Das vorangegangene Kapitel stellt aus geographiedidaktischer sowie interdisziplinärer Perspektive die Notwendigkeit von Sprachsensibilität im Fachunterricht dar. Einige der einbezogenen Studien geben bereits Hinweise auf fruchtbare Ansätze der fachintegrierten Sprachförderung. Im Folgenden werden Erkenntnisse zu durchgängiger Sprachförderung aus relevanten Bezugsdisziplinen vorgestellt. Da sprachsensibler Geographieunterricht in erster Linie Geographieunterricht ist, also der zu lernende fachliche Inhalt Ausgangspunkt des Unterrichts ist, wird zunächst ein Begriff von gutem Geographieunterricht herausgearbeitet. Dieser soll die Basis erfolgreichen Geographielernens mit sprachsensibler Ausrichtung bilden (vgl. Abschn. 3.1). Danach werden Erkenntnisse aus der Spracherwerbsforschung dargestellt, die einerseits Aufschluss über den Umgang mit Zweitsprachlernenden geben. Andererseits gibt die Spracherwerbsforschung aber auch Hinweise auf den Erwerb von Fachsprache und somit auf Umsetzungen von Sprachsensibilität im Geographieunterricht (vgl. Abschn. 3.2). Ein weiteres Unterkapitel umfasst Erkenntnisse aus Sprach- und Schreibdidaktik als einen zentralen Forschungszweig für Sprachsensibilität im Fachunterricht (vgl. Abschn. 3.3).

1 Guter (Geographie)unterricht als Basis für Sprachsensibilität

Sprachsensibler Geographieunterricht kann nur dann gelingen, wenn die Basis dafür guter Geographieunterricht ist. Doch die Frage danach, was guten Geographieunterricht ausmacht, ist nicht einfach zu beantworten. So existieren verschiedene Strömungen, Vorstellungen und Meinungen dazu, was guten Geographieunterricht ausmacht; insbesondere in Abgrenzung zu anderen Fächern ist dies nicht eindeutig geklärt. Ein sinnvoller Zugang scheint also zu sein, die Frage zunächst fachübergreifend zu stellen. Unterricht gilt dann als gut, wenn er wirksam ist, genauer, lernwirksam (vgl. Helmke 2009, S. 25; Schratz/Pant 2018, S. 9). Doch wie gestaltet sich Lernen als wirksam?

1.1 Moderat-konstruktivistisches Lernverständnis

Weitgehender Konsens in der aktuellen Unterrichtsforschung, den Fachdidaktiken sowie der Sprachdidaktik besteht darin, dass Unterricht auf einem konstruktivistischen Verständnis von Lernen basieren sollte, um wirksam zu sein (vgl. Rempfler 2018b, S. 19). Ziel des Unterrichts nach moderat-konstruktivistischem Lernverständnis ist es, Schüler*innen zum aktiven Tun anzuregen (vgl. Renkl 2015, S. 7). Konstruktivistisches Lernverständnis im Rahmen kognitiver Lerntheorien geht davon aus, dass Lernen als Prozess der Informationsverarbeitung abläuft und Wissen in Gedächtnisstrukturen gespeichert wird. „Der Einzelne ist aktiver Konstrukteur seiner Wirklichkeit. Er setzt sich im Rahmen von Lernvorgängen bewusst mit Problemstellungen auseinander, setzt Wissensinhalte und Fertigkeiten in kognitive Strukturen um und speichert sie im Gedächtnis“ (vgl. Stein 2017, S. 102). Dabei werden die notwendigen Freiräume für individuelle Wissenskonstruktionen der Lernenden geschaffen und gleichzeitig wird darauf geachtet, vielfältige Maßnahmen zur Förderung und Unterstützung dieses Prozesses bereitzuhalten, die an vorhandenes Wissen anknüpfen und sich an fehlendem Wissen orientieren (vgl. Seidel/Reiss 2014, S. 260). Konstruktivistisches Lernverständnis setzt auf innere Differenzierung, um individuelles Lernen zu ermöglichen. Das heißt, es wird im heterogenen Klassenverband gelernt, allerdings innerhalb dessen individuell gefördert. Dabei entsteht ein Wechselspiel von Konstruktion und Instruktion; die Lernenden und deren Konstruktion von Wissen bilden den Ausgangspunkt jedes Lernarrangements (vgl. Wecker/Fischer 2014, S. 287). Der konstruktivistische Ansatz setzt sich zum Ziel, träges Wissen sowie eine passive Rolle der Schüler*innen zu vermeiden, indem er Wissen als mentale Repräsentation versteht. Die Strukturen dieser Repräsentationen werden individuell und aktiv durch die Lernenden verändert. Lernen findet nach konstruktivistischem Verständnis zwar individuell statt, wird allerdings maßgeblich vom sozialen Kontext des*r jeweiligen Lerner*in beeinflusst; es wird also immer situiert und nicht kontextfrei gelernt. Das, was in einem bestimmten Kontext gelernt wird, ist nicht immer problemlos auf andere Kontexte übertragbar. „Aus diesem Grund plädiert man in der konstruktivistischen Position dafür, im Lernprozess systematisch unterschiedliche Anwendungskontexte zu integrieren, um so zu flexibel nutzbaren mentalen Wissensrepräsentationen zu gelangen“ (Seidel/Reiss 2014, S. 260). Vor dem Hintergrund kontextualisierten Lernens zeigt sich im Konstruktivismus ein weiteres Mal die Notwendigkeit fachintegrierten Sprachlernens. Im passenden Kontext kann Fachsprache nachhaltig erlernt werden. Um die Anwendung z. B. von Fachsprache auch in anderen Zusammenhängen zu ermöglichen, müssen neben deklarativem und konzeptuellem Wissen auch Problemlösestrategien entwickelt werden, die Lernende dazu befähigen, sich selbstständig Wissen anzueignen und Lösungen zu finden. Die Lernenden übernehmen die aktive Rolle im Lernprozess.

Kritiker*innen des konstruktivistischen Ansatzes bemängeln den nicht exakt bestimmten Grad an Freiheit des Lernprozesses und eine mögliche Überforderung der Schüler*innen durch eben diese. Es ist in der Tat von großer Wichtigkeit, konstruktivistische Lernumgebungen in hohem Maße zu strukturieren, um den Schüler*innen eigenständiges Lernen überhaupt zu ermöglichen; sie arbeiten also nicht ohne Orientierung auf sich gestellt, sondern erhalten Unterstützung. Man spricht daher von moderat-konstruktivistischem Lernverständnis. Die Lehrperson nimmt sich im Unterricht zwar zurück, strukturiert allerdings insbesondere im Vorfeld die Lernumgebung und steht stets beratend zur Seite, gibt Lernanreize und Hilfestellungen. Demgemäß spielen für die Entwicklung der Design-Kriterien von sprachsensiblem Geographieunterricht insbesondere zwei auf dem Konstruktivismus basierende und im Folgenden dargelegte Konzepte eine zentrale Rolle (vgl. Seidel/Reiss 2014, S. 260–261).

Theorie der Zonen proximaler Entwicklung nach Vygotskij

Die zukunftsorientierte Theorie der Zonen proximaler Entwicklung (Vygotskij et al. 1974) postuliert, dass Lernen besonders erfolgreich ist, wenn Lernende mit Anforderungen konfrontiert werden, die leicht über ihren bisherigen Fähigkeiten liegen. Die Schüler*innen kommen mit individuell konstruiertem Vorwissen, das unter verschiedenen Kontexten gewachsen ist, in den Unterricht und sollen Anforderungen auf dem nächsthöheren Kompetenzniveau, der Zone proximaler Entwicklung, mit Unterstützung erfolgreich lösen. Auf diesem Ansatz beruht auch wesentlich das Scaffolding (vgl. Abschn. 3.3) als Bereitstellung von Hilfsangeboten, um die nächste Kompetenzstufe zu erreichen (vgl. Mietzel 2017, S. 171).

Cognitive-Apprenticeship-Ansatz nach Collins et al. (1989)

Der Cognitive-Apprenticeship-Ansatz (Collins et al. 1989) konkretisiert, wie der Lernprozess mit den Zonen proximaler Entwicklung aussehen soll, indem er die einzelnen Schritte des Erwerbsprozesses und das jeweilige Verhältnis von Lernenden und Lehrenden definiert. Ziel des Ansatzes ist es, dass Schüler*innen dazu befähigt werden, Aufgaben auf dem nächsthöheren Kompetenzniveau selbstständig zu lösen. Zentral dabei ist, dass das Lernen anhand einer konkreten Problemstellung, in die immer wieder neue Situationen, Kontexte und Aspekte integriert werden, und im Austausch sowohl mit anderen Lernenden als auch mit der Lehrperson erfolgt. Das Wissen kann so vernetzt werden und im Alltag anschluss- und anwendungsfähig sein. Dadurch, dass innerhalb der Lerngruppe verschiedene Lösungswege und -vorschläge diskutiert werden, werden die Schüler*innen mit unterschiedlichen Perspektiven konfrontiert und erweitern ihr Repertoire an Problemlösestrategien. Am Anfang des Lernprozesses ist zunächst Anleitung durch die Lehrkraft nötig, indem diese die Arbeitsschritte bzw. das zu Lernende zu Anfang vorführt (Modelling). Anschließend führen die Schüler*innen die Arbeitsschritte mit Hilfestellungen der Lehrperson (Scaffolding) selbst durch und mit wachsender Kompetenz der Lernenden tritt die Lehrkraft zunehmend zurück (Fading), bis die Aufgabenbewältigung schließlich ohne Unterstützung unter Beobachtung der Lehrperson (Coaching) erfolgen kann (vgl. Seidel/Reiss 2014, S. 261) (vgl. Abb. 3.1).

Abb. 3.1
figure 1

(Quelle: verändert nach Seidel/Reiss 2014, S. 262)

Cognitive-Apprenticeship-Ansatz.

Neben den oben erläuterten vier Phasen sind im Cognitive-Apprenticeship-Ansatz drei weitere Elemente während des gesamten Lernprozesses maßgeblich: Artikulation, Reflexion und Exploration. Die Lernenden werden stets dazu angehalten, ihre eigenen Gedankengänge anderen Lernenden zugänglich zu machen, indem sie diese artikulieren. Ebendiese Artikulation kann dazu führen, dass über das Gesagte aus unterschiedlichen Perspektiven gesprochen, diskutiert und schließlich reflektiert werden kann. Durch die zurückgenommene Rolle der Lehrperson sollen die Schüler*innen insbesondere gegen Ende des Lernprozesses außerdem in der Lage sein, selbstständig zu explorieren, also sich selbstständig Fragestellungen zu überlegen, sich Wissen anzueignen und Problemlösungen zu generieren (vgl. Seidel/Reiss 2014, S. 262).

1.2 Kriterien guten Unterrichts

Die Frage danach, was guter Unterricht ist, wird im aktuellen Diskurs von Bildungswissenschaften, der pädagogischen Psychologie und teilweise auch der fachdidaktischen Unterrichtsforschung zu beantworten versucht; auch verschiedene Studien adressieren diese Frage und leiten Anforderungen an die Lehrkräfte ab. Und Letzteres braucht es dringend, um herauszufinden, was wirksamen Unterricht in einem bestimmten Schulfach ausmacht. Man näherte sich der Frage, was in einem konkreten Schulfach wirksam ist, mit Modellen und Metaanalysen. Das Angebot-Nutzungsmodell von Unterricht skizziert die Bedingungen, unter denen ein Unterrichtsangebot von Schüler*innen genutzt werden kann. Beide Seiten – Angebot und Nutzung – stellen in ihrer Wechselwirkung die Wirksamkeit des Unterrichts dar. Für die vorliegende geographiedidaktische Arbeit interessiert der fachspezifische Anteil besonders (vgl. Abb. 3.2).

Abb. 3.2
figure 2

(Quelle: Wilhelm et al. 2018, S. 13 in Anlehnung an Fend (2001), Helmke (2009) und Reusser/Pauli (2010))

Angebot-Nutzungsmodell.

