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Einleitung

Für das Projekt Fit4AAL, in dessen Verlauf das Bewegungsprogramm Fit-mit-ILSE entstanden ist, wurde von Beginn an die Generation der Babyboomer, also Menschen der geburtenstarken Jahrgänge 1956 bis 1969, als Zielgruppe ins Auge gefasst. In den nächsten zehn Jahren kommt diese Generation nach und nach ins Rentenalter. Eine Herausforderung für das Pensionssystem und später, in den folgenden Jahrzehnten, auch für das Gesundheits- und Pflegesystem. Mit dem Projekt Fit4AAL sollten daher Menschen am Übergang in den Ruhestand erreicht und dabei unterstützt werden, für sich persönlich die Voraussetzungen für ein gesundes, autonomes und langes Leben zu schaffen.

Die Zielgruppe der Generation Babyboomer, speziell jene rund um den Renteneintritt, wurde ausgewählt, weil sie sich, so wurde vermutet, nicht nur in ihrer Anzahl wesentlich von vorhergehenden Renteneinsteigern unterschieden. Erste Recherchen im Rahmen der Entwicklung des Projektantrages ergaben Hinweise auf ein verändertes Altersbild dieser Generation, auf damit verbundene veränderte Vorstellung vom Leben in der Pension und einem höheren Gesundheitsbewusstsein (Hübner, 2017; Engstler & Gordo, 2017; Oertel, 2014; Antonovsky & Sagy, 1990).

Außerdem rechnete man damit, dass die Vertreter der Generation Babyboomer eine höhere Vertrautheit im Umgang mit Technik und IT zeigen werden, waren es doch Menschen dieser Kohorte, die den Übergang ins digitale Zeitalter von Beginn an miterlebten (MMA, 2016; Oertel, 2014).

Aus gerontologischer Sicht war es für das Projekt Fit4AAL wichtig, allen Projektpartnern, vor allem jenen aus dem Fachbereich Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT) und Sportwissenschaft, die Zielgruppe, ihre Lebenswelt und ihre Bedürfnisse, näher zu bringen. Es ging dabei darum, die Treffsicherheit der zu entwickelnden Active Assisted Living (AAL)-Lösung sicher zu stellen, aber auch um Fragen der zielgruppenorientierten Kommunikation, etwa an sogenannte Lead User (trendführende IKT Nutzer*innen) und Testpersonen. Auch für das „Mitwachsen“ des Bewegungsprogramms mit den Bedürfnissen der potentiellen Anwender, war es wichtig die Zielgruppe gut zu kennen.

Der vorliegende Artikel beschreibt diese Auseinandersetzung mit der Zielgruppe. Zu Beginn wird der Frage nach dem Übergang in den Ruhestand als gesellschaftliche Altersgrenze und einschneidendes Lebensereignis, sowie dem Thema Veränderungen aufgrund der Pension und Bewältigung des Übergangs nachgegangen. Danach folgen Erläuterungen zum Thema Gesundheit, Umgang mit neuen Technologien und der Rolle der gerontologischen Expertise im Projektverlauf.

Der Übergang in den Ruhestand im Wandel

Mit dem Übergang in den Ruhestand und dem potentiellen Ende des Erwerbslebens vollziehen die betroffenen Menschen den Schritt in eine neue Lebensphase. War das weitere Leben als Ruheständler noch in den 60er Jahren meistens eher von kurzer Dauer und von einem Ruhebedürfnis geprägt, so hat sich die Zeit des Ruhestandes mittlerweile zu einer eigenen Lebensphase entwickelt (Kolland & Ahmadi, 2010). Wie dieser Lebensabschnitt erlebt und gestaltet wird, hängt wesentlich davon ab, wie der Übergang vom Erwerbsleben in die Pension erlebt und bewältigt wird. Aber auch Gesellschaft und Politik wirken auf das Leben der Ruheständler und auch hier vollzog sich in den letzten Jahren ein Wandel.

Der Pensionseintritt als gesellschaftliche Altersgrenze löst sich auf

Die demografische Entwicklung hin zu einer alternden Gesellschaft, einer Gesellschaft des langen Lebens, zwingt uns dazu, Bestehendes und lange Jahre Bewährtes neu zu betrachten. So auch die Themen Pensionseintritt und die Lebensphase Ruhestand.

Über Jahrzehnte galt in unserer Gesellschaft ein dreiphasiger beruflicher Lebenslauf als idealtypisch: Kindheit/Jugend/Schule/Ausbildung – Erwachsensein/Erwerbsleben – Ruhestand/Alter (Kohli, 1985). Die drei Phasen des Lebenslaufes schienen abgegrenzt, ihre Übergänge deutlich erkennbar. Der Übergang in die Lebensphase Alter, der Einstieg in den Ruhestand, war einstufig und abrupt. Heute noch erwerbstätige Person, morgen schon Pensionist*in und Ruheständler, ein Lebensumbruch, der sich von einem Tag auf den anderen vollzog. Neue Konzepte, die gleitende Übergänge ermöglichen sollten, etwa das Modell Altersteilzeit, entstanden erst später (Altersteilzeitgesetz Deutschland und Österreich).

Der Pensionsantritt galt über Jahrzehnte als klare, gesellschaftlich definierte Altersgrenze. Wer in Pension war, gehörte eindeutig zu „den Alten“, war ausgeschieden aus dem Erwerbsleben, hatte stattdessen das Recht auf Freiheit, Erholung und ein Leben in Ruhe. Vom gesetzlich definierten PensionsantrittsalterFootnote 1 waren immer schon einzelne Berufe ausgenommen, Ärzte etwa oder Rechtsanwälte, Künstler, und vereinzelt auch Handwerksberufe, so diese in Selbstständigkeit ausgeübt wurden. Abseits dieser Ausnahmen aber galt ein abrupter Pensionseintritt als Standard und wurde, individuell und gesellschaftlich, als selbstverständlicher Eintritt ins „Alter“ betrachtet.

Diesem einstufigen Verrentungsverfahren zugrunde lag die Disengagement-Theorie und damit verbunden die Meinung, Menschen mit zunehmendem Alter hätten intrinsisch motiviert das Bedürfnis, sich aus gesellschaftlicher und sozialer Verpflichtung herauszulösen und würden Ruhe und Rückzug anstreben (Cumming & Henry, 1961). Altern wurde als fortschreitender Prozess betrachtet, der zu immer mehr körperlichen und kognitiven Defiziten führt, weshalb das Erbringen von Leistung und die Übernahme von Verpflichtung immer schwerer fallen würden. Lange Zeit wurde dieses Gedankenkonstrukt auch in der Praxis bestätigt. Menschen, die in den 60er Jahren in Pension gingen, waren tatsächlich oft bereits körperlich beeinträchtigt, fühlten sich von der jahrelangen Arbeit erschöpft und freuten sich deshalb meistens auf ihre Pensionierung, versprachen sich Ruhe und Rückzug oder eine Art späte Freiheit (Schneider, 2019; Rosenmayr, 1983). Zudem war die weitere Lebenszeit nach dem Pensionsantritt sehr begrenzt, 1957 etwa betrug die mittlere Lebenserwartung 63 Jahre (Bruns et. al., 2007), die Lebensphase Pension war also meistens nur von kurzer Dauer.

Hier vollzieht sich, im Hinblick auf die Themen Alter und Ruhestand, gesellschaftlich und politisch seit einigen Jahren ein Wandel. Es kam zu einer Verjüngung des Alters. Menschen, die heute vor dem Pensionseintritt stehen, sind körperlich um vieles jünger und auch gesünder als es alle Generationen davor waren und sie fühlen sich beim Pensionsantritt durchaus fit und leistungsfähig (Otten, 2008). Außerdem hatten Ruheständler noch nie so viel weitere Lebenszeit vor sich wie heute. Radebold und Radebold prognostizierten 2009 für Frauen jenseits der 60 weitere 24,6 Jahre und für Männer weitere 20,7 Jahre restliche Lebenserwartung.

Die Zeit des Ruhestandes hat sich damit zu einem eigenen Lebensabschnitt entwickelt und so ist es auch verständlich, dass Menschen, die sich heute den gesetzlich definierten Pensionsantrittsalter nähern, vielfach noch nicht nach Ruhe suchen. Immer mehr Erwerbstätige planen etwa bis 65 oder sogar darüber hinaus zu arbeiten, dies betrifft im höheren Ausmaß Männer und hier vor allem Erwerbstätige mit höherer Bildung, sowie Führungskräfte und Selbständige. Es sind immer weniger ältere Erwerbstätige, die davon träumen, bereits mit 60 Jahren in Rente zu gehen (Engstler & Gordo, 2017).

