Für die Kategorie „Arbeits- und lernkulturelle Besonderheiten“ lassen sich folgende Unterkategorien herausarbeiten, die für SE von besonderer und ebenso von eigener Relevanz sind und die in diesem Kapitel in dieser Reihenfolge dargestellt und diskutiert werden:

  • Mission des Social Entrepreneurs und sozialunternehmerisch verankerte Vision,

  • Networking/Kooperationsmanagement innerhalb und außerhalb der SE(O)-Landschaft,

  • Gründung und Arbeitsverständnis im Team – oder als Solist,

  • Personalarbeit/Human Resources Management,

  • Sonderstatus: ehrenamtliche Mitarbeiter,

  • Handlungsprinzipien in Belastungssituationen,

  • Bewertung des Scheiterns sowie

  • Qualitätsbewusstsein und ganzheitlich-prozessorientiertes Präventionsverständnis.

Zur Illustration werden dabei Schilderungen der Interviewpartner zu generierten Kodes wieder als Endnotenverweis eingearbeitet, und die gewonnenen Erkenntnisse werden an internationalen Studien, die im Forschungskontext der Arbeitsgestaltung und der Wirkung von Arbeit von Social Entrepreneuren bestehen, gespiegelt und in der bestehenden Forschungslandschaft verortet.

Bei der Diskussion werden abermals wissenschaftliche Erkenntnisse wie z. B. Modelle und Theorien herangezogen, die zur inhaltlichen Erläuterung der eigenen Studienergebnisse passen und die Bedeutung der Kodes bekräftigen. Darüber hinaus werden in Abschnitt 9.4 die Erkenntnisse in ein führungspsychologisches Grundverständnis eingebunden und in Abschnitt 9.8 erfolgt eine Einbindung der Erkenntnisse in ein qualitäts- und präventionsmanagementbezogenes Grundverständnis. Dies erfordert, dass zuvor die entsprechenden Modelle und Theorien hinreichend hergeleitet werden.

Kapitelabschließend wird aufgezeigt, welche Bedeutung die in diesem Kapitel dargestellten Erkenntnisse für das Wirkungsmodell zur Arbeitsgestaltung von SE besitzen.

Zwar äußern sich Befragte einerseits in arbeits- und lernkultureller Hinsicht ausführlich so, wie es ebenfalls für KE zu erwarten ist: beispielsweise zum hohen Bedeutungsgehalt, sich von guten Argumenten überzeugen zu lassen (IPE1094), zu Fehlern zu stehen (IP51095), im wachsenden Unternehmen Verantwortung auf Mitarbeiter zu übertragen (IP21096, i. V. m. IP21097), Service- und Kundenorientierung zu besitzen (IPE1098), virtuelle Ansprachen für das Marketing zu nutzen (IPξ1099; IP311100), eigene Erfahrungen im Gründen und in der selbstständigen Tätigkeit sowie Lebenserfahrung als hilfreich zu empfinden (IP191101; IPQ1102; IP191103; IPi1104) und dass aus einem geweckten Kundeninteresse noch kein Automatismus für den Erwerb eines Produkts oder einer Dienstleistung hervorgeht (IP11105; IPL1106; IPy1107; IPA1108), so dass Fehleinschätzungen zu Interessen und Bedürfnisse von Kunden fatale Folgen haben können (IPL1109; IP11110); beispielsweise ebenso, dass hinreichend in Betracht zu ziehen ist, dass ein Wurm an der Verkäuferangel dem Fisch im Sinne der Kunden schmecken muss und nicht dem Angler (IPS1111). Für SE und KE gilt gleichermaßen, möglichst frühzeitig zu erkennen, wenn für die Entwicklung von Produkten oder Dienstleistungen nicht vorhandene Kompetenzen benötigt werden und daraufhin weitere Personen in das Team einzubinden sind, die diese Kompetenzen mitbringen (IPδ1112), was hinreichend Vertrauensbereitschaft und Teamorientierung einfordert.

Andererseits zeigen Befragte neben ihrem ausgeprägten gemeinwohlbezogenen Reflexionsvermögen (IPx1113; IP101114; IPi1115; IPF1116; IP231117; IP101118) die nachfolgend diskutierten Besonderheiten.

9.1 Von der Mission des Social Entrepreneurs zur sozialunternehmerisch verankerten Vision

Im Rahmen der Interviews geben Befragte zu verstehen, auf Basis ihrer idealistisch geprägten Grundhaltung die Welt positiv verändern zu wollen (IP181119). In diesem Sinn haben SE eine personenbezogene Mission und leiten aus ihr eine gesellschaftsbezogene Zielsetzung ab, die sie sozialunternehmerisch verfolgen. Wird dabei der Veränderungswille höher priorisiert als das Reagieren auf marktbezogene Rahmenbedingungen, handelt es sich zwar um ein sehr bewusstes Agieren im Feld zugunsten der vorhandenen Mission und Zielsetzung, aber dadurch steigt ein unternehmerisches Risiko.

Dabei erheben Befragte den Anspruch, ihre Kunden aufklären zu wollen: Kunden sollen auf Basis einer transparenten Informationsvermittlung selbstverantwortlich ein Entscheidungsbewusstsein entwickeln können und somit ihre innere Haltung reflektieren. Ein Prozess des Umdenkens soll dabei einsetzen. Hieraus soll letztendlich eine Verhaltensänderung hervorgehen können (IPT1120). Dabei können Kunden aus Überzeugung zu neuen Handlungen angeleitet werden (IPd1121).

IP28 bekundet ebenfalls seinen Aufklärungsbedarf gegenüber seinen Ansprechpartnern und spricht hierbei vom Schulungsweg. Sein Leitbild sozialunternehmerischen Handelns hat er für seine Ansprechpartner in einem Lehrbuch zur Weggestaltung dokumentiert. Auf diesem Weg möchte IP28 seinen Lesern dazu verhelfen, sich von Schülern zu Meistern zu qualifizieren (IP281122). IP28 legt dabei die innere Haltung zugrunde und reflektiert diese im Hinblick auf den Umgang mit Geld. Die zentral bedeutsame Entscheidung ist dabei, was aus dem Geld gemacht wird: ob aus der gesetzten Saat eine positive oder eine negative Gestalt gezogen wird.

IP22 wollte ursprünglich auf informellem Weg in gesellschaftlichen Milieus für einen sozialen Missstand sensibilisieren. Als dabei der Bedarf für mehr Gestaltungsarbeit erkennbar wurde, gründete er seine SEO (IP221123). Damit nahm er offiziell eine Vorbildfunktion ein. Deutlich wird, dass sich Bildungsziele nicht immer klar von Erziehungszielen abgrenzen lassen.

Die hier benannten Beispiele vereint, dass die SE versuchen, auf Basis ihrer eigenen Grundhaltung im ersten Schritt ohne Handlungsdruck die Haltungsziel-Ebene ihrer Zielgruppenpersonen anzusprechen. Diese Vorgehensweise entspricht zumindest ansatzweise der in Abschnitt 8.3 beschriebenen Weiterentwicklung des Rubikon-Modells. Dabei soll sich ein Individuum eher auf seine unbewussten Bedürfnisse einlassen können. Die Entscheidungsdichotomie dieser im limbischen System verankerten Bewertung ist eine emotionale: „fühlt sich gut an“ versus „fühlt sich nicht gut an“. Erst zu einem späteren Zeitpunkt, also nachdem sie ein möglichst gutes Gefühl entwickelt haben, versuchen die SE, ihre Zielgruppenpersonen auf deren Verhaltenszielebene zu erreichen. Eine bewusste Motivlage wird aktiviert, die kortikal zu verorten ist. Deren Entscheidungsdichotomie lautet „ist richtig“ versus „ist falsch“. Diese Schwerpunktsetzung in dieser Reihenfolge erweist sich motivationspsychologisch als geschickt, da – wie in Abschnitt 8.3 dargestellt – emotionale Aktivierungen Einfluss auf Entscheidungsfindungsprozesse nehmen (Roth, 2003; 2019; Roth & Dicke, 2005; LeDoux, 2000).

Ein Spannungsfeld kann für Befragte bestehen, wenn sie z. B. sozial Benachteiligten helfen wollen, ihnen aber zuvor die Vorteile des SEO-Konzepts vermitteln müssen, und wenn die sozial Benachteiligten an Strukturen festhalten, die sie gewohnt sind (IP101124) und die ihnen Sicherheitsgefühle vermitteln, eventuell sogar Bedürfnisse der Grundsicherung befriedigen (vgl. Abschn. 8.3).

So kann der Wille bestehen, die soziale Mission breit aufgestellt zu verfolgen (IPT1125; IPT1126) und dabei eine Vision zu vermitteln (IPT1127), so dass der Wunsch dieses Befragten einem Erziehungsanspruch gleicht (IPT1128, i. V. m. IPT1129).

Ebenso kann ein unternehmerischer Zwang zur Befähigung des Kunden zur Ko-Kreativität bestehen, um wettbewerbsfähig sein zu können. Gegebenenfalls muss der Kunde von Vorteilen und Nutzen eines teureren Produkts überzeugt werden (IP101130). In diesem Verständnis zeigt IP10 einen „Erklärungsbedarf“ gegenüber seinen Ansprechpartnern.

Befragte geben zu verstehen, dass das in den Grundwerten und im Leitbild verankerte Vorgehen jedoch nicht mit einem gesellschaftsbezogenen Erziehungsanspruch gekoppelt sein muss (IPc1131), und wenngleich die Begriffsverwendung für Missionsgetriebenheit i. d. R. einseitig passiert und darunter die Bezugnahme auf soziale Zielsetzung und Wirkung verstanden wird, wird darüber hinaus ein Aspekt benannt: der Gesellschaft zu zeigen, dass mit Sozialunternehmertum Geld verdient werden kann, darf und soll (IPG1132).

In der Gesamtbetrachtung wird deutlich, dass Bedürfnisse, Motive und Einstellungen auf die Arbeits- und Lernkultur wirken (im Wirkungsmodell wiedergegeben als Wirkungspfad b).

9.2 Networking/Kooperationsmanagement innerhalb und außerhalb der SE(O)-Landschaft

Viele der genannten Aspekte zum Networking und Kooperationsmanagement erscheinen ebenso für KE relevant. Dennoch ist den ausführlichen Schilderungen und dem damit verliehenen Stellenwert Rechnung zu tragen, zumal die Komposition benannter Aspekte eine eigene Wirkungsdynamik mit sich bringen kann.

Gelingendes Networking wird von Befragten als fundamental bedeutsam für den SEO-Erfolg beschrieben (IPπ1133; IPk1134; IP91135; IPL1136; IP341137). In der Folge wird an Förderprogrammen kritisiert, wenn sie unzureichend auf Zusammenarbeit ausgelegt sind bzw. Zusammenarbeit durch Förderbedingungen unterbunden wird (IP201138).

Prinzipiell unterscheiden Befragte zwischen einem auf Fachinhalte bezogenen Networking innerhalb der jeweiligen Branche (IPb1139), aus dem Fachexpertise geschöpft wird (IPγ1140), und einem strategischen Networking für überfachliche Anliegen und Zielsetzungen, etwa zu Vermarktungszwecken (IP51141) oder durch Kooperationsdruck, der durch Wachstum der SEO provoziert wurde (IP151142; zum inhaltsbezogenen Stellenwert von Networking: IP211143).

Grundsätzlich stellt sich die Frage, wer von wem erfährt, welche Vernetzungsmöglichkeiten es gibt (IPα1144), so dass der Zugang zu einem Netzwerk per se eine Vernetzung zu Hinweisgebern voraussetzen kann. In jedem Fall muss ein SE über das Wissen verfügen, wo er zur Vernetzung geeignete Menschen treffen kann. Dabei betont eine Befragte, i. d. R. nicht wegen eines offiziellen Programms auf Tagungen zu gehen, sondern mit dem Ziel einer strategisch geplanten Kontaktgestaltung (IPk1145). Zudem gehen Befragte davon aus, dass es für das Networking bei potenziellen Netzwerkpartnern positiv wirken kann, wenn die Arbeit eines SE von hoher Qualität ist und ebenso, wenn sie ein Alleinstellungsmerkmal darstellt (IPU1146).

An SEO-U wird kritisiert, wenn sie keine Alumni-Treffen oder vergleichbare Angebote für ehemalige Beratungsstipendiaten realisieren (IP191147). Dabei geben SEO-U zu verstehen, sich hierzu außerstande zu sehen, wie in Abschnitt 5.14 bereits ausgeführt. In der Folge halten SE nach Beendigung eines Beratungsstipendiums vereinzelt eigeninitiativ den Kontakt untereinander (IP191148), zumal weiterer akuter Unterstützungsbedarf bestehen kann, der ohne Netzwerkstrukturen nicht aufgefangen wird; über vorgegebene Programmstrukturen hinaus besteht eventuell Netzwerk-Support (IP191149). Zum Beispiel sollte bei der Auseinandersetzung mit der Rechtsform ein Austausch mit erfahrenen SEO ermöglicht werden (IP61150), damit schmerzhafte Erfahrungen erspart bleiben. Dabei haben SEO-U-Netzwerke keinen Mehrwert für SE-Startups, wenn zu spezifischen Fragestellungen die Fachkompetenz fehlt, beispielsweise das Wissen über Finanzierungsregularien. Eine fachlich passgenaue Vernetzungsmöglichkeit kann eventuell nur eingeschränkt bestehen (IPä1151). Werden SE selbst aktiv, falls eine branchenspezifische Vernetzung noch nicht hinreichend gegeben ist (IPä1152), kann daraus Lobbyarbeit hervorgehen (IPä1153).