Das Angebot hängt im Wesentlichen von der Lehrperson ab und insofern ist es nur folgerichtig, dass ein Forschungsfokus auf der Modellierung von Professionswissen der Lehrkraft liegt. Dabei setzt sich die professionelle Handlungskompetenz einer Lehrperson aus Professionswissen (fachliches, fachdidaktisches und pädagogisches Wissen), der motivationalen Orientierung, den Überzeugungen bzw. Werthaltungen sowie den selbstregulativen Fähigkeiten zusammen (vgl. Baumert/Kunter 2006, S. 482). Auf der Seite der Nutzung steht die Schüler*innenaktivität im Mittelpunkt. Man unterscheidet zwischen der Ebene der Sichtstrukturen, also den Merkmalen, die direkt beobachtet werden können, und der Ebene der Tiefenstrukturen, also Dingen, die nicht direkt beobachtet werden können, aber bedeutsam für die Unterrichtsqualität sind, zum Beispiel, in welchem Maße die Schüler*innen kognitiv aktiv sind (vgl. Kunter/Trautwein 2013, S. 64). Insgesamt fehlen in diesen Ansätzen noch die fachdidaktischen Spezifika, die aber nachfolgend noch genauer dargelegt werden. Neben dem oben dargestellten Angebot-Nutzungsmodell, das im Ursprung auf Helmke zurückgeht, gibt es noch eine Reihe weiterer Forschungserkenntnisse zu Kriterien guten Unterrichts. Wilhelm et al. (2018) haben die zentralen Erkenntnisse tabellarisch zusammengestellt (vgl. Tab. 3.1).

Tab. 3.1 Vergleich der aktuell häufig diskutierten Kriterien für wirksamen Unterricht

Meyer (2004) ruft zehn Kriterien guten Unterrichts auf, wobei diese sehr allgemein gehalten sind und keinerlei fachdidaktische Bezüge herstellen. Helmke (2009) definiert ebenfalls zehn Merkmale, die mit denen von Meyer vergleichbar sind. Neu sind Aktivierung, Schülerorientierung und Kompetenzorientierung, in denen durchaus auch fachdidaktische Bezüge herzustellen sind. In der Metaanalyse von Hattie (2012) werden ebenfalls diverse überfachliche Kriterien abgeleitet. Wilhelm et al. (2018) stellen die Bedeutung von Tiefenstrukturen sowie die Bedeutsamkeit für eine fachspezifische Definition von gutem Unterricht wie folgt dar:

Die Sichtstrukturen geben zwar das Unterrichtsgeschehen vor; insgesamt mehr Erklärungsmacht für die Wirkung des Fachunterrichts scheinen jedoch die Tiefenstrukturen zu haben. Diese sind in der Fachdidaktik nur teilweise erforscht. Zu diesen Tiefenstrukturen zählen vor allem die Diagnose von domänenspezifischen Schülervorstellungen und die auf diesen diagnostischen Urteilen basierende kognitive Aktivierung und die konstruktive Unterstützung von Lernprozessen. Gerade hinsichtlich der Fachabhängigkeit zeigen aber aktuelle Forschungsergebnisse, dass durch den Einbezug domänenspezifischer Merkmale noch bedeutsamere Effekte des Unterrichts zu erwarten wären […]. (Wilhelm et al. 2018, S. 16)

Fachdidaktische empirische Forschung zu Kriterien guten Geographieunterrichts steht allerdings noch aus, weshalb im Folgenden nur in Ansätzen und wenig empirisch basiert dargelegt werden kann, was Kriterien guten Geographieunterrichts bedeuten.

1.3 Kriterien guten Geographieunterrichts

Kriterien guten Unterrichts sind bisher insbesondere auf Tiefenebene für den Geographieunterricht nicht geklärt. Dieses Desiderat adressierte Rempfler (2018a) in einem Sammelband mit dem Titel Wirksamer Geographieunterricht. In strukturierten Interviews mit 18 Expert*innen für Geographieunterricht wurden mit zehn Interviewfragen verschiedene Aspekte des Geographieunterrichts beleuchtet. Das Resümee zu ausgewählten, für die Arbeit relevante Fragen wird nachfolgend dargelegt:

(1):

Welches fachwissenschaftliche und fachdidaktische Wissen und Können der Lehrperson ist aus Ihrer Sicht für die Qualität des Geographieunterrichts besonders wichtig?

Es kristallisierte sich heraus, dass fachliche Kompetenz in den Wissensdimensionen Fachwissen (Verfügungswissen), Überblickswissen (Orientierungswissen) und Metawissen als besonders wichtig betrachtet wird, wobei insbesondere in der Komplexität von Mensch-Umwelt-Zusammenhängen eine größere Herausforderung gesehen wird. In Anbetracht relevanter Fragen des globalen Wandels soll fachmethodisches Wissen dazu bei den Lehrpersonen vorhanden sein. Es herrscht außerdem Konsens darüber, dass Lehrpersonen über theoretisches und empirisches geographiedidaktisches Wissen verfügen müssen. Darüber hinaus wird das Fach Geographie als Möglichkeit des forschenden Lernens begriffen, in dem Lehrkräfte dazu animieren sollen, Dinge in Frage zu stellen und Reflexion voranzutreiben (vgl. Rempfler 2018c, S. 206–207).

(2):

Welche Qualitätsmerkmale halten Sie für den Geographieunterricht für essenziell?

Neben den fächerübergreifenden Kriterien nennen die Expert*innen folgende Qualitätsmerkmale des Geographieunterrichts mit großer Übereinstimmung (vgl. Rempfler 2018c, S. 207–209):

  • Fachorientierung: Aktualitätsbezug, Anschaulichkeit, reale bzw. originale Begegnung am außerschulischen Lernort, Problemlösungsorientierung, kumulativer Wissensaufbau, Nachhaltigkeitsrelevanz, Strukturiertheit, transparente Ziele- bzw. Kompetenzorientierung; übereinstimmend so auch in einem Beitrag von Mehren/Mehren (2015)

  • Fachmethodisch: häufige Anwendung geographischer Arbeitsweisen, adäquate Auswahl fachtypischer Medien als Ersatz für die Realbegegnung

  • Berücksichtigung der geographischen Basiskonzepte (vgl. Abb. 3.3)

Abb. 3.3
figure 3

(Quelle: Fögele 2016, S. 73)

Basiskonzepte der Geographie.

(3) :

Welche Lernumgebungen und Lehr-/Lernformen halten Sie für einen wirksamen Geographieunterricht für besonders bedeutsam?

Die Expert*innen erkennen eine starke Schüler*innenorientierung als optimale Ausgangsbedingung der Lernumgebung, wobei Konsens darin besteht, dass sich hierfür konstruktive Unterrichtssettings besonders eigenen, in denen aktives, selbstgesteuertes Lernen möglich wird und forschendes Lernen im Sinne einer Situierung und Nähe zu Alltags-, Problem- und Handlungsorientierung den Inhalten Bedeutung verleiht. Das Ziel hierbei ist eine möglichst hohe kognitive Aktivierung (vgl. Rempfler 2018c, S. 209). Im Rahmen konstruktivistischen Lernens werden auch das Scaffolding und die Zonen proximaler Entwicklung als fruchtbar für das Lernen im Geographieunterricht herausgestellt (vgl. Brooks 2013, S. 52–54).

(4):

Wie sieht eine gute Differenzierung/Individualisierung Ihrer Meinung nach im Geographieunterricht aus?

Für guten Geographieunterricht wird innere Differenzierung der Lerner*innengruppe als zentrale Voraussetzung benannt (vgl. Rendel 2013, S. 2–3). Um diese gelungen umzusetzen ist als oberstes Kriterium eine ausreichende Diagnosekompetenz der Lehrkräfte notwendig (vgl. Rempfler 2018c, S. 210). Dieser Aspekt stellt insbesondere hinsichtlich der sprachlichen Anforderungen an den Unterricht eine mögliche Hürde dar, denn Geographielehrpersonen sind nicht zwangsläufig Expert*innen darin, sprachliche Anforderungen im Geographieunterricht zu erkennen.

(5):

Welche immer wiederkehrenden fachspezifischen Herausforderungen im Unterrichtshandeln müssen Ihrer Meinung nach die Lehrpersonen bewältigen, um im Geographieunterricht eine angemessene Unterrichtsqualität garantieren zu können?

Der Umgang mit Komplexität im Sinne von Uneindeutigkeit und Pluralität der Ansätze wird übergreifend als hohe Anforderung betrachtet; die Gefahr, hochkomplexe Gegenstände zu stark didaktisch zu reduzieren, ist vorhanden. Darüber hinaus wird die „Fähigkeit, relativ offene, nicht vollständig plan- und kontrollierbare Unterrichtsverläufe zuzulassen“ (Rempfler 2018c, S. 212) als eine große Herausforderung betrachtet.

(6):

Worauf gilt es bei der Entwicklung und dem Einsatz von Aufgaben bzw. Aufgabensets im kompetenzorientierten Geographieunterricht besonders zu achten?

Der Lernaufgabe wird insgesamt eine große Bedeutung beigemessen, wobei insgesamt eher fachunspezifische Kriterien genannt werden. Als fachspezifisch wurde die Forderung, geographische Materialien und Arbeitsweisen sowie die sechs Kompetenzbereiche der Bildungsstandards und die vier Dimensionen der Raumwahrnehmung zu berücksichtigen, deutlich (vgl. Rempfler 2018c, S. 212–214).

Die Intervention in der dargestellten Studie basiert auf einem moderat-konstruktivistischen Unterrichtsverständnis, das zentrale Theorien wie die Zonen proximaler Entwicklung sowie das Scaffolding als Fundamente des Lehr-Lern-Verständnisses berücksichtigt. Darüber hinaus gelten die Fachorientierung, die Berücksichtigung geographischer Arbeitsweisen sowie die geographischen Basiskonzepte als Grundlage für die Unterrichtsintervention.

2 Erkenntnisse aus der Spracherwerbsforschung

Im Kontext von Fach- und Bildungssprache lohnt sich der Blick in die Spracherwerbsforschung. Für die Erstsprache geht die Forschung davon aus, dass Kinder schon ab vier Jahren komplexe Syntax (Hypotaxen) verstehen können; für die Zweitsprache trifft dies je nach Erwerbsalter verzögert zu (vgl. Pagonis 2009, S. 209). Beim ungesteuerten Zweitspracherwerb wird von frühem Erwerb beim Erwerbsbeginn zwischen zwei und vier Jahren gesprochen; später Zweitspracherwerb beginnt im Alter von sechs bis zwölf. Danach, also ab dem Jugend- und Erwachsenenalter, wird die Zweitsprache in der Regel nicht mehr ungesteuert, sondern gesteuert, also mithilfe von expliziter Instruktion erworben (vgl. Peuschel/Burkard 2019b, S. 42).

Das Erwerbsalter der Unterrichtssprache sollte also auch im Fachunterricht Berücksichtigung finden. Der Erwerb von Diathesen, im Deutschen insbesondere das Passiv, erfolgt allerdings erst bis zum Alter von zehn Jahren. „Die ‚agent-first‘-Strategie bei der Rezeption erschwert lange die flexible Vorfeldbesetzung und das Erkennen von Passivkonstruktionen“ (Kemp et al. 2008, S. 80). Ersatzkonstruktionen, zum Beispiel Reflexiva oder Prädikative in passivfordernden Kontexten fallen ebenfalls in diese Kategorie (vgl. Kemp et al. 2008, S. 80–81). Auf semantischer Ebene des Spracherwerbs zeigt sich, dass Kinder etwa ab dem Alter von zwölf Jahren gängige Redewendungen und Metaphern erläutern, begründen und über sie sprechen können. Dies gilt allerdings nicht für unkonventionelle Metaphern (vgl. Komor/Reich 2008, S. 59). Für den fachlichen Kontext ist dies besonders insofern von Bedeutung, als Fachbegriffe häufig metaphorisch besetzt sind und deren Entschlüsselung für das Verständnis essenziell ist. Erweiterte diskursive Kompetenzen prägen sich im Alter von neun Jahren aus; dann können Konnektoren zum Ausdruck von kausalen, temporalen und adversativen Beziehungen zunehmend sicher verwendet werden (vgl. Guckelsberger/Reich 2008, S. 90). Bis zum Alter von zwölf Jahren sind also entwicklungspsychologisch betrachtet alle notwendigen Voraussetzungen für den Erwerb von Fachsprache vorhanden; viele Voraussetzungen sind dann aber erst seit kurzem ausgebildet, sodass Übung notwendig ist. Dies trifft insbesondere für Zweitsprachlernende zu (vgl. Müller 2015, S. 124–125).