Der Übergang in den Ruhestand als Schritt in eine neue aktive Lebensphase

Von politischer Seite wird, aufgrund dieser gesellschaftlichen Veränderungen, aber auch zur Bewältigung der Herausforderungen des demografischen Wandels, mit diversen Rentenreformen versucht, das faktische Rentenantrittsalter zu erhöhen. So formulierte die Europäische Union mit der sogenannten Lissabon-Strategie das politische Ziel, die Beschäftigungsquoten älterer Arbeitnehmer zwischen 55 und 64 Jahren um 50 % zu erhöhen (Mergenthaler et al., 2015). Außerdem wird zunehmend über eine generelle Flexibilisierung des Übergangs in den Ruhestand diskutiert.

Die Wirtschaft aber scheint dem begonnenen Wandel der Gesellschaft hinterherzuhinken. Den genannten politischen Bestrebungen nach einer Erhöhung des Pensionseintrittsalter und den Bedürfnissen der älteren Erwerbstätigen, länger arbeiten zu wollen, stehen immer weniger ältere Erwerbstätige gegenüber, die tatsächlich bis zum Beginn des Ruhestandes im Arbeitsprozess bleiben können. Die Zahl jener Menschen, die aus der Arbeitslosigkeit in die Rente eintreten, hat stark zugenommen. Ebenso die Zahl jener, die aus der Freistellungsphase der Altersteilzeit – auch als inaktive Phase der Altersteilzeit bezeichnet – in die Pension wechseln, womit das Konzept der Altersteilzeit sich als missbräuchliche Alternative zur Frühverrentung entpuppt. Faktisch verlassen also immer mehr ältere Arbeitnehmer vor dem offiziellen Pensionsantritt den Arbeitsprozess (Engstler & Gordo, 2017).

Auf der anderen Seite sind es aber Firmen, meist von jungen Unternehmern gegründet und geführt, die mit großem Erfolg Menschen jenseits der 60 im Arbeitsprozess halten oder gar Reintegrieren. So hatte ein Kaffeehaus in Österreich, welches neben jüngeren Arbeitnehmer*innen vor allem Pensionist*innen beschäftigt, so großen Erfolg, dass nach nur wenigen Jahren ein zweiter Standort eröffnet werden konnte. Die vor allem weiblichen älteren Beschäftigten dieses Unternehmens backen Kuchen und Torten nach eigenen Rezepten oder arbeiten im Kundenservice, ihre Arbeitszeit beträgt zwischen fünf und 10 h wöchentlich. Probleme bei der Suche nach Mitarbeitern jenseits der Pensionsgrenze für den neuen Standort gab es keine (Café Vollpension, 2019).

Auch ein weiteres österreichisches Unternehmen hat das Potenzial der Menschen, die jenseits der Pensionsgrenze beruflich tätig sein wollen erkannt. Die Karriereplattform für Menschen 55 plus, so die Selbstbeschreibung des Unternehmens, vermittelt nun schon seit einigen Jahren erfolgreich ältere, meistens sich bereits in Pension befindende Menschen, an altersfreundliche Unternehmen, die Arbeitszeiten reichen dabei von geringfügig bis Vollzeit. Das Unternehmen wurde für diese visionäre Sicht vielfach prämiert und kürzlich sogar ins Förderprogramm von Google aufgenommen (Trending Topics, 2020).

Auch Clemens (2014) ortet eine hohe Widersprüchlichkeit in der Diskussion und im Umgang mit älteren Erwerbstätigen. So würde man zwar um deren Nützlichkeit und Leistungsfähigkeit wissen, in der realen Umsetzung aber dann doch wieder jüngere Mitarbeiter*innen vorziehen. Aufgrund des Wandels in der Arbeitswelt, rechnet er für die Zukunft mit einer Verlängerung der Lebensarbeitszeit, der jedoch strukturelle Veränderungen, wie auch die Diskussion um Normen und Werte vorausgehen müssen. In diesem Kontext nennt Clemens (2014) etwa die notwendige Auseinandersetzung personalverantwortlicher Menschen mit Altersbildern, die Ausgestaltung von alternsfreundlichen Arbeitsbedingungen, die Entwicklung von Konzepten für ein Miteinander der Generationen in Unternehmen, sowie eine Flexibilisierung des Rentenzugangsalters.

Brenke (2013) sieht einen deutlichen Trend hin zu Erwerbsarbeit im Ruhestand und empfiehlt der Wirtschaft, diese Ressource in Zukunft besser zu nützen, um Engpässen, etwas bei Facharbeitern, entgegenzuwirken.

Die TOP-Studie (Transitions and Old Age Potential) 2014 zeigte, dass rund 23 % der 60- bis 70-Jährigen, die sich in Pension befinden, erwerbstätig sind, Männer mit 29 % häufiger als Frauen mit 18 %. Tendenz steigend. Die meisten erwerbstätigen Ruheständler arbeiten dabei zwischen fünf und 10 h. Als häufigster Grund für die Erwerbsarbeit wird dabei nicht etwa die Notwendigkeit Geld verdienen zu müssen genannt, sondern die Freude an der Arbeit (Cihlar et al., 2014).

Der Übergang in den Ruhestand ist also deutlich im Wandel. Der Eintritt in die Pension wird sich immer mehr individualisieren, der abrupte Pensionseintritt wird einer Vielfalt an Wegen am Übergang in den Ruhestand weichen. Damit wird der Eintritt in die Pension deutlich weniger als gesellschaftliche Altersgrenze gesehen und als Eintritt ins Alter erlebt werden. Angehende Pensionist*innen werden sich immer weniger als jene verstehen, die ein Leben in Ruhe führen wollen. Der Pensionseintritt kann in Zukunft eher als neuer Aufbruch in eine weitere spannende Lebensphase betrachtet werden, wobei die Lebensformen und Lebensstile der zukünftigen Rentner*innen plural und heterogen sein werden.

Der Übergang in den Ruhestand – Veränderungen und Bewältigung

Auch wenn der Weg in den Ruhestand und das Leben in der Pension sich verändert haben, beziehungsweise sich im Wandel befinden, bleibt der Übergang in die Lebensphase Pension trotzdem eine Umbruchssituation

Typen des Übergangs in den Ruhestand

Schon seit einiger Zeit stellt sich die Frage, welche Art von Übergang in den Ruhestand ältere Erwerbstätige sich eigentlich wünschen. Ist es weiter der abrupte Eintritt in die Pension, der angestrebt wird, oder soll es für die Zukunft sanftere und flexiblere Wege in den Ruhestand geben.

Aus Sicht der Gerontologie wird ein sanfter und fließender Übergang in die Pension empfohlen, dem mit dem Modell Altersteilzeit politisch auch mehrere Jahre lang Rechnung getragen wurde. Angehende Ruheständler konnten in Österreich und Deutschland über viele Jahre zwischen zwei staatlich geförderten Varianten der Altersteilzeit wählen. Variante eins ermöglichte in den letzten Berufsjahren eine Teilzeitbeschäftigung und damit einen sanften Ausstieg aus dem Arbeitsleben. Die Variante zwei teilte die verbleibenden Jahre der Berufstätigkeit in eine aktive und eine inaktive Phase. In der aktiven Phase arbeiteten die Arbeitnehmer*innen bei reduziertem Gehalt Vollzeit, in der inaktiven Phase blieben sie zu Hause, bezogen aber weiter ihr reduziertes Gehalt. Was ursprünglich als Modell des sanften Übergangs gedacht war, scheiterte in der Durchführung an Unternehmen ebenso wie an den Beschäftigten, denn am häufigsten gewählt wurde die geteilte Variante und damit wieder der abrupte Ausstieg aus dem Arbeitsleben (Clemens, 2001).

Gibt es am Ende eine Diskrepanz zwischen den Empfehlungen der Fachexpert*innen und den Vorstellungen der angehenden Pensionist*innen selbst, eine Diskrepanz zwischen Planung und tatsächlicher Lebensführung?

