4.1 Einleitung

Das im Folgenden beschriebene Fallbeispiel der BKW AG ist unterteilt in fünf Abschnitte. Wechselseitig werden theoretische Grundsätze aufgearbeitet, Bezug zum Energieversorgungsunternehmen BKW AG hergestellt und Schlussfolgerungen gezogen. In einem ersten Schritt werden im Abschn. 4.1.1 der Stand der Forschung und Überlegungen zum eigenen empirischen Vorgehen beschrieben. Im Abschn. wird die angewandte Methodik erläutert. Im Abschn. 4.2 wird durch die Erklärung der Ausgangslage und die Marktumfeldanalyse das nötige Hintergrundwissen vermittelt. Abschn. 4.3 gibt einige Ansätze der wissenschaftlichen Literatur hinsichtlich der Organisationsentwicklung in Unternehmen wieder. Darauf aufbauend finden sich im Abschn. 4.4 Resilienz in der Organisationsentwicklung bei BKW AG die Ergebnisse und Erkenntnisse aus der eigenen empirischen Arbeit. Zudem gibt dieser Abschnitt auch einige aktuelle (organisationale) Entwicklungen bei der BKW wieder. Den Abschluss bildet der Abschn. 4.5, in dem das Potenzial der Gewinnung von Resilienz durch Innovation und Organisationsentwicklung anhand des Fallbeispiels der BKW AG rekapituliert wird.

4.1.1 Stand der Forschung und eigene empirische Perspektive

Die klassischen Systemgrenzen der Mobilität werden durch die Elektromobilität zunehmend verwässert. Neben der Automobilbranche wollen nun auch andere Branchen einen Teil des stark wachsenden Marktes für sich beanspruchen. Insbesondere Energieversorgungsunternehmen (EVU), IT-Firmen, Infrastrukturdienstleister und Start-ups für Elektromobilitätslösungen zählen zu den Interessenten an diesem neuen Markt. Dadurch wächst nicht nur der Wettbewerb, sondern auch die Entwicklung der Elektromobilität wird noch stärker gefördert. In diesem Bereich finden sich derzeit noch wenige Erkenntnisse in der wissenschaftlichen und fachspezifischen Literatur. Die in diesem Kapitel präsentierte Forschungsarbeit hat sich nicht zuletzt dieser Thematik angenommen, um diese Lücke in der Fachliteratur zu schließen. Anhand des hier präsentierten Fallbeispiels soll der aktuelle Stand und die Rolle der BKW AG als Energiedienstleisterin innerhalb der Elektromobilität in der Schweiz untersucht werden.

Elektrizität ist heute bedeutender denn je (vgl. Abb. 4.1), wodurch diese wertvolle Ressource zunehmend zu einem stark gehandelten Rohstoff wird. Sinkende Margen im Kerngeschäft eines Energieversorgungsunternehmens in den Bereichen Energie und Netze erfordern die Erschließung neuer Märkte und Beteiligungsfelder. Der Ausbau des Dienstleistungsgeschäftes eines Energieversorgers ist nur ein Beispiel solcher Anstrengungen.

Abb. 4.1
figure 1

Annahme Stromverbrauch eines typischen Haushaltes

Abb. 4.2 illustriert perspektivisch die Margensituation und deren Entwicklung im Kerngeschäft Energie.

Abb. 4.2
figure 2

Annahme Strompreisentwicklung

Die Gebäudetechnik wird zunehmend elektrifiziert, z. B. durch den fossilen Heizungsersatz mit einer elektrischen Wärmepumpe. Als Komponente der Gebäudeinfrastruktur bildet die Ladestation für Elektroautos die Schnittstelle zum Verkehr.

Für die Wahl der geeigneten Forschungsmethode muss zuerst der aktuelle Stand wissenschaftlicher Literatur über Geschäftsmodelle von EVU im Marktumfeld der Elektromobilität geklärt werden. Die Literaturrecherchen mit den Suchmaschinen „Google Scholar“ und „SpringerLink“ haben gezeigt, dass es eher wenig und zumeist sehr uniform beschriebene Geschäftsmodelle und Services von EVUs rund um die Elektromobilität gibt. Zudem fehlte in allen Fällen der Bezug zum Schweizer Markt. Fallbeispiele beziehungsweise Business Cases fanden sich meist im Bereich der Bereitstellung von Ladeinfrastruktur, deren Betrieb und Abrechnungsdienstleistungen. Die wissenschaftliche Literatur assoziiert EVU im Kontext der Elektromobilität mit ihrer ursprünglich wahrgenommenen Rolle als Energieversorger. Die Identifizierung neuer Wertschöpfungspotenziale (New Business Opportunities) durch die entstehende Sektorenkopplung ist bisher nicht ausreichend erforscht. Dies ist nicht zuletzt auf die Dynamik des Elektromobilitätsmarktes zurückzuführen. Die Reliabilität und Gültigkeit der Daten ist hierfür eine große Herausforderung. Die zu diesem Thema verfasste Literatur gilt relativ schnell als veraltet und überholt.

Basierend auf dieser Ausgangslage eignet sich ein explorativer Forschungsansatz mit einem qualitativen Vorgehen, um die Forschungsfrage zu beantworten. Im Anspruch, die Perspektive zum theoretischen Hintergrund zu schärfen, verließ die weiterführende Literaturrecherche das Sammelwerk rund um Geschäftsmodelle für EVU und konzentrierte sich auf die Gebiete Entrepreneurship und Business Opportunity Recognition mit Fokus Elektromobilität. Es wurden Erkenntnisse gesammelt, wie etablierte, größere Unternehmen mit potenziellen unternehmerischen Gelegenheiten (Opportunities) und dynamischen Marktveränderungen umgehen, und in die Arbeit miteinbezogen. Die erarbeiteten Grundlagen aus diesen neuartigen Bereichen lassen einen differenzierten Blick auf die Forschungsthematik zu und erhöhen die Perspektivenvielfalt.

Aufgrund der COVID-19-Pandemie und der in diesem Zusammenhang veränderten Ausgangslage für die Wirtschaft und Gesellschaft erhielt diese Forschungsarbeit einen zusätzlich zu berücksichtigenden Aspekt. Die Organisationsentwicklung innerhalb der BKW AG hat seit 2016 durch den stetigen Ausbau des Dienstleistungsgeschäftes bedeutende Formen angenommen und durch vermehrte Merger & Acquisitions zu einer stark wachsenden Anzahl Mitarbeitenden in ganz Europa gesorgt. Moderne Arbeitsformen wie z. B. Homeoffice und flexible Arbeitszeiten sind zum Standard geworden und werden konsequent umgesetzt. Durch das COVID-19-Virus und die entsprechenden Verordnungen zur Eindämmung dieser Pandemie erhielt die Form der Organisationsentwicklung und Gestaltung der Arbeitsform eine nochmals zentralere Bedeutung. Es galt, einerseits neue Wachstumsmärkte und deren Business Opportunities zu identifizieren und deren Erschließung zu prüfen und andererseits die Organisationsentwicklung in den neuen Rahmenbedingungen weiter voranzutreiben.

In Abb. 4.3 ist die Umsatzentwicklung in den drei Geschäftsfeldern Energie, Netze und Dienstleistungen sowie Anzahl Mitarbeitende der BKW AG ersichtlich.

