Zusammenfassung
Aufgrund der Globalisierung, der Auswirkungen einer VUCA-Welt sowie der hiermit verbundenen Anforderungen an resiliente Organisationen und Mitarbeitende stoßen klassische Führungsansätze vermeintlich an ihre Grenzen. So sind neue Ansätze gefragt, um das Bestehen und die Weiterentwicklung von Unternehmen sicherzustellen. Dem Konzept der agilen Führung kommt dabei eine besondere Bedeutung zu. Agile Führung ist keine klar umschriebene Führungstheorie mit einer einheitlichen Definition, sondern eher ein neues, sich im Wandel befindendes Konzept. Dabei wird agile Führung als Abkehr von klassischen Top-down-Führungskonzepten empfunden. Mitarbeitende übernehmen in agiler Führung mehr Verantwortung, und die Rolle der Führungskraft ändert sich. Das vorliegende Kapitel untersucht die Voraussetzungen, Ansätze und Ausprägungen agiler Führung sowie die Auswirkungen auf die Mitarbeitenden aus Praxissicht in Form einer qualitativen Untersuchung.
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10.1 Einleitung
Den Ursprung haben agile Methoden, wie beispielsweise Scrum, in der Softwareentwicklung. Seit vielen Jahren wird aber nicht mehr nur bei Softwareprojekten agil vorgegangen, sondern auch in anderen Bereichen (Grote & Goyk, 2018, S. 18). Zudem ist der Begriff Agilität in der Organisationslehre stark verankert, insbesondere aufgrund der Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität (VUCA) der heutigen Welt ist sie für Unternehmen ein wichtiger Faktor (Prodoehl, 2019, S. 262 f.). Agilität liegt momentan im Trend: „Agil scheint das neue Gutwort zu sein: immer richtig, immer passend.“ (Grote & Goyk, 2018, S. 18) Mit agilen Methoden soll in der VUCA-Welt schnell auf sich ändernde Rahmenbedingungen reagiert werden können. Dabei stoßen klassische Führungsansätze angeblich an ihre Grenzen (Grote & Goyk, 2018, S. 65). Es sind also auch im Bereich der Führung von Mitarbeitenden bzw. in der Zusammenarbeit zwischen Mitarbeitenden neue Methoden gefragt, welche die agilen Arbeitsweisen durch entsprechende Führung zielgerichteter einsetzen lässt. Vor diesem Hintergrund wird im Rahmen des vorliegenden Kapitels der Begriff Agilität im Kontext der Führung untersucht. Dabei besteht zwischen der Führung im Unternehmen und der Organisationsform des Unternehmens eine wechselseitige Abhängigkeit. Aus diesem Grund werden „moderne“ Organisationsform im Weiteren auch kurz diskutiert, und es wird eine Kontextbeziehung zwischen den Konzepten vorgenommen. Eingebettet wird dabei auch der Bereich der Resilienz, der Überschneidungen und Anschlussfähigkeiten zum Bereich der agilen Führung aufweist.
Agile Führung (agile Leadership) zeichnet sich dadurch aus, dass Mitarbeitende mehr Verantwortung tragen als bei klassischen Ansätzen der Führung (Gresser & Freisler, 2017, S. 30). In den Organisationsansätzen der Holokratie oder der Soziokratie 3.0 übernehmen Mitarbeitende beispielsweise in „Kreisen“ Verantwortung (Rüther, 2018, S. 195). Da die Anforderungen an die Mitarbeitenden zunehmen, stellt sich auch die Frage, ob sie überhaupt daran interessiert sind, agil geführt zu werden. So wird im vorliegenden Kapitel analysiert, welche Kompetenzen und Fähigkeiten relevant sind, um mit agiler Führung umzugehen. Die zentrale Problemstellung ist, dass klassische Führungsansätze angeblich an ihre Grenzen stoßen und deshalb in einer „modernen“ Welt agil geführt werden muss. Ob bzw. wo und in welcher Form agile Führung einen Mehrwert bietet, wird in der folgenden Argumentation dargelegt.
10.2 Theoretische Grundlagen
10.2.1 Grundlagen der Agilität
In der Literatur und Praxis lässt sich eine Vielzahl an Definitionen des Begriffs „Agilität“ in Bezug auf Organisationen auffinden. Eine zentrale Aussage betreffend die „Agilität von Organisationen“ ist, dass sie fähig sind, sich schnell an sich ändernde Bedingungen anzupassen. In der Definition der Gartner Research Group ist festzustellen, dass Agilität als Reagieren auf Veränderungen in der Umwelt definiert wird. Dabei handelt es sich um ein reaktives Angehen der Veränderungen. Die Organisation passt sich also erst an, wenn eine Umweltveränderung bereits vonstatten gegangen ist (Prodoehl, 2019, S. 262) In frühen Definitionen des Begriffs Agilität vor 1999 wird oftmals von reaktivem Handeln ausgegangen. Bei neueren bzw. aktuelleren Definitionen wird vermehrt die Proaktivität betont (Förster & Wendler, 2012, S. 8 f.). Diese Proaktivität setzt voraus, dass relevante Veränderungen antizipiert werden, damit bereits vor Eintreten der Veränderung angemessen darauf agiert – und nicht erst im Nachhinein reagiert – werden kann (Prodoehl, 2019, S. 262).
Hier zeigt sich auch die Verbindung von agiler Führung zum Konzept der Resilienz von Organisationen. Nach McManus et al. (2007) besitzt eine resiliente Organisation drei wesentliche Eigenschaften, die sie von einer nicht-resilienten Organisation unterscheidet:
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Ein größeres Bewusstsein für sich selbst, ihre wichtigsten Stakeholder und das Umfeld, in dem sie ihr Geschäft betreibt.
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Ein größeres Wissen über ihre wichtigsten Schwachstellen und die Auswirkungen, die diese Schwachstellen auf die Organisation haben könnten; sowohl negativ als auch positiv.
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Die Fähigkeit, sich an veränderte Situationen mit neuen und innovativen Lösungen anzupassen und/oder die Fähigkeit, die bereits vorhandenen Werkzeuge anzupassen, um mit neuen und unvorhergesehenen Situationen umzugehen.
Speziell der letzte Aufzählungspunkt ist hier in Verbindung zum Kontext der Agilität zu sehen. Beide Konzepte gehen von einer Anpassungsfähigkeit der Organisation und der Organisationsmitglieder auf Basis von Veränderungen aus.
Eine Organisation mit erhöhter Resilienz ist somit in der Lage, Situationen mit potenziell negativen Folgen schnell zu erkennen und darauf zu reagieren und Lösungen zu finden. Darüber hinaus befähigt Resilienz eine Organisation, auch unter schwierigen Umständen Chancen zu erkennen, die es ihr ermöglichen, die Organisation zu verändern (McManus et al., 2007, S. 3). Diese Definition entspricht den „älteren“ Definitionen der Agilität, welche tendenziell eher reaktiv ausgeprägt sind. Die Anpassung an Veränderungen im Sinne der Wahrnehmung von Chancen und Gelegenheiten (Opportunities) entspricht einer proaktiven „modernen“ Definition. Die Tab. 10.1 zeigt drei mögliche Dimensionen organisationaler Resilienz, welche auch für den Bereich der agilen Führung von Bedeutung sind.