Der Soziologe Ludwig Amrhein ist in seiner Forschungsarbeit, am Beispiel Ruhestand, den Modellen und Formen der Lebensführung im Alter nachgegangen. Er hat festgestellt, dass es den normativen Übergang in die Pension nicht gibt und konnte eine Differenzierung vornehmen (Amrhein, 2008). Amrhein beschreibt fünf Typen des Übergangs in den Ruhestand – den ‚halbierten‘, den ‚unsichtbaren‘, den ‚sanften‘ und den ‚abrupten‘ Übergang. Aus Sicht Amrheins stehen die Gestaltung und das Gelingen des Übergangs in die Pension in Verbindung mit der Biografie des Menschen und wird maßgeblich von der bestehenden Lebenssituation der angehenden Pensionisten*innen geprägt (Amrhein, 2008).

Den halbierten Übergang fand Amrhein vorrangig bei freiberuflich oder in Selbständigkeit tätigen Menschen. Menschen dieses Übergang-Typs arbeiten nach dem Pensionseintritt weiter. Die Spanne der Beschäftigung reicht dabei von einem reduzierten Arbeitsumfang über ein Arbeitspensum ähnlich dem vor dem Ruhestand bis hin zu einem höheren zeitlichen Arbeitseinsatz.

Den unsichtbaren Übergang fand Amrhein vor allem bei Frauen und charakterisiert ihn damit, dass der Austritt aus der Arbeitswelt und der Bezugsbeginn der.

Altersrente zeitlich auseinander liegen. Diese Frauen verlassen also die Arbeitswelt Monate bis Jahre bevor sie Anspruch auf Pensionszahlungen haben. Es handelt sich hierbei um Frauen, die aus familiären oder partnerschaftlichen Gründen die Erwerbsarbeit vorzeitig beenden, etwa weil sie Betreuungs- oder Pflegeleistungen erbringen müssen, oder frühzeitig ihre Arbeit beenden, um mit dem Partner gemeinsam in den Ruhestand zu gehen.

Beim sanften Übergang haben Menschen nach Eintritt in die Pension die Möglichkeit, meist stundenweise oder Teilzeit, Tätigkeiten des vorherigen Aufgabenbereichs weiterzuführen. Sie sind etwa beratend tätig, lehrend oder arbeiten in Projekten und behalten damit ein Stück ihrer beruflichen Identität. Die Möglichkeit dieses sanften Übergangs wird vor allem Führungskräften zuteil, Akademiker*innen und Menschen, die freiberuflich tätig sind. Aber auch eine bewusste und rechtzeitige Suche nach Teilzeitarbeit, noch vor dem Pensionseintritt und auch in einem anderen Berufsfeld, kann diesen sanften Übergang ermöglichen.

Beim abrupten Übergang, er geschieht geplant wie ungeplant, erwartet ebenso wie plötzlich, etwa aus gesundheitlichen Gründen, verlieren die betroffenen Ruheständler*innen von einem Tag auf den anderen ihre berufliche Identität. Man findet unter den Typen dieses Übergangs durchaus Menschen, die danach einer ehrenamtlichen oder geringfügigen Beschäftigung nachgehen, allerdings weniger zur Aufrechterhaltung der beruflichen Identität denn als Zuverdienst und Ablenkung.

Der Übergang in den Ruhestand kann somit laut Amrhein nicht als normativer Prozess, sondern nur individuell und im Kontext von Biografie und Lebenssituation betrachtet werden. Dabei haben Faktoren wie Beschäftigungsform, berufliche Funktion, Bildung, familiäre Situation und Geschlechtszugehörigkeit großen Einfluss.

Wie aber wird der nahende Pensionseintritt von den Betroffenen selbst erlebt? Welche Hoffnungen und Ängste haben sie? Auf die Frage nach dem Erleben der Ruhestandsereignisse beschreiben Bury, Decker und Piorr (2019) in ihrer Studie zu Gestaltungsmöglichkeiten des Übergangs in den Ruhestand aus Sicht der Personalentwicklung drei unterschiedliche Typen von Mitarbeitenden, den Typus Sehnsucht nach Freiheit, den Typus lachendes und weinendes Auge und den Typus weiter wie bisher.

Vorruheständler*innen der Kategorie Sehnsucht nach Freiheit möchten ihre Pension nützen für Freizeitaktivitäten, Familie und Hobbys, sie haben keine Sorge bezüglich ihrer Bewältigung des Übergangs in die Pension und planen keine weitere berufliche Betätigung. Sie haben eher Angst davor, durch eine sich verschlechternde Gesundheit in ihren Vorhaben vielfältiger Freizeitaktivitäten eingeschränkt zu werden.

Typ lachendes und weinendes Auge sieht, dass er eine spannende Tätigkeit, sowie wesentliche soziale Kontakte, die Kollegen, verlieren wird. Gleichzeitig freut er sich aber auf mehr Zeit für Privates. Er möchte gerne weiter einer Erwerbstätigkeit nachgehen, allerdings nur in verringertem Umfang und bei flexiblen Bedingungen. Zudem muss die Aufgabe interessant und bewältigbar sein, sowie ein gutes Verhältnis zur vorgesetzten Person bestehen.

Angehende Pensionist*innen des Typs weiter wie bisher identifizieren sich stark mit ihrem Beruf oder dem Arbeitgeber. Sie sehen dem Verlust ihrer spannenden Aufgaben mit mulmigem Gefühl entgegen und haben Sorge nicht mehr gebraucht zu werden. Außerdem nehmen sie wahr, dass sich ihr soziales Umfeld minimieren wird, weil sie den Kontakt zu Kolleg*innen verlieren. Auch der Verlust ihrer, durch die Arbeit vorgegebenen Zeitstruktur, macht ihnen Sorge. Menschen dieses Typus wollen, auch im verringerten Zeitausmaß, unbedingt weiterarbeiten.

Die Vorstellungen vom Übergang in den Ruhestand und vom weiteren Leben als Pensionist*in sind demnach sehr unterschiedlich. Dementsprechend vielfältig und individuell sind auch die Bewältigungsstrategien beim Abschied von der Erwerbsarbeit.

Veränderungen aufgrund des Pensionseintritts

Durch den Eintritt in die Pension kommt es bei den betroffenen Menschen zu weitreichenden Veränderungen im Leben. Die Erwerbsarbeit hat, neben der Sicherung grundlegender Bedürfnisse, auch wesentliche weitere Funktionen im Leben des Menschen. Arbeit schafft etwa Identität, sie stellt an den Menschen Herausforderungen und entwickelt ihn weiter. Häufig hat Arbeit eine sinnstiftende Funktion, sie stellt einen großen Inhalt im Leben dar bis hin zur Möglichkeit von Selbstverwirklichung. Außerdem schafft Erwerbsarbeit Zugehörigkeit, zu einem Unternehmen, zu einem Team, zu Kollegen, die Menschen sind eingebunden in einen sozialen Kontext. Sehr deutlich zeigten sich diese differenzierten Funktionen von Arbeit im Leben des Menschen in der deutschen Befragung Transitions and old age potential 2014 (Cihlar et al., 2014). Unabhängig davon, ob Menschen bereits in Pension sind oder nicht, verbinden sie mit Arbeit eine sinnvolle Beschäftigung zu haben (80 %), mit anderen Menschen in Kontakt zu sein (75 %) und die Erlangung persönlicher Zufriedenheit (70 %). Noch erwerbstätige Menschen ordnen der Arbeit auch in hohem Maße das Motiv ‚Geld verdienen (68 %)‘ zu, während diese Motivlage bei Menschen in Pension geringer ausgeprägt ist (52 %).

Erwerbsarbeit gibt außerdem Zeitstruktur vor und damit eine bestimmte Ordnung im Leben. Es gibt einerseits die Arbeitszeit, die Arbeitstage, und andererseits den Feierabend, die Freizeit. Durch Arbeit kommt es also auch zu einer Bewertung von Zeit. Feiertage sind deshalb besondere Tage, weil davor und danach Arbeitstage stattfinden. Erst sie machen den freien Feiertag zu einem besonderen Tag. Das gleiche gilt für den herbeigesehnten Urlaub, auch er ist begrenzt von Arbeitstagen und gerade deshalb so kostbar (Quelle).

