Relevanz der distributionsseitigen Materialien, die zusammen mit den Diskursen der Filmkritik einen Zugriff auf produktionsspezifische Genrediskurse bereithalten. Diese können aber erst über eine historisch-ökonomische Perspektive (bei Psycho und Bates Motel) und einen genresemantischen Bezugsrahmen (bei den Sequels und Bates Motel) in ihren Genresemantiken analysiert werden. Denn erst die historische Kontextualisierung der Diskurse zeigt auf, inwiefern eine einzelne Produktion generisch ‚gelabelt‘ ist oder eine Gruppe an Produktionen generisch zusammenhängt. Während die Materialien und Filmkritiken zu Psycho erst in ihren Verbindungen zu damaligen Genrekonventionen des Horrorfilms und zu Hitchcocks ‚Thrill and Suspense‘-Kino als Genrediskurse lesbar werden, können die Sequels und Bates Motel erst über den Rückgriff auf das semantische Konzept des Slasher- und Rape-Revenge-Films in ihren Iterationen genrespezifisch beschrieben werden. Indem Genrediskurse, ob in Form von Filmkritiken und Materialien einer Genreproduktion oder in Form von Iterationen einer Genregruppierung, jeweils zwischen den Ebenen von Genrekonzept und Genreproduktion vermitteln, bilden sie im Foucault’schen Sinn ihre Gegenstände ‚systematisch‘ zu semantischen Einheiten. Anders formuliert heißt dies für die historischen Analysen, dass die Genrediskurse (Psycho und Bates Motel) und generisch-seriellen Diskursivierungen (Sequels und Bates Motel) zwar in Bezug auf die inter-/textuellen/seriellen Strukturen der Produktionen operieren, aber in ihrer Generizität durch „sets of cultural conventions“ (Tudor, „Genre“ 7) ‚von außen‘ konstruiert werden. Die Textdimension der Beispiele wird hierbei keineswegs überflüssig; sie bildet vielmehr in ihrer generischen Verfasstheit ein Ergebnis der diskursiven Verhältnisse, die im Sinne einer offen zu verstehenden Intertextualität wie Diskursivität von Genres den generischen Text (Genreproduktion) beziehungsweise den generisch-seriellen Intertext (Genregruppierung) als semantische Einheiten erst nachträglich hervorbringen. Inwiefern dieses wechselseitige Verhältnis von Genrekonzept und Genreproduktion ein zentrales Differenzverhältnis für Genres bildet, aber auch ein strukturierendes Moment der Analysen, wird im Folgenden genauer beleuchtet, bevor die Textdimension von Genres weiter ausgeführt wird.
2.2.2 Genreproduktion und Genrekonzept
Das Verhältnis von Genreproduktion und Genrekonzept lässt sich anhand einiger methodischer Hürden verdeutlichen, die im analytischen Umgang mit Genres immer wieder betont werden. Im Gegensatz zu der im alltäglichen Umgang mit Einzelgenres und Genreproduktionen aufscheinenden Evidenz von Genres weisen theoretisch-analytische Systematisierungen Zirkularitäten und Lücken auf. Viele Genrebegriffe, Gattungsbezeichnungen und Formatbegriffe stammen nach Hißnauer ursprünglich aus Diskursen der Praxis, wo sie nicht einheitlich entwickelt wurden, aber erhalten in wissenschaftlichen Auseinandersetzungen meist den Status analytischer Kategorien (143). Angesichts der fehlenden einheitlichen Systematisierung, der pragmatischen Nutzung und der verschiedenen Abstraktionsniveaus gestalten sich sowohl genaue und verlässliche Definitionen einzelner Genres als auch eindeutige Klassifikationen zu einem unmöglichen Unterfangen, wie Ansätze seit den 1980er Jahren betonen. Genres reproduzieren sich nicht einfach entlang einer festen spezifischen Struktur, noch liefern Genrekonzepte einen fixierten Code. Anders formuliert bilden Genres keine einheitlichen Genrekonzepte aus, die immer wieder passgenau und identisch in Genreproduktionen angewandt werden können, ebenso wenig wie Genreproduktionen einem festen Muster folgen. Dies stellt die Korpusbildung von Genreanalysen vor ein methodisches Problem, da die Auswahl an Produktionen für genreanalytische Untersuchungen von Einzelgenres bereits eine inhärente Genregruppierung mit sich führt. Diese methodologische