11.1 Einleitung

Der schnelle Wandel der heutigen Zeit stellt Unternehmen vor große Herausforderungen. Technologische Innovationen, neue Marktbedingungen sowie verändertes Kundenverhalten und wirtschaftlicher Druck erfordern Flexibilität und rasches Handeln (Roghé et al., 2017). Viele ehemals etablierte Unternehmen haben Mühe, sich den schnell ändernden Marktbedingungen anzupassen, und verpassen so die sich bietenden Chancen für neue Geschäftsmöglichkeiten. Sie verlieren ihre Wettbewerbsfähigkeit und gefährden ihre Existenz (Holbeche, 2018, S. 1). Andere, innovativere Unternehmen schaffen es hingegen, sich kontinuierlich zu verändern und ihre Organisation den volatilen Bedingungen auf dem Markt anzupassen (Lenz, 2017, S. 13 ff.). Solche Unternehmen, die rasch und flexibel auf Veränderungen reagieren, sind besser in der Lage, in komplexen und schnelllebigen Umgebungen zu prosperieren und damit auch resilienter in Bezug auf kritische Ereignisse und Entwicklungen in der Zukunft. Sie haben die Fähigkeit entwickelt, Geschäftsmöglichkeiten und Bedrohungen frühzeitig zu erkennen und Veränderungen schnell umzusetzen (Holbeche, 2018, S. 1). Viele dieser flexiblen und innovativen Unternehmen versuchen, Agilität über das Management von Softwareprojekten und Produktentwicklungsprojekten hinaus zu einem festen Bestandteil ihres strukturellen und kulturellen Settings und zu einem Leitprinzip ihrer Unternehmensführung zu machen (Rigby et al., 2018). Dieses Agilitätsprinzip wurde und wird in der Literatur aus verschiedenen Blickwinkeln mit Schwerpunkt auf strukturelle und verhaltensbezogene Fragestellungen beleuchtet. Was dies für das Human Resource Management (HRM) eines Unternehmens heißt und wie HR-Abteilungen sich selbst agil aufstellen können, wird bislang allerdings noch wenig thematisiert. Ausgehend von einer theoretisch-konzeptionellen Analyse der Literatur wird deshalb ein Handlungs- und Wirkungsmodell abgeleitet, das als Grundlage für eine qualitative empirische Untersuchung der HRM-Praxis in agil orientierten Schweizer Unternehmen dient. Die Analyse hat zum Ziel, den vielfach vagen Begriff der Agilität im HRM-Kontext zu konkretisieren, Unterstützungsmöglichkeiten des HRM für agile Strukturen und Teams aufzuzeigen sowie konkrete Handlungsoptionen für die Politikfelder des HRM und den Aufbau eines selbst agil arbeitenden HRM abzuleiten. Vor diesem Hintergrund sollen folgende drei Hauptforschungsfragen durch die Untersuchung beantwortet werden:

  • RQ 1: Was heißt „Agilität“, und wie ist diese im Lichte anderer Trends zu bewerten?

  • RQ 2: Wie kann das HRM agile Organisationsformen oder agile Teams in traditionell organisierten Unternehmen optimal unterstützen, beziehungsweise sie ermöglichen?

  • RQ 3: Für welche Handlungsfelder, Rollen und Aufgaben des HRM selbst macht eine agile Struktur/Arbeitsweise Sinn?

11.2 Theoretische Grundlagen

11.2.1 Agilität in und von Unternehmen

Gegenstand und Treiber der Agilität

Eine internationale Studie der BCG (2017) verweist darauf, dass knapp drei Viertel von rund 1100 befragten Führungskräften die „Agilität“ eines Unternehmens für wichtig halten, aber nur die Hälfte der Befragten ihr Unternehmen selbst als „agil“ betrachten. Agilität wird dabei großteils mit der Verwendung agiler Methoden und Arbeitsweisen in Projekten und bei Strukturanpassungen gleichgesetzt. Bereits in den 1990er-Jahren fand der Begriff im Zusammenhang mit der Optimierung von Fertigungsprozessen als „Agile Manufacturing“ Eingang in die Managementliteratur und stand für kontinuierliche Verbesserung, schnelle Reaktion auf Veränderung, Qualitätsverbesserung, soziale Verantwortung und eine absolute Kundenorientierung (Chinnaiah & Kamarthi, 2000, S. 146). Vor diesem Hintergrund meint Agilität im Sinne von „Beweglichkeit“ und „Regsamkeit“ (Duden, 2020) im erweiterten unternehmensbezogenen Kontext die Anpassungsfähigkeit und eine schnelle Reaktionsfähigkeit von Organisationen und Teams auf Markt- und Umweltveränderungen (Fischer, 2016). Damit einher geht unmittelbar auch eine Erhöhung der Resilienz einer Organisation. Agilität steht also nicht nur für die Einführung schlankerer Prozesse oder das Anwenden agiler Techniken, sondern ist als resilienzförderndes ganzheitliches Konstrukt zu verstehen: „Agile Organisationen orientieren sich an Sinnstiftung, Selbstführung und Ganzheit – und bilden diese Prinzipien durchgängig in Struktur, Führung, Management, IT sowie Arbeitsumgebung ab“ (Hasebrook et al., 2019, S. 1). Agilität wird als wichtige Kompetenz gesehen, um in der heutigen VUCA-Welt (Volatilty, Uncertainty, Complexity, Ambiguity) wettbewerbs- und überlebensfähig zu sein und zu bleiben. Eine Reihe von Studien zeigt in diesem Sinne auf, dass agile Unternehmen erfolgreicher sind und überdurchschnittlich wachsen (NZZ, 2018).

Ein wichtiger externer Treiber für die immer größer werdende Erfordernis von Agilität ist die zunehmende Digitalisierung, die mit neuen Produkten, Dienstleistungen und Märkten einhergeht. Markteintrittsbarrieren für potenzielle Mitbewerber werden kleiner, Märkte werden transparenter, und das Kundenverhalten verändert sich (Häusling et al., 2019, S. 13). Ein weiterer zentraler Einflussfaktor für Agilität sind veränderte Erwartungshaltungen der Mitarbeitenden an die Unternehmen in Verbindung mit dem Fachkräftemangel und dem demografischen Wandel. Die Abhängigkeit der Arbeitnehmenden vom Arbeitgeber sinkt, und die Arbeitnehmenden entwickeln zunehmende Ansprüche in Bezug auf flexible Arbeitsbedingungen, Autonomie, leistungsgerechte Vergütung und sinnstiftende Arbeit (Häusling et al., 2019, S. 14).

Agile Prinzipien

Im Jahr 2001 wurden von erfahrenen Softwareentwicklern zentrale Werte und Prinzipien einer agilen Softwareentwicklung als sogenanntes „Agile Manifesto“ definiert (agilemanifesto.org, 2001). Diese Prinzipien finden sich in den aktuellen Konzepten und Methoden vielfach wieder. Das agile Manifest gründet auf vier Leitwerten (agiles-projekmanagement.org, 2020):

  1. 1.

    „Individuen und Interaktionen stehen über Prozessen und Werkzeugen.

  2. 2.

    Funktionierende Software steht über einer umfassenden Dokumentation.

  3. 3.

    Zusammenarbeit mit dem Kunden steht über der Vertragsverhandlung.

  4. 4.

    Reagieren auf Veränderung steht über dem Befolgen eines Plans.“

Diese Grundwerte agilen Handelns schlagen sich in 12 konkretisierenden Prinzipien des Manifests nieder (agiles-projekmanagement.org, 2020):

  1. 1.

    „Unsere höchste Priorität ist es, den Kunden durch frühe und kontinuierliche Auslieferung wertvoller Software zufriedenzustellen.

  2. 2.

    Fachexperten und Entwickler müssen während des Projektes täglich zusammenarbeiten.

  3. 3.

    Errichte Projekte rund um motivierte Individuen. Gib ihnen das Umfeld und die Unterstützung, die sie benötigen, und vertraue darauf, dass sie die Aufgabe erledigen.

  4. 4.

    Die effizienteste und effektivste Methode, Informationen an und innerhalb eines Entwicklungsteams zu übermitteln, ist im Gespräch von Angesicht zu Angesicht.

  5. 5.

    Die besten Architekturen, Anforderungen und Entwürfe entstehen durch selbstorganisierte Teams.

  6. 6.

    In regelmäßigen Abständen reflektiert das Team, wie es effektiver werden kann, und passt sein Verhalten entsprechend an.

  7. 7.

    Heiße Anforderungsänderungen selbst spät in der Entwicklung willkommen. Agile Prozesse nutzen Veränderungen zum Wettbewerbsvorteil des Kunden.

  8. 8.

    Liefere funktionierende Software regelmäßig innerhalb weniger Wochen oder Monate und bevorzuge dabei die kürzere Zeitspanne.

  9. 9.

    Funktionierende Software ist das wichtigste Fortschrittsmaß.

  10. 10.

    Agile Prozesse fördern nachhaltige Entwicklung. Die Auftraggeber, Entwickler und Benutzer sollten ein gleichmäßiges Tempo auf unbegrenzte Zeit halten können.

  11. 11.

    Ständiges Augenmerk auf technische Exzellenz und gutes Design fördert Agilität.

  12. 12.

    Einfachheit – die Kunst, die Menge nicht getaner Arbeit zu maximieren – ist essenziell.“

Agile Methoden und Konzepte

Auf der Grundlage der agilen Werte und Prinzipien wurde in den letzten Jahrzehnten eine Vielzahl an Praktiken und Methoden entwickelt, um Agilität in Organisationen zu fördern. Als Pionier der agilen Methoden und eins der am häufigsten angewendeten Konzepte gilt die Projektmanagementmethode „Scrum“ (Brückner & von Ameln, 2016, S. 384). Scrum wird in verschiedenen Studien als die bedeutendste agile Methode hervorgehoben (vgl. z. B. Komus, 2013, S. 86; ZHAW, 2019, S. 8). Neben Scrum werden auch „Kanban“ und „Design Thinking“ in der Praxis häufig als populäre agile Methoden verwendet (ZHAW, 2019, S. 8). Scrum, Kanban und Design Thinking sind allesamt agile Arbeitsmethoden zur Erreichung definierter Ziele, die sich aber in ihrer Anwendung und im Zweck unterscheiden. Neben den agilen Methoden gibt es auch agile Organisationsmodelle. Ein verbreitetes Beispiel hierfür ist die „Holokratie“. Die angeführten Methoden und der Holokratieansatz werden nachfolgend exemplarisch beschrieben, da diese auch im HRM-Kontext von hoher Relevanz sind.

Scrum wurde als Methode ursprünglich zwar für die agile Softwareentwicklung konzipiert, kommt heutzutage aber auch in anderen Gebieten wie im Marketing/Sales oder auch im HRM zum Einsatz (Prowareness GmbH, 2019). Die flexible und übersichtliche Methode gilt als leicht erlernbar und nicht sehr aufwendig und ist deshalb in der Praxis sehr beliebt (unternehmer.de, 2018). Das Grundprinzip von Scrum ist, in kurzen Zyklen zu arbeiten und mit ständigem Feedback und gutem Teamwork schnell ein funktionierendes Produkt zu entwickeln, welches den Kundenbedürfnissen entspricht. Dabei ist das (Projekt-)Ziel, anders als in klassischen Wasserfallmodellen, nicht im Voraus definiert. Bei Scrum werden Kosten sowie Zeitdauer definiert und das Ziel laufend den Bedürfnissen des Kunden angepasst. Im Scrum Framework werden unterschiedliche personen(gruppen)bezogene Rollen (Scrum Master, Product Owner, Team), strukturierende und koordinierende Events (Sprint, Sprint-Planning, Daily Scrum, Sprint Review, Sprint Retrospective) und dokumentierende Artefakte (Product Backlog, Sprint Backlog, Increment) unterschieden, die ein agiles Zusammenwirken herbeiführen (It-agile GmbH, 2020; Prowareness GmbH, 2019).

Kanban wurde ursprünglich für die Fertigung entwickelt. Das Grundprinzip der Methode war die Ausrichtung der Produktion an den Kundenbedürfnissen. Im Vordergrund stand hierbei, Aktivitäten, die zu Verlusten oder Verschwendung führen, zu minimieren (kanbanize.com, 2020). Zentral bei Kanban ist das Visualisieren. Noch anfallende (Backlog), bestehende und abgeschlossene Arbeiten werden in drei Spalten auf einem (digitalen) Kanbanboard dargestellt. Um die Effizienz zu steigern und Fehler, die durch Multitasking entstehen können, zu minimieren, werden parallellaufende Aufgaben, wenn möglich, vermieden. Das Ziel ist, dass die Aufgaben möglichst gleichmäßig und im Fluss im System bearbeitet werden, Probleme und Hindernisse frühzeitig erkannt und behoben werden, und so der Workflow optimiert wird (It-agile GmbH, 2020).

Neben dem Workflow Management ist es bei Kanban zentral, dass die Prozessrichtlinien ausformuliert werden und regelmäßiges Feedback stattfindet, um einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess zu generieren (kanbanize.com, 2020).