In diesem Sinn unterstützt IP2 mit seinem Networking jene SE-Startups, die bei anderen Wirkungsempfängern in vergleichbarer Weise soziale Wirkung erzielen wollen, ihr eigenes Kompetenzprofil zu erweitern. Dazu stellt er sein sich selbst angeeignetes probates Know-how zur Verfügung und zeigt Gefahren im Praxisfeld auf, so dass seine Netzwerkpartner effektiver durchstarten können, als er es selbst bewerkstelligen konnte (IP21154, i. V. m. IP21155). Dies bewirkt ebenfalls eine gegenseitige psychosoziale Unterstützung im Sinne eines Hilfe-zur-Selbsthilfe-Konzepts für ratsuchende SE, das im Selbstverständnis ein konstruktives Geben und Nehmen unterschiedlicher Informationen darstellt und zu einer eigenen, informellen SEO-U geworden ist, wobei IP2 als inzwischen langjährig Erfahrener als SE-Fachberater angefragt wird. Hieraus kann ein Beraternetzwerk hervorgehen, das aufeinander abgestimmt arbeitet und sich frei von Konkurrenzdenken zugunsten der inhaltlichen Zielsetzung bedarfsorientiert ergänzt (IP21156; IPJ1157; vgl. auch IPw1158; IP161159; IP171160; IP251161; zum Bedarf vgl. IPP1162). Für den Erfolg einer SE(O)-Beratung kann dabei bedeutsam sein, dass SE-Berater einen interdisziplinären Blick zulassen, so dass aus allen Beratungsrichtungen ein Perspektivwechsel ermöglicht wird, bestenfalls als Arbeit in einem sich fachlich ergänzenden Beraterteam (IP281163). Wenn es SE an finanziellen Ressourcen mangelt, bekommt Zeit hierbei eine noch größere Bedeutung, als sie es ohnehin schon hat. Sich mit geeigneten Fachexperten zu vernetzen und auf horizontaler Ebene Support zu erhalten, dabei in einen Gedankenaustausch zu gehen und eventuell langfristig Leistung in anderer Form wie beispielsweise als Rat gebende Unterstützung zurückzugeben, gleicht in der Arbeits- und Denkweise von IP2 einem Wissensdarlehen.

Networking ist demzufolge ein Bauen von Brücken und das Knüpfen von Knotenpunkten dort, wo vorher keine Verbindung bestand: SE, die in Beziehungen zueinanderstehen, treten in Kontakt, so dass eine Gestalt entsteht – gemäß dem Gestalt-Ansatz von Perls, Hefferline und Goodman (1951). Daher bedarf es der Grundbereitschaft zum Kooperieren (IP201164).

Werden Kooperationen mit Personen und Organisationen gezielt vermieden, die kein sozialunternehmerisches bzw. philanthropisches, gemeinwohlorientiertes Menschenbild in ihrer konzeptionellen Ausrichtung verankern (vgl. Abschn. 8.11; Abschn. 8.12), schränkt dies Vernetzungsmöglichkeiten ein. Gleichwohl wird geschildert, dass zum Realisieren von Vorhaben mit unterschiedlichen Akteuren kooperiert werden muss; bei der Kooperationspartnerwahl kann Kompromissbereitschaft durch Rahmenbedingungen regelrecht erzwungen werden (IP151165). Darüber hinaus kann es sich für SE als sinnvoll erweisen, sich in Netzwerkstrukturen von KE zu integrieren und in diesen proaktiv SEO-relevante Strukturen aufzubauen, sowohl auf überfachlicher Ebene (IPj1166) als auch auf fachlicher Ebene (IP191167; IPμ1168).

In diesem Sinn stellt es z. B. für einen der Befragten kein Hindernis dar, Kooperationen mit Organisationen einzugehen, die der sozialen Zielsetzung widersprechen, um in den Dialog treten und inhaltliche Impulse setzen zu können (IPÖ1169; IPÖ1170), wobei dieser SE auf argumentative Ausgewogenheit sowie auf den Erhalt seiner Flexibilität in der Ausgestaltung der Vernetzung achtet, wenngleich er Kompromissbereitschaft voraussetzt (IPÖ1171; IPÖ1172). Dabei kann sich in spezifischer Hinsicht eine ganz andere Wirkung als Lernerfolg abzeichnen: Beispielsweise lernen klassische Unternehmensberater im Rahmen ihrer Pro-bono-Beratungen im SE-Netzwerk von einer SEO dazu, was zu Einstellungsveränderungen auf der Seite des konventionellen Beraters führen kann (IP261173). Dass SE von Beratungen konventioneller Unternehmensberater ebenfalls profitieren, wurde ausgeführt. In Erinnerung wird hierbei gerufen, dass sich durch diese Lernsituation ebenfalls die Einstellung des SE zum Unternehmerischen verändern kann.

Gleichwohl werden besondere Herausforderungen geschildert für die Gestaltung der Zusammenarbeit außerhalb der SE(O)-Landschaft. Beispielsweise besteht in Lieferantenketten keineswegs ein bedingungsloses Verständnis für sozialunternehmerische Anforderungen (IPd1174). Hierzu passend bewerten die von Korber (2015) befragten, erfolgreichen „SozialunternehmerInnen Mentalitäten von Menschen als das größte Problem“ (S. 128). Sie „orten eine große Hürde darin, Menschen von einer guten Idee zu überzeugen, weil Denkweisen festgefroren sind und Vorschriften eng ausgelegt werden“ (ebd., S. 129). Dem Mentalitätenproblem folgt an zweiter Stelle mangelndes Vertrauen anderer (ebd., S. 131 f.). Um Vertrauensbasis und Transparenz positiv messbar gestalten zu können, bedarf es somit Messindikatoren (IP81175). Lediglich der Anspruch, eine Vertrauenskultur umzusetzen, reicht nicht aus; eventuell kommt es dabei zu einer Romantisierung bzw. Verdrängung des Unternehmerischen (IP171176, i. V. m. IP171177 & IP171178), zumal eine Vertrauenskultur kontinuierlich Veränderungsprozessen unterliegt und sich SEO-intern weiterentwickelt (IPA1179; IPk1180).

Allerdings zeigen Befragte auf, dass ebenso innerhalb der SE(O)-Landschaft besondere Herausforderungen für die Gestaltung der Zusammenarbeit bestehen (IPL1181). Dabei können ein unterschiedlicher Entwicklungsstand und unterschiedliche Interessensschwerpunkte sogar innerhalb der Betroffenengruppe zu sozialer Ausgrenzung und zu Abspaltung führen anstatt zur gemeinsamen Netzwerk-Gestaltung (IPm1182).

IP geben zu verstehen, dass Networking Eigeninitiative einfordert und für Befragte gehört zum erfolgreichen strategischen Vernetzen, sich zu informieren und proaktiv zu agieren (IPH1183; IPL1184; IPw1185; IPö1186; IP11187, i. V. m. IP11188), um über die Netzwerkgestaltung beispielsweise den Zugang zu relevanten Kontakten zu erhalten (IPk1189; IP341190). Eine Leitfrage kann lauten, welche Blickrichtung einem SE in seinem Netzwerk fehlt. Networking erfordert dabei Fingerspitzengefühl ebenso wie Frustrationstoleranz, wenn es beispielsweise neben dem eigenen Netzwerk andere Vernetzungsstrukturen gibt mit Interessen, die den SEO-Aktivitäten entgegenwirken (IPö1191).

Bekunden Netzwerkmitglieder Sympathie für potenzielle Neumitglieder, kann dies den Zugang ermöglichen (IPπ1192). Hingegen können Antipathie, Skepsis bzw. fehlendes Grundvertrauen einen Netzwerkzugang blockieren (IPL1193). Die Gründe für eine ablehnende Haltung können demzufolge in der Persönlichkeit des SE liegen, wenn er z. B. generell Schwierigkeiten hat, sich auf eine horizontale Vernetzung einzulassen und darin prinzipiell keinen Nutzen sieht (IP11194). Als vertrauensbildend erweist es sich für Befragte, Networking als kontinuierlichen Prozess des gegenseitigen Erhaltens und Gebens zu gestalten (IPü1195; IPε1196; IPε1197; IPj1198; IPπ1199; IP81200; IP61201; IPS1202; IP21203; IPP1204). Netzwerkzugang zu haben bringt demzufolge noch keinen positiven Effekt, sondern erst das eigene, aktive wie verbindliche Gestalten der Vernetzung (IP181205).

Netzwerkarbeit kann zur Veränderung des Zielgruppenfokus einer SEO führen: wenn z. B. Synergieeffekte im Netzwerk erkannt und genutzt werden. Vergleichbar zum induktiven Forschungsansatz der qualitativen Forschung kann im Netzwerk-Datenmaterial Neues verborgen sein, das erst in der Kombination der Netzwerkpartner exploriert werden kann (IPα1206). Dabei geben Befragte zu verstehen, dass ein SE seinem gewobenen roten Zielsetzungsfaden treu bleiben soll (IPh1207).

Networking setzt zudem voraus, dass Kooperationspartner zur Verfügung stehen. Dies ist nicht immer der Fall und wird z. B. für ländliche Regionen als besondere Herausforderung geschildert: Regional besteht für eine Befragte eine Förderkultur in ihrer strukturschwachen Region, die allerdings aufgrund der Rahmenbedingungen vor Ort nur geringfügig und mit hohem Aufwand verbunden in Anspruch genommen werden kann (IPÜ1208, i. V. m. IPÜ1209).

Geschildert wird ebenfalls, dass ein SE eventuell nur auf Akzeptanz bei seinem Gegenüber stößt, wenn dabei ein „Einer-von-uns-Eindruck“ erzeugt wird (IPE1210). Beispielsweise muss die Unternehmenssprache nicht in alle beruflichen Kontexte passen, so dass sich ein SE gegenüber seinen Netzwerkpartnern ggf. in der Selbstbezeichnung und Ausdrucksweise anzupassen hat (IPγ1211).

Das Fokussieren der in Abschnitt 8.10 dargestellten Kriterien zur Zielsetzung ist ebenfalls auf strategisches Networking anzuwenden. Beispielsweise hebt IP6 hervor, dass sie mit ihrem Networking die Zielsetzung verfolgt, die Zielgruppe für ihre SEO-Aktivitäten besser zu verstehen und herauszuarbeiten, welche Bedarfe ihre Zielgruppe bekunden bzw. welche SEO-Aktivitäten eine Chance haben können, sich im Marktgeschehen durchzusetzen (IP61212). Über die Passgenauigkeit von Zielsetzung und Zielerreichbarkeit des Networkings sollten sich bestehende Netzwerke ebenso im Klaren sein wie SE, die Interesse an der Aufnahme in Netzwerken bekunden (IPL1213). Frustration kann vorgebeugt werden, wenn ein transparenter Rahmen zur Zielsetzung und zur Vorgehensweise der Zusammenarbeit geschaffen und vermittelt wird. Eventuell lassen sich erst durch Versuch und Irrtum die Effektivität und die Vernetzungsgrenzen ausloten, so dass eine Zusammenarbeit ggf. wieder beendet wird (IPϱ1214). Daher sollte Ergebnisoffenheit gegenüber einer Erweiterungsfunktion für das Finden gemeinsamer Interessen oder für das Entwickeln der gemeinsamen Zielsetzung bestehen. Richtung und Intensität von der Entwicklung eines Netzwerks sind dementsprechend zu planen (IP91215). Wenn SE-Netzwerke mitgliederbezogen offene Arbeitsstrukturen darstellen, ist beim Wechsel von Mitgliedern kontinuierlich auszuloten, inwieweit sich die Interessen und Zielsetzungen für die Teilnahme an den Treffen verändern, damit es nicht zu Enttäuschungen kommt (IPh1216). Dabei heben Befragte hervor, dass Zuständigkeiten aus unterschiedlichen, nicht vorhersehbaren Gründen stark fluktuieren können (IPÄ1217; IPE1218), so dass Durchhaltevermögen und Resilienz auf Seiten aller Netzwerkpartner gefordert sind. Verändert bzw. wächst ein Netzwerk zudem an mehreren Stellen gleichzeitig und dadurch unkoordiniert, kann sich die Vernetzung für alle Akteure nur dann als förderlich erweisen, wenn diese an einem Strang ziehen. Insofern sollten sich alle Netzwerkpartner nach Möglichkeit auf eine gemeinsame langfristige Zielsetzung einigen, die einen gemeinsamen Nutzen ermöglicht (vgl. Brandenburger & Nalebuff, 1996).

Das Gestalten von Zusammenarbeit wird von IP als arbeitsintensiv erlebt (IPo1219) und als Investition in die Zukunft beschrieben, verbunden mit Ungewissheitsaspekten und als nicht immer kalkulierbar (IPE1220; IPλ1221; IPe1222; IP331223). Der Bedarf wird bekundet, die damit verbundene Ungewissheit bestmöglich zu minimieren (IPi1224, i. V. m. IPi1225). Befragte erweisen sich dabei als zukunftsorientiert; eventuell erwarten sie keine schnelle Rendite zur Investition in ihr Networking, lassen sich auf Unsicherheit ein und können abwarten, inwieweit sich eine Investition auszahlt (IPE1226). Dabei können sie bereit sein, das Risiko einzugehen, einseitig bzw. deutlich mehr zu investieren, als es die Netzwerkpartner tun (IP331227).

Networking ist vor allem eine Investition in die Zeitressource, wobei Effizienz und Effektivität der Vernetzungsangebote sicherzustellen sind (siehe oben: IPL1228). Beklagt werden ineffektive Netzwerktreffen (IPε1229). Gerade unerfahrene SE-Startups können sich einreden, im Falle der Säumnis von Netzwerktreffen wichtige Inhalte nicht mitzubekommen (IPM1230), wenn also eine Priorisierungskompetenz erst noch ausgebildet werden muss. Dementsprechend kann die Effektivität der Teilnahme leiden (IPL1231). Dieser Abwägungsprozess kann ebenso für erfahrene SE schwierig sein (IPj1232).