Der Eintritt in die Pension und das Wegfallen von Erwerbsarbeit führt bei den betroffenen Menschen zu vielen Veränderungen, zu zahlreichen Verlusten und zur Notwendigkeit das Leben neu zu organisieren und seine Rollen im Leben neu zu definieren. Kühl (2011, S. 11), der sich mit der lebenslangen Einbindung des Menschen in Organisationen beschäftigt, meint, die sogenannte Entberuflichung wäre gleichzusetzen mit einem drohenden Sinnverlust und einer Identitätsverschiebung. Mehr noch, der Eintritt in die Pension wäre für viele Menschen der Beginn eines sozialen Sterbens (Jakoby & Thönnes, 2017; Kühl, 2011).

Schneider (2019) beschreibt in ihrem Buch Herausforderung Ruhestand acht große Veränderungen, die Menschen am Übergang in die Pension bewältigen müssen und bezieht sich dabei auf Quadbeck und Roth (2008, S. 63), sowie Semmer und Udris (2004, S. 159).

  • Verlust von Aktivität und Kompetenz

  • Neudefinition von Freizeit

  • Verlust der gewohnten Zeitstruktur und Ordnung

  • Veränderungen und Neudefinition in der Partnerschaft

  • Verlust sozialer Kontakte und Netzwerke

  • Verlust von Anerkennung und Status

  • Verlust von Teilen der eigenen Identität

  • Verlust von Gesundheit und Vitalität

Verlust von Aktivität und Kompetenz:

Im Laufe der vielen Arbeitsjahre findet ein Sozialisierungsprozess statt, in dem es zur Aneignung von Fähigkeiten und Kompetenzen kommt, oft sind es Spezialkompetenzen oder an den Beruf gebundene Kenntnisse. Beim Eintritt in die Pension werden diese Kompetenzen plötzlich nicht mehr oder nur noch zu einem geringen Anteil gebraucht. Das kann zu einem Gefühl von Nutzlosigkeit oder persönlicher Wertlosigkeit führen, aber auch zu Langeweile und Unterforderung.

Neudefinition von Freizeit:

Freizeit wird in der Erwerbsphase als Zeit des Entspannens betrachtet, als eine Zeit der Erholung von der Erwerbstätigkeit. Damit hat Freizeit eine Ausgleichsfunktion und es findet ein laufendes Pendeln zwischen Erholung und Beanspruchung statt. Mit dem Eintritt in die Pension nimmt dieses Pendeln ein Ende, die plötzlich grenzenlos vorhandene Freizeit kann zu Unterforderung, zum Gefühl fehlender Herausforderungen und persönlicher Entwicklung führen.

Verlust der gewohnten Zeitstruktur und Ordnung:

Die durch die Arbeit vorgegebene Zeitstruktur löst sich auf, wie auch die sich abwechselnden Phasen von Arbeit und Entspannung. Viele Ruheständler*innen können dieses Verlieren der gewohnten Ordnung gut verarbeiten, andere wieder ringen um eine neue Struktur im Leben.

Veränderungen und Neudefinition in der Partnerschaft:

Auch Partnerschaften durchlaufen am Übergang in den Ruhestand Veränderungsprozesse. Die häusliche Ordnung verändert sich etwa, wenn die Angehörigen einer Familie über Jahre gewohnt waren, dass ein Teil beruflich viel engagiert und außer Haus ist. Die dauernde Anwesenheit dieser Person, mit all den parallel stattfindenden Veränderungen im Leben dieses Menschen, schafft Konfliktpotential. Eine Rolle spielt hier auch die zeitliche Abfolge des.

Pensionseintritts, also die Frage, welcher der Partner zuerst in Pension geht, sich neu im Leben organisiert, und ob dann, einige Jahre später, der in die Pension nachfolgende Partner die neue Ordnung in Frage stellt oder an ihr rüttelt. Zu nennen ist in diesem Zusammenhang auch das „Retired Husband Syndrom“, welches im Rahmen einer Langzeitstudie in Japan, im Kontext traditioneller Ehen, also Ehefrau zu Hause und Ehemann beruflich vielbeschäftigt, entdeckt wurde. In der Studie ging man der steigenden Scheidungsrate bei Pensionist*innen nach und entdeckte in Folge eine Belastung bei Ehefrauen, deren Männer vorher beruflich stark engagiert waren. Man vermutet, dass Männer Sozialkompetenzen, die in einer Familie notwendig sind, durch das hohe berufliche Engagement verlieren und bei Pensionierung auch deshalb Schwierigkeiten haben, sich wieder in die Familie zu integrieren. Die Probleme des Mannes wirken auf die Beziehung und lösen bei der Ehefrau Stress aus, sowie Symptome und körperliche Probleme wie Rückenschmerzen, Asthma, Depressionen oder sogar Herzbeschwerden (Johnson, 1984).

Verlust sozialer Kontakte und Netzwerke:

Durch den Pensionseintritt geht bei den Ruheständler*innen in einem hohen Ausmaß die vertraute soziale Einbindung und Zugehörigkeit verloren. Der betroffene Mensch verlässt die Rolle des/der Erwerbstätigen und tritt ein in die Rolle des Pensionisten/der Pensionistin. Die Eingliederung in Teams, Arbeitsgruppen und andere berufliche Netzwerke löst sich auf, der Kontakt zu Arbeitskolleg*innen geht verloren. Menschen, die ihre sozialen Kontakte vor allem über die Arbeit organisiert haben, verlieren einen Großteil ihres sozialen Netzwerkes. Nach dem Renteneintritt fühlen sich daher manche Menschen ausgeschlossen, vielleicht auch entmachtet und fühlen Enttäuschung oder Wut. Menschen, die auch über ein soziales Netzwerk außerhalb der Arbeit verfügen, gelingt die Kompensation dieser Verluste leichter.

Verlust von Anerkennung und Status:

Mit dem Ende der Erwerbsarbeit gehen, vor allem für Führungskräfte, auch Einfluss, Ansehen und Status verloren. Dazu gehen vielleicht manche Privilegien verloren, das Dienstauto etwa, das eigene Büro, der persönliche Assistent und vielleicht auch öffentlicher Applaus. Aber auch Menschen ohne Führungsfunktion können Statussymbole verlieren, einen bestimmten Sitzplatz etwa, den Zugang zu bestimmten Räumen oder einen Dienstausweis, der die Zugehörigkeit zu einem Unternehmen verdeutlicht.

Verlust von Teilen der eigenen Identität:

Beruf, Aufgabenfeld, Funktion und Rolle im Arbeitsleben sind über viele Jahre wesentliche Bestandteile der persönlichen Identität und damit auch des Selbstwertgefühls. Durch den Wegfall des Berufes löst sich diese Selbstzuschreibung auf, die Identität bröckelt und muss neu definiert werden. Je mehr sich ein Erwerbstätiger über seine beruflichen Aufgaben und seine Berufsrolle definiert, umso größer der Verlust und umso mehr Anpassungsleistung muss erbracht werden. In diesem Zusammenhang darf durchaus auch die Notwendigkeit von ‚Trauerarbeit‘ genannt werden, Altes und Vertrautes muss verabschiedet werden, eine Antwort auf die Frage: „Wer bin ich abseits des Arbeitslebens noch?“ muss gefunden werden.

Verlust von Gesundheit und Vitalität:

Befinden sich angehende Pensionist*innen in einem guten Gesundheitszustand, erleben sie hohes Wohlbefinden, fühlen sich körperlich und geistig fit, können die genannten Veränderungen als Herausforderungen betrachten und gut meistern. Manche Menschen am Übergang in den Ruhestand sind allerdings bereits mit gesundheitlichen Beschwerden konfrontiert, haben vielleicht auch eine schlechte gesundheitliche Prognose oder spüren, wie ihre körperlichen Kräfte nachlassen. In diesem Fall kann eine positive Verarbeitung und Bewältigung der vielen Veränderungen erschwert werden, weil positive Assoziationen und Bilder für die Lebensphase Ruhestand fehlen.

Nach der Nennung so vieler Verluste sollen an dieser Stelle auch die Gewinne nicht unerwähnt bleiben, denn auch diese führen zu Veränderungen im Leben. Durch die Entberuflichung steht den Menschen im Ruhestand plötzlich sehr viel Zeit zur Verfügung. Diese Zeit steht jetzt zur Verfügung für die Familie, aber auch für Leidenschaften, Hobbies, Freizeitaktivitäten, Bildung oder freiwilliges Engagement. Und selbstverständlich hat der Mensch nun auch die Freiheit weiterhin erwerbstätig zu sein, allerdings aufgrund regelmäßiger Pensionszahlungen seltener aus dem Druck der Existenzsicherung heraus, sondern mehr aus Spaß an der Arbeit und Freude am Tun.