Das Prinzip von Design Thinking ist nicht neu. Bereits in den 1920er-Jahren wurde das Potenzial entdeckt, unterschiedliche Menschen unkonventionelle Lösungen für komplexe Fragestellungen erarbeiten zu lassen (Preywisch, 2017). Später wurde die Methode weiterentwickelt und hat sich in der unternehmerischen Praxis sowie in der Literatur zwischenzeitlich als Innovations- und Problemlösungsmethode fest etabliert. In zwei Hauptzyklen werden iterativ Probleme in sich wiederholenden Prozessen behandelt, zugehörige Lösungen (z. B. Produktinnovationen) entwickelt und diese wieder hinterfragt. Hierbei kommen kreative Methoden wie Prototyping, Visualisierungen, Simulationen etc. zum Einsatz (Hüttebräuker, 2013; Preywisch, 2017).

Die Holokratie ist eine Organisationsform, die hierarchische Strukturen verbannt und auf Selbstorganisation und das Befähigen der Mitarbeitenden zur Rollenwahrnehmung setzt. Mitarbeitende in holokratischen Organisationen können aufgaben- und kundenbezogen verschiedene Rollen einnehmen, neue Rollen definieren oder alte abschaffen (Schweizerische Eidgenossenschaft, 2018). Auch in einer Holokratie gibt es Regeln und definierte Abläufe. Diese sind in einem umfangreichen Regelwerk als Rahmenbedingungen definiert, die für Orientierung und Sicherheit im System sorgen (Schermuly, 2019). Solange keine Regel verletzt wird, haben Mitarbeitende volle Autorität und Entscheidungsfreiheit. Die Koordination untereinander erfolgt vor allem über eine ausgeprägte Meetingkultur (holacracy.org, 2019).

Agile Organisationen

Unter Einbindung agiler Methoden und holokratischer Strukturierungsmodelle können die agilen Werte und Prinzipien die Kultur einer ganzen Organisation maßgeblich prägen. Über vielfach praktizierte Projekt-/Teamansätze hinausgehend wird es dabei wichtig, agile Werte zu leben und ein verhaltenswirksames „agiles Mindset“ der Mitarbeitenden zu entwickeln. Nur wenn die Organisationsmitglieder agil denken und handeln, kann Agilität ihr Potenzial in einem Unternehmen voll entfalten. Ein „Agilmachen“ durch bloße Verwendung agiler Methoden ist ohne Veränderung des Mindsets lediglich bedingt wirksam (Scheller, 2017; vgl. dazu auch Abb. 11.1).

Abb. 11.1
figure 1

Agil sein versus agil machen. (Quelle: Scheller, 2017, S. 4)

Eine grundlegende Gegenüberstellung von Merkmalsausprägungen traditionell hierarchisch organisierter und agiler Unternehmen ist Tab. 11.1 entnehmbar.

Tab. 11.1 Hierarchische versus agile Unternehmen. (Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an Trost, 2018b, S. 94)

Der Agilitätsreifegrad eines Unternehmens kann in Anlehnung an das Trafomodell von Häusling et al. (2019, S. 16 ff.) anhand von sechs Dimensionen (agile Projektmanagementprozesse, kundenorientierte Strukturen, reagible Outside-in-Strategien, Führung als Dienstleistung, agiles HRM, agile Unternehmenskultur) beschrieben und mittels fünf Reifegradlevel einer agilen Organisationsentwicklung für jede Dimension quantifiziert werden. Ein Unternehmen, das in jeder Dimension die Maximalausprägung fünf erreicht, ist gemäß Modell somit eine vollkommen agile Organisation. Auf Grundlage einer Ist-Erhebung des Reifegrads lassen sich reifegradbezogene Entwicklungsmaßnahmen zur Realisierung eines angestrebten situationsadäquaten Agilitätsgrads ableiten. In Bezug auf die HRM-Dimension wird das traditionelle HR-Verständnis im Modellzusammenhang stark infrage gestellt. Auch das HRM sollte demnach kundenorientiert ausgerichtet sein und hinterfragen, inwiefern die eingesetzten HR-Instrumente einen „echten“ Kundennutzen erzeugen. Eine hohe Anpassungsfähigkeit beim Instrumenteneinsatz, Teamorientierung auch bei der Vergütung und ein HR-Verständnis als Unterstützer und Dienstleister für die operativen Teams werden als wegweisend zur Förderung einer auf Offenheit, Transparenz und Lernen ausgerichteten agilen Unternehmenskultur gesehen. Häusling et al. betonen die Notwendigkeit der Umweltkompatibilität des Agilitätsgrads. Ein Maximum an Agilität ist, auch im Sinne der Resilienzförderung, nicht immer auch ein maximaler Schutz vor Misserfolg und per se erstrebenswert, sondern muss stets unternehmenskontextbezogen sein (vgl. hierzu auch das Entscheidungsmodell von Hasebrook et al., 2019, S. 28, hinsichtlich des situationsbezogenen Einsatzes agiler Methoden).

11.2.2 Agilität und Human Resource Management

HRM: Gegenstand und Entwicklungstrends

Das Human Resource Management war in den letzten Jahrzehnten einem sehr starken Wandel ausgesetzt (Bösch & Mölleney, 2018, S. 21). Mit der Humanisierung und der zunehmenden unternehmerischen Orientierung wurde das Personal als immer wichtiger werdende Ressource anerkannt, und das HRM gewann zunehmend an Bedeutung (Oertig et al., 2009).

Ein für die Gegenwart repräsentatives Best-Practice-Strukturmodell für Human Resource Management ist das „Drei-Säulen-Modell“ von Dave Ulrich (vgl. hierzu Abb. 11.2). Das HRM wird hier als wertstiftend für das Unternehmen verstanden, das eine strategische Beratungs- und aktive Mitgestaltungsfunktion auf der Ebene der Unternehmensleitung wahrnimmt (Bösch & Mölleney, 2018, S. 107).

Abb. 11.2
figure 2

Drei-Säulen-Modell des Human Resource Managements nach Dave Ulrich. (Quelle: Hochschule Wismar, 2020)

Die erste Säule des Modells besteht aus dem Center of Expertise. Das HR-Kompetenzzentrum ist für die Organisationsentwicklung verantwortlich. Es entwickelt und steuert HR-Instrumente und Methoden für das Unternehmen. Das Kompetenzzentrum bietet zudem Unterstützung für die HR Business Partner, mit denen es gemeinsame Lösungen für HR-Problemstellungen entwickelt. Die HR Business Partner repräsentieren die zweite Säule des HRM. Sie beraten und betreuen die Vorgesetzten und Mitarbeitenden in Personalfragen und arbeiten mit diesen eng zusammen (Bösch & Mölleney, 2018, S. 1 f.). Im Shared Service Center, der dritten Säule des HRM, werden administrative Aufgaben wie beispielsweise die Lohn- und Gehaltsabrechnungen abgewickelt sowie Standardanfragen der Mitarbeitenden beantwortet.

Das HRM ist für sämtliche personelle Angelegenheiten auf operativer und strategischer Ebene zuständig. Daraus ergeben sich die Kernaufgaben, die in der nachfolgenden Abbildung in Form einer Prozesslandkarte dargestellt sind (vgl. Abb. 11.3). Zu den klassischen Handlungsfeldern des HRM gehören demnach die Personalplanung, das Personalmarketing und die Personalbeschaffung, die Personalentwicklung, der Personaleinsatz, die Personalbeurteilung und die Personalvergütung sowie die Personalfreisetzung.

Abb. 11.3
figure 3

Prozesslandkarte des HRM. (Quelle: Petry & Jäger, 2018, S. 62)

Neben den geläufigen operativen Aufgaben gibt es die steuernden HR-Prozesse auf strategischer Ebene, die für Effektivität und Effizienz sorgen sollen, sowie die unterstützenden HR-Prozesse (z. B. Personalcontrolling) (Petry & Jäger, 2018, S. 62).

Grundzusammenhang Agilität und HRM

Ein adaptives HRM muss sich den Herausforderungen einer zunehmenden Digitalisierung und Agilisierung seines Gestaltungsumfelds stellen und diese mit den anderen personalrelevanten Entwicklungstrends in einen stimmigen Gleichklang bringen. Mit Fokus auf die Agilisierung des Unternehmens können für das HRM insbesondere folgende Aufgaben formuliert werden (Jäger & Petry, 2018, S. 85 f.):

  • „Die Unterstützung bei der Gestaltung agiler Strukturen und Prozesse im Unternehmen.

  • Die Unterstützung der Entwicklung einer agilen (Führungs-)Kultur.

  • Die Gestaltung agiler Strukturen und Prozesse im HRM.

  • Die Entwicklung agiler Methodenkompetenzen bei den Mitarbeitenden.

  • Die Beschaffung und der Einsatz von agilen Mitarbeitenden.

  • Die Unterstützung und die Entwicklung eines agilen Mitarbeiters.

  • Ein kontinuierliches Changemanagement.“

HRM muss also zum einen im Rahmen eines kontinuierlichen Changemanagements Agilität im Unternehmen unterstützen und agile Strukturen und Prozesse, aber auch die Entwicklung einer agilen Kultur, einer agilen Führung, agiler Methoden sowie die Beschaffung und Entwicklung von agilen Mitarbeitenden fördern. Zum anderen muss sich das HRM in einer agilitätsfordernden Umwelt aber auch selbst agil aufstellen, d. h. agile HR-Strukturen und -Prozesse gestalten, das eigene agile Mindset entwickeln und mit agilen Methoden arbeiten. Dabei gilt es, einerseits Innovationen zuzulassen und zu implementieren, andererseits Bestehendes beizubehalten und zu optimieren (Kaiser & Kozica, 2018, S. 264).

Unterstützung agiler Strukturen durch das HRM

In agilen Organisationen verändert sich die Rolle des HR-Managers. Ein in diesem Zusammenhang oft genanntes Beispiel sind Teams, die befähigt werden, ihre Kolleginnen und Kollegen selbst einzustellen. Das HRM ist in diesem Fall lediglich noch dazu da, hierfür einen transparenten Prozess und Musterverträge zu entwickeln. Weiterhin müssen Führungskräfte in agilen Unternehmen bereit sein, Verantwortung, Macht und Privilegien aufzugeben. Dies erfordert ein Umdenken und macht eine Entwicklung der Führungskräfte erforderlich, bei der die Personalabteilung viel bewirken kann (Gloger, 2018). In agilen Organisationen steht der Mensch im Mittelpunkt. Individualität wird als wichtiger Aspekt von Agilität besonders geschätzt (Trost, 2018b, S. 69 f.). Das HRM muss diese und weitere Agilitätsaspekte bei der Weiterentwicklung der Führungsmodelle einbringen. Partizipative, antihierarchische und netzwerkorientierte Problemlösungsprozesse, Förderung des Ideenaustauschs, eine Überwindung des Silodenkens und eine Kultur des Ausprobierens sind dabei zentral. Anstatt auf starren Systemen zu beharren, sollte eine Kultur des Ausprobierens etabliert werden (Burkhard, 2019, S. 59). Agiles Führen setzt vermehrt auf Hierarchiefreiheit, Lernen aus Fehlern, Denken in Szenarien und schnelles Handeln (Jäger & Petry, 2018, S. 78). Dabei ist das Vertrauen in die Mitarbeitenden zentral. Agiles Führen heißt coachen von Mitarbeitenden, die eigenverantwortlich ihre Handlungsfreiräume im Sinne des Unternehmens nutzen. Dies setzt bei agilen Führungskräften neben der Fachkompetenz wiederum eine menschliche Reife, Charakterstärke und Werteorientierung voraus, die durch Führungskräfteentwicklungsprozesse gefördert werden sollten (Buschor & Mutzner, 2018, S. 80).

Hinsichtlich der HR-Politikbereiche gilt für die Einstellung von neuen Mitarbeitenden und Führungskräften, dass darauf zu achten ist, dass diese die erforderlichen Verhaltenseigenschaften und Kompetenzen zum Arbeiten in agilen Organisationen mitbringen (Schwuchow & Gutmann, 2019, S. 29). Ferner führen flachere Hierarchien zu veränderten Karrierewegen, die nurmehr bedingt langfristig planbar sind. Auch die Leistungsbeurteilungssysteme müssen angepasst werden. Das Vereinbaren von Jahreszielen und jährliche Personalgespräche machen durch Projektorientierung und flexibles Arbeiten nur noch wenig Sinn. Bei der Personaleinsatzplanung müssen traditionelle Planungsprozesse in Einheiten mit weiterhin hoher Stabilität und Effizienzorientierung mit flexibleren Planungsprozessen agiler Einheiten, die verstärkt auf Selbstorganisation setzen, harmonisiert werden. Die Vermischung unterschiedlicher Systemperspektiven macht die Personalarbeit somit zunehmend komplexer (Schwuchow & Gutmann, 2019, S. 30). Die mit der agilen Transformation von Unternehmen verbundenen Changeprozesse erfordern ferner eine kontinuierliche Unterstützung und richtungsweisende Mitgestaltung des HRM bei den Strukturanpassungen und der Weiterentwicklung der Unternehmenskultur (Penning, 2019).