Wie in Kapitel 5 bereits ausgeführt, ist eine auf SE-Startups ausgerichtete Vernetzung für SE, deren SEO sich bereits in ihrer Betriebsphase befinden, relativ bedeutungslos (IPE1233), da sie andere Vernetzungsinteressen haben (IP311234) und Gründungsthemen verhältnismäßig irrelevant bzw. uninteressant geworden sind (IPE1235; IPE1236; IPI1237; IPω1238). Aus dem Kreis der Befragten wird betont, dass der Bundesverband SEND e. V. für Absolventen eines Startup-Stipendiums gegründet wurde, die „irgendwo im Off hängen“ (IPE1239; IP121240, i. V. m. IP121241), nicht aber die Interessen aller SE repräsentiert (IP251242; IPγ1243). Ein Befragter betont dabei, sich für seine relevanten Fragen ein eigenes Netzwerk aus der SEO-U heraus aufgebaut zu haben ohne Verbandsstruktur, maßgeschneidert für seine SEO-Zielsetzung. Dieses Vernetzen empfiehlt er auch allen anderen, die ihre Startup-Phase abgeschlossen haben.

Einerseits kommt es relativ häufig zu Vernetzungsaktivitäten bis hin zum Gründen branchenspezifischer Verbandsstrukturen (IPX1244; IPd1245; IPb1246). Andererseits wird zuweilen ein ausgeprägtes Einzelkämpferdasein beklagt (IPσ1247), zulasten einer interessengemeinschaftlichen Vernetzung. IP21 scheitert mit ihren seit Jahren bestehenden Überzeugungsversuchen zur Beseitigung dieses Missstands bei den bestehenden Verbandsstrukturen bis heute (IP211248). Kooperation erweist sich dabei z. B. als schwierig, wenn um gleiche Fördertöpfe gebuhlt wird.

Thematisiert wird auch die Verbindung zwischen Sozialunternehmen und Nichtregierungsorganisationen, die in Konkurrenz zueinanderstehen können bzw. bei denen Vertrauen in der Zusammenarbeit nicht hinreichend gegeben sein muss (IPh1249). Das von Brandenburger und Nalebuff (1996) geschaffene Kofferwort „Coopetition“ beschreibt diese marktbezogene Dualität von wertschöpfungsbezogener Kooperation einerseits (Cooperation: z. B. IP91250) und Wettbewerb andererseits (Competition: abermals IPσ1251; IPr1252; IPN1253), wobei durch die Zusammenarbeit optimalerweise etwas höherwertig Neues i. S. v. Win–win-Situationen für alle Akteure entsteht (IP61254; IP81255; IP31256). Dies gelingt in der Praxis jedoch nicht immer (IPα1257; IPp1258; IPβ1259). Bei gelingender Coopetition lassen sich z. B. für junge SEO mit wenig stabilen Marktbeziehungen die geringfügig vorhandenen Ressourcen bündeln; auf diesem Weg kann das Spektrum sozialunternehmerischer Möglichkeiten erweitert werden (vgl. Brandenburger & Nalebuff, 1996).

Wie in Abschnitt 8.10.1 im Rahmen der Diskussion von Feedback als Moderator bei der Zielsetzung bereits angedeutet, betonen Befragte, ihre SEO mithilfe ihrer Netzwerkkontakte freiwillig mit Beiratsgremien auszustatten. Dadurch kann sich eine neuartige, mit den gegebenen Strukturen nicht vergleichbare Netzwerkqualität entfalten (IPk1260). Auf diese Weise können SE ein Feedback von Außenstehenden erhalten. Dabei sollten sie reflektieren, welche unterschiedlichen Anforderungen an diese Gremienvertreter bestehen (IP161261); bei geeigneter Zusammensetzung kann der SE dem Anspruch an sein Qualitätsbewusstsein gerecht werden. Wird ein freiwilliger Blick von außen interdisziplinär gestaltet und auf diese Weise ein Perspektivwechsel zugelassen, lassen sich beispielsweise probate Managementstrukturen anderer Branchen auf einen eigenen potenziellen Nutzen prüfen, daraufhin antizipieren und eigene Fehlermöglichkeiten aufdecken. Auf diesem Weg können innerhalb der SEO bestehende blinde Flecken besser identifiziert werden (IPH1262; IPU1263; IPA1264).

Das dabei gegebene Managementverständnis spiegelt die Stewardship-Theorie mit ihrem Erklärungsansatz zur beratungsorientierten Unternehmensadministration und zur kooperationsbezogenen Beziehungsgestaltung wider (Davis, Schoorman & Donaldson, 1997). Dabei agieren Unternehmer mit Weitsicht, basierend auf nachhaltigkeitsorientierten Investitionen und Werten, die allen Stakeholdern zugutekommen sollen (Scheuerle, Schmitz & Hölz, 2013; Hernandez, 2012; Basu & Sharma, 2014). Bei dieser Langzeitorientierung lässt sich partnerschaftliche Zusammenarbeit in Gremien gestalten wie z. B. das Implementieren von Beratungsstrukturen auf freiwilliger Basis, die die ökonomischen Zielsetzungen im Auge behalten können, so wie oben bereits geschildert (vgl. auch Hernandez, 2008). Gleichwohl geraten nicht-ökonomische Ziele bei diesem auf Partizipation angelegten Erklärungsansatz per se deutlich stärker in den Fokus, so dass ein philanthropisches Verhalten durch persönliches Engagement gesteigert werden kann, was eventuell zulasten unternehmerischen Denkens und Handelns geht. Wenngleich die der Stewardship-Theorie entsprechende interdisziplinäre Zusammenarbeit von Befragten als gewinnbringend erlebt wird (IPk1265; IP281266; IP281267), wird ebenso geschildert, dass Hürden in der Kommunikation zu meistern sind (IP281268). Allerdings können nach der Stewardship-Theorie eventuell auftretende Beziehungs- und Interessenkonflikte aufgrund der auf Vertrauen und Integration aufbauenden Zusammenarbeit frühzeitig benannt und bestenfalls auch zufriedenstellend gemanagt werden.

Mit ihrer hohen Bedeutung von Werten inkludiert die Stewardship-Theorie eine Mitarbeiterorientierung, die von partnerschaftlicher Zusammenarbeit in sämtlichen Teamstrukturen geprägt ist (vgl. Hernandez, 2008). Somit lässt sich der Stewardship-Erklärungsansatz nicht nur auf Managementaufgaben, sondern ebenso auf Führungsaufgaben beziehen. Dabei kann das Anspruchsdenken einer harmonischen Zusammenarbeit in Mitleidenschaft gezogen werden, wenn unterschiedliche Zielvorstellungen beim SE und seinen Mitarbeitern vorliegen. Hierzu passend schildert ein SE, gegen den Widerstand seiner Mitarbeiter eine freiwillige behördliche Überprüfung provoziert zu haben (IPF1269).

Die Stewardship-Theorie grenzt sich ab von der Prinzipal-Agent-Theorie, deren Erklärungsansatz von vornherein nicht auf Einbindung aller Interessensgruppen angelegt ist, sondern nach dem auf Basis hierarchischer Strukturen eine asymmetrische Informationsverteilung praktiziert wird und bei dem keine Zielkonformität gegeben sein muss. Entstehende Konflikte lassen sich hierbei nur durch Kontrolle und institutionelle normative Vorgaben bearbeiten, was eine erhöhte Gefahr an Konflikteskalation mit sich bringt. Gleichwohl kann mit dem Stewardship-Erklärungsansatz eine höhere emotionale Belastung für den SE verbunden sein, zumal ein SE seine eigenen persönlichen Ziele und die der SEO im Einklang sehen will (vgl. Abschn. 8.2; Abschn. 8.10; ebenso bei Mitter, Duller, Feldbauer-Durstmüller & Kraus, 2014).

Vor allem betonen Befragte, dass interdisziplinär gestaltetes Kooperationsmanagement Perspektivwechsel ermöglichen kann und dass der SE bislang verschlossen gebliebene Lernerfahrungen zulässt und sich neue Kompetenzen aneignet (IPE1270; IP261271; IPI1272). SE-Netzwerke können der Reflexion einer Fehlerkultur dienen und es dabei auch ermöglichen, das eigene unternehmerische Wirken konstruktiv infrage zu stellen (IPM1273). Dies erfordert in der SEO-Kultur die Bereitschaft, die Position des Advocatus Diaboli einzunehmen und daraus einen Nutzen ziehen zu können (IPa1274).

Wird Kontakt zu Außenstehenden gestaltet, die in klarer Abgrenzung zur SEO stehen, so dass mit dem Aufbrechen der SEO-Milieugrenzen ein Perspektivwechsel ermöglicht und das Beschreiten neuer Wege gewährleistet wird, kann dies einen Katalysatoreffekt für die Zielerreichung der SEO mit sich bringen (in kritischer Selbstreflexion z. B. bei IP81275; IPπ1276). Über diesen eigenen Schatten springen zu können erfordert Flexibilität (IP141277). Hierbei kann Networking dem Group-Think-Phänomen entgegenwirken (IPM1278). Eine Gefahr im Networking besteht allerdings dann, wenn ein SE sich mit seinem Netzwerk eine Filterblase aufbaut, in der er sich aufhält (IPh1279; IP81280). Denn dabei kann der Bezug zur Realität verloren gehen. Beispielsweise vernetzt sich IP7 aufgrund einer inhaltlichen Überschneidung mit einem arbeitsfeldspezifischen Netzwerk, wobei das unternehmerische Denken nicht in diesem Netzwerk verankert ist, sondern nur die thematisch-inhaltliche Auseinandersetzung (IP71281). Hierbei besteht die Chance, dass das SE-Netzwerk eine psychologische Stützfunktion hat, um sich in der Gemeinschaft der Netzwerkpartner gut zuzusprechen, ein Gefühl der Gruppenzugehörigkeit zu entfalten und sich zu motivieren. Gleichwohl besteht die Gefahr einer verzerrten Wahrnehmung und Bewertung zulasten situativer Entscheidungskriterien.

Hierzu passend hebt Korber (2015) auf ethnopsychoanalytischer Theoriebasis hervor: „Social Entrepreneurs stellen verbindende kulturelle Aspekte vor die trennenden“ (S. 85), wobei „kulturelle Faktoren nur dann bedeutsam sind, wenn sie von einem Menschen wirklich angenommen und als relevante betrachtet werden“ (S. 90). Wenngleich dies sozialpsychologisch als allgemeingültig erscheint (vgl. z. B. Fischer & Wiswede, 2009), ist in diesem Zusammenhang von Bedeutung, dass Kultur hinsichtlich ihrer Dynamik (Wimmer, 2005) und Komplexität (Hannerz, 1992) Veränderungsprozessen unterliegt (vgl. ebenso bei Korber, 2015, S. 40) und somit kontinuierlich zu reflektieren ist. Gerade in der digital vernetzten Welt ergeben sich damit Chancen wie z. B. neue Formen der Zusammenarbeit und des Austauschs und damit das Gestalten kultureller Entwicklungsmöglichkeiten, die einerseits Risiken und Gefahren z. B. bezogen auf die Abgrenzung und den Fortbestand bestehender Kulturen mit sich bringen, andererseits als Bereicherung und zur Vorbeugung der Group-Think-Phänomene genutzt werden können.

Bei der Zusammensetzung von SE(O)-Netzwerkstrukturen sollte somit auf Ausgewogenheit von Repräsentanten verschiedener Meinungen und Perspektiven geachtet werden, da die Entscheidungsfindung komplexer sein kann als bei KE(O). Denn soziale Verantwortung kommt als wesentlicher Bestandteil zur Entscheidungsfindung hinzu, so dass zusätzliche Interessen abgewogen werden müssen (IPϱ1282; IPD1283; IP251284; IP251285). Dabei kann der Komplexitätszuwachs im Entscheidungsfindungsprozess zu nicht immer lösbaren Dilemmata führen, so dass damit eine Zunahme an Kompliziertheit einhergehen kann (IP251286; IP281287). Als sinnvoll erweist sich ein partizipativ gestalteter Stakeholder-Dialog, der die Perspektiven aller Beteiligten einbezieht (IP341288; IPT1289). Versetzt sich der SE in die Lage seiner Kooperationspartner und bezieht er deren Interessen und Zielsetzung in das eigene Handeln ein, ohne die eigene Zielsetzung in der Kooperation zu vernachlässigen, kann ein konstruktiver Entscheidungs- und Handlungsspielraum erkannt und genutzt werden (IPQ1290).

Deutlich wird somit, dass die Arbeits- und Lernkultur u. a. auf den Stellenwert von Bedürfnissen und Einstellungen von SE wirken können (im Wirkungsmodell wiedergegeben als Wirkungspfad c).