Zirkularität liegt nach Hickethier in generischen Gruppenbildungsprozessen an sich begründet, da Filme, die gemeinsame Erzählstrukturen, Themen und Motive aufweisen, sich zu einer Gruppe zusammenfügen lassen, aus der die gemeinsamen Merkmale schließlich verallgemeinert und zu Prinzipien des Genres erhoben werden. Für die einzelnen Filme werden diese Prinzipien wiederum als normativer Maßstab angesetzt, um über deren Zugehörigkeit oder Ausschluss zu entscheiden („Genretheorie“ 150 f). Bereits Anfang der 1970er Jahre hat Tudor diese methodische Hürde als empirisches Dilemma der Genreforschung identifiziert, weil von generischen Gemeinsamkeiten und Ähnlichkeiten ausgegangen wird, die durch die Untersuchung eigentlich erst zu belegen sind („Genre“ 5). Als Abstraktionen aus einer Gruppe von Filmen, die zu einem Genre gerechnet werden, gehen Genres nicht in nur einem Film aus dieser Gruppe auf; aus der Gruppe kann wiederum kein Film, als Teil dieser Abstraktion, ein vollständiges Beispiel für das Genre liefern. So geht weder Psycho vollständig im Konzept des Horrorfilms oder des Thrillers auf, auch wenn er innerhalb beider Konzepte einen historischen Wendepunkt markiert, noch kann der Slasherfilm vollständig in den Sequels abgebildet werden, auch wenn die Fortsetzungen als eine generische Zykluseinheit für die Analyse auf der Ebene des Genrekonzepts herangezogen werden. Ebenso lässt sich Bates Motel nicht nur einem Genrekonzept zuordnen, was allein schon dem Umstand geschuldet ist, dass Serien erzählerische Ressourcen zur Verfügung stehen, um Figurenkonstellationen und Handlungsstränge generisch auszudehnen.
Aufgrund dieser Problematik, Genres umfänglich an nur einer Produktion festzumachen, als auch der Schwierigkeit, Genres empirisch vollständig über alle zu einem Genre zu rechnenden Produktionen wiederzugeben, ohne Zirkelschlüsse zu liefern, bleibt zwischen dem einzelnen Film und der Idee vom Genre als Korpus stets eine strukturelle Lücke bestehen (Hagener 1). Diese ist für das Verhältnis von Genreproduktionen und Genrekonzepten kennzeichnend. Indem aber Genres als diskursive Größe konzipiert werden, die keiner vorausgehenden festen Struktur und keinen einheitlichen Merkmalen folgen, sondern jeweils ihre Merkmale in Diskursen prozessieren, lässt sich die strukturelle Lücke als ein konstitutiver Bestandteil von Genres begreifen, durch den sich Genreproduktion und Genrekonzept stetig wechselseitig konstituieren müssen, weil keine Seite als feste Größe vorausgesetzt werden kann. In den Diskursivierungen kann diese strukturelle Lücke von Genres nie vollständig überwunden werden, sondern sie wird als Bezugsverhältnis permanent aufrechterhalten. Das Verhältnis gerinnt so zu einem grundsätzlichen, produktiven Differenzmoment, das Genres in der steten Fortschreibung aber nicht nur stabilisiert (Hagener 19), sondern im kulturellen Gedächtnis lebendig hält, sodass sie für das Publikum gleichermaßen evident erscheinen wie sie für Analysen erkenntnisreich bleiben. In der Differenz nehmen konkrete Genrebezeichnungen eine Art Vermittlungsposition zwischen Genreproduktion und Genrekonzept ein. Deren latente Unschärfe und Variabilität ist hierbei „notwendig für das Funktionieren der Genrebegriffe im kommunikativen Gebrauch“. (Hickethier, „Genretheorie“ 65). In Anwendung auf Produktionen setzen Genrebezeichnungen nach Derrida eine erste generische Markierung, mit der eine Zugehörigkeit zum semantischen Konzept hergestellt wird. In Bezug auf Genrekonzepte evozieren Genrebezeichnungen Merkmale, die von mehreren Produktionen geteilt werden und von Tudor als Sets kultureller Konventionen beschrieben werden: „Genre notions – except in the arbitrary definition – are not critics’ classifications made for special purposes; they are sets of cultural conventions.“ („Genre“ 7; Herv.i.O.) Um diese Markierungen und Konventionen im Kontext einer poststrukturalistischen ‚Textdimension‘ geht es im Folgenden.