Agiles HRM

Um Agilität im Unternehmen kundenorientiert zu unterstützen und zu fördern, kann die Personalabteilung agile Strukturen und Prozesse idealerweise nicht nur nachvollziehen, sondern erlernt sie durch eigene Anwendung und das Leben und Denken in agilen Mindsets auch selbst (Jochmann & Stein, 2019; Schwuchow & Gutmann, 2019, S. 30; Schulist, 2018, S. 449 ff.). Dies ist auch eine Frage der Glaubwürdigkeit des HR-Bereichs beim Außen- und Innenauftritt, etwa bei Rekrutierungs- oder Personalentwicklungsprozessen.

In der Literatur gibt es heute bereits eine Reihe von teils aufeinander aufbauenden Modellen und Ansätzen, die Agilität und HRM in einen Zusammenhang bringen, und die zur Orientierung bei einer agilen Ausgestaltung des HRM herangezogen werden können.

Das Mehr-Ebenen-Modell von Kaiser (2019) greift den Grundgedanken auf, wonach der Personalbereich selbst auch agiler Kompetenzen bedarf, um Agilität im Unternehmen fördern zu können. Durch die Umsetzung des Modells wird das HRM selbst zum „(…) Objekt der zunehmenden Agilität in Unternehmen“ (Kaiser, 2019, S. 31). Um eine Beidhändigkeit von Agilität und Innovation auf der einen Seite und die Begleitung traditioneller Prozesse auf der anderen Seite erfolgreich zu gewährleisten, sind strukturelle Anpassungen nötig. Dabei wird das agile HRM räumlich und strukturell vom traditionellen HRM getrennt (Kaiser, 2019).

Beim beidhändigen Personalmanagementansatz von Kaiser und Kozica (2018, S. 266 f.) werden zwei Lösungsansätze kombiniert, um einerseits HR-Innovationen durch neue Arbeitsweisen, Praktiken und Instrumente zu fördern, andererseits aber die HR-Basisaufgaben mit hoher Qualität zu erledigen. Die Notwendigkeit zur Innovation ergibt sich dabei aus den Bedürfnissen der Mitarbeitenden, neuen Technologien oder aus der gesellschaftlichen Entwicklung. Der Ansatz setzt wie im Modell von Kaiser auf eine Trennung von traditioneller und agiler Sphäre, die sich in einer gesonderten HR-Einheit für Innovation und in einer zeitlichen Abgrenzung von Stabilitäts- und Innovationsphasen niederschlägt.

Im dualen Betriebssystemansatz (Grabmeier, 2018) wird davon ausgegangen, dass stabile und etablierte Unternehmen dazu neigen, träge zu werden. Sie können nicht mehr flexibel auf Chancen und Risiken reagieren und verlieren dadurch einen Teil ihrer Wettbewerbsfähigkeit (Grabmeier, 2018, S. 408, S. 410 ff.). Dem soll durch ein sogenanntes „zweites Betriebssystem“ entgegengewirkt werden, das Platz für Innovation und Agilität schafft und das erste Betriebssystem für etablierte Prozesse und Strukturen überlagert. Auf eine räumliche Trennung der beiden Handlungsperspektiven wird hier also verzichtet. Ein solches duales Betriebssystem kann in einer Organisation auch als „Schattenorganisation“ existieren, ohne dass die Führung sich dessen bewusst ist. Ein duales Betriebssystem kann auch für das HRM entwickelt werden. So könnte etwa ein modernes Shared Service Center den klassischen effizienz- und qualitätsorientierten HRM-Bereich abdecken. Hier geht es vor allem um Nutzung von Möglichkeiten der Digitalisierung und Automatisierung zur Effizienzsteigerung und Prozessoptimierung und weniger um „echte“ Innovationen. Eine agile HRM-Einheit hingegen könnte für die Entwicklung und das Ausprobieren von neuen agilen Methoden und Denkweisen verantwortlich sein. Sie agiert als kundenfokussierte Schnittstelle zwischen den Wünschen der Mitarbeitenden und den Agilitätsanforderungen des Unternehmens (Grabmeier, 2018, S. 413). Für den Erfolg des dualen Betriebssystems ist es von zentraler Bedeutung, dass die Prozesse und Tools des klassischen HRM zu den neuen Methoden des agilen HRM passen. Die Basis hierfür ist eine weitreichende Digitalisierung, die die Messbarkeit der HR-Leistungen verbessert, Innovationen fördert und eine Übergabe von HR-Aufgaben an die Linie ermöglicht (Grabmeier, 2018, S. 413 f.).

Ein weiterer Ansatz für ein agiles HRM ist das Agile EDGEllence Model von Fischer und Häusling (2018). Ein Fokus der HR-Strategie liegt in diesem Ansatz auf einer ausgeprägten Kundenorientierung des HRM, was nicht nur die internen Kunden einbezieht, sondern auch die Wertschaffung für die Endkunden, die ein Produkt oder eine Dienstleistung des Unternehmens kaufen. Ein weiterer Fokus der HR-Strategie ist die Mitarbeitendenorientierung im Sinne einer Förderung von Selbstverantwortung und Selbstorganisation durch eine entsprechende Ausgestaltung der Rahmenbedingungen (Fischer & Häusling, 2018, S. 434 f.). Die Umsetzung einer kunden- und mitarbeitendenbezogenen Strategie macht eine radikale Veränderung der HR-Strukturen erforderlich. Die Bereiche Unternehmensentwicklung, Organisationsentwicklung und HRM, respektive die Personalentwicklung, werden in diesem Modell miteinander zu einem „Transformation Center“ verschmolzen (Fischer & Häusling, 2018, S. 436). Im Transformation Center werden die Prozesse transparent gestaltet und eng sowie partizipativ mit den Businessbereichen abgestimmt. Die Arbeitsweise und der Fokus im Transformation Center basieren auf den agilen Prinzipien, und es wird mit agilen Methoden gearbeitet. Das Ziel ist das Erreichen der strategischen Ziele und somit eine größtmögliche Kunden- und Mitarbeitendenzentrierung (Fischer & Häusling, 2018, S. 437). Das Transformation Center ist verantwortlich dafür, den Mitarbeitenden die richtigen kollaborativen Tools bereitzustellen und Methoden zu vermitteln. Im Modell werden fünf Rollen unterschieden, die das HRM künftig wahrnehmen sollte: Transformation Enabler, Cultural Developer, Service Deliverer, Business Enabler und HR-Empowerment Leader (Fischer & Häusling, 2018, S. 440 ff.). „Transformation Enabler“ setzen sich kontinuierlich mit den Erfordernissen einer agilen Transformation auseinander und ermöglichen und unterstützen diese (Fischer & Häusling, 2018, S. 440 f.). „Cultural Developers“ sind für die Entwicklung einer agilen Unternehmenskultur zuständig, die den Kunden- und Mitarbeitendenfokus zusammenführt. Sie fördern die Bildung einer Vertrauenskultur, schaffen den Rahmen für kontinuierliches Lernen, ermöglichen Partizipation und kreieren kollaborative Arbeitswelten (Fischer & Häusling, 2018, S. 442 f.). Die Führungskräfte eines Transformation Centers werden als „HR-Empowerment Leader“ bezeichnet. Sie geben als Expertinnen und Experten Orientierung, befähigen Teams und Mitarbeitende zu agilem Arbeiten und schaffen die Rahmenbedingungen für selbstorganisiertes Arbeiten (Häusling et al., 2019, S. 443 f.). Die bisherigen HR Business Partner werden im Modell neu dezentral geführt und sind mit unveränderter Aufgabenstellung als „Business Enabler“ direkt der Linie unterstellt (Fischer & Häusling, 2018, S. 436). Die Aufgabenstellung der Shared Service Center bleibt im Prinzip unverändert, Prozessautomatisierungen und -optimierungen stehen aber vermehrt im Mittelpunkt, und die Rolle der Mitarbeitenden wird als „Service Deliverer“ bezeichnet.

Das Modell von Trost für ein agiles HRM (2018b, S. 359 ff.) geht von der Prämisse aus, dass heute vermehrt der Wunsch geäußert wird, HR-Aufgaben im Wesentlichen in die Linie zurückzuverlagern und lediglich reine Personaladministrationstätigkeiten im HR-Bereich oder extern zu erledigen. Das Modell basiert auf dem Drei-Säulen-Modell von Ulrich und beschreibt zwei Faktoren, die für die Gestaltung eines modernen HRM zentral sind: die soziale Dynamik, die bei der Zusammenarbeit von Menschen stets wirksam wird, und die sachliche Komplexität. HR-Themen, bei denen die soziale Dynamik essenziell ist, werden am Ort des Geschehens, das heißt in der Linie verortet, während komplexe Fachaufgaben von HR-Experten wahrgenommen werden sollten. HR-spezifische Aufgaben, die einen mehrheitlich administrativen Charakter, eine geringe soziale Dynamik und sachliche Komplexität haben, werden im Service Center zusammengefasst und dort möglichst umfassend digitalisiert und automatisiert oder externalisiert. Ist eine hohe sachliche Komplexität gegeben, jedoch die soziale Dynamik gering, kommt ein HR-Expertennetzwerk zum Einsatz. Im Gegensatz zum Center of Expertise des Drei-Säulen-Modells von Ulrich besteht das Expertennetzwerk jedoch nicht aus einer geschlossenen Einheit, sondern ist quer über das Unternehmen verteilt und gegebenenfalls auch extern zu verorten. HR-spezifische Aufgaben, die eine hohe soziale Dynamik, aber nur eine geringe sachliche Komplexität aufweisen, können von der Linie wahrgenommen werden. Bei Aufgabenstellungen mit hoher sozialer Dynamik und sachlicher Komplexität werden interdisziplinäre Projektgruppen zusammengestellt. Für den Fall einer vollständigen Auflösung des HR-Bereichs im engeren Sinne sieht Trost die Benennung eines „HR-Kurators“, der die Aufgabe hätte, Projektgruppen, Netzwerke, externe Mitarbeitende, Ansprüche der Linie und eingekaufte HR-Dienstleistungen für das gesamte Unternehmen zu koordinieren.

Im HR-Netzwerk-Ansatz von Mölleney et al. (Arizzoli et al., 2015) soll das HRM durch Netzwerkstrukturen stärker in das Tagesgeschäft eingebunden werden und somit rascher und effektiver auf Veränderungen reagieren. Zu diesem Zweck werden sogenannte Netzwerkexperten mit HR-Funktion in die Linie integriert. Ein oder mehrere zentrale Netzwerkpartner stehen den Netzwerkexperten zur Verfügung und koordinieren diese. Das Modell lässt offen, ob die HR-Services stark standardisiert im Unternehmen stattfinden oder ausgelagert werden sollten (Bösch & Mölleney, 2018, S. 115 ff.).

Enge Bezüge zum Modell von Trost und zum HR-Netzwerk-Ansatz weist das Modell der Resourceful Humans von Fischer auf (vgl. dazu auch Fischer & Maus, 2016). Das HRM im klassischen Sinne wird hier ganz abgeschafft und die HR-Verantwortung an die Linie übergeben. Die neuen bisherigen Human Resources werden als „Resourceful Humans“ bezeichnet, bei denen es sich um gut informierte, willige und fähige Mitarbeitende handelt, die eine starke intrinsische Motivation aufweisen. Selbstbestimmung und Selbstorganisation soll diesen Mitarbeitenden Höchstleistungen ermöglichen. Sämtliche HR-Prozesse, auch das Recruiting oder die Personalentwicklung, werden in der Linie realisiert. Für administrative und standardisierte Prozesse ist nach wie vor ein HR-Servicecenter vorgesehen, das aber extern ausgelagert wird. Als einzige im Unternehmen vorhandene HR-Funktion wird eine „HR Enabling Change Force“ angeführt, die für Transformationsaufgaben zuständig ist (Bösch & Mölleney, 2018, S. 121 ff.).

Aus einer Kombination des Drei-Säulen-Modells von Ulrich, der HR-Netzwerkorganisation und dem Resourceful-Humans-Ansatz haben Bösch und Mölleney (2018) das Modell „Transformational HRM“ entwickelt (vgl. dazu Abb. 11.4). Das Modell geht davon aus, dass dezentrale Einheiten geschaffen werden, die HR-Aufgaben in der Linie übernehmen. Die dezentralen Einheiten werden als „Personalverantwortliche“ bezeichnet. Für die Personalverantwortlichen gibt es sogenannte „Netzwerkpartner“ im „Solution Center“. Das Solution Center ist für die Optimierung von HR-Kernprozessen und die Unterstützung der Relationship Manager zuständig. Weitere Modellkomponenten sind die Governance, das Relationship Management und das Entwicklungscenter. Die „Governance“ steht für das Leitungsteam des HRM. Das „Relationship Management“ wirkt als Bindeglied zwischen der Governance und den Businessbereichen. Das Entwicklungscenter arbeitet hauptsächlich projektorientiert und besteht aus einem Netzwerk von verschiedenen unternehmensinternen Funktionen aus dem Business, dem HRM und externen Spezialisten. Im Entwicklungscenter findet HR-Innovation statt, und die Transformation sowie die Entwicklung neuer HR-Produkte und Leistungen werden vorangetrieben. Auch hier gibt es wieder ein HR-Servicecenter, welches für die administrativen und standardisierten HR-Prozesse zuständig ist. Das Modell lässt wiederum offen, ob der Bereich intern organisiert oder ausgelagert wird (Bösch & Mölleney, 2018, S. 149 ff.).