Werden alle drei Dimensionen und ihre Ausprägungen gesamtheitlich betrachtet, so zeigen sich unterschiedliche Gemeinsamkeiten, Überschneidungen und interessante Diskussionspunkte an den Begriff bzw. das Konzept der Agilität. Daher sind je nach Definition Resilienz und Agilität miteinander konzeptionell und in der Anwendungsorientierung miteinander verbunden.
Ganguly, Nilchiani und Farr haben eine große Anzahl an Definitionen des Begriffs Agilität betrachtet und basierend auf dieser Analyse folgende Definition entwickelt:
„an effective integration of response ability and knowledge management in order to rapidly, efficiently and accurately adapt to any unexpected (or unpredictable) change in both proactive and reactive business/customer needs and opportunities without compromising with the cost or the quality of the product/process“ (Ganguly et al., 2009, S. 411)
Bei dieser Definition ist sowohl die reaktive als auch die proaktive Sichtweise vorhanden. Außerdem werden Veränderungen von Unternehmens- und Kundenbedürfnissen erwähnt. Erwähnenswert ist gleichermaßen die Prozessqualität, welche in früheren Agilitätsdefinitionen kaum ein Thema darstellte (siehe hierzu auch die Ausführungen des Kap. 8 durch von Burg/Tokarski, 2022 des vorliegenden Herausgeberwerkes).
Generell hat das Bedürfnis nach Agilität in Organisationen aufgrund der beiden Megatrends der Digitalisierung und der Globalisierung in den letzten Jahren immer mehr zugenommen, und dadurch wurde dieser Begriff immer präsenter. Somit hat sich das Bedürfnis nach Agilität immer weiter von der Softwareentwicklung in andere Bereiche, bis schließlich zu Betrachtung der gesamten Organisation, ausgeweitet (Prodoehl, 2019, S. 261).
10.2.2 Digitale Transformation und Unternehmenskultur
Die digitale Transformation hat große Auswirkungen auf die Neu- und Weiterentwicklung von Unternehmen. Speziell die Entwicklung neuer (radikaler) Geschäftsmodelle ist eine wesentliche unternehmerische Aufgabe in der heutigen Zeit, mit der sich Unternehmen und deren Organisationsmitglieder konfrontiert sehen (Tokarski et al., 2021). Um dies zu erzielen, wird eine unternehmerisch-agile, aber auch resiliente Kultur benötigt, um ein Unternehmen bzw. eine Organisation durch die digitale Transformation weiterzuentwickeln und beweglich zu halten.
Eine im Jahr 2016 von Microsoft in Großbritannien durchgeführte Studie ergab, dass fast die Hälfte der befragten Unternehmen davon ausgeht, dass ihr aktuelles Geschäftsmodell in den nächsten fünf Jahren nicht mehr aktuell sein wird und ohne Anpassungen nicht verfolgt werden kann. Dies verdeutlicht, dass die digitale Transformation und die Anpassung bzw. Neugestaltung der Organisation wichtige Prozess sind. Gemäß Microsoft ist Kultur „a set of deeply ingrained beliefs and rituals that act as the glue sticking an organisation together“ (Microsoft, o. J., S. 7). Um Kultur erfolgreich zu wandeln, sollen die Mitarbeitenden aktiv daran mitwirken (Microsoft, o. J., S. 9).
Jene Mitarbeitenden, die sich im Rahmen der digitalen Transformation (pro)aktiv beteiligen, beispielsweise indem sie bestehende und neue Sachverhalte hinterfragen, Ideen einbringen und (neue) Lösungsansätze aufzeigen, sollen stark in den Wandel einbezogen werden. Somit erfolgt der Wandel nicht nur top-down, sondern auch bottom-up, was für die Akzeptanz und Umsetzung des Wandels vorteilhaft ist. Das aktive Einbeziehen der Mitarbeitenden ist ein entscheidender Erfolgsfaktor. Transparente Kommunikation und Diskussionen sind ebenfalls wichtig und können dazu führen, dass der Widerstand der Mitarbeitenden bei Changeprozessen geringer wird. Da es im Prozess der digitalen Transformation mehrere Iterationen gibt und Mitarbeitende miteinbezogen werden sollen, ist es wichtig, neue Technologien, Instrumente und Prozesse schrittweise einzuführen. Gleichermaßen sollen die Mitarbeitenden auch in ihrer Aus- und Weiterbildung unterstützt werden. Die Etablierung einer Feedbackkultur und das „Fordern“ und „Fördern“ von Rückmeldungen sind wichtig, damit in der nächsten Iteration bereits wieder Verbesserungen implementiert werden können (Microsoft, o. J., S. 7–40). Auch in der digitalen Transformation gilt es, den PDCA-Zyklus (Plan, Do, Check, Act) zu nutzen und im Unternehmen wirkungsorientiert zu verankern.
10.2.3 Entwicklungsstufen von Organisationen
Gemäß Frédéric Laloux kann der Wandel von Organisationsformen in fünf prototypische Entwicklungsstufen unterteilt werden. Laloux hat diese Entwicklung in Form einer Spirale mit unterschiedlichen Farben sehr anschaulich publiziert. Die früheste Organisationsform (Farbe: Rot), also der Beginn, ist „tribal“. Diese Organisationsform orientiert sich an der Metapher eines Wolfsrudels und stammt aus der Zeit von vor 10.000 Jahren. Es galt das Recht des Stärkeren. Schwäche wurde nicht zugelassen. Wenn ein Anführer dennoch Schwäche zeigte, wurde er vom eigenen Stamm angegriffen, und ihm wurde die Führung streitig gemacht. Beispiele dieser Stufe sind u. a. Gangs oder die Mafia (Rüther, 2018, S. 288–292).
Die zweite Stufe (Farbe: Bernsteinfarben) zeichnet sich dadurch aus, dass Menschen über einen längeren Zeitraum zusammenarbeiten und somit auch planen mussten. Dies bedarf gewisser stabiler Strukturen und Rahmenbedingungen. Es sind hiermit traditionelle Organisationen mit strikter hierarchischer Form sowie strenge Regeln für ein geordnetes Miteinander gemeint. Als Metapher wird die Armee angegeben. Diese Organisationsform galt lange Zeit als „state of the art“. Beispiele hierfür sind u. a. religiöse Gemeinschaften, Schulen oder Regierungen.
Die dritte Organisationsform (Farbe: Orangefarben) entstand, als „entdeckt“ wurde, dass Menschen eine höhere Produktivität und Kreativität aufweisen, wenn sie über mehr Freiräume zur eigenen Gestaltung verfügen, dies war der Ursprung erster „moderner“ Organisationsform. Als Metapher dient hier die Maschine. Beispiele sind Großunternehmen oder Hochschulen. Ein wichtiges Messkriterium der Leistung in solchen Organisationen sind Zielvorgaben. Der Weg, wie diese Zielzustände erreicht werden, ist hingegen sekundär. Diese Form ist in großen, multinationalen Konzernen aktuell noch immer stark verbreitet.
Die auf die moderne Organisationsform folgende Form ist die postmoderne, pluralistische Form (Farbe: Grün). Dabei wird versucht, die in den modernen Organisationen stark vorhandenen Hierarchien weitestgehend abzuflachen. Es bestehen also flachere Hierarchien, aber die Organisation des Unternehmens erfolgt immer noch in Pyramidenform. Weitere Merkmale solcher postmodernen Unternehmen sind eine starke Unternehmenskultur und eine Wertorientierung, die von den Mitarbeitenden auch aktiv geprägt wird. Die Familie ist hier die entsprechende Metapher. Aber auch diese Organisationsform stößt an ihre Grenzen. Trotz flacher Hierarchien ist die Organisation (zumeist) noch pyramidenförmig aufgestellt, und gemäß Laloux wird diese postmoderne Form den Bedürfnissen des komplexen Umfelds nicht mehr gerecht (Rüther, 2018, S. 288–292).