2.2.3 Genremarkierungen im Kontext eines Genrebewusstseins
Texte erscheinen nicht unabhängig von generischen Kontexten. Auch wenn ein Text nicht explizit generisch bezeichnet ist, erfolgt seine Wahrnehmung doch stets über Genres, indem sich der Text selbst über Markierungen („re-marks“) ausweist: „this re-mark – ever possible for every text, for every corpus of traces – is absolutely necessary for and constitutive of what we call art, poetry, or literature.“ (Derrida, „The Law“ 64) Nicht nur können somit mehrere Genrezugehörigkeiten vorgenommen werden. Die Art und Weisen, wie diese sich ergeben, fallen vielfältig aus und umfassen nicht zwangsläufig Titelbezeichnungen, wie es Derrida beispielsweise für literarische Untertitel wie ‚Roman‘ oder ‚Drama‘ anzeigt. Denn abseits dieser Titelpraxis können in jedem ästhetischen Korpus generische Spuren („traits“) identifiziert und Genrezugehörigkeiten („belonging“) identifiziert werden. Die Markierungen weisen allerdings den Umstand auf, selbst nicht genrezugehörig zu sein, weil sich der Text zwar selbst markiert, aber darin zugleich die Markierung verschwindet.
(A) text cannot belong to no genre, it cannot be without or less a genre. Every text participates in one or several genres, there is no genreless text; there is always a genre and genres, yet such participation never amounts to belonging. And not because of an abundant overflowing or a free, anarchic, and unclassifiable productivity, but because of the trait of participation itself, because of the effect of the code and of the generic mark. Making genre its mark, a text demarcates itself. If remarks of belonging belong without belonging, participate without belonging, then genre-designations cannot be simply part of the corpus. („The Law“ 65)
Statt also Genres einfach nur ‚anzugehören‘, sind Texte auf vielfache Art und Weise generisch markiert, wodurch sie spezifische Erwartungen und Vorstellungen wecken, aber auch an mehreren kulturellen Codes und Konventionen ‚teilnehmen‘ („participate“), ohne dass diese Markierungen selbst zu genrehaften Eigenschaften gerinnen. Weder gehen Markierungen vollständig in den Texten oder im Korpus auf, noch sind sie rein äußerliche Erscheinungen: „it does not, in whole or in part, take part in the corpus whose denomination it nonetheless imparts. Nor is it simply extraneous to the corpus.“ (Ebd. 65) Genres bewegen sich vielmehr genau an der Schnittstelle und Grenze zwischen der Genreproduktion, die als ‚einzelner Text‘ über Genrebezeichnungen und textuelle Merkmale generisch markiert ist, und dem Genrekonzept, an dessen kulturellen Konventionen der Text über seine Markierungen teilhat. So wird nach Derrida sowohl der ‚generische Text‘ generiert als auch das Genrekonzept als Korpus zusammengehalten, ohne dass einer/s von beiden vollständige, abgeschlossene Einheiten ausbildet. Mit dieser poststrukturalistischen Betrachtung von Genres geht eine grundsätzliche Offenheit von Text und Korpus als „the limitless field of general textuality“ (63) einher, wie sie auch in den Analysen deutlich wird: Während die Genrediskurse von Psycho und Bates Motel einen ‚generischen Serien-/Text‘ konstruieren, erzeugen die iterativen Muster in den Sequels und Bates Motel einen ‚generisch-seriellen Intertext‘. Diese Inter-/Serien-/Texte entstehen aber nur, weil sie in Bezug zu kulturellen Genrekonventionen diskursiviert und semantisiert werden. Mit Schweinitz’ Genrebewusstsein bietet sich dafür ein Erklärungsansatz, der die scheinbare ‚innere‘ Konsistenz von Genrezusammenhängen auf die Konventionalisierung von Prototypen zurückführt. Bevor auf den Prototypen-Ansatz eingegangen wird, soll kurz die von Genres ausgehende Konsistenz entlang von Ordnungsverhältnissen kritisch diskutiert werden. Zwar bewirken Genres übergeordnete Ordnungszusammenhänge; sie sind darin aber keineswegs konsistent. Genres unterliegen sowohl einem Moment der Konstruktivität als auch einem Moment der Normativität, denn sie ziehen Grenzen ein und bestehen darauf, diese selbst gezogenen Grenzen nicht zu verletzen.
As soon as the word ‚genre‘ is sounded, as soon as it is heard, as soon as one attempts to conceive it, a limit is drawn. And when a limit is established, norms and interdictions are not far behind: ‚Do,‘ ‚Do not’ says ‚genre,‘ the word ‚genre,‘ the figure, the voice, or the law of genre. („The Law“ 56)
Diese ‚Ordnungen‘ werden in der Genretheorie häufig als generic systems konzipiert, deren dynamische Zusammenhänge zwischen einzelnen Genres oft als „open systems“ verstanden werden (Cohen 210). Genresysteme verbinden „in terms of broad shared principles“ einzelne Genres miteinander, wobei sie von der Ebene der Genreproduktion zu unterscheiden sind: „Generic systems and genres do not exist in the way in which individual films exist, but rather are abstractions based partly, though not entirely, upon individual films and operating in a different logical universe.“ (Ryall 329) Dieses weite Verständnis eines Genresystems beruht auf einem unspezifischen Systembegriff und weist keine Nähe zur Systemtheorie von Luhmann auf. Vielmehr wird unter dem Genresystem ein Kontextkonzept verstanden, das für die einzelne Genreproduktion einen übergreifenden intertextuellen Produktions- und Rezeptionsrahmen bietet (ebd.). Kuhn et al. differenzieren diesen ‚systemischen Kontext‘ in spezifische Produktionskontexte, wie das amerikanische Genresystem, und in medienspezifische Genresysteme, wie unter anderem das Videospiel oder auch den Film (20 f.). Letztlich werden mit dem ‚Genresystem‘ kontextuelle Zusammenhänge bezeichnet, ohne aber den systemischen Fragen nach der Existenz, Konstitution und Operationsverfahren eines ‚Genresystems‘ nachzugehen. Welche Komplexität mit einer Konzeptualisierung von Genre als systematischem Regulativ von Produktion und Rezeption einhergeht, verdeutlicht Hickethier:
Wird das Genre nicht nur als eine Kategorie zur Beschreibung sprachlicher Handlungen, sondern darüber hinaus als systematisches Regulativ in Produktions- und Rezeptionsprozessen verstanden, also unter medienästhetischen, produktions- und rezeptionstheoretischen Aspekten betrachtet, ist zu klären: (1) welche Normen und Regelhaftigkeiten in ihm eingeschrieben sind, die Produktion und Rezeption beeinflussen; (2) wie die Struktur des Genrewissens beschaffen ist (die Bestandteile des Genres und die ›Grammatik‹ ihrer Verknüpfungen) und wie es systematisiert (Genresystematik) und gespeichert wird (Genregedächtnis) und unter welchen Bedingungen sich dieses Genrewissen verändert; (3) in welchem Verhältnis Genrewissen und Genrepraxis zueinander stehen; (4) zu welchem Zweck Genres entstehen und welche Funktionen sie ausüben als Teil der Produktionsbedingungen von Medienprodukten, in der Rezeption von Filmen und als Ordnungssysteme innerhalb der gesellschaftlichen Kommunikation. („Genretheorie“ 70).