9.3 Gründung und Arbeitsverständnis im Team – oder als Solist

Befragte beschreiben, dass sie das für ihre SEO-Tätigkeit erforderliche Skill-Set nicht hinreichend mitbringen bzw. dass sie in der Zusammenarbeit mit anderen diesbezüglich eine bedeutsame Bereicherung erfahren (IP61291; IP81292, i.V. m. IP81293; IPB1294; IPb1295, i. V. m. IPb1296; IP111297). Dabei schildert ein Befragter ausführlich, wie eine inhaltliche Reflexion seiner SEO-Geschäftsidee in einem Arbeitsteam initial war für seine Volition zur Gründung (IPr1298, i. V. m. IPr1299). Demzufolge kann es einen Hinderungsgrund für eine SEO-Gründung darstellen, wenn ein SE eigene Defizite in seinem Skill-Set erkennt. Im Umkehrschluss kann ein hinreichend ausgebildetes Skill-Set die Voraussetzung für eine SEO-Gründung darstellen. Befragte geben zu verstehen, dass sich fehlende Kompetenzen nur begrenzt bedarfsorientiert zukaufen lassen (IPb1300). IP8 betont, auf der Suche nach einem aktiven Teilhaber im Leitungsteam zu sein, und erhofft sich damit eine Bewältigung von Schwächen bzw. verbindet damit eine Motivationsfunktion im SEO-Alltag (IP81301). Selbst wenn nicht im Team gegründet wird, kann der Einbezug weiterer Personen in Entwicklungsprozesse einen bedeutsamen Motivationsaspekt für den Gründer darstellen (IPE1302).

Wichtig erscheint es, sich Zeit zu nehmen, um sich als Team zu finden und sich insbesondere bei unterschiedlichen Sichtweisen und Situationsbewertungen aufeinander einzulassen, um Konflikten vorzubeugen (vgl. Dufays, 2019). Konzeptionell sollte dabei ein gemeinsames Menschenbild mit einem verträglichen Wertekanon bestehen bzw. dieser erarbeitet werden, so dass daraus ein sozialunternehmerisches Konzept entstehen kann (IP301303; IP91304; IPä1305). Somit sollten sich die Mitglieder des Leitungsteams mit der Kulturentwicklung ihrer SEO auseinandersetzen (IPj1306; IPe1307).

IP14 erarbeitete diesbezüglich gemeinsam mit Co-Foundern und allen Mitarbeitern, die gemeinsam eine Kommune bilden, Regeln, die erreichbar sind, auf respektvollen Umgang miteinander abzielen (IP141308) und den Gemeinschaftsgeist erhalten (IP141309). Dabei wird bewusst auf soziale Gleichheit aller Gemeinschaftsmitglieder geachtet. Ebenso wird Wert darauf gelegt, dass jedes Gemeinschaftsmitglied die gleichen Rechte und Verpflichtungen hat (IP141310; IP141311), dementsprechend Zuneigung erhält und versorgt wird (IP141312). Dies spiegelt sich auch in den Geschäftsaktivitäten der SEO uneingeschränkt wider, die darauf abzielen, sich nicht von der Gesellschaft zu isolieren, sondern mit ihr im Kontakt zu bleiben und auf diese Weise soziale Benachteiligung abzubauen (IP141313, i. V. m. IP141314, IP141315; IP141316; IP141317). Eine Vertrauensbasis, Loyalität und ein respektvoller Umgang miteinander können dabei die Grundvoraussetzung für die Zusammenarbeit sein (IPδ1318; IP61319, i. V. m. IP61320; IPä1321; im Negativbeispiel IP11322). Weder entsteht dies von alleine, noch bleibt dies von alleine bestehen.

Fehlt in SEO-Teams eine Verständigungsbasis zu unterschiedlichen Arbeits- und Sichtweisen, kann dies einer vertrauensvollen Zusammenarbeit entgegenwirken: beispielsweise bezogen auf ungeklärte Zuständigkeiten, ausbleibende Priorisierungen und mangelhafte Abstimmungsprozesse (IP51323; IP31324; IPP1325, i. V. m. IPP1326; IPa1327; IP31328; IPβ1329, i.V. m. IPβ1330; IP31331; IPπ1332; IPπ1333). Im Leitungsteam sind daher Rollen und Zuständigkeiten anzusprechen und kompetenzbasiert zu verteilen (IP11334), wobei jedoch nicht für alle Leitungsmitglieder relevantes Wissen delegiert bzw. dessen Aneignung verdrängt werden sollte. Beispielsweise reflektiert IP34 nicht, inwieweit sie und ihr Team für etwaige Schäden haften müssen (IP341335, i. V. m. IP341336), was ein Risiko für die SEO-Existenz erhöhen kann.

IP11 vernachlässigt im Gründungsprozess die Persönlichkeits- und Sozialkompetenz potenzieller Mitgründer und fokussiert bei der Zusammensetzung ihres Gründungsteams nur die Fach- und Methodenkompetenz (IP111337, i. V. m. IP111338 & IP111339). Aspekte der Qualitätssicherung konzentrieren sich hierbei auf die Produktentwicklung, nicht aber auf die Zusammenarbeit. In der Folge kann IP11 auf soziale Unstimmigkeiten in der Teamzusammensetzung erst reagieren, nachdem sich Konflikte entwickelt haben (IP111340, m. V. a. IP111341 & IP111342).

In der Zusammenarbeit im Team entsteht demzufolge nicht nur eine enge Bindung (IPä1343; IPπ1344), sondern dabei kann es ebenfalls zu Konflikten kommen (IP341345, i. V. m. IP341346), die zu sozialunternehmerischen Rückschlagen führen (IPÖ1347). Konflikte sind möglichst frühzeitig zu identifizieren und klärend zu besprechen, ggf. mit professioneller Unterstützung (IPg1348; IP111349; IPä1350), so dass sie gemanagt werden können. Wenn der Konflikt als nicht lösbar erscheint, sollte ein konstruktiver Umgang damit gefunden werden. Dabei erweist sich eine respektvolle direkte Kommunikation als wichtig, was in der Partnerschaft eine Entwicklungschance ermöglichen kann (IP231351; IPπ1352). Die in Konflikten liegende Entwicklungschance muss als solche erkannt werden und die Bereitschaft muss gegeben sein, sich der Konfliktauseinandersetzung aktiv zu stellen (IPα1353). Im Konfliktmanagement kann soziale Veränderung schmerzhaft und hilfreich zugleich sein (IP111354). Dies kann die Bereitschaft erfordern, professionelle Unterstützung zuzulassen (IP111355), sich auf ein Gestaltungs- und Reflexionsvermögen in der Kommunikation auf allen Seiten einzulassen und sich mit sich selbst und seinem Gegenüber auseinanderzusetzen (IP141356). Sich „beschäftigen wollen zu müssen“ kann dabei als kompromissfreie Auseinandersetzung mit sich selbst im sozialen Gefüge verstanden werden.

Ein Befragter betont, seine Teamzusammensetzung strategisch hinsichtlich der Verteilung von Verantwortung zu planen, was zur eigenen Reduzierung von Belastung beitragen soll (IPγ1357). Verantwortung kann im Team delegiert werden (IP231358); ebenso kann ein verantwortungsvoller Umgang mit Verantwortungsübernahme gegeben sein und z. B. im Leitungsteam eingefordert werden (IPF1359). Als vergleichbar bedeutungsvoll erweisen sich dabei die Ausführungen beim Networking zum Group-Think-Phänomen und zur Filterblasenproblematik (IPD1360).

9.4 Personalarbeit/Human Resources Management

Erkenntnisse aus der Führungsforschung belegen, dass ein authentischer Führungsstil (Walumbwa, Avolio, Gardner, Wernsing & Peterson, 2008) und ein transformationaler Führungsstil (vgl. z. B. Felfe, 2006) sowie ein mit diesen Führungsstilen im Einklang stehendes Managementverhalten es begünstigen, dass Mitarbeiter das organisationale Geschehen positiv beeinflussen können, wobei organisationaler Erfolg als eigener Erfolg empfunden werden kann (ebd.). Leben Führungskräfte ein moralisch vorbildhaftes Verhalten vor, kann sich dies positiv auf die Leistungsbereitschaft der Mitarbeiter auswirken (Frömmer, Wegge & Strobel, 2012).

Befragte benennen Beispiele für typische Indikatoren zum authentischen Führungsverständnis, wenn sie

  • sich aktiv mit ihren Werten auseinandersetzen und versuchen, deren Bedeutung für ihr Handeln zu verstehen, und wenn ihren Worten kongruente Taten folgen, sie also nicht gegen diese Prinzipien verstoßen (Internalized Regulation & Authentic Behavior: IPA1361; IP301362, i. V. m. IP301363; IPF1364; IPφ1365),

  • ihr Wertesystem kritisch reflektieren (IPF1366; IP51367; IP141368),

  • den Aufbau eines Mitarbeiterteams passend zum Wertesystem gestalten (IPφ1369; IP21370, i. V. m. IP21371),

  • ihre Wirkung auf andere Personen kennen und berücksichtigen (Self Awareness), zu eigenen Grenzen stehen und Zusammenarbeit gestalten (IP191372; IP251373, i. V. m. IP251374), was den bereits diskutierten Bedeutungsgehalt von Empathie aufzeigt,

  • im Umgang mit anderen die eigenen Absichten transparent machen, Informationen teilen und Fehler eingestehen (IPγ1375; IPw1376; IP91377; IPπ1378; IPT1379),

  • durch Ehrlichkeit bei ihrem Gegenüber Vertrauen erzeugen, was sich positiv auf die gemeinsame Arbeit auswirkt (Relational Transparency: IPF1380; IP311381), sowie

  • die eigenen Überzeugungen selbst unter Druck leben sowie zur Entscheidungsfindung Argumente anderer einbeziehen, selbst wenn sie der bisherigen Position widersprechen oder sich auf die eigenen Interessen negativ auswirken (Balanced Processing of Information: IP241382; IPI1383; IPφ1384; IPL1385; IP21386; IPF1387; IP241388; IP21389; IPF1390).

Ebenso weisen Ausführungen von Befragten Beispiele auf für typische Indikatoren zum transformationalen Führungsverständnis, wenn sie

  • Einfluss nehmen durch Vorbildlichkeit und Glaubwürdigkeit (Idealized Influence: IPk1391, i. V. m. IPk1392; IPζ1393),

  • mit ihrem Selbstverständnis als Coach ihren Mitarbeitern individuelle Unterstützung geben und sie fördern (Individualized Consideration: IP301394; IP21395; IP311396),

  • mit attraktiven Visionen ihre Mitarbeiter überzeugen, begeistern und Zuversicht vermitteln, dass die gestellten Anforderungen erfüllt werden können (Inspirational Motivation: IPp1397; IP101398, i. V. m. IP101399), sowie

  • mit kreativen und unabhängigen Denkanstößen anregend und fördernd wirken sowie Abläufe hinterfragen und neue Umsetzungsprozesse ausprobieren (Intellectual Stimulation: IPϱ1400; IP251401).

Ein damit verbundener Qualitätsanspruch kann im Personalführungskonzept verankert sein (IPF1402; IPF1403, i. V. m. IPF1404) bzw. in der Planung, Steuerung und Kontrolle personalwirtschaftlicher Unternehmensaktivitäten zur sozialunternehmerischen Strategieentwicklung und somit als Personalcontrolling (IPA1405; ansatzweise z. B. bei IP191406). Allerdings wird bemängelt, dass es gerade bei Mitarbeitern aus dem Feld der Sozialarbeit an Einsicht für Management-Relevanz und Dienstleistungsorientierung mangeln kann, womit sie einen Bruch zwischen dem Sozialen und dem Unternehmerischen aufrechterhalten, wenn dem nicht Einhalt geboten wird (IP91407, i. V. m. IP91408; IPA1409).

Zudem kommt bei SE erschwerend hinzu, dass sie aufgrund der sozialen Zielsetzung wirtschaftsethisch höhere Anforderungen innerhalb der SEO stellen können, als es bei KEO der Fall ist. Dementsprechend dürfen sich SE in ihrem Führungs- und Managementverhalten keine Nachlässigkeit erlauben, da dies zum Authentizitätsbruch und somit zur Unglaubwürdigkeit führt, in der Folge zu Leistungseinbrüchen der Mitarbeiter. In Abschnitt 8.8 wurde am Beispiel von IP13 zum Hochskalierungsdruck gezeigt, welche Gefahr darin besteht, wenn Mitarbeiter einer SEO, die bislang eine authentische, transformationale Führungskultur erlebten, diesbezüglich plötzlich eine Beeinträchtigung erfahren, so dass dies auf sozioemotionaler Ebene zur psychologischen Vertragsverletzung führte (Morrison & Robinson, 1997).

Die grundlegende Annahme beim Konzept des Psychological Contract besteht darin, dass Mitarbeiter nach Gleichgewicht in sozialen Beziehungen streben und subjektiv abwägen, welche Leistungen sie zu erbringen haben und welche Gegenleistung sie dafür von ihrem Arbeitgeber erhalten (vgl. Atkinson, 1966; Atkinson & Feather, 1966). Dabei bestehen zwei Erwartungsvorstellungen des Mitarbeiters zu Gegenleistungen: (1) vertragliche Zusagen/explizite Zugeständnisse und (2) implizite Normen der Organisation. Darüber hinaus bestehen zwei Arten wechselseitiger Verpflichtungen: (1) Transactional Obligations i. S. v. geldwerten Verpflichtungen und (2) Relational Obligations i. S. v. sozioemotionalen Verpflichtungen wie z. B. Loyalität, Respekt und Fairness. Wird eine Vertragsveränderung als absichtsvoll und ungerechtfertigt empfunden, kann dies zur Enttäuschung führen und das Mitarbeiter-Commitment beeinträchtigen, was zur reduzierten Arbeitsleistung, dem Vermeiden freiwilliger Aktivitäten zur (sozial-)unternehmerischen Zielerreichung bis zur Kündigung führen kann, also zum reduzierten Organizational Citizenship Behavior (Organ, 1988). Hingegen kann ein unvorhersehbarer, ungewollter Vertragsbruch entschuldbar sein, so dass Mitarbeiter frühzeitig in Veränderungskonzepte eingebunden werden sollten, keineswegs aber vor vollendete Tatsachen gestellt werden sollten. Letztendlich können psychologische Vertragsverletzungen Einfluss auf das psychische Beanspruchungserleben von Mitarbeitern nehmen, wenn sie ein Versprechen als übergeordnetes Ziel wahrnehmen (Rigotti, 2009). Nicht eingehaltene Ziele wirken als negativer Stressor; Unfairness geht mit negativen Gefühlen einher und wirkt pathogen (ebd.). Da gerade förderbasierte Vergütungsbedingungen bei gemeinnützigen SEO als auffallend schlecht geschildert werden (IPγ1410, m. V. a. Abschn. 7.6), erscheint es denkbar, dass Mitarbeiter von SEO weniger extrinsisch, sondern eher intrinsisch arbeitsmotiviert sind, was implizite sozioemotionale Vertragsverletzungen unentschuldbar machen kann.