Abb. 11.4
figure 4

Modell Transformational HRM nach Bösch und Mölleney. (Quelle: hrtoday.ch, 2017)

Zwischenfazit

Das Wort „Agilität“ im unternehmerischen Kontext umfasst einerseits Methoden und Frameworks, andererseits eine Denkweise, die von bestimmten Grundsätzen und Prinzipien ausgeht, wie sie im agilen Manifest festgehalten sind. Grundsätzlich geht es in agilen Organisationen immer darum, schnell zu reagieren und sich kontinuierlich und möglichst besser als andere Umweltveränderungen anpassen zu können. Diese Perspektive ist in hohem Maße kompatibel mit dem Aufbau resilienter Unternehmen, die auch mit kritischen Umweltveränderungen erfolgreich umgehen können. Scheller (2017) betont in Übereinstimmung mit dem agilen Manifest die zentrale Bedeutung einer agilen Denkweise, die wichtiger ist als die bloße Anwendung von agilen Methoden und Prinzipien. Individuen und Interaktionen stehen also über Prozessen und Werkzeugen, aber deren Anwendung ist eine logische Konsequenz des agilen Denkens und Handelns. Agile Frameworks helfen, Arbeitsabläufe oder Strukturen zu organisieren. Agile Methoden und Frameworks haben klare Regeln und Definitionen und benötigen ein hohes Maß an Koordination und Disziplin. Agiles Arbeiten ist durch iteratives Vorgehen und die Realisierung schneller Ergebnisse und Prototypen gekennzeichnet (z. B. Scrum, Design Thinking). Weitere Merkmale agilen Arbeitens sind ein ausgeprägter Kundenfokus und das regelmäßige Reflektieren und Hinterfragen der Ziele. Selbstorganisation, flache Hierarchien und Transparenz sind Leitprinzipien einer agilen Strukturgestaltung.

Ein Unternehmen muss nicht zwingend durchgängig agil werden, sondern nur dort, wo und in dem Ausmaß, wie es aufgrund der Umweltveränderungen erforderlich wird. Bei Unternehmen, die sich in einem komplexen Umfeld (VUCA) bewegen, liegt eine ganzheitliche Transformation hin zu einer agilen Organisation nahe. Je nachdem, wie umfassend Prozesse, Strukturen, Strategien, Kultur, Führung und Human Resources auf Agilität hin ausgerichtet sind, lassen sich Reifegrade der Agilität unterscheiden. Agile Unternehmen orientieren sich in ihrer Unternehmensstrategie mit an den agilen Prinzipien und versuchen, Agilität durch eine Lern- und Fehlerkultur zu fördern. Von zentraler Bedeutung sind hierbei die Führungskräfte, die Entscheidungskompetenzen und Macht abgeben müssen und als Coach und Unterstützer ihrer Mitarbeitenden wirken. Bei den Führungskräften und Mitarbeitenden sind neue Kompetenzen gefordert, die vielfach erst noch entwickelt werden müssen. In dem Zusammenhang kommt dem HRM eine besondere Bedeutung zu. Es sollte eine Vorbildfunktion wahrnehmen, agile Werte vorleben und die Transformation von Arbeitswelt und Unternehmenskultur in Übereinstimmung mit den Anforderungen aus anderen trendhaften Veränderungen (demografische Veränderungen, Wertewandel, Digitalisierung etc.) initiieren und unterstützen. Um erforderliche Agilität im Unternehmen zu fördern, muss das HRM einerseits die richtigen potenziellen neuen Mitarbeitenden ansprechen, die Kultur, das Führungsmodell und Mitarbeitende entwickeln und die agile Transformation so unterstützen. Andererseits muss es selbst umsetzen, was es von anderen verlangt. Das HRM selbst sollte agile Strukturen und Prozesse einführen und sich durch ein agiles Mindset auszeichnen. Die besondere Herausforderung dabei ist, gleichzeitig mit der Agilisierung des HRM Stabilitätsbedürfnissen in Verbindung mit standardisierten HR-Prozessen gerecht zu werden. Hierfür wurde eine Reihe von Modellen im Sinne von Lösungsansätzen für eine situationsgerechte Agilisierung des HRM angeführt.

Generell gehen alle Ansätze eines zukünftigen und agilen HRM von einer starken Digitalisierung und Automatisierung der HR-Standardprozesse aus. In allen Modellen sind Shared-Service-Einheiten für die Standardprozesse vorgesehen, die allerdings auch ausgelagert werden können. Allen Modellen zur Implementierung eines agilen HRM gemein ist ferner eine zunehmende Verlagerung von HR-Aufgaben in die Linie. Auf dieser Grundlage soll in einem nächsten Schritt ein eigenes Modell für ein agiles HRM konzipiert werden, das als Grundlage für die empirische Analyse herangezogen wird.

11.2.3 Modellentwicklung

Die Abb. 11.5 gibt auf Basis der bisherigen Ausführungen im Sinne einer Integration der aufgezeigten Ansätze einen Überblick über wesentliche Komponenten und Wechselwirkungen eines agilen Human Resource Managements, das die Entwicklung von Unternehmen hin zu nachhaltig wettbewerbsfähigen agilen und resilienten Organisationen fördert.

Abb. 11.5
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Struktur- und Wirkungsmodell für ein agiles Human Resource Management. (Quelle: eigene Darstellung)

Basierend auf dem Modell des Dualen Betriebssystems von Grabmeier (2018) und dem EDGEllence-Model von Fischer und Häusling (2018) wird, ähnlich wie im Ansatz von Kaiser und Kozica (2018), im dargestellten Struktur- und Wirkungsmodell für ein agiles HRM ein eigenständiger Bereich „HR-Innovation Lab“ angeführt, der HR-seitig federführend Impulse für eine agile Transformation und die Entwicklung einer agilen Unternehmenskultur geben soll. Im HR-Innovation Lab sollten die Mitarbeitenden selbst über ein hohes agiles Mindset verfügen, denn diese sind einerseits dafür zuständig, die Entwicklung des Unternehmens, der Mitarbeitenden sowie der Führung und Kultur in Richtung Agilität voranzubringen, andererseits sollen in dieser Einheit aber auch Erfahrungen mit neuen Tools und agilen Methoden gesammelt und Tools und Prozesse für die Shared Services fortlaufend optimiert werden. Das HR-Innovation Lab steht in einem kontinuierlichen Austausch mit der Linie und der Shared-Services-Einheit. Denkbar und wünschenswert wäre die Mitwirkung von Mitarbeitenden anderer HR-Bereiche oder der Linie im HR-Innovation Lab, um die Anbindung an bestehende Businessprozesse sicherzustellen.

Einigkeit besteht in der Literatur darüber, dass Shared Services auch in agilen Organisationen erforderlich sind, um die Effizienz von Standardprozessen zu gewährleisten. Dies wurde im vorliegenden Organisationsmodell berücksichtigt. Die Shared Services können prinzipiell, wie in der Modelldarstellung abgebildet, im Unternehmen selbst verankert, aber auch an einen externen Dienstleister ausgelagert werden. Die Shared-Services-Einheit steht hinsichtlich Services wie Vertragserstellungen, Payroll etc. im ständigen Austausch mit dem HR-Innovation Lab sowie den Mitarbeitenden und Führungskräften der Linie.

Die Personalverantwortlichen sind in der Linie als HR-Generalisten resp. HR Business Partner tätig, um die Linienverantwortlichen bei HR-Aufgaben mit hoher sozialer Dynamik zu unterstützen. Gemäß den agilen Prinzipien der Selbstorganisation macht es Sinn, der Linie entsprechende HR-spezifische Entscheidungen weitestgehend selbst zu überlassen.

Ein HR-Koordinator stimmt die Bestandteile des Struktur- und Wirkungsmodells aufeinander ab. Er oder sie fungiert als eine Art HR-Bereichsleiter/in, agiert jedoch gemäß agiler Prinzipien nicht als hierarchische Führungsperson, sondern als Coach. Er oder sie ist ferner auch Ansprechperson für die Linie bei besonderen Personalangelegenheiten und tritt als Vermittler bei Problemkonstellationen auf. Ein HR-Koordinator verfügt idealerweise über ein breites internes und externes Netzwerk.

Transformationsprozesse und die Beschaffung, Entwicklung und Einführung von neuen Tools oder Methoden werden analog zu anderen Strukturmodellen (vgl. z. B. Trost, 2018a, 2018b) in interdisziplinären Projekten organisiert. Gemäß den agilen Prinzipien macht dies Sinn, um die Nähe zum Business und zum Kunden zu stärken und Entscheidungen subsidiär zu delegieren. Die Projektgruppen setzen sich bedarfsabhängig aus Mitarbeitenden des HR-Innovation Labs, Linienvertretenden, Shared-Services-Mitarbeitenden und externen Expertinnen und Experten zusammen. Das Initiieren von Projekten kann aus allen Einheiten heraus angestoßen werden, die Projektkoordination erfolgt aber stets über das HR-Innovation Lab.

11.3 Empirische Untersuchung

Auf Grundlage des entwickelten theoretischen Rahmens wurde eine eigene empirische Untersuchung zum Grundzusammenhang von Agilität und HRM durchgeführt. Diese zielt auf die Beantwortung der drei Forschungsfragen nach dem Gegenstand und der umweltbezogenen Einbettung von Agilität, nach den Unterstützungsoptionen des HRM für Agilität sowie nach den Agilisierungsoptionen des HRM selbst ab. Das methodische Vorgehen und die Ergebnisse der Analyse werden nachfolgend angeführt und reflektiert.

11.3.1 Methodisches Vorgehen

Generell lassen sich zwei Methoden zur Beantwortung von Forschungsfragen bei empirischen Untersuchungen unterscheiden. Anhand quantitativer Methoden können statistische Zusammenhänge überprüft, aufgestellte Hypothesen getestet und Sachverhalte objektiv quantifiziert werden. Qualitative Methoden hingegen sind geeignet, um Zusammenhänge zu beschreiben, Hypothesen zu bilden und Sachverhalte zu verstehen und zu interpretieren (Balzert et al., 2013, S. 76). Angesichts der Offenheit der Fragestellungen und des Ziels, neue Erkenntnisse zu gewinnen, wurde bei der Untersuchung ein induktives Vorgehen auf Basis eines qualitativen Forschungsansatzes zugrunde gelegt (vgl. dazu Balzert et al., 2013, S. 268; Hussy et al., 2013, S. 191). Als Erhebungsmethode wurde das Interview gewählt, denn durch offene Interviews können persönliche Meinungen und emotionale Äußerungen, die bisher noch nicht erfasst wurden, geliefert werden (Balzert et al., 2013, S. 279), was bei der gegebenen Thematik besonders wichtig erscheint. Für die Interviews wurden für die ausgewählten HRM- und Agilitätsexpertinnen und -experten zwei Leitfäden mit offenen Fragestellungen erstellt, um eine bestmögliche Vergleichbarkeit der Ergebnisse zu gewährleisten. Die Leitfäden wurden zunächst auf Grundlage eines Pretests und anschließend nach den ersten zwei Interviews optimiert. Der Ablauf der Interviews erfolgte halbstrukturiert, das heißt, die Fragen wurden nicht zwingend in der vorgegebenen Reihenfolge gestellt, sondern situativ auch abweichend hiervon, um eine gute und offene Gesprächsatmosphäre zu gewährleisten (Hussy et al., 2013, S. 225).

Interviewt werden sollten Expertinnen und Experten für das HRM und für Agilität mit relevanten Unternehmensfunktionen (Fach- oder Führungskader und Spezialisten). In die engere Auswahl potenzieller Unternehmen, die für die Untersuchung infrage kommen, wurden Unternehmen in der Deutschschweiz berücksichtigt, die als innovativ gelten und bei denen zu vermuten war, dass sie bereits mit agilen Methoden und Konzepten vertraut sind. Es konnten insgesamt neun Expertinnen und Experten für Interviews gewonnen werden, drei davon mit Agilitäts- und sechs mit HRM-Fokus. Die genaue Zusammensetzung der Stichprobe ist Tab. 11.2 entnehmbar.

Tab. 11.2 Zusammensetzung der Stichprobe für die Experteninterviews. (Quelle: eigene Darstellung)

Nach den Interviewdurchführungen im Frühling 2020 wurden die Audiodateien auf Basis definierter Transkriptionsregeln wörtlich transkribiert. Die transkribierten Interviews wurden im Programm „Atlas.ti“ codiert. Die Codes wurden gemäß den Leitfragen in den Leitfadeninterviews definiert. Die Codes mit den jeweiligen Zitaten wurden anhand eines Codeberichts aus Atlas.ti exportiert und vertiefend analysiert.

11.3.2 Ergebnisse

Nachfolgend werden die wichtigsten Resultate der empirischen Analyse zusammengefasst.