Die höchste Stufe ist die „Teal-Organisation“ (Farbe: Marineblau. Im Original: „teal“). Die passende Metapher ist jene eines lebendigen Organismus (Rüther, 2018, S. 288–292). Im Folgenden wird kurz auf diese Organisationsform eingegangen und in dieser Verbindung „Soziokratie“ und „Holokratie“ eingeordnet. Während die zuvor dargestellten Organisationsformen alle in ihrer „Reinform“ über einen hierarchischen Aufbau verfügen, sieht die integrale Form davon ab. Sie setzt stattdessen auf Selbstorganisation. Entscheidungen werden nicht von Einzelpersonen getroffen, sondern dezentral. Wichtig ist hier anzumerken, dass die von den Mitarbeitenden getätigten Entscheidungen keinen Konsens voraussetzen. Es wird im Konzept betont, dass Selbstorganisation im Gegensatz zu zentralen Entscheiden die Produktivität und Effektivität erhöht. Der Hauptgrund für diese Verbesserungen wird damit begründet, dass Management und Vorgesetze wegfallen und somit die Mitarbeitenden diese Verantwortung selbst übernehmen. Mit dieser Übernahme von Verantwortung sind die Mitarbeitenden in der Pflicht, und sie bemühen sich dadurch mehr, ihre Fähigkeiten einzusetzen. Die Arbeitsmotivation ist somit höher als beispielsweise in postmodernen Organisationen mit Vorgesetzten. Dabei werden neben der Selbstorganisation noch zwei weitere Prinzipien in solchen Organisationen betont: die Ganzheitlichkeit und der evolutionäre Sinn (Rüther, 2018, S. 289–302). Mit Ganzheitlichkeit ist gemeint, dass der Mensch nicht nur als Produktionsfaktor angesehen wird, sondern dass es in der Organisation auch für das „spirituelle, verletzliche“ Wesen einen Platz gibt, also für den ganzen Menschen mit allen Facetten. Das bewusste Zulassen dieser Ganzheit des Mitarbeitenden bzw. des Menschen sorgt für eine Atmosphäre des Vertrauens, dies fördert wiederum ein konstruktives Miteinander, was insgesamt in einer verbesserten Kundenorientierung mündet (Rüther, 2018, S. 296 f.). Während bei klassischen Organisationen die Gewinnmaximierung als Zweck angegeben wird, verfügen laterale Organisationen über einen wirklichen Zweck und somit den evolutionären Sinn: „Geld dient dem eigentlichen Zweck und ist nicht der Zweck an sich“ (Rüther, 2018, S. 315).
Die Soziokratie und Holokratie können als „Betriebssysteme“ einer Organisation bzw. eines Unternehmens dienen, um die Stufe einer „Teal-Organisationen“ zu erreichen. Sowohl die Soziokratie als auch die Holokratie beschreiben dabei Prozesse und Praktiken, wie solche „Teal-Organisationen“ aufgebaut werden können. Somit werden durch Soziokratie und Holokratie für die Umsetzung relevante Vorschläge geliefert. So wurde 2007 das Konzept der „Holacracy“ von Brian Robertson entwickelt. Holokratie kann als Betriebssystem für Unternehmen verstanden werden und beinhaltet praktische Konzepte. Robertson empfiehlt, die Einführung von Holokratie durch in diesem Bereich ausgebildete Berater begleiten zu lassen (Grote & Goyk, 2018, S. 80 f.).
„Im Holokratie-Ansatz wird eine Organisation (z. B. Unternehmen, Institution, Verein etc.) als Menge zusammenwirkender und dennoch autonom handelnder Rollen beschrieben. Jede Rolle ist über einen speziellen Zweck, einen Zuständigkeitsbereich und Aufgaben definiert.“ (Grote & Goyk, 2018, S. 81)
Holacracy zeichnet sich dadurch aus, dass die Organisation in Kreisen erfolgt, und wenn zwei Kreise miteinander zu tun haben, ist aus jedem Kreis ein Vertreter im anderen Kreis vorhanden, man spricht in dem Fall von einer Doppelverknüpfung. Personen werden nicht für einen bestimmten Aufgabenbereich eingestellt, sondern sie haben flexible Rollen, die innerhalb des Kreises bestimmt werden. Damit die einzelnen Rollen ihre Aufgaben zielführend erledigen können, verfügen sie über eine hohe Eigenständigkeit. Außerdem bestehen klare Rollenbeschreibungen, in denen die Zuständigkeiten und Verantwortungen klar und transparent geregelt sind. Es ist üblich, dass Mitarbeitende nicht nur eine, sondern mehrere Rollen innehaben (Grote & Goyk, 2018, S. 80 f.). Es gibt Ähnlichkeiten zur Soziokratie, die in ähnlicher Weise mit etwas anderen Begriffen und Regeln die Selbstorganisation beschreibt. Für weitergehende Erörterungen sei beispielsweise auf die umfassenden Ausführungen und praktischen Umsetzungsmöglichkeiten unter „www.sociocracy30.org“ verwiesen.
Allgemein ist anzumerken, dass es in Organisationen, bei denen auf Selbstführung und Selbstorganisation gesetzt wird, auch klarer Regeln und deren Einhaltung bedarf. Es muss sogar sehr klar definiert werden, was die einzelnen Rollen für Verantwortlichkeiten haben und wie beispielsweise Meetings organisiert sind. Wenn von Selbstführung die Rede ist, ist dies also nicht gleichbedeutend damit, dass ein Organisationmitglied machen darf, was es will. Denn es wird ein ganz klarer Rahmen vorgegeben, der eingehalten werden muss, wenn es nicht zu „Chaos“ kommen soll. So bedarf es klarer Regeln, die für sämtliche Rollen von Bedeutung sind und dementsprechend auch eingehalten werden. Sollte aber festgestellt werden, dass eine Regel keinen Zweck mehr erfüllt und Anpassungsbedarf besteht, dann soll diese Regel gemeinsam überarbeitet werden (Zimmermann et al., 2020, S. 223).
10.2.4 Charakteristika von agiler Führung
Das Konzept der ab 2010 entstandenen agilen Führung ist keine klar definierte Führungstheorie mit einer einheitlichen Definition, sondern eher ein neues, sich im Wandel befindendes Konzept (Grote & Goyk, 2018, S. 21 f.). „Mangels Systematik handelt es sich wohl weniger um eine Theorie als vielmehr um ein praktisches Konzept; wissenschaftliche Untersuchungen gibt es kaum“ (Kaehler, 2017, S. 112). Agile Führung gewinnt aufgrund der VUCA-Welt und New Work zunehmend an Bedeutung (Stenglein, 2020).