Zudem zeigen Befragte auf, dass Führung eine unliebsame Aufgabe darstellen kann. Beispielsweise verdrängt IPg seine Verantwortungsübernahme; er übernimmt keine Führungs- und Managementverantwortung (IPg1411, i. V. m. IPg1412, IPg1413, IPg1414, IPg1415, IPg1416 & IPg1417). Bei ihm besteht u. a. kein Balanced Processing of Information, denn sein Team entscheidet nicht mit, sondern unangenehme Entscheidungen werden an das Team delegiert. Als Kernproblem erweist sich dabei, dass Verantwortungsübernahme und Entscheidungsbefugnis nicht explizit geklärt sind.

Weitere Einschränkungen im Führungsverhalten sowie Mängel im Qualitätsmanagement beziehen sich z. B. darauf, dass keine Stellvertreterregelungen bestehen, insbesondere für das Unternehmerische (IP191418; IP21419; IPφ1420; IPφ1421, i.V. m. IPφ1422; IP21423), oder dass Mitarbeitersorgen nicht ernst genommen werden (IPk1424).

Eine Besonderheit besteht bei SE dann, wenn deren Wirkungsempfänger zugleich deren Mitarbeiter und zudem aufgrund sozialer Benachteiligung in ihrer Leistungsfähigkeit eingeschränkt sind, was besondere Rücksichtnahme erfordert (IPϱ1425) und zu deutlich höherem Arbeitsaufwand führen kann, beispielsweise im Hinblick auf Erfordernisse psychosozialer Betreuungsaufgaben (IPϱ 1426), wobei weder die Zeit noch die erforderlichen Qualifikationen zur psychosozialen Versorgung hinreichend gegeben sein müssen (IPϱ1427). Zudem kann eine höhere Absentismusquote die Arbeitseffizienz mindern (IPϱ1428).

9.5 Sonderstatus: ehrenamtliche Mitarbeiter

Befragte heben hervor, dass ehrenamtliche Mitarbeiter einen hohen Bedeutungswert für das wirkungsvolle Umsetzen der SEO-Aktivitäten haben können (IPE1429, i. V. m. IPE1430; IPτ1431; siehe ebenso Kewes & Munsch, 2019). Dabei kann deren Arbeitsleistung und insbesondere die Arbeitsqualität hoch und in der Folge der inhaltlichen Zielsetzung der SEO vorbildhaft dienlich sein (IPv1432). Sollte ein SE das Anspruchsdenken haben, Arbeitsleistung angemessen zu vergüten, ist dabei zu berücksichtigen, dass ehrenamtliche Mitarbeiter i. d. R. keine transaktionalen Verpflichtungen eingehen, sondern sozioemotionale und i. d. R. der sozialen Zielsetzung der SEO verhaftet sind bzw. ihre eigenen intrinsischen Bedürfnisse befriedigen wollen (IPε1433).

Ebenso kann die Arbeitsleistung von ehrenamtlichen Mitarbeitern schlecht ausfallen. Ein Entscheidungsdilemma besteht für den SE dann darin, soziale Aktivität entweder nicht zu ermöglichen, wenn Tätigkeiten durch ehrenamtliche Mitarbeit erst realisierbar werden können (IP71434), oder das Risiko schlechter Arbeitsqualität einzugehen (IP71435; IP251436; IPε1437; IPC1438), wobei Abweichungen von der angedachten inhaltlichen Ausrichtung und konkreten Zielsetzung ebenso einzukalkulieren sind wie Reputationsschäden durch negative Performance bzw. durch eigenmächtiges Agieren ehrenamtlicher Mitarbeiter (IP71439).

Zudem können ehrenamtliche Mitarbeiter besonders betreuungsintensiv sein (IPγ1440; ebenfalls bei Kewes & Munsch, 2019). Vor allem lassen sie sich in gemeinnützigen Organisationen nicht vergleichbar zu angestellten Mitarbeitern führen: Zum einen lassen sich Mechanismen zur Qualitätssicherung der zu leistenden Arbeit aufgrund des fehlenden vertraglich geregelten Beschäftigungsverhältnisses nicht in vergleichbarer Weise umsetzen. Zum anderen können ehrenamtliche Mitarbeiter einer SEO, die als Rechtsform den eingetragenen Verein verkörpert, als ordentliches Mitglied ihr offizielles Mitsprache- und Stimmrecht sehr viel breiter ausüben, als es bei Arbeitnehmervertretungen im Angestelltenverhältnis der Fall ist. Erinnert wird hierbei an die Ausführung zur Gemeinnützigkeit und zur Vereinsmeierei in Abschnitt 7.4.

9.6 Handlungsprinzipien in Belastungssituationen

Mit der Ausführung in Abschnitt 8.12 wurde deutlich, dass der konstruktive Umgang des SE mit dem Spannungsfeld zwischen dem Sozialen und dem Unternehmerischen von ihm Flexibilität einfordert. Damit seine Flexibilität sozialunternehmerisch konstruktiv wirkt, bedarf es einer auf Kriterien basierenden Zielsetzung, so wie in Abschnitt 8.10 beschrieben. Flexibilität ist demnach handlungszielorientiert auszurichten. Andernfalls kann unternehmerische Naivität oder Gutgläubigkeit wirken und zum Verhängnis werden. Erinnert wird an das in Abschnitt 8.11 im Rahmen von Group Think zitierte Beispiel des Befragten, der mit seinem Team die unternehmerische Relevanz zugunsten der einseitig handlungsleitenden Begeisterung für die soziale Zielsetzung vernachlässigt hat, so dass er unternehmerische Frühwarnsignale bei der Gründung seiner zweiten SEO nicht ernstnimmt, sondern verdrängt (IPJ1441). Die angekündigte Entscheidungswillkür einer entscheidungsbefugten Amtsträgerin, die ihre Ablehnung der Kostenübernahme sogar frühzeitig und ausdrücklich bekundet, wird von dem IP auf Basis rein sozialer Entscheidungskriterien als nicht durchhaltbar bewertet. Dabei überspannt der SE nicht den Bogen seines Risikomanagements, sondern unterlässt es, ein Risikomanagement vorzunehmen. Der langfristige Erfolg beim Bekämpfen sozialer Ungleichheit, den der SE im Rahmen eines anderen Tätigkeitsfelds verbucht, verleiht ihm Handlungsauftrieb: Eine Herz-Kopf-Synchronisierung im Sinne des Einbezugs unternehmerischer Aspekte bleibt hier aus, was letztendlich zur Vereinsinsolvenz geführt hat.

Parallel dazu hat dieser SE ein Konzept entwickelt, in das er viel Arbeitszeit und -energie unter Einbindung weiterer Akteure investiert hat und zu dem er bereits Gespräche mit potenziellen Investoren führte. Aus dem SE sprudelt die Begeisterung für dieses Konzept regelrecht heraus (IPJ1442), wobei die Machbarkeit aufgrund von Finanzierungshürden von außen ausgebremst wird. In der Folge kann und darf dieser SE die inhaltliche Arbeit nicht aufnehmen. Eine Herz-Kopf-Synchronisation ist nur scheinbar gegeben, wenn er betont, dass für dessen Umsetzung deutlich mehr Ressourcen in abgesicherter Form verfügbar sein müssen und er diesbezüglich kalkuliert. Bei genauerer Betrachtung wird jedoch deutlich, dass der Befragte ebenfalls hierbei einseitig mit der sozialen Wirkung und den mit ihr verbundenen Werten verhaftet ist. Zudem sollte der Glücksfaktor für den Erfolg der ersten SEO-Gründung nicht unterschätzt werden, zumal der Befragte im Anschluss an das Interview ergänzend erwähnt, dass er mit der ersten SEO deswegen gut dasteht, da das Finanzamt seit SEO-Gründung eine Umsatzsteuerregelung unberücksichtigt lässt, die im Falle einer Nachzahlung unweigerlich zur Privatinsolvenz führen würde. Dieser SE hat infolge der erlebten Vereinsinsolvenz keine unternehmerischen Absicherungen für seine erste SEO getroffen, sondern bleibt in der Gesamtbetrachtung seinen sozialen Haltungs- und Handlungsprinzipien treu.

Auch Fehlentscheidungen können in der Führungsrolle zum Verhängnis werden. Beispielsweise geht IP2 davon aus, dass andere nach seinem sozialen Wertekanon leben. Bei diesem normativen Verständnis, das ein Abweichen von seinen sozialen Regeln grundsätzlich ausschließt, wird das eigene Wohlgefühl nicht infrage gestellt. IP2 reagiert erst infolge einer Eskalationsdynamik (IP21443; IP21444). Hieraus kann soziale Schadwirkung hervorgehen. Auf diese Weise werden Grenzen der eigenen sozialen Wirksamkeit deutlich, die als schmerzhaft empfunden werden können. Die Erläuterung zur Kündigung des Mitarbeiters lässt dabei den Schluss zu, dass eine kognitive Dissonanz aufzulösen war (IP21445), um sich wieder auf die eigene soziale Kompetenz verlassen zu können. Der mentale Spagat kann für einen SE darin bestehen, im Hinblick auf seinen sozialen Wertekanon Kompromisse zur Machbarkeit eingehen zu müssen (zum Spannungsfeld dabei vgl. Diochon & Anderson, 2010). Dabei kann ein SE einen Kompromiss als dissonant zu seiner sozialen Zielsetzung erleben und in der Folge das Bedürfnis haben, diese kognitive Dissonanz aufzulösen (Festinger, 1957; Frey, 1984), indem er sich eine Begründung zu seinem Verhalten konstruiert, die er als ausgleichend bewerten und erleben kann. Ein Lerneffekt für das eigene Führungsverständnis ist in dem Beispiel von IP2 nicht erkennbar.

Denkbar erscheint es in derartig gelagerten Fällen, dass Unterstützungsangebote wie z. B. Prozesssupervisionen hilfreich sind, da mit deren Hilfe verstandsbasierte Entscheidungen und gefühlsbasierte Entscheidungen parallel betrachtet werden, daraufhin Rückschlüsse gezogen werden und Zielsetzungen definiert und verfolgt werden können, die sowohl der sachlichen Entwicklung als auch dem Wohlbefinden zugutekommen (IP251446). Zudem lassen sich fundamentale Attributionsfehler (Ross, 1977) konstruktiv reflektieren, in denen der eigene Anteil an Prozessdynamiken herausgearbeitet und aus diesen gelernt werden kann (IP11447). Dies setzt voraus, dass SE Hilfe annehmen und eine dementsprechende persönliche Einstellung im Sinne einer inneren Haltung vorweisen (IP301448), die ggf. ein konstruktives Abwägen zwischen der gefühlsmäßig angemessenen Entscheidung „fühlt sich gut/schlecht an“ und der verstandesorientierten Entscheidung „ist richtig/falsch“ einfordert (vgl. Kap. 8).

Eine Herz-Kopf-Synchronisierung nimmt z. B. IP24 vor. Übergeordnet priorisiert er eine Zielerreichung der sozialen Mission mit Kundenfokus (IP241449). Selbst wenn eine Entscheidung, die der Zielerreichung dient, als schmerzhaft empfunden werden kann, wird sie von IP24 nicht verdrängt. Flexibilität kann somit das Vehikel für das Aufrechterhalten von Stabilität darstellen, wobei ein frühzeitiges und konsequentes Eingreifen in Gefahrensituationen Schadwirkung reduzieren bzw. vermeiden kann. Bei seinem Risikomanagement bedenkt IP24, dass sein Anspruch nicht darin besteht, seine Mitarbeiter im Privaten zu ethisch angemessenem Verhalten zu bewegen; jedoch betrachtet er dies im Beruflichen als seine Pflicht und betont dabei, dass eine Dienstleistung zu erbringen ist: Dementsprechend schildert ein IP, dass tagtäglich erneut zu dienen und zu leisten ist (IPA1450). Das Normative besteht hierbei darin, dass Mitarbeiter sich in ihrem Tätigkeitsfeld neuen Erkenntnissen anzupassen haben (IPA1451). Ein Befragter schildert, dass Fehler zur Wiederherstellung von Dienstleistungsqualität genau zu analysieren und daraufhin systematisch zu beseitigen sind (IPF1452). Aus diesem Qualitätsbewusstsein gehen Häutungsprozesse hervor, die sich in einer Fehlermöglichkeits-Einfluss-Analyse und messbar gestalteten Maßnahmen zur Wiederherstellung der SEO-Zielsetzung widerspiegeln können (IPE1453).