Abb. 4.3
figure 3

Entwicklung Geschäftsfelder und Mitarbeitende BKW AG (BKW AG, 2020a, b

Die Fähigkeit der BKW AG, sich als international tätiges Unternehmen am Markt zu behaupten, inmitten einer sich verschlechternden Wirtschaftslage und eintretender negativer Inflation (Staatssekretariat für Wirtschaft SECO, 2020), ist unter anderem der seit 2013 umgesetzten Unternehmensstrategie von CEO Suzanne Thoma zuzuschreiben. Die robuste und konsequente Ausrichtung auf die drei Geschäftsfelder Energie, Netze und Dienstleistungen verhelfen der BKW-Gruppe dazu, sich weiterzuentwickeln, sich in neuen Märkten zu positionieren und damit die Resilienz der Unternehmensgruppe zu fördern. Dies erweist sich als Erfolgsfaktor für die Energiedienstleisterin. Sie kann sich neuer Gegebenheiten annehmen und mit den veränderten Rahmenbedingungen umgehen. Die so ständig neu generierten Lerneffekte innerhalb der Organisation helfen der Firma, resilient zu agieren und sich den Marktbedingungen anzupassen. Hierzu zählen veränderte Prioritäten innerhalb der Gesellschaft, dadurch hervorgerufene, veränderte Kundenbedürfnisse, Trends und geforderte Innovationen.

Erkenntnisse darüber, wie die BKW AG als Konzern neue Kundenbedürfnisse erkennt und daraus New Business Opportunities für die E-Mobility identifiziert, hatten für diese Forschungsarbeit einen entscheidenden Stellenwert. Die Forschungsarbeit beleuchtet im Sinne einer Markt- und Standortanalyse die relevanten Punkte, welche für einen (strategischen) Eintritt in den Elektromobilitätsmarkt für die BKW AG zu beachten sind und welche Business Opportunities sich dabei ergeben. Im Hinblick auf die Organisationsentwicklung galt es zu berücksichtigen, wie diese Opportunities in Geschäftsmodelle umgesetzt werden können und was es bei einem Markeintritt zu berücksichtigen gilt. Die Analyse diente ferner auch als Grundlage für strategische (Investitions-)Entscheidungen der Konzern- und Bereichsleitung der BKW AG im Sommer 2020.

4.1.2 Methodisches Vorgehen

Im Zentrum dieser Forschungsarbeit stand die Frage, welche Rolle(n) ein Schweizer Energieversorgungsunternehmen (EVU) im Elektromobilitätsmarkt derzeit und zukünftig spielen kann. Dazu wurden weitere, vertiefende Forschungsfragen erarbeitet, wobei die jeweilige Herleitung und die Methode zur Datenerhebung eine wesentliche Rolle spielten. Dies sicherte eine möglichst umfassende Berücksichtigung der relevanten Aspekte zur Erarbeitung des Interviewleitfadens für die Durchführung der qualitativen Experteninterviews.

Um die Forschungsfrage zu beantworten, wurden aus Informationen der Primär- und Sekundärforschung Handlungsempfehlungen für die Praxis abgeleitet (vgl. dazu schematisch mit Bezug auf Analysen zum digitalen Wandel Abb. 4.4).

Abb. 4.4
figure 4

Deduktiver Forschungsansatz (Lindner, 2019)

Nach der Literaturrecherche wurden mit dem Case-Study-Research-Ansatz zunächst bestehende Geschäftsmodelle von EVU in der Schweiz und im Ausland sowie deren Erfolgsfaktoren untersucht. Der Beobachtungsradius lag hierbei im Besonderen bei EVU, die in großen Elektromobilitätsmärkten präsent sind. Diese definieren sich durch einen hohen Anteil an Elektrofahrzeugen, umfassende politische Fördermaßnahmen sowie die weiteren Entwicklungstendenzen der Märkte.

In einem zweiten Schritt wurde versucht, die zuvor erkannten Forschungslücken und entstandenen Fragen mittels qualitativer Experteninterviews zu schließen respektive zu beantworten. Die Interviews wurden transkribiert, in ATLAS.ti codiert und anschließend inhaltsanalytisch ausgewertet. Nach dieser Auswertung erfolgte ein Abgleich mit der recherchierten und aufgearbeiteten Literatur.

In einem dritten Schritt sollten neue Geschäftsmöglichkeiten, sog. (New) Business Opportunities, identifiziert und evaluiert werden. Anhand von firmeninternen Kriterien der BKW AG ist eine Nutzwertanalyse erstellt worden. Der Best Case beziehungsweise die Business Opportunity, welche die Kriterien am besten erfüllt hat, wurde extrapoliert und in einem Konzept festgehalten.

Abschließend erfolgten in einem vierten und letzten Schritt die Handlungsempfehlungen für das weitere Vorgehen im Elektromobilitätsbereich durch die Konzern- und Bereichsleitung der BKW AG.

4.2 Marktumfeldanalyse

Die Elektromobilität ist eine Schlüsseltechnologie auf dem Weg zur Energiestrategie 2050 und den angestrebten Netto-Null-CO2-Emissionen im Jahr 2050. Der derzeitige Schweizer Strommix mit 60 % Wasserkraft bietet dafür die ideale Ausgangslage (Kallen, 2020). Die Treiber der Elektrifizierung scheinen demnach primär politisch und regulatorisch zu sein. Die nachfolgenden Abschnitte beleuchten die Ist-Situation der Elektromobilität in der Schweiz, die zu erwartenden mittelfristigen Trends sowie langfristig mögliche Entwicklungsszenarien unter Einbezug der PESTEL-Umweltfaktoren in Abschn. 4.2.2, welche diesen Markt beeinflussen.

Um die Ziele der Energiestrategie 2050 bezüglich Endenergieverbrauch erreichen zu können, stellt der Verkehrssektor die größten Stellschraube dar, denn er ist der bedeutendste Emittent für CO2. 2017 verursachte er 31,8 % aller CO2-Emissionen in der Schweiz. Abb. 4.5 zeigt die Unterteilung auf.

Abb. 4.5
figure 5

CO2-Emissionen nach Sektoren 2017 (Previdoli, 2020, S. 51)

Eine Betrachtung der Verkehrsträger im Detail zeigt, dass die Pkws mit 76 % den größten Beitrag zu den CO2-Emissionen im Verkehrssektor leisten (vgl. Abb. 4.6). Entsprechend stellen sie die größte Stellschraube aller Verkehrsträger dar (Previdoli, 2020, S. 51).

Abb. 4.6
figure 6

CO2-Emissionen des Verkehrs (Previdoli, 2020, S. 52))

4.2.1 Sektorenkopplung und Veränderung der Wertschöpfungskette

Die Elektromobilität führt im Vergleich zu der bisherigen, mit fossilen Stoffen betriebenen Mobilität zu einer veränderten automobilen Wertschöpfungskette. Die Automobilbranche ist einerseits konfrontiert mit der neuen Technologie und einem neuen Geschäftsfeld und will andererseits das bestehende Geschäftsmodell weitertreiben. Existierende Verhaltensmuster und Prozesse müssen aufgebrochen und angepasst werden. Zudem gilt es, die individuellen Kundenbedürfnisse zu erkennen und die Expertise auf alternative Antriebe, Energieeffizienz und Mobilitätsdienstleistungen zu erweitern. Ein Beispiel ist der deutsche Automobilhersteller BMW, der mit BMW Energy Services eine eigene Sparte für intelligente Ladelösungen und Ökostromangebote aufbaut (Zugehör, 2019).

Durch die Elektrifizierung des Verkehrs entfällt der fossile Treibstoffbezug an Tankstellen. Für die Tankstellenbetreiber und die Treibstoffimporteure verlagert sich somit die Wertschöpfung innerhalb der Treibstoffherkunft, der Treibstoffart und unter Umständen des Bezugsortes. Durch die Verschiebung der Tankvorgänge ins Gebäude zur eigenen Ladestation sind die Elektromobilisten nicht mehr abhängig von öffentlichen Tankstellen mit fossilem Treibstoff. Dieser Wegfall soll kompensiert werden. Beispiele hierfür sind das Unternehmen SOCAR, welches in ein flächendeckendes Schnellladenetz bei Rastplätzen in der Schweiz investiert, oder die Firma Shell, welche mit NewMotion seit 2017 eine eigene Tochtergesellschaft mit umfassenden Elektromobilitätslösungen in der Unternehmensgruppe hat (NewMotion, 2020).