Agile Führung kommt aus dem agilen Arbeiten bzw. aus dem Führen agiler Projekte. Dies ist weiterhin ein relevanter Aspekt agiler Führung, aber das Konzept gilt nicht mehr nur in diesem Bereich, sondern wird auch auf die Führung in agilen Unternehmen generell ausgeweitet und ist somit nicht mehr nur in Projekten von Relevanz (Kaehler, 2017, S. 112). In agilen Organisationen sind die Teams selbstorganisiert und verfügen auch über Entscheidungskompetenzen. Deshalb muss festgehalten werden, dass sich in einem Unternehmen mit agiler Organisations- und Arbeitsform die benötigte Führungsrolle elementar verändert. Dies bedeutet dabei aber (zumeist) nicht, dass in agilen Organisationen keine Führungskräfte mehr benötigt werden, sondern vielmehr, dass sie eine andere Rolle einnehmen müssen als in „traditionellen“ Unternehmen (Grote & Goyk, 2018, S. 23 ff.). Agile Führung ermöglicht Führungskräften viel eher, sich mehr mit strategischen Themen zu befassen. Dies ist möglich, da Verantwortung für das operative Geschäft ins Team abgegeben, die Kontrollfunktion minimiert und eher eine coachende Rolle der Führung eingenommen wird, statt alles top-down zu entscheiden. Insbesondere das Minimieren der Kontrolle setzt gegenseitiges Vertrauen voraus. Die Führungskraft wird also aufgrund agiler Führung nicht obsolet. Vielmehr ändert sich ihre Rolle (Häusling & Rutz, 2017, S. 115; Fox, 2017). In der „nicht-digitalisierten“ Welt war eine andere Führung vonnöten als heutzutage. Denn die Grundannahmen unterscheiden sich teilweise komplett. Während sich Mitarbeitende in der Industrialisierung „unterordnen“ mussten, sollen sie in der Digitalisierung u. a. positiven „Widerstand“ leisten und Dinge hinterfragen. Im Kontext der Industrialisierung stand die Leistungsverbesserung eines Individuums im Vordergrund. Heutzutage wird darauf geachtet, die Leistung eines ganzen Teams zu optimieren (Hofert, 2019, S. 111 f.).
Dass in der agilen Führung Vertrauen und das Gewähren von Freiheiten elementar wichtig sind, zeigt sich an den Entscheidungskompetenzen, welche in das Team abgegeben werden. Dies ermöglicht es dem Team, schnell auf Änderungen seitens der Kunden oder des Umfelds reagieren zu können. Damit die agile Führung gut funktioniert und die Mitarbeitenden diese Entscheidungskompetenzen zielführend wahrnehmen, müssen die Teamangehörigen über intrinsische Motivation, sprich nach McGregor die „Theorie Y“, verfügen. Agile Führung hebt sich dadurch ab, dass nicht mehr in Abteilungen oder in Prozessen gedacht wird. Vielmehr wird in interdisziplinären Teams gedacht und agiert. Dies soll ein „Silodenken“ verhindern (ein Denken in abgegrenzten Einheiten, Professionen oder Fachdisziplinen innerhalb einer Organisation). Vorgesetzte oder Führungskräfte nehmen dabei die Rolle eines Coaches es. Fehler werden nicht als Problem wahrgenommen, sondern als Notwendigkeit, um Innovationen zu kreieren (Grote & Goyk, 2018, S. 22–28). Eine positive Fehlerkultur ist somit essenziell. In agilen Organisationen ist es zentral, dass sich Mitarbeitende stetig weiterentwickeln (wollen) und Lernen als lebenslangen Prozess empfinden (Hofert, 2019, S. 24). Ein Ziel der agilen Führung ist es, dass Mitarbeitende ihr vorhandenes Potenzial entfalten können (Weinreich, 2016, S. 150).
10.2.5 Führungsansätze bei agiler Führung
In Tab. 10.2 wird auf ausgewählte, unterschiedliche Führungsansätze eingegangen, die im Kontext agiler Führung von Bedeutung sind. Es soll an dieser Stelle festgehalten werden, dass agile Führung mehrere Ansätze beinhaltet. In der Tabelle werden vier ausgewählte, bedeutende Ansätze dargestellt.
10.2.6 Instrumente bei agiler Führung
In Tab. 10.3 werden ausgewählte Instrumente, die in agil geführten Unternehmen relevant sind, erklärt und die Relevanz im Kontext der agilen Führung aufgeführt. Unter Instrumenten werden Werkzeuge bzw. agile Methoden oder Teile agiler Methoden verstanden. Die Komplexität der folgenden Instrumente ist sehr unterschiedlich, während beispielsweise die Einführung des Scaled Agile Framework (SAFe) unternehmensweite Auswirkungen hat, wird auch auf Instrumente eingegangen, die wesentlich einfacher und ohne große Auswirkungen auf das ganze Unternehmen sind und daher in einem Team probehalber eingesetzt werden können (wie beispielsweise der konsultative Einzelentscheid).
Nachdem die grundlegenden Theorien, Methoden und Instrumente im Bereich agiler Führung vorgestellt wurden, wird im Folgenden die empirische Studie dargestellt.
10.3 Empirie
10.3.1 Methodik
Das Ziel der vorliegenden qualitativen Untersuchung ist die Beantwortung der folgenden grundlegenden und breit angelegten Forschungsfragen:
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Was ist agile Führung?
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Was sind allgemein die Voraussetzungen für agile Führung?
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Welche Kompetenzen und Fähigkeiten benötigen Mitarbeitende in agiler Führung?
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Ist agile Führung im Interesse der Mitarbeitenden?
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Was sind die Vorteile agiler Führung?
Die recht umfassend und offen angelegten Forschungsfragen wurden im Rahmen der Auswertung in die folgenden inhaltlichen Kategorien überführt:
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Agilität in der Praxis
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Voraussetzungen für agile Führung aus Praxissicht
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Ansätze und Ausprägungen agiler Führung
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Treffen von Entscheidungen in agiler Führung
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Vorteile des agilen Führens
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Führungsansätze agiler Führung
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Instrumente agiler Führung
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Mitarbeitende bei agiler Führung
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Benötigte Kompetenzen und Fähigkeiten der Mitarbeitenden bei agiler Führung
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Agile Führung im Interesse der Mitarbeitenden
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Überforderung von Mitarbeitenden bei agiler Führung
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Im Kontext der vorliegenden Untersuchung wurden elf Interviews mit Expertinnen und Experten zum Thema agile Leadership geführt. Die Interviews wurden leitfadengestützt realisiert, womit einerseits ein angemessenes Maß an Strukturiertheit sichergestellt und andererseits die ebenfalls benötigte Offenheit erreicht wurde. Gemäß Helfferich handelt es sich dabei um einen guten Ansatz, um an qualitative Daten zu gelangen (Helfferich, 2014, S. 559 f.). Um den Leitfaden zu überprüfen, wurden zwei Pretests durchgeführt (Weichbold, 2014, S. 299 f.). Die dabei entdeckten kleinen Verbesserungspotenziale wurden vor dem ersten Interview behoben, wodurch eine gute Interviewqualität sichergestellt werden konnte. Um die durchgeführten Interviews auszuwerten, wurde auf Aspekte der qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring zurückgegriffen. Als Auswertungstool wurde Atlas.ti 8 verwendet. Dieses Programm erlaubt das Codieren der Interviews und unterstützt somit das gewählte Auswertungsvorgehen optimal.