In vergleichbarem Verständnis nutzt ein Befragter für sich einen Wertekompass, der seine Handlungsrichtung vorgibt, ohne dabei zu sehr einengend zu wirken. Der Wertekompass verkörpert dabei die Haltungsebene, um der Verhaltensebene den Weg zu weisen und zu ebnen (IPe1454). Der Vorteil einer Wertekompass-Systematik – in Abgrenzung zu einer rigiden Normstruktur mit fixierter Positionierung – liegt darin begründet, dass Anpassungsprozesse in der dynamischen und zugleich komplexen Arbeitswelt gewährleistet werden können und somit die Zusammenarbeit mit Akteuren und Netzwerken, die ihre eigenen Bewertungssystematiken mitbringen, situativ auf Machbarkeit ausgelotet werden kann. Im übertragenen Sinn ist davon auszugehen, dass Akteure und Netzwerke jeweils für sie gültige Messgeräte (Kompasse) haben können, Himmelsrichtungen unterschiedlich auf „gut“ und „schlecht“ bewerten sowie aus verschiedenen Perspektiven eine Thematik messen und sich dieser nähern können. So kann ein Wertekompass genutzt werden, um die eigene Position zu verstehen oder sich aufeinander zuzubewegen. Die Eichung des Wertekompasses ist durch den Wertebestand definiert, also durch das Was, das gemessen wird. Dieser Wertebestand sollte gleichwohl eine Systematik abbilden, die als Grundstruktur Halt in Entscheidungssituationen gibt, um auf diese Weise Entscheidungsdilemmata und somit negativem Stress vorzubeugen (IP101455).

Mit den diversen Ausführungen zur Korruption (Abschn. 6.5, 7.4 & 7.6) wurde bereits deutlich: Agieren SE mit ihrer SEO-Arbeit in einem von Lobbyismus beherrschten Feld, dann können sie in ein Wespennest der Korruption geraten (IP331456, i. V. m. IP331457). Befragte berichten, dass andere sie korrumpierbar machen wollten und dass politische sowie wirtschaftliche Entscheidungsträger korrupt sind. Für sie kann das Aufdecken von Korruption in der Wirtschaft ein Teil ihres Lebensinhalts werden, was mit ihrer inhaltlichen SEO-Ausrichtung geradezu eine Plattform zum Ausleben zu bekommen scheint (IPÄ1458; IPV1459).

Vergleichbar zu den Ausführungen weiter oben (beispielsweise zu IPJ) kämpft IP33 ebenfalls der sozialen Zielsetzung wegen, und dies aus Prinzip (IP331460; IPV1461), wobei das für IP33 im Menschenbild verankerte ethische Bewusstsein handlungsleitend ist (IP331462), nicht aber Vernunft und Strategie (IP331463). Ihre Integrität wird deutlich (IP331464), wird ihr aber zum Verhängnis infolge dogmatisch-rigider, konfrontativer Kontaktgestaltungen, die von kompromisslosen Richtig-falsch-Entscheidungen gekennzeichnet sind, nicht aber von Feingefühl und taktischem Kalkül in der Interaktion. Markanterweise händigt sie während des Interviews sowie danach ungeschwärzte Briefwechsel mit Politikern aus und überlässt weitere Dokumente, die in ihrem Aussagegehalt Korruption dokumentieren (IP331465; IP331466). Letztendlich verhält sich IP33 nicht transparent i. S. v. strategisch geschickt in der Kontaktgestaltung und im Informationsfluss. Denn mit ihrer Offenheit kann sie für andere gefährlich werden (IP331467), so dass sich Ansprechpartner eventuell zurückziehen und den Kontakt zu IP33 meiden.

Hierzu passend äußert sich IP5 zur Differenzierung zwischen Offenheit und Transparenz und betont dabei, dass ihm die Umsetzung in der Praxis schwerfällt (IP51468). Das Anspruchsdenken besteht darin, strategisch abzuwägen, welche Informationen an wen weitergegeben werden sollen. Offenheit ist dabei nur bei uneingeschränkter Transparenz gegeben, und mit dem Prozess des Öffnens wird Offenheit nicht nur ermöglicht, sondern provoziert. Verglichen mit einem Fenster, können im geschlossenen Zustand z. B. akustische oder thermische Reize außerhalb eines Raumes zurückgehalten werden – dies nicht ohne Konsequenz, denn eine reizreduzierende Wahrnehmung durch eine verschlossene Fensterscheibe bringt es mit sich, dass über die Qualität der Atmosphäre außerhalb des eigenen Raums spekuliert werden muss. „Ein offenes Fenster hingegen kann unmittelbar verraten, welche Reizexposition auf der anderen Seite des Fensters besteht. Dabei ist zu bedenken, dass Informationsvorsprung durch Zurückhalten an Faktenwissen strategisch eine Schutzfunktion bieten kann. (…) Einerseits reduziert fehlende Offenheit die Trefferquote von Interpretation. Offenheit kann aber auch in Mitleidenschaft ziehen. Mit dem Öffnen des Fensters erhalten wir Informationen, gegen die wir uns nicht wehren können, was im o. g. Beispiel zum Frieren führen kann. Während sich ein Fenster in aller Regel wieder schließen lässt, lassen sich die geflossenen, bewusstseinsfähigen Informationen nicht rückgängig machen, sondern nur psychisch verdrängen“ (Hein, 2016, S. 68). Somit kann Offenheit zu unerwünschten Effekten führen, etwa infolge von Vorurteilsbildung zu Abgrenzungen, wenn die geflossenen Informationen negativ konnotiert werden. Insofern kann nicht nur bei einer eigenen, impliziten Transparenzverpflichtung, sondern gerade bei einer expliziten Transparenzverpflichtung anderen gegenüber ein Dilemma darin bestehen, abzuwägen, welche Konsequenzen sich aus Informationsfluss ergeben und wie Kooperationspartner und weitere Akteure diese interpretieren, zumal die Erwartungshaltung bei einer expliziten Transparenzverpflichtung beim Gegenüber dementsprechend hoch sein kann: etwa im Hinblick auf Arbeitsbedingungen in der Lieferantenkette, wenn nicht alle Wege und Prozesse mit ihren Aus- und Wechselwirkungen bekannt sind. Hierbei können Handlungsprinzipien, die sich der nachhaltigen Entwicklung verpflichten, zum wirtschaftlichen Nachteil der SEO werden; eine Transparenzverpflichtung kann eine erhöhte Erklärungsbedürftigkeit mit sich bringen, aus der letztendlich sogar eine eigene Geschäftsidee hervorgehen kann (IPT1469).

Weitere Befragte grenzen sich deutlich von Korruption ab und schildern, ihren Maximen der Loyalität und Integrität mit Absolutheitsanspruch treu zu bleiben; zum Teil wird sich sogar einer freiwilligen Selbstkontrolle unterzogen (IPζ1470; IP141471; IPF1472). IP26 betont, dass er mit seinem SEO-Label einer Vorbildrolle verpflichtet ist, diese positiv bekleiden und behalten will (IP261473).

Dennoch schließen bestehende Abhängigkeiten eine Anfälligkeit von SE, korrumpierbar zu werden, nicht aus (IP141474). So können falsche Angaben bei Förderanträgen zum Fördererfolg führen, sofern ein SE weiß, wie er den Antrag auszufüllen hat und er bereit ist, falsche Angaben zu machen (IP251475, i. V. m. IP251476; IPX1477; IPγ1478; IPσ1479); bzw. kann das offene Wort mit dem Ansprechpartner einer Förderstelle eine inoffizielle Anpassung ermöglichen, wenngleich hierzu keine Beispiele aus der öffentlichen Verwaltung genannt wurden, sondern ausschließlich zu Lotteriegesellschaften und Stiftungen, denen es vor allem um den inhaltlichen Erfolg geht (IP251480) und nicht darum, einen bürokratischen Apparat aufrechtzuerhalten. Geschildert wird darüber hinaus, dass SE hinsichtlich Finanzierungsmöglichkeiten experimentieren (IPϱ1481; IPw1482).

Zu ergänzen ist, dass die Person des SE selbst einen Wert im Marktgeschehen darstellen kann. Hat sie sich ihren eigenen Marktwert erarbeitet und diesen als solchen erkannt, dann kann die gezielte Vermarktung ihrem „Selbst-Wert“ zugutekommen. IP21 zeigt, wie sich argumentativ geschickt und unternehmerisch gedacht Profit aus dieser „Selbst-Erkenntnis“ ziehen lässt (IP211483, i.V. m. IP211484 & IP211485).

9.7 Bewertung des Scheiterns

Befragte beklagen, dass es gesellschaftsbezogen keinen angemessenen Umgang mit einem Scheitern und somit keine Kultur des Scheiterns gibt (IPP1486; IP51487; IPd1488). Dies kann eine frühzeitige Auseinandersetzung mit dem eigenen Scheitern behindern. Unklar ist somit, ab wann überhaupt von einem Scheitern gesprochen werden kann, darf, soll oder muss (IPM1489). Beispielsweise kann sich die Frage stellen, ob eine Form des Scheiterns besteht, wenn ein soziales Problem trotz des eigenen Problemlösungsanspruchs nicht gelöst werden kann, sondern das sozialunternehmerische Engagement nur den Umgang mit dem Problem verändert und in der Folge Problemauswirkungen eingeschränkt gemildert werden können (vgl. Abschn. 8.7). Andererseits vermag ein Scheitern erst dann zu beginnen, wenn eine SEO in die Insolvenz rutscht bzw. gerutscht ist (vgl. Abschn. 7.6). Unklar ist ebenfalls, inwieweit in diesem Fall der SE als Person oder die SEO als Instanz oder beide scheitern. Ebenso lässt sich die Auffassung vertreten, dass die Gesellschaft bzw. die Politik scheitert, wenn trotz sozialunternehmerischen Engagements gemeinwohlbezogene Wirksamkeit aufgrund von strukturellem Widerstand ausbleibt (vgl. Abschn. 6.2).

SE, die sich mit ihrer Einstellung zum Scheitern auseinandersetzen wollen, können auf Unterstützung angewiesen sein, um diese Entwicklung konstruktiv zu reflektieren (IPα1490). Dabei kann es von Bedeutung sein, die eigene Flexibilität und die unternehmerische Veränderungsbereitschaft im Dialog zu thematisieren (IPK1491), eben zu „re-flektieren“. Bleibt dieser Reflexionsprozess aus, wenn sich das, was sie unter Scheitern verstehen, anbahnt, dann können mentale Blockaden entstehen. Denn Befragte, die sich als gescheiterte SE attribuieren, geben zu verstehen, dass sie im Hinblick auf ihre Psychohygiene bestrebt sind, kognitive Dissonanzen aufzulösen: Beispielsweise kann eine Privatinsolvenz in den Schatten des Dazulernens gestellt werden (IP11492) oder das Scheitern lässt keine Affektbilanz zu, da eine Insolvenz ohne Streit im Team passierte (IP171493, i. V. m. IP171494).

Herangezogen wird an dieser Stelle ein Vergleich zum Krankheitsbild Depression als eine Form des selbstbezogenen Scheiterns, dies wiederum mit Bezugnahme auf das Maslow’sche Verständnis zum Transzendenzbedürfnis: Während ein Mensch im Hinblick auf seine Bedürfnisbefriedigung beim Transzendieren in Resonanz zu seinem Selbst steht und mit dabei gegebenen Peak Experiences einen qualitativen Aufstieg seines Leben verspürt (Maslow, 1971, S. 46; vgl. Abschn. 8.3), lässt sich eine depressive Episode als Gegenteil hierzu begreifen: Depressive lassen sich nicht durch Zuspruch in ihrer Stimmung aufhellen, sie befinden sich weder in affektiver Resonanz zu ihrem Gegenüber noch zu dem, was ihnen in ihrem Leben widerfährt. Im Extrem erleben sie ein „Gefühl der Gefühllosigkeit“. Das Selbst-Attribuieren des Gescheitert-Seins mit Schuldzuweisungen sich selbst gegenüber kann demnach im negativen Sinn Peak-Erfahrungen repräsentieren. Bleibt bei Depressiven unmittelbare Resonanz aus, erweist es sich dennoch als therapeutisch notwendig, depressive Symptome im Therapeuten-Patienten-Kontakt zu thematisieren, wie z. B. Gefühle von Schuld und Wertlosigkeit, Störungen der Aufmerksamkeit und des Denkvermögens, ein vermindertes Selbstwertgefühl bzw. Selbstvertrauen oder negative und pessimistische Zukunftsvorstellungen. Denn bei Depressiven kann ein Gefühl der Erleichterung eintreten, wenn ihnen bewusst wird, dass die eigene Niedergeschlagenheit und die empfundenen Niederlagen sogar gängige Herausforderungen darstellen, keinesfalls aber eine Einmaligkeit in der Psyche des Depressiven abbilden. Der soziale Austausch hat hierbei einen hohen Stellenwert.

9.8 Qualitätsmanagement und ganzheitlich-prozessorientierter Präventionskonzept-Ansatz

Wenn behauptet wird, dass sämtliche SEO „das Bestreben [vereint], durch neuartige Lösungen für altbekannte Probleme soziale Wirkungen zu generieren und bestehende Strukturen und Prozesse zu verbessern“ (Bertelsmann Stiftung, 2013, S. 11), ist dies in mehrerlei Hinsicht zu kritisieren. Zur Relativierung der Forderung nach „neuartigen Lösungen“ wird verwiesen auf die Ausführungen zum Anspruchsniveau von Problemlösung (Abschn. 8.7) und von Innovation (Abschn. 8.9). Zudem ist infrage zu stellen, weswegen sich sozialunternehmerisches Engagement normativ gegen ein altbekanntes Problem zu richten hat. Um einen aktuellen Bezug aufzuzeigen, sei – als fiktive Überlegung – angenommen, dass ein SE an den politischen Forderungen und öffentlichen Auflagen im Rahmen der Corona-Pandemie zum Social Distancing ansetzt und mit seinem sozialunternehmerischen Engagement bewirkt, in bestimmten gesellschaftlichen Kontexten nur noch ein Physical Distancing zur Vermeidung einer Virusübertragung zu sichern, soziale Distanz jedoch fortan gezielt vermieden wird. Pandemiebedingt wurde erstmalig der zwischenmenschliche Kontakt von Behinderten-, Senioren- und Pflegeheimbewohnern und deren Angehörigen untersagt, worunter sowohl die beeinträchtigen Menschen als auch deren Angehörige und die Pflegekräfte leiden. Angenommen wird in diesem erdachten Beispiel, dass auf Basis sozialunternehmerischen Engagements soziale Kontaktgestaltung unter Wahrung der sicheren Vermeidung einer Virusübertragung interaktiv so ermöglicht wird, dass dies den Lebenssituationen und vor allem den sozialen Bedürfnissen sowohl der Heimbewohner als auch ihrer Angehörigen gerecht wird. In dem Fall würde es sich um ein effektives Bearbeiten eines neuartigen Problems handeln. Der SE tritt in diesem Beispiel „primär wirksam, aber reaktiv“ auf: primär wirksam, weil es hierzu zuvor kein sozialunternehmerisches oder in anderer Form wirksames Engagement gab; und reaktiv, weil ein aufgedeckter Missstand der Anlass für das sozialunternehmerische Handeln geworden ist.