Zur Frage, wie Sprache mit und in ihren Varietäten erworben wird, gibt es verschiedene Lerntheorien und Hypothesen, die alle parallel nebeneinander bestehen; jede für sich enthält Ansatzpunkte für Sprachsensibilität. Dabei beleuchten alle Theorien drei relevante Faktoren des Spracherwerbs, die je nach Ansatz unterschiedlich stark fokussiert werden. Auf Ebene (1) sind Erstsprache (L1) sowie Zweitsprache (L2) aufgeführt. Darüber hinaus spielen auf Ebene (2) die mentalen Ressourcen und auf Ebene (3) die kommunikativen Bedingungen und Bedürfnisse des*r Lerner*in eine Rolle (vgl. Grießhaber 2010, S. 128). In dieser Logik werden nun ausgewählte Ansätze und ihre exemplarischen Vertreter vorgestellt. Zentrale Erkenntnisse daraus werden für die Design-Kriterien aufgegriffen (vgl. Kap. 4).

Behaviorismus (Skinner 1957) vs. Nativismus (Chomsky 1959)

Frederic B. Skinner untersuchte Spracherwerb in den 1950er-Jahren aus behavioristischer Perspektive (Skinner 1957). Die Grundannahme des Behaviorismus ist, dass Personenmerkmale und Veränderungen in der Entwicklung aus Einflüssen aus der Umwelt begründet werden können. Ob und in welchem Umfang kognitive Prozesse beim Erwerb von Relevanz sind, wird nicht oder nur untergeordnet betrachtet. „Sprache wird durch Imitation und Verstärkung gelernt. Kinder erwerben Sprache, indem sie Erwachsene imitieren. Sie lernen, indem richtiges Sprechen belohnt und verstärkt wird“ (Eckhardt 2008, S. 20). Die Limitierung des Behaviorismus auf das, was beobachtet werden kann, ist allerdings problematisch. So bleiben wesentliche Fragen, wie zum Beispiel Erklärungen zu eigenständig von Kindern gebildeten sprachlichen Formen, offen, sodass sich kein Gesamtbild des Spracherwerbs ergibt (vgl. Grießhaber 2010, S. 14). Dennoch konstatiert der Behaviorismus den sprachlichen Input als eine zentrale Gelingensbedingung des Spracherwerbs, was sowohl kognitionspsychologisch gestärkt als auch in der Sprachdidaktik und der Praxis des L2-Unterrichts bestätigt ist und insofern einen wichtigen Ausgangspunkt für die Konzeption sprachsensiblen Geographieunterrichts bildet.

Innerhalb des Behaviorismus angesiedelt ist die Kontrastivhypothese (Fries 1945; Lado 1957), eine L2-Erwerbshypothese, die Erst- und Zweitsprache miteinander kontrastiert und davon ausgeht, dass Sprache ein System von sogenannten habits ist und diese von der einen auf die andere Sprache übertragen werden.

Dabei werden zwei Arten von Transfer unterschieden:

Strukturgleichheit

L1 = L2: positiver Transfer

korrekte     L2-Äußerungen

Strukturdifferenz

L1 ≠ L2:    negativer Transfer

inkorrekte L2-Äußerungen

Nach diesem Verständnis überträgt der Lerner generell unbewusst L1-habits auf die L2. Bei eng verwandten Sprachen erfolgt dies meist als positiver Transfer und führt bis auf kleine, aber markante Unterschiede zu korrekten Äußerungen. Bei typologisch weiter entfernten Sprachen erfolgt der Transfer dagegen überwiegend als negativer Transfer […]. (Grießhaber 2010, S. 131)

In verschiedenen empirischen Untersuchungen wurden einige Annahmen der Kontrastivhypothese allerdings widerlegt. So ist es beispielsweise nicht der Fall, dass Übereinstimmungen in der Struktur sprachlicher Äußerungen in Erst- und Zweitsprache zwangsläufig zu richtigem Sprachhandeln führen und umgekehrt müssen Unterschiede nicht in Lernschwierigkeiten oder Fehlern münden. Viel eher zeigte sich, „dass Lernprobleme auch Vermeidungsverhalten zur Folge haben können“ (Eckhardt 2008, S. 23). Dennoch bildet die Hypothese insofern einen bemerkenswerten Ausgangspunkt für die Konzeption von sprachsensiblem Geographieunterricht, als sie mögliche Fehlerquellen von Schüler*innen mit Deutsch als Zweitsprache offenlegt.

Im Zuge der Kritik am Behaviorismus entwickelte Chomsky (1959) eine nativistische Erwerbshypothese, die davon ausgeht, dass jedes Kind über ein sogenanntes Language Acquisition Device (LAD) verfügt. Demzufolge sind sprachliche Strukturen, die es ermöglichen, jede natürliche Sprache zu erwerben, bereits angeboren. Das LAD existiert allerdings nicht dauerhaft; das heißt, der Spracherwerb findet nicht statt, wenn ein bestimmter Entwicklungspunkt überschritten ist und davor nicht ausreichend Kontakt mit der entsprechenden Sprache vorhanden war (vgl. Bickes/Pauli 2009, S. 36). Prinzipiell analog dazu läuft auch der Erwerb einer Zweitsprache (Identitätshypothese nach Dulay/Burt (1974)). Die nativistische Theorie weist darauf hin, dass Spracherwerb früh angebahnt werden sollte, lässt allerdings keine Rückschlüsse darauf zu, wie der Erwerb gefördert werden kann. Es ist außerdem problematisch, dass Sprache nicht situiert betrachtet wird, wie es in der funktionalen Grammatik (Dik/Hengeveld 1997) der Fall ist. Daher wird der Nativismus im Rahmen der Arbeit nicht weiter beleuchtet.

Kognitivismus (Piaget 1972)

Spracherwerb vor dem Hintergrund kognitionspsychologischer Lerntheorie fokussiert auf die mentalen Ressourcen. In dieser Logik wird Sprache gelernt, indem sie aufgenommen, gespeichert und schließlich benutzt wird. Für die Entwicklungspsychologen um Piaget (1972) und seine Genfer Schule sind Sprache und Denken wechselseitig miteinander verknüpft. Dabei ist sprachliche Entwicklung eng an die sensomotorische Entwicklung gekoppelt (vgl. Günther/Ludwig 1994, S. 49). Aus der Perspektive des Kognitivismus sind Spracherwerbsmechanismen weder angeboren (Nativismus) noch werden sie allein durch Nachahmung ermöglicht (Behaviorismus). Spracherwerb gilt als kreativer, konstruktiver Prozess, wobei neues Wissen auf der Basis vorhandenen Wissens verarbeitet wird (vgl. Klann-Delius 2008, S. 99–103).

Es wird angenommen, dass die aktive Konstruktion des Sprachinputs den Sprachoutput beeinflusst. Dabei entspricht das, was tatsächlich als Sprache aufgenommen wird, nicht dem Sprachinput. Die Sprachäußerung muss, damit sie überhaupt aufgenommen wird, Aufmerksamkeit erreichen, dem Spracherwerbsstand entsprechen und zum Vorwissen passen. Wird Sprache aufgenommen, so erfolgt die Verarbeitung im Gehirn. Der Erwerb von Sprache setzt dabei voraus, dass deklaratives Wissen so aktiviert werden kann, dass es in das prozedurale Gedächtnis übergeht (vgl. Tab. 3.2).

Tab. 3.2 Gedächtnissysteme

Die Bedingung dafür, dass deklaratives zu prozeduralem Sprachwissen wird, ist nicht reines Üben und Wiederholen; entscheidend ist, dass sprachliches Wissen in echten Kommunikationssituationen gebraucht wird (vgl. Hoffmann/Engelkamp 2017, S. 5).

Das fundamentale Lerngesetz lautet: Die Zielhandlung selbst, die ganzheitliche Leistung muss immer wieder ausgeführt werden. Eine Fremdsprache lernt man nur dann als Kommunikationsmedium benutzen, wenn sie ausdrücklich und genügend oft in dieser Funktion ausgeübt wird. (Butzkamm 1989, S. 79)

Dieses Zitat von Butzkamm gilt uneingeschränkt auch für den Erwerb von Fach- und Bildungssprache. Damit Fach- und Bildungssprache erfolgreich angewandt werden können, gilt zusätzlich, dass die Sprechsituation dem Denk- und Sprachniveau des*r Lerners*in in kognitiver und sprachlicher Hinsicht angepasst wird (vgl. Butzkamm 1989, S. 79). Dies fokussiert die Relevanz von Vorwissen, das insbesondere bei Fach- und Bildungssprache von entscheidender Bedeutung ist, denn wenn die sprachlichen Strukturen automatisch verstanden und artikuliert werden, wird weniger Kapazität darauf verwendet, die Sprache zu verstehen, und der fachliche Inhalt kann fokussiert werden. „Tatsächlich ist automatisiertes Wissen die Voraussetzung für Verstehensprozesse, eben weil man für Verstehensprozesse freie Arbeitsgedächtniskapazitäten braucht“ (Neubauer/Stern 2007, S. 192). Die Ausführungen zeigen, „welche Funktion und welche Deutung dem inhaltsbezogenen Sprachlernen als Lernen von Sprache an und mit Inhalten zukommt. Dies ist ein eindeutiges Plädoyer für den sprachsensiblen Fachunterricht“ (Leisen 2013, S. 58).

Interaktionismus (Bruner 1983) und Input- (Krashen 1982) bzw. Output- (Swain 1985) Hypothese

Der Interaktionismus basiert auf der Annahme, dass es zwischen genetischen Dispositionen und der Umwelt Interaktion gibt, das bedeutet, „dass Kinder über kognitive, soziale und kommunikative Kompetenzen verfügen, die in der Interaktion mit den Bezugspersonen […] weiter entwickelt werden“ (Eckhardt 2008, S. 21). Dieser Ansatz bildet insofern eine Ergänzung zum Behaviorismus und Nativismus, als biologischen und umweltbezogenen Faktoren die gleiche Bedeutung beigemessen wird und davon ausgegangen wird, dass sich beide wechselseitig bedingen (vgl. Eckhardt 2008, S. 21–22).

Besonders relevant in diesem Kontext sind die Input-Hypothese nach Krashen (1982) sowie die dazu komplementär angelegte Output-Hypothese von Swain (1985). Die Input-Hypothese besagt, dass Sprache über die Aufnahme von verständlichem Input erworben wird (vgl. Krashen 1982, S. 33). Im Wesentlichen deckt sich diese Annahme auch mit kognitionspsychologischen und sprachdidaktischen Erkenntnissen, die dem sprachlichen Input eine hohe Relevanz zuweisen. Krashen (1982) geht davon aus, dass die Produktion von Gesprächsoutput nur indirekt einen Beitrag zum erfolgreichen Spracherwerb leistet, wohingegen der Input wesentlichen Anteil beim Erwerb hat: „Comprehensible input is responsible for progress in language acquisition. Output is possible as a result of acquired competence. When performers speak, they encourage input (people speak to them). This is conversation“ (Krashen 1982, S. 61). Leisen spricht in diesem Zusammenhang vom „Sprachbad“ (Leisen 2013, S. 61), in welches die Schüler*innen möglichst oft und lange eintauchen sollen. Das Sprachbad ist als Metapher zu verstehen. Es zeichnet sich dadurch aus, dass es „eine durchgängige Intensivierung mündlicher und schriftlicher Sprachproduktion im Unterricht initiier[t; eigene Ergänzung] und somit einen ganzheitlich sprachsensiblen Unterrichtsdiskurs ermöglich[t; eigene Ergänzung]“ (Wessel 2015, S. 30). Empirische Studien konnten die alleinige Wirksamkeit von Sprachinput allerdings nicht belegen. Es zeigte sich zwar, dass Schüler*innen durch eine Fokussierung auf den Input beim Zweitsprachlernen gute Leistungen in der Sprachrezeption erzielten, allerdings die Leistungen in der Sprachproduktion (Sprechen und Schreiben) hinter den Leistungen der Erstsprachler*innen zurücklagen (vgl. Swain 1985). Im Zuge dieser Erkenntnisse wurde die Input-Hypothese zugunsten der Output-Hypothese sowie Interaktionsprozesse in Frage gestellt. Swain (1985) lenkte die Aufmerksamkeit auf den Sprachoutput und argumentierte: “[O]ne learns to speak by speaking. And one-to-one conversational exchanges provide an excellent opportunity for this to occur” (Swain 1985, S. 248). Der alleinige aktive Gebrauch von Sprache reicht nicht aus, vielmehr müssen die Lernenden auch dazu angeregt werden, angemessene und präzise Sprache zu verwenden (vgl. Swain 1985, S. 249). Das bedeutet, dass Lernende dazu angehalten werden, ihre sprachlichen Äußerungen (nach Feedback) zu korrigieren oder anzupassen:

[I]n order for native-speaker competence to be achieved, however, the meaning of ‘negotiating meaning’ needs to be extended beyond the usual sense of simply ‘getting one’s message across’. Negotiating meaning needs to incorporate the notion of being pushed toward the delivery of a message that is not only conveyed, but that is conveyed precisely, coherently and appropriately. Being ‘pushed’ in output […] is a concept parallel to that of the i + 1 of comprehensible input. Indeed, one might call this the ‘comprehensible output’ hypothesis. (Swain 1985, S. 248–249)

Für erfolgreichen Zweitspracherwerb ist somit die Orientierung am Sprachoutput der Lernenden mit entsprechenden Feedbackhandlungen der Lehrpersonen wie zum Beispiel Aufforderungen zur Präzision oder genaueren Erklärung, von Bedeutung (vgl. Mackey 2002, S. 388). An dieser Stelle werden Parallelen zur Bedeutung von sozialer Interaktion und Kommunikation beim Geographielernen deutlich.