Bewältigung des Übergangs in den Ruhestand

Der Übergang in den Ruhestand gilt als kritisches Lebensereignis im Alter. Kritische Lebensereignisse sind Begebenheiten im Leben des Menschen, die einschneidenden Charakter haben, große Veränderungen mit sich bringen und zu einem Wendepunkt im Leben führen (Quelle). Beispiele für kritische Lebensereignisse des jüngeren Erwachsenenlebens sind der Tod eines Kindes, Scheidung, Arbeitsplatzverlust oder eine schwere Erkrankung. Zu einer positiven Verarbeitung des krisenhaften Geschehens muss der betroffene Mensch Bewältigungsstrategien entwickeln und psychosoziale Anpassungsleistungen erbringen (Fillipp & Aymanns, 2010).

Menschen rund um das Rentenantrittsalter verfügen, aufgrund ihrer Lebenserfahrung bereits über viel Wissen und Kompetenz in der Bewältigung von kritischen Lebensereignissen. Da aber die Veränderungen aufgrund der Pensionierung häufig jenseits bisheriger Erfahrungshorizonte liegen, kann sich der Pensionsantritt, auch wenn er nicht per se als kritisches Lebensereignis einzustufen ist, in der Bewältigung dorthin entwickeln und als kritisch erlebt werden.

Backes und Clemens (2013) sprechen im Zusammenhang mit dem Renteneintritt von einer zentralen Statuspassage auf dem Weg ins Alter und definieren zwei Ebenen, die dabei wirksam werden. Die Makroperspektive, die die Verknüpfung des individuellen Lebens mit der Gesellschaft und deren Institutionen darstellt. Hier geht es etwa um den Rollenwechsel vom Erwerbstätigen zum Pensionisten, um die sozialen Folgen dieses Rollenwechsels, aber auch um individuelle und gesellschaftliche Altersbilder. Die Mikroperspektive, die den individuellen Umgang mit dem Übergang in den Ruhestand darstellt. Hier geht es um Bewältigung und Anpassung durch den Betroffenen, wie auch durch sein unmittelbares Umfeld.

Antonovsky und Sagy (1990) sehen, den Gedanken Erikson (2012) und Havighursts (1972) folgend, am Übergang in den Ruhestand drei Entwicklungsaufgaben des Menschen, die der Mensch erfolgreich bewältigen muss, um sich an den Eintritt in den Ruhestand gut anpassen und in Folge ein gutes Leben führen zu können.

Das aktive Involviertsein (active involvement) ist dabei für einen bewussten Umgang mit den Veränderungen des Übergangs notwendig. So müssen die Auswirkungen des Pensionsantritts auf das Leben betrachtet werden, proaktiv eine Neustrukturierung der Zeit vorgenommen werden und auch mit den Veränderungen im sozialen Netzwerk muss sich der betroffene Mensch beschäftigen.

Im Rahmen der Neubewertung der Lebenszufriedenheit (reevaluation of life satisfaction) wird, ausgelöst durch das Ende der Erwerbsarbeit, ein Bilanzieren des bisherigen Lebens notwendig, ein Evaluieren bisheriger beruflicher und privater Ziele, sowie eine Adaptierung dieser Ziele als wesentliche Anpassungsleistung.

Außerdem muss eine Neubewertung der Weltanschauung (reevaluation of world outlook) vorgenommen werden, eine Art übergeordnete Betrachtung des Menschen und seiner Interaktion mit Menschen und Umwelt.

Antonovsky und Sagy (1990) nennen in diesem Zusammenhang noch eine vierte Entwicklungsaufgabe, den Sinn für Gesundheitsaussichten (sense of health outlook), ordnen diese aber nicht allein dem Übergang in den Ruhestand zu (deshalb die gesonderte Nennung), sondern dem fortgeschrittenen Alter generell. Hier geht es um die Aufgabe, sich auf Altersveränderungen und gesundheitliche Probleme einzustellen und sein Gesundheitsverhalten entsprechend danach auszurichten und anzupassen. Eine Entwicklungsaufgabe die im Projekt.

Fit4AAL, mit der Entwicklung des Bewegungsprogramms Fit-mit-ILSE, im Fokus steht.

Der Übergang in den Ruhestand als kritisches Lebensereignis mit vielen Verlusten und Gewinnen, als Entwicklungsstufe und Entwicklungsaufgabe also. Wie aber wird dieser Übergang verarbeitet und bewältigt? Führt der Pensionseintritt unweigerlich zu einer Identitätskrise oder gar zum „Pensionsschock“?

Robert Atchley wies bereits 1976 darauf hin, dass die meisten Menschen den Übergang in den Ruhestand gut bewältigen und Probleme nur jene Menschen erleben, deren hauptsächlicher Inhalt im Leben der Beruf ist, die sich also vor allem über ihre Arbeit definieren. Wer über Identifikationsquellen auch außerhalb der Erwerbsarbeit verfügt, etwa über eine gute familiäre und soziale Einbindung oder über freizeitbezogene Aktivitäten und Leidenschaften, kann den Verlust der Arbeit kompensieren und seine Identität aufrechterhalten.

Auch die bereits erwähnte TOP-Studie zeigt, dass der Umstieg von Erwerbsarbeitsleben ins Leben im Ruhestand zwar eine große Umstellung darstellt, von den meisten Menschen aber als nicht belastend erlebt und daher meistens gut bewältigt wird. Nur 22 % der Pensionisten beschreiben den Übergang in den Ruhestand als belastend. Eine differenziertere Betrachtung zeigt hier keinen Unterschied zwischen Geschlechtern und Schulbildung, wohl aber beim Thema Partnerschaft. Nicht in Partnerschaft lebende Menschen scheinen den Übergang in die Pension eher als belastend zu erleben. Auch in weiterer Folge wird das Leben in der Pension positiv betrachtet, die Ruheständler*innen gaben an, meistens gut gelaunt zu sein (90 %), beschrieben sich als energiegeladen (72 %) oder befreit (71 %). Nur 6 % meinten sich im Ruhestand öfters zu langweilen (Sackreuther et al., 2017).

Die Bewältigung des Übergangs in den Ruhestand wird heute als Prozess betrachtet, wobei die zur Verfügung stehenden Ressourcen und Schritte der Verarbeitung variabel sind. Außerdem sind sie abhängig von den sozialen und ökonomischen Rahmenbedingungen des Menschen, wie auch von der subjektiven Bewertung der Situation (Hübner, 2017).

Auch Atchley (1976) sah die Bewältigung des Übergangs in den Ruhestand bereits als Prozess und beschrieb eine normative Abfolge von Phasen auf dem Weg in die Pension und während des Pensionslebens. In der entfernten Phase, mehrere Jahre vor der Pensionierung, hat der Mensch laut Atchley (1976) eine vage Vorstellung vom Ruhestand, blickt aber positiv auf diese Lebensphase. In der Nähephase rückt das Ereignis Pensionsantritt näher und löst eine Vielfalt an Gefühlen und Vorstellungen aus. Der Mensch beginnt sich zu informieren, etwa über die Höhe der monatlichen Pensionsauszahlung. Je nach Lebenssituation entwickelt er ein romantisches Bild von der Pension oder auch ein ambivalentes bis ängstliches Bild. Unmittelbar um den Antritt in die Pension erleben die Betroffenen idealtypisch die sogenannte Honeymoon-Phase, eine Art Hochgefühl, ob der großen Entlastung und neuen Freiheit. Die Menschen fühlen sich in dieser Zeit von der Verantwortung der Erwerbsarbeit entpflichtet und tragen ins sich oftmals die Vision eines wohlverdienten langen Urlaubes. Im Mittelpunkt der Vorstellungen stehen Reisen und Hobbies, für die man zuvor nie Zeit hatte, sowie Zeit mit Enkelkindern und Familie. Erst in der darauffolgenden Ernüchterungsphase sieht der betroffene Mensch nicht nur seine plötzliche Freiheit, sondern auch seine Verluste, etwa die von Kolleg*innenen oder auch die fehlende Herausforderung. Er erkennt, dass Freiheit und Freizeit als Lebensinhalt zu wenig sind und die Pension kein immerwährender Urlaub sein kann. Nach Überwindung dieser ernüchternden Phase tritt der Mensch in die Reorganisationsphase ein. Nun ordnet er sein Leben neu, beginnt es zu strukturieren, sucht nach neuem Sinn, nach Inhalten und Aufgaben und gleitet damit über in die Stabilitätsphase, in der er seine Neuorganisation gefunden hat, eine neue Lebensnormalität, und damit ein zufriedenes Rentnerleben führt, bis er viele Jahre später in die Terminationsphase übertritt, in der er Betreuungsbedürftigkeit und Krankheit erlebt, und an deren Ende der Tod steht (Atchley, 1976).