Energieversorgungsunternehmen können durch die steigende Elektrifizierung des Verkehrs mehr Strom produzieren und absetzen. Sofern sie eine eigene Installationsabteilung besitzen, findet sich in der Installation der benötigten Ladeinfrastruktur weiteres Wertschöpfungspotenzial. Zusätzlich können sie ihren Kunden das Erlebnis Elektromobilität aufzeigen, wie das Beispiel Alpiq SA zeigt. Mit ihrer Tochtergesellschaft Alpiq E-Mobility AG bietet sie ihren Kunden ein Elektroautoabonnement mit zugehörigen Dienstleistungen rund um die Ladeinfrastruktur an (Alpiq Gruppe, 2020). Das Potenzial der Elektromobilität haben auch ursprünglich branchenfremde Marktteilnehmerinnen und -teilnehmer für sich entdeckt. So war Teleboy bislang für TV-/Internet- und Streamingangebote bekannt, bietet nun aber ebenfalls Elektroautoabonnements an – auf Wunsch mit Wallbox (Teleboy, 2020).

Diese Beispiele zeigen auf, wie die bekannten Systemgrenzen der bisherigen fossilen Mobilität aufweichen und dadurch eine Sektorenkopplung entsteht. Abb. 4.7 zeigt die Wertschöpfungskomponenten, die benötigt werden, um das Elektromobilitätsangebot als Marktleistung anzubieten. Die unterschiedlichen Stakeholder können sich durch die aufgelösten Systemgrenzen der Elektromobilität in der Wertschöpfungskette horizontal und vertikal einfacher bewegen.

Abb. 4.7
figure 7

Sektorenkopplung für Elektromobilitätsangebot (Kampker, Vallée & Schnettler, 2018, S. 52)

4.2.2 PESTEL-Analyse

Die PESTEL-Analyse bildet eine Übersicht der bisher erkannten und bekannten Umweltfaktoren (Stand 04/2020) rund um das Ökosystem der Elektromobilität ab (vgl. Tab. 4.1). Diese Faktoren ermöglichen eine Gesamtsicht auf die aktuellen und zukünftig absehbaren Entwicklungen.

Tab. 4.1 Übersicht Umweltfaktoren Elektromobilität Schweiz (eigene Darstellung)

4.2.3 Zwischenfazit

Die bisherigen Erkenntnisse aus dem Marktumfeld der Elektromobilität in der Schweiz lassen auf ein wesentlich verändertes Ökosystem der Automobilindustrie gegenüber dem vergangenen schließen. Die Sektorenkopplung ermöglicht neuen und bestehenden Marktakteuren sowie Stakeholdern den Eintritt ins Mobilitätsgeschäft. Erste Positionierungsversuche und Geschäftsmodelle rund um das Elektroauto sind zu beobachten. Der entscheidende Treiber der weitergehenden Elektrifizierung der Fahrzeugflotte in der Schweiz ist die CO2-Gesetzgebung. Tritt zudem die Totalrevision 17.071 ab 2021 in Kraft, beschleunigt dies den Elektrifizierungseffekt zusätzlich. Das erfordert eine rasche Anpassungsfähigkeit und Innovationsgeschwindigkeit, um Wertschöpfungspotenziale frühzeitig zu erkennen und sich eine Wettbewerbsposition zu sichern. In Bezug auf Abb. 4.7 stellt sich die Frage, wer in Zukunft die Rolle der Mobilitätsdienstleisterin oder des -dienstleisters einnehmen wird.

4.2.4 BKW-interne Marktanalyse zu Elektromobilität

In einer BKW-internen Marktanalyse aus dem Jahr 2019 wurde der Effekt von Elektromobilität auf den Endenergieverbrauch in der Schweiz und deren Einfluss auf den Elektrizitätsbedarf abgeschätzt. Die wesentlichen Treiber in diesem Zusammenhang sind die CO2-Gesetzgebung, die Energiestrategie 2050 und die technologischen Fortschritte in den Bereichen Energieeffizienz, Gebäudetechnik und Mobilität. Abb. 4.8 zeigt die Entwicklung über die letzten Jahrzehnte und deren Substitutionsträger.

Abb. 4.8
figure 8

Endenergieverbrauch in der Schweiz 1910–2017

Der Bedarf an Erdölbrennstoffen reduziert sich beispielsweise durch den Wechsel von Öl- oder Gasheizung auf Wärmepumpen, und der Bedarf an fossilen Treibstoffen (u. a. Benzin und Diesel) reduziert sich durch die Elektrifizierung der Verkehrsmittel. Die unterschiedlichen Energieträger können sich jedoch nicht eins zu eins substituieren. Der zukünftig zu erwartende Elektrizitätsbedarf wird durch Berücksichtigung des Marktumfeldes, die Weiterentwicklung bestehender Technologien und die Effizienzgewinne neuer Technologien abgeschätzt. Dafür bezieht sich die BKW AG auf eigene Modellrechnungen, die auf eigenen Interpretationen der Marktentwicklung basieren. Für das Jahr 2035 geht sie von 1,6 Mio. Elektrofahrzeugen (voll- und teilelektrische Personenwagen) aus. Der dadurch resultierende Effekt auf den Strombedarf lässt sich Abb. 4.9 entnehmen.

Abb. 4.9
figure 9

Stromverbrauch in der Schweiz 2035

Die Auswirkungen der zunehmenden Elektrifizierung des Verkehrs auf den Gesamtstromverbrauch im Jahr 2035 sind gering. Er erhöht sich um 6 % gegenüber 2017. Im selben Zeitraum nimmt der Börsenstrompreis um 7–8 % zu. Aus Sicht des Gesamtstrommarktes erfolgt durch die Elektromobilität folglich kein wesentlicher Paradigmenwechsel. Die Business Opportunities E-Mobility für die BKW AG würden demzufolge in anderen Bereichen liegen.

4.3 Organisationsentwicklung durch Corporate Entrepreneurship

Nachfolgend wird aufgezeigt, wie etablierte größere Organisationen mit potenziellen unternehmerischen Chancen (Opportunities) umgehen. Dabei wird die wissenschaftliche Literatur aus der Sekundärforschung untersucht. Die Entstehung respektive die Ursachen von Opportunities können beispielsweise in Marktveränderungen oder im technologischen Wandel begründet sein. Die Elektromobilität führt zu Veränderungen im gesamten Ökosystem der Mobilität. Innerhalb dieser Untersuchung ist es zentral, herauszufinden, wie etablierte größere Unternehmen, zu denen die BKW AG zählt, auf solche Veränderungen reagieren und damit umgehen.

Die Befürchtung liegt nahe, dass bei gesunden Unternehmen die Innovationsfähigkeit abnimmt, eher risikoavers gehandelt wird und dadurch Trends verpasst werden. Um dem entgegenzuwirken, findet sich in der Forschungsliteratur der Ansatz von Corporate Entrepreneurship. Die Idee liegt darin, die Grundmuster und Implikationen junger Wachstumsunternehmen auf etablierte größere Unternehmen zu übertragen – im Sinne einer entrepreneurial (unternehmerisch) agierenden Organisation. Eine solche zeichnet sich durch eine innovative, proaktive und risikofreudige Ausrichtung aus, um neue Wertschöpfungspotenziale zu erschließen (Fuchs, 2012, S. 4).

Der Kern von Entrepreneurship liegt im Streben nach unternehmerischen Gelegenheiten, die auch als Business Opportunities bezeichnet werden (Stevenson & Jarillo, 1990, S. 23). Neben den Grundzügen von Corporate Entrepreneurship wird komplementär dazu der theoretische Hintergrund zur Anwendung von Business Opportunity Recognition im Hinblick auf eine mögliche Implementierung von Elektromobilität in der BKW AG erörtert. Die Erkenntnisse daraus bilden die Basis für die weiterführende Primärforschung und die Ausarbeitung der Handlungsempfehlungen.

