Seit Jahrtausenden ist es eine Sehnsucht der Menschheit unsterblich zu werden und sich die ewige Jugend zu bewahren. Gerade in den letzten Jahren hat die Wissenschaft diesem Ansinnen auf vielfältige Weise Hoffnung gegeben. Einzelne Wirkstoffe wie Resveratol, NAD, DHEA und Metformin sowie Kombinationen aus diesen Substanzen sollen die Alterungsvorgänge verlangsamen oder sogar eine Verjüngung ermöglichen (Pollack et al., 2017; Mitchell SJ et al., 2018; Fahy et al., 2019). Gegenwärtig existiert jedoch noch eine große Kluft zwischen den von manchen Wissenschaftlern vertretenen Hypothesen und der vorhandenen Evidenz, welche auf den Ergebnissen ausreichend großer Studien zur Wirkung dieser Substanzen am Menschen beruhen sollte. Zudem erscheint es in Anbetracht der Komplexität des menschlichen Alterns durchaus fraglich, ob es jemals gelingen wird, letzteres durch sehr zirkumskripte Interventionen nachhaltig zu beeinflussen.

In den letzten Jahren wurde deutlich, dass der genetischen Determinierung gegenüber individuellen Lebensstilfaktoren nur eine untergeordnete Bedeutung für das biologische Altern zukommt. Der Beitrag genetischer Faktoren zur Lebensspanne wird gegenwärtig mit Werten zwischen 10 und 20 % angenommen. Beim Menschen sind die für das Altern verantwortlichen genetischen Muster zudem komplex und nicht auf wenige umschriebene Veränderungen beschränkt (Melzer et al., 2020). Wesentliche molekulare Alterungsmechanismen sind Tab. 1 zu entnehmen (López-Otín et al., 2013; Jylhävä J et al., 2017). Dabei bieten sich aufgrund der starken Abhängigkeit der Alterungsprozesse von Lebensstil- und Umweltfaktoren vielfältige Möglichkeiten zur Etablierung von Interventionen, die weniger auf eine Lebensverlängerung als auf eine Verlängerung der gesunden Lebensspanne zielen. Hier liegt die wahre Herausforderung für die Zukunft unserer durch die aktuelle demographische Entwicklung geforderten Gesellschaft (Olshansky SJ, 2018). In diesem Kontext kommt dem Erhalt der Funktionalität gegenüber der Prophylaxe und Therapie von Krankheiten im engeren Sinne eine mindestens ebenso große Bedeutung zu. Es stellt sich zudem die Frage, in welchem Ausmaß Funktionalität und Komorbidität Ausdruck des individuellen Alterns sind oder ob selbige nicht eher unser Altern bestimmen.

Tab. 1 Molekulare Mechanismen des Alterns

Eine verbreitete Definition des Alterns beschreibt es als eine progressive, generalisierte Verschlechterung der individuellen Funktionalität, aus welcher eine erhöhte Vulnerabilität gegenüber Umgebungsbelastungen resultiert und welche mit einem erhöhten Morbiditäts-und Mortalitätsrisiko einhergeht. Hinsichtlich der Morbidität des älteren Erwachsenen gilt es zu berücksichtigen, dass insbesondere in der Hochaltrigkeit ein gegenüber dem jüngeren und mittleren Erwachsenenalter verändertes Krankheitsspektrum zu beobachten ist. Es handelt sich dabei um eine Verschiebung hin zu chronisch verlaufenden, degenerativen Erkrankungen. Beispielhaft seien die Osteoporose, die Atherosklerose, die Sarkopenie (altersassoziierter Verlust an Muskelmasse und –kraft) und die Demenz erwähnt. Mit steigendem Alter erhöht sich zudem die Prävalenz der Multimorbidität, sodass sich eine isolierte Betrachtung des Einflusses einzelner Erkrankungen auf das Altern und die Entwicklung der Funktionalität schwierig gestaltet. Da sich auf individueller Ebene sowohl die Muster als auch der jeweilige Schweregrad der Komorbiditäten unterscheiden und sich diese vor dem Hintergrund der Organalterung entwickeln, liegt in der älteren Bevölkerung eine ausgesprochene Heterogenität des physischen Phänotyps vor. Aufgrund dieser Heterogenität der älteren Population ist es offensichtlich, dass das chronologische Alter eines älteren Menschen nur eingeschränkt mit seiner Funktionalität und Morbidität sowie seiner Lebenserwartung korreliert.