Bei der Recherche nach geeigneten Unternehmen wurde darauf geachtet, einerseits eher traditionell organisierte Großunternehmen mit agilen Einheiten und andererseits auch holokratisch organisierte Unternehmen in die qualitative Untersuchung mit einzubeziehen. Mit dieser Unterteilung der Untersuchungsobjekte sollten Gemeinsamkeiten und auch Unterschiede in agiler Führung zwischen den unterschiedlichen Unternehmensgruppen erreicht werden. Schließlich belief sich die Anzahl der Interviewpartner auf elf Personen. Sie setzt sich zusammen aus vier Interviewpartnerinnen und Interviewpartnern von Großunternehmen und sieben Interviewpartnerinnen und Interviewpartnern aus holokratisch organisierten Unternehmen. Die Interviewpartnerinnen und Interviewpartner sowie die Unternehmen wurden für die Auswertung anonymisiert. In Tab. 10.4 sind die jeweiligen Rollen der interviewten Personen ersichtlich. Auf eine ausführliche Beschreibung der Unternehmen wird verzichtet, da sonst die Anonymität der interviewten Unternehmen nicht mehr gewährleistet werden kann. Um die Auswertung der Interviews zu erleichtern, wurde ein Codierleitfaden erstellt. Die Codes, welche bereits vor der Codierung der Interviews erstellt wurden, sind als deduktiv zu bewerten. Während des Codierens der Interviews erstellte Codes sind induktive Codes. Das Vorgehen kann also als Mischform bezeichnet werden, denn es gibt sowohl induktive als auch deduktive Anteile (Konrad, 2015, S. 52 f.).
10.3.2 Erkenntnisse Empirie
10.3.2.1 Agilität in der Praxis
Aus Praxissicht der Holokratieunternehmen überwiegt hinsichtlich der Bewertung des Agilitätsbegriffs klar eine reaktive Sichtweise. Es wird zwar betont, dass schnell auf verändernde Umweltbedingungen reagiert wird, aber vorausschauendes, antizipierendes Agieren wurde nicht erwähnt. Für den Interviewpartner 3 sind beide Sichtweisen relevant und der Inbegriff von Agilität: „(…) auf verändernde Situationen schnell reagieren zu können, adäquat agieren zu können, (…), das ist eigentlich das Wichtigste“ (Interviewpartner 3, 2020). Interviewpartner 4 betont sogar, dass der Begriff der Agilität für ihn aufgrund der enormen Präsenz zunehmend bedeutungslos wird und er in Bezug auf das Unternehmen lieber von einem adaptiven Unternehmen spricht. Er bevorzugt auch den Begriff der Adaption gegenüber dem Begriff der Agilität, da dieser seiner Auffassung nach die Mitarbeitenden besser berücksichtigt (Interviewpartner 4, 2020).
Agilität ist momentan wichtig, und damit verbunden sind auch flache Hierarchien. Es wird hervorgehoben, dass es in pyramidenförmig organisierten Unternehmen sehr viel Durchlauferhitzung gibt und es wohl bei vielen Unternehmen positive Auswirkungen hätte, wenn Hierarchien abgeflacht würden. Starke Hierarchien waren in der Industrialisierung angemessen, aber in der heutigen komplexen und unsicheren Welt seien sie eher hinderlich.
Die zwei Interviewpartner der befragten Großunternehmen nennen die Ambidextrie als wichtigen Aspekt der Agilität. Sowohl die Denkweise des Verwaltens als auch jene des Gestaltens ist bedeutsam. Mit Verwalten ist gemeint, dass der aktuelle Zustand aufrechterhalten wird und nur kleinere Verbesserungen angestrebt werden. Gestalten ist hingegen das Erschließen von etwas Neuem. Interviewpartner 9 merkte an, dass in traditionellen Unternehmen, sprich auch bei seinem Arbeitgeber, das Verwalten überwiege. In der heutigen Zeit sei es aber umso wichtiger, auch mehr auf das Gestalten Wert zu legen (Interviewpartner 9, 2020).
10.3.2.2 Voraussetzungen für agile Führung aus Praxissicht
Eine Interviewpartnerin betont ausdrücklich, dass es kaum Voraussetzungen gibt, für die es einen einmalig zu erreichenden Soll-Zustand gibt. Es handelt sich vielmehr um einen Prozess ohne Ende, an welchem stetig gearbeitet werden muss. „Agile Führung implementieren und das Gefühl haben, man muss nicht daran arbeiten, das wird nie funktionieren. Und das wäre zum Scheitern verurteilt“ (Interviewpartnerin 2, 2020). Damit sich agile Führung etabliert und funktioniert, braucht es schlicht Zeit, und man muss daran arbeiten, dies betonen alle befragten Personen in Holokratieunternehmen.
Mehrere Interviewpartnerinnen und Interviewpartner erwähnen generell den Einbezug der Mitarbeitenden. Diese sollen am Prozess des Einführens agiler Führung mitwirken können. Dies wird somit als Voraussetzung bewertet.
In der Unternehmenskultur soll eine Vertrauenskultur vorhanden sein, und die Einstellung zu Fehlern muss sich ebenfalls wandeln. Damit agile Führung funktioniert, muss auch eine Feedbackkultur verankert werden. Weiters ist es wichtig, dass die Mitarbeitenden ihre Arbeit als sinnvoll empfinden. Es ist außerdem notwendig, dass eine große Transparenz herrscht, dass Mitarbeitende wissen, wer wofür zuständig ist, teilweise gibt es in den interviewten Unternehmen gar eine Lohntransparenz, dies ist aber momentan eher die Ausnahme.
In Abb. 10.1 zu den Voraussetzungen für agile Führung werden die von den interviewten Personen implizit und explizit genannten Voraussetzungen agiler Führung dargestellt. Erwähnenswert ist, dass die Organisationsform von den Interviewpartnerinnen und Interviewpartnern nicht als Voraussetzung genannt wurde und somit nicht in der Grafik aufgeführt wird.
10.3.2.3 Ansätze und Ausprägungen agiler Führung
Wie zu Beginn des Kapitels aufgezeigt, handelt es sich bei der Thematik der agilen Führung nicht um ein klar definiertes Konzept. Aufgrund dieses Nichtvorhandenseins einer einheitlichen Definition sind konkrete Praxisbeispiele der agilen Führung aus der Praxis der Interviewpartnerinnen und Interviewpartner äußerst relevant, um sich der Thematik anzunähern.
Außerdem gibt es, trotz der unterschiedlichen Definitionen und Auffassungen der agilen Führung, grundlegende Gemeinsamkeiten. Agile Führung wird als Abkehr von klassischen Top-down-Führungskonzepten empfunden. Die Befragten sind sich darüber einig, dass sie alle von der VUCA-Welt geprägt werden und dadurch agile Führung als einziges zielführendes Führungskonzept für sie wahrgenommen wird. Ebenfalls sind sich die interviewten Personen darüber einig, dass in agiler Führung Hierarchien flach sind, Verantwortung in Teams abgegeben wird und die Führungskraft eine andere Rolle einnimmt als in traditionell pyramidenförmig organisierten Unternehmen. Im Folgenden wird noch auf Unterschiede sowie Gemeinsamkeiten zwischen den befragten Interviewpartnerinnen und Interviewpartnern eingegangen, dabei erfolgt eine Unterteilung in zwei Gruppen, nämlich in Holokratieunternehmen und in Nicht-Holokratieunternehmen.