4.3.1 Corporate Entrepreneurship

In den letzten Jahren hat sich das Marktumfeld der Energie- und Dienstleistungswirtschaft zu einer hochkompetitiven Marktkonstellation entwickelt. Wettbewerbsvorteile sind in diesem schnelllebigen und dynamischen Umfeld – außerhalb des Monopolbereichs – schwer zu erreichen und zu verteidigen. Das Marktumfeld ist charakterisiert durch hohe Dynamik, Diskontinuitäten und Vielfalt. Die Dynamik und die Diskontinuitäten stehen hier für die Marktentwicklung der Elektromobilität, d. h. die externen Unternehmensfaktoren. Die Vielfalt steht für die Sektorenkopplung und deren (neue) Wechselwirkungen. Die Wechselwirkungen zwischen den drei Faktoren haben eine exponentiell ansteigende Komplexität der Unternehmensumwelt zur Folge (Fuchs, 2012, S. 1). Das bedeutet, dass sich Unternehmen auf die sich verändernden Umweltfaktoren vorbereiten und an diese anpassen müssen, um nachhaltig erfolgreich am Markt bestehen zu können.

Hill und Rothaermel (2003, S. 257) beschreiben in ihrem Artikel im Academy of Management Review, dass in der Literatur weitestgehend Einigkeit darüber herrscht, dass insbesondere etablierte größere Organisationen durch Innovationsträgheit geprägt sind. Die Gründe dafür können in sogenannten Routinen und Pfadabhängigkeiten der Unternehmensprozesse liegen, welche durch anhaltenden Unternehmenserfolg entstanden sind. Die ursprüngliche Innovationsstärke, die rasche Anpassungsfähigkeit an die Unternehmensumwelt und die Risikobereitschaft sinken dadurch im Laufe der Zeit. Zum einen sind es komplexe Prozesse innerhalb dieser etablierten Unternehmen, zum anderen aber auch die Unternehmensgröße und hierarchische Strukturen, die solche Innovationsbarrieren darstellen können. Das Festhalten am Status quo und die zu starke Konzentration auf die bisherigen Kernkompetenzen gefährden die Markt- und Wettbewerbsfähigkeit (Fuchs, 2012, S. 2).

Der Ansatz von Corporate Entrepreneurship sieht Unternehmen im 21. Jahrhundert mit zwei wesentlichen Herausforderungen konfrontiert:

  1. 1.

    Notwendigkeit zu flexibler Anpassung an Veränderungen im Unternehmensumfeld und Diskontinuitäten,

  2. 2.

    Überwindung intraorganisationaler Widerstände und Hemmnisse, welche einer Anpassung (im Sinne des 1. Punktes) im Wege stehen.

Mit geeigneten Gestaltungsmaßnahmen sollen im Corporate Entrepreneurship das unternehmerische Denken und Handeln – im Sinne von operativer Effizienz und innovativer Effektivität – in etablierten Unternehmen stimuliert und dauerhaft gesichert werden (Fuchs, 2012, S. 3 f.). Unternehmen können dadurch in der Folge auch eine erhöhtes Resilienzniveau hinsichtlich zukünftiger Bedrohungen aus dem Marktumfeld generieren.

Das Ziel dabei ist die Herbeiführung eines strukturellen Wandels, welcher die Rahmenbedingungen schafft, um zukünftige Wachstumspotenziale zu identifizieren und zu erschließen. Im Gegensatz dazu liegt die Optimierung bestehender Unternehmensprozesse hierbei nicht im Fokus (Austin & Reficco, 2009, S. 6).

4.3.2 Corporate Entrepreneurship als Managementansatz

Corporate Entrepreneurship – als Teilgebiet von Entrepreneurship – kann als Managementkonzept betrachtet werden, welches die Grundelemente von Entrepreneurship auf etablierte größere Unternehmen überträgt. Die Kernfunktion liegt in der Bereitstellung einer entsprechenden „entrepreneurial organization“ (Fuchs, 2012, S. 21). Als Managementansatz wird ein multidimensionales Konstrukt identifiziert, welches „entrepreneurial organizations“ kennzeichnet (Mes, 2011, S. 114):

  • Innovativität: Förderung der Innovationsbereitschaft zur Erlangung von Wettbewerbsvorteilen,

  • Proaktivität: nach Opportunitäten suchende Haltung, um Wettbewerberinnen und Wettbewerbern zuvorzukommen,

  • Risikobereitschaft: Bereitschaft, kalkulierte unternehmerische Risiken einzugehen,

  • Erschließung neuer Geschäfte: kontinuierliche Erweiterung aktueller Geschäftsfelder.

Nun stellt sich die Frage, wie Corporate Entrepreneurship in Unternehmen konkret umgesetzt werden kann. In der Literatur wird in diesem Zusammenhang von Gestaltungsansätzen gesprochen, die wie folgt unterschieden werden: organisations-, personen- und strategieorientiert (Fuchs, 2012, S. 21). Bei der BKW AG ist in bisherigen Projekten auch der personenorientierte Ansatz (Intrapreneurs) verfolgt worden, welcher allerdings aufgrund der aktuellen Rahmenbedingungen für diese Arbeit als nicht zielführend erscheint. Der strategieorientierte Ansatz im Corporate Entrepreneurship sieht einen ganzheitlichen und funktionsübergreifenden Managementansatz vor, welcher eine Integration in die Gesamtstrategie des Unternehmens verlangt. Die BKW AG hat im Jahr 2013 eine umfassende Unternehmensstrategie formuliert, die sie seither zielstrebig verfolgt und umsetzt. Da Elektromobilität jedoch zurzeit nicht in der Strategieplanung berücksichtigt wird, ist dieser Ansatz ebenfalls nicht zielführend. Innerhalb dieser Forschungsarbeit wird daher der organisationsorientierte Ansatz weiterverfolgt. Dieser sieht das unternehmerische Denken und Handeln durch bürokratische Organisationsstrukturen negativ beeinflusst. Darunter verstehen Forschende beispielsweise einen hohen Grad an zentralistisch bestimmter Entscheidungskompetenz sowie einen daraus resultierenden hohen Formalisierungs- und Spezialisierungsgrad bei den Mitarbeitenden. Weiter behindern interne Widerstände wie Opponenten, Ressourcenverteilung/-anspruch und Routinen die innovativen Aktivitäten. Das Ziel des organisationsorientierten Ansatzes ist es, diese Barrieren mit strukturellen Maßnahmen zu überwinden (Fuchs, 2012, S. 21).

Ein Instrument dazu ist das „Corporate Venturing“, dessen Grundidee darin liegt, neue (teil-)autonome Geschäftseinheiten zu schaffen. Sie sind klar vom Kerngeschäft getrennt und sollen dadurch Eigenschaften junger, unbürokratischer und flexibler Unternehmen erhalten. Je nach Grad der Institutionalisierung und Einbindung in die Muttergesellschaft wird zwischen internem und externem Corporate Venturing unterschieden. Der Vorteil liegt darin, dass die bestehenden, bewährten und historisch gewachsenen Strukturen des Unternehmens dadurch nicht komplett verändert werden müssen (Fuchs, 2012, S. 21).

4.3.3 Corporate Entrepreneurship im Kontext der Elektromobilität

In der strategischen Managementlehre werden mit dem ressourcen- und dem marktbasierten Ansatz zwei strategische Stoßrichtungen beschrieben. Der ressourcenbasierte Ansatz lässt den Unternehmenserfolg auf die vorhandenen Unternehmensressourcen zurückführen (Fokus auf interne Faktoren). Der marktbasierte Ansatz sieht den Unternehmenserfolg als Folge der Branchenstruktur und der strategischen Wettbewerbsposition (Fokus auf externe Faktoren). Häufig wird der ressourcenbasierte Ansatz als Alternative statt als Ergänzung zum marktbasierten Ansatz betrachtet. Ein Nachteil der Ansätze liegt in ihrer statischen Betrachtungsweise. Im Kontext der Elektromobilität mit seiner dynamischen Entwicklungsgeschwindigkeit wäre dies fatal.