Agilitätsbegriff und -trend

Die Befragten definieren Agilität auf unterschiedliche Weise. Alle Begriffsverständnisse setzen jedoch an den in der Literatur identifizierten agilen Werten und Grundsätzen an. Dementsprechend wurden die agilen Werte und das agile Mindset oft zur Charakterisierung des Agilitätsbegriffs angeführt. Weitere Aspekte, die immer wieder im Agilitätskontext genannt wurden, sind die Kundenorientierung und Anpassungsfähigkeit oder das iterative Arbeiten in kurzen Zyklen sowie das systematische Reflektieren von Sachverhalten.

Agilität wird seitens der Interviewpartnerinnen und -partner nicht nur als Trend gesehen, sondern mehrheitlich als etwas beschrieben, was schon länger existiert und auch bleiben wird. Das Wort „Agilität“ an sich könne zwar gegebenenfalls als Trendbegriff bezeichnet werden, aber die dahinterstehenden Prinzipien und Grundsätze würden auf Dauer fortbestehen, unter anderem auch aufgrund des mit ihnen verbundenen Menschenbilds und veränderter Anforderungen an die Zusammenarbeit in Unternehmen (Swisscom HRM, 2020; Swisscom Agile, 2020). Dies schließt aber eine Modifikation der Grundsätze im Zeitablauf im Sinne von Korrekturen von Fehlentwicklungen und eine Veränderung von Frameworks und von Mixkonstellationen nicht aus (Baloise HRM, 2020; Mobiliar HRM, 2020).

„Es (Agilität – Anm. d. Verf.) ist kein Trend im Sinne, dass es wieder weggeht. Die komplexe Welt wird die Zukunft sein. Deshalb wird es an Bedeutung gewinnen.“ (SBB Agile, 2020)

Agilität unterstützen

Die Expertinnen und Experten wurden im Kontext der Agilitätsthematik gefragt, was sie unter einem modernen HRM verstehen. Die Frage lässt viel Spielraum offen und wurde dementsprechend auch breit beantwortet. So wurde etwa erwähnt, dass sich ein modernes HRM um die Arbeitgeberattraktivität und die Präsentation des Unternehmens aus Arbeitnehmersicht kümmern sollte (Post HRM, 2020). Ferner wurde auch angeführt, dass sich ein modernes HRM stark am Business orientieren und eine verstärkte Kundenorientierung aufbringen muss (Baloise HRM, 2020; Postfinance HRM, 2020). Ein modernes HRM sollte sich damit auseinandersetzen, wo es überhaupt gebraucht wird und das Business bestmöglich unterstützen kann (Swisscom HRM, 2020).

„Es gibt Personalbereiche, die sind nur auf Prozesse aus und versuchen, alles mit Prozessen im Griff zu haben, indem sie Polizist spielen. Das ist nicht modern. HR muss sich überlegen, welchen Beitrag es an der Strategieumsetzung leisten kann und welches Kunden- und Mitarbeitererlebnis generiert werden soll. Auch muss sich HR überlegen, welche Hindernisse es aus dem Weg räumen kann, damit das Business seinen Job machen kann und die Endkunden am besten davon profitieren. ...Es sollte auch die radikale Frage gestellt werden, wo es HRM noch braucht und wo nicht.“ (Swisscom HRM, 2020)

Agile Teams erwarten vom HRM laut den Expertinnen und Experten unter anderem, dass sich das HRM mit ihren Themen auseinandersetzt, um sie optimal zu unterstützen (Postfinance Agile, 2020; Baloise HRM, 2020; Swisscom HRM, 2020). Dazu gehört eine hohe Kundenorientierung und die Bereitschaft, Dinge zu hinterfragen (Baloise HRM, 2020). Auch erwarteten agile Teams, dass das HRM Hindernisse aus dem Weg räume und seine eigenen Funktionen hinterfrage (Swisscom HRM, 2020). Ferner sollte das HRM das Lernen im Unternehmen ermöglichen, um das gemeinsame Bild und Verständnis zu unterstützen (Post HRM, 2020). Auch die konzeptionelle Themenaufbereitung und -umsetzung durch das HRM wird im Agilitätszusammenhang als wichtig angesehen (Mobiliar HRM, 2020).

„Agile Teams erwarten (vom HRM – Anm. d. Verf.) das, was sie auch von sich selbst erwarten: Kundenorientierung, Bereitschaft, die Sachen zu hinterfragen und immer wieder zu schauen, wo man steht, und was man als nächstes machen kann. (…) Durch die Selbstorganisation können schwierige Situationen entstehen. Deshalb können Mediationen und Moderationen eher nötig werden.“ (Baloise HRM, 2020)

Die Agilitätsexperten wurden befragt, wie sie einen Bereich oder ein Team agil machen würden. Diesbezüglich stehen für alle Experten die Werte und Kultur im Vordergrund. Es sollte immer zunächst überlegt werden, wo ein Team steht (Postfinance Agile, 2020), was Agilität bedeute, und was mir ihr erreicht werden soll (Swisscom Agile, 2020). Hindernisse sollten dann Stück für Stück aus dem Weg geräumt und eine Kultur mit agilen Werten geschaffen werden (Postfinance Agile, 2020). Von besonderer Bedeutung dabei seien die Führung sowie bestimmte Praktiken wie Retrospektiven oder Kanban, um Teams agiler zu machen (SBB Agile, 2020; Swisscom Agile, 2020).

„Schauen, wo man heute steht, und den heutigen Stand würdigen ist sehr wichtig. Schauen, was am meisten Schmerzen verursacht, und das Stück für Stück aus dem Weg räumen. (…) Häufig ist es nötig, Transparenz zu schaffen, zu schauen, was überhaupt alles an Arbeit da ist. Die Rahmenbedingungen sind so zu verändern, dass sich die Mitarbeitenden entfalten können. (…) Eine Kultur von Offenheit, Transparenz, Innovation und Neugierde schaffen.“ (Postfinance Agile, 2020)

Die Befragten sind sich einig, dass mit agilen Teams ein anderer Umgang nötig ist als mit traditionell organisierten Einheiten. So erwarteten agile Teams beispielsweise eine individuellere Betreuung durch das HRM (Baloise HRM, 2020). Dies komme unter anderem in der Rekrutierung von neuen Mitarbeitenden zum Vorschein, bei der das ganze Team in den Prozess einbezogen wird (Postfinance HRM, 2020). Auch die Ziele seien ein Thema. Da agile Teams grundsätzlich mehr Selbstverantwortung haben, wird erwartet, dass die Ziele nicht von oben nach unten festgelegt und kommuniziert werden (Postfinance HRM, 2020). Agile Teams haben laut SBB Agile (2020) zudem mehr Entwicklungsthemen, welche das HRM unterstützen muss. Es stellen sich ferner auch arbeitsrechtliche Fragen in der Rollenverteilung, der Entscheidung über disziplinarische Fragestellungen und damit zusammenhängende systemtechnische Fragen bezüglich der Verantwortlichkeiten und Adressaten von Workflows (Post HRM, 2020).

„HR muss sich damit auseinandersetzen, was Agilität und agile Zusammenarbeitsformen wirklich bedeuten. Ein professionelles HRM muss selber mit diesen Methoden arbeiten, diese kennenlernen und sich damit auseinandersetzen. HR muss selbst anfangen, sich zu hinterfragen.“ (Swisscom HRM, 2020)

Die Interviewten wiesen darauf hin, dass durchaus ein Konfliktpotenzial entstehen könne, wenn Agilität und Tradition aufeinandertreffen. So könne es zum Beispiel schwierig sein, wenn Mitarbeitende, die zusammenarbeiten, über ein komplett unterschiedliches Mindset verfügen (Swisscom Agile, 2020). Außerdem seien der Takt und die Vorgehensweise bei traditionellem und agilem Arbeiten unterschiedlich, was zu Problemen bei der Termintreue führen kann (Postfinance HRM, 2020; Swisscom Agile, 2020). Kommunikation, gegenseitiges Verständnis und das Klären der Zusammenarbeit wird beim Zusammentreffen von agilen und traditionellen Welten somit umso wichtiger (Postfinance HRM, 2020). Probleme könnten auch dann entstehen, wenn Mitarbeitende grundsätzlich selbstverantwortlich sein wollten, jedoch bei Problemen wieder die Hierarchie reaktivierten (Post HRM, 2020).

„Wenn ein Team agil arbeitet und ein anderes nicht, dann haben die einen ganz anderen Takt und andere Vorgehensweisen. Die Kommunikation und die gegenseitige Verständlichkeit können so schwierig sein. Das Problem ist der Perspektivenwechsel und das gegenseitige Verständnis. Dort ist Kommunikation das A und O, dass man darüber spricht, wie man zusammenarbeiten will.“ (Postfinance HRM, 2020)

Die Expertinnen und Experten beschrieben diverse Veränderungen, welche sie im HRM in Verbindung mit Agilität beobachtet und miterlebt haben. Ein Thema, welches dabei von mehreren Befragten angesprochen wurde, ist die Zentralisierung resp. Dezentralisierung des HRM. Während Swisscom Agile (2020) und Postfinance HRM (2020) auf Dezentralisierungstendenzen hinwiesen, wurde bei der Post in den letzten Jahren vermehrt zentralisiert (Post HRM, 2020). Offenbar haben sich in den Unternehmen in den vergangenen Jahren vor allem auch die Rekrutierungsprozesse verändert und die Wichtigkeit des Personalmarketings zugenommen (Baloise HRM, 2020). Zudem wurde dem HRM vermehrt eine beratende Rolle zugewiesen, und die Aufgaben bei der Unterstützung von Entwicklungsthemen hätten zugenommen (SBB Agile, 2020; Mobiliar HRM, 2020). Ähnlich wurden die Veränderungen auch für die Bern Expo beschrieben, bei der neben dem HR-Kerngeschäft das sogenannte „zweite HRM“ die Rolle eines Kulturmanagers übernommen habe (Bern Expo HRM, 2020).

„Heutzutage muss man als HR individualisierter betreuen. Zum Beispiel in der Rekrutierung gibt es Teams, welche gemeinsam rekrutieren oder zuerst einen Austausch per Video haben wollen. (…) Eine Führungskraft führt jetzt schon mal bis zu 80 Leute und ist damit schon fast eine HR-Expertin, obwohl sie in der Linie ist. Das gibt eine andere Art von Betreuung. Viel mehr Changebegleitungen, Organisationsentwicklungen, Mitarbeiten in Projekten der Linie. (…) Die Bereiche Customer Experience, Employer Experience und Rekrutierung haben sich extrem gewandelt. Man versucht viel mehr, die Leute für die Firma zu begeistern.“ (Baloise HRM, 2020)

„Man muss jetzt effizienter arbeiten. Es gibt jetzt einfach zwei HR: Die einen sind die Kulturmanager, die schauen, dass die Kultur passt und die Leute sich wohl fühlen, und die anderen erledigen das Kerngeschäft des HR, also dass die Löhne ausbezahlt und bestimmte Regeln eingehalten werden. Das eine braucht eine ganz andere Person als das andere.“ (Bern Expo HRM, 2020)

Wie sich das HRM in Zukunft wohl verändern wird, wurde von den Befragten unterschiedlich skizziert. So sehen Baloise HRM (2020) und Mobiliar HRM (2020) das HRM zukünftig eher in einer agilen Form der Zusammenarbeit, bei welcher interdisziplinär und netzwerkartig zusammengearbeitet wird. Postfinance HRM (2020) führt hingegen an, dass das HRM in Zukunft noch mehr zum Trendsetter werden müsse, der die Trends auch selber vorlebt. Mobiliar HRM (2020) verweist auf die künftige Notwendigkeit, das HRM in einem Netzwerk viel dezentraler zu organisieren. Swisscom HRM (2020) betont, dass das HRM nach wie vor eine Consultingeinheit und gute Shared Services benötige.

„Man kann nicht mehr nur als reine Linienorganisation agieren. Man muss auch die Netzwerkorganisation oder agile Organisation bedienen und sich deshalb überlegen, wie man selbst arbeitet im HR. Man muss noch viel interdisziplinärer werden. Man könnte die Entwicklungsprojekte aus dem Business noch viel enger begleiten. Für die ganze Betreuung und Beratung in diesem Netzwerk könnte man noch viel dezentraler organisiert sein.“ (Mobiliar HRM, 2020)

Alle Expertinnen und Experten sind sich darin einig, dass das HR-Politikfeld Personalbeurteilung sich in einem agilen Umfeld verändert. Dabei stünden verschiedene Aspekte im Vordergrund. Unter anderem sollten Teamziele im agilen Umfeld mehr Gewicht erhalten als individuelle Ziele (SBB Agile, 2020; Mobiliar HRM, 2020). Auch wurde wiederholt eine erhöhte Führungsspanne erwähnt, da eine Führungskraft im agilen Umfeld für mehr Mitarbeitende verantwortlich sei. Dabei sei es schwierig, eine wertschätzende Beurteilung von oben nach unten vorzunehmen (Bern Expo HRM, 2020). Die Teammitglieder sollten sich aus Sicht einiger Befragter idealerweise gegenseitig beurteilen (Swisscom Agile, 2020; Postfinance Agile, 2020; SBB Agile, 2020; Mobiliar HRM, 2020). Zudem sollte ein Beurteilungsprozess in agilen Strukturen möglichst mehr als nur einmal im Jahr stattfinden (Swisscom HRM, 2020).