Die Wissenschaft versucht daher seit geraumer Zeit das biologische Alter älterer Menschen anhand von Biomarkern zu bestimmen. Dies hat unter anderem das Ziel, die Wirksamkeit von gegen das Alteren gerichteten Substanzen hinsichtlich der Verlangsamung altersbedingter degenerativer Veränderungen auch bei einer beschränkten Studiendauer ausreichend sicher beurteilen zu können. Zum anderen wird versucht, auf der Grundlage des individuellen biologischen Alters das Patientenrisiko und den potentiellen Nutzen vor der Durchführung von invasiven medizinischen Maßnahmen wie Operationen oder Chemotherapien besser abzuwägen. Letzteres ist für eine verantwortungsvolle Beratung von älteren, oftmals fragilen Patienten vor diagnostisch-therapeutischen Entscheidungen von wesentlicher Bedeutung. Für die Bestimmung des biologischen Alters stehen verschiedene methodische Ansätze zur Verfügung. Zum einen sind dies molekulare Biomarker. Beispiele sind die Messung der DNA-Methylierung bestimmer Genloci, die Erfassung der Telemorlänge oder auch die kombinierte Analyse verschiedener molekularer Biomarker (Sebastiani et al., 2017) (Tab. 2). Trotz zuletzt vielversprechender Studienergebnisse existieren noch zahlreiche offene Fragen, die zunächst beantwortet werden müssen, bevor einer oder mehrere dieser Ansätze einer routinemäßigen Nutzung im Kontext medizinischer Fragestellungen zugeführt werden können (Bell et al., 2019; Field et al., 2018). Gegenwärtig ist es noch unklar, welche Methodik sich hier durchsetzen wird.

Neben molekularen Markern können auch klinische Parameter für die Bestimmung des biologischen Alters herangezogen werden. Im Rahmen dieses Ansatzes ist es jedoch erforderlich, ältere Patienten umfassend, nahezu holistisch zu betrachten und dabei sowohl die Art und Schwere der individuellen Komorbiditäten als auch ihre Funktionalität zu erfassen. Letztere wiederum unterliegt einer komplexen Interaktion verschiedener Domänen wie Mobilität, Kognition, Emotionalität und der sozioökonomischen Situation (Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Einflussfaktoren auf die Alltagsfunktionalität älterer Personen (Gryglewska et al., 2017)

Das geriatrische Assessment ist als ein adäquates Instrument zu betrachten, welches die differenzierte Erfassung der individuellen funktionellen Defizite und Ressourcen erlaubt. Es umfasst die validierte Evaluation der folgenden Dimensionen mithilfe etablierter Testverfahren:

  • Aktivitäten des täglichen Lebens,

  • Mobilität und Sturzgefährdung

  • Kognition

  • Emotionalität

  • Ernährungsstatus

  • soziale Situation.

Es existiert bereits eine große Zahl an Studien, welche den Wert des geriatrischen Assessments belegen (Ellis G et al., 2017).

Tab. 2 Methoden zur Prädiktion des biologischen Alters (Jylhävä et al, 2017)

Das theoretische Konstrukt der Frailty stellt in diesem Zusammenhang einen weiteren vielversprechenden methodischen Ansatz dar (Hoogendijk EO et al., 2019). Bei Frailty handelt es sich um ein eigenständiges geriatrisches Syndrom, dem ein dynamisches multidimensionales Konzept zugrunde liegt, welches physische, kognitive, psychologische und soziologische Komponenten aufweist. Ältere Personen weisen bei Vorliegen einer Frailty verminderte funktionelle Reserven und eine reduzierte Widerstandskraft gegenüber internen und externen Stressoren auf. Als Beispiel der ersteren kann das Auftreten einer Krankheit oder eines altersassoziierten funktionellen Defizits (z. Bsp. eine Seh- oder Hörstörung) angeführt werden, als Beispiele für die letzteren so unterschiedlichen Einflüsse wie die Verordnung eines neuen Medikamentes, der Verlust eines nahen Angehörigen oder ein Wohnortwechsel. Frailty wird dabei als Kontinuum verstanden, welches von subklinischen Formen bis zur Schwelle einer Behinderung reicht. Den letzteren Fall betrachtet man als Vollbild einer Frailty. Zudem ließ sich für die Entstehung einer Frailty der Einfluss zahlreicher Lebensstilfaktoren wie Gewicht, Genussmittelkonsum und Einkommen als relevant nachweisen (Clegg, 2013). Aus dieser Beschreibung des Frailty-Konzeptes ergibt sich daher eine deutliche Nähe zum Konzept des biologischen Alters.