Schwellenhypothese (Cummins, James 1979)

Die Schwellenhypothese ist eine Zweitspracherwerbshypothese, die in Hinblick auf relevante Erkenntnisse für den Erwerb von Fach- und Bildungssprache von Bedeutung ist. Sie versucht, die kognitiven und schulischen Leistungen von zweisprachigen Kindern zu erklären und postuliert eine Abhängigkeit der kognitiv-akademischen Kompetenz von der Sprachkompetenz in beiden Sprachen. Cummins geht davon aus, dass es zwei Schwellen gibt, die ein zweisprachiges Kind überschreiten muss, damit sich die Zweisprachigkeit positiv auf die kognitiv-akademischen Kompetenzen auswirkt. Wird keine dieser Schwellen überschritten, entsteht – der Hypothese zufolge – Semilingualismus; es liegen in keiner der beiden Sprachen ausreichend sprachliche Kompetenzen vor, um kognitiv-akademische Kompetenzen zu erwerben. Liegen die Sprachkompetenzen über der ersten Schwelle, ergibt sich eine dominante Zweisprachigkeit: Bei einer der beiden Sprachen liegt eine altersgemäße Kompetenz vor. Ein zentraler Kritikpunkt dieser Hypothese bezieht sich auf die Begriffe und Definitionen.

Was beispielsweise unter Kompetenz und kognitiver Entwicklung zu verstehen ist, bleibt vage. […] Weiterhin werden die Schwellenniveaus nicht klar bestimmt. So ist offen, welche sprachlichen Kompetenzen der unteren bzw. oberen Schwelle entsprechen. […] Warum das Erreichen der unteren Schwelle in einer Sprache notwendige Voraussetzung für den Erwerb der zweiten Sprache ist und weshalb ein Kind vergleichsweise geringe schulische Leistungen erreicht, wenn es mit einer zweiten Sprache konfrontiert wird, bevor es die untere Schwelle überschritten hat, geht aus den Ausführungen Cummins‘ nicht hervor. (Eckhardt 2008, S. 28)

Inhaltliche Kritik übt die aktuelle Forschung. In einer kritischen Stellungnahme zur doppelten Halbsprachigkeit heißt es:

In der öffentlichen Diskussion, gerade auch in bildungspolitischen Kontexten, findet man in letzter Zeit häufig die Aussage, Kinder, die mit zwei Sprachen aufwüchsen, entwickelten oft eine „doppelte Halbsprachigkeit“, d.h. sie könnten keine der beiden Sprachen ‚richtig‘ sprechen. Für eine solche Annahme gibt es keine sachliche Grundlage: Die sogenannte ‚doppelte Halbsprachigkeit‘ ist ein populärer Mythos, der auf einer Fehleinschätzung von Sprache und sprachlicher Vielfalt beruht. Er gibt eher die soziale Bewertung – genauer: Abwertung – eines bestimmten Sprachgebrauchs wieder als sprachliche oder grammatische Fakten. (Wiese et al. 2010, S. 1)

Unter Berücksichtigung dieser Kritik bietet die Schwellenhypothese im Rahmen dieser Arbeit für die Konzeption von sprachsensiblem Geographieunterricht nur insofern fruchtbaren Anknüpfungspunkt, als sie verdeutlicht, dass die Sprachkompetenz der Kinder in der Erstsprache zu berücksichtigen ist. Unter Einbezug der Erstsprache können sich fachsprachliche und fachliche Kompetenzzuwächse ergeben.

Interlanguage (Selinker 1972/1974)

Im Kontext des Zweitspracherwerbs ist ebenfalls die Interlanguage-Hypothese von Selinker (1972/1974) erwähnenswert. Er geht davon aus, dass beim Erwerb von zwei Sprachen ein eigenes Sprachsystem herausgebildet wird, das zwischen den beiden Sprachen steht und sowohl Charakteristika der Erst- als auch der Zweitsprache enthält. Der Zweitspracherwerb stellt demzufolge einen Prozess in verschiedenen Schritten dar. In jedem Schritt entwickelt sich eine neue Interimssprache, die das erreichte Niveau repräsentiert (vgl. Günther/Günther 2004, S. 105–106). Die Interlanguage stellt für die vorliegende Arbeit insofern eine beachtenswerte Hypothese dar, als sie die verschwommene Linie zwischen den sprachlichen Registern auch für den Erst- und Zweitspracherwerb annimmt. Insbesondere im Erwerbsprozess von Fachsprache ist davon auszugehen, dass Alltagssprache eine bedeutende Rolle einnimmt. Inwiefern diese Prozesse durch den Erwerb als Zweitsprache komplexer werden, ist bisher nicht untersucht.

Bisher ist nicht abschließend geklärt, wie genau Erst- und Zweitspracherwerb ablaufen, was es erschwert, den aktuellen Forschungsstand angemessen abzubilden. Der vorangegangene Abschnitt hat allerdings ohnehin weniger den Anspruch, den Forschungsstand zum Spracherwerb ausschöpfend darzustellen. Die Spracherwerbshypothesen sind dargestellt, da sie ein Verständnis davon geben, welche Aspekte beim Spracherwerb dem aktuellen Forschungsstand zufolge relevant sind, auch wenn unklar ist, welchen Anteil genau sie beim Erwerb haben. Da der Fokus dieser Arbeit weder auf Grundschüler*innen noch auf Kindern mit Deutsch als Zweitsprache liegt, spielen die Erwerbshypothesen für die Design-Kriterien außerdem eine nebengeordnete Rolle. Dass sowohl die Umwelt (Behaviorismus) als auch kognitive Prozesse und Strukturen (Kognitivismus) ihren Anteil am Spracherwerb haben, legt nahe, die Lernumgebung auch beim Erwerb von Fachsprache so zu gestalten, dass diese Faktoren begünstigt werden. Zweitspracherwerbshypothesen wie der Interaktionismus oder die Interlanguagehypothese machen darüber hinaus die Relevanz des Einbezugs der Erstsprache in den Fachunterricht deutlich, was sich auch in den Design-Kriterien für sprachsensiblen Geographieunterricht niederschlägt (vgl. Kap. 4).

3 Erkenntnisse aus der Sprachdidaktik

Die Sprachdidaktik definiert sich als Zusammenspiel von „Theorie und Praxis einer gesteuerten Kompetenzerweiterung im Umgang mit sprachlicher Vielfalt im Rahmen der sprachlichen Kultur der Mehrheitsgesellschaft – vor allem im Umgang mit schriftsprachlichen Texten“ (Steinig/Huneke 2015, S. 12–13). Diese Definition stellt zum einen klar heraus, dass das Spannungsfeld zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit eine zentrale Rolle in der Sprachdidaktik einnimmt (vgl. Glinz 2006, S. 26). Zum anderen macht es deutlich, dass es zwar im deutschsprachigen Kontext im Wesentlichen um die deutsche Sprache geht, aber dass zu dieser ebenfalls weitere Sprachen und Kulturen gehören, denen sprachdidaktisch begegnet werden muss. Es zeichnen sich also auch in der aktuellen Sprachdidaktik ein Plädoyer zur Akzeptanz und weiter der aktive Einbezug von Mehrsprachigkeit im Unterricht ab (vgl. Busse 2019, S. 13; Cummins 2019, S. 13; Oleschko 2017b, S. 12).

Im Folgenden werden Erkenntnisse für sprachsensiblen Fachunterricht aus der Sprachdidaktik im weiteren Sinne beleuchtet. Im weiteren Sinne, da unter dem Schlagwort Sprachdidaktik auch Aspekte der Schreibdidaktik einfließen sowie neben der Deutschdidaktik auch Zweit- und Fremdsprachdidaktik abgehandelt werden. Viele der dargestellten Aspekte werden ebenfalls in der Forschung um bilingualen Unterricht, bekannt als Content and Language Integrated Learning, diskutiert (vgl. Zydatiß 2017, 33). Im Rahmen moderat-konstruktivistischer Sprachförderansätze kann das Scaffolding als Grundpfeiler für die Entwicklung sprachsensiblen Geographieunterrichts betrachtet werden. Nachfolgend wird zunächst der Scaffolding-Ansatz selbst dargelegt und in einem weiteren Schritt in Bezug auf die verschiedenen Arbeitsbereiche der Sprachdidaktik beleuchtet. Die Sprachdidaktik besteht aus vier zentralen Arbeitsbereichen (vgl. Geist/Krafft 2017; Neuland/Peschel 2013; Ossner 2006; Steinig/Huneke 2015):

  1. (1)

    Mündlicher Sprachgebrauch/mündlicher Diskurs

  2. (2)

    Schriftlicher Sprachgebrauch/Textproduktion

  3. (3)

    Textrezeption/Leseverständnis

  4. (4)

    Sprachreflexion (im Wesentlichen Grammatik- und Wortschatzarbeit)

3.1 Scaffolding

In den letzten Jahren ist im Zuge einer stärkeren Fokussierung auf konstruktivistische Lernansätze das sogenannte Scaffolding ins Zentrum verschiedener Didaktiken gerückt. Scaffolding basiert auf der konstruktivistischen Theorie von Vygotskijs Zonen proximaler Entwicklung (vgl. Abschn. 3.1) und bietet – knapp gesprochen – gestufte Hilfen beim Lernen. Scaffolding ist als grundlegender, übergeordneter Zugang zum Wissenserwerb einzuschätzen: „[It; eigene Ergänzung] is to be understood as an approach […], rather than a method” (Kiraly 2017, S. 12). Seit den 1990er-Jahren wird Scaffolding hauptsächlich im Zweitsprachenunterricht angewandt; die Methode findet aber auch in anderen Disziplinen Anwendung (vgl. Lange/Gogolin 2010, S. 31) und hat sich zwischenzeitlich zum umbrellaterm für sprachliche Unterstützung gewandelt. So zeigt sich Scaffolding in empirischen Arbeiten verschiedener Fachdidaktiken als wirksamer Ansatz für den fachsprachlichen und fachlichen Kompetenzerwerb im Rahmen sprachsensiblen Fachunterrichts (vgl. Abschn. 2.3). In den folgenden Ausführungen geht es vordergründig um sprachliche Unterstützungsangebote, obwohl Scaffolding auch beim Erwerb fachlicher Inhalte genutzt wird, um Kinder und Jugendliche mittels gestufter Hilfen beim Erschließen schwer verständlicher Fachkonzepte zu unterstützen (vgl. Wessel 2015, S. 47).

Scaffolding, however, is not simply another word for help. It is a special kind of help that assists learners to move toward new skills, concepts, or levels of understanding. Scaffolding is thus the temporary assistance by which a teacher helps a learner know how to do something, so that the learner will later be able to complete a similar task alone. (Gibbons/Cummins 2002, S. 10)

Scaffolding setzt an den Stellen an, an denen die Kinder ihr sprachliches Repertoire ausgeschöpft haben und daher alleine keine Fortschritte mehr erzielen. Eine Weiterentwicklung der Kompetenzen in Richtung der Zone proximaler Entwicklung wird durch entsprechende Unterstützung, das Scaffolding, ermöglicht (vgl. Wessel 2015, S. 46) (vgl. Abb. 3.4).

Abb. 3.4
figure 4

(Quelle: verändert nach Wessel 2015, S. 46)

Schematische Darstellung der Kompetenzentwicklung in Richtung Zone proximaler Entwicklung.