In den letzten Jahren ist als Weiterentwicklung des klassischen ressourcenbasierten Ansatzes der „Dynamic Capability Approach“ in Erscheinung getreten. Dieser beschreibt die dynamischen Fähigkeiten als Potenzial eines Unternehmens. Dieser Ansatz ermöglicht es, interne und externe Kompetenzen und Ressourcen permanent auf die sich wandelnde Umwelt abzustimmen (Fuchs, 2012, S. 21).

In Abb. 4.10 stehen „Replikation“ (Integration) als organisationale Kompetenz und „Rekonfiguration“ für die Ressourcen- und Kompetenzausstattung. „Learning“ als organisationale Lernkompetenz ist als abhängige Komponente von Replikation und Rekonfiguration zu sehen. Je nach Ausprägung der drei Kompetenzen lassen sich dadurch strategische Wettbewerbsvorteile generieren sowie Wertschöpfungspotenziale antizipieren und wahrnehmen. Die daraus resultierenden Wettbewerbsvorteile führen schlussendlich zum Unternehmenserfolg (Fuchs, 2012, S. 51 f.).

Abb. 4.10
figure 10

Dynamic Capability Approach (Fuchs, 2012, S. 50)

4.3.4 Corporate Entrepreneurship für Elektromobilität bei der BKW AG

Als ganzheitlicher Managementansatz kann das Konzept des Corporate Entrepreneurship bei der BKW AG im Hinblick auf eine etwaige strategische Ausrichtung im Elektromobilitätsbereich angewendet werden. Das mit einem organisationsorientierten Ansatz versehene Konzept ermöglicht es, einerseits auf Veränderungen im Marktumfeld der Elektromobilität zu reagieren und andererseits die Anpassung der internen Ressourcen vorzunehmen, zu entwickeln oder sich anzueignen. Abb. 4.11 beschreibt das Konzept von Fuchs inhaltlich.

Abb. 4.11
figure 11

Konzept Corporate Entrepreneurship (Fuchs, 2012, S. 61)

In dynamischen Märkten ist eine reine Fokussierung auf die Integration (Replikation) bestehender Kompetenzen nicht ausreichend. Es bedarf zusätzlich einer Umgebung, welche die Rekonfiguration von neuem Wissen und neuen Kompetenzen für Handlungsspielräume in neuen Bereichen ermöglichen (Dynamic Capabilities).

Wie in Abschn. 4.3.1 beschrieben, ist es notwendig, intraorganisationale Widerstände zu überwinden. Die Überwindung kann unter anderem durch die konsequente Trennung von Kernaktivitäten und innovativen Aktivitäten, sogenanntem Corporate Venturing, erreicht werden. Dies erweitert den Handlungsspielraum und die Flexibilität zur Erlangung neuer Erfolgspotenziale, ohne das profitable Kerngeschäft zu beeinträchtigen. Eine weitere Möglichkeit besteht zudem in Kooperationen und Akquisitionen innerhalb des Marktumfeldes. Für die BKW AG kann es daher sinnvoll sein, ein internes Corporate Venturing E-Mobility (eventuell in Kombination mit M&A-Aktivitäten) zu verfolgen, um den Bereich Elektromobilität aufzubauen. Um flexibel auf die Marktveränderungen und Diskontinuitäten reagieren zu können, empfiehlt sich innerhalb des Corporate Venturing die Ausrichtung nach dem Dynamic-Capability-Ansatz. Diese Ausgangslage schafft die erforderlichen Rahmenbedingungen, um als etabliertes größeres Unternehmen in einem dynamischen Markt einerseits neues Wertschöpfungspotenzial zu identifizieren und zu erschließen und andererseits flexibel auf die Marktbedürfnisse zu reagieren. Erweist sich eine Business Opportunity als potenziell profitabel, besteht der nächste Schritt in der Bereitstellung der für die Umsetzung notwendigen Ressourcen und Fähigkeiten. Diese können entweder selbst aufgebaut werden oder – je nach Integrationsgrad – im Sinne einer Akquisition oder Kooperation erfolgen (vgl. Abb. 4.12).

Abb. 4.12
figure 12

Organisationsorientierte Strategien im Corporate Entrepreneurship (Fuchs, 2012, S. 243)

4.3.5 Zwischenfazit

Die Elektromobilität weicht ursprüngliche Branchenstrukturen des Automobilmarktes auf. Dies ermöglicht sowohl den bestehenden als auch den neuen Marktteilnehmern das Erschließen neuer Wachstumspotenziale. Die folgenden drei Aspekte müssen jedoch in diesem Zusammenhang berücksichtigt werden:

  1. 1.

    Ist ein Anspruch auf eine Rolle im Ökosystem vorhanden?

  2. 2.

    Ist ein Wertschöpfungspotenzial zu identifizieren?

  3. 3.

    Wie kann dieses Potenzial genutzt werden?

Das bedeutet, dass sich ein Unternehmen zuerst seiner (möglichen) Rolle und Fähigkeiten im Ökosystem bewusst werden muss (1). Ist dies bekannt, gilt es anschließend, die nötigen Strukturen zu schaffen, um die Wertschöpfungspotenziale identifizieren zu können (2). Im Anschluss sind diese mit marktfähigen Produkten und Leistungen zu erschließen, wozu geeignete Ressourcen bereitgestellt werden müssen (3).

Für etablierte größere Unternehmen empfiehlt sich hierfür ein gangbarer Weg mit dem Corporate-Entrepreneurship-Ansatz, welcher Kernaktivitäten und innovative Tätigkeiten klar trennt. Ist das Topmanagement der BKW AG gewillt, eine strategische Ausrichtung im Elektromobilitätsbereich anzustreben (1), sind mit dem geeigneten Dynamic-Capability-Ansatz Wertschöpfungspotenziale zu identifizieren (2). Um diese zu entwickeln und rasch am Markt zu positionieren, macht ein internes Corporate Venturing E-Mobility Sinn, wobei dieser Entität (teil-)autonome Entscheidungskompetenzen und größere Handlungsspielräume ermöglicht werden (3). Das Erfolgspotenzial erscheint mit dieser Strategie für die BKW AG am erfolgversprechendsten.

Zusammenfassend kann Corporate Entrepreneurship als praktikabler Managementansatz gesehen werden, der eine kontinuierliche Anpassung eines Unternehmens an sich verändernde Umweltfaktoren ermöglicht und somit auch im Sinne einer verbesserten Resilienz dabei hilft, potenzielle Krisenkonstellationen durch mangelnde Anpassungsfähigkeit zu vermeiden. Nach Fuchs (2012, S. 114) ist Corporate Entrepreneurship als Schlüsselfaktor für einen dauerhaft erhöhten finanziellen Unternehmenserfolg zu bezeichnen. Die Beurteilung des Unternehmenserfolges kann daneben auch nach subjektiven Erfolgsgrößen gemessen werden, z. B. wenn die Erwartungshaltung an ein Unternehmen groß ist, bestimmte Leistungen anzubieten. Dies kann beispielsweise bei EVU im Bereich der Elektromobilität der Fall sein.

4.4 Ergebnisse der empirischen Analyse für Energieversorgungsunternehmen

In diesem Abschnitt werden die Ergebnisse und Erkenntnisse aus der eigenen empirischen Untersuchung dargelegt und die aktuellen organisationalen Entwicklungen innerhalb der BKW AG in Bezug auf die Elektromobilität beschrieben. Eine umfassende Marktumfeldanalyse, qualitative Experteninterviews sowie Case Studies bildeten den Kern der empirischen Untersuchung.