Bis heute existiert kein internationaler Konsensus bezüglich der Diagnose einer Frailty. Die international am weitesten verbreiteten Frailty-Diagnosen stellen jedoch der physische Phänotyp nach Fried und der Frailty-Index nach Rockwood dar (Fried, 2001; Rockwood, 2005). Die originalen Frailty-Kriterien nach Fried sind der Tab. 3 zu entnehmen. Die Frailty-Prävalenz steigt mit zunehmenden Alter und beträgt bei > 65-Jährigen im Bevölkerungsmittel etwa 10 % (Collard et al., 2012). Die theoretisch vollzogene Abgrenzung gegenüber dem Vorliegen einer Behinderung und/oder der Multimorbidität gelingt im Alltag nur bedingt, wie bereits die Studie von Fried et al., aber auch Nachfolgearbeiten zeigten. Es ist daher nachvollziehbar, dass der Frailty-Index nach Rockwood (FI) auf der Listung von Funktionsdefiziten und Komorbiditäten basiert. In einer ersten Version wurden deren 70 gelistet. Der FI berechnet sich, indem man die Zahl der bei einer älteren Person vorhandenen funktionellen Defizite und Komorbiditäten durch deren maximal mögliche Zahl dividiert. Er erwies sich in verschiedenen Settings als ein Instrument mit hoher prädiktiver Validität bezüglich Komplikationen, Institutionalisierung, Krankenhauswiederaufnahmen und Mortalität (Theou, 2018). Aufgrund der großen Zahl der abzufragenden Items wurde seine ursprüngliche Form als zu aufwendig betrachtet. Die Autoren erstellten daraufhin eine im Umfang verringerte Version mit nur noch 38 Items, die sich als ähnlich prädiktiv erwies. Letzere ist gegenwärtig weltweit in wissenschaftlichen Studien weit verbreitet. Weder die Frailty-Kriterien nach Fried noch der FI sind jedoch für den klinischen Alltag tauglich. Gegenwärtig werden daher alternative Diagnoseverfahren entwickelt, welche bei akzeptabler Praktikabilität eine ausreichend hohe Validität aufweisen. Unter den Frailty-Kriterien nach Fried erwies sich die Ganggeschwindigkeit als wertvollster Parameter (Studenski, 2011), der zukünftig vermutlich auch isoliert zur Anwendung kommen dürfte. Auf der Basis des FI und der in den Hausarztpraxen verfügbaren Routinedatensätze wurde in Großbritannien ein elektronischer Frailty-Index entwickelt, der zukünftig ein automatisiertes Frailty-Screening ermöglichen wird (Hollinghurst, 2019; Brundle, 2019).

Tab. 3 Frailty-Kriterien nach Fried (Fried et al., 2001)

Wie bereits dargelegt, gelingt es in der Regel nicht, eine vollständige Abgrenzung zwischen Frailty und Komorbidität vorzunehmen. Es ist vielmehr davon auszugehen, das im höheren Alter regelhaft eine Wechselwirkung zwischen beiden Entitäten besteht, wobei der Umfang der selbigen unterschiedlich ausfällt, wie eine Arbeit von Ngyuen et al. zeigte (Ngyuen et al., 2019). Hier konnte nachgewiesen werden, dass die Mortalität von Patienten mit Frailty stark von der individuellen Komorbidität beeinflusst wird. In der untersuchten kanadischen Population von > 65-Jährigen war die höchste Sterblichkeit bei Frailty-Patienten mit neuropsychiatrischen Erkrankungen zu beobachten.