Bury, Decker und Piorr (2019) vermuten in ihrem Artikel, der sich mit dem Übergang in den Ruhestand aus Sicht des Personalmanagements beschäftigt, dass sich viele Menschen kurz vor der Pension der Tragweite des auf sie zukommenden Ereignisses nicht bewusst sind und sich deshalb auch selten proaktiv auf den Ruhestand vorbereiten. Eine Vermutung, die sich mit den bereits beschriebenen.

Phasen am Übergang in den Ruhestand nach Atchley (1976), vor allem der Nähephase und Honeymoonphase, erklären lassen.

Die TOP-Studie zeigt in diesem Kontext ein etwas anderes Bild. Immerhin 57 % der angehenden Ruheständler*innen machen im Vorfeld Pläne und bereiten ihren Übertritt in die Pension vor. Ein großer Teil geht damit aber tatsächlich auch ohne konkrete Vorstellungen in die neue Lebensphase und lässt diese eher auf sich zukommen (Sackreuther et al., 2017, S. 16–17).

Einen wesentlichen Einfluss auf die Bewältigung des Übergangs in den Ruhestand dürften die persönliche Einstellung und Erwartungshaltung zur Pensionierung und zum Thema Alter haben. Ein negatives Altersbild führt zu einem negativen Blick auf die Pensionierung und wirkt in Folge wahrscheinlich auch negativ auf den Prozess der Bewältigung des Übergangs in den Ruhestand. Umgekehrt scheint ein positives Bild von Alter und Ruhestand förderlich auf die Bewältigung des Renteneintritts zu wirken (Lehr, 2007; Mayring, 2000).

Ein wesentlicher Faktor für den Blick auf das Leben in der Rente und in Folge auch für die Bewältigung des Übergangs in den Ruhestand ist die eigene Kontrolle über den Zeitpunkt des Pensionseintritts, also wie freiwillig oder unfreiwillig dieser Schritt vollzogen werden kann. In diesem Zusammenhang wird oft auf sogenannte Pull- und Pushfaktoren verwiesen, die den Entscheidungsprozess bezüglich Renteneintritt beeinflussen (Shultz et al., 1998). Pullfaktoren machen es den angehenden Rentner*innen leicht, sich freiwillig in die Pension zu begeben, sie werden positiv erlebt und ziehen den Betroffenen quasi in die Pension. Dazu zählen etwa finanzielle Anreize des Arbeitgebers für einen freiwilligen früheren Austritt, aber auch Hobbies oder außerberufliche Interessen, die einen höheren Stellenwert haben als der Beruf. Pushfaktoren dagegen werden negativ erlebt, sie stehen für den unfreiwilligen Eintritt in die Pension, für den Verlust der Kontrolle über die Entscheidung. Dazu zählen etwa gesundheitliche Einschränkungen, eine plötzliche Krankheit, belastende Arbeitsbedingungen, Mobbing, der Verlust der Arbeit, bei Frauen aber auch anstehende familiäre Betreuungs- oder Pflegearbeiten.

Gesundheit und Wohlbefinden am Übergang in den Ruhestand

Beim Eintritt in die Pension erleben die Menschen weitreichende psychosoziale Veränderungen in ihrem Leben, die neue persönliche Entwicklungen auslösen, aber auch zu gesundheitlichen Folgen führen können. Ob und in welcher Weise der Übertritt in den Ruhestand Auswirkungen auf die Gesundheit der Menschen hat, beschäftigt die Wissenschaft schon lange.

Forschung im Wandel

Mayring (2000) beschrieb eine Dreiteilung dieses wissenschaftlichen Diskurses. In der ersten Phase der wissenschaftlichen Auseinandersetzung wurde, in den 50er und 60er Jahren, ein Fokus auf mögliche negative Veränderungen durch den Ruhestand gelegt, hier wurde das Phänomen des Pensionsschocks aufgeworfen, sowie die Feststellung einer erhöhten Mortalität bei Frühverrentung.

In der zweiten Phase, den 70er und 80er Jahren, wurde im Rahmen von Längsschnittstudien festgestellt, dass nur rund ein Drittel der Rentner*innen Probleme nach dem Pensionseintritt zeigt, die meisten Menschen den Pensionseintritt aber gut verarbeiten. Nun wurden auch die positiven Aspekte des Renteneintritts ins Auge gefasst, man ging nicht länger nur von Verlusten aus, sondern auch von Gewinnen. Die nähere Betrachtung zeigte, dass das Gelingen des Übergangs in den Ruhestand, und damit einer positiven psychosozialen Verarbeitung, mit den individuellen Vorstellungen vom Ruhestand und dem tatsächlichen Erleben in Verbindung stand. Nun erkannte man, dass die Möglichkeit seine Pläne auch auszuleben wesentlich ist für Gesundheit und Wohlbefinden im Ruhestand und dies von einer Reihe von Faktoren abhängig ist, etwa den finanziellen Rahmenbedingungen oder dem aktuellen Gesundheitszustand.

In der dritten Phase der Pensionsforschung nach Mayring (2000), es handelt sich um Erkenntnisse aus Longitudinalstudien im Kontrollgruppendesign (nicht Erwerbstätige Pensionist*innen vs. Erwerbstätige Personen) Ende der 90iger Jahre. Hier zeigen sich nun kaum noch Unterschiede zwischen Rentner*innen und im gleichen Alter noch erwerbstätigen Menschen und es wurden keine einheitlichen Zusammenhänge oder Faktoren sichtbar, die die Gesundheit am Übergang in den Ruhestand negativ beeinflussten. Vielmehr kam man vermehrt zur Erkenntnis, dass die Entwicklung der Gesundheit am Übergang in den Ruhestand wesentlich von subjektiven Faktoren abhing. Etwa vom aktuellen Gesundheitszustand, von der zu erwartenden finanziellen Situation, von der Zufriedenheit mit dem erlebten Erwerbsleben, von der persönlichen Einstellung zur Lebensphase Ruhestand und den persönlichen Altersbildern.

Die Einstellung zum Altern prägt subjektive Gesundheit/Wohlbefinden

Im Zusammenhang mit dem Projekt Fit4AAL und dem geplanten Bewegungsprogramm stellte sich zu Beginn der Projektentwicklungsphase deshalb auch weniger die Frage nach der objektiven Gesundheit von Ruheständlern, also medizinisch erhobenen gesundheitlichen Veränderungen, sondern vor allem nach dem subjektiven Gesundheitsempfinden und dem persönlichen Wohlbefinden der Menschen im Ruhestand. Vielmehr ging es um die Frage, wie Menschen nach dem Übergang in die Pension ihre Gesundheit erleben, wie sehr Gesundheit ein Thema in ihrem Leben ist und ob es in dieser Gruppe eine Bereitschaft gibt, etwas Konkretes für die eigene Gesundheit zu tun, wie z. B. an einem Bewegungsprogramm teilzunehmen.

Besondern hervorgehoben werden sollen hier die sehr aktuellen Ergebnisse von Hübner (2017), die dem Einfluss des subjektiven Alterns, der subjektiven Altersbilder wie auch den Beziehungen auf Gesundheit und Wohlbefinden am Übergang in den Ruhestand nachging.

Als wesentlichen Einflussfaktor auf Gesundheit und Wohlbefinden sieht Hübner die individuelle Bewertung des Übergangsprozesses, den Verlust der Erwerbsarbeit und die Lebensphase Ruhestand, welche geprägt sind von der zunehmenden Individualisierung im Verrentungsprozess (unterschiedliche Wege zum Renteneintritt, unterschiedliche Gründe für den Weg in den Ruhestand). Vor dem Hintergrund dieser individuellen Bewertung erklärt sich, warum viele Menschen den Übergang in die Pension gut bewältigen, während andere wieder den Pensionseintritt als belastend erleben und in Folge auch Auswirkungen auf subjektive Gesundheit und Wohlbefinden zeigen.