Mehrere IP reagierten mit ihrer SEO-Gründung auf neu aufgetretene soziale Probleme, die beispielsweise im Rahmen der Flüchtlingskrise entstanden sind. Dabei ist zu relativieren, ab wann und bei wem ein Problem altbekannt ist. Beispielsweise gibt es IP, deren sozialunternehmerische Konzeptentwicklung bereits ab dem Zeitpunkt anfing zu reifen, als sie auf einen sozialen Missstand erstmalig aufmerksam geworden sind, wobei das soziale Problem schon seit längerer Zeit bestanden hat, nur nicht in der Lebensrealität des SE präsent war.

Neben der Differenzierung zwischen pro- und reaktivem Engagement sind weitere Aspekte von Bedeutung, um dem Anspruch an Verbesserung bestehender Strukturen und Prozesse gerecht zu werden. Mit den nachfolgenden Ausführungen werden schrittweise die verschiedenen Bestandteile hergeleitet, die für ein qualitätssicherndes Grundverständnis im Hinblick auf die Arbeitsgestaltungsbedingungen von SE relevant sind. Dabei werden sowohl der Bedeutungsgehalt von prozessorientiertem Qualitätsmanagement als auch die Anforderungen an den Umgang mit den dabei entstehenden Dynamiken herausgearbeitet. In der Gesamtbetrachtung zeigt sich der mit Abbildung 9.1 wiedergegebene ganzheitlich-prozessorientierte Präventionskonzept-Ansatz.

Abbildung  9.1
figure 1

Ganzheitlich-prozessorientierter Präventionskonzept-Ansatz. (modifiziert nach Hein, 2016, S. 60)

9.8.1 Effektivität und Effizienz

Zur Erwirkung von Effektivität postulieren Locke und Latham (2004) für die Praxis, eine Tätigkeitsbeschreibung der zu erbringenden Leistung im Schwierigkeitsgrad zu bestimmen und deren Messbarkeit unter Angabe eines Zeithorizonts erreichbar und realisierbar zu gestalten sowie methodisch zu standardisieren. Im Falle mehrerer Zielsetzungen sind diese zu priorisieren, und kooperativ gestaltete Zielsetzungen benötigen Abstimmungsprozesse (ebd.; ebenso bei Ordóñez et al., 2009, S. 13). Aufgezeigt wurde, dass ein einseitiges Fokussieren auf die soziale Zielsetzung bei Vernachlässigung des Unternehmerischen zwar den Anschein erwecken kann, wirksam zu handeln, aber die unternehmerische Effektivität hierbei außer Acht bleibt.

Zielsetzungen müssen prozessorientiert auf ihre Erreichbarkeit und Realisierbarkeit überprüft werden. Denn erst durch eine kontinuierliche Rückkopplung zur Zielerreichung lassen sich Richtung, Geschwindigkeit und Intensität sicherstellen. Wird davon ausgegangen, dass mit einer immer umfangreicher werdenden Zielsetzung ebenfalls das Volumen an Tätigkeiten mit ihren Handlungen steigt, dann kann es dabei wünschenswert erscheinen, dass der SE mit seiner SEO bestehende Missstände im Vergleich zu anderen Organisationsstrukturen bzw. Initiativen nicht nur effektiver löst, sondern dies auch effizient bewerkstelligt. Damit Effizienz gewährleistet werden kann, müssen Handlungserfordernisse erkannt worden sein und Handlungsregulation muss ermöglicht werden. Die dabei erwünschte Sicherung der Arbeitsqualität setzt Klarheit in der Arbeitsgestaltung ebenso voraus wie funktionierende Rückkopplungsmechanismen (IPF1495), auch in der Kontaktgestaltung zu anderen (IP11496).

9.8.2 Feedback, Perspektivwechsel und Dynaxität

Konstruktives Feedback ist der Lieferant von Informationen, die wiederum wichtige Bausteine für Lernprozesse darstellen (IPγ1497). Allerdings können SE Gefahr laufen, im Vergleich zu KE ein weniger konstruktives Feedback zu ihrer Tätigkeit zu erhalten, wenn es unangemessen erscheint, soziales Engagement direkt zu kritisieren (IPπ1498; IPG1499). Wie in Abschnitt 8.10.1 ausgeführt, kann die Feedback-Kultur Einfluss nehmen auf den Umgang mit aufgabenbezogenen Anforderungen, also auf die Einstellung zum Anspruch an die Aufgabenerfüllung. Zuvor wurde thematisiert, dass die unternehmerische Haltung beinhaltet, aus der Perspektive des Kunden zu denken (ebenso z. B. IPF1500; IPT1501), Kundenanforderungen zu erfragen, zu verstehen und zum Grundsatz der eigenen Aktivitäten zu machen.

Dabei kann ein Perspektivwechsel die soziale Zielsetzung beeinflussen (IPm1502): In diesem Sinn sammelte eine Befragte, die selbst von sozialer Benachteiligung betroffen ist, Erfahrungswerte in der Welt der Nicht-Betroffenen (IPm1503) und entwickelte hieran anknüpfend ihre Zielsetzung.

Zudem kann es bei komplexen Vorhaben bereits in der Planungsphase unausweichlich zu erforderlichen Kooperationsabsprachen und -vereinbarungen kommen, deren Gestalt in Richtung und Geschwindigkeit wegweisend für den Verlauf der Unternehmung ist. Denn je komplexer das Handlungsfeld mit seinen Operationen ist und je mehr Anspruchsgruppen direkt involviert sind, desto höher ist der Aufwand bei der Planung, Durchführung und Überwachung von Implementierungen (vgl. z. B. Bertelsmann Stiftung, 2013, S. 21 f.). In diesem Sinn umschreibt Jansen (2000) „soziales Kapital als Scharnier zwischen Akteuren und Strukturen“ (S. 37), wobei die Scharnierwirkung „zwischen Mikro-, Meso- und Makroebene“ zum Tragen kommt (ebd., S. 44; IP331504). Dementsprechend können während des Arbeitsprozesses unterschiedliche Akteure divergente Interessen und Mitspracherechte anmelden, und neue Umweltbedingungen wie Gesetzesänderungen oder Gesetzesbrüche können eigene Transferkosten bilden (Bertelsmann Stiftung, 2013, S. 22). In der Gesamtbetrachtung steigt somit nicht nur die Komplexität, sondern auch die Dynamik.

Für die von Dynamik und Komplexität gekennzeichnete Arbeitswelt prägten Kastner, Kastner und Vogt (2001) das Silbenkurzwort Dynaxität und benennen fünf Kriterien, durch die sich ein dynaktisches System auszeichnet: durch die Anzahl der Systemelemente, die Elementvielfalt, die Anzahl der intersystemischen Verbindungen, die Stärke der Interdependenzen in den intersystemischen Verbindungen und die Veränderungsgeschwindigkeit der Interdependenzen. Je stärker diese Kriterien ausgeprägt sind, desto höher ist die Dynaxität in einem System. Dabei reagieren Individuen auf diese Dynaxität – so auch der SE.

Hierzu passt die von Luhmann (1984; 2011) systemtheoretisch begründete Ausführung, dass Kommunikation nicht nur sprachlich passiert, sondern unter Einbezug aller denkbaren Verhaltensweisen: Informationen werden generiert und verteilt bzw. empfangen, in der Wahrnehmung subjektiv interpretiert und Entscheidungen dementsprechend gefällt. Einerseits führt dies zur Zunahme an Eindrücken und Handlungsalternativen. Andererseits können soziale Systeme den damit steigenden Informationsanstieg in Klärungs- und Priorisierungsprozessen reduzieren und auf diese Weise Komplexität reduzieren. Somit lässt sich zwar die Komplexität an Managementproblemen nicht beherrschen, aber günstige Rahmenbedingungen zur Selbstorganisation im Sinne einer systemischen Evolution können geschaffen werden (ebd.), was sich ebenso auf ein Reduzieren dynamischer Prozesse auswirken kann (Kastner, Kastner & Vogt, 2001).

Damit sich die SEO am Markt behauptet, geben Befragte zu erkennen, dass die Produkt- bzw. Dienstleistungsqualität einer SEO mindestens genauso gut sein muss wie die von KEO, die vergleichbare Produkte oder Dienstleistungen anbieten, wenngleich nicht unter sozialunternehmerischen Bedingungen. SE dürfen sich demnach nicht darauf ausruhen, als Alleinstellungsmerkmal ein sozialunternehmerisches Konzept entwickelt zu haben (IPF1505). Eventuell kann geringwertigere Produkt- oder Dienstleistungsqualität die Kundenzufriedenheit beeinträchtigen bzw. Neukundengewinnung von vornherein verwehren. Gleichwohl muss sich die SEO auf ihre soziale Mission besinnen (IP281506) und dabei die Position ihrer Wirkungsempfänger i. S. v. Kunden bzw. ihrer Zielgruppe verstehen und einbeziehen (vgl. z. B. Abschn. 7.1 zum Zielgruppenmanagement).

Im Hinblick auf das strukturelle Einbinden konstruktiven Feedbacks samt Perspektivwechsel gestaltet IP28 sein Finanzdienstleistungs-Geschäftsmodell als Leihgemeinschaft und achtet darauf, dass Wirkungsempfänger seiner Finanzdienstleistung von interdisziplinären Teams betreut werden, was Motivation und Verbindlichkeit in Gegenseitigkeit erzeugen kann (IP281507). Einen hohen Stellenwert erlangt dabei, Warnsignale frühzeitig zu erkennen und ernst zu nehmen, also risikomanagementbasiert Entscheidungen abzuleiten. Die SEO von IP28 setzt zwar an einem altbekannten gesellschaftlichen Problem an, übernimmt jedoch für potenzielle Kunden bzw. Wirkungsempfänger vorsorglich Verantwortung; in diesem Sinn wird Schadwirkung proaktiv vermieden, also ohne äußeren Handlungsdruck. Der dabei gegebene Handlungsdruck scheint von innen heraus, intrinsisch begründbar.

9.8.3 Präventionsebenen

Diese proaktive Vermeidung – also das Aktivwerden, ohne dass bereits ein Störfall eingetreten ist – lässt sich mit Bezugnahme auf das Gesundheitspräventionskonzept von Caplan (1964, S. 26) als Primärprävention bezeichnen. Primärpräventiv handelt ein SE, wenn er die Möglichkeit der Entwicklung eines Missstands oder eines Störfalls vor dessen Ausbildung erkennt und dabei sozialunternehmerisches Engagement zeigt mit der Zielsetzung, Schadwirkung vor deren Inkrafttreten zu vermeiden. Wie das zuvor dargestellte Beispiel zu IP28 belegt, kann diese Form der Fürsorge auch bei altbekannten Problemen zum Einsatz kommen.

An anderer Stelle wurde bereits das für IP2 Unvorstellbare zitiert, dass ein mit Bedacht ausgewählter Mitarbeiter die grundsätzlichen Regeln und damit die gesetzten Werte der SEO nicht befolgt hat. Die Einhaltung dieses Regelwerks kann jedoch erst das Wohl der sozial benachteiligten Wirkungsempfänger sichern. Seine Gutgläubigkeit stellt IP2 erst infrage, nachdem Wirkungsempfänger körperliche Gewalt erfahren haben und er mehrfach hierauf aufmerksam gemacht worden ist. Ein auf Vertrauen basierendes Regelwerk stellt hier kein gelingendes primärpräventives Schutzkonzept dar (IP21508; IP21509; IP181510). Obwohl Gefahrenindikatoren bestanden, wurden diese aufgrund fehlender Indikatorensystematik nicht als solche bewertet, so dass kein hinreichender primärpräventiver Schutz zur Wirkung kam. Deutlich wird, dass im Arbeitsalltag die kontinuierliche Auseinandersetzung mit dem primärpräventiven Ansatz relevant ist.

Von Primärprävention ist demnach ein reaktives Eingreifen abzugrenzen, bei dem sich ein Schadenpotenzial bereits angekündigt und eventuell sogar Schadwirkung entfaltet hat. Reaktives Eingreifen erfolgt entweder als Sekundärprävention (Caplan, 1964, S. 89) oder als Tertiärprävention (ebd., S. 113).

Sekundärprävention lässt sich umschreiben mit der Redewendung, dass erst gehandelt wird, wenn „ein Kind in den Brunnen gefallen“ ist. In diesem Sinn wird das Kind aus dem Brunnen gezogen und es wird davon ausgegangen, dass das Kind durch den Fall in den Brunnen keinen ernsthaften Schaden erlitten hat. Der Brunnen ist sodann abzusichern, damit es zu keinen weiteren Störfällen kommt. Je früher und je gründlicher sekundärpräventiv eingegriffen wird, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass sich ein Störungsausmaß begrenzen lässt (Hein, 2016, S. 57). Befragte geben zu verstehen, dass sie als sekundärpräventive Problemmanager agieren, um beispielsweise eine politisch verursachte Schadwirkung abzubauen (IP211511). Es sollen keine weiteren Kinder in den Brunnen fallen.