Bei der Auswahl der Interviewpartner galt es, einen differenzierten und vielfältigen Blick über die Elektromobilitätsbranche in der Schweiz und das Branchenumfeld zu erhalten. Der Fokus lag auf der Energiewirtschaft. Automobilunternehmen wurden nicht befragt. Es konnten Experten aus Energieversorgungs- und Beratungsunternehmen, der Politik, von Lösungsanbietern sowie Ladeinfrastrukturherstellern und -betreibern als Interviewpartner gewonnen werden.

Eine wesentliche Erkenntnis aus den Experteninterviews ist, das die EVU automatisch mit Elektromobilität in Verbindung gebracht werden durch ihre Kernaktivitäten im Energiebereich. Aus diesem Grund sehen die Interviewpartner für sie unter anderem ein hohes Wertschöpfungspotenzial, werten sie aber nicht als „Game Changer“ der Elektromobilität. Durch die Sektorenkopplung findet ein Verdrängungsmarkt statt, welcher die nötigen Bausteine für ein elektrifiziertes Verkehrssystem schafft oder schaffen wird.

Im Zuge der Veränderungen in der Energie- und Automobilbranche ergeben sich unterschiedliche und teilweise neue Herausforderungen für die Marktteilnehmer. Die Konnektivität und die Digitalisierung stehen bei zukünftigen Geschäftsmodellen in diesen Bereichen im Zentrum. Verwässerte Systemgrenzen ermöglichen in bestimmten Bereichen den Markteintritt, ohne dabei auf große Hürden zu stoßen. Das Sammeln und Bewirtschaften von Daten wird zu einer der Kernaktivitäten eines Unternehmens. In diesem Bereich sind Unternehmen aus der Branche Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT) prädestiniert und wissen diesen Vorsprung in ihnen fremden Branchen gegenüber bestehenden Marktakteuren auszunutzen. So hat zum Beispiel die amerikanische Firma Tesla als ursprüngliches IKT-Unternehmen Bewegung in die Automobilindustrie gebracht. Ein weiteres Beispiel ist Amazon, welches sich an der Automobilherstellerin Rivian beteiligt und Elektrotransporter entwickelt (ecomento.ch, 2020). Es stellt sich daher die Frage, ob und wie solche ursprünglichen IKT-Unternehmen in die Energiebranche eintreten können. Durch bestehende regulatorische Beschränkungen wird dies zurzeit (Stand 2020) erschwert. Jedoch hängt der Schritt zukünftig im Wesentlichen von den Marktbarrieren ab, welche die EVU in der Schweiz aufbauen können. Damit werden sie einerseits das eigene Kerngeschäft schützen, andererseits können aber auch Business Opportunities in bisher fremden Branchen erschlossen werden.

In der Automobilbranche bereiten sich die etablierten Automobilhersteller auf die zukünftige Mobilitätswelt vor und positionieren sich. Aus der Marktumfeldanalyse und den Experteninterviews ging hervor, dass sich deren Vorgehensweise in ihrer Ernsthaftigkeit und Dringlichkeit maßgeblich unterscheidet. Unter den großen Automobilherstellern wird der Volkswagenkonzern als ernst zu nehmendes Beispiel gesehen, welches sich umfassend auf die Zukunft der Mobilität ausrichtet. Eine bemerkenswerte Aussage dazu traf Michael Jost, Leiter Konzern Strategie Produkt und Chief Strategy Officer Marke Volkwagen, am „Tag der Schweizer Garagisten 2020“, als er über die umfassende Investition des Konzerns (33 Mrd. Euro) in die Elektromobilität sprach. Folgendes antwortete er auf die Frage eines Besuchers, ob die vollständige Ausrichtung auf Elektromobilität nicht zu riskant sei (Jost, 2020): „Wissen Sie, wenn ein solch schwerer Tanker einen radikalen Strategiewechsel anstrebt und Milliarden investiert, dann machen wir das nicht einfach spontan, wir haben uns das genau überlegt.“

Entscheidend wird sein, in welcher Rolle sich die Akteure des Ökosystems Elektromobilität sehen und positionieren wollen. Der Elektromobilitätsmarkt in der Schweiz ist zurzeit noch klein, die unternehmerischen Gelegenheiten vage und die Entwicklung stark dynamisch. Die Mobilitätswelt verändert sich grundlegend. Eine Kopie des aktuellen Verkehrssystems von fossilen auf elektrische Antriebe anzustreben wäre fatal. Es gilt, sich ständig mit den sich verändernden Umweltfaktoren der Elektromobilität auseinanderzusetzen und ein neues Mobilitätsverständnis zu schaffen. Die Elektromobilität vernetzt bisher branchenfremde Unternehmen miteinander und bietet für EVUs Zugang zu neuen Branchen und Märkten.

In der Schweiz hat sich bisher kein EVU als Branchenleader durchgesetzt und beherrscht den hiesigen Elektromobilitätsmarkt. Pioniere mit einer strukturierten und umfassenden Elektromobilitätsstrategie finden sich in den beiden EVUs Primeo Energie und REPOWER. Beide Unternehmen haben sich in diesem Bereich diversifiziert und bieten zudem innovative und einzigartige Dienstleistungen an. Für die BKW AG bietet sich als größte Verteilnetzbetreiberin und eine der größten Energieversorgerinnen mit einer national bekannten Marke die Chance, sich grundlegend in der Elektromobilität zu behaupten. Folgende Optionen sind als mögliche unmittelbare Schritte aus der empirischen Analyse hervorgegangen:

  • Themenführerschaft im eigenen Marktgebiet überregional oder gar national anstreben.

  • Die BKW AG organisiert sich im Sinne von Corporate Entrepreneurship mit einem internen Corporate-Venture- und einem Dynamic-Capability-Ansatz. Die Entwicklung der Elektromobilität sollte zentral stattfinden und dezentral umgesetzt werden können.

Aus den Experteninterviews wurde ersichtlich, dass die EVU in der Schweiz nicht die „Game Changer“ für den Durchbruch der Elektromobilität darstellen. Sie stehen somit nicht in der Pflicht, ein Dienstleistungsportfolio anzubieten. Durch die Sektorenkopplung übernehmen dies bisher branchenfremde Marktakteure. Energieversorgungsunternehmen können mit einem Dienstleistungsportfolio und den Grundvoraussetzungen aus dem Kerngeschäft aber einen komparativen Konkurrenzvorteil nutzen und zu einem „Enabler“ der Elektromobilität werden. Sollten sie von einer strategischen Ausrichtung hin zur Elektromobilität absehen, besteht die Gefahr, dass sie diesen Vorsprung aus der Hand geben und sich andere (branchenfremde) Akteure positionieren.

Die Sektorenkopplung eröffnet für sämtliche Marktakteure im Ökosystem Elektromobilität Wertschöpfungspotenziale. Zurzeit findet ein Positionierungswettkampf unter unklaren Wettbewerbsbedingungen statt. Es herrscht Unsicherheit, wie sich der Elektromobilitätsmarkt entwickelt und welche Einflüsse er auf die Kerngeschäftsaktivitäten eines EVU hat. Durch die Verwässerung ursprünglicher Systemgrenzen für EVUs in der Schweiz bleibt unklar, ob und wann sie zukünftig Konkurrenz im Energiebereich zu erwarten haben. Dabei ist eine Tendenz zu zurückhaltendem Verhalten zu beobachten. Das veränderte Marktumfeld des Energiesektors und die dynamische Entwicklung der Elektromobilität bieten sowohl Chancen als auch Gefahren für EVUs, die nachfolgend summarisch angeführt werden:

Gefahren für EVUs

  • Markteintritt via Ökosystem Elektromobilität neuer Akteure in den Energiesektor (auch im Hinblick auf eventuelle volle Strommarktliberalisierung in der Schweiz).

  • Konkurrenzierung der Kerngeschäftsaktivitäten.

  • Verlust von Wissensvorsprung im Energiebereich.