In Bezug auf Altersbilder stellte Hübner (2017) fest, dass die Befragten zwar häufig negative Vorstellungen vom Alter und von Pensionisten zeigten, diese Vorstellungen aber nicht mit sich in Verbindung brachten, sondern mit der Elterngeneration. Bei den Ruheständlern der postmodernen Zeit vermutet man deshalb einen Trend hin zu einem neuen Altersbild und neuen Vorstellungen vom Ruhestand, geprägt von Aktivität und Produktivität hin zu einem sog. „Un-Ruhestand“.

Wesentlich für das Erleben der subjektiven Gesundheit und das Wohlbefinden ist der Umgang mit altersbezogenen Veränderungen und dem eigenen Altern. Hübner (2017) beschreibt hier drei Ebenen der notwendigen persönlichen Auseinandersetzung, die Auseinandersetzung mit Einschränkungen und der Endlichkeit des Lebens, die Auseinandersetzung mit Weiterentwicklungen und den Umgang mit Altern als Kompensation (Hübner, 2017).

Auswirkungen auf Gesundheit und Wohlbefinden scheint auch die Haltung zum persönlichen Altern zu haben. In der genannten Studie erlebten sich die Befragten im Schnitt um 8,2 Jahre jünger, als ihr chronologisches Alter war, und es ließen sich drei Kategorien von Haltung gegenüber dem eigenen Altern ableiten, die das Alter ablehnende Haltung, die annehmende Haltung und die das Alter ignorierende Haltung (Hübner, 2017). Interessant für das Projekt Fit4AAL sind in diesem Zusammenhang vor allem Menschen der Kategorie ‚ignorierende Haltung‘. Sie konstruieren ihr Selbst nicht über das chronologische Alter, sondern über vom Alter unabhängige Werte und Einstellungen. Ihnen zugeordnet werden kann der verstärkte Wunsch, ein jugendliches Aussehen behalten zu wollen, vor allem aber zeigen sie eine hohe Motivation sich mit der eigenen Gesundheit zu beschäftigen, wobei Bewegung und Ernährung eine besonders große Rolle innehaben. Hübner (2017) ortete aber in ihrer Untersuchung generell ein erhöhtes Gesundheitsbewusstsein bei den befragten Pensionist*innen. Dabei stehen vor allem in den Alltag integrierte Gesundheitsverhaltensweisen wie Bewegung, Ernährung und die Inanspruchnahme von Vorsorgeuntersuchungen im Fokus, die neben gesundheitlichen Effekten auch der Bewältigung des Alterungsprozesses dienen.

Dem Übergang in den Ruhestand kann also per se keine negative Wirkung auf Gesundheit und Wohlbefinden zugeschrieben werden. Die deutlichste Wirkung auf die subjektive Gesundheit hat das persönliche Altersselbstbild. Eine negative Sicht auf das eigene Älterwerden wirkt negativ auf die subjektive Gesundheit, ein positives Selbstbild vom Altern dagegen wirkt sich positiv aus. Die aus dem Altersselbstbild abgeleitete subjektive Wahrnehmung des Alterungsprozesses, sowie der daraus resultierende Umgang mit altersbezogenen Veränderungen, zählen zu den wichtigsten Einflussfaktoren subjektiver Gesundheit und Wohlbefinden im Alter (Hübner, 2017).

Die TOP-Studie (2014) zeigte, dass Menschen im Ruhestand regelmäßiger körperlich aktiv sind als erwerbstätige Menschen. Eine besonders hohe körperliche Aktivität zeigten Menschen, die im Ruhestand noch Teilzeitarbeit hatten oder stundenweise erwerbstätig waren. Ein Zusammenhang zwischen guter subjektiver Gesundheit und regelmäßiger körperlicher Aktivität konnte ebenfalls nachgewiesen werden. 90 % Personen, die ihre Gesundheit als gut einstuften, gaben an mindestens einmal pro Woche körperlich aktiv zu sein, während dies für jene, die ihre Gesundheit als eher schlecht einstuften nur zu 73 % zutraf (Sackreuther et al., 2017).

Das Projekt Fit4AAL und die Zielgruppe Menschen am Übergang

Ziel des Projektes Fit4AAL war es, mithilfe moderner Informationskommunikationstechnologie (IKT), ein Bewegungsprogramm für ältere Menschen zu entwickeln und damit die angestrebte Zielgruppe in ihrem Bestreben nach einem aktiven Lebensstil und einem gesunden Älterwerden zu unterstützen. Das Projektteam war interdisziplinär zusammengesetzt, bestand aus Wissenschaftler*innen unterschiedlicher Fachrichtungen, aus Sportcoaches und IT-Techniker*innen, wie auch aus Vertreter*innen von Organisationen, die mit der Zielgruppe in direktem Kontakt stehen (vgl. Beiträge in diesem Band zum Projekt Fit-mit-ILSE).

Die gerontologische Expertise im Projekt Fit4AAL

Aus gerontologischer Sicht war es für den Erfolg des Projektes Fit4AAL wichtig, immer wieder die Zielgruppe der Neo-Ruheständler zu skizzieren und sie abzugrenzen zu Pensionist*innen vorheriger Generationen. Das bedeutete etwa, gegenüber den Projektpartner*innen und mitwirkenden Personen die Pluralität und Heterogenität der Lebensstile und Lebensformen rund um den Übergang in den Ruhestand zu thematisieren. Auch die Sichtbarmachung der inneren Altersbilder der am Projekt beteiligten Expertinnen und Experten, viele davon jüngeren Alters, sowie die Diskussion dieser Altersbilder und Abgrenzung zur Zielgruppe war dafür wesentlich.

Die Ergebnisse dieser Diskussionen beeinflussten das Design des Bewegungsprogrammes, die Auswahl der Modelle für die anleitenden Sportübungsvideos, die Namensgebung der einzelnen Tools des Bewegungsprogramms, die Befragungen und Evaluation, sowie die gesamte Kommunikation des Projektes an die Testpersonen und die zukünftige Zielgruppe des Produktes.

Die gerontologische Expertise war im Projekt Fit4AAL außerdem gefragt, bei der Frage, wie sich das entwickelte Bewegungsprogramm in Zukunft mit der Zielgruppe mitentwickeln sollte, damit sich die Nutzer*innen auch in einigen Jahren noch von dem Produkt, und in ihren Anliegen gut und gesund älter zu werden, unterstützt fühlen. Um sich dieser Fragestellung anzunähern, wurden unter dem Titel Fit4BecomingOlder mit Lead User*innen geschlechtergetrennte Workshops durchgeführt, dabei ihre Bilder und Vorstellungen vom Alter eingeholt, sowie ihre Einschätzung über die persönlichen Herausforderungen der nächsten 10 Jahre erhoben. Die drei in diesem Prozess genannten Themen sind

  • Beweglichkeit erhalten, fit bleiben

  • In Gemeinschaft leben bzw. sozial involviert bleiben

  • Den Anschluss an die Technik nicht zu verlieren

Die Zielgruppe Menschen am Übergang in die Pension und das Thema Gesundheit

Für das Projekt Fit4AAL wurden Menschen ab dem Pensionseintritt bis einige Jahre danach als Zielgruppe definiert. Diese Spezifizierung wurde vorgenommen, weil man in der Projektplanungsphase davon ausging, dass diese Zielgruppe die Honeymoon-Phase (Atchley, 1979), in der vor allem der Zugewinn an Freiheit und Freizeit im Mittelpunkt steht, bereits hinter sich gelassen und erste Veränderungen durch die Pensionierung positiv bewältigt hat. Man ging davon aus, dass diese Neo-Pensionist*innen neugierig sind auf Neues sind, ihr Leben als Pensionist*in neu organisieren und strukturieren.

Außerdem vermutete man, dass Menschen nach dem Pensionsantritt besonders sensibilisiert sind für Gesundheitsfragen, weil sie, wie Antonovsky und Sagy (1990) beschrieben, vor der Entwicklungsaufgabe Sinn für Gesundheitsaussichten (sense of health outlook) stehen und sich deshalb fragen, wie sie langfristig ihre Gesundheit und Aktivität erhalten können.