„Teamziele müssen viel höher gewichtet werden als individuelle Ziele. Persönliche Ziele sind in der Regel nur noch Entwicklungsziele. Letztendlich läuft die Beurteilung auf Peerfeedbackbasis.“ (SBB Agile, 2020)

„Wir versuchen nicht mehr, individuelle Ziele, sondern Teamziele zu vergeben. Das hat Einfluss auf das Vergütungssystem, indem individuelle Bonusse abgeschafft wurden, und es nur noch eine Erfolgsbeteiligung gibt. Vorgesetzte sind dazu angehalten, mit dem Mitarbeiter abzumachen, bei welchen Peers Feedback eingeholt wird. Die Aufgabe des Vorgesetzten ist es, nachher die Informationen zu sammeln und sich ein Bild zu machen, um den Mitarbeitenden in den nächsten Schritten seiner Entwicklung zu unterstützen.“ (Mobiliar HRM, 2020)

Bei der Beschreibung der Aufgaben der Personalentwicklung im Zusammenhang agiler Organisationen finden sich Parallelen zu den Einschätzungen bei der Personalbeurteilung. Die Personalentwicklung sollte laut Swisscom Agile (2020) und SBB Agile (2020) weniger hierarchisch getrieben, sondern mehr durch das Team geregelt sein. Personalentwicklung könne bereits in der Lehrlingsausbildung angegangen werden, indem die Lernenden daraufhin trainiert werden, mehr Selbstverantwortung zu übernehmen (Post HRM, 2020). Auch das Führungsverständnis müsse agilitätsspezifisch und der gewünschten Kultur entsprechend entwickelt werden (Post HRM, 2020; Mobiliar HRM, 2020). Dem „Learning on the Job“ komme im agilen Kontext jedoch eine deutlich wichtigere Funktion als bisher zu (Postfinance HRM, 2020).

„Man kann im Team mehr in den Personalentwicklungsteil gehen, indem aufgrund des Peerfeedbacks heraus gesagt wird, was noch gebraucht wird, um weiterzukommen, oder Maßnahmen vorgeschlagen werden. Auch Beförderungen können im Team besprochen werden, ....“ (SBB Agile, 2020)

„Die Frage ist, ob die Beurteilung im Team gemacht wird. Wird sie im Team gemacht, muss man sich fragen, ob dasselbe auch für die Entwicklung gilt; ob das Team eine Rückmeldung bezüglich Stärken und Schwächen gibt oder nur der Vorgesetzte, oder ob es einen speziellen Entwicklungscoach gibt.“ (Swisscom HRM, 2020)

Die Personalrekrutierung verändert sich aus Sicht aller Interviewten in die Richtung, dass das gesamte Team verstärkt in den zunehmend individualisierten Personalbeschaffungsprozess einbezogen wird respektive dafür verantwortlich ist. Es wurde in dem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass finanzielle Fragen nach wie vor durch die Vorgesetzten entschieden werden müssten, wenn eine vollständige Transparenz im Unternehmen nicht erwünscht sei (Swisscom Agile, 2020).

„Es wird versucht, die Teams zu befähigen, denn sie wissen am besten, was sie machen. Sie sollen das Inserat schreiben, die Lebensläufe anschauen, entscheiden, wer eingeladen wird, und die Interviews führen. Je nachdem, wie oft sie das schon gemacht haben, werden sie eng begleitet. Es soll nicht mehr so sein, dass ich als Chef verantwortlich dafür bin, dass das Team einen neuen Mitarbeitenden hat, sondern das Team soll dafür verantwortlich sein. Das große Thema dabei ist jedoch der Lohn. Wir haben keine Lohntransparenz. Das heißt, dass das Thema nicht ins Team gegeben werden kann, und die ganzen finanziellen Fragen bleiben weiterhin bei der Linie.“ (Swisscom Agile, 2020)

„Da es immer schwieriger wird, gute Leute zu finden, wird viel mehr in den Auftritt und das Image der Firma investiert. Die Rekrutierung ist nicht mehr ein Standardprozess, es wird immer individueller. Es gibt Teams, die wollen als Team eine Rekrutierung durchführen oder zuerst ein Videointerview machen. (…) Einerseits ist für die Kosten eine Standardisierung nötig, andererseits muss möglichst viel individuell gestaltet werden.“ (Baloise HRM, 2020)

Als zentrales Thema im Bereich der Personalvergütung wurde die individuelle Belohnung, also der Bonus, von den Befragten angeführt (Post HRM, 2020; Mobiliar HRM, 2020; Swisscom HRM, 2020). Von den Expertinnen und Experten wurde angemerkt, dass in agilen Organisationen individuelle Leistungen grundsätzlich nicht mehr finanziell belohnt werden sollten und somit neue Entgeltstrukturen gesucht werden müssten. Ein Problem dabei sei, dass im agilen Umfeld unterschiedliche Rollen durch dieselben Mitarbeitenden übernommen würden, die ursprünglich mit einer bestimmten Funktion angestellt wurden (Mobiliar HRM, 2020). Für das HRM könnte die Thematik aber künftig aufgrund der Verlagerung von Vergütungsfragen in die Linie an disziplinärer Relevanz verlieren (Postfinance HRM, 2020).

„Wir haben es abgeschafft, dass individuelle Leistung monetär abgegolten wird. Eine große Diskussion entsteht jetzt durch die Situation rund um Funktionen und Rollen. Wenn man in der Linie mit einer Funktion angestellt wurde, jetzt aber in der agilen Organisation verschiedene Rollen einnimmt, kann das stark differenzieren. Man muss überlegen, ob das einen Impact auf die Entlohnung haben soll. Das ist heute noch ungelöst. Man könnte zum Beispiel sagen, dass die Entlohnung dieselbe bleibt, weil man auch mit einer neuen Rolle immer noch dieselbe Ursprungsfunktion hat, oder dass, wenn eine Rolle übernommen wird, dies eine gewisse Zeitlang einen Einfluss auf den Lohn hat.“ (Mobiliar HRM, 2020)

„Es stellen sich die Fragen, wer über die Entlohnung entscheidet, ob es einen Teambonus gibt, ob es Prämien für Sonderleistungen gibt, und ob es überhaupt noch Sonderprämien für individuelle Leistungen geben darf.“ (Swisscom HRM, 2020)

Hinsichtlich geeigneter Rahmenbedingungen für Agilität gilt aus Sicht der Befragten grundsätzlich, dass man die Mitarbeitenden dazu bringt, dass sie agil sein wollen. Dabei scheint es zentral, dass die Kultur von Offenheit, Transparenz und Zusammenarbeit stimmt (Swisscom HRM, 2020). Eine Führungskraft, die das Team ermutigt und die entsprechende Kultur fördert, ist dabei wichtig. Das Team muss Handlungsspielraum und Bewegungsfreiheit haben (Postfinance Agile, 2020). Gemäß Postfinance HRM (2020) gibt es zwei Ausgangspositionen, aus denen ein agiles Arbeitsumfeld hervorgehen kann: Einerseits angestoßen durch agile Mitarbeitende, andererseits durch das Management, das dieses vorgibt. Dabei sei es aber in jedem Fall wichtig, dass das Team seine Ziele selbst formulieren kann, und Retrospektiven, also Teammeetings, in denen gemeinschaftlich vergangene Aktivitäten und Sachverhalte reflektiert werden, einführt (Postfinance HM, 2020).

„Es ist wichtig, dass die Leute wollen. Die Leute müssen abgeholt werden, den Mehrwert sehen, indem sie Neues lernen und sich weiterentwickeln können. Wichtig sind Werte und Kultur, wie die Zusammenarbeit ist, wie offen kommuniziert wird, und dass man Transparenz herstellt. Agilität soll nicht dem Selbstzweck dienen. Im Zentrum steht auch die Frage, was damit erreicht werden soll.“ (Swisscom Agile, 2020)

„Die Führungskraft muss die Leute ermutigen, Dinge auszuprobieren. Das Neue muss zugelassen werden. Es ist ein Kulturthema. Eine Kultur von Offenheit, Transparenz, Innovation und Neugierde muss entwickelt werden. Die Leute müssen befähigt und nicht abgestraft werden. Das Team muss Handlungsspielraum haben und sich bewegen können.“ (Postfinance Agile, 2020)

Die Agilitätsexperten sind sich einig darin, dass ein agiles Mindset wichtiger ist als agile Methoden. Dabei könnten auch die Methoden einen gewissen Mehrwert beisteuern, jedoch niemals so viel, wie wenn das entsprechende Mindset vorhanden sei (SBB Agile, 2020). Wenn das Mindset stimme, würden die Methoden folgen (Postfinance Agile, 2020). Methoden könnten wechseln und je nach Bereich unterschiedlich sein. Nur mit dem Mindset sei man in der Lage, die Methoden auch zu hinterfragen (Swisscom Agile, 2020).

„Eine Methodik einzusetzen bringt vielleicht ganz wenig Mehrwert, aber hat nie so viel Potenzial, wie wenn das Mindset stimmt. Auch wenn traditionelle Methoden eingesetzt werden, bringt ein mitarbeiterfokussierter Führungsstil, bei dem das lernende Team gefördert wird, bereits einen rechten Mehrwert.“ (SBB Agile, 2020)

Wird ein Team oder ein Bereich agil aufgestellt, sind gemäß den Befragten verschiedene Herausforderungen zu überwinden. Es könne zu Spannungen in Teams führen, da die Linienmanager weniger Einfluss ausüben könnten (Mobiliar HRM, 2020). Außerdem dürfe Agilität nicht konzeptlos und ohne Struktur gelebt werden (SBB Agile, 2020). Neben der erforderlichen Klärung arbeitsrechtlicher Fragen (Post HRM, 2020) müssten die Mitarbeitenden auch die agilen Werte leben wollen (Swisscom Agile, 2020). So könne es eine Herausforderung sein, dass das eigene Know-how nicht geteilt oder der Status quo zu wenig hinterfragt werde (Swisscom Agile, 2020). Für das HRM komme unter anderem das Drei-Säulen-Modell an seine Grenzen, da die Führungskraft in einer agilen Organisation nicht mehr die Zielgruppe des HRM darstelle (Mobiliar HRM, 2020). Bei Projekten gelte es ferner, neu zu definieren, woher die Finanzierung kommt (Swisscom HRM, 2020). Eine weitere Herausforderung bestehe darin, dass Spielregeln gefordert würden, die das HRM eventuell nicht erfüllen könne oder wolle, und dass die Führungsspanne für Wertschätzung zu hoch sei (Swisscom HRM, 2020). Es sei ferner möglich, dass Agilität nicht richtig umgesetzt werde und Mitarbeitende stattdessen in der Altwelt verhaften blieben. Auch eine Abkehr von der traditionellen Menschzentrierung des HRM wird für möglich gehalten (Bern Expo, 2020).

„Es stellen sich arbeitsrechtliche Fragen, wer hat die disziplinarische Rolle, wer entscheidet über Kündigung, Lohnfindung, Führsorgepflicht oder Überstunden. (…) Klassische SAP-Fragen wie, wer verantwortlich ist und die Workflows für ein Team kriegt.“ (Post HRM, 2020)

„Die Zusammenarbeit und die Selbstorganisation sind eine Herausforderung, denn aus einer stark hierarchischen Welt ist man gewohnt, dass der Chef den Auftrag gibt und ihn kontrolliert. (…) dass vergessen wird, die Spielregeln zu klären. (…) wenn es über eine lange Zeit hinweg zwei Teilwelten gibt, eine traditionelle und eine agile, die man bedienen muss.“ (Postfinance Agile, 2020)

Grundsätzlich sind sich die Expertinnen und Experten einig, dass die agilen Werte sowie gewisse Praktiken der Agilität für alle Bereiche sinnvoll sind. Agile Strukturen und agile Methoden werden jedoch nicht für alle Bereiche gleichermaßen als sinnvoll angesehen.

„Je unklarer es ist, was man erreichen will, desto mehr machen agile Arbeitsweisen Sinn. Wenn die Ziele klar sind, nimmt man lieber traditionelle Vorgehensweisen, wo man viel planen kann. Die agilen Werte würde ich sowieso allen empfehlen. Die Transparenz, das Verständnis, das Vertrauen ineinander und das Commitment zu zeigen bringt in allen Teams und überall etwas. Auch Retrospektiven würden sich in jedem Team auszahlen, egal ob ein Team agil arbeitet oder nicht.“ (Postfinance HRM, 2020)

„In einem Kontext, wo die Regeln unklar sind, hat Agilität vielleicht einen gewissen Mehrwert, aber die Welt ist recht berechenbar, und die Lösungen und Wege sind in der Regel klar. Dort ist Agilität nicht von riesigem Nutzen. Gewisse Komponenten wie ein agiles, positives Mindset oder den Leuten Verantwortung zu geben sind auch dort willkommen und förderlich.“ (SBB Agile, 2020)

Die Vorteile der Agilität kommen gemäß den Befragten unter anderem in einer verbesserten Zusammenarbeit, mehr Transparenz und einer offeneren Kommunikation zum Ausdruck (Swisscom Agile, 2020; Baloise HRM, 2020). Zudem werden Vorteile auch darin gesehen, dass besser und schneller auf Kundenbedürfnisse eingegangen werden kann (Postfinance Agile, 2020; Mobiliar HRM, 2020). Vorteil eines agilen HRM sei, dass agile Bedürfnisse aus der Linie besser verstanden werden können, und dass man sich über agile Rituale wieder mehr sehe (Bern Expo HRM, 2020). Außerdem würden Konflikte schneller aufgedeckt und der HR-Bereich durch seine Vorreiterrolle in ein anderes, positiveres Licht gerückt (SBB Agile, 2020).