In der agilen Führung werden nicht vereinzelt Aufgaben und Verantwortlichkeiten „spontan“ bzw. ad hoc an Mitarbeitende delegiert, sondern die Verantwortlichkeiten sind strukturell geregelt und somit im Vornherein klar definiert und institutionalisiert. Den Mitarbeitenden wird mehr Verantwortung übertragen als in traditioneller Führung. Interviewpartner 7 von einem holokratischen KMU geht so weit und sagt, dass es in seiner Organisationsform kein mittleres Management benötigt, da die Triage von Aufgaben, das Weitergeben von Informationen und insbesondere das Kontrollieren allesamt wegfallen und nur dem Output des Unternehmens dienende Tätigkeiten gefragt sind (Interviewpartner 7, 2020). Personen aus einem mittleren Management müssen also in der Holokratie eine andere Rolle einnehmen. Bei den nicht-holokratischen Unternehmen handelt es sich um Großunternehmen. Sie versuchen, die Hierarchiestufen ebenfalls zu reduzieren, dennoch gibt es bei ihnen mehr Hierarchiestufen als in der Holokratie. Aber auch bei diesen Unternehmen ist in der agilen Führung eine ähnliche Richtung wie in den Holokratieunternehmen festzustellen, sprich die Rolle der Führungskräfte ist im Wandel.
Agile Führung kann sowohl auf Projektebene als auch auf Unternehmensebene eingesetzt werden. Wird Mitarbeitenden nur in Projekten mehr Entscheidungsgewalt und Verantwortung übergeben, oder haben sie auch auf Unternehmensebene die Möglichkeit, gestaltend einzugreifen? Sowohl in Holokratieunternehmen als auch in Nicht-Holokratieunternehmen wird den Mitarbeitenden ein gewisser Rahmen gegeben und darin übernehmen Mitarbeitende mehr Verantwortung und agieren selbstorganisiert, was der agilen Führung entspricht. In Holokratieunternehmen können Mitarbeitende auch auf Unternehmensebene etwas bewirken, mehr als in den befragten nicht-holokratischen Unternehmen. In der Holokratie finden meist monatlich Governance-Meetings statt. Dabei haben die Mitarbeitenden die Möglichkeit, Änderungen an Rollen vorzunehmen und Verantwortlichkeiten anzupassen. Anhand des Beispiels des Governance-Meetings lässt sich die Partizipation der Mitarbeitenden in der Holokratie simpel aufzeigen. Tritt bei einer mitarbeitenden Person bzw. in der Rolle, in der sie arbeitet, eine Spannung auf, dann hat sie nicht nur das Recht, sondern gar die Pflicht, diese Spannung im passenden Meeting einzubringen. Spannungen, die das Operative betreffen, werden im Tactical Meeting abgehandelt, und jene, die grundlegendere Aspekte aufweisen und von strategischer oder struktureller Natur sind, werden in den Governance-Meetings behandelt. Alle holokratischen Unternehmen leben dies in der Praxis so, wie es in der Holokratieliteratur festgehalten ist. Ein von den interviewten Personen aus holokratischen Unternehmen genanntes spannendes Charakteristikum ist, dass in der Holokratie arbeitende Personen die Möglichkeit bzw. gar die Pflicht haben, auch auf Unternehmensebene gestaltend mitzuwirken. Mitarbeitende dürfen nicht nur kritisieren, sondern sie sind auch in der Pflicht, zur Lösungsfindung beizutragen. Dies geschieht durch auftretende Spannungen, welche im Tactical resp. Governance-Meeting abgearbeitet werden. Dies ist bei den anderen befragten Unternehmen nicht so explizit erwähnt worden. Die Partizipation der Mitarbeitenden ist in Holokratieunternehmen als noch höher einzustufen als bei den anderen befragten Unternehmen.
Treffen von Entscheidungen in agiler Führung
Holokratieunternehmen haben beim Treffen von Entscheidungen alle die gleiche Auffassung. Der Entscheidungsprozess ist in der Holokratie klar definiert. Sie sind sich einig, dass agil zu führen nicht heißt, Mitarbeitenden eine „Freikarte“ zu überreichen. Sie müssen bei Entscheidungen die Personen miteinbeziehen, die davon direkt betroffen sind. Es benötigt zwar nicht die explizite Zustimmung sämtlicher Betroffenen, aber es ist notwendig, dass niemand einen gewichtigen und berechtigten Einspruch einwendet, diese Art der Entscheidung wird als Konsententscheidung definiert. Um Konsententscheide zu illustrieren, hat Interviewpartner 7 ein einfaches, wenn auch nicht ganz praxisnahes Beispiel genannt:
„Ich muss nicht jeden fragen und nur wenn jeder Ja sagt, ist es Okay. Genau, ich sage jetzt mal, ich komme herein und sage, ich habe eine Spannung, ich mache jetzt ab morgen einen Kiosk und verkaufe dort „Schoggistängeli“. (…) wenn dieser Einwand, den irgendjemand hat, nicht aufweisen kann, dass er in seiner Rolle betroffen ist und vor allem das Geschäft geschädigt wird, (…) muss mir nachgewiesen werden können, dass mit meiner Kiosk-Idee das Geschäft geschädigt wird. Das kann fast niemand. (…) Und das ist der Shift. Vorhin hätte ich garantiert von irgendjemandem wegen einer Befürchtung ein Nein gekriegt, und das wäre dann einfach unter den Tisch gefallen. Und so werden ja auch viele gute Initiativen verunmöglicht.“ (Interviewpartner 7, 2020, D7:31)
Wenn durch eine Entscheidung aber dann Spannungen entstehen, werden diese im Rahmen des entsprechenden Meetings gelöst, somit würde dann korrigierend eingegriffen und die Entscheidung revidiert werden.
Ein Beispiel aus der wirklichen Praxis ist, dass wenn jemand einen bestimmten Betrag auszugeben beabsichtigt, dann stellt diejenige Person in einem vorhandenen Kommunikationstool eine Ankündigung inklusive einer Begründung ein. Innerhalb des Tools können dann Fragen gestellt und Einwände erhoben werden, falls aufgrund der Ausgabe eine Schädigung des Unternehmens erwartet wird. Eventuelle Einwände müssen integriert werden, aber es braucht nicht die explizite Zustimmung aller Betroffenen, um die Freigabe zu erhalten (Interviewpartner 4, 2020).
Ein weiteres Beispiel liefert die Interviewpartnerin 2:
„Wir haben zum Beispiel auch sechs Wochen Ferien, weil Mitarbeiter so gut argumentieren konnten, dass diese sechste Woche einfach die Leistung steigert, und die haben wir jetzt, und auch so kann man sich einbringen.“ (Interviewpartnerin 2 2020)
Auch das nicht-holokratische, global agierende Großunternehmen strebt künftig vermehrt Konsententscheidungen an, da bei demokratischen Entscheidungen sowohl Experten als auch Nicht-Experten gleich viele Stimmrechte haben und hingegen beim Konsent nur berechtigte Einwände berücksichtigt werden müssen (Interviewpartner 10, 2020). Interviewpartner 9 von einem weiteren nicht-holokratischen Großunternehmen gibt zu, dass das Entscheiden nicht so systematisch ablaufe, es aber dennoch ein ganz wichtiges Thema sei. „Wir versuchen eigentlich, noch einen sehr konsensgetriebenen Dialog zu führen.“ Neben Konsensentscheidungen werden bei seinem Arbeitgeber auch oft konsultative Einzelentscheide gefällt (Interviewpartner 9, 2020).
Es kann also festgehalten werden, dass die unterschiedlichen Entscheidungsarten, die in der Theorie wichtig sind, auch in der Praxis zum Einsatz kommen. Holokratieunternehmen setzen auf Konsententscheide und die anderen Unternehmen teilweise auch, aber zudem noch auf Konsensentscheide und auf konsultative Einzelentscheidungen.