Dass man in der Projektkonzeption mit der Zielgruppendefinition richtig lag, zeigte die hohe Bereitschaft am Projekt Fit4AAL teilzunehmen. Sei es die Suche nach Lead-User*innen, die erste Rückmeldungen zu den Prototypen der entwickelten Produkte lieferten, oder die Suche nach Testpersonen, es gab eine rege und auch sehr interessierte Beteiligung am Projekt Fit4AAL. Auch dass nur wenige Testpersonen aus dem laufenden Projekt ausschieden, spricht für die gelungene Zielgruppendefinition.

Wie wichtig der Zielgruppe das Thema Gesundheit mit Blick auf das Älterwerden ist, wurde auch in den Workshops Fit4BecomingOlder sichtbar, wo es um die großen Herausforderungen der nächsten zehn Jahre ging und die Frage, wie sich das Bewegungsprogramm Fit mit ILSE weiterentwickeln müsste, wie das Produkt mit den Nutzer*innen quasi „mitwachsen“ sollte, damit es auch in zehn Jahren noch interessant für sie als Zielgruppe wäre.

Bei den geschlechtergetrennt geführten Diskussionen zeigte sich, dass die Gesundheit zu erhalten bei der Zielgruppe, ob Frau oder Mann, Thema ist. Die weiblichen Lead-Userinnen diskutierten das Thema Gesundheit dabei jedoch zeitlich und inhaltlich intensiver. Von den Frauen wurden Aussagen wie gesund bleiben und beweglich bleiben immer auch in Verbindung gebracht mit selbstbestimmt bleiben, aber auch mit sozial eingebunden bleiben. Außerdem wurde das bewusste Auseinandersetzen mit dem eigenen Älterwerden und mit eventuellen altersbedingten Veränderungen als große Herausforderungen für die nächsten 10 Jahre gesehen.

In diesem Zusammenhang sei noch genannt, dass sich, sowohl als Lead-User*innen wie auch als Testpersonen, mehr Frauen am Projekt Fit4AAL beteiligten. Daraus kann vielleicht die Frage abgeleitet werden, ob Frauen generell aktiver und bewusster an einem gesunden Älterwerden arbeiten als Männer, oder ob dieser Unterschied vor allem am Setting von Fit-mit-ILSE lag, da hier im Mittelpunkt das Üben zu Hause stand, und Männer sich beispielsweise lieber draußen oder in Gesellschaft mit anderen Menschen bewegen.

Die Zielgruppe Menschen am Übergang in den Ruhestand und IKT

Da es sich beim Projekt Fit-mit-ILSE um die geplante Entwicklung eines, technisch durchaus komplexen, Systems handelte, war auch die Affinität der Zielgruppe zu Informations-Kommunikations-Technologie (IKT) in der Projektplanung von Bedeutung.

Frauen und Männer, die heute in Pension gehen, haben den Beginn des digitalen Zeitalters hautnah miterlebt. Sie wurden vor allem im Rahmen ihrer Erwerbstätigkeit mit Computer, Internet und digitalen Anwendungen konfrontiert und haben dabei auch die Vorteile technischer Möglichkeiten kennengelernt. Die Nutzung von Laptop, Smartphone oder Tablet ist für viele Menschen 60plus zur täglichen Selbstverständlichkeit geworden.

Bei einer Erhebung in Deutschland stand bereits 2015 in 49 % der Haushalte der Generation 65plus ein Notebook, und in 44 % ein stationärer Computer, Tendenz steigend. Die Internetnutzung der 45- bis 64-Jährigen lag bereits bei 90 %. Die zukünftige Rentner*innen-Generation wird also die Möglichkeiten von Online-Services – ob Online-Shopping, Online-Urlaubsplanung, Online-Banking oder Online-Sprechstunde – in hohem Ausmaß nützen und Technik als durchaus den Alltag erleichternd erleben, sowie an technischen Entwicklungen in hohem Ausmaß interessiert sein (Statistisches Bundesamt, 2016).

Sichtbar wurde im Projekt Fit4AAL auch, dass sich Neo-Ruheständler*innen des weiteren Fortschreitens der Digitalisierung sehr bewusst sind, mehr noch, sie sehen hier für sich persönlich in den nächsten zehn Jahren eine große Herausforderung. In den geschlechtergetrennten Diskussionsrunden Fit4BecomingOlder nannten Frauen wie Männer, ein Dranbleiben an der Technik als wichtiges Ziel für die Zukunft. Gleichzeitig verbanden sie ihre persönliche Herausforderung mit einer Erwartung an Techniker*innen und Bildungseinrichtungen. Sie wünschen sich einerseits eine userfreundliche technische Entwicklung, die auch Menschen jenseits der 60 berücksichtigt, und außerdem mehr Kursangebote für älterwerdende Menschen, in denen der Umgang mit technischen Geräten vermittelt wird. Den Anschluss an technische Entwicklung zu verlieren, gehörte zu den großen Sorgen der Lead User*innen dieser Gesprächsrunden, ganz besonders dann, wenn nicht auf Hilfe aus der Familie, etwa auf technikbegeisterte Enkelkinder, zurückgegriffen werden kann.

E-learning-Kurs Vorbereitung auf den Ruhestand

Auch wenn der Übergang in den Ruhestand von den meisten Menschen gut bewältigt wird, werden Vorbereitungen für die große Lebensphase der Pension empfohlen. Dass es hier einen Bedarf von Seite der betroffenen Menschen gibt, zeigt auch die Vielfalt an Ratgebern und Seminarangeboten, die man mittlerweile finden kann.

Bury, Decker und Piorr (2019) sehen eine Vorbereitung am Übergang in den Ruhestand nicht nur als notweniges Vorhaben der angehenden Pensionist*innen, sondern als eine Art Übergangsmanagement, sogar als betriebliche Notwendigkeit. Sie empfehlen in Richtung des Personalmanagements der Unternehmen eine verbindliche Auseinandersetzung mit der Übergangsphase der Mitarbeiter*innen und bei diesem Prozess die Interessen des Betriebes (etwa zu Übergabe- und Nachfolgefragen) mit den persönlichen Interessen der Mitarbeiter*innen (Gelingen des Übergangs und Lebensqualität im Ruhestand) zu verbinden. Umfragen zu diesem Übergangsmanagement haben gezeigt, dass vorbereitende Angebote und Maßnahmen von Seite der angehenden Pensionist*innen gut angenommen werden, wobei dafür die Freiwilligkeit der Teilnahme eine wesentliche Voraussetzung ist.

Auch wenn Auseinandersetzungen mit der Lebensphase Pension schon einige Monate vor dem eigentlichen Pensionsantritt beginnen und damit zukünftige Veränderungen vorausgenommen und proaktiv behandelt werden sollten, kann auch ein Nachbearbeiten der offenen Fragen, Veränderungen oder auch erlebten Problemstellungen am Übergang in den Ruhestand hilfreich sein.

Im Projekt Fit4AAL hat man sich daher entschieden, unter dem Angebot Fit mit Wissen einen E-learning-Kurs mit dem Titel Auf in den Un-Ruhestand zu entwickeln und den Projektteilnehmer*innen zur Verfügung zu stellen. Der Kurs bestand aus insgesamt sieben Modulen und thematisierte alle Veränderungen, die Menschen mit dem Eintritt in die Pension erfahren, vom Ausstieg aus der Erwerbsarbeit über Veränderungen in der Zeitstruktur und bei den sozialen Kontakten, bis hin zu Auswirkungen in der Partnerschaft.

Der E-learning-Kurs wurde im Rahmen der Testsequenzen von den Projektteilnehmer*innen grundsätzlich gut angenommen. Die Bewertung zeigte allerdings ein gemischtes Bild von viele wichtige Informationen erhalten bis zu nichts Neues für mich dabei gewesen. Aussagen der letzteren Kategorie können aber durchaus auf eine geglückte und bereits abgeschlossene Bewältigung des Übergangs in den Ruhestand der Teilnehmer*innen hinweisen. Immerhin bewegte sich das Altersspektrum der Teilnehmer*innen des Fit4AAL Projektes zwischen den Geburtsjahren 1946 und 1958, womit die skizzierte Zielgruppe, in Bezug auf Nähe des Pensionseintritts und Bewältigung dessen, als sehr heterogen betrachtet werden kann.