„Die interdisziplinäre Ausrichtung bringt viele Vorteile, weil mit anderen Bereichen zusammen näher an Lösungen entwickelt wird, und man schneller auf Linienbedürfnisse eingehen kann.“ (Mobiliar HRM, 2020)

„Ein agiles HR kann die Bedürfnisse einer agilen Linie besser verstehen. (…) Agil arbeiten heißt wieder viel Präsenz, zueinander gehen, zusammen sprechen, morgendliche Rituale einführen. Das ist cool, wenn es richtig gemacht wird.“ (Bern Expo HRM, 2020)

Dass Agilität auch Nachteile haben kann, zeigen verschiedene Aussagen der Befragten. So habe der Wechsel von traditionellen zu agilen Arbeitsweisen beispielsweise auch Verlierer, wie bei jedem Change (Swisscom Agile, 2020; Postfinance Agile, 2020). Auch sei mit der Erreichung des Ziels einer agilen Organisation ein großer Aufwand verbunden (SBB Agile, 2020). Agilität könne sich bei einer falschen Auffassung zudem möglicherweise zum Chaos entwickeln (Postfinance HRM, 2020). In Krisensituationen könne Agilität gemäß Baloise HRM (2020) ferner eventuell zu viel Zeit beanspruchen. In Krisen würden schnelle Entscheidungen aus der Hierarchie gefordert. Agilität funktioniert nur, wenn Manager bereit sind, Macht abzugeben, was nicht unbedingt immer der Fall sei (Mobiliar HRM (2020)). Auch für Teilzeitmitarbeitende könne Agilität durch die regelmäßigen Rituale schnell schwierig lebbar werden (Bern Expo HRM, 2020). Weiterhin wird darauf hingewiesen, dass durch die erhöhte Transparenz auch unerwünschte soziale Kontrolle entstehen könne (Swisscom HRM, 2020).

„Es ist ein großer Aufwand, bis man dort ist. Es gibt kein Rezept, und jeder muss seinen eigenen Weg finden. Es gibt auch Leute, die lieber nach Anweisungen arbeiten, keine Teamplayer sind und nach der Arbeit die Sache liegen lassen und bis am nächsten Tag vergessen. Diese werden sich, wenn sie können, andere Teams suchen.“ (SBB Agile, 2020)

„Es kann Reibungspotenzial geben, weil die agile Organisation nach anderen Regeln funktioniert und die Linienmanager nicht mehr gleichermaßen Einfluss nehmen können.“ (Mobiliar HRM, 2020)

Agilität im HRM

Alle Expertinnen und Experten sehen Ansätze, um das HRM selbst auch agil auszugestalten. Dabei wurde vor allem die Einführung gewisser Methoden und Praktiken, wie beispielsweise Kanban, Retrospektiven und Daily Stand-ups genannt (vgl. z. B. Post HRM, 2020). Aber auch radikalere Maßnahmen, wie eine Neuorganisation eines ganzen HR-Bereichs, beispielsweise mit Holokratie, wurden angeführt (Swisscom Agile, 2020; Swisscom HRM, 2020). Generell solle in HR-Abteilungen möglichst viel mit agilen Prinzipien und Werten gearbeitet werden, wobei auch eine Netzwerkstruktur und interdisziplinäre Zusammenarbeit wichtig sei (Swisscom Agile, 2020; Mobiliar HRM, 2020). Alle Befragten führten an, dass in den HR-Abteilungen ihrer Unternehmen bereits einige agile Prinzipien und Methoden eingesetzt werden. Die wichtigsten Kernaussagen der Befragten dazu, wie Agilität im HRM implementiert werden kann, sind in Tab. 11.3 zusammengefasst.

Tab. 11.3 Agilität im HRM aus Sicht der Befragten. (Quelle: eigene Darstellung)

11.3.3 Reflexion und Konsequenzen

Hinsichtlich des generellen Verständnisses und der Anwendung von Agilität in der Praxis kann eine hohe Übereinstimmung der in der Literatur vorfindbaren Festlegungen und Aussagen mit den diesbezüglichen Äußerungen der befragten Praktikerinnen und Praktiker festgestellt werden. Offenbar kommt in der Praxis aber eine Reihe von Agilitätspraktiken aus verschiedenen Frameworks zum Einsatz, ohne dass das ganzheitliche Framework vollständig implementiert wird. Die hohe Bedeutung eines agilen Mindsets, das über Methoden- und Prinzipienanwendung hinausgeht, wird von allen Befragten betont. Die in der Literatur geläufigen Agilitätsattribute wie Selbstorganisation, flache Hierarchien und Transparenz werden seitens der interviewten Expertinnen und Experten als essenzielle Grundlagen agilen Arbeitens betrachtet. Wie agil etwas sein muss, oder nach welchen Methoden konkret gearbeitet werden soll, wird in der Praxis in Abhängigkeit vom spezifischen Umfeld festgelegt.

Bezüglich Relevanz und Bedeutung von Agilität für das HRM ist eine heterogenere unternehmenssituationsabhängige Wahrnehmung bei den Befragten feststellbar, auch wenn eine Übereinstimmung bei der Einschätzung einer wachsenden Relevanz von Agilität für das HRM erkennbar ist, und wesentliche Aussagen der Literatur hierzu und zu den Grundbeziehungen weitestgehend bestätigt werden. Das HRM setzt sich in allen Unternehmen, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß, mit der Thematik „Agilität“ und den Folgen für das HRM auseinander. Eine Notwendigkeit zur Beschäftigung mit Agilitätsprinzipien und deren situationsbezogenen Implementierung auch im HRM wird durchgängig gesehen. Das HRM sollte sich aus Sicht der Praktikerinnen und Praktiker mit Methoden und Prinzipien der Agilität befassen und Dinge ausprobieren, um Agilität besser zu verstehen und agile Teams optimal zu unterstützen. In Bezug auf die in der Literatur vorhandenen Modelle für ein agiles HRM gibt es sehr unterschiedliche Umsetzungsgrade und Schnittmengen in und mit der Unternehmenspraxis. Aspekte der beschriebenen Modellansätze werden in den Unternehmen in unterschiedlichem Ausmaß in Abhängigkeit vom Entwicklungsstand, Größe und Kontext der Organisationen aufgegriffen und implementiert. Bei keinem der Unternehmen ist bislang die im Agilitätskontext oft propagierte Verlagerung eines Großteils der HR-Aufgaben von HR Business Partnern in die Linie umgesetzt, wenngleich dies für die Zukunft aber als denkbar angesehen wurde. Dass gut funktionierenden Shared Services in agilen Strukturen eine große Bedeutung zukommt, wird in der Praxis bestätigt, eine Auslagerung dieser Servicefunktion steht derzeit bei den befragten Unternehmen aber nicht im Raum, auch wenn dies grundsätzlich als möglich betrachtet wird.

In Bezug auf die erste Forschungsfrage nach dem Agilitätsbegriff und dessen Einordnung als Modeerscheinung oder fundamentale Veränderungsperspektive für die Zukunft gibt es einen breiten Konsens der Befragten, dass Agilität nicht nur eine temporäre Trenderscheinung in der Organisationsentwicklung darstellt. In Verbindung mit einer zunehmenden Komplexität, Virtualisierung und Beschleunigung der Wirtschafts- und Arbeitswelt werden aus Sicht der Befragten agiles Denken und Handeln sowie agile Arbeitsabläufe und -praktiken auch in der Zukunft voraussichtlich einen wichtigen Stellenwert bei der Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit einnehmen. Hiermit einher gehen eine Notwendigkeit von mehr Selbstverantwortung und Empowerment der Mitarbeitenden und eine Reduzierung von hierarchiebasierter Zusammenarbeit. Verstärkt wird dies durch die gleichgerichtet veränderten Anforderungen der jungen Generationen auf dem Arbeitsmarkt an ihre künftigen Arbeitgeber. Agilitätsbedarf wird weder als neu noch als bloßer Trend gesehen, sondern als zunehmend selbstverständliche Anforderung an Unternehmen und Mitarbeitende, die aber nicht in allen Unternehmen und Bereichen im gleichen Ausmaß von Bedeutung ist.

Die zweite Forschungsfrage hebt darauf ab, wie das HRM Agilität in Unternehmen fördern und ermöglichen kann. Die Befragten sehen hier verschiedene Aufgabenfelder für das HRM. Grundsätzlich wird eine Auseinandersetzung mit der Thematik als zwingend betrachtet, was etwa durch das Ausprobieren und Erlernen von agilen Methoden und Prinzipien im HR-Bereich erfolgen kann. Agile Werte müssen verstanden und verinnerlicht werden, um sie gegenüber den Mitarbeitenden glaubhaft vertreten zu können. Über eine entsprechende Rahmengestaltung auf Systemseite und in arbeitsrechtlicher Hinsicht sowie durch eine Förderung agiler Werte im Rahmen des betrieblichen Kulturmanagements kann das HRM dann einen wichtigen Beitrag zur effektiven und effizienten Implementierung agiler Prinzipien und Methoden im Unternehmen leisten. Das HRM kann bei der Rollenklärung in neuen agilen Arbeitsumfeldern helfen und eigene Personaladministrationsprozesse agiler gestalten. Eine wichtige Stellschraube ist die Förderung einer Lernkultur im Unternehmen, die auf Offenheit, Transparenz, Innovation und Experimentierfreude abhebt und ein mitarbeitenden- und lernorientiertes Führungsverständnis einschließt. Die Stellschrauben der Agilitätsunterstützung durch das HRM sind in Abb. 11.6 im Überblick dargestellt.

Abb. 11.6
figure 6

Stellschrauben der Agilitätsunterstützung durch das HRM. (Quelle: eigene Darstellung)

Die Rolle des Beraters bei HR-Fragestellungen wird auch zukünftig seitens der Befragten in Unternehmen gesehen. Diese kann einerseits wie bisher im HRM verankert, gegebenenfalls aber auch in einer dezentralen kundenzentrierteren Perspektive in die Linie verlagert werden. Generell sind sich die Expertinnen und Experten einig, dass dem HRM zukünftig mehr Aufgaben in der Organisationsentwicklung, bzw. im Management des Wandels als Transformationsbegleiter zukommen wird. Das HRM insgesamt übernimmt in dem Zusammenhang die Kulturmanagementfunktion und arbeitet voraussichtlich vermehrt in Projektstrukturen. Gleichzeitig müssen aber durch effiziente HR Shared Services die operativen Kernaufgaben auch im agilen Umfeld wahrgenommen werden (vgl. dazu Abb. 11.7).

Abb. 11.7
figure 7

Veränderung von Rollen und Aufgaben des HRM im Agilitätskontext. (Quelle: eigene Darstellung)

Die geläufigen Handlungsfelder des HRM verändern sich zum Teil in agilen Organisationen. In der empirischen Erhebung wurden Erkenntnisse zu den Handlungsfeldern Personalrekrutierung, -beurteilung, -entwicklung, und -vergütung gewonnen. Bei allen Handlungsfeldern ist für die Zukunft mehr Selbstbestimmung und -verantwortung der Teams von zentraler Bedeutung. Bei der Personalrekrutierung werden agile Teams gemäß dem Subsidiaritätsprinzip individuell befähigt und dabei unterstützt, neue Mitarbeitende selbst einzustellen. Wichtig ist dabei die Perspektive, dass neue Mitarbeitende später oder zeitgleich auch Rollen in anderen agilen Einheiten wahrnehmen können. In Verbindung mit der Gewinnung agiler Nachwuchskräfte wird das Personalmarketing vermutlich weiter an Bedeutung gewinnen, dies gilt angesichts der Knappheit von Fach- und Führungskräften auf dem Schweizer Arbeitsmarkt aber auch losgelöst von der Agilitätsthematik.