Vorteile des agilen Führens
In agil geführten Unternehmen tragen alle Mitarbeitenden Verantwortung. Viele befragte Personen haben erwähnt, dass Mitarbeitende durch diese Verantwortung mit einer höheren Motivation und Einsatzbereitschaft arbeiten, was sich in besseren Ergebnissen äußert. Ein weiterer Vorteil, der sich aufgrund der Verantwortung ergibt, ist, dass Entscheidungen dort getroffen werden, wo das entsprechende Wissen vorhanden ist. Die Konsententscheidungen wurden ebenfalls positiv hervorgehoben. Generell wird betont, dass in agil geführten Unternehmen Entscheidungen schneller und in einer besseren Qualität getroffen werden als in traditionell geführten Unternehmen.
In der agilen Führung sind die Mitarbeitenden in der Pflicht. Insbesondere in der Holokratie wird es nicht geduldet, wenn einfach Kritik erfolgt, ohne Verbesserungsvorschläge aufzuzeigen bzw. gemeinsam Verbesserungsvorschläge auszuarbeiten. Mitarbeitende verfügen über die Mittel, Veränderungen und Verbesserungen von sich aus anzustoßen. Dieses aktive Einbinden der Mitarbeitenden wird von allen befragten Personen als Vorteil eingestuft. Bei den Vorteilen kann abschließend noch erwähnt werden, dass agile Unternehmen schnell auf sich ändernde Rahmenbedingungen reagieren bzw. agieren können. Dieser Vorteil ist nicht allein auf agiles Führen zurückzuführen, sondern generell auf die zugrunde liegende Agilität im Unternehmen selbst.
Die Interviews sowie die Erstellung der vorliegenden Untersuchung erfolgten im Frühling 2020, sprich während der ersten Welle der Corona-Pandemie. Aufgrund dessen wurde in den Interviews danach gefragt, ob es zum Thema agile Führung in der damaligen Situation etwas Bemerkenswertes gab. Es wurde von sämtlichen Interviewpartnerinnen und Interviewpartnern berichtet, dass dank der herrschenden Agilität in den Unternehmen und der agilen Führung sich die Mitarbeitenden sehr schnell an die sich ändernden Rahmenbedingungen angepasst haben und somit resilienter sind. In allen Unternehmen wurde sofort generell auf Homeoffice umgestellt. Trotz dieser abrupten und einschneidenden Änderung konnten alle Unternehmen sofort ihre Arbeit wie gewohnt weiterführen. Einzig das Unternehmen, welches über eine Produktion bzw. Werkstatt verfügt und somit nicht alle Tätigkeiten im Unternehmen ins Homeoffice verlagern konnte, musste mit Einschränkungen leben (Interviewpartner 6, 2020).
Aber auch bei agiler Führung ist mit Schwierigkeiten und Herausforderungen zu rechnen. Sie ist selbstverständlich nicht ein Allheilmittel. Es gibt auch in agilen Organisationen, bei denen die Mitarbeitenden viel Verantwortung tragen, weiterhin Probleme. Interviewpartner 5 betont, dass unabhängig von der Organisations- und Führungsform es immer zu Problemen kommt, wenn Menschen zusammenarbeiten (Interviewpartner 5, 2020).
Führungsansätze agiler Führung
In Tab. 10.5 sind Führungsansätze aufgelistet, welche entweder durch die interviewten Personen explizit genannt wurden oder die Aspekte davon erwähnt oder beschrieben haben.
Instrumente agiler Führung
In Tab. 10.6 sind Instrumente agiler Führung aufgelistet, welche entweder durch die interviewten Personen explizit genannt wurden oder die Aspekte davon erwähnt oder beschrieben haben.
10.3.2.4 Mitarbeitende bei agiler Führung
In den folgenden Abschnitten wird diskutiert, welche Kompetenzen und Fähigkeiten Mitarbeitende benötigen, um agil geführt zu werden, und inwiefern agile Führung in der Praxis im Interesse der Mitarbeitenden liegt. Außerdem wird auch erörtert, bei wem agile Führung zur Überforderung führt und wie unterschiedlich dies in der Praxis gehandhabt wird.
Benötigte Kompetenzen und Fähigkeiten der Mitarbeitenden bei agiler Führung
In diesem Abschnitt wird exemplarisch auf von Interviewpartnerinnen und Interviewpartnern genannte Kompetenzen eingegangen.
Mitarbeitende müssen einen eigenen Antrieb für das Arbeiten haben, da sind sich alle elf interviewten Personen einig, dies kann als intrinsische Motivation interpretiert werden. Im „Idealfall“ ist der Job der Lebensinhalt der Mitarbeitenden. Interviewpartner 3 betont, dass Mitarbeitende, die ihren Job nur machen, um Geld damit zu verdienen, nicht die für agile Führung passenden Mitarbeitenden sind (Interviewpartner 3, 2020). Interviewpartner 3 ist außerdem der Auffassung, dass junge Menschen, beispielsweise Lernende, nicht für agile Führung geeignet sind, da ihnen Seniorität und Erfahrung in der Arbeitswelt fehlen (Interviewpartner 3, 2020). Er gibt zudem an, dass er sich nicht vorstellen kann, dass agile Führung bei Personen mit „geistigen Einschränkungen“ funktioniert (Interviewpartner 3, 2020). Interviewpartner 6, der in einem Unternehmen arbeitet, bei welchem auch Menschen mit einer Behinderung angestellt sind, ist auch der Auffassung, dass diese eher klarere Vorgaben und Strukturen wünschen und mit ständiger Veränderung nicht zurechtkommen. Für ihn ist aber agile Führung auch anpassbar, somit wird den Personen, die klarere Strukturen und Stetigkeit benötigen, diese gegeben (Interviewpartner 6, 2020).
Dass sich die Mitarbeitenden ständig weiterentwickeln, ist laut den Interviewpartnerinnen und Interviewpartnern in der agilen Führung ein wichtiger Faktor. Gemäß Interviewpartnerin 2 müssen sich Personen in Organisationen mit flachen Hierarchien noch mehr weiterentwickeln, als dies bei hierarchischen Strukturen der Fall ist (Interviewpartnerin 2, 2020). Weiterentwicklung ist vielfältig zu interpretieren. Sie kann bei Mitarbeitenden daraus bestehen, aufgrund von Feedback oder von gemachten Erfahrungen das eigene Verhalten bzw. Vorgehen zu reflektieren und gegebenenfalls zu ändern. Weiterentwicklung geschieht aber auch durch interne und externe Schulungs- bzw. Weiterbildungsangebote. Das Schweizer Großunternehmen 1 setzt bei der Weiterbildung auf Freiheiten für die Mitarbeitenden. Es wird für die Mitarbeitenden ein breites Angebot zur Verfügung gestellt, woraus Mitarbeitende die für sie interessanten Lernangebote eigenständig auswählen können (Interviewpartner 8, 2020).
Agile Führung im Interesse der Mitarbeitenden
Alle elf interviewten Personen von zehn unterschiedlichen Unternehmen betonen vehement, dass agile Führung im Interesse des Großteils der im Unternehmen tätigen Personen ist. Die Mehrheit der Mitarbeitenden schätzt es, mehr Verantwortung zu übernehmen und sich aktiv zu beteiligen, dies erwähnen alle interviewten Personen. Es gibt aber in jedem der befragten Unternehmen auch Mitarbeitende, die eine klassischere Führung bevorzugen und somit agile Führung nicht in deren Interesse liegt. Interviewpartner 5 sagt ausdrücklich:
„Also die Leute wollen das, wir merken das auch an der Jobfront, dass das ein Selling Point ist, dass man agil, eine agile Organisation hat mit Selbstverantwortung. Die Leute suchen das.“ (Interviewpartner 5, 2020)
Interviewpartner 8 betont ebenfalls, dass die „Knowledge-Worker“ sich damit wohlfühlen und es schlicht in der heutigen Zeit notwendig ist, so zu führen (Interviewpartner 8, 2020).