Die Relevanz unterschiedlicher Komorbiditäten für eine Verschlechterung der Funktionalität und für negative Gesundheitsereignisse ist im Alter äußerst verschieden. In Studien, die versuchen, diese Beziehung zu analysieren, ergibt sich zudem das Problem, den Schweregrad einer Erkrankung klassifizieren zu müssen, da es zum Beispiel einen erheblichen Unterschied macht, ob eine chronische Niereninsuffizienz als beginnend und somit leicht einzustufen ist oder ob es sich um einen Patienten handelt, der eine schwere chronische Niereninsuffizienz aufweist und damit vor der Dialysepflichtigkeit steht. Die metabolischen Konsequenzen und damit die Auswirkungen auf den Gesamtorganismus sind damit grundverschieden.

In jüngeren Lebensjahren liegt meist nur eine akute oder chronische Erkrankung vor. Daher ist deren Einfluss in dieser Population wesentlich einfacher zu analysieren als in einer älteren mit der Gleichzeitigkeit mehrerer akuter und chronischer Erkrankungen. Multimorbidität ist im Alter nahezu die Regel. Eine aktuelle Definition beschreibt Multimorbidität als jedwede Kombination einer chronischen Erkrankung mit mindestens einer weiteren Erkrankung (akut oder chronisch) (Le Reste, 2013). Es wurden zahlreiche Komorbiditätsscores entwickelt, welche die prognostische Relevanz der individuell vorhandenen Kombinationen von Komorbiditäten erfassen sollen. In diese numerischen Scores geht sowohl die Zahl der Komorbidiäten als auch der diesen zugeordnete Bedeutungsgrad ein. Letzterer entspricht allerdings nicht der Ausprägung der Komorbidität auf individueller Ebene, sondern er wird lediglich generalisiert für alle an dieser Komorbidität erkrankten Patienten vergeben. Es überrascht daher nicht, dass selbige Scores als nicht ausreichend prognostisch präzise bewertet wurden. Prinzipiell lässt sich feststellen, dass bei Vorliegen von chronischen Erkrankungen im Alter eine stärkere Abnahme der Leistung in Funktionstests wie Handkraft und Ganggeschwindigkeit vorhanden ist und mit steigender Zahl der Komorbiditäten das Risiko für das Auftreten einer Behinderung zunimmt (Newman, 2016; Yokota, 2016).

Resümee

Zum einen prädisponiert die regelhaft zu beobachtende Organalterung einschließlich der aus ihr resultierenden Funktionseinbußen im höheren Lebensalter für das Auftreten von akuten und chronischen Erkrankungen (Vetrano et al., 2018). Beispielhaft sei auf das Auftreten einer Sarkopenie (altersassoziierter Verlust an Muskelmasse und Muskelkraft) und das aus ihr resultierende erhöhte Sturzrisiko sowie die erhöhte Wahrscheinlichkeit einer Fraktur (Schenkelhals-, Humerus- und Radiusfraktur) verwiesen. Zum anderen ist der Einfluss individueller Komorbiditäten auf die Funktionalität im Alter stärker ausgeprägt. Dabei gilt es zu berücksichtigen, dass dieser je nach dem vorliegenden Erkrankungsspektrum und dem Schwergrad der einzelnen Erkrankungen sehr unterschiedlich ausfällt. Beispielhaft seien auf die chronische Niereninsuffizienz und die chronische Herzinsuffizienz verwiesen.

So durchdringen sich Komorbidität und Funktionalität wechselseitig. Sie haben damit beide wesentlichen Einfluss auf die Entwicklung des individuellen biologischen Alters. So gilt es nun für die medizinisch-biologische Forschung herauszufinden, welche Ansätze es jenseits der Behandlung der individuellen Komorbidität zukünftig vermögen, den Verlauf der Funktionalität im Alter günstig zu beeinflussen. Bislang sind hier körperliches Training und eine optimierte Ernährung als Standards anzusehen. Ob neue medikamentöse und hormonelle Ansätze die an sie gestellten Erwartungen erfüllen, müssen zukünftige Studien zeigen.