Die kognitiv-sprachlichen Anforderungen werden nicht einfach reduziert, da dies die Sprachkompetenz der Schüler*innen nicht fördern kann, sondern möglicherweise sogar eine Rückentwicklung des Kompetenzniveaus zur Folge hätte (vgl. Vollmer/Thürmann 2013, S. 51). Stattdessen erzielt Scaffolding eine Verbesserung des Kompetenzniveaus, indem Lerninhalte, die über dem eigenen Kompetenzniveau liegen, durch Hilfestellungen dargeboten werden (vgl. Quehl/Trapp 2020, S. 31). Die sogenannten Scaffolds werden allmählich wieder abgebaut, damit ehemals schwierige sprachliche Situationen nach Zurücknahme der Hilfestellung (Fading) selbstständig bewältigt werden können. Es handelt sich also um ein Hilfssystem, in dem die Schüler*innen Maßnahmen zur Unterstützung erhalten, um herausfordernde sprachliche und fachliche Inhalte zu verstehen (vgl. Wessel 2015, S. 47). Auch aus motivationaler Sicht erweist sich Scaffolding als sinnvoll, weil die Schüler*innen durch erreichbare und gleichzeitig fordernde individuelle Ziele angespornt werden. Da die Scaffolds flexibel einsetzbar sind, können alle – ungeachtet der Heterogenität innerhalb der Klasse – gefördert werden. Insbesondere für Kinder mit sprachlichen Schwierigkeiten und solchen mit Deutsch als Zweitsprache bieten die Scaffolds notwendige Hilfestellung an (vgl. Kniffka 2015, S. 222–223). Je nach Entwicklungsstand des*r Schüler*in sollten die Unterstützungsmaßnahmen individuell dosiert werden. Denn das Scaffolding fußt auf dem Prinzip der Binnendifferenzierung. Die Lehrkraft diagnostiziert den Stand der Lerner*innen, nimmt demgemäß innere Differenzierung vor und bietet dann die passenden Scaffolds an. Während der*die eine Schüler*in ein stabileres Gerüst für längere Zeit braucht, genügt bei einem*r anderen womöglich eine kleine Stütze zu Beginn des Lernprozesses. Durch das Scaffolding entwickeln die Lernenden selbstgesteuerte Problemlösefähigkeit, indem sie – wenn auch mit Unterstützung – selbsttätig Wissen erwerben. Scaffolding macht keine genauen Vorgaben bezüglich der Inhalte; viel eher unterstützt es die Schüler*innen dabei, das Wie einer Handlung zu fokussieren; es entstehen Handlungsanleitungen, die auch auf andere Situationen übertragen werden sollen (Transfer). Dabei werden die Sprachstrukturen nicht isoliert gelernt, sondern nach konstruktivistischem Lernverständnis in einem fachlichen Kontext. Für die konkrete Umsetzung von Scaffolding und die Konzeption von sprachsensiblem Fachunterricht entwickelten Hammond/Gibbons (2005) ein Scaffolding-Modell in Form eines zweigliedrigen Systems, bestehend aus einer Makro- und einer Mikro-EbeneFootnote 1 (vgl. Abb. 3.5).

Abb. 3.5
figure 5

(Quelle: Beese et al. 2014, S. 43)

Makro- und Mikro-Scaffolding.

Dieses Modell bildet die Möglichkeiten durchgängiger Sprachförderung (vgl. Kap. 1) besonders treffend ab. Denn einerseits wird auf Makro-Ebene fokussierte Sprachförderung ermöglicht. Diese zeichnen sich „durch die besondere Berücksichtigung möglicher sprachlicher Hindernisse und möglicher Aktivitäten, Übungen und Materialien zu deren Überwindung aus“ (Wessel 2015, S. 34). Konkret bedeutet dies, dass auf Sprachangebote, Übungen, Sprachmittel etc. zur Unterstützung auf Wort-, Satz- und Textebene angeboten werden – und zwar bei der Produktion und der Rezeption von Sprache. Andererseits wird auf Mikro-Ebene, also in der konkreten Unterrichtssituation, ganzheitliche Förderung umgesetzt. Ganzheitliche Förderung verfolgt eine konsequente Intensivierung mündlicher und schriftlicher Sprachproduktion im Unterricht und soll durch entsprechendes methodisches und didaktisches Setting einen sprachsensiblen Unterrichtsdiskurs ermöglichen.

Makro-Scaffolding

Makro-Scaffolding bezieht sich auf die Planung des Unterrichts im Vorfeld und wird in der Umsetzung der sprachsensiblen Unterrichtsreihe dieser Arbeit schwerpunktmäßig integriert und beforscht. Makro-Scaffolding gliedert sich grob in vier Teile (vgl. Beese et al. 2014, S. 43).

(1) Bedarfsanalyse

„Ausgangspunkt für die Bedarfsanalyse sind die fachlichen Lernziele, Inhalte, Methoden und Medien“ (Beese et al. 2014, S. 35), die die Schüler*innen bewältigen müssen. Hiermit sind sowohl inhaltliche als auch sprachliche Anforderungen gemeint – auch im Rahmen dieser Arbeit soll das Scaffolding nicht allein als Methode zum Erwerb sprachlicher Kompetenzen, sondern auch fachlicher Inhalte herangezogen werden. Während die fachlichen Anforderungen den Lehrkräften meist sehr klar sind, wird die sprachliche Bedarfsanalyse oft vernachlässigt. Um dies zu ändern, sind die folgenden Fragen von Beese et al. (2014, S. 35) zur Orientierung hilfreich:

  • Was müssen die Schüler lesen, schreiben, hören, darstellen und präsentieren?

  • Welche Textsorten und welche Operatoren müssen sie beherrschen?

  • Stellen die eingesetzten Texte und Schreibaufgaben besondere Anforderungen auf der Ebene des Textaufbaus, der Textverknüpfung, der Grammatik und des Wortschatzes?

  • Welche sprachlichen Schwierigkeiten könnten das fachliche Lernen beeinträchtigen, welche nicht?

  • Welche sprachlichen Anforderungen sind typisch und damit langfristig relevant für das Fach?

(2)Lernstandserhebung der Schüler*innen

In einem weiteren Schritt erfolgt die Erhebung des aktuellen Lern- bzw. Sprachstandes der Schüler*innen. Je individueller und tiefer der Lernstand gemessen wird, desto genauer lassen sich anschließend Lernziele für jede*n Einzelne*n formulieren. Eine individualisierte Lernstandsanalyse ist jedoch mit relativ hohem Aufwand verbunden, der sich nicht immer in den Schulalltag integrieren lässt. Zur Bestimmung des mittleren Lernstandes der Klasse genügt allerdings eine eingehende Beobachtung oder ein Einstufungstest.

(3) Lernzielformulierung

Auf Basis der ersten beiden Schritte können schließlich in einer weiteren Phase Lernziele für den Unterricht formuliert werden. Auch hierfür entwickelten Beese et al. (2014, S. 35) Kriterien, die Lehrkräften bei der Auswahl der Lernziele Beachtung finden sollten:

  • Das Lernziel oder Teillernziel bezieht sich auf eine sprachliche Anforderung, die typisch für das Fach ist und die daher den Schüler*innen im Zuge ihrer Schullaufbahn immer wieder begegnen wird.

  • Das sprachliche Lernziel sollte etwas über dem derzeitigen Lernstand der Schüler*innen liegen.

  • Eine Unterrichtsreihe sollte nicht mehr als drei sprachliche Anforderungen enthalten. Mehr können nicht effektiv gefördert, erworben und gefestigt werden. Alle weiteren eventuellen sprachlichen Schwierigkeiten (z. B. schwierige Textstellen), die das fachliche Verständnis beeinträchtigen können, müssen durch sprachliche Vorentlastung, durch kurze Klärung im Unterrichtsgespräch, durch differenzierende Aufgaben und Übungen usw. aufgefangen werden.

(4) Konkrete Unterrichtsplanung

Die konkrete Unterrichtsplanung, der letzte Schritt des Makro-Scaffoldings, ist umfassend. Folgende Kriterien sollen gemäß des Scaffoldings in der Unterrichtsplanung integriert sein (vgl. Beese 2014, S. 35).

  1. (1)

    Berücksichtigung von sprachlichem und fachlichem Vorwissen und Vorerfahrungen

  2. (2)

    Aufgabenauswahl für und Sequenzierung von Lernumgebungen

  3. (3)

    Einsatz verschiedener Darstellungen und Register

  4. (4)

    Zusätzliche Unterstützungsstrukturen schaffen

  5. (5)

    Möglichkeiten zur fachlichen und sprachlichen Reflexion

  6. (6)

    Explizierung sprachlicher und fachlicher Lernziele

Mikro-Scaffolding

Mikro-Scaffolding ist inhaltlich weniger gut planbar als Makro-Scaffolding, weil es das direkte Unterrichtsgeschehen betrifft (vgl. Hardy et al. 2019, S. 45). Aus diesem Grund spielt es in der empirisch beforschten und im Rahmen dieser Arbeit entwickelten Unterrichtsreihe eine untergeordnete Rolle. Einige Rahmenbedingungen wie Sozial- und Arbeitsformen können dennoch gut geplant werden. Auch hilft es, sich als Lehrkraft vor dem Unterricht mit der eigenen Sprachverwendung auseinanderzusetzen, um ein möglichst gutes Sprachvorbild zu sein. Durch diesen Reflexionsprozess kann es außerdem gelingen, „spontane Elemente des Unterrichts möglichst zielgerichtet und produktiv aufzunehmen“ (Beese et al. 2014, S. 41). Von den vier eingangs zu diesem Kapitel dargestellten Sprachbereichen betrifft das Mikro-Scaffolding das erste Feld der mündlichen Kommunikation, auf das nachfolgend genauer eingegangen wird. Anschließend werden die weiteren Sprachbereiche beleuchtet, wobei diese eher das Makro-Scaffolding betreffen. Zunächst wird eine Abgrenzung des entsprechenden Feldes vorgenommen; darauf folgen aktuell besprochene Maßnahmen zur Förderung in dem entsprechenden Bereich.

3.2 Der mündliche Diskurs: Sprechen und Zuhören

Mündliche Kommunikation ist die dominierende Kommunikationsform in der Schule (vgl. Matschke 2018, S. 179). Mündliche Kommunikation hat im Unterricht im Wesentlichen zwei Funktionen. Sie ist zum einen Lernmedium (vgl. Becker-Mrotzek/Vogt 2009). Zum anderen ist mündliche Kommunikation aber auch zentrales Lernziel, zum Beispiel, wenn es darum geht, Gespräche zu führen, zu argumentieren oder Präsentationen zu halten (vgl. Budde et al. 2012, S. 69) (vgl. Abschn. 2.2). Zwar existieren diverse Modelle zu idealtypischen Abläufen von Gesprächen, im Vergleich zur Erforschung von Schreibprozessen sind die empirischen Befunde in der Gesprächsforschung aber noch relativ gering (vgl. Weber 2015, S. 96). Im Rahmen von sprachsensiblem Geographieunterricht stellt sich die Frage, wie die Unterrichtskommunikation so verbessert werden kann, dass sie einerseits gutes Lernmedium ist und andererseits beim Erwerb mündlicher Diskurskompetenz unterstützen kann. Häufig vorkommende Formen der Unterrichtskommunikation sind neben dem Lehrer*innenvortrag und dem Unterrichtsgespräch auch Kommunikation in Gruppenarbeit sowie Präsentationen von Schüler*innen (vgl. Becker-Mrotzek/Vogt 2009; Weber 2015, S. 107). Im Folgenden werden knapp einige Vorschläge für förderliche Unterrichtskommunikation skizziert. Eine vertiefte Darstellung des mündlichen Unterrichtsdiskurses erfolgt allerdings im Rahmen dieser Arbeit nicht, da der Fokus der Studie auf dem Makro-Scaffolding liegt und das Mikro-Scaffolding auf der Ebene der Unterrichtsinteraktion nicht direkt Gegenstand der Erhebungen oder des Treatments sind.