  • Verlust von Marktanteilen im Stromvertrieb durch engere Kundenbindung mit Services rund um das Elektroauto von neuen Marktakteuren.

  • Neue Marktakteure sprechen Kundinnen und Kunden anders an und vermarkten den Wert „Strom“ hochwertiger bzw. mit anderen Ansätzen.

  • Kontinuierliche Zurückdrängung in die Nische der bisherigen Kernaktivitäten, z. B. Netzbewirtschaftung.

Chancen für EVUs

  • Neue Beteiligungsfelder eröffnen sich, um sich aus dem Kerngeschäft heraus zu differenzieren.

  • Energieversorgungsunternehmen werden mit Elektromobilität assoziiert, was einen wesentlichen komparativen Konkurrenzvorteil darstellt.

  • Loyalität zu und Abhängigkeit von einer Automarke nehmen ab. Funktionalität liegt vor Status. Mögliches Eintrittstor für EVU: Vermarktung und Vermittlung von Mobilität statt einer Automarke.

  • Realitätsverweigerung bei den großen Händlernetzen: Festhalten am fossilen Verkehrssystem bleibt länger bestehen als erwartet, was für EVUs Wertschöpfungspotenziale bietet.

  • Treibstoff für den Verkehr kann durch die Elektrifizierung im Inland hergestellt werden, was die lokale Wertschöpfung erhöht und gleichzeitig die Abhängigkeit aus dem Ausland verringert.

Der Automobil-, der Treibstoff- und der Energiesektor befinden sich in einer herausfordernden Dekade. Ursprünglich mit wenigen punktuellen Berührungspunkten ausgestattet, sehen sie sich durch die Elektromobilität direkt miteinander konfrontiert. Getrieben durch politische Rahmenbedingungen sowie gesellschaftliche und technologische Entwicklungen verändert sich das Marktgefüge unter Umständen grundlegend.

Aus Sicht eines Schweizer EVUs erregen die aktuellen Entwicklungen Aufmerksamkeit. Ausländische EVUs beobachten den Strommarkt in der Schweiz und sehen in der Elektromobilität Eintrittsfelder, insbesondere wenn die volle Strommarktliberalisierung in Kraft treten sollte (Strobel, 2020). Treibstofffirmen bauen Ladeinfrastrukturen auf und investieren in deren Ausbau, um den Wegfall des fossilen Treibstoffes durch die Elektrifizierung zu substituieren (SOCAR, 2019). Automobilhersteller kaufen EVUs, um ihre Kunden entlang der gesamten Wertschöpfungskette der Elektromobilität bedienen zu können (Volkswagen AG, 2019) und (Clowes & Rudgard, 2020).

Innerhalb des Energiesektors ist unklar, welchen Effekt die volle Strommarktliberalisierung auf die Branchenstruktur haben wird. Im Automobilsektor ist nicht bekannt, wie sich die Differenzierungskriterien der Automobilhersteller in Zukunft unterscheiden, insbesondere dann, wenn die Motorenleistung weniger relevant wird und die Mobilitätsangebote stärker in den Fokus rücken. Im Treibstoffsektor kann noch nicht vorausgesagt werden, wie sich die Importeure sowie Tankstellenbetreiber positionieren werden, wenn der fossile Treibstoff allmählich durch Strom substituiert wird.

Folgende Fragen sollte sich deshalb im Themenkontext ein EVU stellen:

  • Wer liefert zukünftig den Treibstoff für das Verkehrssystem? Automobilbranche, fossile Treibstoffbranche, EVU oder andere?

  • Wer hat die Kundenbeziehung?

  • Wo liegen die Marktbarrieren?

Die Wertschöpfungskette der Elektromobilität konvergiert stark mit der eines EVU. Es ist ein übergreifendes Thema, welches sequenziell und in zeitlichen Abständen mehr oder weniger Einfluss auf die jeweilige Kernaktivität eines EVU hat oder haben wird. Daher ist eine Gesamtsystembetrachtung notwendig, wo diese Einflüsse liegen und welche Wertschöpfungspotenziale sich dadurch ergeben beziehungsweise welche Risiken durch Nichtbeachtung entstehen. Das Beispiel der BKW AG soll in diesem Zusammenhang Klarheit schaffen. Ihre Kernaktivitäten sind in die Kompetenzmarken Power Grid, Energy, Engineering, Infra Services und Building Solutions unterteilt. Innerhalb dessen sind die Firmen im BKW-Firmennetzwerk teilweise eigene Profitcenter. Eine firmen- und bereichsübergreifende Initiative in einem Wachstumsmarkt zu starten gestaltet sich daher schwierig. Folgende Gesamtsystembetrachtung zeigt in einem beispielhaften möglichen Szenario die Abhängigkeiten der Aktivitäten der BKW AG im Ökosystem Elektromobilität:

Großes Wertschöpfungspotenzial wird in der Nutzung bereichsübergreifender Aktivitäten im Ökosystem Elektromobilität gesehen. Aus dem bestehenden Kerngeschäft heraus und mit der gesellschaftlichen Assoziation von EVU und Elektromobilität bilden diese beiden Aspekte potenzielle strategische Erfolgsfaktoren.

Wiederholt wurde im Rahmen der empirischen Befragungen von Experten geschildert oder in der Analyse erkannt, dass die EVUs in einer komfortablen Ausgangslage sind, um erhebliche Wertschöpfungspotenziale im Ökosystem Elektromobilität zu erschließen. Bei den Möglichkeiten dazu bleibt es allerdings wohl weitgehend. EVUs werden primär nicht als systemrelevant gesehen, um den Durchbruch der Elektromobilität entscheidend zu beeinflussen oder verhindern zu können. Ein EVU sollte sich dessen bewusst sein. Wenn es die benötigten Ladeinfrastrukturen, Mobilitätsservices, erneuerbare Energien und weitere Aspekte nicht bereitstellt, werden es andere tun. Dabei könnte es sich unter Umständen um bisher branchenfremde Marktakteurinnen und -akteure handeln, welche durch die Elektromobilität schlussendlich auch zur Konkurrenz im eigenen Kerngeschäft werden könnten. Aktuell sollte es aus EVU-Sicht das Ziel sein, geeignete Marktbarrieren zu kreieren, um künftig sowohl Marktanteile gewinnen als auch Anteilsverluste verhindern zu können. Die bisher fragmentierte Branchenstruktur der Energiewirtschaft in der Schweiz könnte durch eine volle Strommarktliberalisierung und innerhalb der Energiestrategie mit den politischen Anforderungen aufgeweicht werden. Dadurch könnte sich der Wettbewerb möglicherweise intensivieren, und Markteintrittsbarrieren könnten gesenkt werden.

Energieversorgungsunternehmen sollten sich also die Frage stellen, ob und weshalb sie sich – heute und zukünftig – im Elektromobilitätsmarkt positionieren sollten.

Die reine Betrachtung des Einflusses der Elektromobilität auf den Stromvertrieb und Energiehandel fällt bescheiden aus. Der BKW-internen Analyse in Abb. 4.9 in Abschn. 4.2.4 ist zu entnehmen, dass in der Schweiz im Jahr 2035 ca. 1,6 Mio. Personenwagen (BEV und PHEV) elektrisch unterwegs sein werden. Am jährlichen Stromverbrauch 2035 beträgt ihr Anteil aber lediglich 6 %. Nun ist es aus Sicht der Energiewirtschaft schwer zu beurteilen, ob sich Investitionen in den massiven Ausbau öffentlicher Ladeinfrastrukturen lohnen, wenn die Auswirkung auf den Energiebedarf vergleichsweise gering erscheint. Die reine Betrachtung auf den Stromabsatz ist jedoch nicht zielführend. Vielmehr sind die Zusammenhänge und Einflüsse zu betrachten, die das Ökosystem Elektromobilität auf die Energiewirtschaft ausübt. Der Wettbewerb wird durch die volle Strommarktöffnung intensiviert. Durch die Sektorenkopplung drängen neue Marktaktakteure in die Energiebranche und konkurrieren mit den EVUs in deren Kerngeschäft. Effektiv geht es nicht nur darum, zu schauen, wo ein EVU noch mehr Marktanteile im Stromvertrieb erreichen kann, sondern mit welchen Maßnahmen es selber Marktbarrieren errichten kann. Es soll seine neu gewonnenen Marktanteile halten können und nicht in eine Nische seines Kerngeschäftes zurückgedrängt werden. Die Kundenbindung und damit verbundene Dienstleistungen im Elektromobilitätsbereich sind daher als strategische Erfolgsfaktoren für EVUs in der Schweiz zu sehen. Schlussendlich unterstützen und schützen sie auch das Kerngeschäft der EVUs.