Angesichts dieser systemischen Komplexität von Genres scheint der Versuch, ein übergreifendes Genresystem zu entwickeln, ebenso aussichtslos wie die Definition einer einheitlichen Makrostruktur für ein Genrekonzept,Footnote 15 beziehungsweise stellt sich als ähnlich langwierig heraus wie die Entstehung von Luhmanns Systemtheorie.
Genres stellen vielmehr widersprüchliche Ordnungen auf, in denen sich Genrekonzepte überschneiden und Genreproduktionen plurale Markierungen aufweisen, die sie an mehreren generischen Konventionen teilnehmen lassen. Die zwischen Produktionen suggerierte Ähnlichkeit hält einer genauen Betrachtung nicht stand. Dieser ‚widersprüchliche Anschein‘ gründet auf einer ‚inneren’ Konsistenz von Genrezusammenhängen‚ die Schweinitz über „die das Bewusstsein dominierende Rolle von Prototypen“ (111) erklärt und die gerade für Psycho von entscheidender Bedeutung ist. Im kognitionspsychologischen ‚Erfahrungsrealismus’ von Lakoff, auf den sich Schweinitz bezieht, werden Kategorien entlang von menschlicher Erfahrung und Imagination automatisch und unbewusst als eher ‚inhomogene‘ Gruppen gebildet, die keiner generellen Regel oder festen Grenzen folgen, sondern vielmehr durch einen ‚zentralen Fall‘ zusammengehalten werden. Dieser ‚zentrale Fall‘ entspricht aber keinem Muster, sondern besteht in mehreren Variationen, sogenannten Subkategorien, die sich um Konventionen gruppieren. Prototypen bilden hierbei exemplarische Variationen. Sie dominieren das Bewusstsein, die Erfahrung, weil sie „mit dem ‚zentralen Fall‘ korrespondieren und gegebenenfalls der Exemplifizierung dienen“ (ebd.). Da auch für Genres einzelne Produktionen paradigmatisch sind und diese wie Prototypen funktionieren, liegt für Schweinitz der Schritt nah, ein an Lakoffs Prototyp-Ansatz orientiertes Genrebewusstsein zu konzipieren. Ausgehend von einer radialen Assoziationsstruktur werden mit einem Genre ein bis zwei Prototypen assoziiert, die die Vorstellung und Erwartung dieses Genres dominieren und hinter denen die restliche Menge an zugehörigen Genreproduktionen verschwindet. Hierbei greifen für Prototypen sowohl persönliche Vorlieben als auch kulturelle Normierungen, die Produktionen als ‚Klassiker des Genres‘ wiederholt aufbereiten, sodass sie sowohl bei der Produktion als auch der Rezeption als konventionalisierte Prototypen wahrgenommen werden (ebd.).