(1) Der Lehrer*innenvortrag und das Unterrichtsgespräch

Häufig wird die mündliche Kommunikation im Klassenzimmer von der Lehrkraft mittels Fragen gesteuert und von ihr mit durchschnittlich etwa 70–80 % Redeanteil dominiert (vgl. Becker 2010, S. 60; Meyer 2014, S. 95). Die Lehrkraft steht im Mittelpunkt des Unterrichts, und zwar in dem Sinne, dass Lehrpersonen der Ausgangspunkt der Unterrichtskommunikation sind, die einerseits selbst viel sprechen und andererseits diejenigen sind, die Kommunikation auf Schüler*innenseite initiieren (vgl. Becker 2010, S. 60). Lehrpersonen haben einen erhöhten Sprechanteil, kennen die Metastruktur des Unterrichts und leiten diesen zielgerichtet. Häufig mündet Unterricht daher in ein fragend-entwickelndes Gespräch. Für den Geschichtsunterricht zeigte sich in der Analyse einer Unterrichtsstunde, dass die Lehrperson von allen Fragen, die sie stellte, 81,8 % der Fragen W-Fragen waren, deren Beantwortung auf Schüler*innenseite auch sehr kurz möglich ist (vgl. Oleschko 2018, S. 59). In der Sprachdidaktik wird in den vergangenen 15 Jahren vom fragend-entwickelnden Unterrichtsgespräch abgeraten – entspricht es in seiner oft verstandenen Form dem Klischee eines verstaubten Unterrichts, das konstruktivistischen Ansprüchen nicht mehr gerecht wird (vgl. u. a. Neuland/Peschel 2013; Steinig/Huneke 2015). In der aktuellen Sprachdidaktik hingegen wird wieder Abstand genommen von einer pauschalen Ablehnung eines fragend-entwickelnden Unterrichtsgesprächs. Denn durch das Unterrichtsgespräch können – insbesondere in Kombination mit anderen sprachlichen Zugängen – wie der Textrezeption – diverse sprachliche Lerngelegenheiten im fachlichen Lernen geschaffen werden (vgl. Matschke 2018, S. 193–195).

Für ein gelungenes Unterrichtsgespräch werden Modellierungsvorschläge geliefert, die die mündliche Kommunikation als durchgängige Lerngelegenheit ermöglichen (vgl. Geist/Krafft 2017). Die Unterrichtskommunikation soll lehrer*innenseitig so aufgebaut sein, dass in der spontanen Interaktion ständig individuelle Scaffolds dargeboten werden können, um die mündliche Ausdrucksfähigkeit einerseits, aber auch die fachliche Konstruktion von Wissen andererseits zu fördern. Im Rahmen des Scaffoldings ist vor allem die Mikro-Ebene angesprochen. Geist/Krafft (2017) sehen die Verbesserung des Unterrichtsgesprächs als wichtigen Schlüssel zur Gesprächsfähigkeit der Schüler*innen. Sie zeigen vier aufeinander aufbauende Möglichkeiten auf, das Unterrichtsgespräch zu modellieren. (1) In der Präsentation verwendet die Lehrperson die gewünschte, einzuübende sprachliche Struktur bewusst, sodass die Schüler*innen implizit damit vertraut werden. Um diese Technik zu verdeutlichen, kann diese gewünschte Sprachstruktur mit einer anderen (2) kontrastiert werden, sodass die charakteristischen Eigenschaften deutlicher hervortreten. Eine weitere Technik besteht in (3) korrektivem Feedback, das sowohl auf inhaltlicher als auch auf sprachlicher Ebene direkte Rückmeldung auf eine getroffene Schüler*innenaussage gibt. Bei inhaltlich zutreffender Schüler*innenaussage, die aber sprachlich falsche Strukturen oder Begriffe aufweist, wird also zum Beispiel die inhaltliche Aussage bestätigt, während die sprachliche Aussage richtig überformt wird. Dabei ist wichtig, das Feedback der Situation entsprechend und nach Möglichkeit „maßzuschneidern“ (vgl. Ruberg et al. 2013, S. 58; Schoormann/Schlak 2012, S. 182). Durch eine (4) Ergänzung der Schüler*innenaussage, z. B. mit einem weiteren Beispiel für die richtige sprachliche Struktur, kann das zu Lernende noch einmal betont bzw. gefestigt werden.

Leisen (2015) versteht das Unterrichtsgespräch aus Lehrer*innenperspektive als Moderationsaufgabe. Die Lehrperson nimmt sich dabei so weit wie nötig und möglich aus dem inhaltlichen Gespräch mit den Schüler*innen heraus. Ihre Aufgabe ist es, Gesprächsimpulse zu setzen, die das Gespräch aufrechterhalten bzw. beginnen. Es existieren verschiedene Handlungsempfehlungen für die Moderation von Unterrichtsgesprächen in allen Phasen des Lernens. Denn eine gute Moderation mit dem Ziel, nicht nur lose Kommunikation in Gang zu bringen, sondern einen Unterrichtsdiskurs ein- und anzuleiten, ist ständig gefragt. Der Diskurs ist nach Habermas eine Form der Kommunikation, in der durch das Argumentieren Erkenntnisse generiert werden (vgl. Habermas 1984, S. 130). Für den Unterricht bedeutet das, dass es Gegenstände braucht, über die es sich diskutieren lässt, die also „hinsichtlich Inhalt, Darstellung, Breite und Tiefe vielfältig und sehr verschieden sind“ (Leisen 2015, S. 15). Die nötige Moderation eines Diskurses zieht sich durch alle Phasen des Lernens: vom Einstieg, in dem Vorwissen aktiviert wird, über die Erarbeitung und Präsentation neuen Wissens bis hin zur Sicherung und dem Transfer. In allen Phasen sollte die Lehrkraft, wo möglich, wenig kommentieren, Äußerungen sammeln, Strukturierungshilfen geben und Bezüge zwischen den Schüler*innenaussagen innerhalb des Diskurses herstellen und/oder sichtbar machen sowie ausreichend Zeit geben, mündlich zu artikulieren (vgl. Leisen 2015, S. 16).

(2) Präsentationen und Vorträge

Zur Unterrichtskommunikation gehören neben dem Unterrichtsgespräch auch die Präsentationen von Schüler*innen sowie die Kommunikation von Schüler*innen untereinander, zum Beispiel bei der Partner*innen- und Gruppenarbeit (vgl. Becker-Mrotzek/Vogt 2009). Die Erarbeitung und Durchführung von Präsentationen, zum Beispiel in Form von Referaten, eignen sich gut, um Schüler*innen hinsichtlich ihrer sprachlichen Fähigkeiten zu unterstützen. Sie sollten ausreichend Zeit haben, um die Präsentation vorzubereiten und sie sollten Unterstützung bekommen, so sie diese brauchen. Hilfreich kann insbesondere dabei der Einbezug der Erstsprache der Kinder sein, also wenn Wörterbücher/Übersetzungs-Apps erlaubt sind oder der Vortrag sogar in der Erstsprache vorbereitet werden kann, dann aber auf Deutsch gehalten wird (vgl. Geist/Krafft 2017, S. 40).

Beim Präsentieren kann es auch ein sinnvoller Weg sein, zu filmen. Die Schüler*innen könnten selbst Videos erstellen, die dann in verschiedener Form als Präsentationsmedium genutzt werden können. Videos haben den Vorteil, dass sie die wenig motivierende Flüchtigkeit von Gesprochenem mindern und gleichzeitig Kinder, die zum Beispiel sehr nervös vor Publikum werden, entlasten.

(3) Kommunikation in Partner*innen- und Gruppenarbeit

Weber (2015) empfiehlt zur Verbesserung der sprachlichen Kompetenzen von Zweitsprachlernenden besonders kooperative Arbeitsformen in kleinen Gruppen, da so leichter ein Schutzraum für die Lernenden aufgebaut werden kann, der ihnen Sprechen ohne größere Hemmungen ermöglicht. Insbesondere dialogische Gesprächskompetenz können Schüler*innen in kleinen Gruppen üben. Meistens wird in der Gruppenarbeit über Texte oder anderes Material gesprochen und eine (oder mehrere) Aufgabe(n) dazu beantwortet. Grundler/Vogt (2013) empfehlen zur Entlastung eine Einteilung des Gruppengesprächs in Phasen (Eingangsstatement – Diskussion – Abschlussstatement) und zeitliche Vorgaben, um das Gespräch zu strukturieren. Geist/Krafft (2017) fokussieren ebenfalls auf eine Entlastung der Gruppenkommunikation, z. B. durch Verständnisklärungen des zu bearbeitenden Materials, wobei insbesondere Unterstützung für DaZ-Schüler*innen erhofft wird:

Für SuS mit DaZ stellen Diskussionen zum einen aus sprachlicher Sicht eine höhere Anforderung dar als für SuS mit DaE, die sich stärker auf den Inhalt konzentrieren können. Andererseits sind die Hürden auch aus inhaltlicher Sicht erhöht, da SuS mit DaZ möglicherweise (z. B. aufgrund von abweichendem Vor- bzw. Weltwissen) das zu diskutierende Thema nicht in der gleichen Zeit erschließen können wie SuS mit DaE. Der Vorbereitungsphase ist demnach für SuS mit DaZ eine besondere Bedeutung beizumessen. (Geist/Krafft 2017, S. 43)

In den zitierten Quellen wird Gebrauch von Scaffolding gemacht, indem Lernprozesse in einzelne Schritte unterteilt werden und Hilfestellung – wo nötig – angeboten wird. Die Gliederung in einzelne Teilschritte und sukzessive Unterstützungsangeboten zeigen sich auch bei den weiteren dargestellten Fördermöglichkeiten mündlicher Unterrichtskommunikation.

(4) Zuhören

Zuhören bedeutet „sogenannte auditorische Reizverarbeitung: Wir selektieren den akustischen Reiz, richten die kognitive Aufmerksamkeit darauf aus und interpretieren“ (Spiegel 2009, S. 190). Zuhören kann aber auch misslingen, zum Beispiel, wenn etwas nicht richtig verstanden wird. Die Gründe dafür können sehr vielfältig sein: mangelnde Sinnkonstruktion trotz konzentrierten Zuhörens, zu viele Informationen in zu kurzer Zeit, Diskrepanzen zwischen verbalen und non-/paraverbalen Signalen oder Ablenkung, um nur einige Beispiele zu nennen (vgl. Spiegel 2009, S. 192–193). Je nach Quelle verbringen Schüler*innen etwa 50 %–95 % der Unterrichtszeit mit Zuhören (vgl. Spiegel 2009, S. 196), es sollte Lehrkräften also in jedem Fall daran gelegen sein, dieses möglichst lernförderlich zu gestalten. Geist/Krafft (2017, S. 46) haben in Anlehnung an Rösch (2011, S. 192–193) und Spiegel (2009, S. 200) Kriterien erstellt, die gute Voraussetzungen für aufmerksames Zuhören schaffen.

  1. 1.

    Aufmerksamkeit herstellen;

  2. 2.

    Inhalte durch Schlüsselwörter und spezifische Sprachstrukturen und Kommunikationsformen vorbereiten;

  3. 3.

    Zuhörermotivation eventuell durch zuhörsteuernde Fragen herstellen;

  4. 4.

    Inhalte multimodal und widerspruchsfrei (also gestisch-mimisch und intonatorisch unterstützend) vermitteln (kulturelle Unterschiede in non-verbalen Mitteln sind mit den Schüler*innen zu thematisieren);

  5. 5.

    Häufig Redepausen einlegen, damit die Zuhörenden das Gesagte kognitiv verarbeiten können;

  6. 6.

    Aktivierungsphasen einbauen, damit die Lernenden das (inhaltliche wie sprachliche) Wissen aktiv verarbeiten und verankern sowie Nicht-Verstandenes klären können.

Auch Heller/Morek (2015) weisen ebenfalls auf die Wichtigkeit aktiven Zuhörens im Unterricht hin. Basierend auf 200 videographierten Unterrichtsstunden verschiedener Fächer, Klassenstufen, Schulformen und Lehrpersonen leiten die Autor*innen Hinweise für partizipations- und diskurserwerbsförderliches Lehrer*innenhandeln ab; darunter auch die „Adressierung von Zuhöreraktivitäten“ (Heller/Morek 2015, S. 19).