Dementsprechend ist unter primärpräventiver Betrachtung noch kein Störungsfall eingetreten, ein Kind also erst gar nicht in den Brunnen gefallen.

Tertiärprävention hingegen widmet sich Situationen, bei denen in Analogie zur herangezogenen Redewendung das Kind infolge des Fallens in den Brunnen einen Schaden erlitten hat; eventuell ist es sogar ertrunken, was einen irreparablen Schaden darstellt. Der entstandene Schaden ist bestmöglich zu kurieren und zu verarbeiten. Falls die Beseitigung eines eingetretenen Schadens nicht möglich ist, soll die Lebensqualität für alle Beteiligten bestmöglich gestaltet werden, ohne dass weitere Schadwirkung eintritt. Deutlich wird, dass tertiärpräventive Maßnahmen i. d. R. besonders viele Ressourcen binden (ebd.).

Primär-, Sekundär- und Tertiärprävention lassen sich zur Veranschaulichung der aufgezeigten Entwicklungsdynamik sinnvollerweise als Präventionsebenen in einer vertikal hierarchischen Struktur abbilden. Abbildung  9.1 beinhaltet diesen Ansatz, wobei die Ampelfarbensystematik auf vertikaler Präventionsebene dazu passend die Gefahrenstufe signalisiert.

9.8.4 Kontinuierliche Entwicklungen und Verbesserungsprozesse

Es erscheint erforderlich, ein funktionierendes Frühwarnsystem auf allen drei Präventionsebenen zu installieren, um Risiken bestmöglich erkennen und minimieren zu können. Dabei sind Feedbackanforderungen strukturell zu verankern, so dass Risiken bei kontinuierlichen Entwicklungen bzw. in kontinuierlichen Verbesserungsprozessen (KVP) so früh wie möglich erkannt und bewertet werden können (IPQ1512).

Hierbei wird auf eine von Shewhart (1945) entworfene und von Deming (1982) weiterentwickelte zyklische Modellstruktur zurückgegriffen, bestehend aus den vier Teilbereichen (1) Planung von Zielsetzungen bzw. Maßnahmen zur Erreichung der Zielsetzung (Plan), (2) Testung, etwaige realisierbare Optimierung und – ggf. prototypische – Umsetzung dieser Maßnahmen (Do), (3) Bewertung des Doings unter Mitbewertung der Planung (Check) und (4) Implementierung der finalen Konzeptentwicklung (Act), wobei aktualisierte Zielsetzungen in die Folgeplanung übergehen; dies wird offiziell als Akronym PDCA-Zyklus bezeichnet, ebenso geläufig als „Deming-Kreis“. Der PDCA-Zyklus stellt ein Basiselement des KVP im Qualitätsmanagementansatz der DIN-EN-ISO-9000-Familie dar, dessen prozessorientierter Ursprung in der DIN EN ISO 9001:2000 zu finden ist (Deutsches Institut für Normung, 2000a).

In der Grundlage gleicht das arbeits- und organisationspsychologisch bedeutsam gewordene sequenziell-zyklische Handlungsprozessmodell von Hacker (1986) dem PDCA-Zyklus. Hackers Darstellung bildet einen der beiden Hauptbestandteile seines Konzepts der sog. „vollständigen Tätigkeit“ und besteht aus den vier Funktionen (1) Vorbereitung (Zielsetzung, Planung der Vorgehensweise, Auswahl zweckmäßiger Vorgehensvarianten), (2) Organisation (Abstimmung der Aufgaben mit anderen Menschen), (3) Ausführung (Ausüben der eigentlichen Tätigkeit) und (4) Kontrolle (selbstständige Überprüfung der Zielerreichung) (ebd.). Wird das Ziel nicht erreicht, erfolgt eine Rückkopplungsschleife, auch als Vergleichs-Veränderungs-Rückkopplungseinheit bezeichnet. Nachfolgend wird allerdings auf die Nomenklatur und Darstellungsform Demings zurückgegriffen, da damit der Fokus auf der hier beabsichtigten Reflexion zum Qualitätsmanagement verbleibt. Zudem erweist sich der PDCA-Zyklus didaktisch als gut geeignet zum Veranschaulichen der Quintessenz. In Abbildung 9.1 ist der PDCA-Zyklus auf allen drei Präventionsebenen verankert.

Deutlich wird, dass sich von Dynaxität geprägte Arbeitsbedingungen nicht mit Checklisten hinreichend überwachen lassen. SE müssen sich über die spezifische soziale Zielsetzung ihrer SEO hinaus mit Schnittmengenthemen auseinandersetzen. Eventuell sind Themen sogar in einen übergeordneten, in die Zukunft gerichteten gesamtgesellschaftlichen Kontext zu stellen und zu reflektieren (IP281513; IPm1514). Beispielsweise erstellte eine IP eine Bestandsaufnahme zu ihrer geplanten Dienstleistung aus ihrer Perspektive, ohne z. B. Bedürfnisse ihrer potenziellen Kunden abzufragen (IPL1515), was einen Anteil am Scheitern haben kann. Für die Umsetzung von Prozessschritten lassen sich Checklisten, wenn überhaupt, lediglich als Unterstützungshilfen im Sinne einer Momentaufnahme im Klärungs- und Umsetzungsprozess integrieren. Sie können jedoch keinen prozessorientierten Qualitätsmaßstab verkörpern.

9.8.5 Präventionssegmente

Mit dem Beispiel von IP28 wird darüber hinaus deutlich, dass Bedingungen und Merkmale der Prävention zum einen in der Verantwortung einer Person liegen können und zum anderen in der Verantwortung von Organisationen.

Bedingungen und Merkmale der Prävention, die konzeptionell und umsetzungsbezogen in der Verantwortung des SE liegen, werden zur Verhaltensprävention gezählt. Denn das eigene Verhalten wirkt unmittelbar auf die Qualität der Arbeitsgestaltung (vgl. z. B. Rosenbrock & Gerlinger, 2015, S. 188). In diesem Sinn kann z. B. ein zu spät erfolgtes Eingeständnis, dass Konflikte sich nicht immer lösen lassen (IPπ1516), negative Konsequenzen haben; Eskalationsdynamiken mit persönlichem und unternehmerischem Schaden gleichermaßen können daraus hervorgehen (vertiefend ausgeführt in Abschn. 10.5 zu Beanspruchungsfolgen). Was primärpräventiv hätte vermieden werden können, ist sekundärpräventiv, schlimmstenfalls tertiärpräventiv dementsprechend aufwendig aufzuarbeiten. Unter verhaltenspräventivem Aspekt erscheint es erforderlich, den SE so anzuleiten, dass er in der Lage ist, präventiv optimal wirksam Umsetzungsprozesse zu gestalten.

Somit benötigt der SE nicht nur strategisches Denkvermögen, sondern z. B. ebenso Mut und Widerstandsfähigkeit (IPA1517; IP141518; IP141519; IP141520; IPγ1521). Korber (2015) stellte für die von ihr befragten SE fest: „Die meisten Social Entrepreneurs zeigen ein hohes Maß an Resilienz und wenden sich direkt und unvermittelt mit der Bitte nach Unterstützung für ihr sozialunternehmerisches Vorhaben an andere. Sie zögern nicht, zu fragen, gehen aktiv auf ihr Umfeld zu und wiederholen dies, wenn nötig, mehrere Male. Diese aktive Suche nach Unterstützung ist ein Merkmal ihres Erfolges und steht in einer Wechselbeziehung mit dem Erkennen eigener Grenzen (…). Ein Erfolgselement dieser Persönlichkeiten liegt in der Kunst, die scheinbaren Widersprüche in einem gesunden Maß zu verbinden“ (S. 82 f.). Zu bedenken ist, dass Korber nur erfolgreiche, bekannte SE befragt und somit im Befragungssetting ihr Sample stark eingegrenzt hat. Der Rückschluss, dass der Großteil aller SE über diese Art der Resilienz verfügt, wäre ebenso unzulässig wie der Umkehrschluss, dass Scheitern in mangelnder Resilienz begründet sei (vgl. z. B. IP11522, i. V. m. der Ausführung in Abschn. 5.12). Die bisherige Ergebnisdiskussion zeigt bereits, wie umfangreich sowohl situative Gegebenheiten als auch weitere dispositionelle Bedingungen wirken.

In Abgrenzung zur Verhaltensprävention zählen Bedingungen und Merkmale der Prävention, die konzeptionell und umsetzungsbezogen in der Verantwortung von Organisationen bzw. in gegebenen Strukturen liegen, zur Verhältnisprävention. Denn vorgegebene Strukturen zur Arbeitsgestaltung wirken unmittelbar auf die Arbeitsgestaltungsqualität (vgl. z. B. Rosenbrock & Gerlinger, 2015, S. 187). Die umfangreiche Diskussion in den vorherigen Kapiteln zu strukturellen Gegebenheiten zeigt deutlich, dass diese Merkmale und Bedingungen – in ihrer Wirksamkeit ebenfalls primär- bis tertiärpräventiv zu verorten – auf die Arbeitsgestaltung einwirken: von der Falschberatung durch SEO-U, die demzufolge unter primärpräventivem Aspekt ein personenbezogenes wie unternehmerisches Desaster erzeugen kann, bis hin zur tertiärpräventiv erforderlichen, reaktiven Anpassung auf das unerwartete Wegbrechen von Förderstrukturen, die ein drastisches Runterskalieren der SEO erforderlich macht.

Wieland (2010) grenzt von der Verhaltens- und der Verhältnisprävention die kulturelle Prävention ab und verdeutlicht dabei, dass sich die Führungs- und Unternehmenskultur auf die Arbeitsplatzgestaltung positiv oder eben negativ auswirkt. In Erinnerung wird beispielhaft die Ausführung zu fehlenden Stellvertreterregelungen gerufen (Abschn. 9.4) und weitere Befragte geben deren kulturelles Präventionsverständnis indirekt zu verstehen (IP221523).

Verhaltens-, Verhältnis- und kulturelle Prävention weisen keine vertikale Hierarchie auf und lassen sich somit sinnvollerweise als Präventionssegmente in einer horizontalen Struktur abbilden.

Die Modelldarstellung in Abbildung 9.1 zeigt in der Gesamtbetrachtung eine Neun-Felder-Matrix mit dementsprechend voneinander abgrenzbaren Handlungsfeldern zum ganzheitlich-prozessorientierten Präventionsverständnis. Das Modell kann zur Reflexion und Bewertung konkreter Fragestellungen aus verschiedenen Perspektiven herangezogen werden: beispielsweise bei der Ermittlung einer Ausgangssituation und Bestimmung einer Zielsetzung zur sozialen Wirkung, ebenso z. B. zur Analyse von Arbeitsgestaltungsbedingungen innerhalb der SEO bis zur SE-bezogenen Reflexion und Bewertung von Belastungen und Belastungsfolgen.

Darüber hinaus kann das Modell zur Beschreibung gesellschaftlicher Ist- und Soll-Zustände genutzt werden. Erinnert wird hierbei an die Ausführung in Abschnitt 6.1 zur staatlichen Verantwortungsübernahme, politischen Entscheidungsfindung und Ressourcenverteilung: Eine Befragte äußerte ihre Befürchtung, dass der politische Entscheidungsschwerpunkt, medizinische Forschung zur Beseitigung bestimmter Krankheiten zu fördern, in der Vision begründet ist, chronische Erkrankungen zu eliminieren, woraus folgt, dass es zu dem erfolgreich erforschten Krankheitsbild keine erkrankten Menschen mehr gibt. Eine nahezu einseitige, medizinische Förderung erweckt jedoch bei noch bestehendem Krankheitsbild den Eindruck, dass die erkrankten Menschen gesamtgesellschaftlich und vor allem politisch nicht gewünscht seien; denn eine bessere Lebensqualität bleibt ihnen versagt (IPmZ589–6051524). Deutlich wird ebenfalls bei dieser Ausführung, dass in Entscheidungsprozesse sämtliche Präventionsebenen, Präventionssegmente und ihre prozessorientierte Wirkung in ihrem Gesamtbild kontinuierlich einzubeziehen sind.

9.9 Verortung der Erkenntnisse im Wirkungsmodell zur Arbeitsgestaltung von Social Entrepreneuren

Mit den in diesem Kapitel diskutierten Teilergebnissen lässt sich somit dreierlei aufzeigen:

Erstens: Arbeits- und lernkulturelle Besonderheiten wie z. B. der Zugang zu Netzwerken und zu ehrenamtlichen Mitarbeitern setzen Rahmenbedingungen zur Arbeitsgestaltung von SE. Diese Rahmenbedingungen wirken dementsprechend als eigenständiges Kriterium (im Wirkungsmodell wiedergegeben als Wirkungskriterium V).

Zweitens: Arbeits- und lernkulturelle Besonderheiten wie z. B. ein nur partiell gegebenes Präventionsbewusstsein wirken als dynamische Prozesse direkt auf das Beanspruchungsgefüge, das SE erleben (im Wirkungsmodell wiedergegeben als Wirkungspfad 5).

Drittens: Die Arbeits- und Lernkultur von SE prägt deren Einstellungen, beispielsweise im Hinblick auf den Stellenwert des Unternehmertums im Verhältnis zur sozialen Zielsetzung (im Wirkungsmodell wiedergegeben als Wirkungspfad c).