Erst das Genrebewusstsein verleiht dem ‚Genre-Code‘ als Faktor innerhalb des filmkulturellen Diskurses lebendige Existenz. Erst das praktisch wirksame Genrebewusstsein sorgt dafür, dass das Konzept ‚Genre‘ sowohl bei der Filmproduktion als auch bei der Rezeption als Orientierungsgröße funktioniert. (Ebd. 113)
Dieser Ansatz eines Genrebewusstseins wendet sich von der Vorstellung formaler Textklassen ab, die ein Korpus aus regelkonformen Invarianten aufweisen, und einer Betrachtung konkreter Assoziationsmomente zu, die Genrezusammenhänge in ihrer Dynamik und Variation jenseits einheitlicher Kategorisierungsversuche begreift. Das birgt für die Analysen drei wichtige Momente: (1) Ausgehend von der heutigen prototypischen Funktion von Psycho, die er insbesondere für den Horrorfilm und Psycho-Thriller aufweist, werden auf der Ebene des Genrekonzepts die Genrediskurse retrospektiv dahingehend beleuchtet, wie Psycho, der 1960 als Randphänomen des Genres wahrgenommen wird, zu einer paradigmatischen Stellung in der Genregeschichte kommt, und welchen Einfluss Produktions- und Rezeptionskontext, Genregeschichte und Theoriegeschichte haben. (2) Auf der Ebene des Genrekonzepts bedeutet dies wiederum, dass die Sequels als ein exklusiver Genrekorpus des Slasherfilms dahingehend diskursiviert werden, wie sie mit Psycho nicht nur einen im Kanon der Filmkunst etablierten Film aufgreifen, sondern eben jenen Film fortführen, verändern und in einen generisch-seriellen Intertext überführen, der nachfolgend von Clover als „ancestor“ beschrieben wird.Footnote 16 (3) Für die integrative Betrachtung der Ebenen von Genreproduktion und Genrekonzept heißt dies schließlich, dass Bates Motel sowohl vor dem Hintergrund von Psycho’s genrehistorischem Klassikerstatus zu betrachten ist als auch in Bezug zu den generisch-seriellen Zusammenhängen von Psycho und den Sequels gesetzt wird. Inwiefern in all diesen Diskursivierungen, wie auch für Genres generell, Vorgänge der Wiederholung und Variation eine zentrale Rolle einnehmen, wird im Folgenden beleuchtet.
2.2.4 Wiederholung und Differenz
Für Genres wird immer wieder betont, dass sie sowohl Wiederholungen als auch Variationen unterliegen, wie unter anderem bei Barry Keith Grant: „genre movies are those commercial films that, through repetition and variation, tell familiar stories with familiar characters in familiar situations.“ (XVII) Innerhalb einer Produktion lassen sich die generischen Markierungen als derart wiederholte Muster beschreiben, denn die Markierung gibt sich letztlich als ‚Wiederholung‘ zu erkennen, um damit als ‚bekannt‘ identifizierbar zu werden. Inwiefern in der Wiederholung bereits ein Moment der Variation enthalten ist, macht Gilles Deleuze deutlich, der in der Wiederholung eine „unaustauschbare, unersetzbare Singularität“ sieht („Differenz“ 15), die sich stets in Bezug zu etwas Singulärem und damit Einzigartigem versteht, aber darin zu nichts anderem ähnlich oder äquivalent ist. Auch wenn sich wiederholende Gesten äußerliche Erscheinungen sind, wie es Deleuze am Beispiel von Feiertagen ausführt, so verkehrt sich die Wiederholung in ihrem Bezug zur Potenz, „indem sie sich nach innen stülpt“ (ebd. 15 f.). Von der Gewohnheit, die ebenso Abläufe wiederholt, aber als angenommene Verhaltensweise konstante Intentionen oder gleiche Kontexte voraussetzt und darin keine echte Wiederholung darstellt, grenzt Deleuze die „Wiederholung als Universalität des Singulären“ ab (ebd. 16).
Die Wiederholung ist Sache des Humors und der Ironie; sie ist ihrer Natur nach Überschreitung, Ausnahme und behauptet immer eine Singularität gegen die dem Gesetz unterworfenen Besonderheiten ein Universales gegen die Allgemeinheiten, die als Gesetz gelten. (Ebd. 20)
Dabei bildet die Wiederholung in Deleuzes Denken mit der Differenz eine Einheit, weil sie sich gegenseitig bedingen wie wechselseitig konstituieren und darüber als prozesshafte Größen in Erscheinung treten.
Diese beiden Untersuchungen haben sich von selbst miteinander verschränkt, weil sich diese Begriffe einer reinen Differenz und einer komplexen Wiederholung unter allen Umständen zu vereinigen und zu verschmelzen schienen. Die permanente Divergenz und Dezentrierung der Differenz ist eng mit einer Verschiebung und einer Verkleidung in der Wiederholung verbunden. (Ebd. 12; Herv.i.O.)