3.3 Produktiver Umgang mit Texten: Schreiben

Die Schreibforschung ist eine vergleichsweise junge Disziplin, deren Entstehung etwa auf die 1980er-Jahre zurückzudatieren ist (vgl. Steinhoff et al. 2017, S. 9). Doch selbst seit PISA steht vor allem das Lesen im Fokus der Debatte um Sprachförderung. „Darüber darf die Bedeutung des Schreibens nicht vergessen werden, weil erst Lesen und Schreiben gemeinsam die literale Kompetenz ausmachen“ (Becker-Mrotzek et al. 2015, S. 200). Im Gegensatz zum Sprechen und Zuhören ist Schreiben ein mittelbarer Prozess, der den Denk- und Lernvorgang entschleunigt – dem*r Lernenden Zeit gibt (vgl. Pertzel/Schütte 2016, S. 13). Die Möglichkeit, über sprachliche Aussagen nachzudenken, eröffnet ihm*r die Gelegenheit, sich tiefer mit der entsprechenden Materie auseinanderzusetzen, da schriftliche Äußerungen vorliegen und das Schreiben „Gedächtnisbilder schafft“ (Müller 2005, S. 1). Ein*e schwache*r Sprecher*in muss deshalb nicht automatisch ein*e schwache*r Schreiber*in sein und umgekehrt. Schreiben ist ein komplexer Prozess, der eine Fülle an Teilkompetenzen erfordert (vgl. u. a. Budde et al. 2012; Geist/Krafft 2017; Lange/Weinhold 2010; Mathiebe 2018; Ossner 2006; Steinig/Huneke 2015). Neuland/Peschel (2013, S. 104) definieren Schreibkompetenz als die Fähigkeit zur Textproduktion, die einerseits den eigenen Zielen gerecht werden und andererseits die Bedarfe der Rezipierenden erfüllen soll. Dabei werden sowohl Sprache als auch Inhalt bewusst wahrgenommen, immer wieder neu formuliert, optimiert und präzisiert, bis schließlich ein Schreibprodukt entstanden ist. Simpel zusammengefasst gliedert sich der Prozess in Planen, Formulieren, Überarbeiten (vgl. Mathiebe 2018, S. 17–18; Steinig/Huneke 2015, S. 138). Innerhalb dieser Phasen sind allerdings verschiedene reziprok aufeinander bezogene Elemente zu beachten. Einen Eindruck in die Komplexität der Anforderung Schreiben gibt das Schreibprozessmodell von Hayes/Flower (1980). Dieses ist zwischenzeitlich mehrfach überarbeitet worden und gilt „als Referenzmodell für die etablierten Schreibprozessmodelle“ (Bachmann/Becker-Mrotzek 2017, S. 34). Dem Kompetenzmodell nach Hayes/Flower (1980) bzw. dessen Fortführung sowie der Kompetenzgliederung nach Fix (2008) und Becker-Mrotzek/Schindler (2007) zufolge lässt sich Schreibkompetenz in Teilkompetenzen gliedern, die Pohl (2014) wie folgt zusammenfasst:

  • Planungskompetenz (Textentwicklung: von eigenem Wissen zu differenzierter Nutzung externer Wissensspeicher, z. B. Internet, Lexika)

  • Formulierungskompetenz (Entwicklungsprozess sprachlicher Struktur- und Ausdrucksformen)

  • Überarbeitungskompetenz (Überarbeitungshandlungen, z. B. orthographische Korrekturen)

  • Ausdruckskompetenz (z. B. Textsortenspezifität, Adressatenbezug)

  • Kontextualisierungskompetenz (Textverständnis durch Kontextualisierung)

  • Antizipationskompetenz (Entwicklung von Ich-bezogener Textwahrnehmung zu einem erweiterten, generalisierten Adressatenbezug)

  • Textgestaltungskompetenz (Entwicklungstendenzen von assoziativ-reihender Textgestaltung zu schema- oder textsortengestalteter Textordnung) (vgl. Pohl 2014, 114 ff.).

Besonders herausgestellt wird für erfolgreiches Schreiben neben dem Textwissen, also dem Wissen über Textsorten und Formen des Schreibens, das Schreibbewusstsein, was neben der Reflexion von Schreibzielen auch die Bereitschaft zur Textverbesserung und -überarbeitung sowie metakognitive Komponenten beinhaltet, die den gesamten Schreibprozess auf übergeordneter Ebene steuern (vgl. Berning 2011, S. 12; Philipp 2017, S. 197). Im Kontext von Mehrsprachigkeit von Relevanz ist der Hinweis, dass die Schreibentwicklung in der Forschung als sprachenunabhängig definiert ist. Das heißt mehrsprachige Schüler*innen durchlaufen dieselben Phasen des Schreibentwicklungsprozesses (vgl. Geist/Krafft 2017, S. 99).

Nicht nur der Prozess allein ist als komplex und vielschichtig zu beschreiben, auch die Operatoren, die einer Schreibaufgabe zugrunde liegen, sind vielseitig. Benennen, notieren, definieren, beschreiben, darstellen, berichten, erzählen, erklären, erläutern, bewerten, beurteilen und argumentieren sind die zentralen Operatoren (vgl. Pertzel/Schütte 2016, 18.20). Mit den verschiedenen Operatoren werden teilweise auch die verschiedenen Funktionen von Schreibaufgaben deutlich, die bereits in den obigen Ausführungen impliziert sind. Schreiben kann erstens Merkhilfe sein (z. B. Hefteinträge). Zweitens kann Schreiben kommunizierende Funktion haben. Drittens ist das epistemische Schreiben zu nennen (vgl. Becker-Mrotzek et al. 2015, S. 200). Für den Fachunterricht ist der Einsatz epistemischen Schreibens von besonderem Interesse, nicht zuletzt durch das entschleunigende Moment von Schriftsprachlichkeit. Dadurch können Zeit und Anlass für vertiefte kognitive Verarbeitung von Wissen entstehen (vgl. Pertzel/Schütte 2016, S. 13–15; Steinhoff 2007, S. 56–59). Die empirische Studienlage allerdings zeigt, dass der Einsatz von epistemischem Schreiben im Fachunterricht kein Selbstläufer ist. Zahlreiche Faktoren entscheiden darüber, ob und wie förderlich es ist. Dennoch gibt es Hinweise darauf, dass Schreiben – richtig eingesetzt – ein großes Potenzial für fachliche und sprachliche Lernprozesse enthält, wie Ergebnisse einer Studie zum Schreiben im Mathematikunterricht nahelegen (Stephany et al. 2013). Eine weitere Untersuchung stellt reflexive Schreibaufgaben als besonders gewinnbringend heraus (Wäschle et al. 2015). Als vielversprechend bewertet die Schreibdidaktik eine Kombination kommunikativen und epistemischen Schreibens, in dem auch Reflexionsprozesse angeleitet werden. Damit Schreibaufgaben ihr Lernpotenzial ausschöpfen, müssen sie sorgfältig geplant, authentisch und motivierend sein. Dies kostet Zeit, was eine mögliche Erklärung für die Diskrepanz zwischen dem möglichen Nutzen von Schreiben auf der einen Seite und dem geringen Einsatz in der Unterrichtspraxis auf der anderen ist (vgl. Petersen 2017, S. 120–121).

Dass Schreiben erlernbar ist, wird vielen Schüler*innen erst bewusst, wenn sie erkennen, dass der Schreibprozess in Teilbereiche untergliedert ist, die für sich geübt werden können. Ebenso wie bei einer Matheaufgabe muss gelernt werden, wann welche Formel eingesetzt wird, welche Möglichkeiten der Umformulierung es gibt oder in welchem Kontext eine bestimmte Variable (Begriff/Struktur) passt. Die Schreibkompetenz wird bei ständigem Üben besser, wobei insgesamt von einer Kernzeit des Erwerbs zwischen dem 8. und dem 16. Lebensjahr ausgegangen wird (vgl. Mathiebe 2018, S. 31). Der Prozess von der Planung des Textes über den ersten Textentwurf bis zum fertigen Produkt ist lang und verläuft selten fehlerfrei. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, Schreiben auch im Fachunterricht zu fördern, was sich lohnt, denn Schreiben ermöglicht in doppelter Hinsicht sinnvolles Lernen im Fach. Zum einen fördert es allgemein sprachliche Kompetenz, zum anderen kann durch das Schreiben Erkenntnisgewinn im Sinne epistemischen Schreibens generiert werden (vgl. Beese/Roll 2015, S. 53). Schreibförderansätze weisen eine große Affinität zum Scaffolding auf, in dem der Schreibprozess in seine einzelnen Phasen zerlegt und geübt wird. So wird eine Reduktion der komplexen Schreibaufgabe ermöglicht. Anschließend werden je nach Lernziel Schwerpunkte gesetzt und einzelne Bereiche des Prozesses fokussiert. Die Vorbereitungsphase beispielsweise kann insbesondere der Ideenfindung dienen, in der Vorwissen aktiviert wird und mit Methoden wie dem Clustering oder Mindmapping gearbeitet werden kann (vgl. Handt/Weis 2015, 78). Am Ende der Vorbereitungsphase können auch verschiedene Verfahren zur Strukturierung eines Textes gezeigt und geübt werden, um schließlich in der Entwurfphase Text zu produzieren. Dieser wird dann in der Überarbeitungsphase, die auch mit zeitlichem Abstand auf die Entwurfphase folgt, mithilfe von Feedback (der Lehrperson oder der Mitschüler*innen) überarbeitet. Auch für diese Umsetzung gibt es diverse Methoden. Oft rezipiert wird die eher komplexe Möglichkeit der Schreibkonferenz (vgl. Steinig/Huneke 2015, S. 138–139). Wichtig ist das schrittweise Vorgehen, um Überforderung zu vermeiden (vgl. Budde et al. 2012, S. 109–113). An dieser Stelle kann sich auch die Kombination von mündlichen und schriftlichen Phasen als fruchtbar erweisen, wobei mündliche Phasen den schriftlichen im Sinne einer Vorentlastung vorausgehen. Auf Metaebene wird immer wieder die Bedeutsamkeit von Selbstbeobachtung, -reflexion und -beurteilung hervorgehoben (vgl. Schneider et al. 2013, S. 56). Dies sind wichtige, motivierende und lernfördernde Bestandteile des Schreibens vor allem in der Phase der Textüberarbeitung. Deshalb kann das Führen von Lernberichten, -tagebüchern oder Portfolios das Fachlernen positiv begleiten (Müller 2005, S. 2). Ganz im Sinne des Scaffoldings werden dadurch die verschiedenen Teilprozesse des Schreibens sowie dessen Lernziele für die Schüler*innen transparent gemacht, was die Motivation steigern kann (vgl. Beese et al. 2014, S. 58). Verwiesen sei an dieser Stelle auf Jost (2017), der verschiedene Fördermöglichkeiten für Schreibkompetenz listet. Abschließend seien noch die Schritte für ein empfohlenes Schreibarrangement nach Steinhoff (2018) vorgestellt, in denen sich erneut die Prozesshaftigkeit des Schreibprozesses widerspiegelt:

  1. 1.

    Angemessenes Lernziel formulieren | Im Geographieunterricht bedeutet das, dass das Ziel der Schreibaufgabe aus den Curricula entwickelt wurde.

  2. 2.

    Funktionsspezifische Situierung | Schreiben soll in einem Handlungszusammenhang passieren; es muss also deutlich werden, warum, für wen, worüber, wie und womit geschrieben wird.

  3. 3.

    Sequenzierter Schreibprozess | Den Schüler*innen muss deutlich werden, dass der Schreibprozess in einzelne Schritte gegliedert werden kann.

  4. 4.

    Konstruktive Rückmeldung | Mit Rückmeldung ist ein solches Feedback gemeint, dass es den Schüler*innen ermöglicht, auf dieser Grundlage, die Texte sinnvoll und qualitätsverbessernd zu überarbeiten.

  5. 5.

    Sinnstiftende Textform | Es muss sinnvoll begründbar sein, warum eine bestimmte Textsorte in der Schreibaufgabe gefordert wird. Qualitätskriterien der Textsorte sollten bestenfalls an konkreten Beispielen erkannt werden.

Im Rahmen der vorliegenden empirischen Arbeit wird aufgrund der Bedeutsamkeit sowie der guten Planbarkeit von Schreibaufgaben mit Unterstützungsaufgaben auf diesen Sprachbereich fokussiert. Die Unterrichtsreihe enthält neben Lese- und Sprechaufgaben eine Reihe an gestuften Schreibaufgaben (vgl. Kap. 4). Auch für die Datenerhebung wurde mit der Profilanalyse ein Instrument gewählt, das auf schriftliche Textproduktion abzielt (vgl. Abschn. 6.2).