In agilen Settings besteht eine große Führungsspanne. Dies führt dazu, dass es für Vorgesetzte schwierig ist, wertschätzende Beurteilungs- und Entwicklungsgespräche mit allen Mitarbeitenden zu führen. Die Expertinnen und Experten sind sich grundsätzlich einig, dass deshalb die Personalbeurteilung künftig weitgehend durch die Teams selbst übernommen werden sollte, allerdings nicht, ohne dabei eine objektivierende Außensicht mit einzubeziehen, etwa durch Peer-Feedback-Lösungen. Außerdem sollten Beurteilungen in agilen Umfeldern kontinuierlich und nicht nur jährlich stattfinden, zum Beispiel in Form von regelmäßigen 360-Grad-Feedbackrunden. Die Bewertung der Zielerreichung sollte in agilen Einheiten nicht mehr auf Einzel-, sondern auf Teambasis erfolgen, sodass auch individuelle Lohnbestandteile wie Prämien wenig Sinn machen. Es sind neue Lohnmodelle gefordert, die agilen Rollenverteilungen gerecht werden, allerdings ist Lohntransparenz in der Schweiz derzeit noch ein schwieriges Thema. Bei der Lohnfestlegung werden deshalb die Vorgesetzten vermutlich auch weiterhin eine zentrale Rolle einnehmen. Die Personalentwicklung kann gemäß den Befragten in agilen Unternehmensumfeldern ebenfalls zu einem großen Teil direkt in den Teams erfolgen, indem Entwicklungsmaßnahmen und Beförderungen gemeinschaftlich diskutiert und abgestimmt werden. Die übergreifende Führungskräfteentwicklung wird aber nach wie vor auch in agilen Organisationen als im HRM verankert gesehen (vgl. zu den HRM-Handlungsfeldern in agilen Organisationen Abb. 11.8).

Abb. 11.8
figure 8

Handlungsfelder des HRM in agilen Organisationen. (Quelle: eigene Darstellung)

Die dritte Forschungsfrage befasst sich mit der Notwendigkeit einer Agilisierung von Gestaltungsbereichen, Strukturen, Rollen, Aufgaben und Prozessen des HRM resp. der Personalbereiche selbst. Die Expertinnen und Experten sind sich darin einig, dass eine agile Organisation des Personalbereichs nicht in allen Fällen zielführend ist. Insbesondere bei den effizienz- und standardbasierten HR Shared Services wird hier ein geringer Bedarf für eine agile Ausgestaltung ausgemacht. Gleiches gilt für Stabsstellen, denen klare Aufgabenstellungen und Prozesse zugrunde liegen, wie etwa beim Personalcontrolling oder der Personalkommunikation. Ein agiles Mindset wird aber von den Befragten grundsätzlich für alle HR-Leistungsbereiche als wichtig betrachtet. Für welche Gestaltungsfelder, Rollen und Aufgaben des HRM eine agile Arbeitsweise Sinn macht, kann nicht pauschal beantwortet werden. Zentral hierfür ist die Art und Weise, wie das HRM im jeweiligen Unternehmen beziehungsweise im situativen Kontext aufgestellt ist (vgl. zur aufgabenabhängigen Sinnhaftigkeit von Agilität im HRM auch Abb. 11.9).

Abb. 11.9
figure 9

Aufgabenabhängige Sinnhaftigkeit von Agilität im HRM. (Quelle: eigene Darstellung)

Bezüglich des Einsatzes von in der Literatur propagierten Modellen und Umsetzungskonzepten für Agilität kann festgestellt werden, dass alle befragten Expertinnen und Experten, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß, über entsprechende Kenntnisse und Erfahrungen verfügen. So kommt etwa das Holacracy-Modell bei der Swisscom bereits testweise zur Anwendung. Auch Dezentralisierungs- und Selbstorganisationskonzepte sowie agile Methoden wie Kanban und Scrum werden in einigen der befragten Unternehmen in den HR-Bereichen bereits umgesetzt.

Was für die Gesamtorganisation gilt, gilt auch für das HRM, das heißt, dass der Rahmen für Agilität durch eine agile Kultur und Führung im Sinne eines „Mehrwerts durch Werte“ gesetzt werden muss. Offene Kommunikation, Wertschätzung, Transparenz sowie befähigende, motivierende und loslassende Führungspersonen werden von allen als beispielhafte Aspekte einer solchen Rahmensetzung genannt, was sich weitgehend mit den bisherigen Forschungserkenntnissen in der Literatur deckt. Die Befragten betonen ferner im Agilitätskontext eine wachsende Bedeutung der Sichtweise der Mitarbeitenden als Kundinnen und Kunden. In diesem Sinne sollte ein agiles und businessorientiertes HRM Kundenbedürfnisse kennen, schnell und qualitativ hochwertig erfüllen und dazu beitragen, Silodenken im Unternehmen zu überwinden und bei Teamkonflikten frühzeitig zu unterstützen. Abb. 11.10 zeigt wichtige Rahmensetzungen für die Mehrwertgenerierung eines agilen HRM auf.

Abb. 11.10
figure 10

Rahmenbedingungen und Mehrwert eines agilen HRM. (Quelle: eigene Darstellung)

Bei einer Transformation von traditionellen zu agilen Strukturen und Prozessen gibt es verschiedene Herausforderungen und Konfliktpotenziale, die gemäß der Befragten gleichermaßen auch bei entsprechenden Veränderungsprozessen im HRM gegeben sind. So können neben dem mit einer Agilisierung verbundenen hohen Aufwand auch generelle Konfliktfelder entstehen, beispielsweise wenn ein HR-Team agil arbeitet und ein anderes nicht. Es sind aber auch dann Konflikte denkbar, wenn das HRM agiler unterwegs ist, als die Linienorganisation und deren Bedürfnissen nicht mehr gerecht wird.

Mit Bezug auf das entwickelte Struktur- und Wirkungsmodell für ein agiles Human Resource Management (vgl. Abb. 11.5) ist vor dem Hintergrund der empirischen Resultate feststellbar, dass ein solches Modell nicht universell zum Tragen kommen kann. Vor einer Modellverwendung ist zunächst zu ermitteln, in welchem situativen Kontext sich ein Unternehmen befindet, und wie agil die Linienorganisation arbeitet, respektive zukünftig arbeiten soll. Bei einer Entscheidung zugunsten der Einführung eines agilen HRM sind die einzelnen Modellkomponenten auf ihre Angemessenheit hin zu hinterfragen und gegebenenfalls zu modifizieren. Angesichts der zunehmenden Bedeutung der Rolle des HRM als Transformationspartner und -koordinator spricht vieles für die Einführung eines HR Innovation Lab im Sinne einer Agilisierung des HRM. Die hohe Bedeutung gut funktionierender (interner) HR Shared Services auch und gerade in agilen Kontexten wird bestätigt. Auch Entwicklungsprojekte in interdisziplinären Projektgruppen zu organisieren scheint auf Basis der Rückmeldungen der Befragten Sinn zu machen, und diese sind in der Praxis teilweise schon so realisiert. Ein Ersetzen von HR Business Partnern durch Personalverantwortliche in der Linie wird teils auch von den Expertinnen und Experten als mögliche Zukunftsoption betrachtet, jedoch nicht einhellig befürwortet und teils vehement abgelehnt. Hinsichtlich der Einführung eines HR-Koordinators, der im Modell die HR-Leitungsfunktion des HR-Leitenden ersetzen soll, scheinen Größe und Kultur des Unternehmens maßgeblich für einen solchen Schritt zu sein. Für eine Organisation mit einem gewissen Agilitätsreifegrad und der VUCA-bedingten Notwendigkeit einer weiteren Agilisierung scheint das Modell als Orientierungshilfe geeignet zu sein. Grundsätzlich braucht jedoch jede Organisation eine situative Lösung für agile Strukturen. Aus diesem Grund muss das HRM nicht zwingend agil oder nach einem bestimmten Modell ausgerichtet werden. Wichtig ist und bleibt vor allem, das agile Mindset zu fördern und agile Strukturen und Methoden dort einzusetzen, wo es vorteilhaft oder notwendig ist. Vor diesem Hintergrund wird nachfolgend auf Basis der empirischen Erkenntnisse ein weiterführendes Modell „Agil durch HRM“ dargestellt, das strukturelle Anpassungen weniger stark gewichtet und Werte und Prinzipien der Agilität in den Vordergrund stellt (vgl. Abb. 11.11).

Abb. 11.11
figure 11

Modell „Agil durch HRM“. (Quelle: eigene Darstellung)

Im Modell „Agil durch HRM“ wird das HRM bildlich in die zwei Teile „Innovation“ und „Kerngeschäft“ getrennt. Ob diese Bereiche strukturell getrennt werden, muss situativ entschieden werden. Es ist durchaus denkbar, dass gerade in kleineren Unternehmen die Rollen durch identische Personen wahrgenommen werden. Falls dies nicht der Fall sein sollte, ist es wichtig, dass die Bereiche nicht abgeschottet voneinander arbeiten, sondern sich austauschen und zusammenarbeiten. Agiles Denken ist dabei in sämtlichen HR-Aufgabengebieten erforderlich. Agile Methoden und Strukturen können bei innovativen Aufgaben implementiert oder ausprobiert werden. Während das Kerngeschäft primär die üblichen HR-Dienstleistungen abdeckt, kommt dem innovativen HRM eine Pionierrolle zugute. Beide Rollenperspektiven für das HRM können Agilität im Unternehmen auf unterschiedliche Weise unterstützen. Zusammenfassend können mit Bezug auf das konzipierte Leitmodell folgende zehn Handlungsempfehlungen für das HRM in agilen Kontexten ausgesprochen werden:

  1. 1.

    Agiles Denken fördern und dabei bei sich selbst anfangen.

  2. 2.

    Prozesse vereinfachen und mitarbeitendenorientiert gestalten.

  3. 3.

    Kernprozesse nicht aus den Augen verlieren.

  4. 4.

    Fokussierung der Mitarbeitenden auf die Kundinnen und Kunden.

  5. 5.

    Offen für Neues sein.

  6. 6.

    Interdisziplinär denken und handeln.

  7. 7.

    Mit Methoden, Frameworks und neuen Strukturen experimentieren.

  8. 8.

    Retrospektiven, Kanban und andere agile Methoden bedarfsabhängig implementieren.

  9. 9.

    Agiles Führungsverständnis und lernende Organisation weiterentwickeln.

  10. 10.

    Individualität zulassen und fördern und dabei wechselseitige Fairness bewahren.

11.4 Fazit und Ausblick

Insgesamt decken sich die empirischen Erkenntnisse zum HRM im Kontext der Agilisierung von Unternehmen weitgehend mit den in der theoretischen Forschung vorfindbaren Kernaussagen, wenngleich in der Praxis, je nach Unternehmenssituation, eine gewisse Heterogenität in der Auslegung und Umsetzung von agilen Prinzipien, Konzepten und Methoden festzustellen ist. Es gibt heute und vermutlich auch in Zukunft kein allgemeingültiges Modell zur sinnvollen Agilisierung von Unternehmen und ihres HRM und damit auch zu deren Resilienzförderung in dynamischen und komplexen Umweltsituationen im Sinne einer langfristigen Existenzsicherung. Je nach situativem Kontext und Kultur einer Organisation sind situationskompatible Agilitätslösungen zu finden und umzusetzen. Wenngleich die empirischen Ergebnisse lediglich auf einem nicht repräsentativen Ausschnitt von Expertinnen und Experten in Schweizer Unternehmen mit einem gewissen Agilitätsreifegrad basieren, so ist vor dem Hintergrund der hohen Kompatibilität mit bereits vorhandenen Forschungsresultaten zu vermuten, dass die Resultate auch in zukünftigen umfassenderen Studien ähnlich ausfallen könnten. Die Ergebnisse der empirischen Untersuchung legen aber nahe, dass sich Grundhaltungen und Umsetzungsgrade hinsichtlich der Agilisierung von Unternehmen in Abhängigkeit von Unternehmensgröße und Branche stark unterscheiden können. Keines der hinter den Befragten stehenden Unternehmen kann wohl als eine vollkommen agile Organisation betrachtet werden. In allen Unternehmen sind nach wie vor auch traditionelle Strukturen und Vorgehensweisen vorhanden. Für eine weitere Fundierung der eigenen Erkenntnisse dürften in der Zukunft deshalb neben umfassenderen quantitativen Befragungen zur Umsetzung und zum Entwicklungsstand von agilen Unternehmensstrukturen und -prozessen auch Fallstudien mit Fokus auf Unternehmen gewinnbringend sein, die einen sehr hohen Agilitätsreifegrad aufweisen.

Man kann für die Zukunft wohl davon ausgehen, dass die hinter der Agilitätsthematik stehende Grundfrage nach der bestmöglichen Anpassungsfähigkeit von Unternehmen im Sinne einer strategischen Flexibilität und Resilienz auch weiterhin eine zentrale Bedeutung für deren Wettbewerbsfähigkeit und damit auch für die Arbeitswelt haben wird. Auch wenn der Begriff „Agilität“ mit der Zeit an Bedeutung verlieren sollte, kann angenommen werden, dass sich die dahinterstehenden Prinzipien und Werte in der Unternehmenswelt dauerhaft verankern und entsprechende Methoden und Frameworks weiterentwickeln werden.

11.5 Interviews

  • Baloise HRM (2020). Basler Versicherung AG, Basel.

  • Bern Expo HRM (2020). Bern Expo AG, Bern.

  • Mobiliar HRM (2020). Die Mobiliar, Bern.

  • Postfinance Agile (2020). Postfinance AG, Bern.

  • Postfinance HRM (2020). Postfinance AG, Bern.

  • Post HRM (2020). Die Schweizerische Post AG, Bern.

  • SBB Agile (2020). SBB AG, Bern.

  • Swisscom Agile (2020). Swisscom AG, Bern.

  • Swisscom HRM (2020). Swisscom AG, Bern.