In Deleuzes Arbeit ist dabei die Gegenlektüre anderer Denker eine Methode, die auf einer wechselseitigen Wiederholung und Differenzbildung beruht, indem nicht nur andere Texte aufgegriffen werden, sondern sich andere Texte im Feld der Philosophiegeschichte zu einem Text formen, in dem alle miteinander in Relation stehen (Ott 29). Dieses Verfahren arbeitet aktiv mit seinem Vorgängermaterial, indem es Taktiken „der langsamen Um- und Überschreibung des Ausgangstextes, der Verlängerung und Transformation seiner Begriffe, der Freilegung von Subtexten im Text“ (ebd. 26) anwendet. Diese verlaufen selbst zirkulär; sie kreisen um Ideen, Gedanken, Bilder, transportieren und denken diese weiter, sodass in den reziproken Wiederholungsverfahren zugleich Differenzierungen stattfinden. Mit jeder neuen unter einem Genre geführten Genreproduktion verschiebt sich auch bei Genres das zugehörige semantische Konzept, denn keine Produktion gleicht der vorherigen. Um als genrespezifische Merkmale erkannt zu werden, so zeigen die bisherigen Ausführungen, sind sie davon abhängig, wiederholt und differenziert zu werden. In dieser Abhängigkeit bilden Genres Effekt und Ursache zugleich, denn Genres gehen zwar Produktionen logisch voraus, folgen aber zugleich faktisch nach.
Jeder Film bezieht sich auf Genre-Konventionen, schreibt sie aber gleichzeitig um, modifiziert und konstruiert sie. Das Genre (von dem wir doch eigentlich annehmen, dass es dem Film vorgängig ist), ist also immer ein Effekt jener Filme, in denen es sich ausdrückt/konkretisiert/dokumentiert. Wir haben es also mit der Schwierigkeit zu tun, dass das Genre nicht Film ist, aber uns nur im Film begegnet: Das Genre geht dem Film (logisch) voraus und ist doch (faktisch) sein Effekt. (Liebrand/Steiner 2)
Die Signifikanz und zugleich latente Varianz von Genres beruht auf nachträglich gezogenen Differenzen. Anders formuliert heißt das, dass Genres nicht einfach das Immergleiche wiederholen, sondern erst in der Differenz verdeutlichen können, was wiederholt wird, womit sie immer schon in einem Verhältnis zu einem anderen stehen, das zuvor bereits wiederholt worden ist. Diese sich wechselseitig bedingenden Prozesse der Wiederholung und Differenz durchziehen die generischen Diskursivierungen der Filmkritik, Film- wie Genretheorien zu Psycho, die Materialien von Psycho und Bates Motel sowie die generisch-seriellen Iterationen in den Sequels und Bates Motel. Ziel der Analysen ist es, vor dem Hintergrund kultureller Genrekonventionen, die über die Kontextualisierung der Produktionen und Genrepraktiken sowie über semantische Genrekonzepte skizziert werden, die spezifischen Differenzverfahren herauszuarbeiten, die Genres sowohl zu stets aktuellen ‚generischen Serien-/Texten‘ als auch zu dynamischen ‚generisch-seriellen Intertexten‘ gestalten. Auch wenn Psycho den Anfang der historischen Analysen markiert, so gilt für das Untersuchungskorpus wie Genres allgemein, dass weder ein vorgängiges ‚erstes‘ generisches Objekt, auf das eine generische Linie zurückzuführen ist, noch Ur-Genres auszumachen sind, die außerhalb einer Historizität bestehen und dabei noch eine generische Definitionshoheit besitzen: „there are no arch-genres that can totally escape historicity while preserving a generic definition.“ (Derrida, „The Law“ 62; Herv.i.O.) Um diese Prämisse der Historizität von Genres geht es im Folgenden.