3.4 Rezeptiver Umgang mit Texten: Lesen

Lesen ist, ebenso wie das Schreiben, eine jahrtausendealte Kulturtechnik. Sie in ihrer Komplexität zu erfassen, ist wohl auch deshalb herausfordernd. Schon die Funktionen des Lesens sind zahlreich und vielseitig. Lesen dient dem Wissens- und Erkenntnisgewinn, der Unterhaltung in Form von Genuss, Freude, Trauer und es fördert das sinnliche Erleben und ästhetisches Bewusstsein, nicht zuletzt durch Phantasieentwicklung (vgl. Budde et al. 2012, S. 85). Lesen wird in Deutschland spätestens mit Beginn der ersten Klasse als basales Handwerk erlernt, das bleibt. Dennoch ist Lesen können nicht gleich Lesen können. Was Lesekompetenz meint und wie sie verbessert werden kann, schlüsseln diverse Lesekompetenz und -fördermodelle auf (vgl. BMBF 2005). Ein simples Modell zeigt die verschiedenen Prozesse, die beim Lesen ablaufen (können), sowie eine Zuordnung innerhalb einer zweirangigen Hierarchie, wobei niedrige und hohe Hierarchien nicht streng voneinander zu trennen sind, sondern immer wieder ineinander übergehen (vgl. Tab. 3.3). Während beispielsweise Erstklässler*innen noch stark auf Buchstaben- und Wortebene fokussieren, erfassen kompetente Leser*innen diese nur noch innerhalb einer globalen Kohärenz, also auf Text- oder Kontextebene. Ein Hin- und Herspringen zwischen den verschiedenen Prozessen ist durchaus auch bei kompetenten Leser*innen denkbar, zum Beispiel dann, wenn komplexe, den Lesenden unbekannte Strukturen verwendet und/oder anspruchsvolle Inhalte dargeboten werden.

Tab. 3.3 Hierarchien der Lesekompetenz

Dieses Modell fokussiert auf textimmanente Eigenschaften. Ganz zentral allerdings für ein Textverständnis, das über Wort- und Satzebene hinausreicht, sind Vor- und Kontextwissen. In einem Modell von Rosebrock/Nix (2017) werden daher neben den Prozessebenen auch die Subjektebene sowie das soziale Umfeld des*r Leser*in berücksichtigt.

Lesekompetenz in der Geographie ist vor allem deswegen wichtig, da das Gros relevanter Informationen Fachtexten oder Sachtexten zu entnehmen ist. Was bildungssprachliche Texte schwierig macht, zeigt sich in den unter Abschn. 1.1 dargestellten Kriterien. Auch Hiller (2017, S. 140–141) nimmt einige Kriterien davon nochmals auf, um für eine Studie niveaudifferenzierte Sachtexte zu erstellen, die die fachlichen und bildungssprachlichen Fähigkeiten von Kindern mit Deutsch als Zweitsprache verbessern sollen. Verwiesen sei außerdem noch darauf, dass Textarbeit im Sinne rezipierenden Umgangs im Fachunterricht auch nicht-lineare Texte einschließt. Diagramme, Tabellen oder Grafiken stellen eine wichtige Informationsquelle dar, auch wenn sie nicht-sprachliche Zeichensysteme verwenden. Texte bilden im Geographieunterricht häufig die Grundlage für Hausaufgaben, Aufgaben oder Nachbereitung. Ohne eine profunde Lesekompetenz können Fachtexte allerdings nicht adäquat bearbeitet und verstanden werden und somit auch nicht als Wissensquelle dienen. Ein Unterricht, der Schüler*innen dazu befähigt, auf der höchsten Lesekompetenzstufe zu rangieren, kann das Lernen im eigenen Fach verbessern (vgl. Leisen 2013, S. 111). Es stellt sich also die Frage, wie die Leser*innen ein hohes Kompetenzniveau erreichen können, sodass Fachinhalte in Textform gut verstanden werden können. Einige Lehrkräfte neigen dazu, die Fachtexte in Schulbüchern selbst zu vereinfachen, sie dem aktuellen Kompetenzniveau der Schüler*innen anzupassen; sie senken die Anforderungen. Dies ist allerdings nicht im Sinne des Scaffoldings, das ein höheres Kompetenzniveau anstrebt und Herausforderungen offensiv entgegentritt (vgl. Abschn. 3.3.1). Eine kritische Auseinandersetzung mit den Anforderungen an Schulbuchtexte und wiederum damit, welche Anforderungen aus den Schulbuchtexten resultieren, ist dennoch dringend nötig, wie die Studienergebnisse von Berendes et al. (2018) und Härtig et al. (2019) nahelegen (vgl. Abschn. 2.2). Bei der Leseförderung ist grundsätzlich zu beachten, dass sich die Leser*innen eingehend, eigenständig und wiederholt mit dem Text befassen müssen, um ein tiefes Verständnis zu erreichen. Hierfür sind beispielsweise begleitende Aufgaben zum Sachtext sinnvoll. Ganz im Sinne des Scaffoldings sollten die Aufgaben (gestufte) Hilfen erhalten. Die individuellen Voraussetzungen des*r Leser*in wie zum Beispiel Vorwissen, Wortschatz, Lesestrategiewissen oder das Selbstkonzept sollten dabei immer beachtet werden. Auch die variierende Beschaffenheit eines Textes, die Aktivitäten des Lesens und die unterschiedlichen Leseanforderungen machen es erforderlich, jede Situation neu zu bewerten und individuelle Hilfen zu erstellen (vgl. Leisen 2013, S. 132). Die Grundlage jeder Aufgabe oder Diskussion sollten sogenannte „Verstehensinseln“ (Leisen 2013, S. 132) sein. Denn Gesprächsanlass bietet nicht das, was nicht verstanden wird, sondern das, was von den Lernenden bereits verstanden wird. Den Leseprozess begleitende Aufgaben bieten sich darüber hinaus an. Pre-reading-Aufgaben aktivieren Vorwissen und sensibilisieren für das Thema, while-reading-Aufgaben schärfen den Blick auf das Wesentliche und post-reading-Aufgaben helfen, das Verständnis zu überprüfen (vgl. Dijek/Kintsch 1983, S. 81–82). Schroeter-Bauss et al. (2018, S. 143–152) geben eine detaillierte Anleitung, wie die Schulbuchtexte im Unterricht mit dem Doppelseitenprinzip sinnvoll eingesetzt werden können. Das schrittweise Vorgehen sorgt für Entlastung und besseres Verständnis.

  1. 1.

    Schritt: Überlegungen zur sprachlichen Vorentlastung des Textes

  2. 2.

    Schritt: Einschätzung des fachlichen und sprachlichen Anspruchsniveaus und Planung von Hilfen für das Textverständnis

  3. 3.

    Schritt: Analyse der typografischen Gestaltung des Fließtextes

  4. 4.

    Schritt: Begutachtung der weiteren Darstellungsformen (Fotos, Grafiken etc.)

  5. 5.

    Schritt: Aufbereitung des Text- und Bildmaterials für die jeweilige Lerngruppe

  6. 6.

    Schritt: Das Lesen des Fließtextes

  7. 7.

    Schritt: Analyse der Aufgaben und sprachbewusste Formulierung der Aufgabenstellung

Auf ähnliche Aspekte der Leseförderung im Fachunterricht weisen ebenfalls Schmellentin et al. (2012). Darüber hinaus legen sie ihr Augenmerk auf die Wichtigkeit von Redundanzen in Fachtexten. Nur, wenn wichtiger Inhalt mehrfach in unterschiedlicher Form dargeboten wird, wird er gemerkt (vgl. Schmellentin et al. 2012, S. 4–6). Damit verbunden ist auch die Forderung nach expliziter Verknüpfung von Text und Bildmaterial, was der Forderung nach Darstellungsvernetzung gleichkommt.

3.5 Sprachreflexion

Unter Sprachreflexion wird nachfolgend insbesondere Wortschatz- und Grammatikarbeit verstanden, die Ausgangspunkt für Reflexionsprozesse über Sprache bilden. Indem Sprachstrukturen grammatisch und morphologisch untersucht werden – so die Idee – findet ein Nachdenken über Sprache statt. Die gewünschte Reflexion tritt allerdings über isolierten Grammatikunterricht ohne kontextuelle Einbettung nicht ein – im Gegenteil kann er sich sogar negativ auswirken, wenn dadurch Zeit fehlt, prioritäre Inhalte zu thematisieren, einzuüben und zu lernen. Grammatikarbeit also sollte, ebenso wie Wortschatzarbeit, immer nur dann Anwendung finden, wenn es dem fachlichen und fachsprachlichen Verstehen dienlich ist, und niemals isoliert erfolgen, wie dies vorzugsweise im Deutschunterricht geschieht. Die Aufmerksamkeit gegenüber grammatischen Strukturen kann den Schüler*innen helfen, den Unterrichtsstoff besser zu verstehen und sprachliche Aufgaben besser umzusetzen (vgl. Beese et al. 2014, S. 72). Sollen Schüler*innen zum Beispiel kausale Zusammenhänge von Sachverhalten erklären, kann es Sinn machen, kausale Konnektoren zu wiederholen. Generell ist mit Grammatikunterricht im Fach sensibel umzugehen, da nur Deutschlehrkräfte in diesem Bereich ausgebildet sind. Eine Kooperation mit dem Fach Deutsch oder dem Förderunterricht kann durchaus – und zwar nicht nur in diesem Kontext – sinnvoll sein (vgl. Leisen 2013, S. 184).

Eine besondere Art der Sprachreflexion stellt insbesondere in Klassen mit DaZ-Lernenden der Sprachenvergleich dar. Die eigene Erstsprache und die Zweitsprache werden miteinander kontrastiert und im Sinne der language awareness (vgl. Oomen-Welke/Rösch 2015) zum Lerngegenstand. Dem Sprachenvergleich wird, obwohl dies bisher noch nicht empirisch gestärkt ist, eine zentrale Bedeutung für DaZ-Lernende beigemessen.

Analysen sprachenvergleichender Aufgaben von Deutschlehrwerken für vier Lehrwerksreihen der Primar- und Sekundarstufe (Marx 2014) ebenso wie für fünf Lehrwerksreihen der Primarstufe (Geist 2017) zeigen, dass das Potential im Sinne einer Didaktik der Sprachenvielfalt (Oomen-Welke 2008, S. 479) in quantitativer und qualitativer Hinsicht bei Weitem noch nicht ausgeschöpft wird. (Geist/Krafft 2017, S. 124)

Auch Topalovic/Michalak (2015) plädieren dafür, insbesondere für Lerngruppen mit Kindern deutscher Erst- und Zweitsprache fruchtbare Ansätze wie das Entdecken von Gemeinsamkeiten und Unterschieden in den Sprachen zu filtern und einander gegenüberzustellen. DaZ-Lernende können so Hilfe im Spracherwerbsprozess erfahren und DaE-Lernende bekommen Anlass zur Reflexion (vgl. Topalovic/Michalak 2015, S. 254–255). Auch abgesehen von Deutsch als Erst- und Zweitsprache kann der Vergleich mit Fremdsprachen, die die Schüler*innen in der Schule lernen sinnvoll sein. Für Fachbegriffe ist oft der Rückgriff auf den Lateinunterricht oder romanische Sprachen sinnstiftend (vgl. Kipf 2017, 171).

Sprachreflexion betrifft nicht nur den Bereich Grammatik und Wortschatz, sondern es handelt sich um eine übergreifende Aufgabe, die auch die*der Lernende kontrollieren kann – zum Beispiel metakognitive Aufgaben im Sinne der Steuerung des Sprachprozesses. So geschehen beispielsweise auch Lesestrategien auf Metaebene (vgl. Budde 2015, S. 70). Schließlich stehen die Lehrkräfte in der Verantwortung, sprachliche Reflexionsanlässe zu erkennen und solche zu schaffen.

Die Erkenntnisse aus der Sprachdidaktik machen einerseits die Notwendigkeit von Sprachsensibilität im Fachunterricht erneut deutlich. Andererseits zeigen sie Möglichkeiten der Umsetzung sprachsensiblen Fachunterrichts auf. Insofern bilden die Erkenntnisse aus der Sprachdidaktik eine zentrale Grundlage für die Design-Kriterien, die im folgenden Kapitel dargestellt werden. Besondere Bedeutung kommt dem Scaffolding auf Makro-Ebene zu, da die Erhebungen in der Studie vorwiegend auf der Ebene der schriftlichen Sprachproduktion stattfinden und die mündliche Kommunikation nicht unmittelbar Untersuchungsgegenstand ist. Die dargestellten Erkenntnisse aus der Sprachdidaktik leiten sich nicht (nur) aus der Forschungsliteratur ab, sondern nehmen auch Bezug auf Praxishandbücher. So fassen beispielsweise die häufig referierten Arbeiten von Beese (2014) und Leisen (2013, 2015) Erkenntnisse aus der Sprachdidaktik (für Lehrkräfte ungeachtet ihrer Fächerkombination) zusammen und veranschaulichen die Ausführungen mit Unterrichtsbeispielen. Es sei dennoch herausgestellt, dass wissenschaftliche Erkenntnisse in den Praxishandbücher mit dem Wunsch besserer interdisziplinärer Verständlichkeit teilweise verkürzt dargestellt werden. Im Rahmen einer Arbeit im Design-Based Research erscheint dieser praxisnahe Zugriff dennoch angemessen.