Zwei Interviewpartner haben erwähnt, dass bei ihnen mehrere Mitarbeitende mit der agilen Führung nicht zurechtgekommen sind bzw. nicht zurechtkommen. Es handelt sich dabei um Personen, welche tendenziell bereits etwas älter sind und sehr lange bereits anderes Arbeiten und Führen gewohnt waren. Es fehle bei einigen die Bereitschaft, sich damit auseinanderzusetzen, und somit kann festgehalten werden, dass agile Führung teilweise für ältere Personen nicht in deren Interesse sein könnte. Die beiden Interviewpartner haben aber nicht gesagt, dass sämtliche ältere Personen nicht mit der agilen Führung zurecht kommen, sondern nur ein Teil der älteren Personen. Andere Interviewpartnerinnen und Interviewpartner haben diesen Aspekt der älteren Personen wiederum gar nicht genannt. Eine abschließende Einschätzung kann hier nicht getroffen werden.
Erwähnenswert ist aber noch die Einschätzung von Interviewpartner 3, der Holokratie als fast zu extrem empfindet und der Meinung ist, dass über die Hälfte der Menschen nicht in der Lage ist, „in einer rein holokratischen Umgebung glücklich zu werden, weil sie zu wenig Leitplanken haben“ (Interviewpartner 3, 2020). Bei seinem Arbeitgeber wird aber dennoch agil geführt, denn dafür wird ja nicht Holokratie benötigt. Für ihn ist lediglich Holokratie nicht die passende Organisationsform, weil sie zu wenig Leitplanken und Feedback gebe. Es ist an dieser Stelle aber anzumerken, dass die anderen sechs interviewten Holokratieunternehmen in den Interviews nicht diese Auffassung kundgetan haben.
Überforderung von Mitarbeitenden bei agiler Führung
Grundsätzlich liegt agile Führung also im Interesse der Mitarbeitenden, doch es gibt auch solche, bei denen die Verantwortung und die Selbstorganisation zu Überforderung führt. Bei einigen Mitarbeitenden ist diese Überforderung nur anfänglich da, und nach einiger Zeit verschwindet sie.
Bei einem holokratischen KMU ist man sich dessen sehr bewusst; die Bewerberinnen und Bewerber werden vor der Anstellung klar geprüft, und es werden nur Personen eingestellt, von denen sie erwarten, mit agiler Führung zurecht zu kommen. Neu angestellte Personen werden bei ihnen in den ersten drei Monaten sehr intensiv betreut. Dieses Onboarding funktioniert bei ihnen gut, denn sie haben kaum Mitarbeitende, die aufgrund der agilen Führung überfordert sind (Interviewpartnerin 2, 2020).
Zu Personen, bei welchen die Überforderung bestehen bleibt, gibt es in den befragten Unternehmen unterschiedliche Herangehensweisen. Einige sehen die Lösung darin, dass Mitarbeitende, die mit agiler Führung nicht zurechtkommen, das Unternehmen besser verlassen sollen, da sie in diesem Führungskontext nicht glücklich werden. Der Interviewpartner 3 vom Unternehmen, welches Holokratie als zu extrem empfunden hat, sieht dies aber ganz anders. Wenn bei ihnen im Unternehmen jemand mit agiler Führung nicht zurechtkommt, sieht er die Lösung nicht darin, die Person in den Arbeitsmarkt abzugeben, sondern die Art der Führung zu adaptieren, denn dies empfindet er wiederum als agil. Wenn es sich also um eine fähige Person handelt, die schlicht mit den Führungsstrukturen nicht zurecht kommt, wäre es für ihn schade, solche Leute aufgrund des im Unternehmen vorherrschenden Führungskonzepts zu verlieren. Somit nimmt er lieber eine Adaption der Führung in Kauf, als jemanden, der mit agiler Führung überfordert ist, zu entlassen (Interviewpartner 3, 2020).
„Und wenn diese Person die Leute glücklich macht, muss ich meine Führungsstruktur so anpassen (…) vermutlich wäre ein Einstein auch nicht gewillt gewesen, in eine agile Organisation zu gehen.“ (Interviewpartner 3, 2020)
10.4 Fazit und Ausblick
Agile Führung zeichnet sich dadurch aus, dass die Verantwortung nicht bei einer führenden Person liegt, sondern dass diese in das Team, resp. an die Rollen, abgegeben wird. Führungskräfte treffen nicht mehr top-down über alles die Entscheidungen, sondern die Entscheidungen werden dezentral dort getroffen, wo sie am besten gefällt werden können. Die Entscheidung erfolgt beispielsweise als Konsententscheidung oder als konsultativer Einzelentscheid.
Die Führungskraft nimmt mehr eine coachende, dienende Rolle ein als eine allein top-down entscheidende Rolle. Sie beschränkt sich auf das Setzen von Rahmenbedingungen und das Abbauen von hinderlichen Barrieren. Die agile Führung vergrößert das Mitspracherecht der Mitarbeitenden, und es wird untereinander lateral geführt. Der hohe Stellenwert der Mitarbeitenden hat positive Effekte auf sie. Sie sind motivierter und einsatzbereiter bei der Arbeit, was in besseren Ergebnissen mündet. Damit dies funktioniert, benötigen sie eine intrinsische Motivation. Für den Großteil der Mitarbeitenden in den befragten Unternehmen liegt agile Führung in deren Interesse. Bei einigen Mitarbeitenden führt sie aber auch zur Überforderung. Schließlich kann gesagt werden, dass agile Führung in der Praxis gut funktioniert, sie aber gemäß Literatur beispielsweise bei Feuerwehreinsätzen oder bei Operationen sowie bei Routineaufgaben wie der Buchhaltung nicht das richtige Konzept ist.
Aufgrund der Vorteile, die agile Führung sowohl den Mitarbeitenden als auch den Unternehmen bietet, wird es mit Sicherheit interessant, zu beobachten, welche momentan noch stark hierarchisch organisierten (Groß-)Unternehmen künftig ihre Hierarchien abflachen und dann eher auf eine agile Führung setzen, und wie sich dies auf den Fortbestand des Unternehmens auswirkt. Aufgrund der anhaltenden resp. eher noch stetig zunehmenden VUCA-Bedingungen wäre es nachvollziehbar, wenn Agilität in Unternehmen in Zukunft ein noch größeres Bedürfnis wird und es sich hierbei nicht nur um einen vorübergehenden Modetrend handelt.
Agilität kann als Ausprägung von bzw. wechselseitige Verbindung zur Resilienz gesehen werden. So tragen agile Führung und agile Organisationskonzepte zu einer Stärkung der Resilienz bei. Tiefergehende Erkenntnisse wären in diesem Wechselspiel von Interesse.
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Grimm, J., Tokarski, K.O. (2022). Führen in agilen Organisationsstrukturen. In: Schellinger, J., Tokarski, K.O., Kissling-Näf, I. (eds) Resilienz durch Organisationsentwicklung. Springer Gabler, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-36022-1_10
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