Eine gesamtheitliche Systembetrachtung ist notwendig, woraus die erforderlichen Maßnahmen abgeleitet und umgesetzt werden können. Die Elektromobilität in der Schweiz befindet sich am Anfang eines dynamischen Wachstumsmarktes. Die Weichen für die elektromobile Zukunft der EVUs in der Schweiz können heute gestellt werden. Als Vorbild kann hier der bisher für EVU branchenfremde Volkswagen-Konzern betrachtet werden. Als einer der größten Autobauer der Welt findet innerhalb des Konzerns der größte Paradigmenwechsel der Unternehmensgeschichte statt. Dies hat eine vollständige Ausrichtung auf den elektrischen Antrieb und dessen zusätzliche Wertschöpfungspotenziale zur Folge. Das Festhalten an bestehenden und bisher erfolgreichen Geschäftsmodellen zeigt sich im veränderten Marktumfeld als nicht nachhaltig. Das neue Ökosystem und die Mobilitätszukunft eröffnen für bestehende und neue Marktakteurinnen und -akteure Chancen.

Die BKW AG sieht sich also mit einem herausfordernden und umkämpften Marktumfeld konfrontiert. Der Einfluss der Elektromobilität auf das Kerngeschäft ist noch nicht vollumfänglich bekannt. Wie sich die BKW AG als Entrepreneur auf die sich verändernden Umweltfaktoren einstellen kann, wurde im Abschn. 4.3.4 beschrieben.

Um nachhaltig erfolgreiche und bereichsübergreifende Geschäftsmodelle im Elektromobilitätsmarkt zu positionieren, sind die aktuellen Unternehmensstrukturen der BKW AG Unternehmensgruppe ungeeignet.

Basierend auf den Resultaten der empirischen Analyse wurde der Konzernleitung der BKW AG eine strategische Positionierung mit einer Top down formulierten Elektromobilitätsstrategie empfohlen. Parallel dazu wurde eine Bündelung der Geschäftsaktivitäten unter einer neuen Kompetenzmarke BKW E-MOBILITY als Option mit Leaderpotenzial für den Schweizer Markt aufgezeigt.

Seit dem 01.01.2021 verfolgt die BKW AG aktiv eine strategische Ausrichtung im Schweizer Elektromobilitätsmarkt. Die bestehende 100 %-BKW Tochter engytec AG wurde umbenannt und in der neuen Geschäftseinheit BKW Smart Energy & Mobility AG untergebracht. Nun ist sie das Kompetenzzentrum für vollintegrierte Elektromobilitätslösungen innerhalb der BKW-Gruppe. Verantwortlich für den Aufbau dieses Kompetenzzentrums ist der Elektromobilitätspionier Peter Arnet. Diese Geschäftseinheit bietet sektorübergreifende Full-Service-Energielösungen, welche beispielsweise die Planung, Installation und Integration der Ladeinfrastruktur am Standort sowie auch deren Betrieb und die Abrechnung umfassen (BKW AG, 2020a, b).

Das neue Kompetenzzentrum greift auf ein schweizweit flächendeckendes Gebäudetechniknetzwerk zu und kann somit schlüsselfertige Elektromobilitätslösungen aus einer Hand anbieten.

4.5 Fazit

Abgeleitet aus den Erkenntnissen dieser Forschungsarbeit haben sich in Bezug auf die Organisationsentwicklung der BKW hinsichtlich der Elektromobilität die folgenden wesentlichen vier Handlungsempfehlungen ergeben:

  1. 1.

    Top-down-Formulierung einer umfassenden Elektromobilitätsstrategie und -ausrichtung durch die Konzernleitung:

    • Geeignete Organisationsform und -entwicklung (Corporate Venturing).

    • Kompetenzcenter und langfristiges Zielbild.

  2. 2.

    Ausgehend von der Elektromobilitätsstrategie (Punkt 1) sollten Businessmodelle zentral entwickelt und dezentral umgesetzt werden (Kompetenzcenter und/oder -marke BKW E-MOBILITY aufbauen als interne und externe Anlaufstelle):

    • Business Opportunity Recognition realisieren.

    • Marktbearbeitungsstrategie festlegen.

    • Marketingmix definieren.

  3. 3.

    Ausgehend von der Elektromobilitätsstrategie (Punkt 1) müssen ebenfalls neue Mitarbeitende beim Kompetenzcenter BKW E-MOBILITY eingestellt werden, die ohne festgefahrene Routinen und Pfadabhängigkeiten neue Perspektiven mitbringen: Organisationales Lernen von Personen aus der Automobilindustrie, IKT- und Treibstoffbranche soll ermöglicht werden.

  4. 4.

    M&A-Opportunitäten müssen geprüft werden (anorganisches Wachstum). Eine Kuratierung von Start-ups im Ökosystem Elektromobilität gilt als Option.

Im Zusammenhang mit den Erkenntnissen der Untersuchung und der oben genannten Handlungsempfehlungen ist die Gründung der neuen Geschäftseinheit BKW Smart Energy & Mobility AG in der BKW-Gruppe mit dem internen Corporate-Venturing-Ansatz vergleichbar. Die neue Geschäftseinheit wäre unabhängig und würde sich mit dem neuen Brand am Markt positionieren. Dadurch würde sie ideale Voraussetzungen für die Akzeptanz und das Commitment der anderen Konzerngesellschaften schaffen, welche bisher ebenfalls im Elektromobilitätsbereich aktiv gewesen sind. Es würde somit eine konsequente Trennung der Kernaktivitäten der BKW AG und innovativer Aktivitäten wie z. B. die Ausrichtung im Wachstumsmarkt Elektromobilität resultieren. Die organisationalen Gegebenheiten würden nach und nach erlauben, die sektorübergreifenden Potenziale der BKW Gruppe zu nutzen und in der Elektromobilität zu vereinen.

Der Elektromobilitätsmarkt entwickelt sich in der Schweiz rasant, und mit dem strategischen Eintritt in diesen Markt hat die BKW AG die Weichen gestellt. Die Wettbewerbssituation, der Zeitpunkt und die Gelegenheit der Gründung der Geschäftseinheit sind derzeit für ein EVU ideal, um sich als Full-Service-Anbieter in diesem Bereich zu etablieren.

Dem Praxisfall BKW kann entnommen werden, wie sich große Unternehmen in der Schweiz trotz disruptiv veränderter Umweltfaktoren mit systemischer Resilienz den Markbedürfnissen anpassen können. Durch die Erschließung innovativer Wachstumsmärkte werden dabei ihre Transformationsprozesse umgesetzt. Die BKW AG hat ihr Potenzial in einem Bounce-forward-Ansatz für den Bereich Elektromobilität erkannt und ihr Konzept innerhalb weniger Monate realisiert. Für die Zukunft gilt es, die Entwicklung einer neuen Geschäftseinheit BKW Smart Energy & Mobility zu forcieren und Lerneffekte einer hiermit verbundenen Organisationsentwicklung im Zusammenhang mit der Resilienzstrategie zu nutzen.